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Als im Osten Albions bläulichgrün die Morgendämmerung erwachte, saß Wilt, von der natürlichen Außenwelt abgeschlossen, in der durch und durch künstlichen Umgebung des Vernehmungszimmers des Hauptpolizeireviers, die aus einem Tisch, vier Stühlen, einem Kriminalwachtmeister und einer flimmernden Beleuchtung an der Decke bestand, die leise brummte. Es gab keine Fenster, nur blaßgrüne Wände und eine Tür, durch die gelegentlich Leute kamen und gingen, und durch die Wilt zweimal in Begleitung des Polizisten austreten gegangen war. Inspektor Flint war um Mitternacht schlafen gegangen, und seinen Platz hatte Sergeant Yates eingenommen, der wieder ganz von vorn anfing. »Wie weit vorn?« sagte Wilt. »Ganz vorn.«
»Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde und alles . . .«
»Sparen Sie sich Ihr weises Kluggescheißere«, sagte Sergeant Yates.
»Das«, sagte Wilt anerkennend, »ist aber eher ein allgemeinerer Gebrauch von klug und weise!« »Was ist?«
»Weises Kluggescheißere. Das ist Umgangssprache, aber es ist weiserweise gute Umgangssprache, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Sergeant Yates musterte ihn schweigend. »Dieser Raum ist schalldicht«, sagte er schließlich. »Das habe ich schon bemerkt«, sagte Wilt.
»Hier drin könnte sich einer die Lunge aus dem Hals schreien, und draußen war in keiner Weise was zu hören.«
»Klug oder weise?« sagte Wilt unschlüssig. »Weisheit und Klugheit sind nicht dasselbe. So manchem da draußen mag das vielleicht nicht klar sein, daß . . .«
»Schnauze!« sagte Sergeant Yates.
Wilt seufzte. »Wenn Sie mich bloß ein bißchen schlafen ließen . . .«
»Wir lassen Sie schlafen, wenn Sie uns sagen, warum, wo und wie Sie Ihre Frau umgebracht haben.«
»Ich nehme an, es hat überhaupt keinen Sinn, daß ich Ihnen sage, ich habe sie nicht umgebracht.«
Sergeant Yates schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Wir wissen, daß Sie's getan haben. Sie wissen, daß Sie's getan haben. Wir wissen, wo sie ist. Wir sind dabei, sie rauszuholen. Wir wissen, daß Sie sie da reingeschmissen haben. So viel haben Sie wenigstens zugegeben.«
»Ich kann Ihnen bloß immer wieder sagen, ich habe eine aufblasbare . . .«
»War Mrs. Wilt aufblasbar?«
»War sie 'ne Bumspuppe?« sagte Wilt.
»Na eben, vergessen wir also diesen Quatsch von der aufblasbaren Puppe . . .«
»Ich wollte wahrhaftig, das könnte ich«, sagte Wilt. »Ich werde nur allzu glücklich sein, wenn Sie da unten ankommen und sie ausgraben. Sie wird natürlich geplatzt sein mit dem ganzen Beton auf ihr, aber sie wird immer noch als aufblasbare Puppe zu erkennen sein.«
Sergeant Yates lehnte sich über den Tisch. »Ich möchte Ihnen mal eins sagen. Glauben Sie ja nicht, Mrs. Wilt wäre nicht mehr zu erkennen, wenn wir sie da rausholen.« Er wartete und starrte Wilt gespannt an. »Es sei denn, Sie haben Sie verunstaltet.«
»Verunstaltet?« fragte Wilt und lachte dumpf. »Sie brauchte nicht noch verunstaltet zu werden, als ich sie das letzte Mal sah. Sie sah einfach grauenhaft aus. Sie hatte diesen zitronengelben Schlafanzug an, und ihr Gesicht bedeckte eine Schicht...« Er zögerte. Der Sergeant hatte einen ganz seltsamen Gesichtsausdruck.
