12

 

Die Farmer wurden aktiv, teils widerwillig, teils sprunghaft, und begannen Gruben auszuheben. Theoretisch hatten sie ihren Müll schon immer auf diese Weise beseitigt, aber die Gruben hatten die unangenehme Eigenschaft, ausgerechnet dann überzuquellen, wenn man gerade besonders viel zu tun hatte. Und in solchen Situationen fuhr man eben rasch in den Wald und entledigte sich dort problemlos seines Abfalls. Natürlich machte man das nicht regelmäßig, aber es gab wohl kaum einen Mann in der Gemeinde, der in dieser Hinsicht nicht schon mehrmals gesündigt hatte.

Und nun sahen sie sich zu zusätzlicher Arbeit gezwungen und schimpften insgeheim auf Adrian Medway, denn um zu verhindern, daß eine Grube überquoll, mußte die nächste schon fertig sein, wenn die eben benützte noch nicht ganz voll war. Manche Farmer hatten raffinierte Maschinen, die ihnen die Arbeit erleichterten, aber die meisten mußten mit ihren Spaten losziehen, während eine Menge anderer, viel wichtigerer Pflichten auf sie wartete. »Soviel Getue wegen eines kleinen Tals«, murrten sie, und dann erinnerten ihre Frauen sie an die Suppe, die ihnen Christine Medway während der Grippewelle tagtäglich gekocht hatte, und an Adrians selbstlose Hilfe. »Natürlich ist er ein feiner Kerl«, gaben sie schließlich seufzend zu.

Adrian merkte nichts von der Kritik an seiner Person. Wieder einmal fühlte er sich als Wohltäter des ganzen Distrikts und war sehr zufrieden mit sich. »Wir müssen das erste Treffen des Komitees bald abhalten, solange das Interesse an der Sache noch frisch ist«, sagte er zu Christine und fügte hinzu: »Da habe ich wirklich was ins Rollen gebracht, als ich an jenem Morgen in den Wald ging.«

»Sicher, Liebling«, erwiderte Christine. Sie hatte an diesem Vormittag den Telefonhörer abgenommen, um mit Caroline Trent zu sprechen, und da war eine unbekannte jammernde Stimme an ihr Ohr gedrungen. »Ausgerechnet jetzt wird soviel Wind um die Müllgruben gemacht, wo ich doch wollte, daß John...« Hastig hatte sie wieder aufgelegt. Sie konnte sich vorstellen, daß Adrian in Eldado und Umgebung nicht nur als Wohltäter betrachtet wurde.

Als er die erste Versammlung des Komitees einberief, erkannte auch Adrian, daß es Schwierigkeiten geben würde. Niemand hatte Zeit. »Natürlich, im Frühling haben die Farmer immer viel zu tun«, sagte er gekränkt zu seiner Familie.

»Aber gibt es irgendeine Jahreszeit, in der sie weniger zu tun haben?«

Jo, die Robert am Vortag geholfen hatte, ein paar verirrte Schafe einzufangen, erwiderte: »Natürlich haben sie jetzt viel zu tun, weil die Schur beginnt, und die Rinderfarmer müssen sich mit dem Milchfieber herumschlagen. Hier ist es nicht so wie in der Stadt, Adrian.«

»Als ob ich das nicht wüßte! Du hältst mich wohl für völlig phantasielos.«

Jo lachte. »Mein Lieber, ich könnte dir viel vorwerfen, aber Mangel an Phantasie bestimmt nicht. Aber das alles muß dir ja seltsam vorkommen. In deinem Alter... Ich meine, für uns junge Leute ist es leichter, sich einem neuen Lebensstil anzupassen.«

Christine runzelte die Stirn bei dieser Bemerkung und wußte nicht recht, ob sie erleichtert oder alarmiert sein sollte. Sie wäre so froh, wenn ihre unberechenbare Tochter endlich ihren Platz im Leben gefunden hätte, und sie zweifelte nicht daran, daß Lester Severne das Mädchen glücklich machen könnte. Von all den jungen Männern, die Jo in den letzten Jahren nach Hause gebracht hatte, war er der einzige, der ihr über jeden Zweifel erhaben schien. Aber würde Jo ein Leben im Käfig von Rangimarie ertragen, auch wenn es nur drei Jahre dauern sollte? Doch warum sich darüber den Kopf zerbrechen? Wenn Jo es nicht konnte, dann liebte sie Lester nicht, und dann war das Problem von selbst gelöst.

Die Ausreden der Komiteemitglieder waren höchst verschiedenartig. Bruce mußte seine Bücher durchsehen und konnte sich nicht einmal für einen einzigen Abend freimachen. Jim Hill, der junge Farmer, wartete stündlich darauf, daß bei seiner Frau die Wehen einsetzten und er sie in die Klinik bringen mußte. Sogar Trent entschuldigte sich. »Um die Wahrheit zu sagen, Adrian, es wäre mir lieber, wenn du die Versammlung um eine Woche verschieben könntest.

Meine Zuchtkuh wird bald kalben, und ich bin Tag und Nacht im Stall. Craig will ich nicht damit belasten, denn als wir die Farm aufteilten, haben wir besprochen, daß jeder seine Drecksarbeit allein machen muß. Wenn es natürlich unumgänglich ist, würde ich kommen. Aber es wäre mir lieber...«

Um es kurz zu machen: James Holden war der einzige, der Zeit hatte. »Kälber und Lämmer? Aber dafür habe ich doch meine Leute.« Die Schwierigkeit bestand nun darin, ihm klarzumachen, daß ein Treffen, an dem nur Adrian und er teilnähmen, sinnlos wäre. »Ohne uns schmeicheln zu wollen«, meinte er, »aber wir sind doch die Wichtigsten...« Schließlich war er jedoch damit einverstanden, die Versammlung zu verschieben, nachdem Adrian seine ganze Überredungskunst aufgewandt hatte.

