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»Dies verfluchte Scheißding!« sagte Gaskell, als er ölver-schmiert neben dem Motor der Jacht kniete, »man möchte doch meinen, selbst in diesem steinzeitlichen Königreich sollten sie einen anständigen Motor bauen können. Das Mistding hier muß für die Arche Noah gemacht worden sein.«
»Am Arsche Noahs«, sagte Sally, »und hör bloß auf, die gekrönten Häupter zu verarschen, Eva ist eine Reginaphile.«
»Eine was?«
»Eine Reginaphile. Monarchistin. Kapier schon. Sie ist der Königin fleißiges Arbeitsbienchen, also sei nicht so antibritisch. Wir wollen doch nicht, daß sie genauso wie der Motor aufhört zu arbeiten; vielleicht ist es nicht die Kupplung.«
»Wenn ich doch bloß das Vorderteil abbekäme, da könnte ich dir's sagen«, sagte Gaskell.
»Und was sollte das nutzen? Kannst du dir hier 'ne neue kaufen?« sagte Sally und ging in die Kajüte, wo Eva sich fragte, was sie zum Abendbrot kochen sollte.
»Ölgötzkeil bastelt immer noch am Motor rum. Er sagt, es ist die Kupplung.«
»Kupplung?« sagte Eva und wurde rot.
»Oh Gott Baby, Kupplung, nicht Verkupplung. Sie verbindet was miteinander.«
»Was denn?«
»So wie der Schenkelknochen ans Kniegelenk gekuppelt ist, so ist die Kupplung irgendwie mit dem Kolben verbunden, und wie jeder weiß, sind Kolben Penissymbole. Der mechanisierte Sexersatz der Männer. Die Außenbordmotormacke.
Nur ist der hier zufällig ein Innenborder, genau wie seine Eier, die nie runtergerutscht sind. Wirklich, Gaskell ist dermaßen rückschrittlich.«
»Ich kapier überhaupt nichts«, sagte Eva.
Sally legte sich in die Koje und zündete sich eine Zigarre an. »Das ist es ja, was ich an dir liebe, Eva. Du bist so unwissend. Unwissenheit ist wundervoll. Meine habe ich verloren, als ich vierzehn war.«
Eva schüttelte den Kopf. »Diese Männer«, sagte sie verächtlich.
»Er war alt genug, um mein Großvater zu sein«, sagte Sally. »Er war mein Großvater.«
»Oh nein, wie entsetzlich.«
»Nein, nicht richtig«, sagte Sally lachend, »er war Künstler. Mit Bart. Und sein Kittel roch nach Farbe, und er hatte so ein Atelier und wollte mich unbedingt nackt malen. Ich war ja so unschuldig damals. Er sagte zu mir, ich sollte mich auf die Couch legen, und rückte meine Beine zurecht. Immer rückte er meine Beine zurecht, dann trat er zurück, guckte mich an und malte. Und eines schönen Tages, als ich da so lag, kam er und bog meine Beine zur Seite und küßte mich, und dann warerauf mir drauf und sein Kittel rutschte hoch und . . .«
Eva saß da und hörte völlig hingerissen zu. Sie konnte sich alles ganz genau vorstellen, sogar den Farbgeruch im Atelier und die Pinsel. Sally hatte so ein aufregendes Leben geführt, so ereignisreich und so romantisch, wenn auch irgendwie schauerlich. Eva versuchte sich zu erinnern, wie sie mit vierzehn gewesen war, als sie noch nicht mal mit Jungs ausging, und Sally lag da schon mit einem berühmten Künstler in dessen Atelier auf der Couch.
"»Aber er hat dich vergewaltigt«, sagte sie schließlich. »Warum hast du's nicht der Polizei gemeldet?«
»Der Polizei? Ach, du Dummerchen. Ich war auf so 'ner entsetzlich vornehmen Schule. Die hätten mich sofort nach Hause geschickt. Klar, sie waren progressiv und so, aber ich hätte nicht ausgehen dürfen, und mich von diesem Künstler malen lassen, und meine Eltern hätten mir nie verziehen. Sie waren ja so streng.« Sally seufzte, von den Härten ihrer von vorn bis hinten erdichteten Kindheit überwältigt. »Und jetzt verstehst du sicher auch, warum ich solche Angst habe, daß mir Männer wehtun. Wenn du mal vergewaltigt worden bist, weißt du, was penismäßige Aggression ist.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Eva, die sich nicht recht vorstellen konnte, was penismäßige Aggression sein sollte.
