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Das Tal im vollen Licht der Nachmittagssonne, getönt mit einem kaum erkennbaren rosa Schimmer, den das schmale Band des Westhangs beitrug, das schon von der großen roten Sonne beleuchtet wurde - das Tal war schön.

Sternfahrer kennen viele Arten planetarischer Schönheit, auch wenn sie die meisten nur in Stereofilmen gesehen haben. Da gibt es aufregende und beruhigende, kräftige und zarte, kitschige und sogar bedrohliche Schönheiten unter den Planeten. Dieser hier, also wenigstens dieses Tal, war so schön, weil es so irdisch wirkte und damit eigentlich alle die genannten Arten von Schönheit in sich vereinte: Es war aufregend, sich an die Erde zu erinnern, und zugleich beruhigend, daß es hier so ähnlich aussah; kräftige Farben gab es - und eine fast unglaubliche Zartheit dieses Grases, das den Boden bedeckte, es schien ganz jung zu sein, aber das konnte freilich täuschen, da man ja die hiesige Flora und Fauna noch nicht kannte; kitschig - na ja, wer will schon sagen, was Kitsch ist, für den einen dies, für den andern das, aber etwas davon war wohl auch in der Farbzusammenstellung von Himmel, Hang und Boden zu spüren. Und bedrohlich war diese Schönheit durchaus auch. Wer es nicht gewußt hätte, der hätte doch auch wohl einen Hauch davon gespürt. Diese Erdähnlichkeit konnte zur Falle werden; wenn nämlich einmal plötzlich etwas auf sie zukommen sollte, was der Erde unähnlich war oder in falscher Ähnlichkeit harmlos erschien, aber.

Aber all das spielte jetzt keine Rolle; im Grunde genommen waren dies die Eindrücke der ersten Sekunden, als sie den Boden unter den Füßen spürten oder zu spüren glaubten, denn zwischen Fuß und Boden waren ja immer die schweren Schuhe, und zwischen Haut und Luft der Schutzanzug, und zwischen Auge und Farbe das Helmfenster.

Das ist unser gemeinsamer Boden, auf dem wir jetzt stehen! dachte Mira. Die Formulierung fiel ihr zugleich mit ihrem Doppelsinn ein, dem wortwörtlichen wie dem übertragenen. Sie dachte es mit Freude, aber auch mit einem kleinen Schuß Ironie und mit ein ganz klein wenig Bangigkeit: Würden sie immer so fest und sicher darauf stehen wie jetzt?

Und dann bemerkte sie, daß Gemma sich sonderbar bewegte. Zuerst sah sie es nur aus den Augenwinkeln, denn Gemma stand neben ihr. Aber als sie sich nun dem Gleiten und Drehen, dem Schweben, Fallen und Wiederaufrichten zuwandte, mit dem Gemma anscheinend die geringere Schwerkraft erprobte, da entdeckte sie, daß dies weit mehr als eine Erprobung war. Die Gefährtin tanzte! Und das wirkte ein bißchen komisch. Trotz des abdeckenden Schutzanzuges teilten ihre Bewegungen Freude und Anmut mit. Etwas wie freundlicher Neid regte sich in Mira. Sie selbst, das wußte sie, war zu solchen Bewegungen nicht fähig, ihre Schritte und Gesten waren immer rasch und zielbewußt, drückten Energie aus und manchmal - durchaus - Leidenschaft, aber diese Gemma - diese Gemma tanzte immer noch selbstvergessen nach einer Musik, die offenbar nur sie hörte, und plötzlich begriff Mira: Gemma war ganz und gar eins mit diesem Planeten, sie fühlte sich hier wie zu Hause, nein, besser, wie zu Hause angekommen, so, als sei dieser Planet eigens für sie gemacht, sie ergriff unmittelbar Besitz von ihm. Das nun dachte Mira schon neidlos, bewundernd, aber auch mit dem Gefühl, daß man sich das merken müsse, daß das irgendwann und irgendwie Bedeutung gewinnen könnte - und dann schwand der Zauber. Rigel nämlich, der zuerst staunende, dann begeisterte Rigel, begann zum Tanz einen Takt zu klatschen, aber einen viel zu groben, viel zu mechanischen Takt - einen taktlosen Takt, dachte Mira -, und schon verlor sich das Schweben in Gemmas Tanz, und als nun noch Toliman von drinnen sich einschaltete und über Funk aufforderte, sie sollten sich mal umsehen, breitete Gemma die Arme aus und stand. Warum, dachte Mira belustigt und doch auch grimmig, warum begreifen diese Männer nie etwas, das über ihre Maschinen und Instrumente hinausgeht? Aber dann fand sie diesen Gedanken doch zu ungerecht und wandte sich ihren Aufgaben zu. Mit Echolot und Erzhammer sondierte sie Boden und Felswände an verschiedenen Stellen, maß, sammelte Gesteinsproben und stellte schließlich am Rande des Tals in einer kleinen, natürlichen Nische, die sie sorgfältig gereinigt hatte, einen Seismographen auf.

Gemma hatte diesen Bruch gar nicht empfunden. Sie hatte einfach getan, was der Augenblick ihr eingab, hatte ihr Gefühl ausgedrückt, ohne darüber nachzudenken, und ging nun völlig zufrieden an ihre Arbeit. Der Boden hier war sehr nährstoffreich, auch durchgefeuchtet, das hatten die Analysen ergeben, und sie hatte aus der Bordkollektion die entsprechend geeigneten Samen herausgesucht, die ihnen schon bald ihre Nahrungsmittel liefern sollten. Links vom Schleuseneingang pflanzte sie eine Art schnellwüchsiger Bohnen, die Eiweiß, Fette und Kohlehydrate im richtigen Verhältnis synthetisieren würden, und rechts bereitete sie Beete für drei verschiedene Kräuter, die Vitamine, Spurenelemente und dergleichen aus dem Boden holen sollten. Das dauerte alles doch ein bißchen länger, als sie gerechnet hatte, und deshalb bat sie Rigel, ihr ein Hermetikröhrchen voll Wasser aus dem Bach mitzubringen.

Rigel nämlich, der praktische, schien von den dreien die am wenigsten bestimmten Aufgaben zu haben. Wie ziellos schlenderte er durch das Tal, hob hier ein paar Steine auf, schlug sie gegeneinander und warf sie wieder weg, wühlte dort in der Erde und hockte sich schließlich am Bach nieder, dem Lauf des Wassers zusehend.

In Wirklichkeit jedoch betrachtete er alles unter dem Gesichtspunkt, was seine Hände und Arme daraus machen konnten, wofür dies und jenes das Material sein könnte; und vor allem sah er überall in reichlichem Maße das, was ihnen fehlte: Energie. Besonders der Bach hatte es ihm angetan. Er schien zu anderen Zeiten mehr Wasser zu führen, denn er floß jetzt in einem knietiefen Einschnitt, aber das Tal selbst würde er wohl nie überfluten, immerhin entsprang er ja hier im Norden des Tals erst, wenigstens nach den Luftaufnahmen. Nach Norden zu stieg das Tal an, und wenn seine Augen ihn nicht täuschten, gab es dort eine Stelle, wo der Bach über Steine sprang.. ein kleines Wasserkraftwerk, bescheiden selbstverständlich, aber viel wenig macht viel.. einen Damm aus Schlamm und Holzgewächsen, einen Biberdamm. Gab es hier Holzgewächse? Warum gab es in diesem Tal keine Holzgewächse? »Gemma, kannst du mir sagen«, fragte er über Funk, »warum es hier keine Holzgewächse gibt?«

»Ich weiß nicht«, sagte Gemma zögernd und unschlüssig. »Ich glaube, es gibt doch welche, aber sie sind noch ganz klein.«

»Vielleicht in den Nachbartälern?«

»Ja, vielleicht.«

Rigel war mit der Antwort zufrieden, seine Gedanken sprangen schon wieder auf ein anderes Projekt über. Wind. Ihm schien, ein sanfter, gleichmäßiger Wind strich durch das Tal. Ein Windrad? Na ja, da müßte man aber erst mal eine Weile das Wetter beobachten. Und man müßte vielleicht oben messen. Er sah hinauf, ob er von hier aus die höchste Stelle auf den begrenzenden Hängen ausmachen konnte, und auch, um festzustellen, wo man am besten hinaufkommen würde. Als er es jedoch versuchen wollte und nur probeweise mit den Händen und einem Fuß den Hang anging, wo er ziemlich flach war, rief ihn Toliman aus dem Schiff zur Ordnung - das fehlte gerade noch, daß einer von ihnen sich die Knochen bräche. Und überhaupt sei nun der erste Ausflug zu beenden.

Rigel war es recht. Er würde noch viel Zeit und Gelegenheit haben, seine Gedanken in die Tat umzusetzen - ein halbes Jahr, das war zugleich eine halbe Ewigkeit! Zuerst freilich kam noch eine Woche Arbeit im Schiff. Aber was für Arbeit, und was für eine Woche! Was sie auch taten, wie sehr sie auch ihre Köpfe anstrengten, wo auch immer sie zu sparen versuchten - der Energiespiegel sank jedesmal ein bißchen langsamer, wenn sie wieder irgend etwas abgeschaltet hatten, aber er sank. Die eingefangene Sonnenenergie reichte nicht aus, den Minimalbedarf des Lebenserhaltungssystems zu decken. Reichte fast aus, fast, aber nicht ganz. Und doch, die Tage wurden länger, es war Frühling hier und jetzt, und wenn sich die Einstrahlungsdauer pro Tag verlängerte, dann vielleicht.

Dann vielleicht würde Regenwetter kommen. Oder irgendwelche zwingenden Gründe, die den Verbrauch erhöhten. Nein, es konnte nicht so weitergehen!