»Blut?« half er nach. »Wollten Sie nicht »Blut« sagen?«
»Nein«, sagte Wilt, »das wollte ich absolut nicht. Ich wollte Puder sagen. Weißer Puder und leuchtend roter Lippenstift. Ich sagte zu ihr, sie sehe verdammt beschissen aus.«
»Sie müssen ein wirklich nettes Verhältnis zu ihr gehabt haben«, sagte der Sergeant. »Ich bin nicht gewöhnt, meiner Frau zu sagen, daß sie verdammt beschissen aussieht.«
»Sie haben wahrscheinlich keine Frau, die verdammt beschissen aussieht«, sagte Wilt, der damit versuchte, den Mann zu beschwichtigen.
»Wie meine Frau ist oder nicht ist, das ist meine Angelegenheit. Sie hat mit dieser Untersuchung hier nichts zu tun.«
»Da hat sie Glück«, sagte Wilt, »ich wünschte beim Himmel, mit meiner war das auch so.«
Bis es zwei war, hatten sie sich von Mrs. Wilts Äußerem getrennt und waren auf Zähne zu sprechen gekommen und auf das Problem, Leichen mit Hilfe von Zahnkarteien zu identifizieren.
»Hören Sie«, sagte Wilt müde, »Zähne mögen Sie ja begeistern, aber ich kann zu dieser nachtschlafenden Zeit darauf verzichten.«
»Ach, Sie tragen Gebisse oder sowas?«
»Nein, nein, tue ich nicht«, sagte Wilt, dem die Mehrzahl besonders unsympathisch war.
»Und Mrs. Wilt?«
»Nein«, sagte Wilt, »sie war immer sehr . . .«
»Besten Dank«, sagte Sergeant Yates, »ich wußte ja, es würde endlich rauskommen.«
»Was denn?« sagte Wilt, der immer noch bei den Zähnen war.
»Dieses »war«. Die Vergangenheitsform. Der Verräter schläft nicht. Sie geben also zu, daß sie tot ist. Von hier aus wollen wir weitermachen.«
»Sowas habe ich überhaupt nicht gesagt. Sie sagten: »Trug sie Gebisse ?« und ich sagte, nein ...«
»Sie sagten: »Sie war«. Dieses »war«, das interessiert mich. Wenn Sie »ist« gesagt hätten, dann war's was anderes gewesen.«
»Es hätte vielleicht anders geklungen«, sagte Wilt und kurbelte seine Verteidigungsmaßnahmen wieder an, »aber es hätte sich von den Tatsachen nicht im geringsten unterschieden.«
»Und diese wären?«
»Daß meine Frau wahrscheinlich irgendwo gesund und munter herum . ..«
»Sie verraten sich ja andauernd, Wilt«, sagte der Sergeant. »Jetzt ist es das »wahrscheinlich«, und was das »munter« angeht, so hoffe ich nur um Ihretwillen, wir kommen nicht dahinter, daß sie noch am Leben war, als der Beton auf sie geschüttet wurde. Das würde dem Gericht gar nicht schmecken.«
»Ich bezweifle, ob das irgendjemandem schmecken würde«, sagte Wilt. »Und wenn ich »wahrscheinlich« sagte, dann meinte ich damit bloß das: wenn man Sie einen Tag und die halbe Nacht in Haft behielte und in einem weg durch Kriminalbeamte verhören ließe, dann fragten Sie sich auch langsam, was Ihrer Frau wohl zugestoßen ist. Es könnte Ihnen tatsächlich sogar die Idee kommen, daß sie allen Anzeichen zum Trotz nicht mehr leben könnte. Versuchen Sie erst mal, sich an diese Seite des Tisches zu versetzen, ehe Sie an mir rumkritteln, weil ich Worte wie »wahrscheinlich« benutze. Was Unwahrscheinlicheres, als des Mordes an seiner Frau beschuldigt zu werden, wenn man ganz genau weiß, daß man's nicht getan hat, können Sie sich nicht vorstellen.«
»Hören Sie mal, Wilt«, sagte der Sergeant, »ich krittele nicht an Ihrer Ausdrucksweise rum. Das müssen Sie mir glauben. Ich versuche lediglich, so geduldig wie möglich die Tatsachen herauszukriegen.«
»Die Tatsachen sind die«, sagte Wilt. »Ich mache wie ein Vollidiot den Fehler, eine aufblasbare Puppe in einen Pfeilerschacht zu werfen, und irgendjemand schüttet Beton drauf, und meine Frau fährt weg und . . .«
»Ich sage Ihnen eins«, sagte Sergeant Yates zu Inspektor Flint, als der um sieben am Morgen zum Dienst kam. »Der Kerl ist 'ne harte Nuß. Wenn Sie mir nicht gesagt hätten, daß er kein Vorstrafenregister hat, dann hätte ich schwören können, er war ein ganz alter Hase und ein raffinierter dazu. Sind Sie sicher, daß in der Zentralkartei nichts über ihn vorliegt?« Inspektor Flint schüttelte den Kopf.
