1 Jahr später – 3 Wochen vor Halloween

 

Tate stand in einer Ecke des großen Saals und hielt sich wortwörtlich an ihrem Cocktail fest. Wie hatte sie sich nur zu dieser Party überreden lassen können?

„Ach komm schon Tate, du siehst aus, als ob du dich gleich in eine Maus verwandeln würdest, nur um schnell verschwinden zu können“, sagte Amy. Schuldbewusst schaute Tate ihre Cousine an. Diese verengte ihre Augen zu schlitzen und zeigte mit dem Finger auf sie.

„Das ist nicht dein Ernst. Du wirst schön hierbleiben und für deinen Laden die Werbetrommel schlagen.“ Amy liebte ihre Cousine wie eine Schwester, doch manchmal musste man sie einfach aus ihrem Schneckenhaus heraus holen. Amy sah sich selbst einmal im Raum um. Die Party war eigentlich eine Benefizveranstaltung für ein Waisenhaus, das Amy unterstützte. Sie hatte Tate quasi hierher schleifen müssen, um sie mal aus ihrem Laden und ihrem kleinen, nein, aus ihrem winzigen Büro raus zu holen. Die Eröffnung des Buchgeschäftes in der sterblichen Welt fand in zwei Tagen statt. Auf der Party gab es alle Sorten von Menschen und sogar ein, zwei Hexen, die sich einmal umschauen wollten auf einer menschlichen Feier. Die Familien Hale und Johnson waren jedoch weitestgehend die einzigen Hexenfamilien, die sich auch in der sterblichen Welt ein Leben aufgebaut hatten. Eine ältere Dame kam auf sie zugelaufen und nahm Amys Hände in ihre eigenen schweißnassen Hände.

„Ms. Johnson, meine Liebe, es ist schön, sie auf meiner kleinen Feier begrüßen zu dürfen.“ Amy nickte der Dame freundlich zu und versuchte, ihre Hände unauffällig zu befreien.

„Das ist sehr freundlich, Mrs. Davidson. Ihre Party scheint mal wieder ein voller Erfolg zu sein.“ Die Dame kicherte erfreut.

„Ja, da haben sie wohl recht. Sagen sie meine Liebe, wann kommt denn ihre nächste Kollektion raus? Ich bin schon so aufgeregt, was sie sich diesmal haben einfallen lassen.“ Amy setzte zu einer profanen Antwort an, die sie jedem Kunden gab, der sie danach fragte, als sie von Tate am Arm gegriffen wurde. Der Nebeneffekt bestand darin, dass sie ihre Hände freibekam.

„Oh meine Göttin“, stieß Tate atemlos aus.

Mrs. Davidson sah Tate verwirrt an. Solch eine Ausdrucksweise verwendeten die Sterblichen nicht. Amy ließ sich schnell etwas einfallen.

„Ich glaube, ihr Mann hat gerade nach ihnen gesucht, Mrs. Davidson.“ Suchend schaute sich die ältere Dame um. „Wo ist er denn?“ Amy zeigte in eine Richtung am anderen Ende des Saales, dessen Größe schon recht beträchtlich zu nennen war.

„Oh, gut meine Liebe. Ich werde sie nachher noch einmal aufsuchen, damit wir ein wenig Zeit zum reden haben.“ Mit diesen Worten ließ Mrs. Davidson sie allein und Amy seufzte erleichtert auf. Erst da bemerkte sie, dass Tate einen Mann anstarrte. Sie hatte Tate in all den vielen, vielen Jahren noch nie einen Mann anstarren sehen. Dazu war sie viel zu schüchtern.

Oh meine Göttin“, flüsterte Tate erneut.

„Ok, jetzt mal im Ernst. Wer ist der Mann, dass du so etwas von dir gibst? Kennst du den Mann? Hattest du mal eine Affäre mit ihm?“ Amy meinte das eigentlich nur als Scherz. Doch als Tate noch immer nicht reagierte, sagte sie: „Oh mein Gott, du warst wirklich mal wieder mit einem Mann im Bett?“

„Tschttttt!“ Zischte Tate. Ein paar Frauen hinter ihnen schauten schon ganz pikiert.