Das begriffen alle. Die scheinbare Sinnlosigkeit ihrer Bemühungen auf der einen und die ermüdende Gleichförmigkeit ihrer Tätigkeit auf der anderen Seite ließen Spannungen wachsen. Aber das bemerkte nur Mira, und vielleicht auch nur deshalb, weil es ihr nicht gelingen wollte, die Entfremdung zu überwinden, die zwischen ihr und Toli entstanden war. Nein, sie waren selbstverständlich nicht die ganze Woche abstinent geblieben, aber es war nicht das Rechte gewesen, flau, von freundlichen Absichten getragen, aber nicht von Begeisterung. Sie dachte daran nicht ohne eine leise Scham und mit dem unklaren Gefühl, es sei ihre Sache, den Weg für sie beide zu finden, ein Gefühl, das sich nun schon in ihr festgesetzt hatte. Ein paarmal war sie drauf und dran gewesen, mit Gemma noch einmal darüber zu sprechen, mit wem sonst hätte sie darüber sprechen sollen - aber im letzten Moment, wenn sich das Gespräch schon dem Gegenstand genähert hatte, bog sie es jedesmal ab. Warum sollte sie Gemma damit belasten? Oder war das nicht der wirkliche Grund, waren ihr Hemmungen gewachsen, dunkle, unverstandene Hemmungen, überhaupt darüber zu sprechen?

Gemma ahnte freilich an diesen Stellen ihrer Gespräche jedesmal, daß da etwas ungesagt blieb, aber sie ahnte zugleich die Spannung, die dahintersteckte, und ihr Naturell half ihr dabei, diese Wendungen in der Unterhaltung sehr schnell wieder zu vergessen. Auch sonst nahm sie von der wachsenden Spannung überhaupt nichts wahr, denn sie war zur Zeit die Hauptperson, von ihrem Urteil hing es ab, wann man aus der Enge des Schiffs und der Energienot befreit würde. Und darum nahm sie diese Aufgabe so ernst, daß nichts anderes sie interessierte; so ernst, daß mancher andere wünschte, im stillen und wider besseres Wissen, sie möchte eine etwas leichtere Hand beweisen.

Auch Rigel wünschte es, es war der seltene Fall, daß er einmal nicht ganz und voll und hundertprozentig mit seiner Gemma übereinstimmte; aber freilich war er trotzdem stolz auf ihre Gründlichkeit. Und außerdem war es noch nicht soweit, daß er nichts mehr zu tun gehabt hätte; noch immer arbeitete er diese und jene Pläne aus, machte Projekte, erkundete Möglichkeiten - und dieses Erkunden umschloß sehr viele verschiedenartige Operationen. Das Ausforschen der Luftbilder von der Umgebung - wo gab es Holzgewächse, welche Transportwege waren die einfachsten? - gehörte ebenso dazu wie das Studium historischer Technologien im Archiv. Das kostete freilich jedesmal wieder Energie, und darum gab es Auseinandersetzungen mit Toliman, aber das war schon richtig so; Toli war ja auch nicht uneinsichtig, man mußte ihm nur mit Argumenten kommen, sogar Phantasie genügte manchmal, wenn sie nur genügend konkret war. Nein, der Junge war schon richtig an seinem Platz. Zuerst hatte Rigel befürchtet, er würde ihm nicht so viel Respekt entgegenbringen können wie dem Kapitän, der ja leider krank und unerweckbar war, aber inzwischen machte er sich keine Gedanken mehr darüber.

Toliman spürte natürlich diese Einstellung Rigels, und der war für ihn sowieso die Hauptperson, auf ihn setzte er die meisten Hoffnungen, von ihm würde die Energiebilanz hauptsächlich abhängen. Denn Toliman war weit mehr mit der Zukunft beschäftigt als mit der Gegenwart. Er wußte, daß sich alle danach sehnten, auf dem Boden des Planeten zu arbeiten, den eigenen Lebensbereich auszuweiten; aber sicherlich als einziger hatte er einigermaßen konkrete Vorstellungen davon, mit welchen Entbehrungen das verbunden sein würde, und er ahnte wohl auch die Gefahr, daß diese Vorstellungen noch weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben könnten.

So übersah also auch Toliman die Spannungen, die heranwuchsen und die sich innerhalb eines einzigen Tages aufschaukelten bis zum handfesten Streit.

Es ging damit los, daß Mira, eigentlich in der Absicht, der freundlichen Gemma auch etwas Freundliches zu sagen, beim ersten Blick nach draußen feststellte: »Guck mal, Gemma, deine Bohnen sind schon fast mannshoch, toll!«

»Da setzen sie jetzt an, und in ein paar Tagen können wir ernten«, bestätigte Gemma.

»Und das Kraut, das wuchert ja direkt!«

Gemma schwieg. Mira sah sich um nach ihr und bemerkte ihren sonderbaren Gesichtsausdruck.

»Mädchen, du glaubst doch nicht, daß ich dich damit drängeln will? Ich wollte dir nur ein Kompliment machen, daß du die Samen richtig ausgewählt und bearbeitet hast!«

Gemmas Gesicht hellte sich auf. Doch obwohl es nur für einen Augenblick seinen normalen, fröhlichen Ausdruck verloren hatte - Rigel hatte es gesehen. Er warf Mira einen bösen Blick zu, der allerdings aus seinen grauen Augen und unter seiner blonden Tolle hervor eher komisch als drohend aussah.

Die Ideenbörse verlief kurz und ohne neue Vorschläge - sonst war in den letzten Tagen wenigstens Rigel immer noch etwas eingefallen, aber diesmal schwieg auch er. Danach wollte Toliman von Gemma genauer wissen, wie weit sie mit der Bioanalyse sei, und Rigel zog sich mit dem Hinweis auf dringende Projektierungen zurück.

»Die mathematischen Simulationsmodelle des menschlichen Immunsystems haben bei der Begegnung mit hiesigem Leben positiv abgeschlossen, das wißt ihr«, sagte Gemma zu Mira und Toliman, »da gibt es auch keinen Grund, den Rechner noch mal zu bemühen. Die physischen Versuchsreihen laufen planmäßig, bisher alle positiv. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Wahrscheinlichkeit, daß wir hier leben können, Null Komma neun fünf oder fünfundneunzig Prozent.« Sie sah die beiden an, ob sie etwas fragen wollten, aber da niemand etwas sagte, fuhr sie fort, denn sie wußte, das, was jetzt kam, war das eigentlich Gefragte: »Die letzte Reihe wird in vierzehn Tagen abgeschlossen sein, dann haben wir siebenundneunzig Komma fünf Prozent Wahrscheinlichkeit. Mehr bekommen wir nicht. Es bleibt eine Lücke von zwei bis zweieinhalb Prozent.«

Das letzte sagte sie mit einem Lächeln, als wolle sie sich entschuldigen, und als Mira sich ahnungsvoll umsah, fing sie wieder einen Blick von Rigel ein. Der dumme Kerl! dachte sie, drehte den Kopf zurück und zuckte mit den Schultern.

Nachmittags aber brauchte sie den dummen Kerl, da sie selbst zum apparativen Basteln zu ungeschickt war. Ihr war eingefallen, daß sie vermutlich bessere Wetterprognosen würde geben können, wenn sie einen Fesselballon mit Instrumenten aufließen, der oben auf dem Hang verankert werden könnte. Alle nötigen Bestandteile waren vorhanden - Plastfolie für die Hülle, Seile, auch Helium für die Füllung, aber wenn sie selbst den Ballon bauen würde, dann nähme ihn vermutlich der erste Windstoß mit.

Rigel war anfangs brummig, dann aber riß ihn die Arbeit mit. Sie berechneten die Tragfähigkeit - es war möglich, noch eine elektronische Weitwinkelkamera anzubringen, die das ganze Gelände des Horstgebirges erfassen konnte, mit Ausnahme des Gebietes, das hinter dem großen Berg lag. Hundertfünfzig Meter über dem Hang mußte der Ballon dazu stehen. Auch die Stromversorgung war nicht schwierig, ein normales Fotoelement genügte, um die Geräte in Betrieb zu halten und alle zwei Stunden die Werte und die Abtastung eines Fotos nach unten zu senden. Den Strom für den Empfänger konnte man von der vorgesehenen Kochanlage abzweigen, wie Gemma bestätigte. Am Spätnachmittag legten sie Toliman dann gemeinsam das Projekt vor.

»Nein«, sagte Toliman.

»Warum nicht?« fragte Rigel, und es war ein Trotz in seiner Stimme, der Toliman aufmerksam gemacht hätte, wenn er sich Rigels nicht so sicher gefühlt hätte.

»Ihr habt doch alle zugestimmt, daß wir keine zusätzlichen Energieverbraucher installieren«, sagte Toliman müde und gereizt.

»Es wird doch keine zusätzlich.«, begann Rigel, verstummte aber, weil Toliman wie ein Verzweifelter beide Arme hob.

»Jedes Fotoelement, das wir haben, auch das kleinste«, sagte er, »werden wir installieren, um Energie zu gewinnen, nicht, um sie zu verbrauchen, das ist doch alles so sonnenklar. Entschuldigt, wenn ich eben etwas gereizt war, aber ich hatte nicht gedacht, das nun noch einmal erläutern zu müssen.«

»Ich meine«, sagte Mira leise, aber fest, »daß eine bessere Wettervorhersage für uns lebenswichtig werden könnte. Auch zum Beispiel für die Abgabe des Leitstrahls.«

»Nehmen wir an«, sagte Toliman belustigt, »du könntest das Wetter sogar ganz genau vorhersagen - kannst du es ändern?«

Tolimans Belustigung kränkte Mira mehr, als scharfer Spott es getan hätte. Sie beherrschte sich aber und argumentierte weiter: »Es geht ja auch nicht nur um das Wetter. Wir müssen einfach über unsere nähere Umgebung mehr wissen.«

Hin und her ging die Rede. Mira war dabei offensichtlich im Nachteil, denn sie konnte nur mit Vermutungen und allgemeiner Sorge operieren, während Tolimans Ablehnung immer konkret begründet war. So war das Ergebnis der Debatte eigentlich schon bald voraussehbar. Wenn Mira trotzdem weiter argumentierte, dann, weil eine tiefe, echte Sorge sie dazu trieb, die sie nur bei diesem Stand der Ereignisse noch nicht in Worten ausdrücken konnte.

