Chloe und Amy schauten zu, wie Tate ihren Kleiderschrank durchwühlte. Egal, ob Hexe oder sterbliche Frau, vor einem wichtigen Date fand man einfach nie das richtige zum Anziehen. Obwohl Tate das Wort Date wohl nie verwenden würde.

„Schätzchen, warum leihst du dir nicht etwas von mir aus?“ Fragte Amy. Mit einem Fingerschnippen hatte sie einen Rock und eine Bluse, die mit ihrer smaragdenen Farbe perfekt zu Tate passten. Kopfschüttelnd schaute Tate auf das Outfit in Amys Händen.

„Amy, das bin nicht ich. Außerdem ist das nur ein Geschäftsessen, an dem du übrigens schuld bist.“ Sagte sie anklagend. Ihr Magen veranstaltete schon seit dem Mittag Purzelbäume. Sie verstand es einfach nicht. Was hatte dieser Mann an sich, dass sie vor einem einfachen Essen so nervös wurde? Immer wieder hatte sie überlegt, dass Essen einfach abzusagen. Doch ihr Stolz ließ es nicht zu.

„Wieso genau soll ich noch einmal schuld sein?“ Fragte Amy in unschuldigem Ton. Chloe kicherte leise, hielt sich jedoch schnell die Hand vor den Mund, als sie Tates Gesichtsausdruck sah.

„Weil du es warst, die ihn angesprochen hat.“

„Aber warst du es nicht, die sagte, dass das nur ein einfaches Essen sei, er ein Sterblicher ist und du keine Zeit für einen Mann in deinem Leben hast?“ Fragte Amy süffisant. Als Chloes Ellbogen ihr in die Seite stach, schaute sie ihre Cousine böse an. An Tate gewandt sagte sie: „Komm schon. Kannst du denn diesen einen Abend nicht einfach genießen? Und schau, wie gut dir das Outfit steht.“ Tate konnte nur einmal kurz blinzeln, da trug sie bereits den Rok und die Bluse. Wiederstrebend musste sie zugeben, dass ihr Amys Sachen wirklich standen. Wie sollte es auch anders sein. Beides war von Amy entworfen worden und auf den Modeschauen rissen sich die Leute nach ihren Entwürfen. Chloes Pfiff bestätigte ihre Gedanken.

„Tate, das sieht wirklich toll aus. Damit wirst du ihm glatt den Kopf verdrehen.“ Demonstrativ verdrehte sie die Augen. Aber sie musste Chloe schon recht geben.

Seufzend ergab sie sich ihrem Schicksal.
„Ok, ok. Ihr habt gewonnen. Aber zuerst muss ich noch in meinen Buchladen in der anderen Welt. Dolores möchte noch irgendetwas mit mir besprechen.“ Nachdem Chloe und Amy gegangen waren, zauberte sich Tate ihre Alltagskleidung zurück und legte Amys Sachen sorgfältig aufs Bett. Schnell beeilte sie sich, zur Haustür zu gelangen, ehe sie noch jemand aufhielt. Durch ein einfaches Schnippen ihrer Finger veränderte sie die Dimension, in der sich das Haus befand. So musste es jede der Frauen machen, um in die jeweilige Welt zu gelangen. Sah die Auffahrt des Hauses in der sterblichen Welt ein wenig gruselig aus, so sah sie in der anderen Welt, wie die Hales sie nannten, extrem gruselig aus. Gräber der vorherigen Generationen säumten den Garten. Statt Blumen gab es Grabsteine. Kürbisse säumten nun kurz vor Halloween den Weg. Fledermäuse und Eulen hatten es sich auf den umliegenden Bäumen gemütlich gemacht. Doch der Unterschied bestand darin, dass nach dem riesigen quietschenden Tor alles anders war. Hexen flogen auf Besen, Feen flogen mit ihren glitzernden Flügeln singend durch die Luft, Trolle und andere Wesen gingen ihres Weges. Hier und da wurde Tate gegrüßt. Sie winkte und lächelte zurück und beeilte sich, in ihren Laden zu gelangen. Seit etwa zweihundert Jahren gehörte ihr Laden zum Bild von Cross Town. Ihre Urahnen hatten an dieser Stelle ein Dorf gegründet und seitdem lebten sie hier. Als sie ihren Laden betrat, erklang auch hier eine Glocke. Dolores stand hinter dem Tresen und winkte sie zu sich heran. Die Drachin, die tagsüber in ihrem Laden in Menschengestalt angestellt war, spuckte die meiste Zeit wortwörtlich Feuer. Denn sie kam mit dem Troll, der die Abendschicht übernahm, nicht zurecht. In regelmäßigen Abständen beschwerte sie sich über ihn und Tate stand da, hörte zu und nickte verstehend.

