10. Kapitel

Am frühen Abend, als die Sonne sich schon ein ganzes Stück der Erde genähert hatte und die Burg selbst kühlenden Schatten über den geschmückten Hof warf, folgte der eigentliche Festakt der Verlobung.

Unter dem Baldachin hatte sich nun die Anordnung der Sitzplätze ein wenig geändert. In der Mitte standen zwei gepolsterte Lehnstühle, auf denen das junge Brautpaar Platz genommen hatte. Isabella hatte sich umgezogen und trug nun ihr offizielles Verlobungskleid, einen Traum aus weißer Seide, verziert mit winzigen Perlen. Auf dem langen, blonden Haar ruhte ein Kranz aus weißen Lilien als Symbol der Reinheit und Unschuld.

Giacomo saß neben ihr und hatte das Turniertrikot gegen ein blütenweißes, kostbar besticktes Leinenhemd mit Ornamenten in der Form von Efeu getauscht, welches seinem olivenfarbenen Teint und seinen schwarzen Locken schmeichelte, die ihm bis über den Kragen fielen.

Links hinter Isabella hatte die Familie di Algari Platz genommen. Die Contessa Donatella saß neben ihrem Mann, doch ihre Haltung zeigte an, wie sehr sie sich bereits von ihrem Gemahl entfernt hatte. Obwohl die Stühle eng beieinander standen, lehnte die Contessa am äußersten Rand, der den größtmöglichen Abstand zu Conte Giovanni darstellte. Der Conte selbst, angetan mit einem langen dunkelgrünen Umhang, der von einer goldenen Spange gehalten wurde und das kostbare, ebenfalls dunkelgrüne Wams gut zur Geltung brachte, saß, nein, er lümmelte mit weit gespreizten Beinen in dem Stuhl, hatte seinen Arm Besitz ergreifend auf die Lehne des Nachbarstuhls gelegt und kümmerte sich einen Dreck um das Unbehagen seiner Frau. Ungeniert beglotzte er dabei seine Schwiegertochter, schmatzte und leckte sich ein um das andere Mal die schmalen Lippen. Hinter dem Ehepaar saß Daria, die, noch immer die weiße Lilie ihres Verehrers in der Hand haltend, selig vor sich hin lächelte.

Hinter Giacomo hatte der Kaufmann Panzacchi Platz genommen. Trotz der sommerlichen Hitze hatte er nicht darauf verzichten können, seinen Reichtum in Gestalt eines edlen Hermelin-Umhangs, der ihm immer wieder von den Schultern zu rutschen drohte, zur Schau zu stellen. Sein Gesicht war gerötet, auf der Stirn sammelten sich die Schweißperlen, und immer wieder musste er sich mit einem Batisttüchlein das Gesicht abwischen. Doch lieber wäre er wohl vor Hitze unter seinem Pelz erstickt, als dass er ihn abgelegt hätte.

An der Seite hatte ein Priester Platz genommen, um in Kürze offiziell die Verlobung zu vollziehen, und zwar so, wie der Florentiner Kaufmann es sich ausbedungen hatte: eine Verlobung, die alle Rechte und Pflichten einer Ehe mit sich brachte, aber die Jungfräulichkeit der Braut unangetastet lassen musste.

Doch ganz so weit war es noch nicht. Giacomo hatte sich gewünscht, das Eheversprechen genau um die Stunde der Mitternacht zu geben. Zuvor sollten die Musiker zum Tanz aufspielen, die Gaukler, Schauspieler und Feuerschlucker, die Sänger und Artisten ihre Künste vortragen. Es war schließlich die Johannisnachtjene Nacht, die als die längste des ganzen Jahres galt. Solch eine Nacht war nicht zum Schlafen da, sondern um ein rauschendes Fest zu feiern. Dass die Verlobung ausgerechnet heute am Tage des Schutzpatrons der Toskana und der Stadt Florenz im Besonderen abgehalten wurde, war eine Gunstbezeugung an Isabella und die Familie Panzacchi. Also musste sich die Schöne in die Wünsche ihres Bräutigams fügen, auch wenn sie lieber so schnell wie möglich die offizielle Zeremonie hinter sich gebracht hätte.

