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Am nächsten Tag sagte Christine: »Nun können wir wenigstens Onkel Josephs Möbel verwenden und brauchen keine Lagergebühren mehr dafür zu bezahlen. Es sind zwar viktorianische Möbel, und sie passen nicht so recht zu einem Farmhaus, aber der viktorianische Stil ist zur Zeit sehr in Mode, und so sind wir immerhin up to date.«
Die Familie war einverstanden, und Adrian, der diese Möbel immer gehaßt hatte, sagte lächelnd: »Wie klug von mir, daß ich damals Wert auf die schönen Sachen gelegt habe.« Daß er dieses Erbe damals als »unerträgliche Last« empfunden hatte, erwähnte er natürlich nicht.
Bald waren die erforderlichen Papiere unterzeichnet, und »Gipfelkreuz« gehörte ihnen. Robert hatte seine Stellung auf der Farm im Süden gekündigt und mit Sam gesprochen, der später einen Job auf »Gipfelkreuz« annehmen sollte. Alle waren schrecklich beschäftigt, und Robert sagte zu seiner Schwester: »Der Umzug würde uns viel weniger Mühe machen, wenn sich Adrian aus allem raushielte.«
»Genau. Er macht soviel Wirbel und zerbricht alles, was er anfaßt. Aber wie können wir ihn denn loswerden?«
Als Christine zu Rate gezogen wurde, war auch sie der Meinung, daß Adrian keine Hilfe beim Umzug sei, aber man könne ihm natürlich nicht sagen, daß er nur im Weg stehe. »Er freut sich doch so.«
»Ich frage mich nur, ob es wirklich eine gute Idee ist, mit Adrian aufs Land zu ziehen«, sagte ihre Tochter seufzend. »Er ist doch so abhängig von seinen Mitmenschen. Er verflucht sie zwar, wenn sie ihn stören, aber dann unterhält er sich stundenlang mit ihnen. Und wenn sie was ganz Triviales sagen, leuchten seine Augen plötzlich auf, er läuft aus dem Zimmer, und Sekunden später hört man die Schreibmaschine klappern. Die Leute haben ihn immer inspiriert. Das wird er sehr vermissen.«
»Wahrscheinlich, aber er wird auch auf dem Land Leute finden. Er ist nun einmal entschlossen, es zu versuchen, aber nur für ein Jahr. Das habe ich ihm klargemacht. Danach gehe ich in die Stadt zurück.«
»Wie schön für dich! Und ich?«
»Möchtest du nicht irgendeinen Job annehmen? Du brauchst dich nicht dazu verpflichtet fühlen, dich mit deinen Eltern auf dem Land zu vergraben.«
»Erst einmal komme ich mit. Es ist immerhin eine Abwechslung, und ich kann mir in >Gipfelkreuz< in Ruhe überlegen, wie ich Karriere machen werde.«
»Du kannst wirklich froh sein, daß dein Vater ein so erfolgreicher Schriftsteller ist, sonst müßtest du dir ein bißchen eher Gedanken über deine Karriere machen. Daß du dir deinen Lebensstil leisten kannst, den Ponyklub und die vielen neuen Kleider, hast du nur Adrian zu verdanken. Es macht ihm nicht unbedingt Spaß, diese seichte Unterhaltungsliteratur zu fabrizieren. Er würde gern etwas Ernstes schreiben, einen anspruchsvollen Roman, der wahrscheinlich weniger Erfolg brächte. Und deshalb verzichtet er — seiner Familie zuliebe.«
»So habe ich das noch gar nicht gesehen.«
»Dann wird es aber Zeit. Adrian hat den Journalismus immer gehaßt, und als er seinen Vater beerbte, hatten wir genug Geld zum Leben, und er konnte den Job bei der Zeitung aufgeben. Nur so zum Spaß schrieb er zwei leichte Romane, die sofort einschlugen. Und so sah er sich zu diesem Stil verurteilt und blieb dabei. Adrian mag dir vielleicht manchmal selbstsüchtig erscheinen, aber in Wirklichkeit bringt er seiner Familie große Opfer.«
Jo runzelte die Stirn. Sie hatte ihren Vater immer geliebt, aber mit einer gewissen Herablassung. All das, was Christine jetzt gesagt hatte, war ihr noch nie so richtig zu Bewußtsein gekommen. Aber das änderte nichts daran, daß Adrian beim Umzug überall im Weg stehen würde. »Wenn er nur einen kleinen Virus einfangen würde... Nichts Schlimmes, nur daß er für eine Weile Ruhe gibt...«
Ihr Wunsch wurde erfüllt. Adrian bekam zwar keine Grippe, aber einen Brief von seinem Verleger, der ihm mitteilte, die Herstellung habe festgestellt, daß sein neues Buch um fünftausend Anschläge zu lang sei. Sollte man das Manuskript im Lektorat kürzen, oder würde er das gern selbst machen? Er habe doch seinen Durchschlag...
