1. KAPITEL

Harley June Beaumont war schon seit mindestens fünf Minuten wach, hatte aber noch immer nicht die Kraft, sich zu bewegen. Sie konnte nicht einmal die Augen öffnen. Ihr Kopf dröhnte, ihr war übel, und sie hatte einen fürchterlichen Geschmack im Mund.

Sie erinnerte sich nur noch an Las Vegas und dass sie einen Toast auf ihre beste Freundin Susan und deren frischgebackenen Ehemann Mike ausgebracht hatte, als die beiden ihre Hochzeitstorte anschnitten. Es gab einige verschwommene Bilder von einem Sektglas, das sich niemals zu leeren schien, davon, dass sie Konfetti und Reis geworfen hatte, dann davon, dass sie auf einem Tisch getanzt und von oben auf die Glatze eines Kellners geschaut hatte. Danach war alles nur noch undeutlich.

Harley verspürte ein dringendes Bedürfnis, die Toilette aufzusuchen. Allerdings bedeutete das Aufstehen, was wiederum bedeutete, dass sie sich doch bewegen musste.

Zögernd und mit größter Mühe öffnete sie die Augen und atmete vorsichtig durch. So weit, so gut. Das Zimmer wirkte irgendwie vertraut. Ach ja, das Motel in Las Vegas!

Aus ihrer liegenden Position heraus konnte sie ein glattes fliederfarbenes Kleid sehen, das achtlos über eine Stuhllehne geworfen worden war. Ein passender Schuh lag auf dem Tisch daneben, der andere war nirgendwo zu sehen.

Das Brautjungfernkleid …

Stöhnend begann sie, sich langsam Richtung Bettkante zu bewegen. Sie zuckte zusammen, als die Bewegung das Hämmern in ihren Schläfen noch verstärkte. Sobald sie den leeren Raum bemerkte, hielt sie inne, überzeugt, dass sie den Bettrand erreicht hatte. Jetzt hieß es, sich aufsetzen oder sterben. Doch ihre gefüllte Blase behielt die Oberhand. Harley stand auf, wobei sie sich damit tröstete, dass sie später immer noch sterben könnte.

Am Fußende des Bettes lag ein großer Haufen Bettwäsche. Stirnrunzelnd betrachtete sie diesen, während sie daran vorbeiging. Deshalb also war ihr beim Aufwachen so kalt gewesen. Sie war bereits auf halbem Weg zum Bad, als ihr aufging, dass sie nackt war. Sie schaute sich im Zimmer um und fragte sich, wo denn ihr Nachthemd geblieben sei. Dann sah sie ihren BH, der über einem Lampenschirm hing, und ihren Slip am Türknopf. Wieder zuckte sie zusammen. Wenigstens konnte sie dafür dankbar sein, dass ihre Mutter nicht da war, um ihr die Hölle heiß zu machen.

Harley Junes Mutter Marcie Lee Beaumont stammte in direkter Linie von General Robert E. Lee ab, und Marcie zufolge schliefen Damen, die etwas auf sich hielten, nicht im Evaskostüm. Aber im Augenblick war Harley June schrecklich übel, und das fehlende Nachthemd war ihre geringste Sorge.

Die Badezimmerfliesen fühlten sich kalt unter ihren Füßen an, und sie fröstelte, als sie zur Toilette eilte. Als sie den Deckel anhob, schnappte sie nach Luft. Im Toilettenbecken wuchsen Blumen!

Sie beugte sich noch ein wenig tiefer, schnaubte dann und fischte Susans Brautstrauß aus der Toilette, bevor sie ihn im Mülleimer entsorgte. Harley wollte sich nur frisch machen, ihre Sachen packen und nach Hause nach Savannah fliegen. Später würde sie vielleicht versuchen, ihrem Erinnerungsvermögen auf die Spur zu kommen, doch im Moment hing ihr Überleben davon ab, ihr Gehirn möglichst wenig anzustrengen und sich so wenig wie möglich zu bewegen.

Ein paar Minuten später stellte sie sich unter die Dusche und genoss die warmen Wasserstrahlen, die über ihr Gesicht und ihren Körper strömten. Als sie sich abtrocknete, schaute sie zu dem bodenlangen Spiegel an der Tür und zog die Brauen zusammen. Das bisschen, was sie von sich darin erkennen konnte, war genauso, wie sie sich fühlte – nass und vernebelt. Aus einem Impuls heraus wischte sie mit dem Handtuch den Spiegel etwas frei, und als sie sich umdrehte, erhaschte sie einen Blick auf etwas Rotes an ihrer linken Seite. Mit noch tieferem Stirnrunzeln wischte sie eine größere Stelle trocken, ehe sie sich zur Seite drehte, um einen besseren Blick auf ihren Po zu bekommen.

Ihr entfuhr ein spitzer Schrei, als sie zu ihrem Entsetzen etwas Rotes, Herzförmiges auf ihrer linken Pohälfte entdeckte.