„Dolores, du wolltest mit mir sprechen?“ Die Drachin nickte und kassierte eine Hexe ab, die sich ein Buch über Liebeszauber kaufte.

„Tate, du weißt, dass ich gern für dich arbeite. Aber so kann es nicht mehr weiter gehen. Dieser Troll kommt seit einigen Tagen immer früher. Nur, um mir auf die Finger zu schauen.“ Die Hände erhoben, um eine weitere Tirade zu unterbrechen, die bestimmt über eine Stunde gedauert hätte, sagte Tate: „Du hast recht, das geht zu weit. Ich werde gleich morgen Abend mit ihm reden und ihn in seine Schranken weisen. Heute habe ich leider schon etwas vor.“ Dolores wackelte daraufhin mit den Augenbrauen.

„Ich habe schon gehört, dass du heute ein heißes Date hast. Sag, sieht er wirklich so aus wie auf seinen Fotos auf seinen Büchern?“

„Woher genau weißt du davon?“ Fragte Tate. Ein Buschfunk war nichts gegen neugierige Hexen, die ihren Mund nicht halten konnten.
„Och, ich habe hier und da etwas gehört. Komm schon Mädchen. Es wird dir gut tun, mal wieder mit einem männlichen Wesen auszugehen. Auch wenn es sich dabei um einen Sterblichen handelt. Aber wir könnten ihm ja ein wenig Werwolfsblut injizieren oder ihn von einem Vampir beißen lassen. Dann könntest du ihn behalten, “ sagte Dolores augenzwinkernd. Das Schlimme war, dass sie es wirklich ernst meinte. Für die Meisten der anderen Welt waren Sterbliche nicht viel wert. Einmal im Jahr, zu Samhain, öffnete sich ein Tor in die Welt der Sterblichen und einige der Anderen machten sich auf zu einem kleinen Ausflug. Die Betrunkenen nach Halloween am nächsten Morgen, die kaum mehr laufen konnten? Zombies, die zu viel Süßigkeiten intus hatten. Die Leute, deren Augen kaum mehr zu sehen waren und bei denen man annahm, dass sie einen Kater nach einer Nacht mit zu viel Alkohol hatten? Vampire, die ziemlichen Hunger hatten.

Nur die Hexen hatten immer einen Zugang, der stets zur Verfügung stand.

„Nein, diesen Gedanken vergisst du gleich wieder. Außerdem ist es nur ein Geschäftsessen. Ich werde morgen noch einmal vorbei kommen, es kann aber etwas später werden.“ Dolores war wieder mit der nächsten Kundin abgelenkt, also verzog sich Tate, so schnell es ging. Auf dem Rückweg zum Haus wurde sie noch ein paar Mal angesprochen, doch sie konnte die Gespräche immer schnell beenden. Irgendjemand würde ihr dafür Rede und Antwort stehen, schwor sich Tate. Sie kam gerade noch rechtzeitig im Laden an, als Nate an die Tür klopfte.

 

Die Fahrt zum Restaurant verbrachten sie schweigend, beide in ihre eigenen Gedanken versunken. Seltsamerweise empfand Tate die Stille nicht als unangenehm. Mit einem erleichterten Aufatmen bemerkte sie, dass er ein Restaurant gewählt hatte, das sich nicht in Bridgetown befand. Sie liebte ihre Familie, aber sie wusste, wozu die Frauen fähig waren. Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass eine oder zwei ihrer Schwestern auftauchten. Doch jetzt, wo sie die Stadt verließen, fühlte Tate sich beruhigt. Allerdings nur, bis sie bemerkte, welches Restaurant Nathan ausgesucht hatte. Es gab im gesamten Umkreis etwa 200 Restaurants und Gaststätten, aber er musste gerade dieses raussuchen. Das italienische Restaurant Magico lag neben einem kleinen See. Tate kannte das Restaurant sehr gut, denn hier war Angi, eine ihrer Cousinen, als Köchin angestellt. Aufgrund ihrer Kochkünste verzeichnete das Restaurant etwa die doppelte Menge an Gästen, als zuvor. Betrieben wurde es von einem älteren Ehepaar. Und das seit etwa eintausend Jahren. Als sie ausstiegen und auf die Terrasse zugingen, auf der im Sommer die Gäste sitzen konnten, betete Tate inständig, dass ihre Familie nicht auftauchen würde. Eine neue Empfangsdame, die Tate zum Glück nicht kannte, führte sie zu ihrem Tisch. Als sie sich setzten, fragte Tate: „Sagen Sie Nate, wie haben Sie es geschafft, so kurzfristig einen Tisch zu bekommen? Normalerweise muss man einen Monat im Voraus reservieren.“ Nate lächelte sie mit einem trägen Lächeln an und Tates Herz machte einen Salto in ihrer Brust.