Adrian kochte vor Wut. Wenn er ein Manuskript nach England geschickt hatte, pflegte er es für immer aus seinen Gedanken zu entlassen. »Ein Durchschlag! Den finde ich natürlich nie mehr! Und jetzt wird irgend so ein naseweiser Jüngling vom Lektorat in meinem Werk herumpfuschen.«
»Ich habe den Durchschlag aufgehoben, mein Lieber«, sagte Christine besänftigend. »Du kannst dich gleich an die Arbeit machen.« Etwas später meinte sie zu Jo und Robert: »Damit kann er sich während des Umzugs beschäftigen. Was für ein Segen!«
Adrian war noch immer wütend. »Ich werde ihnen telegrafieren, sie sollen das Buch so rausbringen, wie es ist, oder mir den Buckel runterrutschen. Sie werden es nicht wagen, mit mir zu streiten.«
Christine wußte, daß Verleger das durchaus konnten und sogar mit Autoren stritten, die viel bedeutender waren als Adrian. »Wir können uns den Durchschlag ja morgen mal ansehen, während Jo und Robert die erste Ladung auf die Farm schaffen«, schlug sie vor.
Schließlich gab Adrian klein bei, und alles verlief glatt. Jo und Robert fuhren auf die Farm, putzten, fegten und schrubbten einen Tag lang, und am nächsten Morgen trafen Onkel Josephs Möbel ein. Adrian saß zu Hause, getröstet von Jos Abschiedsworten: »Vergiß uns, mein Lieber. Dein Buch ist viel wichtiger.«
Und Robert hatte gesagt: »Wir machen die grobe Arbeit, und du und Christine, ihr könnt unserem Werk dann die Glanzlichter aufsetzen. Beeil dich mit dem Buch, dein Verleger wartet darauf!«
Als er den beiden von der Veranda aus nachwinkte, sagte Adrian: »Was für gute Kinder! Ich wünschte, daß wenigstens eins von den beiden meinen Geist geerbt hätte. Aber sie haben eben nur ihren gesunden Menschenverstand.«
»Immerhin wissen sie, wie wichtig deine Bücher sind, denn was würden wir ohne deine Erfolge machen?« Christine dirigierte ihn zu dem Tisch, auf dem der Durchschlag lag. Liebevoll blickte sie dann auf seinen gebeugten Kopf. Er war ihr drittes Kind, und sie liebte ihn genauso wegen seiner Hilflosigkeit wie um seiner sonstigen Qualitäten willen. »Lieber Gott, laß ihn vor mir sterben«, betete sie immer wieder, »denn er wäre verloren ohne mich.«
Er ging sehr gründlich vor bei seiner Arbeit. Wenn er auch sonst seine Papiere durcheinanderbrachte und seine Kugelschreiber verlegte — wenn es um seine Romane ging, gestattete er sich keine Schlamperei. Er ging die Arbeit streng methodisch an, strich hier ein paar Wörter, dort einen Absatz, und Christine fungierte als seine Sekretärin, notierte jede Seite, jede Zeile, wo er Kürzungen vorgenommen hatte.