Harley trat näher an den Spiegel heran und schaute angestrengt hinein, nur um festzustellen, dass in dem Herzen auch noch Worte standen. Sie traute ihren Augen nicht und fing an, heftig an der Stelle zu reiben. Unwillkürlich zuckte sie jedoch zusammen und hörte schnell damit auf. Das tat weh! Sie ließ das Handtuch fallen und betastete das Herz mit ihren Fingerspitzen.

„Oh, du meine Güte! Ein Tattoo. Ich habe ein Tattoo!“

Sie ging noch dichter heran und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Die Worte waren im Spiegel nur rückwärts zu lesen, deshalb dauerte es ein paar Sekunden, bis sie die Buchstaben erkannt und dann in die richtige Reihenfolge gebracht hatte.

„Junie liebt Sam.“

„Sam? Wer in aller Welt ist Sam?“

Doch die Tatsache, dass sie keinen Sam kannte, war weniger schwerwiegend als die Tatsache, dass der Name dort stand.

„Grundgütiger … Ich habe den Namen eines Mannes auf meinem Po eintätowiert.“

Stöhnend begann sie erneut, an dem Tattoo herumzureiben, wobei sie inständig hoffte, wenn sie nur stark genug schrubbte, dass es dann wieder abgehen würde, – was natürlich nicht der Fall war.

„Das kann doch nicht wahr sein“, stöhnte sie.

In diesem Moment hörte Harley deutlich ein Geräusch, als ob jemand in ihrem Zimmer nebenan herumgehe, und erschrak.

Hastig packte sie das Handtuch, das sie hatte fallen lassen, hielt es vor sich und wollte gerade die Badezimmertür verriegeln, als diese sich öffnete.

Mit klopfendem Herzen und bereit zu schreien, schnappte sie nach Luft. Zu verblüfft, um den Schrei auch wirklich auszustoßen, fand sie sich dem größten Mann gegenüber, den sie je gesehen hatte. Seine Schultern nahmen die gesamte Türbreite ein, seine langen, muskulösen Beine waren eindrucksvoll. Er fuhr sich mit einer Hand durch sein kurzes, abstehendes Haar. Seine Augen waren blau und noch etwas verschlafen, er lächelte ein wenig entschuldigend, und sein Haar war schwarz wie Kohle. Seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und ausgeprägt, obwohl seine Nase aussah, als sei sie mindestens einmal gebrochen gewesen. Doch nichts davon war der Grund dafür, dass der Schrei, der Harley zunächst im Hals stecken geblieben war, sich schließlich doch noch löste. Sondern es lag vielmehr daran, dass dieser Mann ebenfalls nackt war …

Die Situation schien außer Kontrolle zu geraten, und Harley fing an zu flehen:

„Oh nein … oh bitte … tun Sie mir nichts! Bitte tun Sie mir nicht weh! Meine Handtasche ist da drin … irgendwo. Nehmen Sie sie! Nehmen Sie alles, was ich habe, aber bitte tun Sie mir nicht weh!“

Der Mann lächelte und blickte über die Schulter zurück zu dem Bett, von dem sie vor Kurzem aufgestanden war.

„Schätzchen, du hast mir doch schon alles gegeben, was du hattest … letzte Nacht.“

Harley zog das Handtuch noch höher unters Kinn und sah ihn zornig an.

„Wovon reden Sie?“

Er sah sie wieder an und grinste jungenhaft.

Mit geweiteten Pupillen packte sie ihre Haarbürste und zielte damit auf ihn wie mit einer Pistole.

„Sie lügen. Bleiben Sie mir bloß vom Leibe!“

Stattdessen zog er sie in die Arme und drückte ihr einen langen, sinnlichen Kuss mitten auf den Mund. In dem Augenblick, als ihre Lippen sich trafen, wurde Harley klar, dass dies schon einmal geschehen sein musste. Ihre Lippen schienen zu verschmelzen, als wären sie füreinander geschaffen, und selbst als ihr gesunder Menschenverstand ihr riet aufzuhören, spürte sie deutlich, dass sie ihn nie wieder loslassen wollte. Zu ihrem Leidwesen löste sich dann aber der Mann von ihr. Er stellte sie wieder auf die Füße, nahm ein frisches Handtuch und begann, ihr den Rücken abzutrocknen, als habe er es schon tausendmal getan.

Harley entzog sich ihm, wobei sie das Handtuch mitnahm.

„Wer sind Sie eigentlich?“, fragte sie.

Das Lächeln schwand für einen Augenblick aus seinem Gesicht, war jedoch gleich wieder da, während er ihr liebevoll eine Haarsträhne hinters Ohr steckte.

„Ich bin kein Schurke, Schätzchen. Ich bin dein Ehemann …, und du bist meine Ehefrau.“

„Ehefrau? Ich bin nicht Ihre Frau! Ich bin niemandes Ehefrau!“, rief sie und zuckte beim Klang ihrer eigenen Stimme zusammen. Ihre Kopfschmerzen wurden immer schlimmer.