Isabella wollte eine di Algari werden; um jeden Preis wünschte sie in den Adelsrang erhoben zu werden, der ihr, wie sie fand, zustand. Durch welchen Mann sie in diesen Stand geriet, war ihr zunächst gleichgültig, denn Isabella ging es nicht um die Liebe zu einem Mann: Ihr ging es einzig und allein um die Liebe zu sich selbst. Und diese Selbstliebe war so grenzenlos, dass andere Menschen in Isabella nur sehr selten Gefühle auslösten, und wenn, dann waren es meist negative.

Giacomo aber gefiel ihr. Sie liebte sein Äußeres, sein selbstbewusstes, souveränes Auftreten. Ein schöner Mann an der Seite einer schönen Frau ergab zusammen ein Paar von doppelter Schönheit. Ja, es war ganz in Isabellas Sinn, gemeinsam mit Giacomo ein schönes Paar abzugeben. Die Florentinerin wusste schon jetzt, dass ihre gleichermaßen verwöhnten und eingebildeten Freundinnen sie um diesen Mann beneiden würden.

Doch um zu diesem Ziel zu gelangen, musste sie erst noch die Darbietungen und Zerstreuungen, die zum Fest gehörten, über sich ergehen lassen.

Mit gelangweilter Miene ließ sie deshalb das frivole Schauspiel an sich vorbeiziehen und hatte für die Heiterkeit der Gäste nur ein verächtliches Lächeln übrig. Sie verstand den Szenenbeifall nicht und auch nicht, was dieser Boccacio an sich hatte, dass alle Welt nach seinem Decamerone gierte. Für sie war der Dialog zwischen einer jungen Schauspielerin, die lediglich in ein weißes Tuch gehüllt war, und einem älteren Schauspieler im Mönchsgewand ein langweiliges Hin und Her von Worten, das auch durch die angedeutete Handlung von der geschlechtlichen Liebe nicht an Reiz gewann.

Gespielt wurde das Erlebnis der ebenso frommen wie naiven Alibech, die einer heidnischen Familie entstammt und zu den Einsiedlern in die Wüste von Theben geschickt wird, um von ihnen den richtigen Gottesdienst zu erlernen. Doch die frommen Einsiedler lehnen die Aufnahme Alibechs ab, da sie beim Anblick ihrer Schönheit um die eigene Keuschheit fürchten. Nur Rustico, ein besonders gottesfürchtiger Mann, fordert sie zum Bleiben auf, denn er sieht in Alibechs Schönheit und der damit verbundenen Versuchung eine göttliche Prüfung. Doch bald schon ist es mit seiner Beherrschung vorbei. Unter dem Vorwand, einen Gottesdienst zu verrichten, bittet er sie, sich wie er auszuziehen. Auf sein mittlerweile erhobenes Glied aufmerksam geworden, erklärt er Alibech, dass es sich dabei um den Teufel handle, der ihn anfechte und in die Hölle geschickt werden müsse. Die Hölle aber befinde sich zwischen Alibechs Beinen, erklärt Rustico.

Das Mädchen gewinnt schon sehr bald solche Freude daran, den Teufel in die Hölle zu schicken, dass der schlecht genährte Einsiedler alsbald die Waffen strecken muss und froh ist, Alibech an einen heiratswilligen Jüngling abtreten zu können.

Tosender Applaus beendete die Darbietung der Schauspieler. Die angeregten und erhitzten Gäste verlangten nun nach einer Stärkung, um sich danach dem Tanz hingeben zu können.