»Dann siehst du die Welt auch ganz anders an. Wie G sagt: Nichts ist gut und nichts ist schlecht. Es ist, basta.«
»Ich habe mal einen Vortrag über Buddhismus gehört«, sagte Eva, »und genau das hat Mr. Podgett auch gesagt. Er sagte... «
»Der ganze Zen ist doch Quatsch. Genauso wie bloß rum-zusitzen und zu warten. Das ist passiv. Du mußt die Dinge in die Hand nehmen. Wenn du lange genug bloß rumsitzt und wartest, bist du geliefert. Dann ist irgend jemand einfach über dich weggetrampelt. Du mußt die Dinge nach deinem Kopf geschehen lassen, und nicht nach dem von jemand anderem.«
»Das klingt aber nicht sehr menschenfreundlich«, sagte Eva. »Ich meine, wenn wir alle immer einfach das machten, was uns gefällt, dann wäre das für die anderen aber nicht sehr nett.«
»Die anderen, das ist die Hölle«, sagte Sally. »Das ist von Sartre, und er muß es doch wissen. Zu tun, was einem gefällt, ist richtig, und keine Gewissensbisse. Wie G sagt: Ratten sind das Musterbeispiel. Meinst du, Ratten überlegen sich, was für andere gut ist?«
»Na, also das wohl nicht,« sagte Eva.
»Eben. Ratten sind nicht moralisch. Nicht die Bohne. Sie handeln einfach. Das Denken interessiert sie 'n feuchten Kehricht.«
»Meinst du, Ratten können denken?« fragte Eva, die die Probleme der Nagetier-Psychologie inzwischen vollkommen ernst nahm.
»Natürlich nicht. Ratten sind, und damit basta. Sie kennen keinejoie maligne.» »Wer ist Joan Malin?«
»'ne Kusine zweiten Grades von douleur universelle *, sagte Sally und drückte ihre Zigarre im Aschenbecher aus. »Also können wir alles machen, was wir wollen und wann wir wollen. Das ist die frohe Botschaft. Es sind nur solche Leute wie G mit ihrer Gelehrtheit, die da 'ne Ladehemmung haben.«
»Geleertheit?« sagte Eva.
»Sie müssen unbedingt wissen, wie alles funktioniert. Wissenschaftler. Lawrence hatte recht. G ist bloß Kopf und kein bißchen Fleisch und Blut.«
»Henry ist auch ein bißchen so«, sagte Eva. »Er liest oder redet ständig über Bücher. Ich habe zu ihm gesagt, er weiß nicht, wie die Welt wirklich ist.«
In der motorisierten Mordzentrale lernte Wilt sie kennen. Er saß Inspektor Flint gegenüber, dessen Miene wachsenden Argwohn ausdrückte.
»Also, gehen wir alles einfach nochmal durch«, sagte der Inspektor. »Sie sagen, was diese Männer da unten in dem Loch gesehen haben, war in Wirklichkeit eine aufblasbare Plastikpuppe mit einer Vagina.«
»Die Vagina ist Nebensache«, sagte Wilt, und tat so gelassen wie nur möglich.
»Das mag ja sein«, sagte der Inspektor. »Die meisten Puppen haben keine, aber ... schön, lassen wir das beiseite. Der Punkt, auf den ich hinaus möchte, ist, ob Sie absolut sicher sind, daß da unten kein richtiger lebender Mensch ist.«
»Absolut sicher«, sagte Wilt, »und wenn, dann ist fraglich, ob er jetzt noch lebt.«
Der Inspektor sah ihn mißfällig an. »Darauf brauchen Sie mich nicht aufmerksam zu machen«, sagte er. »Wenn die entfernteste Möglichkeit bestünde, daß das, was auch immer da unten ist, noch am Leben wäre, säße ich hier doch nicht, oder?« »Nein«, sagte Wilt.