Nach ein paar Tagen traf das erwartete Telegramm von Robert ein — »Alles okay«. Die Arbeit an dem Manuskript war beendet, und Christine brachte das Paket zur Post. Während Adrian seine Kleider aufs Bett legte, mit der vagen Vorstellung, sie in einen Koffer zu packen, warf er seiner Frau immer wieder skeptische Blicke zu. »Ich frage mich so oft, ob es dir gegenüber auch fair ist.«
Sie versicherte ihm, sie betrachte es als aufregendes Abenteuer, und vielleicht seien sie wirklich ein bißchen eingerostet, weil sie so viele Jahre an ein und demselben Ort verbracht hatten. Wenn sie nach einem Jahr zurückkehrten, würden sie sich frisch und munter und viel jünger fühlen. Sie betonte immer wieder, daß es sich nur um ein Jahr handelte, auch wenn sie sich sagte, daß das vermutlich überflüssig sei. Adrian würde das Landleben schon viel früher satt haben. Trotzdem — sie würde ihn regelmäßig daran erinnern.
Insgeheim hatte sie sich vor einem Sommergewitter gefürchtet, das die Lehmstraße unpassierbar machen würde. Aber am Morgen ihrer Abreise schien die Sonne, und es regte sich kein Lüftchen. John Fletcher, der Dozent, der das Haus mieten würde, sollte am nächsten Tag eintreffen. Sie hatten den Schlüssel seiner Schwester übergeben. Christine warf einen letzten Blick auf ihr Heim, wie es heiter und einladend in dem schönen Garten stand, das Ergebnis zwanzigjähriger Liebe und Pflege. Aber sie zeigte nicht, wie ihr zumute war, und es war Adrian, der seufzend den Motor startete und leise sagte: »Unser Heim... Wie glücklich waren wir in diesem Haus... Und nun verlassen wir es...«
»Nur für ein Jahr. Unser Haus wird auf uns warten.«
Am frühen Nachmittag trafen sie auf »Gipfelkreuz« ein, und Jo kam ihnen entgegen, begleitet von einem riesigen Tier. »Sie hat schon ein Lieblingskalb«, sagte Adrian glückstrahlend. »Siehst du, wie schnell sie sich an ihr neues Leben gewöhnt hat.«
»Ich glaube nicht, daß das ein Kalb ist«, sagte Christine langsam. »Das ist vermutlich der Hund, den du ihr versprochen hast. Eine junge Dogge.«
»Großer Gott!« rief Adrian. »Aber ich habe ihr doch nicht so ein Riesenvieh versprochen! Ich dachte an einen Pekinesen oder schlimmstenfalls an einen Spaniel.«
»Du hast dich nicht klar ausgedrückt«, erwiderte seine Frau resignierend, »und das da ist ein Hund, daran gibt’s nichts zu rütteln.«
»Wie schön, daß ihr da seid!« rief das Mädchen. »Ist mein Hund nicht süß? Es ist so lieb von dir, daß du ihn mir schenkst, Adrian. Ich habe ihn sehr gern. Er frißt schrecklich viel, aber das bezahle ich von meinem Taschengeld.«
»Aber er ist ja groß wie ein Ochse.«
»Ich weiß, und er wird noch wachsen. Das macht dir doch nichts aus, Daddy?«
Wenn sie ihn Daddy nannte, konnte er niemals widerstehen. »Natürlich nicht. Aber wo hast du ihn denn so schnell gefunden?«
»In Avesville. Das ist die nächste Stadt. Ich habe ihn durch eine Annonce bekommen. Sein Besitzer wandert nach Europa aus. Oh, so sagt doch endlich, daß er euch gefällt!«
»Natürlich gefällt er uns«, sagte Christine mit einem schwachen Lächeln, und Adrian meinte: »Ich habe noch nie einen Roman geschrieben, in dem eine Dogge vorkommt. Und was das Futter betrifft — wozu habe ich mich jahrelang von meinem Verleger versklaven lassen, wenn ich es mir jetzt nicht einmal leisten könnte, eine Dogge zu ernähren?«
Und Adrian nahm schwungvoll zwei Koffer und marschierte den Hang hinauf.
