Tate mit der Katze auf
dem Arm und der Göttin erschienen genau neben Janet, die mittlerweile eine tiefe Spur in
den Fußboden gelaufen war.
„Tate, der Göttin sei Dank, da bist du ja.“
Zu spät fiel ihr ein, dass die soeben genannte Göttin direkt neben
ihr stand.
„Vergebt mir Göttin Aila.“ Diese winkte jedoch ab.
„Mach dir keine Sorgen.“ Als Tate an sich hinunterschaute, bemerkte sie, dass sie ihre Sachen aus Nates Wohnung trug und war froh, nun nicht nackt vor den Rat treten zu müssen.
„Wo sind wir?“ Fragte sie Aila.
„Im Ratsgebäude. Die Anhörung beginnt in wenigen Minuten.“ Die Göttin schaute Mutter und Tochter prüfend an, ehe sie fortfuhr.
„Ich bitte euch um einen Gefallen. Wenn wir diesen Raum betreten, werdet ihr schweigen. Nach der Anhörung erkläre ich euch alles.“ Janet und Tate kamen nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben, denn die Tür öffnete sich und die Göttin bedeutete ihnen voranzugehen. Im Raum sah es aus wie in einem Gerichtssaal. Nur dass vorne drei Hexen und ein Magier saßen. Vor ihnen stand ein Tisch mit zwei Stühlen.
„Bitte, setzt euch“, sagte eine der Hexen, die sie durch eine riesige Brille prüfend musterte. Als Tate platz nahm, streichelte sie dem Kater auf ihrem Schoß beruhigend über den Rücken. Da sie noch immer keinen richtig klaren Gedanken fassen konnte, nahm sie an, dass das nun ein Dauerzustand sein würde. Die Göttin blieb neben ihnen stehen, den Kopf majestätisch erhoben.
„Tate Hale, wir bitten dich zuerst, den Vorfall mit Loc zu schildern.“ Wieder sprach sie die Frau mit der Brille an. Nun ging die Göttin ein paar Schritte nach vorn und hob mahnend eine Hand.
„Werte Rätin Izraeel. Als neues Mitglied im Rat möchte ich alle bitten, diesen Vorfall auf sich beruhen zu lassen. Ich habe bereits im Vorfeld meine Gründe dargelegt, die Familie Hale und die Familie Johnson in unsere Pläne einzuweihen. Die Sicherheit der magischen Welt ist mehr Wert als die Bestrafung einer Hexe, die nicht mit Absicht gegen unsere Gesetze verstoßen hat.“ Die vier Ratsmitglieder steckten kurz die Köpfe zusammen, ehe Rätin Izraeel sagte: „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir diesem Einwand stattgeben. Allerdings unter einer Bedingung.“ Die Göttin hob fragend eine Augenbraue.
„Der Vorfall mit der Verwandlung bleibt geheim. Wenn bekannt wird, dass auf solch ein Vergehen keine Bestrafung erfolgt, untergraben wir unsere Autorität. Dieses Wissen verlässt nicht diesen Raum, das ist unsere Bedingung.“ Die Göttin nickte. Tate merkte, wie ihre Mutter zum Sprechen ansetzte, doch ein Blick der Göttin ließ sie innehalten.
„Ich stimme dem ebenfalls zu. Wir werden nach einer Möglichkeit suchen, die Verwandlung rückgängig zu machen.“ Nachdem die vier Ratsmitglieder den Raum verlassen hatten, stand Janet auf und strich ihrer Tochter beruhigend über den Arm.
„Da habt ihr ein ganz schönes Durcheinander angerichtet“, sagte die Göttin. Seltsamerweise hörte sie sich ermattet an, die Erhabenheit von vorhin war verschwunden.
„Ok, dann werde ich vielleicht von vorn anfangen. Die Störung der Energien vor einem Jahr ist nicht nur aufgrund des Zaubers passiert, den du und deine Schwester praktiziert habt. Ich habe ebenfalls eine Mitschuld. Ich kenne Loc noch aus einer lang vergangenen Zeit und weiß, wozu er fähig ist. Seine Kräfte sollte man nicht unterschätzen. Oh, ehe ich es vergesse, gebe ich euch eure Geschenke.“ Verwundert schaute Tate ihre Mutter an, die jedoch auch nur ratlos mit den Schultern zuckte. Die Göttin streckte ihre Hände aus, murmelte einen kleinen Zauberspruch vor sich hin und mit einem Mal lagen mehrere Ketten mit Anhängern, die aussahen wie ein Pentagramm, in ihren Händen. Sie legte sie auf den Tisch, berührte jede mit dem Zeigefinger, ehe sie zwei herausnahm und die ihnen hinhielt.