»Na also. Kommen wir jetzt zum nächsten Punkt. Wieso trug das, was die Männer gesehen haben, sie sagen, eine Frau und Sie sagen, eine Puppe .. . wieso trug dieses Ding Kleider, hatte Haare und, was noch bemerkenswerter ist, einen eingeschlagenen Schädel und streckte eine Hand in die Luft.«
»Sie ist so gefallen«, sagte Wilt. »Ich nehme an, der Arm hat sich an der Seite verfangen und streckte sich nach oben.«
»Und ihr wurde der Schädel eingeschlagen?«
»Tja, also, ich habe einen Lehmklumpen auf sie geworfen«, gab Wilt zu, »das könnte es erklären.«
»Sie haben ihr einen Lehmklumpen auf den Kopf geworfen?«
»Genau das habe ich gesagt«, pflichtete Wilt bei.
»Ich weiß, daß Sie genau das gesagt haben. Was ich wissen will, ist, warum Sie sich genötigt sahen, einen Lehmklumpen einer aufblasbaren Puppe auf den Kopf zu werfen, die, soweit ich sehe, Ihnen nie einen Schaden zugefügt hat.«
Wilt zögerte. Die verdammte Puppe hatte ihm so oder so eine ganze Menge Schaden zugefügt, aber es war wohl nicht der richtige Moment, darauf einzugehen. »Ich weiß nicht recht«, sagte er schließlich, »ich dachte bloß, es könnte vielleicht helfen.«
»Helfen, was zu tun?«
»Helfen ... ich weiß nicht. Ich hab' es eben gemacht, und aus. Ich war betrunken.«
»Schön, wir kommen gleich noch mal darauf zurück. Aber eine Frage haben Sie mir immer noch nicht beantwortet. Wenn es eine Puppe war, warum hatte sie denn dann Kleider an?«
Wilt sah sich verzweifelt um und traf auf den Blick des Polizeistenographen. In diesen Augen lag etwas, was kein Vertrauen einflößte. Es war der nackte Argwohn.
»Sie werden mir das nicht glauben wollen«, sagte Wilt. Der Inspektor sah ihn an und nahm sich eine Zigarette.
»Ja?« »Tatsächlich habe ich sie so verkleidet«, sagte Wilt und wand sich vor Verlegenheit.
»Sie haben sie verkleidet?«
»Ja«, sagte Wilt.
»Und darf man fragen, zu welchem Zweck Sie sie verkleidet haben?«
»Das weiß ich nicht genau.«
Der Inspektor seufzte bedeutungsvoll. »Na gut, gehen wir nochmal zum Anfang zurück. Wir haben also eine Puppe mit einer Vagina, die Sie verkleiden, mitten in der Nacht hier herbringen, in ein zehn Meter tiefes Loch werfen und mit Dreckklumpen beschmeißen. Das haben Sie doch gesagt, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Wilt.
»Würden Sie nicht vielleicht lieber allen Beteiligten eine Menge Zeit und Verdruß ersparen wollen, indem Sie hier und jetzt gestehen, daß das, was im Augenblick unter zwanzig Tonnen Beton in diesem Bohrloch hoffentlich in Frieden ruht, die Leiche einer ermordeten Frau ist?«
»Nein«, sagte Wilt, »das würde ich ganz entschieden nicht.«
Inspektor Flint seufzte erneut. »Sie wissen, wir werden dieser Sache auf den Grund gehen«, sagte er. »Das mag Zeit kosten, und Geld kosten und weiß der Himmel, auch viel Geduld kosten, aber wenn wir dort unten ankommen . . .«
».. . werden Sie eine aufblasbare Puppe finden«, sagte Wilt.
»Mit einer Vagina?«
»Mit einer Vagina.«
Im Lehrerzimmer verteidigte Peter Braintree standhaft Wilts Unschuld. »Ich sage Ihnen, ich bin mit Henry jetzt schon sieben Jahre gut bekannt. Ganz egal, was passiert ist, er hat nichts damit zu tun.«
Mr. Morris, der Leiter der Allgemeinbildung, sah zweifelnd aus dem Fenster. »Sie haben ihn schon seit zehn nach zwei da drin. Das sind vier Stunden«, sagte er. »Sie täten das niemals, wenn sie nicht meinten, daß er irgendwas mit der toten Frau zu tun hat.«
»Die können doch meinen, wozu sie Lust haben. Ich kenne Henry. Selbst, wenn das arme Luder wollte, wäre er nicht fähig, irgendjemanden umzubringen.«
»Er hat aber am Dienstag diesen Drucker verprügelt. Das zeigt, er ist zu blinder Gewalt fähig.«
»Wieder falsch. Der Drucker hat ihn verprügelt«, sagte Braintree.