Er streckte die Hand aus und berührte den Goldreif an ihrem Ringfinger.

„Wie schnell du doch vergisst!“, meinte er sanft. Dann hob er ihre Hand an die Lippen und küsste den Ring, ehe er ihre Handfläche nach oben drehte und auch diese küsste.

Ein elektrisierendes Prickeln breitete sich in ihrem Bauch aus, bis sie es zwischen ihren Beinen spürte. Langsam holte Harley Luft, verblüfft über die plötzliche Schwere ihrer Gliedmaßen. Aber trotz der sexuellen Spannung zwischen ihr und dem Unbekannten ließ sich nicht verleugnen, dass wirklich ein Ring an ihrem Finger vorhanden war, der gestern Abend noch nicht dort gewesen war.

„Wer sind Sie?“, wiederholte sie mit stockender Stimme.

Kopfschüttelnd sah er sie an.

„Junie, Darling … sag bitte nicht, dass du auch meinen Namen schon vergessen hast!“

Junie? Blitzartig fiel ihr das Tattoo auf ihrem Po wieder ein. Junie liebt Sam.

„Sam?“

„Braves Mädchen“, sagte er langsam, nahm ihr das Handtuch aus den Händen und ließ es auf den Fußboden fallen.

Harley erkannte das Verlangen in seinen Augen, und ein Schauer durchlief sie. In diesem Augenblick hätte sie sich keinen Millimeter bewegen können, und wenn es sie das Leben gekostet hätte.

„Niemand nennt mich Junie.“

Seine blauen Augen verdunkelten sich. „Ich schon“, erklärte er und hob sie empor.

„Was haben Sie … hast du vor?“

„Mit meiner Frau Liebe machen.“

„Ich bin nicht … ich kann nicht …“

Indem er ihren Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss bedeckte, brachte er sie zum Schweigen, dann legte er sie mitten aufs Bett und kam zu ihr, wobei er sich über ihrem noch feuchten Körper abstützte.

„Doch, das bist du, und das kannst du“, sagte Sam. „Und sogar sehr schön, wenn ich das so sagen darf.“

Auch wenn Harley irgendwelche Einwände hätte erheben wollen, die Küsse des geheimnisvollen Sam schafften sofort eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen. Und als sie das Gewicht seines Körpers auf ihrem spürte, wurde ihr wieder klar, dass sie auch dies schon einmal erlebt hatte. Gleichgültig, wie falsch alles gewesen war, was sie getan hatten, – mit Sam zu schlafen fühlte sich trotzdem absolut richtig an.

Es war zehn nach elf, als Harley wieder erwachte. Nur wusste sie diesmal genau, wo sie sich befand. Ihr Kopf schmerzte noch immer, und der Mann, in dessen Armen sie lag, wirkte geradezu einschüchternd.

Sam. Er hatte sich Sam genannt.

Um ihre beginnende Panik zu beherrschen, schloss sie die Augen und weigerte sich entschlossen, darüber nachzudenken, wie sehr es ihr gefiel, das Gewicht seines Armes zu spüren, der über ihrem Bauch lag. Oder auch darüber, dass sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit sicher und geborgen fühlte.

Und dann der Sex.

Du lieber Himmel, gemeinsam waren sie ein wahrhaft explosives Gemisch. Zweimal, nachdem Sam sie ins Bett zurückgeholt hatte, war ihr zumute gewesen, als würde sie gleich in Flammen aufgehen. Aber das musste reine Wollust gewesen sein, und nach Ansicht von Harleys Mutter gingen anständige Mädchen aus dem Süden eine Ehe nur dann ein, wenn sie auf guter Abstammung und Vermögen beruhte, und nicht etwa aus wilder Begierde.

Harley atmete tief durch, um ihre Nerven zu beruhigen, und begann sich dann langsam unter Sams Arm hervorzuschieben. Sie musste dringend Abstand zwischen sich und diesen Mann bringen, und wenn er noch so umwerfend war. Sie wusste zwar nicht recht, wie sie das anstellen sollte, aber diese wahnwitzige Ehe musste so schnell wie möglich ein Ende haben. Immerhin war dies Las Vegas. Bestimmt ließ sich eine Ehe hier genauso einfach beenden, wie sie angefangen hatte.

Vorsichtig löste sich Harley aus Sams Umarmung und stieg mit angehaltenem Atem aus dem Bett. Sobald sie stand, betrachtete sie den schlafenden Mann. Ohne nachzudenken, berührte sie ihr Tattoo, zuckte jedoch peinlich berührt zurück, als sie merkte, wie empfindlich die Stelle noch war. Das Tattoo war auch noch ein Problem, und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es leichter sein würde, die Ehe zu annullieren, als das rote Herz wieder loszuwerden.

Wie gebannt hing ihr Blick an Sam, an seinem sinnlichen Mund und dem Schatten der dunklen Wimpern auf seinen Wangen. Der Mann sah wirklich fantastisch aus. Harley seufzte. Er war also attraktiv. Aber das bedeutete lediglich, dass der Alkohol ihren guten Geschmack nicht beeinträchtigt hatte, – sondern nur ihren Verstand.