Das Haus war kaum wiederzuerkennen. Jo und Robert hatten hart gearbeitet, und Onkel Josephs Möbel waren hübsch auf alle Räume verteilt, bis auf ein paar unmögliche Stücke, die in einen Schuppen gewandert waren. Natürlich paßten die viktorianischen Möbel nicht so recht in das Haus, aber das hatten sie ja vorher gewußt. Der Mahagonitisch beherrschte die Küche, und ein paar Ölgemälde schmückten das Wohnzimmer. »Eines heißt >Der Liebesbrief< und eins >Der Abschied<«, erklärte Jo. »Die drücken richtig auf die Tränendrüsen, und deshalb haben wir sie ins Klo gehängt. Sonst kriegen die Ratten im Lagerschuppen Verdauungsbeschwerden.«
»Wo ist denn Robert?« fragte Adrian, und Jo erwiderte, ihr Bruder habe schon ein paar Schafe gekauft und müsse jetzt den Weidezaun ausbessern.
Sie hat sich schon verändert, dachte Christine. Die städtische Arroganz ist verschwunden, sie benimmt sich ganz natürlich und spontan, seit sie etwas hat, »woran sie sich die Zähne ausbeißen kann«, wie ihr Vater es einmal so treffend ausgedrückt hatte.
»Ich glaube, sie wird es ein Jahr lang aushalten«, sagte Jos Mutter hoffnungsvoll, »und dann eine Stellung antreten. Mit Hilfe dieses lächerlichen Hundes und eines Pferdes. Ich bete nur zu Gott, daß sie sich keinen Riesenhengst anschafft.«
Doch es sollte ein sehr nettes Pferd werden, und das war Malcolm Trent zu verdanken, der ein paar Tage später anrief und sich erkundigte, wie man sich denn eingelebt hätte. Er sagte, er hätte ein Pferd, das gut zu Jo passen würde. »Kein Vollblut, aber gerade das Richtige für die Gegend hier. Es hat einem Schafhirten gehört, der für Mr. Holden gearbeitet hat. Nun hat er die Kündigung gekriegt oder ist von selbst gegangen, es gibt da die widersprüchlichsten Gerüchte. Jedenfalls hat er mich gebeten, das Pferd für ihn zu verkaufen. Sie können es sich ja mal ansehen.«
Sie fuhren alle auf Trents Farm, Jo in Reithosen und mit einem Sattel bewaffnet, und dann ritt sie triumphierend heim, keuchend, aber begeistert verfolgt von Sheikh, der Dogge. Rajah, der Hengst, schloß schnell Freundschaft mit dem Hund und entschloß sich zu einem gemächlichen Trab, so daß Sheikh nicht allzusehr aus der Puste kam.
»Nun hast du einen Hund und ein Pferd — zumindest für ein Jahr«, sagte Christine.