Zu Hause hatte Adrian trotzdem viel zu tun. Immerhin hatten einige Farmer Spenden geschickt, und er mußte Dankesbriefe schreiben. »Wenigstens können sie deine Unterschrift ausschneiden und sie in deine Bücher kleben — falls sie welche haben«, meinte Jo spöttisch. Aber Christine ermutigte ihren Mann, der sich die Mühe machte, an jeden Mann ein paar persönliche Worte zu schreiben. »Sie sind sicher geschmeichelt, wenn sie sich persönlich angesprochen fühlen. Eine nüchterne Empfangsbestätigung wäre unhöflich.«

Jo zeigte immer noch ein lebhaftes Interesse an der Farmarbeit. Eines Morgens kam Lester vorbei, um sie zu fragen, ob sie mit ihm nach Eldado zum Viehmarkt fahren wolle. Er fand sie auf der Weide bei den Lämmern, mit geröteten Wangen, zerzaustem Haar und nicht besonders sauber. Aber sie erschien ihm reizender und begehrenswerter denn je. Als sie hastig gebadet und sich angezogen hatte und neben ihm im Wagen saß, sagte er: »Als ich dich das erstemal sah, dachte ich, du würdest Theater spielen.«

»Was für eine Rolle hätte ich denn spielen sollen?«

»Das vollendete Landmädchen, mit Pferd und Hund... Übrigens, könntest du dieses Riesenbiest dazu überreden, seine Zunge im Maul zu behalten? Ich habe mir meine Ohren heute morgen schon gewaschen.«

Lester hatte sich schon öfter dazu herabgelassen, Sheikh in seinem gepflegten kleinen Auto mitzunehmen. Christine fand, daß er seine Liebe zu Jo gar nicht deutlicher beweisen konnte. Aber Jo fand das ganz selbstverständlich, wie so viele Dinge im Leben, und fragte nur: »Warum sollte er Sheikh denn nicht mitnehmen?«

Nun sagte sie zweifelnd: »Landmädchen mit Pferd und Hund... Weißt du, Lester, da hattest du gar nicht so unrecht. Damals war mir das zwar nicht bewußt, aber wenn ich jetzt zurückdenke... Ich glaube, ich hatte damals das Gefühl, daß ich in dieser Rolle eine ganz gute Figur machte. Wie klug du bist!«

»Ach was — das Mädchen damals, das warst gar nicht du.«

»Es war ein Teil von mir. Und wie ist deiner Meinung nach der andere Teil?«

»Nun, der Teil, den ich — hm — liebe, ist ein Mädchen, das Heuchelei und Konventionen haßt, das sich als Freiheitsapostel betrachtet, das jeden Job macht, ob es nun darum geht, ein schmutziges Baby zu baden oder einem alten Mutterschaf beim Lammen zu helfen. Und doch umgibt sich dieses Mädchen manchmal mit einer Aura von Arroganz, die manche Leute hinters Licht führt — aber nicht seinen Freund Lester.«

»Mein Freund? — Ich dachte, du wärst etwas mehr... Übrigens, ich scheine kein sehr liebenswerter Typ zu sein: voller Posen, arrogant... Und es macht mir auch noch Spaß, anders zu sein als die anderen! Das muß für einen Mann doch sehr ermüdend sein.«

»Das würde ich nicht sagen. Du hast natürlich deine Schattenseiten. Aber die werden verblassen, wenn du erwachsen wirst.«

»Wenn ich erwachsen bin? Aber ich bin dreiundzwanzig. Die meisten meiner Freundinnen sind verheiratet und haben bereits die ersten Babies oder Scheidungen hinter sich — manche sogar beides.«

»Ah, das ist jetzt wieder die blasierte Pose. Hör auf damit, Jo, und sieh den Tatsachen ins Auge. Ich liebe dich, und du hast zugegeben, daß du dir auch was aus mir machst — zumindest mehr als aus den anderen Burschen, denen du bisher begegnet bist. Ich nehme an, es waren viele?«

»Einige. Und du? Du hattest doch sicher auch deine kleinen Vergnügungen... Aber wir hatten ausgemacht, uns nicht wie Achtzehnjährige zu benehmen, die einander ihre Lebensgeschichten erzählen.«

»Richtig. Das können wir ja noch nachholen, wenn wir fünf Jahre lang verheiratet sind.«

»Verheiratet? Lester, du machst mir Angst, wenn du von fünf Jahren Ehe redest. Stell dir doch vor, wie ich aussehen werde, wenn ich fünf Jahre in Rangimarie gelebt habe, in Onkel James’ Nachbarschaft. Von Großmutter ganz zu schweigen...«

»Und was wird aus den beiden geworden sein, wenn sie dich fünf Jahre lang ertragen haben? Aber so schlimm wird’s nicht werden. Ich habe dich nur darum gebeten, zwei oder drei Jahre mit mir in Rangimarie auszuharren. Gestern habe ich mit meinem Buchhalter Bilanz gemacht. In zwei Jahren werden wir die Farm verkaufen können, zu einem Preis, der meinen Eltern einen angenehmen Lebensabend ermöglichen wird, zusammen mit dem Einkommen, das sie bereits haben. Zwei Jahre sind doch nicht zuviel verlangt, Jo, oder?«

»Doch, wenn man schon dreiundzwanzig ist. Die Frage ist: Wieviel wird nach diesen zwei Jahren von mir noch übriggeblieben sein? Ich fürchte, nicht mehr viel von der Jo, die du angeblich liebst...«

»Nicht nur angeblich. So, da sind wir. Da vorn ist der Viehmarkt. Willst du im Wagen sitzen bleiben oder auf den Zaun klettern — wie eine emanzipierte junge Frau von heute?«

»Ich steige auf den Zaun. Natürlich werde ich meinen Mann immer auf den Markt begleiten und mir die Rinder ansehen — das heißt, wenn mein Mann Farmer sein wird...«

»Er wird Farmer sein, verlaß dich drauf. Und nach den ersten beiden Jahren wirst du auch nicht mehr die Zäune von Eldado verzieren.« Sie stiegen aus dem Wagen und ließen Sheikh zurück, den sie sicherheitshalber festgebunden hatten, rannten lachend davon, von seinem Protestgeheul verfolgt.