»Erst nachdem Wilt ihn einen verfluchten, rotznasigen Idioten genannt hatte«, betonte Mr. Morris. »Wer Drucker III unterrichtet und einem von denen das zu sagen wagt, der muß ja auf seinen Geisteszustand untersucht werden. Die haben den armen alten Pinkerton auf dem Gewissen, nicht wahr. Er hat sich in seinem Auto vergast.«
»Wenn Sie mich fragen, hatten die's verdammt drauf angelegt, auch den guten Henry umzubringen.«
»Dieser Schlag könnte natürlich schädlich auf sein Gehirn gewirkt haben«, sagte Mr. Morris mit hämischer Genugtuung. »Gehirnerschütterungen können im Charakter eines Menschen komische Sachen anrichten. Ihn über Nacht aus einem netten, stillen, harmlosen Kerl wie Wilt in einen mordgierigen Irren verwandeln, der plötzlich durchdreht. Noch merkwürdigere Dinge hat's schon gegeben.«
»Ganz sicher war Henry der erste, der Ihnen zustimmte«, sagte Braintree. »Es ist bestimmt nicht sehr vergnüglich, in diesem Wagen zu sitzen und von Kriminalbeamten verhört zu werden. Ich frag mich, was sie mit ihm machen.«
»Die stellen ihm einfach Fragen. Zum Beispiel: »Wie kommen Sie mit Ihrer Frau aus?« und »Können Sie uns sagen, was Sie Sonnabend nacht gemacht haben?« Sie fangen freundlich an und arbeiten sich dann langsam zu den schweren Geschützen vor.«
Peter Braintree saß da wie vom Donner gerührt. Eva. Er hatte sie völlig vergessen, und was Sonnabend nacht anging, so erinnerte er sich genau, was Henry ihm erzählt hatte, als er dreckverklebt und bleich wie der Tod an seiner Haustür aufgekreuzt war . . .
»Ich meine nur«, sagte Mr. Morris, »mir kommt es sehr merkwürdig vor, daß man eine Leiche am Boden eines mit Beton gefüllten Schachtes findet, und als nächstes erfährt man, sie hätten Wilt zum Verhör in diese Mordzentrale gebracht. Wirklich sehr merkwürdig. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.« Er stand auf und ging aus dem Zimmer, und Peter Braintree saß da und fragte sich, ob er jetzt nicht irgendwas tun müsse, zum Beispiel einen Anwalt anrufen und ihn bitten vorbeizukommen und mit Henry zu reden. Das war aber wohl noch ein bißchen verfrüht, und vermutlich konnte Henry selber einen Anwalt verlangen, falls er einen wollte.
Inspektor Flint zündete sich mit der Miene unbeteiligter Drohung schon wieder eine Zigarette an. »Wie gut kommen Sie mit Ihrer Frau aus?«
Wilt zögerte. »Ganz gut«, sagte er.
»Bloß ganz gut? Nicht besser?«
»Wir werden wirklich prima miteinander fertig«, sagte Wilt, dem klar war, daß er einen Fehler gemacht hatte.
»Ich verstehe. Und ich nehme an, sie kann Ihre Geschichte von dieser aufblasbaren Puppe bestätigen.«
»Bestätigen?«
»Daß Sie die Angewohnheit hatten, sie zu verkleiden, und mit ihr herumzukramen.«
»Ich hatte überhaupt keine solche Angewohnheit«, sagte Wilt empört.
»Ich frage ja nur. Schließlich waren Sie es, der eingangs erwähnte, daß sie eine Vagina hat, nicht ich. Sie haben diese Auskunft freiwillig gegeben, und natürlich nahm ich an ...«
»Was haben Sie angenommen?« fragte Wilt. »Sie haben kein Recht. . .«
»Mr. Wilt«, sagte der Inspektor, »versetzen Sie sich doch mal in meine Lage. Ich untersuche einen Fall, der sehr nach Mord aussieht, und da kommt ein Mann und erzählt mir, daß das, was zwei Augenzeugen als die Leiche einer wohlgenährten Frau Anfang dreißig schildern .. .«
»Anfang dreißig? Puppen haben überhaupt kein Alter. Wenn diese verdammte Puppe älter als sechs Monate war... «
»Bitte, Mr. Wilt, wenn Sie mich eben mal weiterreden lassen wollten. Wie ich soeben sagte, haben wir einen glaubhaften Fall von Mord vor uns, und Sie geben selber zu, eine Puppe mit einer Vagina in dieses Loch geworfen zu haben. Wenn Sie jetzt in meiner Lage wären, welche Schlußfolgerung würden Sie daraus ziehen?«
Wilt versuchte, sich irgendeine absolut harmlose Deutung vorzustellen, kam aber auf keine.