»Aber ich nehme natürlich beide mit, wenn ich in die Stadt zurückgehe, Christine«, erklärte Jo. »Adrian wird mir einen Platz in einem hübschen Reitstall bezahlen, und Sheikh wird sich auch in unserem Haus wohlfühlen.«
»Dein Vater wird sicher mit allem einverstanden sein, vor allem, wenn du ihn wieder >Daddy< nennst. Aber bis dahin sieh zu, daß du das Beste aus diesem Jahr machst.«
Jo brauchte dazu nicht erst ermutigt zu werden, denn plötzlich interessierte sie sich für alles — für die Farm, für die Tiere, die Robert kaufte, und hauptsächlich für Rajah und Sheikh. Sie schien ihre vielen Freunde und ihr hektisches Leben nicht zu vermissen, auch nicht die Partys und ihre zahlreichen Verehrer. Wie lange würde die Begeisterung anhalten? Es war gut, daß sich ihre Einstellung Adrian gegenüber etwas geändert hatte, seit Christine ihr klargemacht hatte, welche Opfer der Vater brachte, um ihnen allen ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Sie sah nun tolerant über seine egozentrischen Anwandlungen hinweg, verstand auch, daß er Ruhe brauchte, wenn er arbeiten wollte. Es fiel ihr um so leichter, seine Wünsche zu respektieren, da sie meist mit Robert auf den Feldern war oder auf der stillen Straße nach Eldado ritt, mit dessen wenigen Bewohnern sie Freundschaft geschlossen hatte. Die Männer fanden sie »bildschön«, und die Frauen meinten, daß sie »kein bißchen hochnäsig« sei.
Aber es war Adrian, der in gesellschaftlicher Hinsicht einen ernsthaften Vorstoß wagte. Er fragte Malcolm Trent nach den beiden alten Männern aus, die in der primitiven Hütte bei der Abzweigung lebten. »Sie heißen Mark und Luke«, erwiderte Trent. »Sie haben keinen Kontakt mit der hiesigen Bevölkerung, und sie wollen auch keinen.« Doch Adrian ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Eines Morgens erklärte er, daß er seinen nächsten Nachbarn die Hand zur Freundschaft reichen wolle.
»Wahrscheinlich werden sie die Hand ausschlagen«, meinte seine Tochter. »Wir haben die beiden schon gesehen. Als wir erst ein paar Tage hier waren, entdeckten wir zwei unheimliche kleine Gestalten, die ums Haus schlichen und durch die Fenster spähten. Wir errieten, wer die beiden waren, und so ging ich hinaus und lud sie zum Tee ein. Sie gaben keine Antwort, sondern verschwanden im Gebüsch wie zwei verängstigte Hasen. Das war alles, was wir von ihnen gesehen haben, aber es hat uns genügt. Sie sind verrückt und furchtbar schmutzig.«
»Vielleicht inspirieren sie mich zu einem neuen Roman«, sagte Adrian nachdenklich. Mit einem Kuchen und einem Topf voller Suppe bewaffnet, machte er sich auf den Weg. Die Hütte war schrecklich vernachlässigt und starrte vor Schmutz. Niemand rührte sich, als er an die Tür klopfte, aber er klopfte beharrlich weiter. Nach einer Weile erschien ein zerzauster kleiner Kopf im Türspalt. Adrian hielt den Kuchen und den Suppentopf hoch und sagte mit dem Lächeln, das ihm schon so viele Freunde gewonnen hatte: »Ich bin Ihr neuer Nachbar und wollte mich mal vorstellen.«
Die Tür öffnete sich weit genug, so daß eine Hand hervorschnellen und nach den Geschenken grapschen konnte, aber Adrian stellte einen Fuß in den Türspalt und erzwang sich mehr oder weniger seinen Eintritt. Er bahnte sich einen Weg zwischen einer Masse von Tieren, Töpfen und Brennholz hindurch, bis zu einem riesigen Herd, in dem ein winziges Feuer brannte. Der Schornstein bestand aus Eisenblech. Trent hatte Adrian erzählt, daß dieses Feuer nie ausgehen dürfe. Der Raum war unbeschreiblich schmutzig. Vor dem Feuer schlief ein alter Hund, ein paar Katzen streiften umher, in jeder Ecke lagen Kleidungsstücke. Die beiden Männer sahen wie Gnome aus, waren kaum voneinander zu unterscheiden und sagten kein Wort. Adrian bemühte sich, die Katze zu ignorieren, die auf den Tisch gesprungen war und Christines ausgezeichnete Suppe verschlang, auch den alten Hund, der sich nun erhob und nach dem Kuchen schnappte.