 

Inzwischen tippte Christine langsam und akkurat fünf Mitteilungen für die Komiteemitglieder, die den Termin der verschobenen Sitzung erfahren mußten. Sie konnte nur mit zwei Fingern tippen: Adrian konnte es besser und schneller. Aber er war nach einem Kampf mit vier Durchschlägen so in Wut geraten, daß sie darauf bestanden hatte, ihm die Arbeit abzunehmen. Nun saß sie an der Schreibmaschine und fragte sich ungeduldig, ob sich die Mühe überhaupt lohnte. War es richtig gewesen, Adrian zu dieser Aktion zu ermutigen, die wahrscheinlich zu nichts führen würde? Sobald die Müllgruben der Farmer voll waren, würden sie ein neues Versteck für ihren Abfall finden, und alles wäre wieder beim alten.

Dann lächelte sie, als sie sich an ihren letzten Besuch im Dorf erinnerte. Bruce hatte ihr stolz die große Grube gezeigt, die er hinter dem Laden ausgehoben hatte. »Ich habe das Grundstück für ein Butterbrot bekommen, weil es niemand haben wollte. Hier kann ich nun für lange Zeit meinen Abfall deponieren, und wer weiß, vielleicht haben wir bald eine Müllabfuhr in Eldado.«

Adrian bedankte sich, als sie ihm die fünf sorgfältig getippten Seiten brachte. »Hoffentlich sind die Burschen pünktlich«, sagte er. »Wir haben viel zu besprechen.«

»Was denn?«

»Nun, erst einmal muß die Schweinerei im Wald verschwinden. Da werden wir wohl mit Bulldozern anrücken müssen. Das wird Zeit und Geld kosten. Aber wir können’s uns leisten, wenn alle ihr Scherflein dazu beitragen. Jedenfalls finde ich keine Ruhe, solange dieser Misthaufen das schöne Tal verschandelt. Ich habe sogar Alpträume. Es ist, als würde die Stimme der Natur nach mir rufen.«

»Denk nicht dauernd dran, dann wirst du auch keine Alpträume haben. Bald werden ohnehin Büsche über dem Müll wachsen, alles zudecken und die Stimme der Natur zum Schweigen bringen.«

»Und bis dahin würde ich der Natur sagen, sie soll den Mund halten, wenn ich du wäre«, sagte Robert, dem dieses Thema allmählich auf die Nerven ging.

Adrian runzelte die Stirn. »Unglücklicherweise denkt das Komitee ebenso. Ich muß sagen, daß mich diese Politik des Laisser-faire schockiert und überrascht. »Lassen Sie doch den Dingen ihren Lauf«, hat dieser junge Farmer gesagt. >Das Unkraut wird sich schon um den Müll da draußen kümmern.< Anscheinend glauben sie alle, mit den fünf Dollar, die sie mir geschickt haben, hätten sie ihre Pflicht und Schuldigkeit getan.«

Robert grinste seine Mutter an, dann ging er zu seinen Schafen hinaus. Er war wie sie der Meinung, daß man Adrian nicht mehr lange als Wohltäter betrachten würde.

Zu seinem Leidwesen mußte Adrian feststellen, daß sein Plan beim Komitee auf Widerstand stieß. »Ein Bulldozer? Das ist zu teuer. Lassen Sie den Müll in Ruhe, mit der Zeit wird er von selbst verschwinden.«

»Aber ein paar Farnkräuter und wilde Weinreben können dieses Grauen doch nicht zudecken, das ich da draußen gesehen habe. Wir müssen den Müll eingraben, dann kann die Natur ihr Werk tun und wiedergutmachen, was der Mensch angerichtet hat.«

Das Komitee begriff gar nicht, daß dies ein Kompromißvorschlag war, denn ursprünglich hatte Adrian sogar geplant, den Müll zu vergraben, den Boden zu planieren und mit hübschen Büschen zu bepflanzen, die er aus einem unberührten Teil des Waldes holen wollte. Und dann sollte sich der ganze Distrikt zu einem großen Picknick in dem Tal versammeln, wenn es in neuem Glanz erstrahlte, und alle Differenzen sollten vergessen sein, alle Freunde vereint in dem Bestreben, der Natur zurückzugeben, was man ihr widerrechtlich genommen hatte. Er hatte diese Idee nur Christine gegenüber erwähnt, und sie hatte ein wenig skeptisch gelächelt. Nun war er froh, daß er diesen Männern, die so kleinlich um jeden Dollar feilschten, nichts davon gesagt hatte.

Glücklicherweise unterstützten ihn wenigstens James Holden und Malcolm Trent. »Sicher, mit der Zeit wird der Müll unter Farn und Büschen verschwinden«, sagte Trent. »Aber das wird Jahre dauern. Ich finde, Medway hat recht. Wir sollten den Abfall eingraben, wenn es unser Budget erlaubt.«

Holden nickte. »Ich bin auch für den Bulldozer, und wenn er die finanzielle Leistungskraft des Komitees übersteigt, werden wir gern in die Bresche springen.« Damit war die Sache erledigt, und Adrian lächelte dankbar.