Nun jedoch war sie hellwach und schmerzhaft nüchtern. So wie sie die ganze Sache einschätzte, blieb ihr nur ein Ausweg, nämlich zu verschwinden.

So leise es irgend ging, zog sie sich an und packte ihre Sachen. Sie stopfte die Kleider in ihre Reisetasche, ohne einen einzigen Reißverschluss zuzuziehen. Als sie zur Kommode ging, um ihre Armbanduhr zu holen, fiel ihr Blick auf ein Polaroid-Foto und auf ein Papier, das darunter lag.

Ach, du liebe Zeit!

Das Hochzeitsfoto und die Heiratsurkunde.

Harley nahm das Bild und hielt es näher ans Licht, um es besser betrachten zu können. Als sie den Ausdruck auf ihren Gesichtern sah, war ihr zum Weinen zumute. Sie sahen so glücklich aus.

Seufzend legte sie das Foto wieder hin, doch dann entdeckte sie noch ein weiteres, das unter der Heiratsurkunde lag. Sie sah sich auch dieses an und unterdrückte ein Stöhnen. Der Mann, der zwischen ihnen stand, konnte doch unmöglich der Prediger sein. Aber wer sollte es sonst sein? Hinter ihnen war der Altar zu sehen, und Harley hielt den Brautstrauß ihrer Freundin Susan in der Hand. Sie schaute noch genauer hin, um herauszufinden, weshalb eine Elvis-Kopie mit ihnen zusammen auf einem der Bilder war. Seine schwarze Tolle mit den Koteletten, die bis zum Kinn reichten, sah glatt und fettig aus, und der weiße, mit Strass-Steinen besetzte Overall, den er trug, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem feierlichen schwarzen Talar des Pastors.

Harley warf einen Blick auf die Heiratsurkunde und verdrehte ungläubig die Augen. Sie hatte nicht in der südlichen Baptistenkirche ihrer Mutter geheiratet, wie sie es ihr ganzes Leben lang geplant hatte. Stattdessen hatte sie sich in der Love-me-Tender-Hochzeitskapelle von einem Kerl trauen lassen, der wie Elvis aussah.

Was in Dreiteufelsnamen habe ich mir bloß dabei gedacht? schoss es ihr durch den Kopf.

Sie ließ die Schultern hängen. Das war ja gerade das Problem. Sie hatte überhaupt nicht nachgedacht, und Sam anscheinend auch nicht. Sie blickte zum Bett hinüber, dankbar, dass er noch schlief. Dann schaute sie wieder zurück auf die Urkunde.

Samuel Francis Clay. Er hieß Samuel Francis Clay.

Meine Mutter war ein großer Sinatra-Fan.

Harley fröstelte, als ihr plötzlich wieder einfiel, wie er die Bedeutung seines zweiten Namens erklärte, während er sich über ihre Schulter gebeugt hatte, um zu unterschreiben.

Harleys Kinn zitterte ein wenig. Ich heiße jetzt Harley June Clay.

Sie wandte sich um, starrte den Mann, der noch immer in ihrem Bett lag, lange und eindringlich an, und streifte sich dann den Ring vom Finger. Mehrere Sekunden vergingen, in denen ihr das Herz schwer wurde. Irgendetwas in ihrem Innern sagte ihr, dass dies ein großer Fehler war. Doch sie sah keine andere Möglichkeit, sich aus der heiklen Situation zu befreien, in die sie sich hineinmanövriert hatte.

Langsam senkte sie den Blick, legte den Ring auf die Kommode neben die Fotos, nahm ihre Reisetasche und schlich sich aus dem Zimmer.

Erst als ihr Flugzeug nach Savannah abhob, gestattete sie es sich zu weinen. Doch selbst dann war ihr nicht klar, ob sie deshalb weinte, weil sie sich zu dieser verrückten Heirat hatte hinreißen lassen, oder weil sie vor etwas weggelaufen war, was das Beste war, was sie in ihrem ganzen Leben bisher getan hatte.

Savannah, Georgia – vier Tage später

Das Telefon auf Harley Junes Schreibtisch klingelte plötzlich und riss sie aus ihren Gedanken.

„Turner Versicherungsagentur, was kann ich für Sie tun? Oh … hallo, Mrs Peabody! Ja, ich habe Ihre Nachricht an Mr Turner weitergeleitet. Nein, es tut mir leid, aber er ist immer noch nicht von seiner Besprechung zurück. Ja, ich werde ihm ganz bestimmt sagen, dass Sie noch einmal angerufen haben. Nein, Ma’am, ich will Sie nicht hinhalten. Ja, Ma’am, ich weiß, dass Sie eine viel beschäftigte Frau sind. Nein, Ma’am, es ist nicht höflich zu lügen. Ja, Mrs Peabody, ich werde meiner Mutter Ihre Grüße ausrichten. Vielen Dank für Ihren Anruf!“

„Regt sich Mrs Peabody immer noch so auf?“

Harley schaute eine der anderen Versicherungsagentinnen an, wobei sie der Versuchung widerstand, einen tiefen Seufzer auszustoßen.