„Ich habe lediglich erwähnt, dass ich schon viel von diesem Restaurant gehört habe und ich ein wichtiges Geschäftsessen mit einer Geschäftsinhaberin habe.“ Kopfschüttelnd legte sich Tate die Servierte auf den Schoß. Irgendetwas stimmte da nicht. Als eine Frau an einem Tisch neben ihnen aufschrie, schaute das gesamte Restaurant sie an.
„Ich…ich habe da in der Ecke eine Fledermaus gesehen“, sagte diese. Als alle in die angedeutete Ecke schauten, war dort jedoch nichts zu sehen.

Tate, warum erzählen sie nicht zuerst einmal etwas über sich?“ Etwas abgelenkt sagte Tate: „Mh?“ Nathan schaute sie grinsend an.

„Ich meine, wie kommen sie dazu, einen Buchladen genau an diesem Ort aufzumachen? Haben sie Familie? Ein Haustier?“

Meine Familie lebt schon seit über tausend Jahren in Bridgetown. Daher war es naheliegend, mein Geschäft hier zu eröffnen. Meine Schwester betreibt eine Boutique nur ein paar Straßen entfernt. Insgesamt habe ich 8 Schwestern.“

Als sich Nathan an seinem Wasser verschluckte, musste sie ein Grinsen unterdrücken. Für die Sterblichen waren 9 Kinder etwas, das sie nicht verstanden. Für eine Hexe war es jedoch normal. Als ihnen der Kellner eine Flasche Wein hinstellte, hatte er sich wieder gefangen.

„Wie sieht es bei Ihnen aus?“ Fragte Tate.

„Ich habe nur einen Bruder, mit dem ich allerdings schon länger keinen Kontakt mehr habe.“

„Wie kommt das?“ Fragte Tate verwundert. Auch wenn sie ihre Familie ab und zu mal auf den Mond verbannen könnte, würde sie es nie allzu lange aushalten, ohne sie zu sein.

„Nun ja, wir sind beide relativ zeitig ausgezogen. Eathan ist durch die Welt gereist, während ich mein Studium begann und später wieder abbrach.“ Tate nippte an ihrem Wein und hoffte, dass Nathan ihr Magenknurren nicht gehört hatte. Sie hatte den ganzen Tag nur wenig gegessen. Was wiederum an ihrem nervösen Magen gelegen hatte. Doch auch das war eine der Dinge, die sie nie zugeben würde.

„Was genau wollten sie denn studieren?“ Nathan schüttelte lachend den Kopf.

„Ich wollte Anwalt werden, nachdem ich als Kind eine Serie im Fernsehen gesehen hatte, bei der den Anwälten ständig die Köpfe explodierten oder sie auf der Toilette Lieder sangen. Ich habe aber schnell bemerkt, dass es mir nicht liegt.“ Lächelnd sagte sie: „Ja, das verstehe ich. Meine älteste Schwester Adele ist Anwältin. Ich sage ihnen, sie kann einem sogar den letzten Keks aus der Dose abschwatzen, wenn sie möchte.“ Nathan lachte, was bei Tate Schmetterlinge im Bauch auslöste. Oh man, sie steckte in Schwierigkeiten. So etwas war ihr noch nie passiert. Als die Kellnerin die Bestellung aufnahm, lächelte sie Tate verschmitzt an. Leider konnte sie sich nicht in einem Loch verkriechen, als Betsy, die Kellnerin, sagte: „Tate, als Nachspeise empfehle ich euch unser weltberühmtes Schokoladensouffle. Perfekt für einen romantischen Abend zu zweit.“

Das ist kein….ich meine…arbeitet Angi heut Abend?“ Stammelte Tate leicht verlegen.

Betsy nickte.
„Ja, sie hat mich angewiesen, euch jeden Wunsch zu erfüllen.“

Mit diesen Worten und nachdem sie ihre Bestellung aufgenommen hatte, verschwand Betsy in Richtung Küche, um Angi Bericht zu erstatten. Tate rutschte etwas in ihrem Stuhl nach unten und verwünschte die Röte, die sich wahrscheinlich wieder über ihrem Gesicht ausbreitete.

„Ist Angi eine ihrer Schwestern?“ Fragte Nathan interessiert. Tate schüttelte den Kopf.