Daß diese Debatte dann doch anders endete, zwar mit dem erwarteten Ergebnis, aber auch mit einem ganz unerwarteten großen Krach, hatte niemand voraussehen können. Wenn Toliman sich gegen Mira oder Mira sich gegen Toliman erregt hätte, das wäre aus dem Gegenstand der Unterhaltung erklärbar gewesen, wenngleich sich die anderen doch sehr gewundert hätten. Wenn Toliman gegen Rigel oder selbst wenn Rigel gegen Mira unsachlich geworden wäre - auch das hätte sich irgendwie erklären lassen. Aber daß Rigel plötzlich Toliman anschrie, er solle sich nicht einbilden, allein alle Weisheit der Welt zu besitzen, das widersprach so sehr allen bisher bekannten Beziehungen und Absichten und Tendenzen, daß nicht einmal Rigel selbst es verstand.

Eine Weile herrschte Schweigen. Dann stotterte Rigel: »Ja, ja.. schon richtig, wir haben ja alle beschlossen.. ich weiß auch nicht, wie ich.. entschuldigt bitte.« Er stand auf. »Wenn man wenigstens nicht hier eingesperrt wäre!« setzte er hinzu, und gleich darauf, weil ihm einfiel, daß dieser Seufzer seine Gemma bedrängen würde: »Vergeßt es.«

Den ganzen Nachmittag hindurch quälte Mira sich mit Selbstvorwürfen, weil sie Toliman diesem Angriff ausgesetzt hatte, was sinnlos war, denn niemand hatte ihn voraussehen können; und mit stillen Vorwürfen gegen Toliman, weil der nichts einsah, das über eine sozusagen momentane Kausalität hinausging, aber auch das war sinnlos, denn sie war es ja, die ihn nicht hatte überzeugen können. Und vielleicht gerade, weil sie wußte, daß alle diese Vorwürfe sinnlos waren, quälten sie sie um so mehr. Am späten Nachmittag erst gelang es ihr, das alles abzuschütteln und an den Abend zu denken, den sie sich freundlicher erhoffte. Aber als sie die Trennwand hinabdrückte, wandte Toliman sich ihr zu und sagte: »Ich muß mit dir sprechen, hör zu und unterbrich mich bitte nicht. Was ich jetzt sage, habe ich mir fest vorgenommen, und nur wirklich stichhaltige Argumente könnten mich davon abbringen. Solche, die ich selbst noch nicht bedacht habe. Ich werde morgen früh den Schutzanzug ausziehen, die Schleuse verlassen und einige Tage draußen leben, die Frist muß Gemma angeben. Wenn ich gesund bleibe, folgt der nächste. Nein, sage nichts, ich weiß, was du sagen willst, aber.«

Toliman wußte keineswegs, was Mira sagen wollte, denn sie wollte diesen Abend retten und an sein schreckliches Vorhaben erst morgen denken, schließlich bestand die Gefahr, daß er dieses Experiment mit dem Leben bezahlen könnte - aber Toliman hatte sich eben gedacht, Mira würde fragen, warum gerade er, und so erläuterte er wortreich und ausführlich, warum: Für die Erfüllung ihrer Aufgabe sei er am ehesten entbehrlich, einen Navigator brauche man nicht mehr, dagegen seien die Haupt- und Nebenarbeitsgebiete aller anderen unentbehrlich, und sie, Mira, würde eine keineswegs schlechte Leiterin abgeben, und der Versuch müsse jetzt unternommen werden, jetzt und nicht später, erstens, weil es egal sei, ob die Gefahr fünf oder zwei Komma fünf Prozent betrüge, zweitens, weil man endlich eine positive Energiebilanz brauche und die nur möglich sei, wenn man das Lebenserhaltungssystem abschalten und konservieren könne, und drittens zeige ja das Verhalten von Rigel heute, daß man auch psychische Katastrophen in Rechnung stellen müsse, diese Reaktion sei nämlich aus gar keiner anderen Ursache erklärbar als aus eben diesem Eingesperrtsein, das man unterwegs nicht empfinde, das sich aber einstelle, wenn man gelandet sei und das Schiff nicht verlassen dürfe.

Mira unternahm nicht das geringste, um seinen Redefluß zu stoppen oder gar zu versuchen, Toliman umzustimmen. Im Gegenteil, nach und nach stieg eine unangenehme Gefühlsbewegung in ihr auf, und als sie genau darauf achtete, bemerkte sie, daß sie beleidigt war. Dachte denn dieser Trottel, sie würde seine Motive nicht auch ohne ein endloses Referat verstehen? Dachte er denn, sie könne keinen Stolz empfinden auf seinen Mut? Was dachte er eigentlich überhaupt von ihr? Und sie bemerkte nicht, daß sie sich damit abzuriegeln begann.

Drei Tage und drei Nächte blieb Toliman draußen. Er selbst war ruhig und ausgeglichen. Mira schlich wie ein Gespenst im Schiff umher und tat nur das Nötigste. Rigel ging es nicht viel besser, dem Aussehen nach, denn natürlich konnte er sich denken, daß sein Ausbruch Tolimans Entschluß zwar nicht verursacht, aber doch ausgelöst hatte; und außerdem litt er unter Gemmas Verhalten. Die immer Fröhliche setzte sich in irgendeine Ecke und stierte vor sich hin, dann sprang sie plötzlich auf, suchte mit fliegenden Händen in ihren Aufzeichnungen und Notizen, das automatische Protokoll und die Datenbank durften ja nicht mehr eingeschaltet werden - sie lebte in der ständigen Angst, bei ihren Arbeiten irgend etwas übersehen, irgend etwas falsch beurteilt zu haben, irgendeinen Fehler gemacht zu haben, der jetzt Toliman in höchste Gefahr bringen konnte. Zum ersten Mal erlebte sie, daß von ihrer Arbeit, ihrer vergangenen und nicht mehr korrigierbaren Arbeit, das Leben eines anderen abhing.

Toliman gab alle sechs Stunden die gemessenen Körperwerte an, am Tage spazierte er hierhin und dorthin, kehrte aber sofort um, wenn das Schiff ihn ermahnte - er wollte die Gefährten wirklich nicht noch mehr ängstigen. Immerhin, nun mußten sie sich doch langsam beruhigen, auch am zweiten Tag traten keine Abweichungen auf, nichts, was auf eine Infektion oder allergische Reaktion deutete.

Drei Tage hatte Gemma als ausreichende Frist gesetzt. Natürlich konnte es Infektionen mit längerer Inkubationszeit geben, aber ewig konnte man nicht warten. Während sich die Gefährten im Schiff nur allmählich beruhigten, war Toliman bereits am dritten Tag sicher, daß alles gut ausgehen würde. Er wußte freilich, daß dieses Gefühl der Sicherheit, bei seiner sonstigen Arbeit als Navigator und Organisator aus Erfahrung und Kenntnis erwachsend, in diesem Falle grausam täuschen konnte. Er wußte es und fand sich damit ab. Während er sonst stets Vorbild zu sein hatte und nichts riskieren durfte, was den anderen oder der Aufgabe schaden konnte - hier würde sein Risiko nur nützen, und deshalb war es auch nicht Leichtsinn, was er jetzt beschloß, sondern notwendige Konsequenz: nämlich, sich am dritten Tage von den Bohnen und Kräutern zu ernähren, die draußen angepflanzt waren.

Er begann gleich morgens damit. Das Zeug schmeckte scheußlich, und bei dem Gedanken daran, ein halbes Jahr lang davon leben zu müssen, schüttelte es ihn, aber sein Körper akzeptierte die Nahrung ebenso wie die übrige Umwelt, und mittags aß er wieder davon, ohne die Proteste aus dem Raumschiff zu beachten.

»Warum macht er das?« fragte Gemma drinnen bekümmert. »Erst müßte ich mal die Gewächse analysieren, das wäre doch nur vernünftig, oder nicht?«

»Vielleicht sind da draußen solche Strahlen, die.« Rigel vollendete den Satz nicht und ließ den Zeigefinger ein paarmal vor seiner Stirn kreisen.

Mira schüttelte den Kopf, schwieg aber. In ihr reifte ein Entschluß. Ja, sie würde es tun, sie gehörte zu Toliman. Nein, sie würde niemand danach fragen, sie war ja schließlich jetzt hier drin der Chef. Immerhin, das Risiko, das Toliman eingegangen war, hatte seine Berechtigung, ihres nicht, wenn man es genau berechnete. Aber sie war eben davon überzeugt, daß man nicht alles genau berechnen konnte. Ob man nun ganze drei Tage wartete oder eine Nacht weniger, machte tatsächlich kaum einen Unterschied.

Als alle schlafen gegangen waren, auch Toliman draußen in seinem Zelt, das er sich auf dem Boden des Tals aufgebaut hatte, verließ Mira das Schiff durch die Schleuse. Noch im Schutzanzug ging sie zum Zelt und schlug den Eingang auf. Dann setzte sie den Helm ab und begann sich auszuziehen.