»Hat er noch nicht angefangen, nach seinem Anwalt zu schreien?«
»Keinen Muckser. Ich sage Ihnen, entweder hat er 'n irren Zacken weg, oder er hat das schon öfter mitgemacht.«
Und das hatte Wilt. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Bei Gasinstallateuren I und Druckern III, bei den für einen Tag in der Woche die Schulbank drückenden Autoschlossern und bei Fleisch II. Zehn Jahre lang hatte er vor Klassen gestanden und belanglose Fragen beantwortet, hatte darüber diskutiert, warum Piggys praktische Lebenseinstellung besser als Jacks Dummheit und Pangloss' Optimismus so unbefriedigend sei, warum Orwell diesen verdammten Elefanten nicht habe abschießen oder den Mann da nicht aufhängen wollen, und die ganze Zeit hatte er Versuche abzuwehren, ihn in irgendeine Falle zu locken oder so weit zu bringen wie den armen alten Pinkerton, als ersieh im Auto vergaste. Im Vergleich zu Maurer IV waren Sergeant Yates und Inspektor Flint das reine Kinderspiel. Wenn sie ihn bloß ein bißchen schlafen ließen, würde er schon weiter seine Haken um sie schlagen.
-»Einmal dachte ich, ich hätte ihn«, erzählte Yates Inspektor Flint, als sie sich im Flur berieten. »Ich hatte ihn auf Zähne festgenagelt.«
»Zähne?« sagte der Inspektor.
»Ich erklärte ihm gerade, daß wir Leichen jederzeit anhand ihres Zahnbildes identifizieren könnten, und da gab er beinahe zu, sie wäre tot. Aber dann ist er mir wieder entschlüpft.«
»Zähne, ach? Das ist ja interessant. Ich werde das Verhör in dieser Richtung fortsetzen. Da ist vielleicht sein schwacher Punkt.«
»Viel Glück«, sagte der Sergeant. »Ich zische ins Bett.«
»Zähne«, sagte Wilt. »Das ackern wir doch nicht nochmal durch, oder? Ich dachte, das Thema war erschöpft. Der Typ vorhin fragte mich in der Vergangenheitsform, ob Eva welche hätte. Ich sagte ihm, sie hätte welche und . . .«
»Wilt«, sagte Inspektor Flint, »mich interessiert nicht, ob Mrs. Wilt Zähne hatte oder nicht. Vermutlich wird sie ja welche gehabt haben. Was ich wissen möchte, ist, ob sie sie noch hat, Gegenwartsform.«
»Ich möchte meinen, sie hat sie noch«, sagte Wilt geduldig. »Am besten fragen Sie sie selber, wenn Sie sie finden.«
»Und wenn wir sie finden, wird sie dann in einem Zustand sein, in dem sie es uns sagen kann?«
»Verdammt nochmals, wie soll ich das denn wissen? Ich kann dazu nur sagen, wenn sie aus irgendeinem mir völlig unerfindlichen Grund sämtliche Zähne verloren haben sollte, ist der Teufel los. Das krieg ich hundert Jahre zu hören. Sie hat 'n Tick, sich die Dinger zu putzen und immer so kleine Stückchen Zahnseide ins Klo zu schmeißen. Sie können sich nicht vorstellen, wie oft ich schon dachte, ich hätte Würmer.«
Inspektor Flint seufzte. Egal, welchen Erfolg Sergeant Yates mit Zähnen gehabt hatte, ihm blieb er bestimmt versagt. Er schaltete auf andere Themen um.