„Was glaubst du denn?“

Jennifer Brownlee lachte.

„Ach, das hätte ich fast vergessen! Deine Mutter hat angerufen, als du zur Mittagspause warst.“

Harley verdrehte die Augen und fragte sich, was ihre Mutter denn wohl jetzt schon wieder von ihr wollte. Seitdem sie von Susans Hochzeit aus Las Vegas zurückgekehrt war, hatte ihre Mutter sie ins Kreuzverhör genommen. Erst wollte sie wissen, wie alles ausgesehen habe, und dann, wer alles anwesend gewesen sei. Und bei jeder Frage kräuselte sie spöttisch die Lippen. Obwohl Harley ihre Mutter wirklich liebte, wusste sie und akzeptierte es notgedrungen, dass Marcie Lee Beaumont ein ziemlicher Snob war.

Sie griff nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer ihrer Eltern. Beim zweiten Klingeln meldete sich ihr Vater, und Harley lächelte beim Klang der vertrauten Stimme.

„Hi, Daddy, ich bin’s! Jennifer hat gesagt, dass Mama vorhin angerufen habe. Ist sie da?“

„Ja, sie ist in der Küche und bügelt Aluminiumfolie“, antwortete Dewey Beaumont. „Soll ich sie holen?“

Harley verkniff sich ein Kichern. Der Geiz ihrer Mutter war allen Freunden und Verwandten wohl bekannt. Dewey Beaumont besaß genügend Geld, und das zeigte sich auch am Haus und am Lebensstil der Beaumonts. Dennoch war Marcie eine Pfennigfuchserin erster Güte. Die Tatsache, dass sie benutzte Aluminiumfolie immer wieder wusch und bügelte, bis sie sich überhaupt nicht mehr falten ließ, war eine ihrer seltsameren Angewohnheiten. Es war etwas, das Harley schon vor langer Zeit als Eigenheit ihrer Mutter akzeptiert hatte. Und ihr Vater betete inständig darum, dass diese nicht an sein einziges Kind weitervererbt worden wäre.

„Das kann warten. Hast du eine Ahnung, was sie von mir wollte?“, erkundigte sich Harley.

Ihr Vater lachte leise. „Nein, aber ich weiß, dass sie dich gleich nach ihrem Gespräch mit Susans Mutter Betty Jean angerufen hat.“

Harleys Herzschlag setzte einen Moment lang aus, nahm dann jedoch seinen normalen Rhythmus wieder auf. Es gab keinen Grund zur Panik. Susan war bereits längst fort gewesen, als Harley sich mit Sam Clay zusammengetan hatte. Sie umklammerte den Telefonhörer. Wenn sie sich doch nur an die Einzelheiten jener Nacht erinnern könnte, würde sie sich wesentlich besser fühlen.

Während ihr Vater ihr alles Mögliche erzählte, ließ sie ihre Gedanken schweifen. Und so landete sie geradewegs bei Sam Clay. Das letzte Mal, als sie ihn gesehen hatte, hatte er nackt und kaum vom Laken bedeckt auf ihrem Bett im Motel gelegen, wie ein schlafender Adonis. In schwachen Momenten fragte sie sich, was wohl geschehen wäre, wenn sie geblieben wäre und sich der Situation gestellt hätte.

Doch dann kam sie jedes Mal wieder zur Vernunft, und Harley sagte sich, dass sie das einzig Richtige getan hatte, als sie einfach so gegangen war. Irgendwann, wenn sie in der Lage wäre, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, würde sie einen Anwalt aufsuchen und dafür sorgen, dass diese Ehe annulliert würde. Bestimmt würde man sie nicht für etwas verantwortlich machen, woran sie sich nicht einmal mehr erinnern konnte.

Sie seufzte. Das, woran sie sich erinnerte, war, dass sie langsamen, ausgiebigen Sex mit einem umwerfenden Mann gehabt hatte. Aber das sollte sie lieber schnellstens vergessen.

“… und deshalb habe ich ihr gesagt, dass es sie nichts angeht, aber du kennst ja deine Mutter.“

Harley blinzelte, als sie merkte, dass sie ihrem Vater überhaupt nicht zugehört hatte.

„Hm …! Oh … ja, ich glaube schon!“, sagte sie daher.