Die Hütte bestand aus zwei Räumen; durch eine offene Tür konnte Adrian zwei zerwühlte Betten sehen, neben denen schwarze Decken auf dem Boden lagen. Auf dem Fenstersims stand ein relativ hübscher Hahn. Zwei weitere Katzen tauchten aus dem Nebenzimmer auf, und Adrian hörte sich idiotischerweise sagen: »Wie ich sehe, sind Sie Katzenfreunde.« Immerhin wurde er mit einem Kopfnicken des jüngeren Gnoms belohnt.
Danach schlief die Konversation ein, bis Adrian zu seinem Entsetzen etwas von »Aufbrühen« hörte und das ganz richtig als eine Einladung auffaßte, aus einem unbeschreiblichen Blechbecher Tee zu trinken. Er sagte rasch, daß er zum Lunch nach Hause müsse und nur vorbeigekommen sei, um mit den beiden Herren Bekanntschaft zu machen. »Schauen Sie doch auch mal bei uns herein«, sagte er mit seinem charmantesten Lächeln, als er schon an der Tür war. Dann rannte er hinaus, verfolgt vom Knurren des alten Hundes, der sich vergeblich bemüht hatte, den Kuchen zu erreichen. Zu seiner Überraschung rief ihm der ältere Gnom noch nach: »Danke für das Essen!« Wenigstens hatte er vier ganze Wörter gesprochen, wie Adrian später stolz betonte. Er schob sich durch das halb zerbrochene Gatter, stieg in sein schönes Auto, fuhr davon und sagte sich, daß dies der einzige gesellschaftliche Mißerfolg seines bisherigen Lebens gewesen sei.
»Keineswegs«, meinte Malcolm Trent, als Adrian ihm die Geschichte erzählte. »Sie haben den beiden immerhin ein paar Worte entlockt. Das hat keiner von uns geschafft.«
»Wie leben die zwei denn? Sie haben kein Telefon. Wie bekommen sie denn ihre Lebensmittel?«
»Sie würden nichts im Dorf bestellen, auch wenn sie ein Telefon hätten. Sie haben Angst, die Leute könnten zuviel über ihre Lebensumstände herausfinden. Sie leben von ihrer Pension und den Eiern der zehn Hennen, die ums Haus herumlaufen. Einmal im Monat gehen sie miteinander zur Hauptstraße, wenn das Postauto kommt, und übergeben dem Postboten schweigend eine Liste und ein bißchen Geld. Am nächsten Tag kommen sie wieder, holen ihre Sachen ab und bezahlen für die Lieferung. Sie unternehmen immer alles zusammen, weil einer dem anderen nicht über den Weg traut. Deshalb lassen sie einander nie aus den Augen.«
»Reden sie denn wenigstens miteinander?«
»Es gibt ein Gerücht, daß sie spätabends, wenn sie sicher sein können, daß niemand mehr vorbeikommt, ein paar Worte miteinander wechseln. Das hat ein Mann behauptet, der einmal nachts in der Nähe ihrer Hütte Opossums gejagt hat. Aber Sie sind jedenfalls der einzige, zu dem sie was gesagt haben.«
»Das lag wohl eher an Christines Kuchen als an meinem Charme. Die Hütte ist schrecklich schmutzig. Ein Wunder, daß sie nicht schon längst an den vielen Bazillen gestorben sind.«
»Mit der Zeit wird man gegen Bazillen immun.«
Malcolm Trent und Adrian wurden die besten Freunde, und Christine verstand sich sehr gut mit Caroline Trent. Der Sohn Craig kam bald nachdem die Medways »Gipfelkreuz« übernommen hatten nach Hause und erwies sich als ebenso sympathisch wie seine Eltern. Nur Jo jammerte, weil Craig schon »vergeben« war. »Noch dazu hat ihn die Tochter dieses Snobs eingefangen«, fügte sie verächtlich hinzu. Sie hatte inzwischen schon eine Menge über Rangimarie und seine Bewohner gehört, denn die Leute in Eldado geizten nicht mit Informationen, und Jo war ebenso erbost über den altmodischen Snobismus dieser arroganten Gesellschaft wie ihre neuen Freunde.