„Nein, Amy, woran denkst du eigentlich immer? Weißt du nicht, wer das ist?“ Als Amy sie nur verständnislos anschaute, schüttelte sie betrübt den Kopf.

„Du solltest wirklich mehr lesen.

Das ist der Horrorschriftsteller N. Cole.

Ich habe alle seine Bücher verschlungen. Und dieses Gesicht würde ich überall wieder erkennen. Seine Augen schauen auf den Fotos immer so, als könnten sie dir direkt in die Seele blicken.“

Amy schnippte mit den Fingern. Das war die Idee.

„Super, das ist doch genau das, was dein Geschäft braucht, oder? Wir gehen hin und fragen ihn, ob er bei dir eine Signierstunde, oder wie auch immer man das nennt, macht. Dann hast du gleich einen riesen Aufhänger für die Eröffnung.“

„Bist du übergeschnappt. Wir können ihn doch nicht einfach so ansprechen. Der Mann ist weltberühmt. Das geht do….“

Zu mehr kam Tate nicht, da wurde sie auch schon von ihrer Cousine am Arm zu dem Mann gezogen, der sich gerade seinen Teller am Buffet auffüllte. Dort angekommen, sprach Amy den Mann ohne Umschweife an.

Ich freue mich, sie im Namen von Mrs. Davidson begrüßen zu dürfen, Mr….äh.“ Oh mist, Amy hatte den Namen vergessen. Geistesabwesend schaute der Mann Amy an. Als sein Blick jedoch auf Tate fiel, die wahrscheinlich bis zu den Haarwurzeln rot angelaufen war, nahm sein Gesicht einen ziemlich intensiven Blick an.

Connely“, sagte er in die Stille hinein. Als die Brünette ihn jedoch nur verwirrt anschaute, sagte er: „Nathan Connely.“ Den enttäuschten Blick der Brünetten konnte er nicht deuten, doch sofort war seine Aufmerksamkeit wieder von ihrer Begleitung gefangen genommen.

„Oh, dann sind sie nicht N. Cole, der Schriftsteller?“ Die Blondine schien ihren Blick auch nicht abwenden zu können. Nates Hirn war wie leergefegt. Er konnte irgendwie keinen zusammenhängenden Gedanken mehr fassen.

„Was? Ach so, ja, doch, der bin ich.“ Amy ließ sich von seiner knappen Antwort und den leicht abwesenden Ton jedoch nicht verjagen. Tate hingegen hatte das Gefühl, sie müsse sich nun wirklich in eine Maus verwandeln und schleunigst verschwinden. Der Blick des Mannes ging ihr durch Mark und Bein und so etwas war ihr noch nie passiert.

„Schauen sie, meine Cousine Tate eröffnet in zwei Tagen ein Buchgeschäft in der Innenstadt. Direkt neben der Kirche. Hätten sie da eventuell Zeit? Wir haben da an eine Signierstunde gedacht und wären ihnen zutiefst verbunden, wenn sie diesen Termin einrichten könnten.“ Als Nate nicht antwortete und immer noch die Blondine anstarrte, fing sie an, ungeduldig mit den Füßen auf den Boden zu tippen. Seinen letzten Rest Verstand zusammen kratzend, nickte Nate zustimmen, was auch immer sie gerade gesagt hatte. Die Blondine schaute nun völlig verdutzt. Ein kleines Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und allein dafür hätte Nate allem zugestimmt.