Und endlich war es so weit: Giacomo eröffnete gemeinsam mit Isabella den Tanz. Bei der Gaillarde, einem Tanz mit ungeradem Takt, hielt er sie in den Armen, als wäre sie eine hölzerne Puppe. Ja, sogar den Blick wandte er ab und ließ ihn stattdessen über die Anwesenden schweifen, als suchte er jemanden.

Mehrmals versuchte Isabelle, sich an ihren Bräutigam zu schmiegen, doch dieser machte die Arme steif und lang und verwickelte sie in eine höfliche Plauderei.

»Wie gefällt Euch Euer Fest?«, fragte er und sah über ihren Kopf hinweg.

»Besser noch gefiele es mir, wenn Ihr mir die Aufmerksamkeit angedeihen ließet, die Ihr mir schuldet«, erwiderte sie und legte dabei Honig in ihre Stimme.

»Nun, Ihr wisst, ein solches Fest ist in erster Linie für die Leute. Wir haben Verpflichtungen, denen wir uns nicht entziehen können«, erwiderte Giacomo und lächelte dabei seine Braut zum ersten Mal an.

»Verpflichtungen habt Ihr auch mir gegenüber«, schmollte die Florentinerin, der es nun nicht mehr gelang, ihren Unmut zu verbergen.

»Ich weiß, Isabella. Und ich werde diesen Verpflichtungen nachkommen. Noch in dieser Woche werde ich nach Rom reisen, um meinen Teil der Abmachung zu erfüllen.«

»Das meinte ich nicht«, schmollte die Schöne weiter. Doch als sie merkte, dass Giacomo dieses Verhalten gleichgültig ließ, wurde sie kokett.

»Gefalle ich Euch denn gar nicht?«, schmeichelte sie und presste ihren Körper leicht an den seinen.

Giacomo betrachtete für einen Augenblick ihr Gesieht, ehe er antwortete: »Ihr seid sehr schön. Wäre ich ein Bildhauer, so würde ich Euch in Marmor hauen. Marmor passt gut zu Euch. Kühl und glatt. Ich glaube, ich würde dafür sogar nach Carrara fahren, um in den dortigen Brüchen nach dem weißesten Stein zu suchen.«

»Aber Ihr seid kein Bildhauer«, sagte Isabella und hoffte auf weitere Vergleiche, die ihr schmeicheln würden.

»Nein«, gestand Giacomo. »Kalten Stein mit Leben zu erfüllen, das liegt mir nicht.«

Und noch ehe Isabella die Aussage des Satzes ganz und gar verstehen konnte, hörte der Tanz auf, die Musiker wechselten die Instrumente und spielten eine toskanische Volksweise, bei der sich die Paare nur für ein paar Takte fanden, sich an den Händen berührten und schon zum nächsten Partner wechselten. Sofort entfernte sich Giacomo von ihrer Seite, und an seine Stelle trat der alte Conte. Er griff Isabellas Hand und knetete sie grob, dass die Florentinerin einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken konnte.

Er sah ihr mit seinen blutunterlaufenen Schweinsäuglein tief in die Augen und flüsterte, sodass es die Umstehenden nicht hören konnten: »Es ist schön, Euch in meinem Haus zu wissen. Ich glaube, wir beide werden viele angenehme Stunden miteinander erleben.«

Doch schon wechselten wieder die Paare, und Isabella tanzte nun mit einem Unbekannten.

Giacomo hingegen hatte es so eingerichtet, dass Rosaria direkt aus Raffaels Armen in die seinen glitt.

Er bemerkte, dass die junge Olivenhändlerin zunächst erstarrte, aber mit jedem Takt weicher und anschmiegsamer wurde, als gehorchte ihr Körper nicht ihrem Willen. Er spürte ihren jungen, biegsamen Körper in seinen Armen, roch den Duft ihres Haares. Heiß überlief es ihn, heiß und kalt zugleich, während heftige Schauer über seine Wirbelsäule gingen.