»Du hast Glück, daß deine Farm so groß ist«, sagte Adrian zu Trent. »Sonst könntest du nicht eine Hälfte an deinen Sohn abgeben.«
»Ja, das ist wirklich ein Glück. Wenn er heiratet, kann er sich auf seiner Hälfte ein Haus bauen.«
»Magst du das Mädchen? Jo behauptet, daß Holden ein gräßlicher Snob sei.«
Trent lachte gutmütig. »Nun ja, der alte Holden ist nicht gerade demokratisch gesinnt, aber dafür kann Beth schließlich nichts. Wir mögen sie sehr gern. Sie ist ein nettes Mädchen, kein bißchen hochnäsig, ganz anders als ihre Familie.«
Später erfuhren die Medways, wie die Liebesgeschichte zwischen dem fünfundzwanzigjährigen Craig und der neunzehnjährigen Beth begonnen hatte. Sie hatten sich im dörflichen Laden kennengelernt, und nach drei Begegnungen waren sie ineinander verliebt. Die Verlobung war nicht offiziell, und die Holdens waren strikt dagegen. Eine Heirat ohne den Segen der Familie war fast undenkbar, aber Beth hatte ihren eigenen Willen. Sobald das Haus gebaut war — der Grundstein war bereits gelegt — , würde das Paar heiraten, so oder so. Inzwischen sahen sie sich nur selten, konnten sich nur heimlich treffen, und darüber waren sie beide unglücklich. Craig hatte die Holdens noch nie besucht, und sie hatten ihm auch zu verstehen gegeben, daß er in ihrem Haus nicht willkommen sei. »Wir haben uns nie mit den ortsansässigen Farmern abgegeben«, sollte James Holden gesagt haben. »Und wir werden das auch jetzt nicht tun. Beth wird über diese lächerliche Liebe hinwegkommen.«
»Sie ist doch alt genug«, meinte Jo. »Warum verläßt sie ihr Elternhaus nicht und verdient sich irgendwo ihr Geld, bis sie Craig heiraten kann?« Sie vergaß, daß sie selbst noch nie ihren Lebensunterhalt verdient hatte, obwohl man ihr diesbezüglich keine Steine in den Weg gelegt, sondern sie eher ermutigt hatte.
»Das ist nicht so einfach«, sagte Trent. »Sie hat nichts gelernt und war in den zwei Jahren, seit sie die Grundschule verlassen hat, zu Hause. Ihr Vater hat erklärt: >Kein Mädchen aus unserer Familie hat sich jemals selbst ernährt.<«
»Das ist ja wie in der >Forsyte-Saga<. Wieso sind diese Leute so geworden?«
»Keine Ahnung. Natürlich sind die drei Familien, die Holdens, die Severnes und die Sylvesters, miteinander verwandt. Sie haben denselben Hintergrund, also viel Geld. Holdens Mutter lebt bei ihrer Familie und beherrscht den ganzen Haushalt. Die Leute behaupten, sie sei gar nicht so übel. Diese drei Familien sind jedenfalls eine Kolonie für sich und geben sich nicht mit gewöhnlichen Leuten wie unsereins ab.«
»Aber jedes Mädchen müßte doch stolz sein, wenn es in Ihre Familie einheiraten dürfte.«
»Darüber denken die Leute in Rangimarie anders. Craig und ich sind auf die falschen Schulen gegangen — nicht auf Privat-, sondern auf Gemeindeschulen. Alles sehr gewöhnlich, wie Mrs. Holden zweifellos sagen würde.«
»Ich würde die Familie gern kennenlernen, aber unser Vater ist nur Schriftsteller — und nicht mal ein hochgestochener.«
»Sie könnten trotzdem Gnade vor den Augen der Holdens finden. Übrigens, Craig ist hinübergefahren, um Robert beim Zaun zu helfen. Sie gehen sich gegenseitig zur Hand. Ich freue mich, daß sie Freundschaft geschlossen haben.«
Der Alltag war auf »Gipfelkreuz« eingekehrt. Adrian war eine Zeitlang ziellos durch das Haus gestreift und hatte nach einer Periode der Unentschlossenheit versucht, Robert auf der Farm zu helfen, mit katastrophalen Ergebnissen. Schließlich hatte er sich an die Schreibmaschine gesetzt, um einen weiteren seiner Romane zu produzieren — »leichte Unterhaltungslektüre, genau das Richtige für die Ferien«.