„Vielen Dank. Warten Sie, ich schreibe ihnen schnell die genaue Adresse und Tates Telefonnummer auf. Sie können ja morgen einmal vorbeischauen und sich einen Eindruck von dem Geschäft machen.“ Wieder nickte Nate. Als die Brünette ihm eine Karte in die Hand drückte, auf die sie irgendetwas geschrieben hatte, schaute er nun ganz verdutzt. Ehe es sich der Schriftsteller anders überlegen konnte, verabschiedete Amy sich und zog Tate wieder hinter sich her. An der Garderobe ließen sie sich ihre Mäntel geben.

„Ich fasse es nicht, dass du das gerade wirklich gemacht hast.“ Tate klang völlig außer Atem. Amy zuckte mit den Schultern. „Du kennst mich doch. In meinem Geschäft muss man forsch an die Sachen herangehen, sonst wird das nichts. Außerdem schien er von dir völlig benommen zu sein. Der arme Mann bekam ja kaum einen zusammenhängenden Satz heraus.“ Tate, noch immer selbst ganz benommen, schaute zum Haus zurück.
„Warum gehen wir denn schon? Wolltest du nicht noch ein paar Kontakte knüpfen?“ Amy schüttelte den Kopf und sagte: „Bloß nicht. Mrs. Davidson ist zwar eine nette alte Dame, doch ein weiteres Gespräch mit ihr über meine Entwürfe lass ich mir dann doch gern entgehen. Außerdem wollte ich deinem Schriftsteller keine Gelegenheit geben, es sich anderes zu überlegen bzw. seinen Verstand wieder zu finden.“ Gemeinsam fuhren Sie nach Hause. Tate war vor etwa einem Jahr wieder in das Haus der Familien Hale und Johnson eingezogen. Jede der Töchter hatte eine Zeit lang, etwa ein Jahrhundert, allein gelebt. Doch mittlerweile waren alle wieder vereint. Der Vorteil an einem Haus voller Hexen bestand darin, dass es sich beliebig erweitern ließ. Sowohl Janet und Tabea als auch ihre Töchter hatten einen Bereich des Hauses für sich allein. Chloe und Sue bewohnten den größten Bereich, da sie zu zweit waren. Dreh und Angelpunkt des Hauses war jedoch die Küche. Im alten Kolonialstil erbaut, versammelte sich hier die Familie. Als Tate und Amy die Küche betraten, erwischten sie Sue dabei, wie sie die Schränke durchwühlte. Als Amy sich räusperte, fuhr sie schuldbewusst zusammen.

„Was genau suchst du?“ Fragte Tate bewusst unbekümmert. Sue war Chloes Tochter, Tates Nichte und somit die einzige Enkeltochter von Janet. Tate wusste durchaus, dass Sue irgendetwas vorhatte. Seit Tagen suchte sie schon Verschiedenes für einen Zaubertrank zusammen. Mit einem Mal fehlten Fledermausflügel aus der Kammer. Aus Tates eigenem Vorrat fehlte ein Päckchen Feenstaub.

„Eigentlich nur einen großen Topf“, antwortete Sue. Als Tate sich bückte und einen Suppentopf heraus holte, strahlte ihre Nichte sie gewinnbringend an.

„Sue, du weißt, dass du keine Zaubertränke allein ausprobieren sollst. Deine Großmutter sagt, dass du noch ein wenig Übung brauchst. Und du solltest auf sie hören. Alix hat bei ihren Experimenten ein ums andere Mal etwas in Flammen aufgehen lassen. Teilweise ganze Häuser. Irgendwann sind die Drachen aufgetaucht und haben sich beschwert, dass ein nicht Drache so viel Feuer legt.“

„Keine Angst Tante Tate, ich suche nur etwas für Mom zusammen.“ Und mit diesen Worten schnappte sich Sue den Topf und verschwand. Als Tate fragend zu Amy schaute, schüttelte diese den Kopf.

„Sollten wir Chloe etwas sagen?“ Fragte Tate. Sie kaufte Sue das Gesagte nicht für zehn Päckchen Feenstaub ab.