Toliman unterdrückte einen Ausruf. Plötzlich trudelten seine Gefühle durcheinander: Vorwurf und Zustimmung, Ärger und Freude, ungläubiges Staunen und Begreifen.

Mira stand nackt vor ihm im letzten Dämmer der roten Sonne, sie nahm sein Gesicht in die Hände und erschrak. »Du hast ja Fieber!«

»Das ist was ganz anderes als Fieber«, flüsterte er.

Selbstverständlich war Toliman immer von der Richtigkeit seiner Anordnungen überzeugt gewesen, sonst hätte er sie selbst verworfen oder geändert. Und er war ja auch hartnäckig und beständig genug, über längere Zeit konsequent zu bleiben, wenn sich Anfangserfolge nicht einstellten - wegen dieser Eigenschaften hatte der Kapitän ihn schließlich zum Kommandanten bestimmt.

Trotzdem empfand er den zwanzigsten Tag nach der Landung als einen Tag seiner persönlichen Bestätigung, seines Erfolgs: Es war der erste Tag mit positiver Energiebilanz. Zum erstenmal hatten sie mehr Treibstoff synthetisiert als verbraucht; eine Spur mehr nur, bei weitem nicht ausreichend, aber eben doch - mehr.

Wie anders sah jetzt das Schiff aus, wie anders die ganze Wirtschaft, der Tagesablauf, die Umgebung!

Die beiden fast ebenerdigen Schleusen des KUNDSCHAFTERS waren jetzt geöffnet, wenigstens tagsüber, nachts konnten dünne Folien davorgezogen werden; man schlief trotz der erfolgreichen Erkundung im Schiff, Störungen durch hiesige Lebewesen waren immerhin nicht ausgeschlossen. Und Nachtwachen konnten sie sich nicht leisten, Arbeit gab es in den nächsten Wochen erst einmal reichlich und für alle.

Ein paar Schritte vom Schiff entfernt zum Beispiel, am Bach, stand ein Aggregat. Ein Sonnenkollektor betrieb einen Wasserkessel. Hier wurde das Wasser abgekocht für den täglichen Bedarf und auch, um eine möglichst große Reserve zu schaffen. Nächst der Luft zum Atmen war Wasser der wichtigste Stoff für die Aufrechterhaltung des Lebens. Viele Tage hatten sie unermüdlich daran gearbeitet, die Bordanlage für den ökologischen Kreislauf stillzulegen und zu konservieren. Jetzt mußten sie also für das alles - Luft, Wasser, Lebensmittel - nicht nur ständig sorgen, sie mußten vor allem ausreichende Vorräte anlegen, für den Fall, daß irgend etwas in ihrer Umgebung den normalen Ablauf stören würde. Denn sie konnten die Bordanlage nicht wieder anfahren, das würde einen zu großen Teil der Energievorräte verbrauchen.

Dieser »Teekessel« nun, wie Rigel das Aggregat am Bach respektlos nannte, lieferte alle fünfzehn Minuten etwa zehn Liter abgekochtes Wasser - ständig mußte jemand da sein, der den Kessel entleerte, neu füllte und das abgekochte Wasser ins Schiff transportierte; Rigel machte das, in den Pausen widmete er sich anderen Projekten.

Die Anpflanzung, die die nötigen Nahrungsmittel hervorbringen sollte, der »Gemüsegarten«, brauchte ebenfalls fast den ganzen Tag lang Pflege und Wartung; die programmierte Schnellwüchsigkeit lieferte zwar jetzt schon täglich Ernten, aber sie stellte auch hohe Ansprüche an die gärtnerische Betreuung. Ohne Pflege wären die Pflanzungen bald verwildert oder an Nährstoffmangel eingegangen. Dieser Garten war Gemmas Reich; manchmal ging ihr Rigel zur Hand oder auch Mira, wenn sie »den Kopf auslüften« kam.

Denn Mira war die einzige, die mit der Lebenserhaltung nichts zu tun hatte; halbe Nächte beobachtete sie den Sternenhimmel, am Tag dann wertete sie die Beobachtungen aus. Sie bekam genauso wenig Energie wie die anderen, aber sie mußte kontrollieren, daß keine unvorhergesehenen kosmischen Einflüsse den für ein halbes Jahr später errechneten Zeitpunkt und Raumwinkel des Leitstrahls falsch werden ließen. Trotz aller Vorbereitung, die Mira vor der Landung und der Abschaltung der Rechentechnik getroffen hatte, war dies ganz gewiß die ödeste und aufreibendste Arbeit an Bord; rechnen, rechnen, rechnen, und das wie die Vorfahren, mit Stift und Logarithmentafel. Kein Wunder also, daß sie sich von Zeit zu Zeit einen Ausgleich suchte, und gerade in der Gartenarbeit war Hilfe gefragt.

So kam es, daß sich wenigstens einmal am Tage alle hier einfanden, gleichzeitig und zufällig, auch Toliman, der seine Aufgabe in dieser Periode darin sah, bei allem Wichtigen dabeizusein, nicht einfach anwesend, sondern geistig vorbereitet, in der Lage, Überblick zu beweisen und Rat zu geben, wenn nötig, oder, falls das nicht nötig sein sollte, zu schweigen und schon die übernächsten Schlußfolgerungen zu ziehen oder wenigstens in Umrissen zu erkennen.

Nun also war der Tag gekommen, an dem alle Handlungen sich zum Erfolg summierten, an dem alle die kleinen Schritte plötzlich einen einzigen großen Schritt ergaben, und die Zufriedenheit, die ihn erfüllte, weckte seinen Widerspruch, weckte ihr Gegenteil, eine Unzufriedenheit, die zuerst beunruhigte und ihn dann veranlaßte, ihr einen Gegenstand zu suchen. Was war denn los? Fehlte etwas? Hatte er etwas zu berücksichtigen vergessen? Etwas Wesentliches? Eine Etappe war zu Ende, die nächste begann. Die nächste Etappe. Was würde sie charakterisieren? Welche Aufgabe mußte er stellen? Nein, da lag der Haken nicht, die Aufgabe war klar und schon gestellt, eine andere konnte es nicht geben: Vorräte schaffen - Vorräte an Energie, an Lebensmitteln, Wasser, ja, auch an Erfahrungen. Nicht immer würden vielleicht die Umstände so günstig sein wie jetzt. Umstände. Na ja, zum Beispiel das Wetter, immer Sonnenschein, da liefen die Kollektoren auf Hochtouren. Ja, das Wetter! Sie hatten schon zwanzig Tage gutes Wetter. Nun wußten sie zwar so gut wie nichts über klimatische Prozesse auf diesem Planeten, aber Wüsten gab es hier auch, das hatten sie bei den Umkreisungen gesehen, und Wüsten entstanden unter anderem doch wohl, wo unveränderte und ungehinderte Sonneneinstrahlung vorlag. Demnach - demnach mußte man damit rechnen, daß dieses für sie günstige Wetter sich ziemlich bald ändern würde, denn hier war ja keine Wüste, sondern feuchter Boden. Ja, das war es, darauf waren sie nicht genügend vorbereitet, erkannte er plötzlich. Nicht, daß sie diese Möglichkeit eines Wetterwechsels übersehen hätten, sie, oder richtiger: er, er selbst, hatte sie nicht in voller Schärfe gesehen. Was nämlich wäre, wenn die Schlechtwetterperiode, die vielleicht käme, ebenso anhaltend und dauerhaft würde wie die jetzige Schönwetterperiode? Oder noch länger? Es war doch denkbar, daß hier die Wetterwechsel seltener waren als auf der Erde, immerhin war ja der Äquator etwas weniger gegen die Ekliptik geneigt. Was also könnte geschehen, wenn so etwas einträte? Die Bohnen, das Hauptnahrungsmittel - war ihr Wachstum etwa von der Stärke der Sonneneinstrahlung abhängig? Toliman wußte es nicht, und daran merkte er, daß es notwendig war, ein gründliches Schlechtwettermodell zu erarbeiten. Wenn nämlich die Nahrung bei schlechtem Wetter langsamer wuchs, dann mußte man schon jetzt die Anpflanzung vergrößern, dann aber waren die Arbeitskräfte neu einzuteilen, Gemma mußte allen die Arbeiten im Garten beibringen, auch sie konnte schließlich einmal ausfallen, und sei es nur für kurze Zeit.

Dieser Gedanke begleitete ihn, als er hinausging, um Gemma über das Wachstum der Pflanzen zu befragen, und vielleicht fiel ihm deshalb auf, daß die junge Frau bleich aussah.

»Sehr zu bräunen scheint die hiesige Sonne ja nicht«, sagte er lächelnd.

Gemmas Lächeln war etwas mühsam. »Ich fühle mich nicht besonders, aber es ist.. nur das übliche.«

»Geh rein, leg dich hin, ich mach hier weiter.«

»Ach wo, nein«, sagte Gemma, wurde noch einen Schein blasser und sagte dann: »Ja, du hast recht.«

Unsicher ging sie ein paar Schritte, dann taumelte sie und wäre wohl zu Boden gefallen, wenn da nicht schon Rigel gestanden und sie aufgefangen hätte. Er trug sie ins Schiff.

Toliman folgte ihm und rief nach Mira. »Alles lösen, was sie beengen könnte«, sagte er, »Kopf tief lagern.«

»Ich schalte das Medicom ein!« rief Rigel.

»Nein«, sagte Toliman wie abwesend. Er war sich durchaus nicht sicher, was jetzt zu tun war, er hatte kaum Wissen und Erfahrung auf diesem Gebiet, das einzige, worauf er sich im Augenblick stützen konnte, waren die Überlegungen und Anordnungen, die er für den Fall einer eigenen Infektion hinterlassen hatte, als er damals zur Erprobung ins Freie ging.