„Nein, sie ist eine meiner Cousinen.“ Wieder schaute er ungläubig.

Eine ihrer Cousinen?“ Zum Glück wurde Tate unterbrochen, als sie zu einer Antwort ansetzte. Betsy stellte zwei dampfend heiße Suppen vor ihnen hin und zwinkerte ihr dabei zu. Angis Kürbiscremesuppe war wie immer grandios und Tate entspannte sich immer mehr. Als sie aus den Augenwinkeln heraus eine Spinne über den Tisch laufen sah, zuckte sie kurz zusammen. Doch als sie genauer hinsah, konnte sie nichts mehr entdecken. Ok, vielleicht halluzinierte sie jetzt. Und wenn nicht und ihre Familie spionierte ihr wirklich hinterher, dann konnten sie noch etwas erleben.

Der Abend verlief sehr angenehm, Nate war ein witziger Anekdotenerzähler und brachte sie mit Geschichten aus seiner Kindheit zum Lachen. Sie merkte schnell, dass er seinen Bruder vermisste, denn ein Großteil seiner Geschichten handelte von ihm. Die Nachspeise, das Schokoladensoufflee, brachte Angi persönlich zu ihrem Tisch.

„Ich hoffe, es hat euch geschmeckt“, sagte Angi.

„Nate, das ist meine Cousine Angelika. Sie ist die Köchin, deren Essen sie so gelobt haben, “ sagte Tate.

„Es freut mich, ihre Bekanntschaft zu machen.“ Angi lächelte ihn neugierig an und stellte das Soufflé inklusive zweier Löffel auf den Tisch.

Tate hatte eine Schwäche, und die hieß Schokolade. Sie war verrückt danach. Genau wir ihre Schwester Jodi.

Das Problem bestand darin, dass sie als Hexe auf Schokolade wie auf Drogen reagierte. Ihre Zauberkräfte machten dann, was sie wollten. Doch zum Glück hatte Angi vor gut 100 Jahren ein Rezept entwickelt, das diese Wirkung unterband und so machten sie sich heißhungrig über den Nachtisch her. Es störte sie auch nicht, dass sie sich eins teilen mussten. Tate musste sich eingestehen, dass sie schon lange nicht mehr so einen angenehmen Abend mit einem Mann verbracht hatte. Als Betsy zu ihrem Tisch kam, schaute Tate sie fragend an. Dem Gesichtsausdruck der Kellnerin nach zu urteilen, stimmte etwas nicht.

„Tate, Angi möchte dich kurz in der Küche sprechen.“

„Entschuldigen sie mich kurz, Nate?“ Noch ehe er die Gelegenheit hatte, zu antworten, stand sie auch schon auf und verschwand in Richtung Küche. Als sie die Tür des Heiligtums ihrer Cousine öffnete, wäre sie am liebsten auf dem Absatz umgekehrt. Um den Herd herum hatten sich Angi, Chloe, Amy, ihre Mutter und Roxy, eine Freundin der Familie, eingefunden.
„Das ist nicht euer Ernst. Könntet ihr mir nicht einen Abend Privatsphäre zugestehen?“

„Ach Schätzchen, nun sei nicht eingeschnappt. Wir sind aus einem ganz anderen Grund hier“, sagte Janet mit ihrer Stimme, die sie immer anwandte, wenn sie jemanden um den Finger wickeln wollte. Tate schaute sie jedoch nur schweigend an.

„Tate, ich bin hier, um euch eine Nachricht zu überbringen“, sagte Roxy. Dabei warf sie unbewusst ihre rote Haarmähne nach hinten, wofür Tate ihrer Freundin immer beneidet hatte. Doch so ernst, wie sie sich nun gab, war Roxy selten. Im Normalfall war sie immer für einen Spaß zu haben. Sie war die stille Teilhaberin im Casino der Zwillinge und zudem Satans Tochter. Verständlicherweise behielt sie diese Information stets für sich.

„Was genau meinst du?“ Fragte Chloe alarmiert.

„Ist euch der Name Loc ein Begriff?“ Da alle bei der Erwähnung dieses Namens erschrocken Luft holten, nickte Roxy.

„Gut, wie ich sehe, brauche ich euch nichts weiter über ihn zu erzählen. Vor 500 Jahren wurde er zur Strafe in einen Geist verwandelt, den niemand sehen oder hören konnte, außer den Wächtern. Auch seine Kräfte wurden gebannt.“ Nach einer kurzen Pause fuhr Roxy fort. Anscheinend überlegte sie, wie viel sie den Hexen verraten konnte.