»Ich hatte gehofft, Euch wieder zu sehen«, sagte Giacomo mit heiserer Stimme und sah Rosaria in die Augen. Und Rosaria wendete alle Kraft auf, um diesem Blick auszuweichen. Sie wusste, dass ihr Verstand nicht mehr gehorchen würde, wenn sie sich diesem streichelnden, warmen Blick aus den wunderbaren aschgrünen Augen aussetzte.

Doch das Verlangen, die Gefühle in ihrer Brust waren stärker als aller Verstand. Rosaria ergab sich schließlich und badete in Giacomos Blick, der sie umhüllte wie ein warmes, weiches Tuch, der sie streichelte und festhielt, der sie schützte und zugleich begehrte. Behutsam fasste er nach ihrer Hand und führte sie an seine Lippen. Der Kuss war nur ein Hauch, kaum, dass sein Mund ihre Hand berührte, doch Rosaria empfand diese Liebkosung mit allen Fasern ihres Körpers. Eine heiße Welle durchströmte sie von Kopf bis Fuß und ließ ihr die Knie weich werden, sodass sie sich für einen Lidschlag an seinen Körper lehnen musste, um nicht zu wanken. Und er hielt sie, streichelte mit einer Hand ganz behutsam die Stelle zwischen ihren Schulterblättern, gab ihr mit dieser Liebkosung Halt und Geborgenheit. Rosaria schloss die Augen und wünschte, dass dieser Moment niemals enden werde. Ewig wollte sie so tanzen, im Arm des Mannes, den sie liebte und nicht lieben durfte. Sie kostete seine Nähe aus, wohl wissend, dass ihr diese Nähe mit dem Ende des Tanzes für immer genommen werden würde.

Und schon war der Tanz vorbei. Rosaria öffnete die Augen, fand sich wieder auf dem Verlobungsfest für eine andere, empfand die Wirklichkeit wie einen Schlag, der sie taumeln ließ, und floh regelrecht aus Giacomos Armen an den Rand der Tanzfläche, während der junge Conte mit leeren Händen dastand, bis er von seiner Braut energisch fortgezogen wurde.

Einzig ihre Blicke hielten noch die Verbindung zueinander, waren ein Band, geknüpft aus einer Liebe, die niemals Wirklichkeit werden durfte, aber auch niemals vergehen würde. Rosaria atmete schwer. Sie stand noch immer am Rand der Tanzfläche, ihr Busen hob und senkte sich unter heftigen Atemstößen, und sie wusste nicht, was sie sich in diesem Moment wünschen sollte.

Plötzlich hörte sie leise ihren Namen rufen. Nur mit allergrößter Mühe gelang es ihr, den Blick von. Giacomo zu lösen. Wie im Traum wandte sie sich um und sah sich der Contessa Donatella di Algari gegenüber.

»Es ist Zeit, Olivenhändlerin, dass du den Liebestrank reichst. Ich werde dem Majordomus, der die Festlichkeiten leitet, Bescheid geben, dass du nun als Vertreterin der Gaukler eure persönlichen Glückwünsche überbringen willst.«

Rosaria nickte. »Ich werde den Trank aus meinem Wagen holen. Sobald ich zurück bin, könnten die Musikanten der Kolonne mich mit einem kurzen Tusch ankündigen.«

Die Contessa nickte zum Einverständnis und sagte: »In der Zwischenzeit werde ich Gläser zum Baldachin bringen lassen.«

Dann schickte sie einen Blick zum Himmel und ein Seufzen hinterher. »Heilige Madonna, hilf, dass der Liebestrank wirkt und mein Sohn glücklich werden kann mit dieser Frau.«

Dann drehte sich die Contessa um und verschwand so schnell und unbemerkt, wie sie gekommen war.