Und eine dieser Anordnungen hatte gelautet: nicht sofort den Computer benutzen.

Für diese Anordnung war nicht nur die Überlegung entscheidend, daß der Medicom mit dem großen Computer verbunden war und also ein ziemlich hoher Stromverbrauch entstehen würde, sondern auch die einfache Tatsache, daß die Diagnose sehr zuverlässig war bei irdischen Infektionen, aber gewiß nicht bei hiesigen.

Toliman war sich freilich in diesem Augenblick, wo er angestrengt darüber nachdachte, was zu tun wäre, überhaupt nicht der Tatsache bewußt, daß Rigel alle diese Überlegungen noch nie angestellt hatte und daß er sich noch viel hilfloser fühlen mußte als Toliman. Und da Rigel außerdem sowieso schon immer befürchtete, jemand könnte seine Gemma benachteiligen, reagierte er sehr schnell und sehr heftig auf Tolimans Nein.

»Was heißt hier nein!« schrie er. »Ist dir ein bißchen Energie wichtiger als Gemma? Bist du vielleicht Arzt? Hab nur keine Angst, den Strom besorg ich euch wieder, so viel ihr wollt, aber jetzt.«

»Nein«, sagte Toliman, »wenn es nötig wird, schalten wir den Medicom sofort ein, aber jetzt halt den Mund, ich muß nachdenken!«

Einen Augenblick lang war Rigel tatsächlich still, verblüfft durch die Schärfe in Tolimans Ton und Ausdruck. Inzwischen war Mira fertig mit dem Öffnen von Gürteln und Verschlüssen und richtete sich auf. Sie sah, daß Rigel im nächsten Augenblick herauszuplatzen drohte, sie sah gleichzeitig, wie angestrengt Toliman versuchte, sich zu konzentrieren. Sie war nicht weniger hilflos als die beiden, jetzt aber konnte sie wenigstens Toliman helfen.

»Geh, hole einen Eimer kaltes Wasser aus dem Bach«, sagte sie zu Rigel. »Geh, mach schon!«

Sie hatte das in einem Ton gesagt, als wisse sie ganz genau, daß das jetzt das Allerwichtigste für Gemma sei, und Rigel, von diesem Ton zu der Hoffnung angeregt, er könne damit irgend etwas für Gemma tun, rannte hinaus. Toliman warf Mira einen dankbaren Blick zu und überlegte weiter.

Was sich in den Vordergrund drängte, etwa Schlußfolgerungen, daß man alle in Krankheitsbehandlung unterrichten müsse, schob er beiseite. Das war zwar richtig und würde nicht vergessen werden, aber jetzt brauchte er etwas anderes. Nur die assoziative Methode konnte ihm helfen. Bleich, umfallen - was bedeutet das? Irgendwo in seinem Gedächtnis schwirrten verschwommene Bilder herum, angelesen oder gesehen in historischen Filmen, Bildern, Stücken, wer weiß. Da hielten sie den Frauen immer Fläschchen unter die Nase, mit irgendwelchem Zeug, das scharf roch, aha, ja, na klar, scharfe Gerüche durchbrachen die Ohnmacht. Nur, woher sollte er so etwas hier nehmen?

Nun, erst mal sehen. Die wichtigsten Werte. Mira hatte schon ein Thermometer geholt und Gemma in die Achselhöhle gesteckt. Die Brust der Ohnmächtigen hob sich schwach, aber gleichmäßig, die Atmung war demnach in Ordnung. Der Herzschlag? Toliman fühlte den Puls: ebenfalls schwach, aber gleichmäßig.

Einen scharfen Geruch also brauchte er. Na, ganz einfach - die Verpflegungsaromen! Darunter waren auch Gewürze. Pfeffer zum Beispiel. Na eben, Pfeffer, das war bestimmt das richtige.

Toliman stand auf und ging die drei Schritte in die Küche. Ein Knopfdruck, da sprang eine Tür auf und gab das Regal mit den Aromaspritzen frei. Natürlich war der Pfeffer nicht in Naturalform vorhanden. Er nahm einen kleinen Löffel, feuchtete ihn an und spritzte auf die feuchte Höhlung ein winziges Tröpfchen der Aromasubstanz. Zuerst war gar nichts zu riechen, dann aber breitete sich ein starker, beißender Geruch aus.

Toliman hielt Gemma den Löffel unter die Nase. Sie nieste erst, und dann schlug sie die Augen auf - gerade in dem Moment, als Rigel mit dem Eimer Wasser kam.

»So etwa?« fragte Rigel und gab Gemma eine Kopfbedeckung von der Form eines sehr flachen Kegels, geflochten aus den getrockneten Halmen eines der angepflanzten Kräuter.

»Ja, genau, wunderbar«, sagte Gemma, »das brauchen wir jetzt für alle!«

Sie hatte sich sehr schnell erholt, und dann waren sie gemeinsam zu dem Schluß gekommen, die ständige, starke Sonnenbestrahlung sei die Hauptursache für Gemmas Ohnmacht gewesen.

Der von Rigel geflochtene Sonnenhut war nun freilich nicht die einzige Schlußfolgerung, und noch nicht einmal die wichtigste. Jeder mußte jeden in jeder Funktion vertreten können - das war entscheidend! Das bedeutete ein äußerst umfangreiches Lernprogramm. Zugleich aber nahmen die notwendigen Arbeiten zu. Das gute Wetter hielt an - man wußte nicht mehr, ob man darüber froh oder bedrückt sein sollte; befürchtete man doch nicht ohne Grund, daß bei einer Veränderung das schlechte Wetter dann genauso lange herrschen würde. Und die Bohnen wuchsen langsamer ohne direkte Einstrahlung!

Daraus folgte, daß man die Anbaufläche verdoppelte. Das war wiederum nur zu schaffen, wenn andere Arbeiten wenigstens zeitweilig nicht verrichtet wurden. Sie stellten Miras Beobachtungen und Berechnungen zurück. Denn bisher waren keine Abweichungen festgestellt worden, und falls sich tatsächlich etwas änderte, dann waren die Beträge so klein, daß sie erst etwa nach einem Vierteljahr meßbar würden.

Mira und Toliman arbeiteten jetzt ebenfalls voll im Garten, während Rigel alle seine Zeit, die ihm der Teekessel ließ, auf seine Erfindungen und handwerklichen Arbeiten verwenden sollte.

So sehr angefüllt mit Arbeit und Lernen waren ihre Tage, daß sie fest schliefen, im Vertrauen auf die Freundlichkeit der hiesigen Natur und selbstverständlich auch im Vertrauen auf die Festigkeit des Schiffs und der Folie, mit der nachts die Schleusen abgespannt waren.

Eines Morgens jedoch fuhren alle entsetzt hoch, als es einen Knall gab - eine Folie war geplatzt, und in die Schleuse hinein schob sich die schuppige Nase eines Tieres, das riesengroß sein mußte: Der halbe Kopf, von der Nase bis zu untertassengroßen Augen, füllte beinahe die Schleuse. Das Tier blies seinen stinkenden Atem ins Schiff.

Gemma schrie vor Schreck schrill auf - da verschwand der Kopf. Die Sonne hatte die Talsohle noch nicht erreicht, aber jetzt richtete sich das Tier draußen auf, und sie sahen im grellen Licht den massigen Körper, den langen Hals und den Kopfansatz - der Kopf selbst war von den Sonnenkollektoren oben am Schiff verdeckt, er mußte über das Tal hinausragen. Das Tier machte einige plumpe, aber schnelle Schritte rückwärts, sie sahen das alles gut, weil ja die Wände des Raumschiffs jetzt durchsichtig waren. Und dann kam der Kopf wieder herunter, ein vergleichsweise kleiner, saurierartiger Kopf, und er begann die Schoten und Kräuter abzuweiden, nein, die Reste davon, denn das meiste, so sah man jetzt, hatte das Tier offenbar schon abgefressen, als es auf die Folie der Schleusentür stieß.

»Dir werd ich!« schrie Gemma zornig und sprang zur Schleuse. »Zurück!« befahl Toliman, und Rigel brüllte: »Gemma! Bleib hier!« Gemma dagegen, eben noch zornig, lächelte schon wieder, ging aber doch in die Schleuse. »Laßt mich, das ist mein Sachgebiet. Keine Angst, ich bin nicht unvorsichtig!«

»Laß mich das machen!« bat Rigel.

»Du wärst mir dafür gerade der Richtige«, sagte Gemma.

Für Toliman war der Hinweis auf das Sachgebiet entscheidend, und er gab seine Zustimmung.

Gemma verließ nicht sofort die Schleuse, sie überzeugte sich erst, daß der tote Winkel neben dem Einstieg notfalls reichen würde, um sich schnell dem Zugriff des Tieres zu entziehen. Dann trat sie einen Schritt heraus.

Das Riesentier beachtete sie nicht, es fraß weiter die Bohnen, und Gemma beobachtete es dabei. Bemerkenswert: Das Tier rupfte nicht etwa die ganzen Pflanzen aus, sondern löste vorsichtig und sorgfältig mit einer relativ kleinen, schmalen Zunge die Früchte vom Halm, also die Schoten mit den Bohnen darin. Das überraschte Gemma. Ein so großes plumpes Tier - da hätte sie ein so differenziertes Vorgehen nicht erwartet. Offenbar war das doch so eine Art Reptil, wenn man irdische Maßstäbe anlegte. Ob es auch Eier legte? Das war jetzt unwichtig. Wichtig aber war: Das differenzierte Verhalten beim Fressen setzte die Fähigkeit voraus, Sinneseindrücke differenziert zu werten. Wie war das eben gewesen? Auf ihren Schrei hin hatte sich das Tier zurückgezogen. Würde es sich mit Schreien von der Anpflanzung vertreiben lassen? Sie schrie so laut und schrill auf, daß die drei im Schiff zusammenzuckten und Rigel sogleich einen Sprung in Richtung auf die Schleuse machte. Aber dann begriffen alle, selbst Rigel, daß der Schrei Methode war: Gemma blieb ruhig stehen, das Tier dagegen machte einen Sprung rückwärts. Es sprang natürlich nicht im eigentlichen Sinn des Wortes, dafür war es selbst bei der hiesigen geringeren Schwerkraft zu massiv; doch die Bewegungen seiner Beine waren so schnell, daß der Eindruck eines Sprungs entstand.