»Gehn wir nochmal durch, was auf der Party bei Prings-heims passiert ist«, sagte er.
»Bitte nicht«, sagte Wilt, dem es bis da gelungen war, sich um die Erwähnung der Katastrophe mit der Puppe im Badezimmer herumzumogeln. »Ich hab's Ihnen nun schon fünfmal erzählt, langsam ist die Luft raus. Außerdem war es eine saumäßige Party, 'ne Masse Wo-ist-der-letzte-Schrei-Intellek-melier, die um ihre kümmerlichen Egos ein Riesenfaß aufmachten.«
»Würden Sie sagen, Sie wären ein nach innen gekehrter Mensch, Wilt? Ein einzelgängerischer Typ Mann?«
Wilt dachte über diese Frage ernsthaft nach. Sie war auf jeden Fall wesentlicher als die Zähne.
»Ich würde nicht so weit gehen«, sagte er schließlich. »Ich bin ziemlich still, aber ich bin auch gesellig. Das muß man auch sein, wenn man mit den Klassen, die ich unterrichte, fertigwerden will.«
»Aber Sie mögen keine Parties?«
»Ich mag keine Parties wie die von Pringsheims, nein.«
»Deren sexuelles Verhalten entrüstet Sie? Erfüllt Sie mit Abscheu?«
»Ihr sexuelles Verhalten? Ich weiß nicht, warum Sie immer darauf so herumhacken. Alles an ihnen widert mich an. Einmal dieses ganze Gequatsche von Frauenemanzipation, wenn's für jemanden wie Mrs. Pringsheim nichts anderes bedeutet, als wie eine läufige Hündin rumzurennen, während ihr Mann den ganzen Tag sich an irgendwelchen Reagenzgläschen einen abschuftet und dann nach Hause kommt, um Abendbrot machen und abwaschen zu müssen, und schließlich froh ist, wenn er noch genug Energie aufbringt, sich einen aus dem Handgelenk zu schütteln, ehe er einschläft. Wenn wir über die wirkliche Frauenemanzipation reden wollen, so ist das ganz was anderes. Ich habe nichts gegen ...«
»Sagen wir doch mal eben kurz halt«, sagte der Inspektor. »Zweierlei, was Sie gesagt haben, interessiert mich. Ad eins, Frauen, die wie läufige Hündinnen herumrennen. Ad zwei, diese Geschichte, daß Sie sich einen aus dem Handgelenk schütteln.«
»Ich?« sagte Wilt empört. »Ich habe doch nicht von mir geredet!«
»Ach, nein?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Sie onanieren also nicht?« »Jetzt hören Sie mal zu, Inspektor. Sie mischen sich in Bereiche meines Privatlebens ein, die Sie nichts angehen. Wenn Sie was über Onanie wissen wollen, lesen Sie's im Kinsey-Re-port nach, aber fragen Sie mich nicht.«
Inspektor Flint beherrschte sich mit Mühe. Er versuchte es auf einem anderen Weg.
»Also, als Mrs. Pringsheim auf dem Bett lag und Sie aufforderte mit ihr zu schlafen . . .«
»»Ficken« sagte sie«, berichtigte Will ihn.
«... sagten Sie nein?«
»Genau«, sagte Wilt.
»Ist das nicht ein bißchen sonderbar?«
»Was, daß sie da lag oder daß ich nein sagte?«
»Daß Sie nein sagten.«
Wilt sah ihn ungläubig an.