Nach langem Hin und Her entschied man sich, einem Rinderfarmer, der gleichzeitig Bauunternehmer war und einige Bulldozer besaß, den Auftrag zu erteilen. Sie hofften, der Mann würde ihnen mit dem Preis entgegenkommen, da er der Gemeinde angehörte und auch ein Interesse daran haben mußte, daß der Müll beseitigt wurde.

»Und wenn weitere Spenden eingetroffen sind, werden wir unsere nächsten Schritte besprechen«, sagte Adrian unklugerweise. Hill, Jackson und Belton begannen wieder zu murren, denn das Geld würde aus ihren Taschen fließen müssen. Adrian erwähnte ungeduldig, daß er schon eine ganz schöne Summe beisammen habe, und James Holden brach fast einen Streit vom Zaun, als er verächtlich von >Pfennigfuchsern< redete. Trent griff schlichtend ein, indem er hastig fragte: »Das wär’s für heute, nicht wahr?«

 

»Nun, hast du wichtige Geschäfte erledigt?« fragte Jo boshaft, als ihr Vater müde und leicht irritiert nach Hause kam.

»Geschäfte? Es hat zwei Stunden gedauert, bis wir uns über den Bulldozer geeinigt haben. Dabei hätte man das in fünf Minuten besprechen können.«

»Mach dir nichts draus, Liebling«, sagte Christine, »es ist immerhin ein Anfang.« Und Robert meinte, auf dem Land wären die Leute eben ein bißchen langsamer und Adrian habe zumindest den Stein ins Rollen gebracht.

»Ich verstehe nicht, warum sie so wenig Begeisterung zeigen«, sagte Adrian traurig. »Sie müssen doch inzwischen begriffen haben, wie wichtig der Umweltschutz ist. Bei der ersten Versammlung taten sie so, als könnte es ihnen gar nicht schnell genug gehen.«

Christine strich ihm beruhigend über den Kopf und drückte ihm eine Tasse Kaffee in die Hand. Aber Robert meinte, Adrian könne in seinen Büchern zwar eine Menge über Städter schreiben, über die Landbevölkerung müsse er jedoch noch sehr viel lernen.

Sie gingen an diesem Abend nicht sehr fröhlich auseinander, als sie sich in ihre Zimmer zurückzogen — alle außer Jo, die noch vor dem Kamin sitzen blieb.

Sie war unglücklich und so unsicher wie noch nie zuvor in ihrem ereignisreichen Leben. Sie mußte eine Entscheidung treffen — eine sehr folgenschwere Entscheidung. Liebte sie Lester so sehr, daß sie es ein paar Jahre lang in Rangimarie aushalten würde? Ihr Herz sagte ja, ihr Verstand jedoch war unschlüssig. Aber sie brauchte sich ja noch nicht zu entscheiden. Sie hatte noch einen oder zwei Monate Zeit, bis ihre Eltern in die Stadt zurückkehren würden. Bis dahin würde irgend etwas geschehen, das ihr die Entscheidung leichter machte.

 

Es dauerte fast einen Monat, bis der Bulldozer in den Wald fuhr. Der Bauunternehmer war ein vielbeschäftigter Mann und hatte vorher mehrere andere Aufträge zu erfüllen. Doch schließlich war der große Tag gekommen, und die Mitglieder des Komitees wurden verständigt, damit sie sich das Werk des Bulldozers ansehen konnten, bevor sie die Rechnung beglichen. Natürlich war Bruce mit einer wichtigen Warenlieferung beschäftigt, und Hill entschuldigte sich mit der Erklärung, er habe die ganze Nacht bei einer kranken Kuh gesessen. Ted mußte sich um seine Post kümmern, und so gingen nur Adrian, Trent und Holden in den Wald, um zu sehen, ob der Bulldozer gute Arbeit geleistet hatte.

Alles war in Ordnung, der Müll lag unter dem aufgewühlten Erdreich begraben. Aber insgeheim war Adrian doch sehr traurig, als er sah, wie viele Zweige die große Maschine abgebrochen, wie viele Büsche sie entwurzelt hatte. Das Tal war nun eine Masse aus häßlicher gelber Erde, auf der kein einziges Pflänzchen wuchs. »Das macht nichts«, sagte Trent. »Wenn du in zehn Jahren wiederkommst, wirst du dieses Tal nicht mehr vom übrigen Wald unterscheiden können, Adrian.«

Adrian wandte sich ab. In zehn Jahren wiederkommen? In diesem Augenblick hatte er das Gefühl, daß er überhaupt nie mehr wiederkommen wollte. Vergessen waren die glücklichen Tage auf »Gipfelkreuz«, vergessen die Freunde, die er gewonnen hatte, die klare Sommerluft, das frische Grün ringsumher. Er sah nur noch diese gelbe Masse, die entwurzelten Büsche und dachte, das Leben in der Stadt ist doch gar nicht so übel. Dort versuchen wenigstens ein paar Leute, die Schönheit der Natur zu erhalten.

Nachdem sie das Tal inspiziert hatten, beschlossen die drei Komiteemitglieder, dem Bauunternehmer sein Geld zu geben. »Wir brauchen nicht in die Gemeindehalle zu gehen, um die Einzelheiten zu besprechen«, meinte Malcolm Trent. »Setzen wir uns in meinen Wagen.« Und James Holden war tatsächlich damit einverstanden. Wenigstens hatte er es auf Umwegen geschafft, die beiden zusammenzubringen, dachte Adrian. James hatte nichts mehr gegen Beths Ehe einzuwenden, zwischen den beiden Familien herrschten Friede und Eintracht. Und das, so dachte Adrian wehmütig, war wahrscheinlich der beste Beitrag, den er zum Gemeinschaftsleben in Eldado geleistet hatte.