Jetzt, wo sie in Arbeit ertrinkt und sie immer noch an der Sache mit Jonny zu knabbern hat? Lass uns noch ein wenig weiter beobachten. Alle wissen Bescheid und behalten Sue im Auge.“ Amy setzte sich auf einen der Stühle und stibitzte sich einen Keks aus der Dose auf dem Tresen. Diese war, seit sie denken konnte, mit den leckeren Backwaren ihrer Tante befüllt.

„Ok, jetzt zurück zu dir. Was willst du morgen anziehen?“ Tate schaute sie verwirrt an.
„Was meinst du?“ Betrübt schüttelte Amy den Kopf.

„Hast du etwa schon vergessen, dass dein Schriftsteller morgen vorbei kommen wird? Du solltest dir eines meiner Kleider ausborgen und ihm morgen noch mehr den Kopf verdrehen. Ich sag`s dir Tate, bei euch stimmt die Chemie. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du ihn als Mann nicht anziehend findest?“ Amy grinste breit, als Tate rot anlief.

„Ja, das habe ich mir gedacht“, sagte sie zufrieden.

„Amy, ich bin nicht du. Ich kann und ich will auch keinen Mann um den Finger wickeln. In dieser Familie hat niemand Glück mit der Liebe. Er ist ein Sterblicher, das heißt, wenn überhaupt wäre uns nur eine kurze … na ja, eine kurze Zeit zu zweit vergönnt. Außerdem ist momentan kein Mann in meinem Terminplan vorhergesehen.“ Die letzten Worte sagte sie so würdevoll wie möglich. Und leider hörte sie sich dabei wie ihre älteste Schwester Adele an. Als Amy jedoch beinahe vor Lachen vom Stuhl kippte, streifte sie ihren Schuh ab und warf ihn nach ihrer Cousine.

 

Am nächsten Morgen ging Tate mit einem kribbelnden Gefühl im Magen zur Arbeit. Nicht, weil ihr erster Buchladen in der sterblichen Welt morgen eröffnen sollte. Nicht, weil sie einen seltsamen Geruch in der Küche wahrgenommen hatte, als sie sich morgens eine Tasse Kaffee gekocht hatte. Nicht, weil Amy nun mit einer Beule am Kopf herumlief und allen verkündete, dass die liebe nette Tate ihr einen Schuh an den Kopf geworfen hatte. Und nicht, weil sie sich doch ein Kleid geborgt hatte, obwohl es dafür eigentlich zu kalt war. Sondern weil die Chance bestand, dass N. Cole in ihren Laden kommen würde. Als sie die Tür aufschloss, erklang das kleine Türglöckchen. Ein Geschenk ihrer Tante Tabea. Zufrieden schaute sie sich einmal um. Die Regale waren mittlerweile alle befüllt. Da sie alles per Hand erledigt hatte, dauerte die Arbeit ganze drei Tage und zwei Nächte. Um genau zu sein, war die letzte Nacht die erste seit Langem gewesen, in der sie ein wenig Schlaf abbekommen hatte. In ihrem Kopf spukten Tausende Gedanken herum. Sollte sie heute vielleicht zu Hause bleiben? Was passierte, wenn er nicht kam? Was passierte, wenn er kam? Würde sie zu nervös sein, um mit ihm zu reden? Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann musste Tate sich eingestehen, dass sie nicht nur schüchtern war. Nein, sie hatte auch keine Erfahrung mehr mit Männern. Ihr letztes Date lag etwa achtzig Jahre zurück. Sie hatte einen netten Dschinn kennengelernt. Doch er verstand nicht, dass sie so viel Zeit in der sterblichen Welt verbrachte oder oftmals auf ihre Zauberkräfte verzichtete. Also hatte Tate das Ganze beendet und als Dankeschön hatte er ihr eine fiese Grippe verpasst. Danach hatte sie die Nase von Männern voll gehabt. Ihren Schwestern und Cousinen war es auch nicht anders ergangen. Doch die Reaktion, die sie bei seinem Anblick verspürte, verunsicherte sie. Ihr fielen noch einige Bücher auf, die auf dem Tisch in der gemütlichen Leseecke lagen. Als sie die Bücher in die Regale einräumte, entspannte sie sich ein wenig. Warum sollte sie zaubern, wenn es so einen Spaß machte, die Bücher in Händen zu halten und an den richtigen Platz zu räumen?

