EPILOG

„Harley June bist du dir sicher, dass du das hier wirklich machen willst?“

Harley lächelte ihre Mutter an und tätschelte ihr die Wange, während sie auf das Erscheinen des Pastors warteten.

„Ja, Mama, ganz sicher.“

Marcie zwang sich zu einem Lächeln, obwohl ihr eigentlich eher nach Schreien zumute war.

„Es ist bloß so … so …“

„Kitschig. Das Wort heißt kitschig, Mama.“

Marcie stieß einen Seufzer aus. „Ja. Nun ja, du weißt bestimmt, was das Beste ist.“

Harley schmunzelte. Ihre Mutter war in den vergangenen Monaten einen weiten Weg gegangen, wie sie alle. Charlie hatte durch den Brand eine Gehirnerschütterung erlitten, sich aber schnell wieder davon erholt. Der Junge, den er und Sam gerettet hatten, lebte und war auf dem Weg zu vollständiger Genesung. Das Baby in Harleys Bauch war gesund und sollte einen Tag vor dem Valentinstag zur Welt kommen. So wie Harley die Sache sah, konnte sie es sich ohne Weiteres leisten, ihrer Mutter gegenüber ein wenig nachsichtig zu sein.

Und sie musste zugeben, die Love-me-Tender-Hochzeitskapelle ließ eine Menge zu wünschen übrig. Sie war ein Mischmasch unterschiedlichster architektonischer Albträume – irgendwo zwischen Little House on the Prairie und The Best Little Whorehouse in Texas. Künstliche Plastikblumen hingen von den rustikalen Dachbalken in der kleinen Kapelle, und neben der Kanzel standen zwei künstliche Säulen, umwunden mit bunt blinkenden Lichterketten. Über der Kanzel hing ein grell leuchtendes Neonkreuz, während die Kanzel selbst in purpurfarbenen Satin eingehüllt war, an der Vorderseite bestickt mit einem Bild von Elvis.

Sam stand vorne, die Hände in den Hosentaschen, und war in ein Gespräch mit Harleys Vater vertieft. Die beiden Männer hatten sich von Anfang gleich gemocht, und dass ein Enkelkind unterwegs war, hatte ihre Verbindung noch mehr verstärkt. Seit jenem Tag, als Sam seiner Schwiegermutter eine Standpauke gehalten hatte, weil sie Harley zum Weinen gebracht hatte, umschmeichelte Marcie ihn mit selbst gebackenem Kuchen.

Das Baby strampelte, und Harley legte die Hand auf ihren Bauch.

„Geduld, mein Kleines!“, sagte sie sanft. „Wir warten noch auf den Prediger.“

Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, begann die Musik. Die wohlbekannten Klänge von Love me Tender durchdrangen jeden Winkel im Raum.

„Es geht los“, meinte Harley und klopfte ihrer Mutter auf den Rücken.

Mitten im Refrain gab es einen lauten Knall am Altar, gefolgt von einer Rauchwolke, durch die der Prediger erschien – vollständig gestylt mit schwarzem Haar, Koteletten und in einem weißen Satin-Overall. Mit einer schwungvollen Gebärde ließ er seinen bestickten Talar theatralisch flattern, einem ausrangierten Vampir nicht unähnlich, und stimmte aus voller Kehle in den Song mit ein.

„Du liebe Güte!“, murmelte Marcie und warf ihrer Tochter einen nervösen Blick zu.

„Mutter!“, sagte Harley warnend.

„Ich bin nur verblüfft, das ist alles“, gab Marcie zurück, die es Mühe kostete, sich zusammenzureißen.

Sam fing Harleys Blick auf und zwinkerte ihr zu. Sie verkniff sich ein Lachen und zwinkerte zurück. Das war es also, woran sie sich nicht mehr erinnern konnte. Kein Wunder.

„Mutter, es ist so weit“, erklärte Harley.

Marcie hielt ihren Brautjungfern-Strauß fest an sich gepresst und reckte das Kinn.

In diesem Augenblick sah Harley im Geiste vor sich, wie ihre Ururgroßmutter Devane auf den Stufen ihres Plantagengutshauses stand und General Sherman dafür ohrfeigte, dass er über ihren Hof ritt. Die Südstaatlerinnen hatten schon etwas für sich, abgesehen von ihrer gepflegten Sprache und den untadeligen Manieren. Sie besaßen ein stählernes Rückgrat.

Marcie schritt den Mittelgang entlang, auf den hüftschwingenden Pastor zu. Anstatt einer Handvoll Margeriten hätte sie in diesem Augenblick lieber eine Pistole bei sich gehabt. Zu ihrer Erleichterung endete der Song, und der Pastor stand still, als sie den Altar erreichte. Sie schaute erst zu Sam, dann zu Dewey, und seufzte. Die beiden lächelten doch tatsächlich. Männer hatten einfach keinen Sinn für Schicklichkeit.

Nun wurde der Hochzeitsmarsch gespielt, und zwar in einer Lautstärke, dass die Wände wackelten. Alle wandten sich um und blickten zum Mittelgang.

Harley, die einen Strauß aus weißen Rosen vor ihrem gewölbten Bauch trug, kam auf sie zu. Der Saum ihres rosa Umstandskleides umspielte sanft ihre Knie, und Sam schien das Herz zu bersten. In diesem Moment zählte nichts anderes mehr. Er hatte alles, was er sich wünschte.

Und dann hielt Harley seine Hand und lächelte ihn an, während sie sich dem Prediger zuwandten.

Die Worte kamen und gingen, genau wie schon einmal zuvor, und später merkte Harley, dass sie sich auch diesmal nicht daran erinnerte, Sam ihr Eheversprechen gegeben zu haben. Alles, was sie sehen konnte, war die Liebe in seinen Augen, und alles, was sie hörte, war das Pochen ihres Herzens.

Plötzlich warf der Prediger die Bibel auf die Kanzel und erhob beide Arme zur Decke.

„Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau!“, rief er. „Ich danke Ihnen vielmals.“

Dann ertönte auf einmal You Ain’t Nothin’ but a Hound Dog aus den Lautsprechern. Mit einem wilden Blick sah sich der Prediger um und stürmte nach hinten, wo sich die Musikanlage befand.

Dewey schnaubte.

Marcie schnappte nach Luft und ließ ihren Strauß fallen.

Harley brach in schallendes Gelächter aus.

Sam nahm sie in die Arme und küsste ihren lachenden Mund, wobei er sich bemühen musste, nicht zu weinen.

Heute war der verdammt beste Tag seines Lebens.

– ENDE –