Rosaria ging zum Wagen; ihre Knie waren noch immer weich von der Begegnung mit Giacomo. Sie presste beim Laufen eine Hand auf ihr klopfendes Herz. Beim Tanz hatte sie sein Atem gestreift. Und dieser kurze Augenblick hatte genügt, dass Rosaria das Aroma des geheimnisvollen, unendlich zarten Kusses im Garten wiedergefunden hatte. Dann war es wirklich Giacomo gewesen, der sie gestern unter der alten Esche geküsst und ihr Blut wie nie zuvor in Wallung gebracht hatte.

Eine unendliche Traurigkeit überfiel sie, eine Traurigkeit, die so groß war, dass ihr die Tränen in die Augen traten und heiß über ihre Wangen rollten. Sie wusste, mit dem Reichen des Liebestrankes würde sie Giacomo für immer verlieren. Verlieren, ohne ihn je besessen zu haben.

Endlich war sie an ihrem Wagen angelangt und holte vorsichtig die Flasche mit dem kostbaren Trank hervor. Sie öffnete den Korken und roch an dem Gemisch, das ihr süß und verlockend in die Nase stieg. Einen winzigen Augenblick überlegte sie, ob sie die Flüssigkeit nicht einfach auf den Boden gießen und darin versickern lassen sollte, doch dann dachte sie wieder an das Orakel. Sie musste sich Giacomo aus dem Kopf schlagen. Um ihr und sein Leben zu retten, musste sie dafür sorgen, dass der Liebestrank seine Wirkung tat und Giacomo seiner schönen florentinischen Braut verfiel. Sie wusste, dass sie so handeln musste, doch ihre Brust krampfte sich bei diesem Gedanken schmerzhaft zusammen, und Tränen strömten ihr aus den Augen, die so dick waren wie die Regentropfen eines Sommergewitters.

Rosaria fühlte den wilden Schmerz der Entsagung in ihrem Innern toben. Ihr war, als würde ihr das Herz bei lebendigem Leibe aus der Brust gerissen. Sie fühlte ihr Blut heiß wie Lava durch ihren Körper strömen und wusste, dass es bald erstarren würde. Erstarren zu Eis, um niemals wieder von einem Mann zum Glühen gebracht zu werden.

Noch einmal seufzte Rosaria tief auf, dann verkorkte sie die Flasche. Sie nahm all ihre Kraft und all ihren Willen zusammen, wusch sich die Spuren der Tränen vom Gesicht und schlüpfte wieder in die Rolle, die ihr für diesen Tag zugedacht war.

Sie ordnete ihr Haar, strich noch ein letztes Mal über die Stelle, an der Giacomos Atem sie gestreift hatte, und begab sich mühevoll beherrscht, zurück zum Festplatz.

Die Musiker verfolgten mit ihren Blicken Rosarias Weg zum Baldachin. Als sie angekommen war, erhoben sie die Instrumente und schmetterten einen Tusch, der den Gästen einen weiteren Höhepunkt des Festes ankündigte.

Rosaria knickste ehrfürchtig vor der Braut und zeigte ihr die Flasche.

»Mit diesem Trank für Euch und Euren Bräutigam wollen wir, die Kolonne aus Lucca, Euch unsere Glückwünsche überbringen. Der Trank soll eine Liebe in Eurer beider Herzen entfachen, die von Menschen nicht zu löschen ist und bis an das Ende aller Tage hinaus anhält.«

Mit diesen Worten entkorkte Rosaria die Flasche, nahm eines der wertvollen Gläser aus blauem Kristall von einem Silbertablett, goss den Trank hinein und reichte das Glas Giacomo.

