18. Kapitel

Raffael hatte sich inzwischen von seiner Kopfverletzung erholt und sogar das Unwetter verschlafen. Als er am Morgen darauf beim Frühstück in der Schänkstube des Wirtshauses saß, bemerkte er die Abwesenheit seiner neu gewonnenen Freunde.

»Wo sind die Reiter hin?«, fragte er Belina, zog sie auf seinen Schoß und küsste sie.

Belina machte sich los und sah mit einer Mischung aus Trotz und Scham auf den jungen Mann. Am liebsten hätte sie gelogen, doch Raffael gefiel ihr. Sie wünschte, er würde hier bleiben. Deshalb entschloss sie sich, eine mögliche neue Liebe nicht mit einer Lüge zu beginnen, und erwiderte schließlich: »Es waren die Wachmänner des Conte di Algari. Sie waren auf der Suche nach einer jungen Frau namens Rosaria.«

Sie schwieg und sah ihn an, dann sprach sie langsam weiter.

»Sie waren auch auf der Suche nach ihrem Helfer, einem Feuerschlucker mit Namen Raffael.«

Raffael erinnerte sich an das, was er im Weinrausch erzählt hatte, und stöhnte auf.

Belina sprach weiter.

»Ich wollte nicht, dass sie dir etwas antun, dir als Hexenliebster den Prozess machen. Deshalb habe ich mit den Reitern eine Übereinkunft getroffen: Ich finde heraus, wo sich Rosaria aufhält, dafür lassen sie dich laufen.«

Raffael sprang auf und schüttelte Belina.

»Hast du ihnen etwa gesagt, wo sie Rosaria finden? Rede!«

Belina nickte und flüsterte voller Schuldbewusstsein: »Ich wollte dir doch nur helfen!«

»Sie wird brennen«, schrie Raffael. »Sie wird verbrannt werden. Oh, Madonna!«

Er ließ sich auf die Bank fallen, schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte verzweifelt.

»Das Orakel hat Recht«, murmelte er, und Belina musste sich sehr mühen, um seine Worte zu verstehen. »Es hat Recht. Rosaria wird ihr Leben für die Liebe geben müssen, und ich, ihr Verlobter, bin mitschuldig an ihrem Tod.«

Belina erschrak, als sie die Worte hörte.

»Erzähl mir alles«, bat sie. »Vielleicht ist ihr noch zu helfen.«

Und Raffael erzählte. Er sprach von der gemeinsamen Kindheit, von dem Orakel zu ihrem 18. Geburtstag, von der Verlobung, berichtete auch, was sich auf der Burg di Algari zugetragen hat. Beim Reden blickte er starr vor sich hin. Als er geendet hatte, sah er Belina an und sagte: »Ich dachte, ich würde Rosaria lieben. Und das stimmt auch, ich liebe sie. Doch unsere Liebe ist die von Geschwistern. Rosaria hat es eher gewusst als ich. Erst seit ich dich kenne, weiß ich, wie sich die Liebe zwischen Mann und Frau wirklich anfühlt.«

Belina errötete unter Raffaels Worten wie unter einer heißen, glühenden Sonne.

Plötzlich hatte sie einen Einfall.

»Du bist mit zwei Pferden gekommen, nicht wahr?«

Raffael nickte. »Was hat das jetzt noch für eine Bedeutung?«, fragte er mutlos.

»Wir reiten zu Lorenzo di Medici nach Florenz. Vielleicht kann er bewirken, dass der Prozess ausgesetzt wird«, schlug sie vor.

Raffael sah auf. »Du hast Recht. Wenn einer helfen kann, dann ist es Il Magnefico.«

Raffael sprang auf und wollte aus der Schankstube laufen.

»Warte!«, rief Belina ihm nach. »Warte, ich komme mit dir. Ab heute werde ich dich niemals mehr allein irgendwohin ziehen lassen.«

Sie lief zu Raffael, lief direkt in seine Arme. Nur einmal küssten sie sich, dann drängte alles in ihnen zur Eile.

Wenige Minuten später ritten sie schon in Richtung Florenz davon.

 

Zur gleichen Zeit wurde Rosaria mit gefesselten Händen und von zwei Wachleuten in den Saal der Burg di Algari geführt.