Er war froh, daß der Bulldozer endlich sein Werk getan hatte, daß das Tal in Ordnung war, denn ein paar Tage später traf die Nachricht ein, die Christine erwartet hatte. Der englische Dozent wollte einen Monat früher als ursprünglich geplant in seine Heimat zurückkehren. Christine las den Brief mit geheimer Freude. Sie war auf »Gipfelkreuz« nie richtig heimisch geworden und sehnte sich nach ihrer gewohnten Umgebung. Sie hatte keine Bedenken, Robert allein zu lassen. Er ging ganz in seiner Arbeit auf, und er brauchte nur seinem Freund Sam auf der Schaffarm im Süden zu schreiben, wenn er einen Assistenten benötigte. Hoffentlich lernte er bald ein nettes Mädchen kennen. Schade, daß Craig keine Schwester hatte... Aber vielleicht hatte Robert noch gar kein Bedürfnis nach weiblicher Gesellschaft. Seine Arbeit war ihm am allerwichtigsten, und freundschaftliche Kontakte hatte er mehr als genug. Da waren die Trents, die jungen Ehepaare in Eldado, die Leute aus Rangimarie — und vor allem die alte Mrs. Holden, dachte Christine lächelnd. Eigentlich fuhr er immer nur ihretwegen nach Rangimarie und nicht, um Cynthia und James Holden zu besuchen. Und sobald er das Haus betrat, pflegte die alte Dame auch schon schamlos Besitz von ihm zu ergreifen.

Am Sonntag vor ihrer Abreise machten sie einen Abschiedsbesuch bei den Holdens, und Lester tauchte ebenfalls auf, um Jo zu sehen. Wie stand es zwischen den beiden? Christine hätte es gern gewußt, aber sie wäre überrascht und entsetzt gewesen, wenn sie herausgefunden hätte, daß es die beiden selbst nicht wußten. Sie liebten sich, aber Jo mußte ein Opfer bringen, und sie war es nicht gewohnt, ihre eigenen Interessen hintanzustellen. Wenn Lester sie wirklich liebte, dann würde er schon jetzt die Farm verkaufen und den Grundbesitz erwerben, von dem er träumte. Er hatte genug Geld dazu. Er hatte ihr erzählt, daß er und sein Bruder beträchtliche Summen geerbt hatten, als sie fünfundzwanzig geworden waren. Der Bruder hatte sich eine Anwaltspraxis gekauft. Lester hatte sich das Geld für die Farm aufgehoben, die nun immer noch in weiter Ferne lag. Jo hatte ihn noch einmal gebeten, die Farm seines Vaters schon jetzt zu verkaufen. Aber er hatte sich geweigert und daran erinnert, daß er sein Wort gegeben hatte. Wenn Jo ihn liebte, würde sie es zwei Jahre lang in Rangimarie aushalten. Schließlich verlange er ja nicht von ihr, auf dem Nordpol zu leben. Sie befanden sich in einer Sackgasse, und anscheinend war keiner der beiden bereit nachzugeben.

Der Nachmittag nahm einen schlechten Anfang, weil Mrs. Holden über Roberts Abwesenheit verärgert war. »Er hat sehr viel zu tun, weil er morgen seine ersten Lämmer auf den Markt bringen will«, sagte Christine. »Er läßt sich entschuldigen, Mrs. Holden, und ich soll Ihnen ausrichten, daß er es glücklicherweise nicht nötig hat, an der Abschiedsparty teilzunehmen, weil er ja hierbleiben wird.«

»Natürlich hat er das nicht nötig, aber ich hatte gehofft, er würde trotzdem kommen«, entgegnete die alte Dame störrisch.

Christine wechselte hastig das Thema und fragte, ob Mrs. Holden schon gehört habe, daß die häßliche Müllhalde im Wald verschwunden sei. Sie bezog auch Adrian in das Gespräch ein, weil sie wußte, daß die alte Dame sich lieber mit Männern als mit Frauen unterhielt — mit Männern aller Jahrgänge. Adrian sprang charmant in die Bresche und schilderte auf amüsante Weise, wie schwierig es immer sei, Versammlungen einzuberufen. »Sie haben immer Ausreden — und manchmal sogar gute.«

»Wenn Ihrem Komitee solche Leute angehören wie dieser Ladenbesitzer, dann müssen Sie ja mit Komplikationen rechnen«, meinte Mrs. Holden verächtlich.

Doch das wollte Jo nicht auf ihrem Freund sitzen lassen. »Bruce ist ein netter Kerl. Und er kann nichts dafür, daß er soviel zu tun hat. Er hält den Laden gut in Schuß, und das beweist doch nur, daß ihm die Interessen des Distrikts am Herzen liegen.«

»Er ist wohl eher daran interessiert, möglichst viele Kunden zu gewinnen«, erwiderte Mrs. Holden, und James stellte sich auf die Seite seiner Mutter und sagte, es läge wohl kaum im Interesse des Distrikts, daß Bruce Belton seine Taschen fülle.

»In meiner Jugend«, trompetete die alte Dame erregt, »wäre es meinem Vater nicht im Traum eingefallen, zusammen mit einem Ladenbesitzer ein Komitee zu bilden. Er gehörte überhaupt keinem Komitee an. Er bestimmte, was zu geschehen hatte, und die Farmer richteten sich nach ihm. Das war eine viel bessere Methode.«

»Das war eine Diktatur«, entgegnete Jo, die nun auch wütend geworden war, »und zum Glück ist dieses Zeitalter längst vorbei.«

»Ja, es ist vorbei«, sagte die alte Dame würdevoll. »Seither sind mehr als siebzig Jahre vergangen, aber ich finde nicht, daß wir in dieser Zeit große Fortschritte gemacht haben.«

»Zumindest sind wir demokratischer geworden. Heutzutage ist es verdammt egal, aus welcher Familie ein Mann stammt. Es kommt nur darauf an, was er ist und was er tut.«