»Sonderbar?« sagte er. »Sonderbar? Also, hier kommt 'ne Frau rein, schmeißt sich flach hin, zieht ihren Rock hoch und sagt: »Fick mich, Liebling, fick mich bis zum Anschlags hüpfen Sie dann auf sie drauf und jodeln Holldrioh, leg los, mein Baby? Ist es das, was Sie für nicht sonderbar halten?«
»Verdammt noch eins, Wilt«, fauchte der Inspektor, »Sie überstrapazieren verflucht nochmal meine Geduld.«
»Sie hätten mich ja zum besten halten können«, sagte Wilt. »Mir ist bloß wirklich klar, daß Ihre Vorstellung davon, was ein sonderbares und was kein sonderbares Benehmen ist, mit mir absolut nichts zu tun hat.«
Inspektor Flint stand auf und ging aus dem Zimmer. »Ich bringe den Lump um, so wahr mir Gott helfe, ich bringe ihn um«, schrie er den diensthabenden Polizisten an. Im Vernehmungszimmer hinter ihm legte Wilt den Kopf auf den Tisch und schlief ein.
In der Schule machte sich Wilts Fehlen in mehr als einer Weise bemerkbar. Mr. Morris hatte um neun Gasinstallateure I übernehmen müssen und war eine Stunde später mit dem Gefühl rausgekommen, er habe neue Erkenntnisse über Wilts plötzlichen Abstecher in den Meuchelmord gewonnen. Der Stellvertretende Direktor mußte gegen wahre Reporterfluten kämpfen, die erpicht waren, mehr über den Mann zu erfahren, der der Polizei bei ihren Ermittlungen in einem besonders gruseligen und berichtenswerten Fall half. Und der Direktor bereute langsam seine Kritik an der Abteilung Allgemeinbildung vor dem Erziehungsausschuß. Mrs. Chatterway hatte ihn angerufen und gesagt, sie habe seine Bemerkungen höchst geschmacklos gefunden und angedeutet, daß sie durchaus eine Untersuchung der Funktionen der Abteilung Allgemeinbildung beantragen könne. Aber in der Versammlung des Schulausschusses herrschte bei weitem die allergrößte Aufregung.
»Die Besichtigung durch den Rat Nationaler Wissenschaftlicher Entscheidungen findet am Freitag statt«, teilte Dr. Mayf ield, der Leiter der Soziologie, dem Ausschuß mit. »Unter den augenblicklichen Umständen werden sie dem neuen Unterrichtszweig ja wahrscheinlich kaum ihre Zustimmung geben wollen.«
»Wenn sie ein bißchen Verstand hätten, gäben sie ihm unter keinen Umständen ihre Zustimmung«, sagte Dr. Board. »Städtebau und Dichtung des Mittelalters, also wirklich! Ich weiß, die etwas entlegenen Kombinationen sind heutzutage modern, aber Haussmann und Roswitha von Gandersheim passen auch nicht im entferntesten zusammen in ein Bett. Außerdem fehlt es dem Zweig an wissenschaftlichem Gehalt. « Dr. Mayf ield fuhr wütend auf. Wissenschaftlicher Gehalt war seine starke Seite. »Ich verstehe nicht, wie Sie so etwas sagen können«, sagte er. »Der Unterrichtszweig ist so gegliedert, daß er den Bedürfnissen der Schüler nach einem thematischen Zugang entgegenkommt.«
-»Diese armen, umnachteten Kreaturen, die wir mit Müh und Not von den Universitäten fernhalten, damit sie diesen wundervollen Kursus besuchen können, würden einen thematischen Zugang nicht mal erkennen, wenn sie ihn sähen«, sagte Dr. Board. »Wenn ich's mir genau überlege, ich auch nicht.«
»Wir haben alle unsere Grenzen«, sagte Dr. Mayfield verbindlich.
»Genau«, sagte Dr. Board, »und unter den obwaltenden Umständen sollten wir diese Grenzen sehen, anstatt uns neue Unterrichtszweige aus den Fingern zu saugen, aus denen Schüler nicht klug werden, die, wenn wir hier schon mal nach ihrem Volksschulabschluß fragen, überhaupt keinen haben. Weiß der Himmel, daß ich sehr für vielfältige Unterrichtsmöglichkeiten bin, aber . ..«
»Die Sache ist«, warf Dr. Cox, der Leiter der Naturwissenschaften ein, »daß nicht der neue Unterrichtszweig als solcher der Anlaß des Besuchs ist. Wie ich verstanden habe, ist dem neuen Zweig prinzipiell zugestimmt worden. Sie kommen her, um die Einrichtungen zu besichtigen, die die Schule zu bieten hat, und sie werden von der Anwesenheit der vielen Beamten von der Mordkommission wahrscheinlich kaum begeistert sein. Dieser blaue Lieferwagen ist äußerst irritierend.«
»Jedenfalls wird mit der seligen Mrs. Wilt als Bestandteil der Fundamente .. .«, fing Dr. Board an.