»Wären Sie nicht der erste, der zugäbe, daß das alles ein bißchen merkwürdig aussieht?«
Wilt nickte. Es sah wahnsinnig merkwürdig aus.
»Schön«, fuhr der Inspektor fort. »Wenn wir jetzt mal das, was Sie gemacht haben, so wohlwollend wie möglich deuten, und besonders Ihre Hervorhebung, daß die Puppe eine Vagina hatte... «
»Ich hab das nicht hervorgehoben. Ich habe dies verdammte Dingsbums bloß erwähnt, um anzudeuten, daß sie äußerst naturalistisch war. Ich habe nicht zu verstehen geben wollen, daß ich die Angewohnheit hatte ...« Er schwieg und sah unglücklich zu Boden.
»Sprechen Sie weiter, Mr. Wilt, brechen Sie jetzt nicht ab. Oft hilft es einem zu reden.«
Wilt sah ihn wütend an. Mit Inspektor Flint zu reden half ihm kein Tüttelchen.
»Wenn Sie andeuten wollen, mein Sexualleben beschränke sich darauf, es mit einer aufblasbaren Bumspuppe in den Kleidern meiner Frau zu treiben .. .«
»Gut, so weit erst mal«, sagte der Inspektor und drückte bedeutungsvoll seine Zigarette aus. »Na, nun sind wir wieder einen Schritt weiter. Sie geben also zu, ganz gleich, was in dem Loch da unten ist, es trägt die Kleider Ihrer Frau. Ja oder nein?«
»Ja«, sagte Wilt kläglich.
Inspektor Flint stand auf. »Ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, daß wir mal alle rübergehen und mit Mrs. Wilt ein kleines Schwätzerchen halten«, sagte er, »ich möchte mal hören, was sie zu Ihren ulkigen, kleinen Gewohnheiten zu sagen hat.«
»Ich fürchte, das wird ein bißchen schwierig sein«, sagte Wilt.
»Schwierig?«
»Tja, also wissen Sie, sie ist nämlich weggefahren.«
»Weggefahren?« sagte der Inspektor. »Ich habe richtig gehört? Sie sagten, Mrs. Wilt ist weggefahren?«
»Ja.«
»Und wo ist Mrs. Wilt hingefahren?«
»Das ist ja der Haken. Ich weiß es nicht.«
»Sie wissen es nicht?«
»Nein, ich weiß es ehrlich nicht«, sagte Wilt.
»Sie hat Ihnen nicht gesagt, wo sie hinfahren wollte?«
»Nein, sie war einfach nicht da, als ich heimkam.«
»Sie hat keinen Brief oder irgendsowas dagelassen?«
»Doch«, sagte Wilt, »das hat sie.«
»Schön, da gehen wir jetz halt zu Ihnen nach Hause und sehen uns diesen Brief mal an.«
»Ich fürchte, das ist nicht möglich«, sagte Wilt. »Ich habe ihn nicht mehr.«
»Sie haben ihn nicht mehr?« sagte der Inspektor. »Sie haben ihn nicht mehr? Wieso denn nicht?«
Wilt sah kläglich zu dem Polizeistenographen rüber. »Um die Wahrheit zu sagen, ich habe mir damit den Hintern gewischt«, sagte er.
Inspektor Flint starrte ihn finster an. »Sie haben was gemacht?«
»Na ja, es war kein Toilettenpapier im Klo, und da habe ich ...» Er brach ab. Der Inspektor zündete sich bereits die nächste Zigarette an. Ihm zitterten die Hände, und in seinem Blick lag etwas Verhaltenes, als hätte er gerade in einen schrecklichen Abgrund geblickt.