„Ich habe einen mächtigen Schutzzauber eingewoben. Es sind extra für eure Familie hergestellte Anhänger. Doch euch sollte bewusst sein, dass ich jederzeit weiß, wo ihr euch befindet, wenn ihr diese tragt. Ich werde so gut es eben geht eure Privatsphäre respektieren. Doch es ist unumgänglich, dass ihr euch schützt.“
Als Janet sich ihre Kette um den Hals hängte, bemerkte sie die wärmende Kraft der Göttin, die sich um ihren Körper legte.
„Was genau meintet ihr vorhin damit, dass ihr uns einweihen müsst?“ Tate fing in der Zwischenzeit Eathan ein, der anscheinend auf Erkundungstour gehen wollte.
„Wir haben vor einer ganzen Weile eine deiner Töchter als Wächterin geworben. Doch sie befindet sich noch in der Probezeit, wie die sterblichen so schön sagen. Das bedeutet, niemand darf davon erfahren. Außerdem ist dein Vater ebenfalls dem Rat beigetreten. Fakt ist nun einmal, dass ihr die einzigen Hexen seid, die es mit Loc aufnehmen könnt. Da du und deine Schwester einen Großteil eurer Kräfte eingebüßt habt, haben eure Töchter die Aufgabe, einen schützenden Ring zu bilden. Loc hat etwas gestohlen, das dem Rat gehört und ihm hilft, seine Kräfte wiederzuerlangen. Das dürfen wir nicht zulassen. Außerdem darf niemand etwas davon erfahren. Wir können nicht riskieren, eine Massenpanik ausbrechen zu lassen.“
„Was ist mit Nate?“ Es war das erste Mal, dass Tate eine Frage an die Göttin stellte. Diese sah sie nun mit verständnisvollen Augen an.
„Ich bin mir bewusst, dass das alles für dich nicht so einfach ist. Der Rat hat vorgeschlagen, einen Vergessenszauber über ihn zu verhängen, doch deiner Schwester Tricia hast du es zu verdanken, dass der Rat bis zu Samhain wartet.“ Als Tate schon widersprechen wollte, hob Aila die Hand.
„Ich meine damit, dass wir dir und deinem Geliebten eine Chance einräumen. Laut Tricia könnte dieser Mann das Gegenstück deiner Seele sein. Doch dazu muss er sich erst bekennen. Wenn er bis morgen Nacht um Mitternacht zu dir kommt und das annimmst, was du bist, bleibt eine Bestrafung aus. Die Voraussetzung ist, dass er einen magischen Eid leistete, der es ihm verbietet, mit einem unwissenden Sterblichen über Hexen und so weiter zu reden. Außerdem muss er dauerhaft in euer Haus ziehen, um die Verbindung mit dir einzugehen.“ Ermattet ließ sich Tate auf einen Stuhl fallen.
„Das wird nicht passieren. Nicht nachdem, was er heute alles erlebt hat. Außerdem kennen wir noch nicht so lang.“ Janet schüttelte den Kopf und schaute ihre Tochter streng an.