In der Mitte der langen Tafel saß Monsignore Calzoni, spielte nervös mit dem schweren Ring an seinem Finger und ließ hin und wieder zwischen zusammengekniffenen Augen scheele Blicke durch den Raum schweifen.

Neben ihm fläzte sich der Conte, vor dem eine Karaffe mit Wein stand, die sich zusehends leerte. Es schien, als wollte er sich heute schon am hellen Vormittag betrinken.

An der rechten Seite des Conte saß die Contessa Donatella di Algari. Sie hielt den Kopf gesenkt, hatte die Hände im Schoß gefaltet und wirkte, als wäre sie nicht von dieser Welt. Ihre Augen irrten blicklos durch den Raum, wenn sie, was nur ganz selten geschah, doch einmal den Kopf hob. Ihr Haar war vor Kummer weiß geworden, doch das schien sie nicht zu kümmern. Ihr Gesicht wirkte wie das einer Statue, vom Bildhauer in einem Augenblick des großen Leides in Marmor gehauen. Sie bemerkte kaum, wenn man sie ansprach, antwortete knapp und zerstreut. Sie aß nichts, trank nichts, und die Mägde erzählten einander, dass sie des Nachts allein im wehenden Nachtgewand durch die dunklen Gänge der Burg irrte wie ein Geist. Es war, als hätte sich die Contessa von der irdischen Welt verabschiedet, als weilten sowohl ihr Geist als auch ihre Seele bereits im Überirdischen, nur der Leib, in dessen Mitte ein lebendes Herz regelmäßig schlug, war noch da.

Auch Isabella Panzacchi hatte sich ausbedungen, bei der Vernehmung von Rosaria anwesend zu sein. Immerhin war sie die Hauptanklägerin, und ihr war der meiste Schaden durch den Hexenzauber zugefügt worden. Sie meinte, ein Recht auf Genugtuung zu haben, und saß stolz und hochmütig, gekleidet in ein kostbares Gewand, auf der anderen Seite des Monsignore.

Als sich die Tür öffnete und Rosaria hereingeführt wurde, spuckte Isabella angewidert aus, tunkte ihre schlanken Finger in ein Schälchen mit Weihwasser, das vor ihr auf dem Tisch stand, und betupfte sich damit die Stirn.

Kaum jemand aber sah Rosalba, die Amme, die sich auf einem kleinen Bänkchen, halb verborgen vom Kamin, niedergelassen hatte und das Geschehen mit hellwachen Augen beobachtete.

Die beiden Wachleute führten Rosaria in die Mitte des Raumes, sodass sie der Tafel genau gegenüberstand.

Es gab keinen Schemel, auf den sie sich setzen konnte, keine Bank, nichts. Mit gefesselten Händen und im schmutzigen, zerrissenen Kleid stand sie vor der Inquisition und der Grafenfamilie und war sich ihres jämmerlichen Anblicks wohl bewusst.

Ihre Blicke begegneten denen der Contessa, die bei Rosarias Anblick leise aufstöhnte und eine Hand auf ihr Herz presste.

Doch schon klopfte der Monsignore mit einem Hämmerchen auf die dicke Eichenholzplatte des Tisches und fragte: »Ihr seid Rosaria, Olivenhändlerin aus Lucca?«

Rosaria nickte.

»Man hat dich der Obrigkeit angezeigt, weil du eine Hexe bist und Unheil über das Land bringst.«

Rosaria straffte die Schultern und erwiderte, so fest sie konnte: »Nein, Monsignore, ich bin keine Hexe und keine Zauberin. Ich habe auch kein Unheil über die Burg und ihre Bewohner gebracht. Ich bin eine Händlerin, die sich ein wenig in der Heilkunde auskennt. Nichts weiter.«

»Glaubt Ihr nicht, glaubt Ihr kein Wort!«, rief Isabella dazwischen. »Sie lügt. Allein das ist ein Beweis.«

»Ruhe!«, donnerte Calzoni und blätterte in einigen Papieren herum, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Schließlich blickte er auf und sagte: »Es gibt Zeugen für deine Zauberei. Gleich werden wir den ersten vernehmen.«

Rosaria schloss die Augen und stöhnte leise. Sie wusste zwar, dass sie keine Hexe war, doch sie kannte auch den Aberglauben der Leute. Wenn man jemanden als Hexe verdächtigte, dann war es ein Leichtes, Beweise dafür zu finden, denn selbst die alltäglichste Handlung gewann unter dem Eindruck der Hexerei eine ganz andere Bedeutung.