»Mr. Wilt«, sagte er, als er sich schließlich gefaßt hatte, »ich glaube, ich bin ein leidlich toleranter Mensch, ein geduldiger Mensch und ein menschenfreundlicher Mensch, aber wenn Sie ernsthaft von mir erwarten, ich glaubte auch nur ein Wort Ihrer völlig unsinnigen Geschichte, da müssen Sie übergeschnappt sein. Erst erzählen Sie mir, Sie haben eine Puppe in das Loch geworfen. Dann geben Sie zu, daß sie die Kleider Ihrer Frau trug. Jetzt sagen Sie, daß Ihre Frau weggefahren ist, ohne Ihnen zu sagen wohin, und um allem noch die Krone aufzusetzen, besitzen Sie schließlich die Frechheit, ruhig dazusitzen und mir zu erzählen, daß Sie sich mit dem einzigen soliden Beweisstück, das Ihre Aussage hätte erhärten können, den Arsch gewischt haben.«
»Aber das hab ich«, sagte Will.
»Quatsch«, schrie der Inspektor. »Sie und ich, wir beide wissen ganz genau, wo Mrs. Wilt hingefahren ist, da ist es doch sinnlos, so zu tun, als wüßten wir es nicht. Sie ist da unten in dem Scheiß Loch, und Sie haben sie da leingeworfen.«
»Verhaften Sie mich?« fragte Wilt, als sie in einem dichten Pulk über die Straße zu dem Polizeiwagen gingen.
»Nein«, sagte Inspektor Flint, »Sie helfen der Polizei nur bei ihren Nachforschungen, so steht's heute abend in der Zeitung.«
»Aber mein lieber Braintree, natürlich werden wir alles tun, was wir können«, sagte der Stellvertretende Direktor. »Wilt ist immer ein zuverlässiger Kollege gewesen, und offenbar ist da irgendein schrecklicher Irrtum passiert. Sie brauchen sich gewiß keine Sorgen zu machen. Die ganze Angelegenheit kommt binnen kurzem von ganz allein wieder in Ordnung.«
»Hoffentlich haben Sie recht«, sagte Braintree, »aber es gibt einige erschwerende Umstände. Erstens ist Eva . . .«
»Eva? Mrs. Wilt? Sie wollen doch nicht andeuten ...«
»Ich will überhaupt nichts andeuten. Alles, was ich sagen möchte . . . also, sie ist spurlos verschwunden. Sie hat Henry letzten Freitag verlassen.«
»Mrs. Wilt hat... na ja, ich kenne sie kaum, außer vom Hörensagen natürlich. Ist sie nicht die Frau, die vor ein paar Jahren bei einem Judo-Abendkursus Mr. Lockyer das Schlüsselbein gebrochen hat?«
»Das ist Eva gewesen«, sagte Braintree.
»Das hört sich nicht nach einer Frau an, die sich von Wilt unterkriegen ließe . . .«
»Das tut sie auch nicht«, sagte Braintree eilig. »Wenn irgendeiner bei Wilts in Gefahr schwebt, ermordet zu werden, dann Henry. Ich denke, man sollte die Polizei davon informieren.«
Sie wurden vom Direktor unterbrochen, der mit der Abendzeitung hereinkam. »Das haben Sie wohl schon gesehen«, sagte er und wedelte erregt damit herum. »Es ist absolut entsetzlich.« Er legte die Zeitung auf den Schreibtisch und zeigte auf die Schlagzeilen. ERMORDETE IN BERUFSSCHULE UNTER BETON BEERDIGT. LEHRER HILFT POLIZEI BEI ERMITTLUNGEN.