 

Nate stand einige Minuten vor dem Laden mit dem seltsamen Namen Books Becharm.

Bücher verzaubern, wer kam denn auf solch einen Namen? Und warum genau war er eigentlich noch mal hierhergekommen? Als er durch das Schaufenster ins Innere sah, bemerkte er sogleich die Blondine vom letzten Abend. Sie wippte leicht mit den Hüften, so als würde sie einer Melodie folgen. Sie trug ein grünes Kleid, das ihre Kurven vorteilhaft zur Geltung brachten. Ja richtig, wegen ihr. So, als würde Tate seinen Blick spüren, zumindest stand der Name auf der Karte, drehte sie sich um. Anscheinend musste sie sich erschreckt haben, denn ihre Hand wanderte zu ihrem Herzen. Mit einem leicht unsicheren Lächeln auf den Lippen ging sie zur Tür und öffnete.

„Mr. Cole, oh Verzeihung, ich meine Mr. Connely. Schön, sie wieder zu sehen, “ sagte Tate bemüht fröhlich. Und wieder schaute der Mann sie mit diesem intensiven Blick an. Um ihre Hände zu beschäftigen, ging sie zu einem Regal neben der Tür und ordnete die Bücher neu, als er eintrat und nichts sagte. Nate schaute sich derweil um. Der Laden sah innen viel größer aus, als es von außen den Anschein machte. Als Tate die Stille nicht mehr ertrug, fragte sie: „Sagen sie, was macht ein solch erfolgreicher Autor in unserer kleinen Stadt?“ Zu spät bemerkte sie, dass ihre Frage ihm vielleicht unhöflich vorkommen könnte. Doch Nate wanderte weiter durch den Laden und blieb letztendlich vor der Sitzecke stehen.

„Eigentlich müsste ich jetzt in Kanada für eine Signierstunde sein. Doch schon seit einem Jahr überkommt mich das Gefühl, dass ich mal wieder meine Heimat besuchen sollte.“ Seinem Tonfall zufolge schien ihm das sehr seltsam zu sein.
„Sie kommen aus Bridgetown?“ Fragte Tate.

„Ja, als Kind sind mein Bruder und ich mit meinen Eltern weggezogen. Doch meine Großtante lebt noch immer hier und ab und an komm ich sie besuchen. Sie hat mich auch gestern zur Party eingeladen, damit ich mal wieder unter Leute komme und mich nicht mehr in meinem Schreibzimmer verschließe.“ In Tates Gehirn ratterte es. Seine Großtante? Konnte das sein?

„Wer genau ist denn ihre Großtante?“ Fragte Tate in neutralem Tonfall.

„Sisi Davidson. Ich glaube, sie sind ihr gestern begegnet.“

Und wieder lief Tate rot an. Amy war gestern zu ihm gegangen und hatte ihn mit den Worten angesprochen, dass sie ihn im Namen von Mrs. Davidson begrüßen würde. Der Mann musste sie nun für schamlose Lügner halten. Was sie natürlich auch waren, musste Tate sich eingestehen. Seinem Lächeln nach zu urteilen wusste er durchaus, was sie gerade dachte. Als sie ihn so ansah und sich ein wenig schamlos in seinem Lächeln sonnte, polterte es mit einem Mal in ihrem Büro hinter dem Verkaufstresen. Oh nein, bitte nicht jetzt, betete Tate. Doch da geschah es schon. Ihre Mutter rauschte in den Laden.