„Im letzten Jahr an Samhain gab es anscheinend eine Störung der Energien.“ Tate bemerkte, wie ihre Mutter erstarrte, als Roxy weitererzählte.

„Die Wächter haben erst vor einigen Wochen erfahren, dass er aus der Hölle verschwunden ist. Die Spuren führen über ein Portal nach Bridgetown. Ich weiß nicht wie, aber er hat einen Teil seiner Macht eingesetzt, um sich vor uns zu verbergen.“

Chloe schüttelte den Kopf.

„Warum ist er ausgerechnet hierhergekommen? In der Menschenwelt hat er doch wesentlich weniger Chancen als in der anderen Welt.“ Fragte sie.

„Weil er mich sucht.“ Janets Antwort erstaunte sie. Nur Roxy wusste anscheinend, was Janet meinte.

„Wie meinst du das?“ Fragte Tate. Janets Gesichtsausdruck wurde emotionslos, als sie sagte: „Als ich eine junge Hexe war, lernte ich euren Vater kennen. Er war ein Wächter in der anderen Welt. Damals gab es Wächter nicht nur in der Hölle, sondern auch in der sterblichen und in der anderen Welt. Damals streifte Loc als einer der größten Magier seiner Zeit durch die Welt und erkundete die dunklen Mächte. Durch dunkle Blutmagie überfiel er Städte und Dörfer und strebte nach der unendlichen Macht. Ich half eurem Vater, ihn gefangen zu nehmen“, sagte sie an Chloe und Tate gewandt. Angi strich ihr beruhigend über den Arm. Sie alle vermissten ihren Onkel Ed.

„Damals schwor er, Rache an uns und unseren Nachfahren zu nehmen“, fuhr Janet fort.

„Dann werden wir dir helfen, ihn aufzuspüren und erneut gefangen zu nehmen“, sagte Chloe. Doch Janet schüttelte den Kopf.

„Das ist nicht so einfach. Eure Kräfte sind stark, doch nicht stark genug. Auch meine Energie ist nicht mehr ausreichend.“ Verwundert sahen sie die ältere Hexe an. Doch ehe sie eine Erklärung verlangen konnten, sagte Roxy: „Es tut mir leid, doch die Pflicht ruft. Lasst uns vor Samhain alle zusammenrufen und dann einen Schlachtplan ausarbeiten. Außerdem kann Tate ihr Date nicht ewig draußen allein sitzen lassen.“ Erschrocken fuhr Tate zusammen. Roxy hatte recht.

Gut, Roxy. Ich werde alles in die Wege leiten.“ Mit diesen Worten verwandelte Janet sich in eine Fledermaus und verschwand durch die Hintertür. Tate kehrte zu ihrem Tisch zurück und lächelte Nate entschuldigend an.
„Es tut mir leid. Ich hoffe, ich habe sie nicht allzu lange warten lassen.“ Nate schüttelte den Kopf. Einer seiner Eigenarten bestand darin, sich überall und zu jeder Zeit mit seinem derzeitigen Projekt zu beschäftigen. Während Tates Abwesenheit hatte er sich bereits weitere Morde überlegt.

„Nein, sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Allerdings habe ich nun den Nachtisch allein genossen“, sagte er lächelnd. Als sie sich auf den Heimweg machten, lächelte ihnen Betsy beim Hinausgehen spitzbübisch zu.

Und wieder wäre Tate am liebsten im Boden versunken.

Die Rückfahrt verlief diesmal nicht schweigend und Tate musste immer wieder über Nates Erzählungen lachen.

„Wo genau soll ich sie eigentlich hinfahren?“ Tate wies ihm den Weg zu ihrem Haus. Am Tor angekommen war sie froh, dass das Haus nicht hell erleuchtet war. In der Vergangenheit war es immer wieder vorgekommen, dass Männer, die ein Date mit einer der Hale oder Johnson Frauen hatte, schnellstmöglich das Weite suchten. Und nicht nur durch den Anblick, der Sterbliche verstörte. Wen das Haus nicht leiden konnte, der wurde sofort verjagt. Ganz Gentleman, stieg Nate zuerst aus und öffnete ihr die Tür. Seltsamerweise begann ihr Herz zu rasen, obwohl sie doch wusste, dass der Abend nicht als Date zu deuten war. Als sie von ihrem Sitzplatz aufstand, nahm Nate wieder ihre Hand in seine. Unwillkürlich schaute sie ihm in die Augen. Und sie versank regelrecht in ihnen.