Aber diesmal war das Tier nicht einfach von irgendeiner Stelle zu vertreiben, die Anziehungskraft der Bohnen war offensichtlich größer als die abstoßende Kraft des Schreis. Vorsichtig kam es wieder näher.

Gemma schrie noch einmal. Wieder wich das Tier zurück, aber diesmal nicht ganz so weit. Der nächste und übernächste Schrei wirkten noch, bei allen weiteren unterbrach das Tier nicht einmal mehr das Fressen.

Das war nun freilich zu erwarten gewesen, wenn man ein hohes Niveau der zentralen Nerventätigkeit annahm. Aber Gemma war doch einen kurzen Augenblick lang verzweifelt - sollte wirklich die ganze Anpflanzung vernichtet werden? Angst vor dem Tier hatte sie nicht mehr, jetzt aber wurde sie wütend. Sie schrie mehrmals hintereinander und schlug dabei mit den Armen, fast instinktiv, um sich größer oder vielleicht überhaupt sichtbar zu machen.

Der Erfolg verblüffte alle, Gemma am meisten. Das Tier stieß ein schreckliches Zischen aus, drehte sich um und galoppierte davon. Erst in großem Abstand bewegte es sich wieder langsamer, verschwand dann aber ganz hinter einer Biegung des Tals.

Die anderen riefen Gemma ihre Glückwünsche zu und wollten ebenfalls hinausgehen, aber Gemma sagte: »Bleibt drin. Das Tier kommt gleich wieder, die Sache ist noch nicht ausgestanden.«

Sie sah sich um und pflückte dann ein paar übriggebliebene Schoten. »Habt keine Angst, wenn ich ihm ein Stückchen entgegengehe. Das Tier ist gutmütig, ich will es zähmen und dann an uns gewöhnen. Laßt euch inzwischen mal etwas einfallen, wie wir hohe Töne erzeugen können, ohne daß wir uns die Kehle aus dem Hals schreien!«

Gemma ging ungefähr zehn Schritte in die Richtung, in der das Tier verschwunden war, und setzte sich hin.

Rigel hatte den Kopf geschüttelt, dann war er zur Decke geklettert und hatte dort etwas gesucht. Jetzt kam er zurück und brachte vier Handstrahler mit.

»Die haben wir ja auch noch!« sagte er, und der Ton war deutlich drohend.

»Pack sie wieder weg«, sagte Toliman, »die werden nicht benutzt.«

»Warum nicht!« begehrte Rigel auf. »Du hattest sie doch längst vergessen, also kommst du auch ohne sie aus!«

»Oh ich hatte sie bestimmt nicht vergessen«, sagte Toliman ruhig. »Sie sind unsere eiserne Energiereserve. Das heißt, ihre Ladung und die Zweitladung.«

»Du siehst doch«, sagte Mira spöttisch, »daß Gemma mit ihrem Biest zurechtkommt, besser als irgendeiner von uns.«

Plötzlich fiel ihr ein, wie sie ihn packen könnte. »Deine alberne Sorge um sie macht Gemma nur kleiner, begreifst du das nicht? Vielleicht brauchst du viel eher mal Gemmas Schutz als sie deinen!«

Ohne ein Wort, aber sichtbar verdrossen kletterte Rigel wieder hinauf, um die Strahler fortzupacken.

Inzwischen hatte es sich erwiesen, daß Gemma recht gehabt hatte: Nach einer Weile hatte das Tier den Kopf um die Ecke gestreckt, und nun kam es langsam und zögernd näher, verhielt oft, hob den Kopf hoch hinauf, senkte ihn wieder bis zur Erde, als wolle es sich aus verschiedenen Blickrichtungen davon überzeugen, daß keine Gefahr bestand. Womit hatte Gemma das Riesentier nur so erschreckt? Ob es natürliche Feinde hatte, an die ihr Schrei oder ihre Armbewegungen es erinnert hatten? Aber was konnten das für Tiere sein, vor denen ein solcher Riese sich fürchtete? Nun, das ließ sich im Augenblick sowieso nicht klären, jetzt kam es erst einmal darauf an, ein stabiles Verhältnis zu dem Ungeheuer zu schaffen. Es einfach abzuschrecken, genügte nicht, es konnte ja jederzeit wiederkommen, offenbar auch nachts, und keiner konnte wissen, wie lange diese Methode der Abschreckung noch, wirksam war. Das Tier lernte anscheinend ziemlich schnell. Nein, man mußte sich sozusagen mit ihm gut stellen. Und wenn es ein ganzes Rudel seiner Art hinter sich herzog? Nein, das wohl kaum, die Natur hier lieferte sicherlich nicht genügend Nahrung für ein Rudel, höchstens für ein einzelnes Tier oder auch für ein Paar, falls es auf diesem Planeten Geschlechter gab; was immerhin wahrscheinlich war, denn ohne Geschlechtertrennung und - vereinigung mit ihren genetischen Vorteilen hätte sich höheres Leben wohl nicht durchgesetzt.

Wie kam das Tier überhaupt hierher, und warum kam es erst jetzt, so lange nach ihrer Landung? Nein, die Landung konnte nichts damit zu tun haben, die Ursachen mußten in der hiesigen Natur liegen. Vielleicht setzte jetzt die Periode ein, wo sein natürliches Futter heranwuchs? Aber wo? Das Tal hatte nur spärlichen Grasbewuchs, aus dem allerdings hier und da nun doch schon etwas höhere Triebe herausragten. Ob es in den Nachbartälern genauso aussah?

Vielleicht aber wanderten diese Tiere auch mit der Jahreszeit? Zweifelhaft. Für große Wanderungen war dieser Körper wohl kaum geeignet. Oder war der Sumpf im Osten die Heimat dieser Tiere, und das eine hier war auf der Suche nach Nahrung nur etwas weiter gestreift? Oder war es schwächer als die Artgenossen und von ihnen verdrängt worden?

Langsam, immer noch zögernd, immer noch mit gelegentlichen Rückzügen um einige Meter, kam das Tier näher. Gemma betrachtete es jetzt ohne Aufregung. Es war gar nicht so fürchterlich groß, wie es ihr zuerst erschienen war. Und auch nicht so plump. Der Rumpf war etwa zwei Meter hoch und drei Meter lang, die Beine waren kurz und krumm, aber in Proportionen zum Körper beinahe schlank, und sie endeten in krallenbewehrten Füßen. Das Tier hatte einen Schwanz, der für Gemmas irdisches Formgefühl überhaupt nicht zu ihm paßte: ein langes, dünnes und sehr bewegliches Organ, wie es viele irdische Säugetiere haben. Das Ungewöhnlichste aber war der lange, dünne und anscheinend ziemlich steife Hals, der das Tier so groß erscheinen ließ. Die grüngraue Haut hatte hier und da gelbliche Flecken.

Hinter sich hörte Gemma rufen. Sie sah sich schnell um und erblickte Rigel, der vor der Schleuse stand und winkte; er hielt irgend etwas Blinkendes in der Hand.

»Eine Pfeife für die hohen Töne!« rief er.

Gemma sah sich um. Sie freute sich, daß Rigel so schnell etwas gefunden oder gebaut hatte, denn das würde ihr Vorhaben wesentlich erleichtern. Jetzt sah sie, daß auch die Stelle, an der sie stand, gut gewählt war. Ein paar Schritte rechts vor ihr lag, Ausnahme in diesem Tal, ein größerer Felsbrocken im Grase. Ja, das war eine gute Markierung zum Abrichten. Und eine Deckung für Rigel. Sie zeigte mit dem Arm hinter diesen Block und nickte Rigel zu. Der begriff sofort und benahm sich auch sehr geschickt: Er ging vorsichtig seitwärts vom Eingang fort und schlich sich dann so hinter den Block, daß das Tier ihn kaum gesehen haben konnte.

Gemma flüsterte: »Hör zu, Rigel, und halte dich genau an das, was ich dir sage. Was auch passiert, du hast nur eine Aufgabe - sobald das Tier die gedachte Linie überschreiten will, die von diesem Block quer zum Tal bis zur anderen Seite geht, dann pfeifst du in kurzen Stößen. Sobald das Tier sich zurückzieht, hörst du wieder auf, egal, was ich mache.«

»Klar.«

Gemma fühlte sich, da sie Rigel in der Nähe wußte, gleich stärker, und sie wurde sich wieder einmal ihrer fröhlichen Liebe bewußt. Nein, so wie Toli und Mira lebten, hätte sie nicht mit ihrem Mann zusammenleben mögen. Manchmal taten ihr die beiden beinahe leid, obwohl sie älter waren. Aber vielleicht brauchten sie diese Spannungen zwischendurch, es sollte ja so etwas geben, die Menschen waren eben verschieden.

Es störte Gemma überhaupt nicht, daß ihr das alles gerade jetzt durch den Kopf ging. Was sie zu tun hatte, wußte sie, und den richtigen Augenblick dafür mußte sie mehr intuitiv erkennen, allenfalls konnte sie versuchen, die Bewegungen des Tieres zu werten.