»Du liebe Güte«, sagte der Stellvertretende Direktor, »du liebe Güte, wie furchtbar. Das hätte nicht ungünstiger kommen können.«
»Es hätte überhaupt nicht kommen sollen«, gab der Direktor bissig zurück. »Und das ist noch nicht alles. Ich habe schon ein halbes Dutzend Anrufe von Eltern bekommen, die wissen wollen, ob wir immer Mörder als Lehrkräfte beschäftigen. Wer ist dieser Will überhaupt?«
»Von der Allgemeinbildung«, sagte der Stellvertretende Direktor. »Er ist schon zehn Jahre bei uns.«
»Allgemeinbildung! Das hätte ich mir ja denken können. Wenn sie nicht verhinderte Dichter sind, dann Maoisten oder . . . Ich weiß nicht, wo Morris sie verdammt noch eins immer herkriegt. Und nun haben wir auch noch einen Mörder unter uns. Weiß der Himmel, was ich heute abend dem Erziehungsausschuß erzählen soll. Sie haben für acht eine Notsitzung einberufen.«
»Ich muß sagen, mich ärgert, daß Wilt hier als Mörder bezeichnet wird«, sagte Braintree unbeirrt. »Es deutet nichts darauf hin, daß er irgend jemanden ermordet hat.«
Der Direktor musterte ihn einen Augenblick und sah wieder auf die Schlagzeilen. »Mr. Braintree, wenn jemand der Polizei bei ihren Mordermittlungen hilft, mag nicht erwiesen sein, daß er ein Mörder ist, aber der Verdacht besteht.«
»Das alles hilft uns im RNWE gewiß nicht mit dem neuen Unterrichtszweig weiter«, ging der Stellvertretende Direktor taktvoll dazwischen. »Für Freitag haben wir den Besuch des Inspektionsausschusses mitgeteilt bekommen.«
»Nach allem, was mir die Polizei sagt, hilft es uns auch nicht mit dem neuen Verwaltungsblock weiter«, sagte der Direktor. »Sie sagen, es dauert mindestens drei Tage, bis sie sich zum Boden des Pfeilers durchgebohrt haben, und dann müssen sie sich auch noch durch den Beton graben, um die Leiche herauszuholen. Das bedeutet, sie müssen nochmal einen ganz neuen Pfeiler gießen. Und wir sind schon jetzt in Verzug, und unser Bauetat ist halbiert worden. Warum in aller Welt konnte er sich keine andere Stelle aussuchen, um seine verdammte Frau zu verbuddeln.«
»Ich glaube nicht. . .« fing Braintree an.
»Es ist mir Wurscht, was Sie glauben«, sagte der Direktor, »ich sage Ihnen bloß, was die Polizei glaubt.«
Braintree ging aus dem Zimmer, während die beiden Direktoren sich weiter stritten und versuchten, Mittel und Wege ausfindig zu machen, der ungünstigen Wirkung in der Öffentlichkeit entgegenzutreten, die der Fall der Schule bereits eingetragen hatte. Braintree fuhr runter zum Geschäftszimmer der Abteilung Allgemeinbildung und traf Mr. Morris in völlig verzweifeltem Zustand an. Er versuchte gerade, für sämtliche Klassen von Wilt Ersatzlehrer zu finden.
»Aber morgen früh wird er wahrscheinlich wieder zurück sein«, sagte Braintree.
»Das glauben Sie doch wohl selber nicht!« sagte Mr. Morris. »Wenn sie einen so in die Zange nehmen, behalten sie ihn auch. So ist das nämlich. Die Polizei mag Fehler machen, ich sage ja nicht, sie macht keine, aber wenn sie so rasch handeln, sind sie auf 'ner heißen Spur. Wohlgemerkt, ich habe immer schon gemeint, Will ist ein bißchen sonderbar.«
»Sonderbar? Ich komme gerade aus dem Direktorzimmer. Möchten Sie hören, was die da oben über die ganze Abteilung Allgemeinbildung sagen?«
»Großer Gott«, sagte Mr. Morris, »bloß nicht.«
»Überhaupt, was ist an Henry so sonderbar?«
»Zu sanft und nachgiebig für meinen Geschmack. Gucken Sie sich bloß an, wie er es die ganzen Jahre hingenommen hat, Hilfslehrer zu bleiben.«
»Das war wohl kaum sein Fehler.«
»Natürlich war das sein Fehler. Er hätte bloß mal drohen müssen zu kündigen, und woanders hinzugehen, und schwupp! schon wäre er befördert worden. Nur so kommt man hier weiter. Man muß sich bemerkbar machen.«
»Das scheint er ja jetzt getan zu haben«, sagte Braintree. »Der Direktor gibt ihm bereits die Schuld, den Terminplan für den Neubau durcheinandergebracht zu haben, und wenn wir im RNWE mit dem neuen Unterrichtszweig nicht durchkommen, ist natürlich Henry der Sündenbock. Das ist wirklich zu gemein. Eva hätte mehr Feingefühl zeigen sollen, anstatt ihn so sitzen zu lassen.«
Mr. Morris sah die Sache düsterer. »Sie hätte 'ne verdammte Menge mehr Feingefühl bewiesen, wenn sie ihn hätte sitzenlassen, bevorder Lump plante, sie totzuschlagen und in diesen verfluchten Schacht zu schmeißen. Verdammt nochmal, wen krieg ich jetzt bloß dazu, morgen Gasinstallateure I zu übernehmen?«