Ein Knecht, der für heute zum Gerichtsdiener ernannt worden war, ging zur Tür, und Rosaria hörte, wie man die Reiter hereinrief, die sie tags zuvor gefangen genommen hatten.

»Ihr habt gestern gesehen und gehört, wie die Hexe gezaubert hat?«, fragte der Monsignore, und die Reiter nickten.

»Berichtet nach Eurem Gewissen, was Ihr beobachtet habt.«

Der Anführer trat einen Schritt vor, warf einen verächtlichen Blick auf Rosaria und erzählte: »Wir machten Rast und tränkten die Pferde an einem Bach. Die Hexe hatten wir gefesselt über einem Pferderücken liegen gelassen. Sie wimmerte und bat um einen Schluck Wasser. Wir sind gute Christenmenschen, Monsignore, und die Nächstenliebe ist uns ein Bedürfnis. Deshalb nahmen wir die Hexe vom Pferd, legten sie auf den Boden und gaben ihr zu trinken. So war es doch, oder?«, wandte er sich an die anderen Reiter, und diese nickten. »Jawohl, genauso ist es gewesen.«

Monsignore Calzoni bedeutete ihm mit einer Handbewegung, in seinem Bericht fortzufahren, und warf dem Conte einen tadelnden Blick zu, der sich schon wieder einen Becher mit Wein voll schenkte.

»Ja, und plötzlich hustete und prustete die Hexe, stieß gräuliche Laute aus, die klangen, als riefe sie alle Teufel der Hölle zu Hilfe. Eine unbekannte Macht erfüllte ihren Körper und warf sie auf dem Boden herum. Sie spuckte das Wasser, das wir ihr gereicht hatten, in einem hohen Bogen auf den Boden und murmelte dabei leise Flüche vor sich hin. Ihm da«, der Anführer zeigte mit dem Finger auf einen der Reiter, »ihm da hat es den Krug aus der Hand geschleudert, dass das Wasser herauslief.

Ja, und am Abend gab es dann das Unwetter. Kein Zweifel, dieses Unwetter hat Rosaria, die Hexe, gezaubert.«

Die Stimme des Anführers wurde lauter. Er drehte sich zu Rosaria, die seinen Worten mit ungläubigem Staunen gelauscht hatte. Er zeigte mit dem Finger auf die Olivenhändlerin und schrie: »Sie war es, die die Ernte verderben ließ, sodass die Weinbauern in der Gegend im kommenden Winter große Not leiden müssen. Sie war es, die bewirkt hat, dass die Kühe heute keine Milch gegeben haben. Froh können wir sein, wenn die Tiere überleben!«

»Genug, genug«, beruhigte der Monsignore den Anführer. »Habt Ihr alles gesagt?«

Der Anführer nickte, und Calzoni schickte ihn und die anderen weg.

Dann machte er sich mit einer Feder Notizen auf einem Blatt Pergament.

»Gibt es weitere Zeugen?«, fragte er und wurde sofort von Isabella unterbrochen.

»Was ist mit mir? Wann komme ich zu Wort? Es ist eine grobe Unhöflichkeit, dass Ihr mich so lange warten lasst.«

Monsignore Calzoni hatte es längst aufgegeben, mit Frauen wie Isabella Panzacchi zu diskutieren. Er wusste aus Erfahrung, dass solcher Art Gespräche nichts brachten, sondern nur das Verfahren in die Länge zogen. Der Monsignore aber hatte es eilig. Er wollte so schnell es ging, wieder weg von dieser Burg, die ihm so gar nicht gefiel. Er liebte das fröhliche Leben, liebte, obwohl er als Dominikanermönch dem geistlichen Stand angehörte, Wein, Weib und Gesang, und nichts von alledem war ihm hier geboten worden. Zudem war das Bett zu hart gewesen, der Wein zu dünn und die Frauen hier, na ja. Die Contessa war alt, wortkarg und verschlossen, die andere eitel, kokett und dumm, und die dritte, Daria, zwar hübsch anzusehen und angenehm vom Wesen her, aber so verliebt, dass man auch mit ihr nichts anzufangen wusste.