»Eine feine Theorie! Ich habe auch eine. Junge Leute sollten sich in Gegenwart älterer Menschen etwas gepflegter ausdrücken.«

Lester versuchte zu vermitteln. »Großmutter, wir sagen heute alle ab und zu mal >verdammt<, aber das ist noch lange kein Fluch. So wie >verflixt und zugenäht< oder so... Du kennst doch diese Sprüche.«

»Ich kenne sie nicht, aber ich stamme ja auch aus der Steinzeit, wie Miß Medway angedeutet hat.«

Das war zuviel für Jo. Sie sprang auf, stammelte, daß es hier zu stickig sei, und stürmte aus dem Zimmer. Ein drückendes Schweigen senkte sich über die kleine Gesellschaft, und Christine dachte wehmütig, daß es niemals zu dieser unerfreulichen Szene gekommen wäre, wenn Robert seine Lämmer für ein paar Stunden im Stich gelassen hätte. Dann räusperte sich James und machte eine Bemerkung über das Wetter, das die Schur beeinträchtige. Und nachdem sich alle große Mühe gegeben hatten, war bald wieder ein normales Gespräch im Gange. Langsam wich die Zornesröte aus dem Gesicht der alten Dame, und Lester fand, daß er es nun wagen könne, seiner entnervenden Liebsten ins Freie zu folgen.

Er fand sie am Ende des Gartens, wo sie ärgerlich auf und ab lief. Als sie seine Schritte hörte, wirbelte sie zu ihm herum. »Was für unmögliche Leute! Wie kannst du sie nur ertragen!«

»Ganz einfach, weil sie meine Verwandten sind, wie ich dir schon mehrmals erklärt habe, und weil ich ihnen eine gewisse Loyalität schuldig bin. Wie würdest denn du reagieren, wenn jemand so abfällig über deine Eltern sprechen würde?«

»Das würde mir nichts ausmachen, aber für mich ist die Familie ja auch nicht so unantastbar und heilig wie für dich. Meine Eltern sind menschliche Wesen, und jeder hat das Recht, sie zu kritisieren.«

»Aber niemand tut es, und darauf kommt es an. Meine Verwandten, besonders Großmutter, sind sehr altmodisch, aber sie haben auch die schönen altmodischen Tugenden, und eine ihrer nachahmenswerten Regeln lautet: Man soll nicht unhöflich zu älteren Menschen sein.«

»Vielen Dank für die Belehrung! Mrs. Holden war aber zuerst unhöflich, und wenn sie auch schon über achtzig ist — das bedeutet noch lange nicht, daß sie sich alles erlauben kann. O Lester, streiten wir uns doch nicht! Siehst du denn nicht ein, wie unmöglich es ist?«

»Was ist unmöglich?«

»Daß Jo Medway in Rangimarie leben und sich täglich anhören soll, daß dieser und jener Mann >kein wahrer Gentleman< und daß Mrs. Sowieso >recht nett, aber keine Lady< sei. Soll ich mir wirklich gefallen lassen, daß sie auf meine Freunde in Eldado herabsehen? Soll ich mir sagen lassen, ich dürfte nicht mit ihnen verkehren, weil sie nicht auf meiner Stufe stünden?«

Er versuchte einen Arm um ihre Schultern zu legen, aber sie stieß ihn weg und sagte: »Nein, es hat keinen Sinn. Ich liebe dich, und du liebst mich, aber solange du in diesem schrecklichen Rangimarie lebst, kann ich dich nicht heiraten.«

»Ich habe dir doch gesagt, daß ich nur noch zwei Jahre hierbleibe. Das haben wir schon oft genug besprochen. Es wäre so einfach, und du bauschst die ganze Sache zu einem Riesenproblem auf. Du brauchtest meine Verwandten ja nicht oft zu sehen. Ein Besuch in der Woche würde meiner Großmutter genügen. Wir könnten unser eigenes Leben führen und nur freundschaftliche Beziehungen zu ihnen unterhalten.«

»Freundschaftliche Beziehungen! Was bei diesen Beziehungen herauskommt, habe ich ja heute erlebt. O ja, ich weiß, die alte Hexe war schlecht gelaunt, weil Robert nicht gekommen ist, und sie hat ihre Wut an mir ausgelassen. Aber solche Situationen werden immer wieder entstehen, und ich habe keine Lust, ständig den Fußabstreifer zu spielen. Nein, Lester, mein Entschluß steht fest. Ich reise am Wochenende mit meinen Eltern ab, und wir wollen uns jetzt Lebwohl sagen. Komm bitte nicht mehr zu mir, es hätte keinen Sinn. Du kannst mich nicht umstimmen. Der heutige Nachmittag hat mir klar vor Augen geführt, daß es keine Hoffnung für uns gibt. Wenn wir hier zusammen lebten, würden wir uns schon nach ein paar Monaten hassen. Da ist es noch besser, wir gehen als Freunde auseinander.«

Und sie änderte ihre Meinung nicht, trotz aller Argumente, die Lester vorbrachte, trotz seiner Bitten. Schließlich zuckte er mit den Schultern. »Ich weiß nicht mehr, was ich noch sagen soll. Du liebst mich eben nicht.«

»Wenn du das glauben willst und wenn es dadurch leichter für dich wird, dann glaub es eben. Denk ruhig, daß ich ein herzloses Biest bin, das dich an der Nase herumgeführt hat und nun in die Stadt zurückkehrt, als wäre nichts geschehen.«

 

Am nächsten Morgen erklärte Jo mit ruhiger Stimme: »Ich habe mir überlegt, wie ich mein lebendes Inventar nach Hause schaffen kann.«