„Du solltest nicht so einfach aufgeben. Solange noch ein Funken Hoffnung besteht, ist alles noch offen.“
„Tate darf nicht mit ihm sprechen. Das ist die Regel.“
Als Janet und Tate wieder zu Hause waren, riefen sie alle zusammen, um die Ketten zu verteilen. Für einen Sterblichen würde der Anhänger wie ein Kreuz aussehen. Für die Wissenden war das Pentagramm und die Energie der Göttin durchaus zu sehen. Als Tate Tricia in der Küche sitzen sah, gab sie ihr einen Kuss auf die Wange. Keine der Schwestern musste etwas sagen, denn sie verstanden sich auch so. Eathan wurde in Katzenform von der ganzen Familie angenommen, obwohl niemand verstand, warum Janet und Tate von einem Treffen mit dem Rat mit einem Kater zurückkamen. Tate wälzte den ganzen Nachmittag alte Zauberbücher, um den Zauber wieder umzukehren. Doch erfolglos. Man konnte einen Zauber nur umkehren, wenn man wusste, welchen man genau ausgesprochen hatte. Doch da die Verwandlung in Zusammenhang mit Schokolade stand, war das eine ziemlich knifflige Angelegenheit. Erfolglos versuchte sie, die Gedanken an Nate zu verdrängen. Obwohl sie in nur so kurze Zeit kannte, wusste ihr Herz, was er ihr bedeutete. Doch Tate war Realistin und wusste durchaus, dass die Bedingungen des Rates einen zu hohen Preis von Nate fordern würden. Über den Büchern schlief sie dann letztendlich ein. Eathan saß neben ihr und beobachtete seine Umgebung aufmerksam. An der Wand sah er etwas, das er nicht einordnen konnte. Doch das, was er gesehen zu haben schien, war bereits wieder verschwunden.
Janet schaute kurz nach, ob Tate noch immer über den Büchern hockte. Sie selbst hatte die letzte Stunde damit zugebracht, die Ketten ihrer Töchter und Nichten noch ein wenig mehr mit ihrer eigenen Magie zu verstärken. Als sie ihre Tochter schlafend vorfand, zauberte sie kurzerhand eine Decke herbei und legte sie um die schlafende Tate. Sie bemühte sich, völlig leise zu sein, als sie das Haus verließ. Es musste ja niemand wissen, wohin sie wollte. Die Göttin hatte zwar gesagt, dass Tate den jungen Schriftsteller nicht aufsuchen durfte. Doch von ihr hatte niemand gesprochen. Es brauchte einige Zeit, bis sie seine Wohnung gefunden hatte, doch sowohl Tate als auch die Göttin hatten magische Energie zurückgelassen, der sie folgen konnte. Dort angekommen strich sie sich nervös durch die Haare. Als sie klopfte, hörte sie hinter der Tür Schritte, ehe sie aufgerissen wurde und ihr ein Mann gegenüberstand, der aussah, als hätte er mehrere Tage keinen Schlaf mehr abbekommen. Etwas verwirrt sah er sie an.
„Kenne ich sie nicht von irgendwoher?“ Janet nickte.
„Das kann gut möglich sein. Wir sind uns bereits zweimal begegnet, obwohl ich da noch etwas jünger aussah. Ich heiße Janet.
Tate ist meine Tochter.“ Diese Worte ließ sie erst einmal sacken. Nate schaute die Frau vor sich verwirrt an. Als diese sich an ihm vorbei schob und sich geduldig im Zimmer umsah, fand er sich mit seinem Schicksal ab und schloss die Tür.
„Kann ich ihnen etwas zu trinken anbieten?“ Janet lächelte ihn an.
„Oh, ein Gentlemen. So etwas ist heutzutage sehr selten geworden. Hören sie Mr Connely, sie wissen bestimmt, warum ich hier bin“, setzte Janet an.
„Nate, nennen sie mich Nate“, erwiderte dieser.
„Gut, Nate, für meine Tochter war das heut ein aufregender Tag.“
„Geht es ihr und meinem Bruder gut?“ Fragte er. Janet nickte.
Er machte sich Sorgen um Tate, das war ein gutes Zeichen.
„Sie hat den ganzen Nachmittag damit verbracht, nach einem Gegenzauber für ihren Bruder zu suchen. Sie ist einer Bestrafung entgangen. Aber nur durch eine Zusicherung, dass niemand, nicht einmal der Rest der Familie, etwas davon erfährt.“ Ermattet ließ sich Nate auf die Couch sinken.
„Ich war heute bei ihrem Haus. Doch niemand machte auf. Was passiert nun mit Eathan?“
„Er wird wohl vorläufig erst einmal bei uns bleiben müssen, bis wir eine Lösung gefunden haben. Sagen Sie Eathan, können sie mir einen Grund nennen, warum sie nach Bridgetown gekommen sind?“
Dieser zuckte mit den Schultern.
„Seit etwa einem Jahr fühle ich mich ruhelos. Ich musste immer wieder an mein altes Zuhause denken und beschloss dann kurzerhand, einen Kurzurlaub einzulegen. Womit mein Agent ganz und gar nicht glücklich war,“ fügte er schief lächelnd hinzu.