Robert stand immer sehr früh auf, da er viel zu tun hatte. Jo half Christine bei der Hausarbeit, wobei sie sich sehr geschickt anstellte und zur Überraschung ihrer Mutter kein einziges Mal jammerte. Danach ging sie meist mit Sheikh auf die Farm, wo ihre Mithilfe wirksamer war als die Adrians, oder sie erforschte auf Rajahs Rücken die Umgebung. Christine blieb zu Hause, legte einen kleinen Garten an und versorgte Adrian in regelmäßigen Abständen mit Tee oder Kaffee.
Bald hatte Jo mit allen Bewohnern von Eldado Freundschaft geschlossen und redete sie beim Vornamen an. Vor allem mit zwei jungen Paaren verstand sie sich sehr gut. Bruce und Mavis Belton besaßen den kleinen Laden, dem das Postamt angeschlossen war, und die Tankstelle mit angegliederter Autowerkstatt gehörte Ted Jackson und seiner FrauMaureen. »Sie ist okay«, sagte Ted. »Zuerst dachte ich, sie ist ein bißchen hochnäsig, als ich sie mit ihrem Pferd und ihrem Hund und ihren Reitstiefeln sah. Aber sie ist genau unser Typ.«
»Sie sieht ein bißchen hochmütig aus, weil sie so schön ist«, meinte seine Frau. »Aber ich finde sie sehr nett.«
Und so war Jo in Gnaden aufgenommen und oft zum Tee bei den Jacksons eingeladen. Natürlich drehte sich das Gespräch oft um Rangimarie, das »Snob-Paradies«, wie es die Leute von Eldado nannten. Sie waren viel toleranter als Jo und erklärten, diese Snobs würden sich eben so benehmen, weil sie gar nicht anders könnten.
»Zuerst dachten wir, du wärst auch so«, sagten sie lachend. Und dann erzählten sie, einer der jungen Männer aus Rangimarie sei wirklich nett, und zwar Lester Severne. »Er hat früher immer mit unseren Jungs Fußball gespielt, obwohl das seiner Familie ganz und gar nicht paßte. Aber Lester tat immer, was er wollte. Er ist einer von uns.«
»Und wo ist dieses Wunderwesen jetzt?« fragte Jo hoffnungsvoll.
»Er ist weggegangen, wie die meisten jungen Leute. Er ging auf irgendeine landwirtschaftliche Hochschule und nahm dann irgendwo einen Job an. Als er genug gespart hatte, machte er eine Weltreise. Von seiner Familie wollte er kein Geld annehmen, und so entschied er sich für die billigste Reiseroute. Er muß jetzt bald zurückkommen.«
»Wird er sich auf dem Familiensitz niederlassen?«
»Bestimmt nicht. Er hat ein bißchen Geld geerbt, als er fünfundzwanzig wurde, und wird sich jetzt eine eigene Farm kaufen — weit weg von Rangimarie.«
Jo war ein bißchen enttäuscht. Sie hätte diesen jungen Abtrünnigen gern kennengelernt. Doch dazu würde sie wohl kaum Gelegenheit haben. Die Leute von Eldado nahmen an, daß er seinen Eltern nur einen kurzen Pflichtbesuch abstatten und sich dann nach einer Farm umsehen werde.