Sie saßen am Frühstückstisch. Christine blinzelte verwirrt, und Adrian fragte mit gerunzelter Stirn: »Meinst du Sheikh und Rajah?«

»Wen sonst? Warum tust du so erstaunt? Ich muß meine beiden Lieblinge doch mitnehmen.«

Keiner sagte etwas, aber alle hatten gedacht, sie würde Rajah hierlassen, bis sie Lesters Frau würde. Sheikh würde sie natürlich mit nach Hause nehmen, wenn es auch problematisch war, sich in der Stadt eine so große Dogge zu halten. Aber auf der Farm konnte man Sheikh nicht zurücklassen. Robert hätte keine Zeit, sich um ihn zu kümmern und zu verhindern, daß der Hund irgendwelchen Unsinn anstellte. Eine kleine Pause entstand, während sie alle erst einmal die Neuigkeit verdauten, daß sie Lester doch nicht heiraten würde. Vielleicht, dachten Robert und sein Vater, hatte Jo das auch nie vorgehabt. Vielleicht war es nur einer von Jos zahllosen Flirts gewesen. Aber Christine war sehr traurig. Das war also der Grund für Jos unnatürliche Blässe heute morgen. Beim letzten Besuch in Rangimarie war die Entscheidung gefallen. Jo hatte erkannt, daß sie in dieser Atmosphäre nicht leben konnte.

Und nun fängt alles wieder von vorn an, dachte Christine. Diese rastlose Suche nach dem richtigen Mann, nach dem richtigen Job. Aber einen Lester wird sie nie mehr finden. Mit ruhiger Stimme fragte sie: »Und wie sollen wir Rajah transportieren?«

»Ich reite ihn nach Avesville, dort gibt’s ein Pferdetransportdepot. Von da aus kann ich ihn dann in die Stadt bringen lassen. Ich werde ziemlich früh aufbrechen und treffe euch dann am nächsten Morgen. Ich habe schon im Hotel angerufen und ein Zimmer bestellt.«

Sie hatte also schon alles geregelt. Sie waren einverstanden mit Jos Plan. Gut, sie würden sich mit ihr in Avesville treffen, und Sheikh würden sie im Wagen mitnehmen. Sie würden ihn nach Jos Aufbruch festbinden, damit er ihr nicht nachrannte. Und dann wechselte Christine entschlossen das Thema. »Aber vorher müssen wir noch die große Abschiedsparty überstehen. O Gott, was haben sie sich da nur ausgedacht?«

Trotz aller Proteste der Familie Medway hatte der ganze Distrikt einstimmig beschlossen, eine große Abschiedsfeier für den Schriftsteller zu geben. Er war ihnen allen ans Herz gewachsen im Lauf der Monate, war einer der Ihren geworden. Sicher, er war ihnen manchmal ganz schön auf die Nerven gegangen, zum Beispiel, als er dieses Getue um die paar Abfälle gemacht hatte, die friedlich im Wald vermodert waren und niemanden gestört hatten. Aber sie erinnerten sich auch an die vielen Fälle, wo er seine Güte und Großzügigkeit bewiesen hatte. Nein, so leicht, wie er glaubte, kam er ihnen nicht davon. Nicht ohne große Abschiedsparty.

Schließlich hatte sich Adrian lächelnd dazu bereit erklärt. »Ich kann die Gefühle dieser netten Leute nicht verletzen.«

»Und deine eigenen auch nicht«, sagte seine Tochter, die nur zu gut wußte, wie sehr Adrian die Wertschätzung genoß, die man ihm entgegenbrachte.

»Ich konnte schon deshalb nicht ablehnen, weil sie bei der Party eine große Sammlung zugunsten der Umweltschutzbestrebungen durchführen wollen. Das hat den Ausschlag gegeben. Sie brauchen doch das Geld, wenn sie mein Werk weiterführen sollen.«

Wie sich die Arbeit des Komitees in Zukunft gestalten würde, wußte allerdings niemand so recht. Nachdem die Müllhalde im Wald beseitigt worden war, waren die Leute der Meinung, sie hätten erst einmal genug getan. Adrians Vorschläge, Bäume im Dorf zu pflanzen und zu verhindern, daß die Farmer allzu häßliche Scheunen bauten, waren nicht gerade auf Begeisterung gestoßen. Es war deutlich zu merken, daß die Leute herzlich wenig an einer »schönen Umwelt« interessiert waren, und Adrian hatte den Verdacht, daß man die diversen Spenden für den Bau einer längst fälligen neuen Schule verwenden würde. Und nach und nach würde sich das Umweltschutzkomitee auflösen.

Aber erst einmal wollte man eine große Abschiedsfeier für die Medways veranstalten. Alle kamen, und zum erstenmal ließen sich auch die Leute aus Rangimarie dazu herab, ein dörfliches Fest zu besuchen. James Holden wollte sogar eine Rede halten. Aber am erstaunlichsten war es, daß die Maori eine Abordnung schickten. Ihre Frauen waren allerdings zu Hause geblieben. »Sie sind zu schüchtern«, erklärte das Oberhaupt der Maori dem Schriftsteller. »Und wir können auch nicht lange bleiben. Wir wollten uns nur von Ihnen verabschieden und Ihnen sagen, daß wir uns auf ein Wiedersehen freuen.«

Nach dieser kurzen Ansprache schüttelte er Adrian die Hand, sammelte seine Abordnung ein und verschwand wieder im Wald.

Danach hielt James Holden seine Rede, die kürzer und besser war, als es die Mehrheit der Festgäste befürchtet hatte. Er sprach von Adrians wertvoller Hilfe während der Grippeepidemie, sprach von seiner verdienstvollen Arbeit in Sachen Umweltschutz und deutete an, er selbst hätte sich schon lange gewünscht, daß in dieser leidigen Angelegenheit etwas unternommen würde. Zum Schluß würdigte er Medways »Ruhm« als Schriftsteller und fügte scherzend hinzu, er wüßte, wo die Bücher lägen, die noch auf Adrians Signatur warteten. Eine Bemerkung, die der Wahrheit entsprach, wie Adrian später feststellen konnte. Schließlich nahm Holden wieder Platz, und alles atmete erleichtert auf.