Dewey zögerte. Es war eigentlich nicht seine Art, seiner Tochter gegenüber sensible Themen anzusprechen, die er für Frauensache hielt. Doch für ihn war Harley das Beste, was er in seinem ganzen Leben zustande gebracht hatte, und er wollte nicht zusehen, wie sie ihr Leben verschwendete. Sie war siebenundzwanzig Jahre alt und noch nicht einmal verlobt. In Savannah war es durchaus üblich, dass eine junge Frau mehrere Verehrer hatte, ehe sie sich für den Richtigen entschied. Harley jedoch schien sich nicht für die Dinge zu interessieren, worauf sich die meisten jungen Frauen in ihrem Alter konzentrierten, und das bereitete ihm große Sorgen. Er wünschte sich, dass sie glücklich war, und er wollte, dass ihre Kinder zu seinen Füßen spielten, ehe er zu alt war, um sich an seinen Enkeln zu erfreuen.

Deshalb räusperte er sich und sagte, was ihn bewegte. „Harley June hattest du deinen Spaß in Las Vegas?“

Erneut setzte Harleys Herzschlag aus. Schuldgefühle plagten sie. Sie verabscheute es, zu lügen, aber wie sollte sie ihrem Vater erzählen, was sie getan hatte, ohne, wie ein kompletter Dummkopf dazustehen?

„Ja, natürlich, Daddy. Ich hatte sehr viel Spaß. Susan und Mike waren ein wunderschönes Paar, und die Hochzeit war großartig.“

Dewey runzelte die Stirn. „Aber was war mit dir? Hast du auch deinen Spaß gehabt?“ Er schmunzelte. „Wenn ich in deinem Alter gewesen wäre, hätte ich zumindest mal die Spieltische ausprobiert … mir ein paar Shows angesehen … na ja, du weißt schon … Ich hätte ein bisschen auf den Putz gehauen, bevor ich wieder in den Alltagstrott zurückgekehrt wäre.“

Harley überlegte, ob sie es ihm beichten sollte, aber wie? Klar, Daddy, ich habe es krachen lassen, das würdest du nie glauben. Ich habe nicht nur die ganze Nacht durchgefeiert, sondern mich auch noch von Elvis mit einem total Fremden verheiraten lassen.

Stattdessen sagte sie: „Die Hochzeit war toll. Ich habe getanzt, und es hat mir viel Spaß gemacht. Ich habe sogar Champagner getrunken, Daddy, okay?“

Dewey seufzte. „Ach, Schätzchen, ich mache mir einfach nur Sorgen um dich, das ist alles! Das haben Väter so an sich. Nimm’s mir nicht übel, aber ich möchte nicht, dass du so wirst wie deine Mama, Gott segne sie! Ich liebe sie wirklich von ganzem Herzen, aber es wäre schrecklich für mich, zu wissen, dass ich eine Tochter gezeugt habe, die Knöpfe sortiert und Alufolie bügelt.“

Harley brach in Gelächter aus. „Ich weiß, Daddy, und ich verspreche dir, dass ich es nicht so weit kommen lasse. Jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Sag Mama, dass ich sie heute Abend noch mal anrufe, ja?“

„Ja, ist gut. Bis bald, Harley June!“

„Bis bald, Daddy!“

Lächelnd legte Harley den Hörer auf. Während sie sich wieder dem Computer zuwandte, schaute sie über den Mittelgang zu Jennifer. Plötzlich machte diese große Augen und stieß einen theatralischen Seufzer aus.

„Oh, du liebe Güte! Ich glaube, ich bin verliebt!“

„Wovon redest du?“, fragte Harley.

Jennifer wies mit dem Finger in die entsprechende Richtung, und Harley drehte sich um.

„Oh, mein Gott!“

Das Lächeln erstarb ihr auf den Lippen, gerade als Sam Clay sich über ihren Schreibtisch lehnte und ihr einen leidenschaftlichen Kuss gab.

Dann flüsterte er leise: „Junie, Darling, ich bin nicht Gott, ich bin Sam. Wie kannst du das nur immerzu vergessen, obwohl es doch auf deinem Po eintätowiert ist?“

Harley June sprang auf, bereit, wegzulaufen.

Doch Sam, der ihre Absicht erkannte, stellte sich zwischen sie und die Tür.

„Was tust du hier?“, wollte Harley wissen.

„Ich bin gekommen, um dich mit nach Hause zu nehmen“, erwiderte Sam und nahm ihre Jacke vom Stuhl. „Wo ist deine Handtasche?“

Sie begann zu protestieren. „Ich kann jetzt nicht einfach so gehen. Ich arbeite. Außerdem geht es dich überhaupt nichts an …“

„Du bist meine Frau, deshalb gehst du mich sehr wohl etwas an“, erklärte er ruhig. Dann warf er einen Blick unter ihren Schreibtisch, wo er ihre Tasche fand und sie an sich nahm.

Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, welchen Aufruhr seine Worte auslösen würden. Ehe Harley etwas sagen konnte, waren sie von allen Seiten von ihren Kollegen umringt. Überraschungsrufe ertönten, gefolgt von lautstarken Glückwünschen. Sam fühlte sich auf einmal wie ein Käfer, der unterm Mikroskop begutachtet wurde, hielt sich jedoch tapfer.