Monsignore Calzoni seufzte und sagte verdrossen: »Also gut, Isabella Panzacchi aus Florenz, berichtet, was Ihr erlebt habt.«

Isabella fixierte Rosaria mit den Augen. In ihren Blicken lagen so viel Hass und Bosheit, dass es Rosaria kalt den Rücken herunterlief und sie den Kopf senkte.

Sofort schrie Isabella: »Habt Ihr gesehen, sie weicht mir aus! Ein neuer Beweis für ihre Hexerei.«

»Kommt zum Punkt!«, forderte Monsignore Calzoni, dem solche Ausbrüche auf die Nerven gingen.

Isabella setzte sich aufrecht hin und erzählte noch einmal die Geschichte mit dem Liebestrank:

»... und nachdem sie von dem Trank gekostet hatte und auch mein Verlobter nicht umhin konnte, aus dem Glas zu trinken, verwandelte sich Giacomo binnen Augenblicken. Der Mann, der mir noch kurz zuvor seine Liebe geschworen hatte, dieser Mann, dem ich mein Herz schenkte, stieß mich plötzlich von sich, behauptete, er liebe diese Olivenhändlerin, und kündigte an, die Hochzeit platzen zu lassen.«

Isabella schluchzte dramatisch auf und quetschte sich sogar ein paar Tränen ab, ehe sie weitersprach: »Diese Frau da, diese Hexe, hat das Glück zweier unschuldiger Menschen zerstört. Sie verdient es nicht, zu leben. Sie soll auf dem Scheiterhaufen ihr Leben aushauchen! Erst dann wird es wieder Ruhe und Frieden auf der Burg geben.«

»Das Gericht bin immer noch ich«, unterbrach Monsignore Calzoni Isabellas Rede.

Er sah jetzt nacheinander die Contessa, den Conte und den Kaufmann an und fragte: »Hat jemand von Euch etwas hinzuzusetzen?«

Bei dieser Frage kam Leben in die Contessa. Sie sah auf, schickte einen so Hilfe suchenden Blick zu Calzoni, dass selbst ein Stein Mitleid mit ihr empfunden hätte.

»Was ist, Contessa? Wollt Ihr etwas sagen?«

Die Contessa schwieg, schluckte und wollte wohl gerade den Mund öffnen, als der Conte mit der Hand auf den Tisch schlug, dass die Gläser in die Höhe sprangen.

»Seht Ihr nicht, in welchem Zustand meine Frau ist? Die Ereignisse der letzten Tage haben ihr zugesetzt. Sie braucht Ruhe, denn sie ist krank. Ich werde sie auf ihr Zimmer bringen lassen.«

Er winkte eine Magd herbei und wies diese an, die Contessa hinauszuführen. Wortlos fügte sich Donatella di Algari den Anweisungen ihres Mannes. An der Tür aber drehte sie sich noch einmal um und suchte Rosarias Blick. Und alle sahen mit großer Verwunderung, wie sie Rosaria von fern segnete.

»Ihr seht, wie verwirrt sie ist«, versuchte der Conte seine Frau zu entschuldigen, doch Isabella wusste es besser.

»Gut«, sagte Monsignore Calzoni. »Fahren wir fort. Ich frage dich, Olivenhändlerin Rosaria aus Lucca, gibst du zu, einen Wetterzauber und einen Liebeszauber vollbracht zu haben? Gestehst du freiwillig und ohne Folter, dass du eine Hexe bist?«

Rosaria sah dem Monsignore so fest in die Augen, dass dieser als Erster den Blick senkte.

»Nein, ich bin keine Hexe«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich bin keine Hexe und habe weder einen Liebesnoch einen Wetterzauber gewirkt.«

Der Monsignore stöhnte auf.

»Du weißt, was geschieht, wenn du nicht freiwillig gestehst?«

Rosaria nickte. »Ihr werdet mich foltern lassen.«

»So ist es«, erwiderte der Monsignore und forderte seine beiden mitgebrachten Helfer auf, denen man ihren Beruf schon in den grobschlächtigen Gesichtern ansah, Rosaria in die Folterkammer der Burg zu führen.

Rosaria begann zu zittern. Sie hatte Angst. Doch ihr Stolz, der es nicht zulassen konnte, dass sie Dinge gestand, die sie nicht getan hatte, war stärker.