»Doch bevor Ihr trinkt, Ihr Liebenden, so höret, was noch zu sagen ist: Die Liebe ist eine gewaltige Kraft, die stärker ist als der kleinmütige Mensch. Dieser Trank ist kein Zauber. Er verstärkt die Liebe dort, wo sie vorhanden ist, und richtet nichts aus, wo sie fehlt.«

Noch einmal verbeugte sich Rosaria und rief dann mit lauter Stimme, sodass jeder der Feiernden sie gut hören konnte: »Und nun, Conte Giacomo di Algari, trinkt aus diesem Glas und reicht es dann der, von der Ihr geliebt zu werden begehrt.«

Giacomo nahm das Glas aus Rosarias Hand und führte es langsam an seine Lippen, doch seine Augen sahen nicht auf die Braut, sahen nicht Isabella Panzacchi aus Florenz. Nein, seine Blicke hatten sich in Rosarias Augen verfangen, hielten sie fest, ganz fest. Und langsam trank er Schluck für Schluck. Ebenso langsam ließ er das Glas von seinen Lippen gleiten und wandte sich nun endlich seiner Braut zu. Doch was er ihr sagte, war kein Liebesschwur, nein. Die Menge erstarrte und wurde totenstill, als sie die Worte vernahm, die der junge Conte Giovanni zu Isabella Panzacchi sprach: »Verzeiht, schöne Florentinerin, aber die Liebe ist stärker als mein Willen und als mein Verstand.«

Und dann reichte er das Glas Rosaria, nein, er reichte es ihr nicht, er führte es an ihre Lippen – an Lippen, die sich wie von selbst öffneten. Unter den Augen von über einhundert Gästen geschah das Ungeheuerliche: Rosaria trank von dem Liebeszauber, spürte ihn köstlich und unsagbar süß auf ihren Lippen, dann am Gaumen und heiß und lodernd ihre Kehle hinunterrinnen.

Und Isabella, die schöne Florentinerin, der noch niemals jemand einen Wunsch abgeschlagen oder gar einen Befehl verweigert hatte, stand dabei und war vor Wut und Enttäuschung wie gelähmt. Doch schon fing sie sich, ihr Gesicht wurde rot, und eine blaue Ader schwoll auf ihrer weißen Stirn an wie ein Geschwür. Schon holte sie aus und schlug Rosaria mit aller Kraft das Glas von den Lippen, sodass es zu Boden fiel und der Rest des Liebestranks zwischen den Pflastersteinen versickerte, die von Blumen bedeckt waren.

 

Die Wucht des Schlages war so gewaltig, dass Rosaria taumelte. Sie ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, sah, wie Giacomo nach ihr griff, um sie zu halten, doch er stand zu weit entfernt, um sie zu erreichen. Rosaria strauchelte, die Beine knickten ihr weg, und sie fiel nach hinten. Noch im Fallen sah sie die Gesichter der Umstehenden, erkannte die ohnmächtige Wut im Antlitz Isabellas, sah den glühenden Hass in ihren Augen, die unversöhnliche Feindschaft, die sie von diesem Augenblick an verfolgen würde. Unerbittlich und gnadenlos. Isabella würde sich an ihr rächen, erbarmungslos rächen für die tiefste Demütigung ihres Lebens, die sie heute auf dem Fest ihrer eigenen Verlobung erfahren hatte.

Endlich schob sich Giacomos Gesicht vor das der Florentinerin, und Rosaria las in seiner Miene eine tiefe, von Herzen kommende Liebe und unendliche Zärtlichkeit. Und während sie fiel, sah sie nicht nur die Liebe des Mannes zu ihr, sie sah auch seine Angst um sie, erkannte, dass sie beide schon jetzt eins waren, durch nichts und niemanden zu trennen, es sei denn vom Tod.

Das alles sah Rosaria im Fallen; die Bilder brannten sich in ihre Netzhaut, und sie wusste, dass sie diese nie vergessen würde.

Doch sie stürzte nicht zu Boden, sondern wurde gehalten, auf wundersame Weise gehalten. Es war die Contessa Donatella di Algari, die Rosaria, Tochter der Olivenhändler Paola und Estardo aus Lucca, in ihren Armen auffing.

Rosaria spürte den plötzlichen Halt, spannte ihren Körper, riss sich nach vorn und verhinderte so, dass sie beide zu Boden stürzten.