„Lieben sie Tate?“ Die Frage war so rundheraus, dass Nate erst einmal sprachlos war.
„Ich weiß es nicht genau. Ich denke, dafür kenne ich sie noch nicht lange genug. Dazu kommt noch der Fakt, dass sie mich belogen hat und eine Hexe ist. Das ist nicht leicht zu verdauen.“
Wieder nickte Janet und tippte dabei nervös mit ihren Fingern auf dem Küchentresen herum.
„Wissen sie, ich habe meine Tochter noch nie so glücklich gesehen, wie mit ihnen. Vor einem Jahr haben meine Schwester und ich uns gedacht, dass wir unseren Kindern etwas unter die Arme greifen wollen. An Samhain vor einem Jahr sprachen wir einen Zauber aus. Um genau zu sein, einen Liebeszauber. Ich denke, das ist der Grund, warum sie sich so ruhelos gefühlt haben.“
„Halten sie es wirklich für klug, mir von einem Liebeszauber zu erzählen?“ Janet lachte kurz trocken auf, als ihr bewusst wurde, was der junge Mann vor ihr wohl denken mochte.
„Sie brauchen keine Angst zu haben. Ein Zauber kann niemals ihre Gefühle beeinflussen. Er hat ihnen nur einen kleinen Schubser in die richtige Richtung gegeben. Wahre Liebe ist etwas sehr Wertvolles auf dieser Welt. Das Universum hat sie beide zusammengebracht, weil es glaubt, dass sie meine Tochter so lieben können, wie sie ist. Wir Hexen sagen dazu Seelenverwandtschaft.“
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort.
„Der Rat hat uns eine Frist gesetzt. Sollten sie meine Tochter wirklich lieben, dann müssen sie für sie kämpfen. Sie haben bis morgen um Mitternacht Zeit, aus freien Stücken zu ihr zu kommen. Sie sind ein Sterblicher, das bedeutet, dass ihnen nur ein Wimpernschlag der Zeit einer Hexe bleibt. Der Rat bietet ihnen jedoch an, in unser Haus zu Tate zu ziehen und einen Eid abzulegen, dass sie mit Unwissenden nicht über Magie und alles, was sie in ihrem neuen Leben sehen und erfahren, reden. Im Gegenzug versorgt sie das Haus mit Energie, sodass sie die Lebenspanne eines normalen Sterblichen weit überschreiten werden.“
„Eine Art Unsterblichkeit wird einem nicht jeden Tag angeboten“, sagte Nate leicht sarkastisch. Das Ganze kam ihm immer mehr wie ein Traum vor. Das Schlimmste an der Sache war, dass er Tate wirklich vermisste, obwohl er sie noch vor ein paar Stunden gesehen hatte und in dieser kurzen Zeit so viel passiert war.
„Junger Mann, ich kann ihre Gefühle in ihrem Gesicht sehen. Niemand sagt, dass die Liebe leicht ist. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie ihre Familie und ihre Freunde überleben werden. Alles im Leben hat seinen Preis.“ Janet tätschelte ihm noch kurz die Schulter, dann machte sie sich auf den Heimweg. Mehr konnte sie nun nicht tun. Und sie betete zur Göttin, dass sie sich in dem jungen Schriftsteller nicht irrte.
Im Traum saß Tate auf der Bank, zu der Nate sie mit dem chinesischen Essen geführt hatte. Die Beine angewinkelt, den Kopf auf den Knien abgelegt, schaute sie auf das Wasser, das im Licht des Mondes wir Diamanten schimmerte. Als sich jemand neben sie setzte, zuckte sie nicht einmal zusammen.
„Das ist kein wirklicher Traum, hab ich recht?“ Fragte Nate sie.
Tate schüttelte den Kopf.
„Ich habe in den letzten Stunden viel gelesen. Es gibt Nachweise aus den letzten Jahrhunderten, dass es Hexen und Sterblichen möglich war, zusammen zu träumen. So, als wäre alles Real.“
„Das heißt, die ganzen letzten Nächte, das ist alles wirklich passiert? Die Badewanne, die Spaziergänge?“ Als Tate nickte, sagte er: „Das alles ist doch einfach verrückt.“
„Ja, da stimm ich dir zu.“
„Deine Mutter hat mich vorhin besucht.“ Nun schaute sie doch auf und sah Nate direkt in die Augen. Dieser schauten sie so intensiv an, dass sie wieder das Gefühl hatte, er könnte bis auf den Grund ihrer Seele schauen.