Mit weichen Knien ließ sie sich in die Folterkammer führen. Als man ihr die Daumenschrauben anlegte und die Folterknechte auf ihre Schmerzensschreie warteten, begann Rosaria zu singen. Die Tränen liefen ihr dabei aus den Augen, doch sie sang mit aller Kraft, übertönte mit ihrem Gesang auch die rasenden Schmerzen und ignorierte selbst das Blut, das ihr unter den Nägeln hervorquoll. Rosaria sang, und die Folterknechte hielten inne. Rosaria sang ihr Abschiedslied für Giacomo, und es drang durch die dicken Mauern der Burg, ertönte in jeder Kammer, in jedem Gang und bewirkte, dass alle einhielten und der schmerzlichen Weise lauschten.

»Welche Küsse mir die liebsten sind, soll ich sagen?
Gibt es zu wählen denn, Geliebter?
Gibst du mir die feuchten Lippen,
dank ich ihnen.
Gibst du mir die brennend heißen,
lieb ich diese,
und wie ist es süß,
die Augen dir zu küssen.
Wenn die meinen vergehen und sterben,
sind deine meiner Leiden Quelle.
Unsere Seelen ineinanderfließen,
eind im anderen so vergeht,
in Lust erstirbt...!
Ob deine Küsse während oder kurz,
Vergehen gebend oder mild und bissig,
du Vielgeliebter – alle lieb ich sie,
gleich köstlich sind mir alle,
deine, meine.
Nur eines: Gib
niemals den Kuss zurück, den ich
dir gab – küss immer andere.
Ez soll ein wechselvolles Spiel sein,
denn die Liebe ist stärker als der Tod.«

Als Rosaria das Lied beendet hatte, bemerkte sie die Rührung in den Augen der Folterknechte. Jetzt spürte sie auch ihre zerquetschten Daumen, sah das Blut unter ihren Nägeln hervorquellen. Eine Welle unerträglichen Schmerzes überflutete sie.

Die Folterknechte kamen näher: »Gesteh, Olivenhändlerin, gesteh doch, dass du eine Hexe bist. Gesteh, dann hören die Schmerzen auf. Mach es dir doch nicht so schwer.«

Stumm schüttelte Rosaria den Kopf.

»Ich bin keine Hexe«, flüsterte sie kaum hörbar. Die Folterknechte sahen sich an. Nach diesem Lied, das ihre Herzen betört hatte, waren sie nicht mehr in der Lage, Rosaria neue Qualen zuzufügen,

Sie nickten sich zu, dann machten sie Rosaria los. Einer gab ihr aus seinem Becher Wein zu trinken. Dann führten sie sie zurück in das Verlies.

Kurze Zeit später meldeten die Folterknechte dem Monsignore Calzoni, dass Rosaria zwar nicht im Wortsinn gestanden hätte, doch der Text des Liedes deute zweifellos darauf hin, dass sie eine Hexe sei, und sei demzufolge als Geständnis zu werten.

Calzoni nickte. Er hatte auch nichts anderes erwartet.

»Nun denn, so verkünde ich jetzt das Urteil.«

Er blätterte noch einmal in seinen Notizen, dann las er mit langsamer Stimme vor:

»Die Inquisition von Florenz bestimmt im Namen Gottes und im Namen der Heiligen Mutter Kirche, dass die Olivenhändlerin Rosaria aus Lucca schuldig gesprochen wird, einen Wetterzauber und einen Liebeszauber verübt zu haben. Zur Strafe wird sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Hinrichtung findet morgen auf dem Hofe der Burg di Algari nach dem ersten Hahnenschrei statt.«

Isabella brach in Jubel aus, doch als sie die ernsten Blicke der anderen und auch deren Unverständnis für ihre Freude sah, da verstummte sie, und eine Ahnung überkam sie, die besagte, dass der Sieg noch nicht ihrer war.

 

Rosaria lag auf dem Stroh und wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Die Vernehmung schien um Jahre zurückzuliegen, geschehen in einem anderen Leben, zu einer anderen Zeit.

Nur ein Detail war ihr im Gedächtnis haften geblieben: das Gesicht der Contessa Donatella di Algari. Wie ein Geist hatte sie gewirkt, dachte Rosaria. Was fraß an ihr? Was war es, das ihr wie eine Last auf den Schultern lag und sie vor der Zeit altern, ja, bei lebendigem Leib ersterben ließ?