Noch immer in größter Verwirrung, drehte Rosaria sich um, fasste die Burgherrin am Arm, um auch ihr wieder zu einem festen Stand zu verhelfen. Doch jetzt waren auch die Helfer da. Giacomo stützte mit einem Arm seine Mutter und hatte den anderen um Rosarias Hüfte gelegt. Im Hintergrund ertönte das dreckige Lachen des Conte, während man Panzacchi »Unverschämtheit!« und andere grobe Beschimpfungen schreien hörte.

Aber die Beschimpfungen erreichten die Adressaten nicht. Zu ungeheuerlich war das, was geschehen war.

Die Contessa stand Rosaria gegenüber und sah mit starrem Blick auf Rosarias Medaillon. Im Fallen hatte sich ihr Brusttuch gelöst, das das Schmuckstück nun nicht länger verbarg, sondern es allen Blicken aussetzte.

Und die Contessa starrte darauf, sie fixierte das Medaillon mit brennenden Blicken, als wäre es die Dornenkrone, die der Heiland auf seinem letzten Gang getragen hatte. Sie stand wortlos da, doch ihr Körper versteifte sich, als wäre ihr der Schreck in alle Glieder gefahren und hätte sie zu Eis verwandelt. Blass und blasser wurde ihre Haut, ihr Blick trübte sich, die Lippen verloren jede Farbe, und aus ihrem Mund erklang ein Stöhnen, das dem eines Tieres glich, welches unendliches Leid zu ertragen hatte. Es war ein Stöhnen, das in jedem, der es hörte, tiefes Mitgefühl hervorrief. Die Contessa Donatella di Algari taumelte zurück, als hätte sie einen heftigen Schlag vor die Brust erhalten, griff mit beiden Händen nach ihrer Kehle und rang keuchend nach Atem, als würde sie jeden Moment ersticken. Noch immer konnte sie nicht den Blick von Rosarias Medaillon lösen, noch immer starrte sie auf die junge Frau – und fiel schließlich ohnmächtig in Giacomos Arme wie ein gefällter Baum.

 

Was nun geschah, hatte man in der ganzen Toskana, vielleicht in ganz Italien noch nicht erlebt.

Zunächst herrschte Schweigen. Es schien, als wäre die Zeit stehen geblieben. Niemand bewegte sich, alle waren erstarrt, als hätte eine böse Fee ihren Zauber über die Anwesenden gelegt. Doch dann reagierten alle auf einmal.

Isabella, die in ihrem weißen Verlobungskleid dastand und noch immer nicht Herrin ihrer selbst war, schleuderte heiße Blitze des Hasses auf alle und jeden. Endlich aber, als eine ihrer Hofdamen versuchte, sie tröstend in die Arme zu schließen, ging ihr das ganze Ausmaß der öffentlichen Bloßstellung auf, und sie stampfte mit den Füßen auf, wieder und wieder, als wollte sie Oliven und Weintrauben zerdrücken, dann ballte sie beide Fäuste, riss den Mund weit auf und schrie in der Art eines gekränkten Kindes so gellend, dass die Vögel in Scharen aus den Baumkronen flohen. Die Hofdame versuchte noch immer, sie zu trösten, doch Isabella trommelte unablässig schreiend auf die Brust der armen Frau ein, bis der Kaufmann Panzacchi, ihr Vater, ihr schließlich eine Maulschelle verpasste, sie am Arm nahm und wegführte. Im Gehen aber wandte sich der Florentiner an Daria, die als Einzige aufnahmefähig schien, und zischte zwischen zusammengepressten Zähnen. »Das hat ein Nachspiel. Darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

Der Conte Giovanni di Algari war von seinem Lehnstuhl aufgestanden und lachte so laut und dröhnend, dass sein fetter Wanst von der Erschütterung auf und nieder hüpfte wie ein rollendes Fass. Er lachte und lachte, schien sich schier ausschütten zu wollen vor Belustigung und begriff wohl erst beim Abgang des Kaufmanns, dass der weitere Fortbestand seiner Burg nun wieder auf das Höchste gefährdet war. Als ihm das klar wurde, eilte er dem Florentiner hinterher, zog ihn am Ärmel und versuchte, ihn und die wutentbrannte Isabella in die Burghalle zu ziehen.