„Hat sie dir von der Bedingung des Rates erzählt?“ Nervös spielte Tate mit dem Saum ihrer Hose. Nate nickte, sagte jedoch nichts. Da Tate in diesem Moment nichts Besseres einfiel, zauberte sie ein kleines Lagerfeuer und eine Tüte mit Marshmallows herbei.
„Das letzte Mal fehlte dir doch das Feuer, oder?“ Erstaunt schaute Nate auf die Flammen, die vor ihnen auf dem Boden vor sich hin knisterten.
„Zauberei scheint auch
seine Vorteile zu haben, wenn man nicht von einem feindlichen
Magier angegriffen wird.“ Tate lachte zum ersten Mal wieder laut
auf.
„Ja, im Großen und Ganzen kann es dir das
Leben wirklich erleichtern. Es gibt natürlich Regeln, die
eingehalten werden müssen. Aber in einem Traum Feuer zu entfachen,
um Marshmallows zu rösten, das ist eine meiner kleinsten
Übungen.“
„Angeberin.“
Als Nate am nächsten Morgen erwachte, war er erstaunlich entspannt und ausgeschlafen. Noch immer hatte er den Geschmack der gerösteten Süßigkeit und Tates Abschiedskuss auf der Zunge. Sein Verstand war wieder völlig klar. Im Traum war ihm dazu noch eine Idee gekommen, wie er das nächste Kapitel seines Buches gestalten könnte. Es war ein erstaunlich klarer Tag. Auch wenn die Temperaturen noch weiter gesunken waren. Die Kinder verbreiteten eine angespannte Aufregung. Denn heute Nacht würden sie von Tür zu Tür in ihren Kostümen gehen, um Süßigkeiten einzusammeln und Leute zu erschrecken. Es war der 31. Oktober und somit Halloween. Da es Nate in den Fingern juckte und er so entspannt wie schon lange nicht mehr war, besorgte er sich einen doppelten Espresso in einem Coffeeshop um die Ecke und eine Kleinigkeit zum Frühstück. Dann setzte er sich den gesamten Vormittag an den Computer. Er musste seine eigene Wohnung kündigen und noch einige andere Sachen regeln. Nebenbei schrieb er die nächste Szene seines Buches komplett zu Ende.
Als Tate erwachte, war sie gleichermaßen ruhig wie nervös. Da das eigentlich nicht möglich war, verdrängte sie die Gedanken an Nate und machte sich auf den Weg in ihren Buchladen in der anderen Welt. Zuvor schüttete sie sich in der Küche eine Tasse Kaffee in den rumorenden Magen, ehe eines ihrer Familienmitglieder sie in ein Gespräch verwickeln konnte. Sie verbot sich den Funken Hoffnung, der in der letzten Nacht erwacht war. Auf dem Weg in den Laden grüßte sie geistesabwesend alle bekannten Gesichter, die ihr ein magisches Samhain wünschten. Sie hatte noch ein paar Besorgungen zu machen, die wichtig für den heutigen Abend waren, daher wollte sie nur schnell nach dem Rechten sehen. Trotz allem, was in der letzten Zeit passiert war, war das heutige Ritual kurz vor Mitternacht wichtig für Hexen. Sie huldigten der Göttin und erneuerten die Energien. Als sie die Tür ihres Buchladens öffnete, blieb sie erstaunt stehen. Hinter der Kasse stand Dolores. Sie verkaufte gerade einem Kobold ein Buch über die Künste der Konversation. Doch was Tate so erstaunte, war Orgrim. Der Troll stand im hinteren Bereich des Ladens und füllte ein Regal auf. Als er sie sah, nickte er ihr kurz zu, ehe sich wieder mit dem Rücken zu ihr umdrehte. Aus Dolores konnte sie nicht viel herausholen. Die Drachin war wie sooft kurz angebunden.
„Dolores, hat Orgrim etwas gesagt?“
„Nein.“
„Er ist einfach durch die Tür gekommen und hat angefangen zu arbeiten?“ Fragte Tate leicht gereizt.