»Ich versuche ja alles, die Polizei dazu zu kriegen, daß sie sie entfernen von . . .«
»Dem Lehrplan?« fragte Dr. Board.
»Vom Grundstück«, sagte Dr. Mayfield. »Zu allem Unglück scheinen sie auf ein Hindernis gestoßen zu sein.«
»Ein Hindernis?«
»Sie sind bei drei Metern auf Felsen gestoßen.« Dr. Board lächelte. »Man fragt sich doch, warum erst überhaupt zehn Meter tiefe Pfeiler nötig waren, wenn bei drei Metern Fels ist«, murmelte er.
»Ich kann Ihnen nur sagen, was mir die Polizei gesagt hat«, entgegenete Dr. Mayfield. »Sie haben aber versprochen, alles zu tun, daß sie bis Freitag von der Baustelle verschwunden sind. Ich würde jetzt gern nur noch mal den Zeitplan mit Ihnen durchgehen. Der Besuch beginnt um elf mit einer Besichtigung der Bibliothek. Wir teilen uns dann in Gruppen auf und diskutieren über die Abteilungsbibliotheken und die Lehrmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung unserer Erfahrung im Erteilen von Einzelunterricht. . .«
»Ich hätte nicht gedacht, daß das ein Punkt wäre, der extra betont werden muß«, sagte Dr. Board. »Bei den paar Schülern, die wahrscheinlich zu uns kommen werden, ist es doch fast sicher, daß wir die meisten Lehrer pro Schüler im ganzen Lande haben.«
»Wenn wir uns diese Meinung zu eigen machen, wird der Rat den Eindruck gewinnen, daß wir den neuen Unterrichtszweig gar nicht haben wollen. Wir müssen für eine geeinte Front sorgen«, sagte Dr. Mayfield, »wir können es uns in diesem Stadium nicht leisten, uneins zu sein. Dieser Unterrichtszweig könnte bedeuten, daß wir Berufsfachschule werden.«
Miteinander uneins waren auch die Männer, die auf der Baustelle bohrten. Der Polier war immer noch, mit Beruhigungstabletten vollgestopft, zu Hause, weil er an einer nervösen Erschöpfung litt, die ihm seine Rolle bei der Einbetonierung einer ermordeten Frau eingetragen hatte, und es war an Barney hängengeblieben, den Betrieb zu überwachen. »Da war diese Hand, nich . ..«, sagte er zu dem Wachtmeister, der mit der Leitung beauftragt war.
»Aufwelcher Seite?«
»Auf der rechten«, sagte Barney.
»Dann gehn wir auf der linken runter. Da trennen wir die Hand nicht ab, wenn sie rechts rausragt.«
Sie bohrten auf der linken und trennten das elektrische Hauptkabel zur Kantine durch.
»Vergeßt diese Scheiß-Hand«, sagte der Sergeant, »wir bohren auf der rechten und verlassen uns auf unser Glück. Solange wir die Tante nicht in der Mitte durchschneiden.«
Sie bohrten auf der rechten Seite und stießen nach drei Metern auf den Felsen.
»Das hält uns ja 'ne Ewigkeit auf«, sagte Barney, »wer hätte auch gedacht, daß da unten Felsen wäre.«
»Wer hätte gedacht, daß irgendso ein Idiot seine Frau ins Fundament der Schule betonieren ließe, an der er unterrichtete«, sagte der Sergeant.
»Grausig«, sagte Barney.