„Ich habe mich heut Abend sehr gut unterhalten“, sagte Nate. Auch er war von ihren Augen hypnotisiert. Als sein Blick zu ihren Lippen wanderte, schluckte Tate. Und endlich gestand sie sich ein, dass sie sich nichts Sehnlichster wünschte, als dass dieser Mann sie küsste. Als ob er ihr Geständnis gehört hatte, senkte er die Lippen und ein Feuer, das sie nie zuvor erlebt hatte, raste durch ihren Organismus. Hinter ihren geschlossenen Augenliedern explodierten bunte Lichter und sie betete zur Göttin, dass diese nicht Wirklichkeit waren. Seine Zunge strich zart an ihrer Unterlippe entlang und sie gewährte ihm Einlass. Nate hielt ihren Kopf mit der linken Hand fest, während seine Rechte zu ihrer Hüfte wanderte. Nur, um Atem zu schöpfen, lösten sie sich kurz voneinander. Wie aus weiter Ferne hörte sie das Klingeln ihres Handys. Schwer atmend schauten sie sich an, ehe Tate endlich reagierte und ihr Handy aus der Tasche kramte. Verwundert bemerkte sie, dass ihre Fingerspitzen kribbelten. Als sie abnahm, hörte sie Chloe leicht kichern, ehe sie sagte: „Tate, du solltest langsam rein kommen. Alle Einwohner dieses Irrenhauses stehen am Fenster und bewundern euch zwei und ein spektakuläres Feuerwerk.“ Als Tate auflegte, war sie bestimmt mal wieder so rot wie eine Tomate. Doch zum Glück war es Dunkel, das Feuerwerk musste aufgehört haben, als sie sich trennten.

„Ich sollte wohl langsam ins Haus gehen“, sagte Tate zögernd. Nate nickte, ehe er sie wieder an sich zog und erneut ihren Mund in Besitz nahm. Als er sie wieder zu Atem kommen ließ, strich er ihr kurz mit dem Finger über die Wange.

„Wir sehen uns morgen.“ Mit diesen Worten ging er um das Auto herum, setzte sich ans Steuer und verschwand in die Dunkelheit. Tate stand noch einige Minuten draußen vor dem Tor, bemüht, ihren Herzschlag zu beruhigen. Als sie sich dann endlich auf den Weg machte und die Tür aufschloss, saß der Großteil ihre Familie im größten Zimmer des Hauses. Einige lasen, einige schauten Fernsehen und die Zwillinge spielten Schach. Ihre Mutter hörte sie in der Küche laut mit den Töpfen werkeln. Ohne hallo zu sagen, verschwand sie die Treppe hinauf in ihren Wohnbereich. Als sie die Tür hinter sich schloss, sah sie Amy, Chloe und Angi auf ihrem Bett sitzen. Verdammt, sie musste unbedingt daran denken, ihr Heim zu schützen, ehe sie das Haus verließ. Alle Drei sahen sie erwartungsvoll an. Doch ehe sie etwas sagte, nahm sie ein großes Kissen in die Hand. Chloe, die ahnte, was gleich geschehen würde, sprang quietschend vom Bett. Amy und ihre Cousine wurden jedoch mit voller Wucht von dem Kissen getroffen.

„Wie konntet ihr mir nur so hinterher spionieren“, rief sie in das Lachen hinein. Irritiert hob Angi eine Hand.

„Hay, was soll das heißen? Wie du weißt, arbeite ich in diesem Restaurant und habe dadurch durchaus die Berechtigung, dort zu sein. Ich kann nichts dafür, dass dein Schriftsteller unbedingt das  Magico für euer erstes Date ausgesucht hat.“ Und wieder wurde Angi von dem Kissen getroffen und fiel dabei lachend nach hinten. Ihre schwarze Haarpracht breitete sich dabei fächerartig über das Bett aus.

„Wie kommt es dann, dass er so kurzfristig einen Tisch bekommen hat?“ Als Tate jedoch selber anfangen musste zu lachen, ließ sie das Kissen auf den Boden fallen und setzte sich aufs Bett. Als sich alle soweit beruhigt hatten, dass keiner mehr lachen musste, berichtet Tate von dem Abend. Chloe schaute dabei besorgt ihre Schwester an, in deren Augen ein Glanz zu finden war, den sie bei Tate nie zuvor bemerkt hatte.

„Schätzchen, du weißt, dass er ein Sterblicher ist, oder? Du kannst dir nicht sicher sein, ob er mit deinem Geheimnis klarkommen wird. Möchtest du dieses Risiko eingehen?“ Das Schweigen zog sich unangenehm in die Länge, als Chloe tröstend Tates Hand in ihre nahm.