„Ja.“ Frustriert entschied Tate, die Sache auf sich beruhen zu lassen und einfach glücklich darüber zu sein, dass Orgim zurückgekehrt war.
Sie beeilte sich, ihre
Besorgungen zu erledigen. Im Kasino leierte sie Jodi zwei Tafeln
von Angis selbst gemachter Nussschokolade aus den Rippen.
Erstaunlicherweise brauchte sie diesmal nicht allzu viele
Schmeicheleien. Als sie die Wohnungstür öffnete, jagte Chloe gerade
dem Kater nach, der einen ihrer Schuhe in der Schnauze hielt. Zum
Glück war sie schnell genug und wich Chloe aus, als diese über den
Sessel in den Flur sprang.
„Na warte, ich kriege dich schon noch“,
rief sie dem Kater hinterher, der die Treppe hinauf sauste. Als sie
einen Blick ins Wohnzimmer warf, traute sie ihren Augen kaum. Ihre
Mutter, ihre Tante und der Großteil ihrer Schwestern und Cousinen
standen an den Fenstern und drückten sich die Nasen
platt.
„Was im Namen der Göttin geht denn hier vor?“ Ihre Mutter strahlte sie förmlich an, als sie Tate zu sich winkte.
Nate stand zum zweiten Mal allein vor dem Tor von Tates Zuhause. Zum ersten Mal fiel ihm der Briefkasten auf. Die Namen Hale und Johnson waren in fein geschwungenen Buchstaben eingraviert. Hieß das etwa, dass all diese Frauen hier zusammenwohnten? Nate verschob diesen Gedanken auf später. Als er auf die Klingel zutrat, öffnete sich das Tor unter quietschenden Lauten von ganz allein. Nate nahm das als gutes Zeichen und ging den Weg zum Haus hinauf. Jetzt, wo er wusste, dass die Bewohner dieses Hauses Hexen waren, nahm er die ausgeschnittenen Kürbisse und die anderen Zeichen deutlicher wahr. Als er näherkam, sah er einige der Frauen von der Signierstunde, die hinter den Fenstern standen und ihn breit angrinsten.
Er grinste zurück, denn was blieb ihm auch anderes übrig?
Als sich die Tür öffnete, trat ihm Tate entgegen. Ihr smaragdgrünes Kleid unterstrich die Schönheit ihrer Augen, in denen er sofort versank. Die Hoffnung, die er in ihren Augen erkennen konnte, ließ sein Herz höher schlagen. Und das stärkte ihn nur noch mehr in seiner Entscheidung. Tate schloss die Tür hinter sich, blieb jedoch dort stehen. Nate blieb kurz vor ihr stehen. Somit stand er unter dem Türbogen und die Frauen hinter den Fenstern konnten ihn nun nicht mehr sehen. Das laute Gemurmel im Inneren ignorierend, steckte er nervös die Hände in die Hosentaschen. Als er merkte, wie er wirken musste, nahm er die Hände wieder aus den Taschen. Wie band man sich als Mann an eine Hexe, ging es ihm durch den Kopf. Doch als er Tate in die Augen schaute, war die Sache ganz einfach. Er überwand die Leere zwischen ihnen, nahm die in den Arm und legte all seine Liebe in den Kuss.
„Ich liebe dich“, sagte er zwischen zwei Küssen.
„Ich dich auch“, erwiderte Tate. Als sie dies sagte, machte irgendetwas in ihrem Kopf klick. Sie war angekommen. Sie hatte den Mann gefunden, der sie akzeptierte und das Leben mit ihr teilen wollte. Doch eine letzte Frage musste sie klären, also machte sie sich von ihm los, vermisste jedoch sogleich seine Wärme.
„Bist du dir ganz sicher? Du weißt, was deine Entscheidung für Konsequenzen hat, oder?“ Nate lächelte sie schief an.
„Ja, ich weiß bescheid. Aber hey, eine Sicherheit in Liebesdingen hat kein Mensch. Kaum etwas hält für ewig.“ Als Tate ihn herausfordernd anschaute, zog er sie wieder an sich und flüsterte an ihren Lippen: „Aber um ehrlich zu sein, hört sich unendlich mit dir in Zusammenhang wirklich gut an.“ Dann küsste er sie erneut. Das laute Jubeln hinter der Haustür ignorierten beide.