Inzwischen hatte sich das Kollegium wie üblich in verschiedene Gruppen gespalten. Peter Braintrees Fraktion war der Ansicht, daß Wilt unschuldig sei, und hatte von der Neuen Linken mit der Begründung Unterstützung bekommen, daß jeder, der sich mit den Bullen anlege, im Recht sein müsse. Oberlehrer Millfield reagierte entsprechend und führte die Rechte gegen Wilt aufgrund der automatischen Schlußfolgerung an, daß jeder, der sich die Unterstützung der Linken gefallen lasse, nicht recht haben könne und daß die Polizei sowieso wisse, was sie tue. Die Frage wurde auf einer Gewerkschaftsversammlung angeschnitten, auf der die jährliche Gehaltsforderung zur Debatte stand. Oberlehrer Millfield stellte einen Antrag, in dem er die Gewerkschaft aufforderte, die Kampagne zur Wiedereinführung der Todesstrafe zu unterstützen. Bill Trent konterte mit einem Antrag, der die Solidarität mit dem Genossen Wilt zum Ausdruck brachte. Peter Braintree schlug vor, einen Fond zu gründen, der Wilt bei seinen Prozeßkosten helfen solle. Dr. Lomax, der Leiter der Wirtschaftskunde, machte Einwände und wies darauf hin, daß Wilt durch die Zerstückelung seiner Frau den Lehrerstand in schlechten Ruf gebracht habe. Braintree sagte, Wilt habe niemanden zerstückelt, nicht einmal die Polizei habe diesen Verdacht geäußert, und schließlich gebe es ja so was wie ein Gesetz gegen üble Nachrede. Dr. Lomax zog seine Bemerkung zurück, Oberlehrer Millfield beharrte darauf, daß es gute Gründe zur Annahme gebe, Wilt habe seine Frau umgebracht, und überhaupt gebe es die Habeas-Corpus-Akte in Rußland nicht. Bill Trent sagte, die Todesstrafe auch nicht. Oberlehrer Millfield sagte: »Quatsch.« Schließlich wurde nach langem Streit Oberlehrer Millf ields Antrag auf Erhängen durch Stimmenthaltung der Abteilung Nahrungsmittelkunde angenommen, während Braintrees Vorschlag und der Antrag der Neuen Linken zu Fall gebracht wurden. Dann ging die Versammlung weiter mit der Erörterung einer Gehaltserhöhung von fünfundvierzig Prozent, um die Lehrer an Berufsschulen mit vergleichbar hochqualifizierten Berufen auf dasselbe Niveau zu bringen. Nach der Versammlung ging Peter Braintree zum Polizeirevier, um zu sehen, ob Henry vielleicht was brauche. »Ob ich ihn wohl sprechen kann?« fragte er den Wachtmeister am Schreibtisch.
»Ich fürchte, nein, Sir«, sagte der Wachtmeister. »Mr. Wilt hilft uns noch bei unseren Ermittlungen.«
»Aber gibt's gar nichts, was ich ihm bringen kann? Braucht er nichts?«
»Für Mr. Wilt ist gut gesorgt«, sagte der Wachtmeister mit dem stillen Vorbehalt, daß das, was Wilt brauche, eine tüchtige Abreibung sei.
»Aber sollte er nicht mit einem Anwalt sprechen?«
»Wenn Mr. Wilt einen Anwalt verlangt, wird er auch einen bekommen«, sagte der Wachtmeister, »ich kann Ihnen versichern, daß er bis jetzt keinen verlangt hat.«
Und das hatte Wilt auch nicht. Nachdem ihm schließlich drei Stunden Schlaf erlaubt worden waren, kam er um zwölf aus seiner Zelle und machte sich in der Polizeikantine an ein herzhaftes Frühstück. Danach ging er wieder hager und unrasiert ins Vernehmungszimmer zurück. Das Gefühl, mit ihm ereigne sich Unwahrscheinliches, hatte bedeutend zugenommen.
»Also dann, Henry«, sagte Inspektor Flint, womit er den Amtston in der Anrede um eine Oktave runterstimmte, in der Hofung, daß Wilt drauf einginge, »was ist mit dem Blut?«
»Welchem Blut?« sagte Wilt und sah sich in dem keimfreien Zimmer um.