„Ja, ich weiß, was du meinst. Ich weiß das alles, doch noch nie in meinem Leben habe ich mich so wohl in der Gesellschaft eines Mannes gefühlt. Und er hat mich geküsst. Das heißt, er muss mich zumindest als Frau attraktiv finden.“ Ein lauter Knall aus dem Untergeschoss unterbrach jäh ihre Unterhaltung. Ohne lange zu überlegen, stürzten sie aus Tates Wohnung hinunter in die Küche, in der sich die gesamte Familie versammelt hatte und auf Janet und Tabea schauten, die auf dem Boden saßen. In einer kleinen Rauchwolke tauchte dann auch noch Roxy auf, einen Feuerball in der Hand, bereit, jemanden damit anzugreifen.

„Roxy, er ist weg, du kannst dein Feuer löschen“, sagte Tabea, als sie ihrer Schwester auf die Füße half. Ihre Töchter fingen alle an, durcheinanderzureden an. Bis Roxy schrie: „Ruhe!“ Mit einem Mal verstummten alle.

„Setzt euch, wir haben etwas zu bereden.“ Gehorsam setzten sich alle Töchter auf Stühle oder direkt auf die Erde, während Janet und Tabea Tee in einem alten Kessel kochten. Als Angi es nicht mehr aushielt, sagte sie: „Ok ihr drei und jetzt sagt uns, was ihr uns verschweigt.“ Ihre Mutter schaute sie ein wenig schuldbewusst an, währen ihre Tante seelenruhig Tee in die Tassen füllte. Roxy machte den Anfang. „Wie es aussieht, hat Loc seinen ersten Angriff gestartet.“ Als alle erschrocken durcheinanderredeten, sagte Janet laut: „Muss ich euch erst durch Magie zum Schweigen bringen?“ Diese Drohung wirkte und die Frauen beruhigten sich wieder. Janet nahm den Faden auf, den Roxy durch die Unterbrechung verloren hatte.

„Wie ihr wisst, habe ich dabei geholfen, Loc gefangen zu nehmen. Es ist jetzt einige Jahrhunderte her, doch er scheint mich nicht vergessen zu haben.“ Nach einer kurzen Pause, in der Janet überlegte, was sie nun sagen wollte, fuhr sie fort: „Er scheint den Verlust meiner Kraft auszunutzen, um mich anzugreifen. Wäre Tabea nicht bei mir gewesen, hätte er vielleicht sogar eine Chance gehabt.“ Als die Töchter Janet nur verständnislos anschauten, sagte Roxy: „Ihr solltest vielleicht erklären, warum eure Kräfte nachgelassen haben.“ Diesmal ergriff Tabea das Wort.

„Vor einem Jahr an Samhain haben wir einen Zauber gewirkt, der uns seitdem unsere Energie - na sagen wir mal - abzapft.“ Chloe, die ihre Mutter beim Verlassen des Buchladens beobachtet hatte, kniff misstrauisch die Augen zusammen, als ihr ein Gedanke kam.

„Was genau war das für ein Zauber?“ Fragte sie. Alle warteten gespannt auf die Antwort. Nur Roxy schien das Ganze mit Humor zu nehmen und unterdrückte durch Hüsteln ein Lachen.

„Nun ja, ein Liebeszauber“, sagte Tabea schuldbewusst. Janet schien sich nun intensiv damit zu beschäftigen, die Teetassen wieder aufzufüllen. Als sie aus dem Fenster sah, glitt etwas Weißes aus ihrem Blickfeld.

„Habt ihr eben auch ein Einhorn im Garten gesehen?“ Fragte sie irritiert.

„Du brauchst gar nicht abzulenken“, sagte Chloe energisch. Der Rest stimmte ihr zu.

Für wen genau ist dieser Liebeszauber gedacht“, fragte nun auch Tate, die an das seltsame Verhalten ihrer Mutter in ihrem Laden dachte, als sie dort Nate begegnet war. Tabea seufzte und schaute ihre Schwester schulterzuckend an. Sie hatten nun keine andere Wahl mehr, als mit der Wahrheit herauszurücken.

Im letzten Jahr haben wir mitbekommen, dass ihr alle unglücklich seid. Mir ist dabei ein Zauber unserer Mutter eingefallen.“ Tabea fuhr fort: „Wir dachten uns, wir könnten ihn ja mal probieren, schaden wird es wohl nichts. Jede Tochter sollte die wahre Liebe finden.“ Als die Stimmung erneut umkippte und alle durcheinanderredeten, schoss Roxy einen Feuerball an die Decke, der jedoch keinen Brandfleck verursachte, da es nur eine Illusion war. Doch die gewünschte Wirkung trat ein und alle beruhigten sich wieder. Janet fuhr fort: „Das der Zauber uns so viel Energie entzieht, damit haben wir allerdings nicht gerechnet.“ Angi schaute ihre Mutter und ihre Tante böse an.