Ja, jetzt war es nahe genug heran. Gemma trat zwei Schritte vor, legte eine Schote auf den Boden und zog sich wieder hinter ihre gedachte Linie zurück.

Das Tier watschelte heran und senkte dabei den Kopf fast bis auf die Erde. Die Nase schnüffelte hin und her. Auf kurze Entfernung scheint es besser zu riechen als zu sehen, dachte Gemma. Dann aber kam die lange, schmale Zunge aus dem Maul hervor, ringelte sich um die Schote, nahm sie auf und führte sie ins Maul.

Das Tier mochte Gemma als die Quelle des Leckerbissens identifiziert haben, denn es wollte sich ihr jetzt weiter nähern. Dabei überschritt es die gedachte Linie, und Rigel pfiff. Die Wirkung war enorm, viel stärker als vorhin bei Gemmas Schrei. Nie hätte Gemma diesem Tier eine so schnelle Bewegung zugetraut wie die, mit der es sich jetzt zehn, fünfzehn Meter zurückzog. Sie war dem Tier fast dankbar, daß es nicht ganz und gar Reißaus genommen hatte.

Gemma ging ihm ein paar Schritte entgegen und hielt eine Schote mit der Hand hoch. Der Wind wehte von ihr zum Tier, es mußte also die Schote riechen können, falls es sie nicht sehen konnte. Dabei redete sie mit normaler Altstimme in einem beruhigenden Tonfall auf das Tier ein.

»Nun komm doch schon, komm, und nimm dir das schöne Freßchen, siehst du, hier, so eine schöne Schote.«

Und tatsächlich, Gemmas Stimme schien beruhigend zu wirken, das Tier kam langsam heran.

Gemma legte die Schote auf den Boden und trat diesmal nicht zurück, sondern nur einen Schritt beiseite.

Das Tier näherte sich so weit, daß es mit ausgestrecktem Hals und Kopf gerade die Schote erreichen konnte. Wie es Gemma schien, drückte die Haltung der Beine nicht Fluchtbereitschaft aus, sondern eher das Bestreben, den massiven Körper in einigem Abstand zu halten. Plötzlich fiel Gemma ein, daß sie irgendwo einmal gelesen hatte, auf der Erde benähmen sich manche großen Tiere, zum Beispiel Delphine, zu den Menschen wie zu ihren eigenen Nachkommen. Sollte sie vielleicht bei diesem Tier ähnliche Instinkte auslösen? Diese Überlegung gab ihr Vertrauen; auch die Haltung des Tieres, das mit ungeheurer Vorsicht den Kopf auf die Schote zustreckte und sie ganz sacht mit der Zunge aufnahm, festigte ihr Zutrauen. Sie war sich im klaren darüber, daß das, was sie jetzt vorhatte, für die andern, die weit entfernt waren und ein solches Zutrauen noch nicht haben konnten, eine starke Nervenbelastung darstellte, und sie winkte ihnen deshalb beruhigend zu.

Dann legte sie eine Schote auf die flache Hand und hielt sie dem Tier entgegen.

Merkwürdigerweise war Rigel diesmal gar nicht aufgeregt. Gemmas Sicherheit hatte sich ihm wohl in ihrem Mienenspiel und in der Ruhe ihrer Bewegungen mitgeteilt. Außerdem war ihm klar, daß seine Aufregung sie nur gestört und damit vielleicht gefährdet hätte.

Toliman dagegen, der mit Mira im Schiff geblieben war, fragte ärgerlich: »Warum tut sie das, warum bringt sie sich in Gefahr?«

»Ich glaube, sie weiß, was sie tut«, sagte Mira ruhig.

Das brachte Toliman noch mehr auf. »Sieh dir das doch an, sie spielt mit dem Vieh, als ob sie ein Kätzchen vor sich hätte! Das ist doch kein Plüschtier!«

»Du machst einen Fehler«, sagte Mira so betont ruhig, daß sie Toliman zum Überlegen zwang. »Du darfst in Gemma nicht immer nur das kleine Mädchen sehen, das uns ein freundliches Lächeln auf das Gesicht zu zaubern hat.«

»Das ist doch kein Augenblickseinfall von dir«, forschte Toliman, »da steckt doch mehr dahinter?«

»Richtig, es steckt mehr dahinter. Aber jetzt laß uns zusehen.«

Das Tier hatte sich fast den Hals verrenkt, um Gemma mehrmals von rechts und links, von oben und unten zu beäugen. Jetzt brachte es ganz vorsichtig den Kopf vor Gemmas Hand und schnupperte. Gemma sah deutlich, wie sich die Nüstern bewegten.

Und dann kam die Zunge heraus, vorsichtig, sehr langsam, stieß gegen ihre Hand, schnellte zurück, kam noch einmal, jetzt über die Handfläche, ringelte sich um die Schote und nahm sie herunter, fast ohne den Handteller zu berühren.

Erstaunlich, wie präzise dieses unförmige Tier winzige Bewegungen ausführen konnte! Auch die Berührung war nicht unangenehm gewesen, Gemma hatte das Gefühl von etwas Warmem, Zottigem gehabt.

Jetzt warf das Tier den Kopf hoch und stieß eine Art Zischen aus. Es ähnelte dem Geräusch, das sie schon anfangs gehört hatte, aber diesmal schien es ihr freundlich.

Nun muß es noch lernen, daß es über diese Linie nicht gehen darf, dachte Gemma, dann reicht’s für heute. Jetzt erst fiel ihr ein, daß sie ja damit auch Toliman und die anderen überzeugen mußte, es sei das Beste, das Tier nicht zu vertreiben, sondern zu zähmen. Argumente dafür hatte sie schon, aber das wichtigste war doch der Nachweis, daß das überhaupt möglich war.

Sie drehte sich um und ging in Richtung Raumschiff. Ein Blick über die Schulter zeigte ihr, daß das Tier sich anschickte, ihr zu folgen. Drei, vier kurze Pfiffe von Rigel trieben es zurück. Gemma lächelte - immer, wenn Rigel mit ihr zusammen handelte, begriff er sehr schnell, was er tun sollte.

Sie drehte sich um. Diesmal war das Tier nicht so weit zurückgewichen. Offenbar war sein Verhalten nicht ausschließlich von dem einen Signal bestimmt, und wenn darauf folgende andere ausblieben, registrierte es wohl, daß dieses Hauptsignal allein in dieser Umgebung nicht oder nicht ganz seine sonstige Bedeutung hatte. Der bedingte Reflex wurde schnell abgebaut, das wies auf eine hohe Lernfähigkeit hin.

Als Gemma die gedachte Linie überschritten hatte, kam das Tier auf sie zu. Wieder hielt sie ihm eine Schote auf der flachen Hand hin, wieder nahm das Tier die Schote mit der Zunge von der Hand, diesmal aber schon aus geringerer Entfernung. Wieder drehte Gemma sich um, ging ein paar Schritte, wieder folgte das Tier, wieder pfiff Rigel, wieder ging das Tier zurück - und legte sich hin, den Hals mit ausgestrecktem Kopf flach auf den Boden gestreckt!

Einen Augenblick war Gemma verwirrt - das Tier hatte von sich aus dem Spiel neue Momente hinzugefügt, eine kaum glaubliche Leistung!

Doch dann erkannte sie, daß sie jetzt vor allem diese neuen Momente aufnehmen mußte, das war das wichtigste.

Sie ging also auf das Tier zu. Beim ersten Schritt hatte sie noch keine Vorstellung, was jetzt geschehen sollte, beim letzten Schritt wußte sie es genau. Die Gedanken, Vorstellungen und Einfälle kamen ganz leicht und selbstverständlich, so, als seien sie aus umfangreichem Wissen und langer Erfahrung abgeleitet und nicht, wie in Wirklichkeit, unerhört kühne und wagemutige Gedankensprünge, riskante Folgerungen, die sich über weite Strecken ganz unbekannter Zusammenhänge hinwegsetzten.

Wenn ich wirklich den Instinkt auslöse, der dem Jungtier zugewandt ist, dachte sie, dann ist diese jetzige Haltung eine Aufforderung, auf die es im Jungtier eine instinktive Antworthaltung geben muß. So weit, so klar. Diese Handlungskette muß aber auch einen grundlegenden Sinn haben, sonst wäre sie nicht im Instinkt festgelegt. Was also? Ernähren wohl nicht, es ist ja kein Säugetier, Oder vielleicht Transport? Möglich. Ja, dann ist die Aufforderung darauf gerichtet, das Tier zu erklettern. Wo? Am Rumpf kaum, dann brauchte es nicht den Hals auf den Boden zu legen. Also irgendwo an Hals oder Kopf. Ja, da ist eine Stelle, die fast wie ein Sattel wirkt, gleich hinter dem Kopf. Ob das alles stimmt? Ich muß es probieren. Nein, auf keinen Fall wird mir das Tier etwas tun, es kann ja so behutsam sein. Also - probieren wir’s. Mut, Mädchen!

Sie setzte sich mit einem Schwung auf den Hals, unmittelbar hinter den Kopf des Tieres. Wenn sie jetzt ein Jungtier wäre, würde sie wohl den Hals ausstrecken und - ja, da vorn war so etwas wie eine Hautfalte, in die das Jungtier beißen konnte. Gemma streckte die Arme aus und griff mit beiden Händen fest zu. Was würde nun geschehen?

Langsam, ganz langsam hob das Tier den Kopf; einen Meter über dem Boden verhielt es eine Weile, dann senkte es den Hals wieder. Ja, auch Jungtiere mußten offenbar erst lernen, fest zu sitzen, oder mußten langsam an die spätere Höhe gewöhnt werden.