Auch Bruce hielt eine kurze Rede und pries Adrian als guten »Doktor«, als exzellenten Verkäufer und Müllmann. »Ich selbst bin keine Leseratte«, beendete er seine Ansprache, »aber ich habe ein Foto von Adrian Medway in der Zeitung gesehen, und darunter stand, daß er an einem neuen Buch arbeitet. Ich wette, daß darin auch Eldado vorkommen wird, und wir werden uns alle sehr geehrt fühlen.« Dann ließ er sich auf seinen Stuhl fallen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und flüsterte Malcolm Trent zu: »Verlang nur ja nie wieder von mir, daß ich eine Rede halten soll!«

Trent hielt die letzte Ansprache des Abends und faßte sich erfreulich kurz. Er sagte, sie würden immer stolz darauf sein, daß Adrian Medway ihr Nachbar gewesen sei, und sie seien alle glücklich, weil sein Sohn in ihrer Mitte bliebe. »Das bedeutet nicht zuletzt, daß seine Eltern ihn und uns oft besuchen werden.«

Natürlich blieb Adrian nichts anderes übrig, als eine Dankesrede zu halten. Er sagte, er werde Eldado nicht vergessen und sicher oft wiederkommen, weil er wisse, daß man ihn hier stets freundlich aufnehmen werde. »Man kann sein ganzes Leben in der Stadt verbringen, ohne auch nur ein einziges Mal eine so spontane Zuwendung zu erleben, wie sie mir hier zuteil wurde. Die Städter sagen, es gäbe keine Hinterwäldler mehr, aber ich habe sie kennengelernt, im besten Sinne des Wortes. Ich habe eine kleine Gemeinde gefunden, fernab vom großen Weltgetriebe, wo die Leute ein viel glücklicheres Leben führen als die Städter, die oft so fragwürdigen Werten nachjagen.«

Adrians Rede wurde mit stürmischem Applaus belohnt, und danach wurde eine üppige Mahlzeit aufgetischt. Eine Stunde später konnte Adrian seine rechte Hand kaum mehr bewegen, nachdem er zahllose Bücher signiert hatte. Doch das tat seiner guten Laune keinen Abbruch. Er ging von Tisch zu Tisch, unterhielt sich mit den Leuten, hatte ein offenes Ohr für ihre Probleme, tauschte Erinnerungen mit ihnen aus. Das Ergebnis seiner Bemühungen war die Erfüllung seiner größten Hoffnung: Die kleinen Cliquen, die vor seiner Ankunft so spürbar existiert hatten, begannen miteinander zu verschmelzen. Die Leute aus Rangimarie unterhielten sich mit den Farmern, und das ohne jede Herablassung.

Während des ganzen Abends wurde Adrian unauffällig, aber wirksam von Christine unterstützt, und die Leute, die sie nicht so kennen- und liebengelernt hatten wie ihren Mann, meinten, Mrs. Medway sei ganz reizend und »sogar für einen so großartigen Kerl gut genug«.

Jo konnte die Abschiedsfeier nicht genießen. Sie saß den ganzen Abend mit Beth, Craig und Lester beisammen und bemühte sich, fröhlich auszusehen. Sie hatte in den letzten Nächten kaum geschlafen, und als sie sich für die Party zurechtgemacht hatte, war sie entsetzt gewesen über das bleiche Gesicht, das ihr aus dem Spiegel entgegenstarrte. Mit einer dicken Make-up-Schicht war sie der Blässe zu Leibe gerückt, und nun flüsterten die Frauen einander zu, Miß Medway pflege wohl schon wieder ihren städtischen Lebensstil, sonst hätte sie sich nicht so angemalt. Die andere Jo hatte ihnen, auch Lester, besser gefallen. Aber das Herz tat ihm weh, als er erkannte, warum sie Zuflucht zu all der Schminke genommen hatte. Noch war es nicht zu spät. Sie mußte doch ihren Gefühlen nachgeben, mußte doch erkennen, daß sie ihn nicht verlassen konnte, um nie mehr zurückzukehren, solange er in Rangimarie lebte.

Aber Jo behielt bis zum Ende des Abends ihre falsche, aufgesetzte Fröhlichkeit bei, ging von Tisch zu Tisch, um Hände zu schütteln und höfliche Floskeln von sich zu geben. Als sie dann an seinen Tisch zurückkehrte, war sie wieder die blasierte Städterin, die ihm bei der ersten Begegnung so mißfallen hatte. Christine beobachtete sie traurig, aber unauffällig. Sie kannte diese übertrieben fröhliche Jo nur zu gut. Mit dieser Jo würde sie nun eine Weile leben müssen, denn ihr Gefühl sagte ihr, daß ihre Tochter nicht so bald einen Mann finden würde, der Lester ersetzen konnte. Mit einem unwillkürlichen Seufzer erinnerte sie sich, daß sie Mrs. Hill noch fragen wollte, wie es dem Baby ging. Und dann mußte sie mit Mavis Belton über die unmöglichen Forderungen lachen, die ein Tourist im Laden gestellt hatte. Das Leben ging weiter, und sie durfte Jo niemals verraten, was sie in den vergangenen Wochen gehofft und gefürchtet hatte. Es schickte sich nicht für moderne Eltern, Gefühl zu zeigen. Sie mußte sich damit zufriedengeben, am Rand zu stehen und zuzuschauen — und das manchmal mit schwerem Herzen.