„Das heißt, ihr habt auf jede von uns einen Liebeszauber losgelassen und das hat dann auch dazu geführt, dass Loc entkommen konnte, sehe ich das richtig?“ Fragte sie. Mit einem Mal waren alle ruhig. Kein Laut außer der Uhr im Flur war mehr zu hören. Erst jetzt wurde ihnen bewusst, was das alles bedeutete.

„Ja, Angi, du hast recht. Es ist hauptsächlich meine Schuld, denn ich habe Tabea dazu überredet.“ Janet stand mitten im Raum, steif, wie ein Brett, die Hände ineinander verknotet. Die Last dieses Wissens drückte schwer auf ihre Schultern.

„Red nicht so einen Unsinn. Ich bin eine erwachsene Frau, du hast mich zu nichts gezwungen. Wir sind eine Familie und wir werden auch alles zusammen durchstehen. Ihr könnt alle so wütend sein, wie ihr wollt. Wir sind in erster Linie Mütter und wir haben bemerkt, dass ihr unglücklich seid. Es war ein Experiment und es scheint zu funktionieren.“ Nach Tabeas Worten drehten sich alle zu Tate um. Diese zupfte nervös an ihrem Oberteil herum.

„Ich habe Nate erst vor Kurzem kennengelernt. Und selbst wenn er durch euren Zauber hierher gelockt wurde, steht noch nicht fest, dass aus uns etwas Ernstes wird. Ihr wisst doch alle nicht, wie er damit umgehen würde, wenn er erfährt, dass wir Hexen sind.“ Zustimmendes Gemurmel setzte ein.

„Schatz, du musst etwas Vertrauen haben. Das Universum würde dir keinen Mann schicken, der dich nicht so lieben könnte, wie du bist.“ Dazu wusste nun niemand mehr etwas zu sagen. Die Neuigkeiten lagen zudem noch schwer im Magen.

„So, nun kennt ihr die Fakten. Loc scheint uns immer einen Schritt voraus zu sein, daher würde ich euch gern einen Vorschlag machen. Ich werde für eine begrenzte Zeit bei euch einziehen, um schneller reagieren zu können. Zusammen steigen unsere Chancen, ihn schnellstmöglich einzufangen und weitere Angriffe zu verhindern.“ Janet nickte zustimmend.

„Die gleiche Idee ist mir heut auch schon gekommen. Ich werde dir einen eigenen Bereich direkt neben Angi und Adele einrichten.“ Mit diesen Worten zerstreuten sich alle wieder. Doch das Wissen, dass ein mächtiger Zauberer sein Unwesen trieb und bereits Janet angegriffen hatte, war nun allgegenwärtig zu spüren. Zuletzt blieben noch Chloe und Tate übrig, die sich jeder einen Keks aus der Dose auf dem Tresen nahmen.

„Wo ist eigentlich Sue?“ Fragte Tate. Chloe schüttelte den Kopf.

„Ich weiß es nicht. In letzter Zeit bleibt sie immer länger in der Schule. Sie meint, sie hat so viel zu tun, aber ich habe dabei ein ganz ungutes Gefühl.“

 

Janet stand in ihrem Schlafzimmer. In der Hand hielt sie noch immer einen Becher mit Tee. Die Kräutermischung verbreitete einen wohltuenden Duft. Sie merkte erst, dass Tabea neben ihr stand, als sie ihr eine Hand auf die Schulter legte. Zum Glück zuckte sie nicht zusammen. Gemeinsam standen die beiden Schwestern am Fenster und schauten in die Nacht hinaus. Das Haus grummelte laut, als ob die Unruhe der Bewohner es in seinem Schlaf störte.

„Hast du etwas von unserem Vater gehört?“ Sagte Tabea. Janet schüttelte den Kopf. Ihr Vater war vor etwa zwei Jahren spurlos verschwunden. Der alte Zauberer war nicht gestorben, da waren sie sich sicher. Doch irgendetwas stimmte nicht. Das Beunruhigende war jedoch, dass ihr Vater mit seinen Kräften wahrscheinlich gegen Loc bestehen könnte. Traurig strich Tabea ihrer Schwester über den Arm. Keine der beiden Hexen bemerkte das Chamäleon, das sich an der Wand neben ihnen befand und aufmerksam lauschte. Nicht nur auf die gesprochenen Worte, sondern auch auf die Unausgesprochenen.