Seitdem er in Las Vegas aufgewacht war und gesehen hatte, dass Harley verschwunden war, hatte er keine zwei Stunden mehr hintereinander geschlafen. Außerdem hatte es ihn tief getroffen, als er ihren Ring auf dem Hochzeitsfoto entdeckt hatte. Sam wusste, dass das, was sie getan hatten, verrückt und impulsiv gewesen war. Und es hatte auch einen kurzen Moment gegeben, in dem er überlegt hatte, es ihr gleichzutun. Doch diese Idee hatte er sofort wieder verworfen, sobald er zum Bett hingesehen hatte. Die Erinnerung daran, welchen Zauber er dabei verspürt hatte, während sie miteinander geschlafen hatten, genügte ihm als Anstoß. Sam hatte den nächsten Rückflug nach Oklahoma City genommen, hatte bis zu seiner nächsten viertägigen Pause gearbeitet und war dann sofort nach Savannah geflogen.

Als er das Versicherungsbüro betreten hatte und sie an ihrem Schreibtisch sitzen sah und am Telefon lachen hörte, spürte er, dass er das Richtige getan hatte. Jetzt musste er nur noch Harley davon überzeugen.

Jennifer war als Erste da. Sie zwinkerte Sam zu und umarmte Harley.

„Harley June! Ich fasse es nicht, dass du uns nicht erzählt hast, dass du verheiratet bist. Wann ist das passiert? Willst du uns deinen Mann nicht vorstellen?“

Harley brachte kein Wort heraus, und Sam wurde klar, dass wohl er das Reden übernehmen musste.

„Wir haben vor vier … nein, vor fast fünf Tagen geheiratet“, sagte er daher. „In Las Vegas.“

Er warf Jennifer ein Lächeln zu, bei dem sie wünschte, sie wäre fünfzehn Jahre jünger und Single.

„Ich heiße Sam Clay“, fügte er hinzu und streckte ihr seine Hand entgegen.

Jennifer lachte. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Sam Clay. Ich bin Jennifer.“

Bevor noch jemand irgendetwas sagen konnte, kam Waymon Turner, der Inhaber der Turner-Versicherung, zur Tür herein.

„Was ist denn hier los?“, fragte er.

Harley stöhnte. Der Chef war wieder zurück, und es sah aus, als würden sie hier eine Party feiern.

„Äh … Mr Turner, Mrs Peabody hat schon viermal für Sie angerufen. Sie ist sehr aufgeregt und …“

Sam streckte seine Hand aus. „Mr Turner, ich bin Sam Clay. Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich weiß, es ist für Sie sehr unangenehm, aber Junie wird ihren Job kündigen.“

„Wer ist Junie?“ Aufmerksam sah er Sam an. „Kennen wir uns, mein Junge?“

Harley schüttelte den Kopf und stieß Sam mit dem Ellbogen zwischen die Rippen. „Ich habe dir doch gesagt, dass niemand mich so nennt.“ Dann bemühte sie sich um ein Lächeln, obgleich sie wusste, dass ihre Erklärung alles nur noch schlimmer machen würde. Aber es musste nun mal gesagt werden.

„Er meint mich, Mr Turner, und äh … Sam ist mein … nun ja, als ich in Las Vegas war, haben wir … Sehen Sie, ich …“

„Ich bin ihr Ehemann“, schaltete Sam sich da ein. „Und ich bin gekommen, um Junie nach Hause zu holen.“

Jetzt war Waymon Turner sichtlich verwirrt. Er musterte Harley June, sah aber auch in ihrer Miene lediglich Panik und Verwirrung.

„Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie verheiratet sind, Harley June. Wann hat dieses Ereignis denn stattgefunden?“

„Vor knapp fünf Tagen, morgens um vier Uhr fünfzehn in der Love-me-Tender-Kapelle in Las Vegas, in Nevada“, antwortete Sam.

Jennifer kreischte. „Oh, mein Gott! Wie romantisch! Ich kann es gar nicht erwarten, Johnson davon zu erzählen.“

Harley stöhnte nur.

Sam lächelte. „Streck deine Arme aus, Schatz!“, meinte er, hielt ihr die Jacke hin, die er von ihrem Stuhl genommen hatte, und wartete, bis sie hineingeschlüpft war.

„Hier ist deine Handtasche.“

Harley presste sie vor sich wie ein Schutzschild. „Du kannst mich nicht einfach …“

„So.“ Er hängte ihr den Riemen über die Schulter, fasste sie am Ellbogen und führte sie zur Tür. „Hat mich gefreut, Sie alle kennenzulernen“, verabschiedete er sich. „Und wenn Sie mal in Oklahoma City sind, dann besuchen Sie uns doch!“

Harley war entsetzt. „Ich werde nicht …“

Im nächsten Moment fand sie sich draußen auf der Straße wieder.

„Hör zu, Sam Clay, du kannst mich nicht einfach so …“

Sam umschloss ihr Gesicht mit seinen Händen und küsste sie.