Daria stand da, hielt noch immer die weiße Lilie und lächelte ein ganz feines, fast entrücktes Lächeln. Der junge Ritter eilte zu ihr und geleitete sie behutsam zurück zu ihrem Stuhl, als befürchte er, auch sie könne in den nächsten Sekunden ohnmächtig niedersinken.

Giacomo hielt seine Mutter noch immer im Arm und sprach leise auf sie ein. Doch da kam schon die alte Amme. Sie hielt der Contessa ein Riechfläschchen unter die Nase, und bald schlug Donatella di Algari die Augen auf und sah sich bestürzt um, so als wüsste sie nicht, was geschehen war. Die Amme rief ein Kammermädchen herbei und schickte sich an, die Contessa auf ihre Gemächer zu führen. Giacomo wollte ihr nach, doch die Amme erwiderte sehr bestimmt: »Lasst nur, bleibt hier. Dies hier ist eine Sache zwischen Eurer Mutter und mir.«.

Rosaria hatte die Szene vom Rande des Baldachins aus verfolgt. In ihrer Hand hielt sie die Flasche mit dem Liebestrunk, doch der Korken hatte sich gelöst, und die Flüssigkeit rann heraus, ohne dass Rosaria dies bemerkte. Mit der anderen Hand hielt sie nun ihr Medaillon umklammert, als böte es ihr Halt, und sah mit weit aufgerissenen Augen auf Giacomo.

Raffael war inzwischen zu ihr geeilt, zog an ihrem Ellbogen und herrschte sie an: »Was hat das zu bedeuten, Rosaria? Sag mir, was hier los ist!«

Doch Rosaria schüttelte seine Hand ab und antwortete nicht, sondern starrte auf Giacomo, und ihr Gesicht spiegelte größte Bestürzung, Glück und Angst in einem. Doch jetzt erschien Ambra. So schnell ihre alten Beine sie tragen konnten, eilte sie zum Baldachin und befahl Raffael: »Schnell, bringt sie weg. Führt sie zu ihrem Wagen. Sie muss weg hier, ehe Schlimmeres geschieht.«

Sie packte Rosaria auf der einen Seite am Arm, Raffael tat das Gleiche auf der anderen Seite, und dann schleiften sie Rosaria regelrecht zum Wagen der Gaukler. Im Gehen aber wandte sich Rosaria um und erblickte Giacomo, der mutterseelenallein unter dem Baldachin stand und beide Hände nach Rosaria ausgestreckt hatte. Es ist, wie mein Traum es mir vorausgesagt hat, dachte die Olivenhändlerin. Doch schon verlor sie den jungen Conte aus dem Blick, denn nun stürmten die Gäste, die auf den hinteren Bänken gesessen hatten, nach vorn, um von den Vorderen zu erfahren, was genau vorgefallen war und wer was zu wem gesagt hatte. Die Vorderen aber hatten Gelegenheit, sich aufzuspielen, und geizten nicht mit Spekulationen und Vermutungen.

»Amor hat seinen Pfeil in die falsche Richtung abgeschossen«, hörte man. Aber auch: »Sie ist eine Hexe, die Olivenhändlerin, sie hat den jungen Conte verhext.«

»Nein, sie ist die Richtige für Giacomo. Gott hat eingegriffen, als er sah, dass Giacomo im Begriff war, das Falsche zu tun.«

»Gott wollte Isabella für ihren Hochmut strafen«, wussten andere zu sagen. Doch was auch immer ein jeder dachte, in einer Hinsicht waren sich alle einig: Das, was heute hier auf der Burg der di Algaris geschehen war, war ungeheuerlich und würde für alle Beteiligten Folgen haben.