»Das Blut an den Wänden im Bad in Pringsheims Haus. Das Blut auf dem Treppenabsatz. Haben Sie eine Idee, wie's dahin gekommen ist? Uberhaupt irgend 'ne Idee?«
»Absolut nicht«, sagte Wilt, »ich kann daraus bloß schließen, daß irgend jemand geblutet hat.«
»Richtig«, sagte der Inspektor, »und wer?«
»Tja, fragen Sie mich«, sagte Wilt.
»Na schön, aber Sie wissen, was wir gefunden haben?«
Wilt schüttelte den Kopf.
»Keine Idee?«
»Absolut nicht«, sagte Wilt.
»Blutflecken auf einer grauen Hose in Ihrem Kleiderschrank«, sagte der Inspektor. »Blutflecken, Henry, Blutflek-ken.«
»Kaum verwunderlich«, sagte Wilt, »ich meine, wenn Sie genau genug nachguckten, fänden Sie in jedem Kleiderschrank todsicher irgendwas mit Blutflecken. Es ist leider nur so, daß ich auf der Party keine graue Hose getragen habe. Ich hatte Blue Jeans an.«
»Sie hatten Blue Jeans an? Sind Sie da ganz sicher?« »Ja.«
»Also haben die Blutflecken an der Badezimmerwand und die auf Ihrer grauen Hose nichts miteinander zu tun?«
»Inspektor«, sagte Wilt, »ich will mich um Gotteswillen nicht als Lehrer in Ihrem Beruf aufspielen, aber Sie haben eine technische Abteilung, die darauf spezialisiert ist, Blutflecken miteinander zu vergleichen. Darf ich Ihnen vielleicht vorschlagen, daß Sie von deren Kenntnissen Gebrauch machen, um rauszufinden . . .«
»Wilt«, sagte der Inspektor, »Wilt, wenn ich Ihren Ratschlag brauche, wie ich eine Morduntersuchung zu führen habe, dann werde ich Sie nicht nur darum bitten, sondern auch sofort den Dienst an den Nagel hängen.«
»Also?« sagte Wilt.
»Also was?«
»Stimmen sie überein? Stimmen die Blutflecken überein?«
Der Inspektor musterte ihn grimmig. »Und wenn ich Ihnen sagte, ja?« fragte er.
Wilt zuckte die Achseln. »Ich bin ganz und gar nicht in der Position, darüber diskutieren zu können«, sagte er. »Wenn Sie sagen, sie stimmen überein, dann muß ich annehmen, daß sie 's tun.«
»Sie tun's nicht«, sagte Inspektor Flint. »Aber das beweist gar nichts«, fuhr er fort, bevor Wilt seine Genugtuung richtig genießen konnte. »Überhaupt nichts. Wir vermissen schließlich drei Leute. Einmal Mrs. Wilt am Grunde dieses Schachtes da ... nein, sagen Sie's nicht, Wilt, sagen Sie's nicht. Dann diese Mrs. Dings Bumsheim, und schließlich den Herrn Doktor dazu.«
»Das gefällt mir«, sagte Wilt anerkennend, »das gefällt mir wirklich.«
»Was denn?«
»Mrs. Dings Bumsheim. Das paßt.«
»Eines schönen Tages, Wilt«, sagte der Inspektor sanft, »gehen Sie zu weit.«
»Langmutmäßig? Um einen von Mrs. Bumsheims grauenhaften Ausdrücken zu benutzen«, sagte Wilt.
Der Inspektor nickte und zündete sich eine Zigarette an.
»Wissen Sie was, Inspektor«, sagte Wilt, der sich langsam obenauf fühlte, »Sie rauchen zu viel. Die Dinger da sind nicht gut für Sie. Sie sollten versuchen . . .«
»Wilt«, sagte der Inspektor, »in fünfundzwanzig Dienstjahren habe ich beim Verhör eines Verdächtigen nicht ein einziges Mal physische Gewalt angewandt, aber es kommt einmal der Tag, der Tag, der Ort und der Verdächtigte, da werde ich beim allerbesten Willen . . .«Er stand auf und ging hinaus. Wilt setzte sich in seinem Stuhl zurück und sah zu der flimmernden Beleuchtung hoch. Er hätte gewollt, sie hörte auf zu brummen. Das ging ihm auf die Nerven.