Harleys Einwände schwanden ebenso wie ihre Vernunft. Es gab nichts mehr, was zählte, außer seinen Händen an ihrem Gesicht, seinem sinnlichen Mund auf ihren Lippen sowie den Duft seines Rasierwassers. Sie hatte sogar davon geträumt.

Als er den Kopf hob, entfuhr ihr ein langer Seufzer.

Sam verbarg ein Lächeln. Er hatte nichts, was für ihn sprach, abgesehen von der Tatsache, dass sie im Bett gut zusammen gewesen waren. Ihm war klar, dass Harley Angst hatte. Aber zum Teufel noch mal, auch er hatte Angst.

Doch in dem Moment, als er in jene Hotelbar gekommen war und sie auf einem Tisch mitten in einem Haufen von Pokerchips hatte tanzen sehen, war er verloren gewesen. Sie hatte Blumen in der Hand gehabt, die verdächtig nach einem Brautstrauß aussahen. Dann hatte sie auf dem Tisch eine hübsche Drehung im Takt der Hintergrundmusik vollführt, ehe sie den Strauß geworfen hatte. Sam hatte ihn automatisch aufgefangen, und danach auch Harley, als diese vom Tisch zu fallen drohte. Als er sie in seinen Armen gehalten hatte, hatte sie nach Luft geschnappt, mit ihren dunkelbraunen Augen zu ihm aufgeschaut und gelacht. Danach war es um ihn geschehen. Einige Stunden später hatten sie geheiratet, und Sam wollte nicht aufgeben, jedenfalls nicht, solange sie ihrer Ehe nicht ernsthaft eine Chance gegeben hatten.

„Weshalb bist du wirklich hier?“, wollte Harley jetzt wissen. „Wenn du gekommen bist, um mir Schwierigkeiten zu machen, dann versichere ich dir, dass ich nicht …“

Kopfschüttelnd legte Sam ihr den Zeigefinger auf die Lippen:

„Schsch, Darling, ich mache keine Schwierigkeiten! Ich mache Liebe. Weißt du das nicht mehr?“

Harleys Knie wurden weich. Es gab nicht viel, woran sie sich erinnerte, aber an das Gewicht seines Körpers auf ihrem und an die schweißnassen Bewegungen seiner Hüften zwischen ihren Beinen konnte sie sich noch sehr gut erinnern.

„Gnade“, murmelte sie.

Er legte ihr den Arm um die Schultern, führte sie zu einem Taxi und öffnete ihr die Wagentür.

„Wohin fahren wir?“, fragte sie leise.

„Also erstens, unser Flug geht übermorgen früh. Das heißt, wir haben nicht viel Zeit.“

Unser Flug. Bei dem Wort wurde ihr beinahe schwindlig. Übermorgen. Bis dahin wird mir doch wohl noch etwas einfallen, wie ich aus diesem Schlamassel wieder rauskomme, sagte sie sich.

„Zeit wofür?“, erkundigte sie sich.

„Um deine Eltern zu treffen, deine Sachen zu packen. Solche Sachen eben. Du weißt schon.“

Meine Eltern? Du lieber Himmel, bloß nicht! Harley öffnete den Mund, um zu protestieren, als Sam sich zum Fahrer vorbeugte und ihm die Adresse ihres Elternhauses nannte.

Fassungslos starrte sie ihn an. Anscheinend hatte sie einen attraktiven, aber gefährlichen Verfolger geheiratet. Wie hätte er denn sonst die Adresse ihrer Eltern wissen können? Ängstlich rückte sie so weit wie möglich von ihm ab in die Ecke und sah ihn mit beinah panischem Ausdruck an.

„Woher weißt du, wo sie wohnen?“, flüsterte sie.

„Du hast es mir gesagt“, antwortete er.

„Habe ich nicht!“

Sam grinste vergnügt. Allmählich begann ihr Unbehagen ihm Spaß zu machen. Immerhin hatte sie ihn vier Tage lang Höllenqualen leiden lassen. Es tat ihr sicherlich ganz gut, ein bisschen nervös zu sein.

„Oh doch, das hast du! Du hast mir eine Menge erzählt“, meinte er, als das Taxi anfuhr. „Zum Beispiel …“ Er zögerte, dann lehnte er sich zu ihr herüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Harleys Augen weiteten sich. Sie wurde hochrot, und der Mund blieb ihr offen stehen.

„Das habe ich nicht getan“, entgegnete sie, wobei sie beunruhigt zum Fahrer blickte, der ihnen jedoch dankenswerterweise keinerlei Aufmerksamkeit schenkte.

Sam schmunzelte. „Aber ja doch.“

Harley spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. Es musste wahr sein, denn sie hatte noch nie irgendjemanden von dieser Fantasie erzählt. Niemals.

„Oh nein!“

„Oh doch!“, erwiderte Sam. „Und wir haben es in unserer Hochzeitsnacht getan. Zweimal.“

Sie schloss die Augen und lehnte sich in dem Sitz zurück.

Ihr Leben war ernsthaft außer Kontrolle geraten.