Doch Rosaria wusste keine Antwort und hatte auch nicht die Kraft, darüber nachzugrübeln. Ihre Daumen schmerzten unerträglich, brannten wie Feuer. Die Fingerknochen waren an beiden Händen gebrochen, blau verfärbt und dick angeschwollen hingen die Daumen an ihren Händen wie Gewichte. Vorsichtig betrachtete Rosaria die Wunden. Wenn ich nur ein bisschen Arnika hätte, dachte sie. Ein wenig Arnika und Kamille, um das Heilen zu fördern, und ein wenig von der Salbe aus den Früchten der Mohnblume, um den Schmerz zu stillen.

Schüttelfrost hatte ihren Körper gepackt, sodass ihre Zähne aufeinander schlugen. Ich habe Fieber, dachte Rosaria und hoffte nur, dass nicht der Wundbrand schon in ihre Verletzungen gedrungen war. Plötzlich lachte sie, und es war bei Gott kein fröhliches Gelächter, das sie ausstieß.

Warum sorge ich mich noch um meine beiden Daumen, wenn ich morgen ja doch auf dem Scheiterhaufen brennen werde?, dachte sie. Sie hatte Angst vor dem Feuertod, große Angst, und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, in dem sie Paola vermutete.

»Paola, Mutter, steh mir bei, wenn die Flammen mich morgen verzehren. Halte du mir die Hand und mach mir den Abschied von einer Welt leichter, in der ich nicht gebraucht werde, in der ich keinen Platz mehr habe und die ich doch von ganzem Herzen liebe.«

Plötzlich hörte sie Schritte auf der Treppe, ihre Tür öffnete sich. Daria trat ein, eine Kerze und einen kleinen Korb in der Hand. Als sie Rosaria sah, lief sie auf sie zu und nahm sie in die Arme.

»Rosaria, meine Liebe«, murmelte sie, und Tränen des Mitleids rannen über ihre Wangen.

Die beiden Frauen sahen sich an, und die große, unerklärliche Nähe zwischen ihnen, die beide vom ersten Augenblick ihrer Begegnung verspürt hatten, wurde so greifbar, dass die Kerkerwände ihren Schrecken verloren.

Jetzt sah Daria Rosarias Hände und stieß einen erschrockenen Ruf aus.

»Mein Gott!«

Doch dann kramte sie in ihrem Korb und holte Salben und Verbandszeug daraus hervor.

»Rosalba hat mir ein Mittel gegeben, um die Wunden zu versorgen, und auch einen Trank, der den Schmerz stillen soll.«

Ganz behutsam säuberte Daria die Wunden vom größten Schmutz, bestrich sie vorsichtig mit einer kühlenden Salbe und wickelte einen Verband darum. Rosaria stöhnte auf, als der Stoff die wunden Stellen berührte.

»Warum tut Ihr das, Comtess Daria?«, fragte Rosaria. »Warum kommt Ihr in mein Verlies und behandelt meine Wunden?«

Daria sah die Olivenhändlerin an, und in ihrem Blick lag große Zuneigung und Wärme.

»Du hast mir mein Gesicht wiedergegeben und hast mir dadurch die Liebe geschenkt«, erwiderte sie, aber Rosaria schüttelte den Kopf.

»Ich bin eine arme Frau, stehe weit unter Euch. Dankbarkeit schuldet Ihr mir gewiss nicht.«

Daria streichelte behutsam über Rosarias Schultern und zupfte ihr einige Strohhalme aus den Haaren.

»Ich fühle mich zu dir hingezogen wie zu einer Schwester«, sagte sie leise. Dann beugte sie sich über Rosaria, küsste behutsam deren Stirn, stand auf und verschwand so leise, wie sie gekommen war.

Den Trank der Amme hatte sie zurückgelassen. Jetzt, als Rosaria wieder allein war, spürte sie das Fieber mit ganzer Kraft über sie kommen.

Sie nahm das Fläschchen, entkorkte es und roch daran. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

»Mohnsamen«, murmelte sie leise. »Mohnsamen und ein wenig Stechapfel in einer alkoholischen Lösung. Ich hätte wohl einen ähnlichen Trank gebraut.«

Dann trank sie das Fläschchen aus und sank bald darauf in einen tiefen, traumlosen Schlaf, der wohl ihr letzter sein sollte.

Als sie die ersten Hähne krähen hörte, wusste Rosaria, dass ihr nur noch sehr wenig Zeit auf dieser Erde blieb.