Das Spiel war zu Ende. Gemma stieg ab, mehr aus spielerischem Bedürfnis als aus Überlegung kraulte sie dem Tier die Hautfalte. Da schnaubte es, und wieder hatte Gemma bei aller Überraschung über diese neue Lautäußerung das sichere Gefühl, das sei ein Ton der Befriedigung.

Jetzt erst fiel ihr ein, wie die anderen um sie gebangt haben mochten. Das machte sie zwar für den Augenblick fast ein bißchen traurig, aber da sie es nicht mehr ändern konnte, und der Anlaß zu Befürchtungen nun ja nicht mehr gegeben war, winkte sie allen zu und ging in Richtung Schiff.

Wieder folgte ihr das Tier, aber diesmal blieb es von selbst stehen, Rigel hatte keinen Grund zu pfeifen.

Das Tier warf den Kopf in die Höhe, drehte sich um und ging gemächlich das Tal hinauf.

Rigels Gesicht war schweißüberströmt, als er auf sie zukam. »So«, sagte Gemma im allergewöhnlichsten Ton, »das müssen wir nun in den nächsten Tagen noch festigen.«

Vorwürfe hatte Gemma nicht bekommen, aber es war ihr auch keineswegs leicht geworden, ihre Auffassungen darüber durchzusetzen, wie man sich zu dem Biest verhalten müsse.

Übrigens bürgerte sich in der Diskussion diese Bezeichnung Biest für das große Tier ein. Sie war so praktisch: Man konnte sie ärgerlich, ironisch, freundlich und sogar ein bißchen zärtlich intonieren, jeder, wie er wollte.

Es war ein harter Schlag, den das Biest ihnen zugefügt hatte, darüber waren sich alle einig. Das Biest hatte fast alle Schoten und Kräuter abgeweidet. Eine Woche würde vergehen, ehe sie wieder ernten konnten. Sie hatten freilich schon Vorräte, aber Toliman setzte mühelos durch, daß diese Vorräte soweit wie möglich geschont werden sollten. Jeder verstand, daß sie eine Garantie für ihr Überleben auf diesem Planeten darstellten, und jeder stimmte auch sofort zu, daß während dieser Woche die Rationen auf eine Mahlzeit täglich herabgesetzt wurden, wenn auch noch keiner wußte, was Hunger - oder sagen wir: heftiges Eßbedürfnis - eigentlich war.

Streit gab es erst, als Gemma mit ihrer Forderung herausrückte, daß auch das Biest seine tägliche Ration erhalten müsse. Rigel stimmte ihr natürlich zu, aber mehr aus Prinzip als aus Einsicht, und Mira neigte dazu, in dieser Sache Gemmas Gefühl mehr zu trauen als den besten Argumenten dagegen, aber sie hielt sich zurück, weil blinde Zustimmung einer Sache nur schaden kann, wenigstens in dem Augenblick, in dem darüber gestritten wird. Toliman jedoch begriff zunächst überhaupt nicht, welche Gründe und Motive Gemma hatte; er hielt ihre Forderung wohl für das Ergebnis einer verspielten Tierliebe. Gemma wiederum konnte und wollte nicht leugnen, daß das Biest ihr gefiel und daß sie schon eine innere Beziehung zu ihm hergestellt hatte.

Immerhin aber zwang Tolimans Ablehnung sie dazu, ihre noch unklaren und verschwommenen Vorstellungen deutlicher zu formulieren. Sonderbar, sie empfand diese Streitsituation gar nicht als so unangenehm, wie sie befürchtet hatte. Gewiß, sie mochte Streit überhaupt nicht, aber wenn es nun schon einmal einen gab, dann wollte sie ihn so schnell wie möglich hinter sich bringen, und eben dazu brauchte sie treffendere Formulierungen, und also würde sie sie auch finden. Nicht einmal für einen Augenblick aber kam ihr der Gedanke, Toliman könne sie überzeugen, statt sie ihn.

So erlebte sie es denn, was jeder naive Debattierer erlebt: Je genauer sie formulierte, um so fester überzeugte sie sich selbst, und mit dieser Überzeugung wuchs auch die Sicherheit, daß es den andern ebenso gehen müsse. Das war doch alles klar - daß man das Biest zähmen müsse, denn wiederkommen würde es in jedem Fall, und vielleicht nicht einmal allein; daß man über das Biest einen nützlichen und gut kontrollierbaren Kontakt zur hiesigen Fauna bekäme, denn es gehöre offenbar zu den höchstentwickelten Tieren, es könne sie auch schützen oder wenigstens Gefahren anzeigen; daß eine ganze Herde solcher Biester zweifellos den KUNDSCHAFTER gefährden könne, der ja ohne das Schutzfeld nicht mehr Stabilität als eine Blechbüchse habe, daß.. und daß.. und daß..

Nun war es keineswegs so, daß alle diese Argumente Toliman überzeugt hätten, obwohl sie ihn selbstverständlich nachdenklich machten. Aber im Gegensatz zu Gemma sah er sehr genau, daß sie Rigel und vor allem auch Mira überzeugten. Gegen Sympathieerklärungen hätte er seine Auffassung durchgesetzt, sogar gegen Miras etwas verschwommenes Zutrauen zu Gemmas Fähigkeiten. Aber wenn alle andern überzeugt waren und er selbst schon schwankte, dann wäre es Borniertheit gewesen, auf einem Standpunkt zu beharren, nur weil er der allgemeinen Situation besser zu entsprechen schien.

Es war ihm jedoch nicht unrecht, daß er seine Zustimmung noch etwas hinauszögern konnte, weil die Diskussion begonnen hatte auszuufern. Gemma hatte erwähnt, daß es überhaupt geraten sei, sich etwas mehr um die hiesige Flora und Fauna zu kümmern, beispielsweise festzustellen, ob in den Nachbartälern die gleichen sonderbaren Wachstumsverhältnisse - nur gleichaltrige Pflanzen - und die gleiche Armut an niederen

Tieren herrsche. Rigel hatte das Thema sofort aufgenommen und erklärt, man könne aus dem Tal noch viel mehr herausholen, aber dazu brauche er Baustoffe, am besten Holz, und das müsse es ganz gewiß irgendwo geben, irgendwo in der Nähe, meinte er, nicht erst jenseits des Gebirges; man könne vielleicht eine Talsperre bauen oder auch einen Ofen betreiben, falls mal schlechtes Wetter für längere Zeit das Kochen mit Sonnenenergie verhindere, und so gut seien die Bohnen ja auch nicht, daß man sie roh herunterwürgen möchte.

Toliman kamen diese Ausweitungen deshalb zupaß, weil sie ihm Gelegenheit boten nachzugeben, von seinem Standpunkt abzulassen und trotzdem wenigstens zum Teil seinen Willen durchzusetzen, seine Konzeption zu wahren. Was Einzelheiten betraf, gut, da konnte er sich irren, da konnten die andern ihn überzeugen; aber seiner Grundlinie war er sich absolut sicher, nämlich, daß jedes Hinausgehen über die unmittelbare Umgebung, das Tal, nur höheren Energieverbrauch und unnötiges Risiko mit sich bringen würde. Er bezweifelte durchaus nicht, daß es jenseits des Tals manches Nützliche geben könnte; er befürchtete nur, daß da ebenso viel oder noch mehr Belastendes zu finden sein würde, oder vielmehr: zu bestehen, zu überwinden. Allein die Tatsache, daß man das vorher nicht wissen konnte, bedeutete, daß ein solcher Vorstoß die errungene Stabilität aufs Spiel setzen würde, und eben das durfte auf keinen Fall geschehen - so Tolimans Überzeugung und dementsprechend auch sein Verhalten in der Auseinandersetzung.

Deshalb griff er erst in die Diskussion ein, als er spürte, daß auch Mira sich der Forderung nach Ausweitung des Operationsfeldes anschließen wollte. Daß das auf ihrer Linie lag, wußte er spätestens seit dem Ballonobjekt, und wie sie aussah, wenn ein Entschluß in ihr reifte, wußte er auch. Das Gesicht wurde etwas starr, und die Augen begannen zu funkeln. Das war eben jetzt der Fall, und deshalb kam er ihr zuvor, absolut nicht im Widerspruch mit seinen Empfindungen für sie, im Gegenteil, er hielt sich noch etwas darauf zugute, daß er sie nicht in eine unhaltbare Position schlittern ließ - so sah er es jedenfalls, als er sagte: »Vielleicht habt ihr recht, und es ist wirklich nützlich, das Biest an uns zu gewöhnen. Vielleicht läßt es sich sogar abrichten. Zur Arbeit für uns. Oder zu unserem Schutz. Was meinst du, Gemma?«

Er hatte genau den richtigen Punkt getroffen, um die Debatte in die gewünschte Richtung zu lenken. Jetzt sprach Gemma, erfreut, eifrig, Gedanken entwickelnd; Rigel nickte dazu, und Mira sagte nichts. Einen Augenblick lang fragte sich Toliman, ob er nicht schon zu virtuos auf der Klaviatur ihrer Beziehungen spielte, aber er schob die Frage beiseite - wenn man etwas durchsetzen will, muß man, darf man sich nicht von solchen Erwägungen ablenken lassen, dachte er.

»Also gut«, schloß er die Debatte ab, »das Biest wird in den Haushalt aufgenommen, mit einer Schote und einer Handvoll Kräuter täglich. Ziel soll sein, daß es uns hilft, und vor allem, daß es gegebenenfalls die Talausgänge verteidigt gegen irgendwelche Gefahren, die uns von draußen bedrohen könnten. Damit entfällt dann wohl auch für uns die Notwendigkeit, das Tal überhaupt zu verlassen.«