„Tate mein Schatz, du solltest dir wirklich ein größeres Büro gönnen. Jedes Mal wenn ich dort ankomme, fühle ich mich wie in einer Mausefalle.“ Erst als Janet ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange gab, bemerkte sie den Mann, der sie beide ansah.

„Oh, du hast Besuch“, sagte sie eine Spur zu sehr erfreut. Tate musterte sie misstrauisch.

„Ja, darf ich dir Mr. Nathan Connely vorstellen? Mr. Connely, das ist meine M…äh, meine Schwester Janet.“ Zum Glück fiel Nate ihr Patzer nicht auf. Da sich die beiden Frauen äußerlich im Alter nicht allzu sehr unterschieden, konnte sie einem Sterblichen kaum erklären, dass es sich bei Janet um ihre Mutter handelte.

„Freut mich, sie kennenzulernen“, sagte Nate höflich.

Ganz meinerseits, Mr. Connely. Schätzchen, ich habe dir etwas ins Büro gelegt. Denk bitte daran, dass ich heut Abend unterwegs bin und du ein Auge auf Sue werfen musst. Mr. Connely, es hat mich sehr gefreut. Ich hoffe, ich sehe sie bald wieder.“ Mit diesen Worten verließ Janet den Laden. Zum Glück sah ihre Tochter nicht das Blitzen in ihren Augen. So so, es begann also endlich. Janet konnte kaum erwarten, Tabea davon zu erzählen. Als die Kirchenglocke ertönte, schaute sie das alte Gebäude böse an. Es war wohl Tates seltsamer Humor, der sie einen Buchladen als Hexe eröffnen ließ und das direkt neben einer Kirche. Zum Glück waren die Zeiten der Hexen Verbrennung vorbei, doch Janet war nachtragend.

 

Tate atmete erleichtert aus, als ihre Mutter den Laden verließ. Um Fragen vorzubeugen, sagte Tate: „Ich möchte ungern ihre Zeit überstrapazieren, Mr. Connely. Was genau schwebt ihnen denn für die morgige Signierstunde vor?“ Fast erwartete sie, dass er ihr nun sagen würde, dass das doch keine gute Idee war und er nur gekommen war, um es ihr persönlich zu sagen. Doch erstaunlicherweise sagte er: „Nennen sie mich bitte Nate. Darf ich sie denn auch Tate nennen?“ Nate setzte sein charmantestes Lächeln ein und es wirkte. Tate fing an zu stottern. „Ja, ja. Ich meine, natürlich.“ Oh meine Göttin, brauchte der Mann eigentlich einen Waffenschein für dieses Lächeln? Nicht einmal der Dschinn hatte ihre Knie zum zittern gebracht, als er sie mit seinen strahlend weißen Zähnen angelächelt hatte.

„Wie viele meiner Bücher haben sie denn vorrätig?

„Nach meiner letzten Berechnung müssten es etwa fünfhundert sein.“ Erstaunt sah Nate sie an. In einem Geschäft von dieser Größe wären eigentlich wesentlich weniger Bücher von einem Autor angebracht. Erklärend fügte Tate hinzu: „Ich habe gestern Abend noch einige Exemplare angefordert, als sie meiner Cousine die Zustimmung gaben.“ Tate musste ihm ja nicht die Wahrheit sagen. Die da wäre, dass sie aus ihren Geschäften in der anderen Welt alle seine Bücher hierher geschafft hatte. Die Hexen, Dämonen und sogar die Zombies liebten seine Horrorgeschichten. Seine Bücher verkauften sich in ihren anderen Läden so schnell, dass sie immer einen großen Vorrat angelegt hatte. Zum Glück.

„Tate, was halten sie davon, wenn wir uns heut Abend treffen? Ich habe jetzt noch einiges zu tun. Würde ihnen sieben Uhr passen?“ Völlig überrumpelt nickte Tate.

„Im Großen und Ganzen reicht mir ein Tisch, an dem ich signieren kann. Den Rest besprechen wir dann einfach beim Essen.“ Wieder nickte Tate. Moment mal. War das die Revanche für gestern Abend? Um sich zu verabschieden und ihr keine Gelegenheit zu geben, eine Ausrede zu erfinden, ging er auf sie zu und nahm ihre Hand. Als er sie zu seinen Lippen führte, wusste er selbst nicht, was genau er machte. Doch sein Gefühl sagte ihm, das Tate keine Frau für ein einfaches Händeschütteln war. Als seine Lippen ihren Handrücken berührten, begann das Kribbeln von den Fingerspitzen an. Dann breitete es sich von ihrer Hand bis hinunter zu ihren Füßen aus.

„Bis heut Abend dann. Wo möchten sie, dass ich sie abhole?“ Als Tate ihn nur aus ihren wunderschönen grünen Augen anschaute, hob er fragend eine Augenbraue. Noch immer hielt er ihre Hand in seiner.

„Um sieben sagten sie? Mh, hier im Laden?“ Nate nickte. Als er ging und die Tür hinter ihm zufiel, pfiff er fröhlich vor sich hin. Eigentlich hatte er jetzt nicht wirklich etwas Bestimmtes vor. Vielleicht sollte er sich die nächsten Stunden an seinen Computer setzen. Seine Hauptprotagonistin aus seinem neuen Projekt musste noch etwas ausgearbeitet werden. Irgendwie war er in der guten Stimmung, jemanden aus seinem Buch sterben zu lassen.

Tate schaute ihm kopfschüttelnd nach. Das durfte doch nicht wahr sein. Wie konnte eine Frau in ihrem Alter sich nur so überrumpeln lassen. Als sich eine Spinne von der Decke abseilte und sich auf ihrer Schulter niederließ, schloss Tate die Augen.

„Sag mir jetzt bitte nicht, dass du die ganze Zeit über hier warst.“

Als Chloe von Tates Schulter sprang und sich zurück verwandelte, wischte sie sich imaginären Staub von ihrer Hose.

„Nicht ganz. Um ehrlich zu sein, bin ich kurz nach deinem Schriftsteller angekommen. Ich wollte mir den Laden ansehen. Doch dann habe ich Jonny gesehen. Sagen wir mal, mir blieb nichts anderes übrig, als in deinem Laden Zuflucht zu finden.“ Chloe verschwieg, dass Amy ihr von der gestrigen Begegnung erzählt hatte und sie die Neugier hier hergetrieben hatte. Die Sache mit Jonny war jedoch wahr. Der Mann verfolgte sie regelrecht, seit sie vor über einem Jahr mit ihm Schluss gemacht hatte. Fast jeden Tag tauchte er in ihrer Boutique auf.

„Tate, weißt du eigentlich, dass Mutter irgendetwas ausheckt? Als sie den Laden verlassen hat, rieb sie sich sprichwörtlich die Hände.“ Tate schüttelte den Kopf.

„Ich hatte auch das Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt. Wo hast du denn Sue gelassen?“

„Sie hat mit Adele heut ihren Unterricht. Ok, jetzt zurück zu dir, Schwesterchen. Was genau läuft da zwischen dir und dem Schriftsteller? Du bist ja förmlich auf dem Boden zerlaufen, als er dir die Hand geküsst hat. Ich möchte ja nicht die große Schwester heraushängen lassen, aber du weißt, dass er ein Sterblicher ist.“ Tate spielte geistesabwesend mit einer Katzenfigur, die auf ihrem Tresen stand.

„Ja, das Gleiche habe ich Amy schon gesagt. Doch wir gehen heut Abend nur zu einem Geschäftsessen. Wir werden uns nett unterhalten und die Details für morgen besprechen.“

Chloe ließ die ganze Sache auf sich beruhen. Tate war erwachsen, doch es schadete ja nicht, wenn sie heut noch einmal die unsichtbare Beobachterin spielte.