6
Wie Jo erwartet hatte, war Beth begeistert von Kusine Jane. »Wenn ich nur auch so ein Auto hätte!« sagte sie sehnsüchtig.
»Damit wäre seine Lordschaft aber ganz und gar nicht einverstanden«, meinte Jo.
Doch da sollte sie sich irren, denn als sie das nächstemal mit Robert nach Eldado fuhr, schlenderte Lester heran und begrüßte Kusine Jane, die pustend vor dem Laden stehenblieb.
»Schlicht und bescheiden«, sagte Jo und machte sich auf ein herablassendes Grinsen gefaßt. »Aber wir sind ja auch schlichte, bescheidene Leute.«
»Ich finde das Auto sehr hübsch«, entgegnete Lester. »Eine verblaßte Schönheit aus glanzvoller Vergangenheit«, fügte er hinzu, und Jo dachte, daß er eigentlich gar nicht so übel war.
»Ich glaube nicht, daß ich unser Auto Ihrer Familie vorstellen werde. Es würde sicher keinen Anklang finden.«
Aber Kusine Jane sollte schon sehr bald in die heiligen Gefilde eindringen, und das aus eigenem Antrieb. Denn eines Tages, als sie am Tor der Holdens vorbeifuhren, nachdem sie Lesters Schafböcke inspiziert hatten, begann das Auto laut zu schnaufen. »Sie hat kein Kühlwasser mehr«, meinte Robert resigniert. »Wahrscheinlich hat sie irgendwo ein neues Leck. Es bleibt uns nichts anderes übrig, wir müssen Mr. Holden um Wasser bitten.«
Langsam fuhren sie die Auffahrt hinauf, während Kusine Jane verzweifelt stotterte, und entschuldigten sich bei James Holden, als dieser höflich, aber keineswegs begeistert zum Vorschein kam. »Tut mir leid, daß wir Sie so überfallen, aber Kusine Jane verdurstet. Ich glaube nicht, daß sie noch einen Kilometer schaffen wird. Hätten Sie vielleicht einen Eimer Wasser für uns?«
James lächelte gezwungen und ging davon, gefolgt von Robert und Sheikh. Robert hatte den Motor laufen lassen, weil er befürchtete, daß Kusine Jane sonst nicht mehr anspringen würde, und sie schleuderte ihm wütende Schimpflaute nach. Cynthia trat auf die Veranda, warf einen verwirrten Blick zum Himmel und dann auf Kusine Jane und Jo und lächelte verständnisvoll. »Das ist also das berühmte Auto. Ich dachte, daß ein Hubschrauber über uns hinwegfliegt. Was für ein nettes kleines Ding! Und daß es trotz seiner geringen Größe soviel Lärm machen kann...«
Jo lachte. »Ist Kusine Jane nicht entzückend? Adrian ist allerdings weniger begeistert.«
»Adrian?«
»Mein Vater. Wenn es um Autos geht, ist er ein gräßlicher Snob.«
»Ich habe noch nie gehört, daß junge Leute ihre Eltern beim Vornamen anreden. Elizabeth ist in dieser Beziehung eher altmodisch.«
Jo unterdrückte ein Grinsen. Sie mußte Beth einmal dazu überreden, Mr. Holden »James« zu nennen oder noch besser »Jimmy«. »Es klingt vielleicht etwas seltsam, aber wir haben unsere Eltern immer so angeredet. Es macht ihnen nichts aus.«
»Ich weiß nicht recht... Vielleicht kann man auf diese Weise die Kluft zwischen den Generationen überbrücken, von der ja jetzt soviel gesprochen wird.«
Jo wollte gerade sagen, daß die Anredeform keine Rolle spiele, es komme nur darauf an, wie man zu seinen Eltern stehe, als James Holden und Robert mit einem Eimer Wasser zurückkamen. James machte mit einiger Anstrengung eine scherzhafte Bemerkung über Kusine Jane, und Robert fragte boshaft: »Wollen Sie sich mal ans Steuer setzen, Sir? Sie fährt besser, als sie aussieht.«
James erklärte, er hätte wichtige Geschäftsbriefe zu schreiben, und dann sahen sie alle die alte Mrs. Holden in der Tür stehen, die erstaunt auf das Vehikel starrte, das da ihre elegante Auffahrt verunzierte. Jo fragte sich, ob es respektlos wäre, der alten Dame zuzuwinken, unterließ es lieber und versuchte sich zu verneigen — ein schwieriges Unterfangen, wenn man in der winzigen Kusine Jane saß. Mrs. Holden nickte gnädig und beorderte dann mit einer herrischen Geste ihren Sohn zu sich. Jo und Robert konnten hören, was sie sagte, denn es gehörte zu den verwirrenden Eigenschaften der alten Dame, daß sie ihre Mitmenschen für taub hielt.
»James, du hättest mit dem Auto fahren sollen. Ich mag den jungen Mann. Er ist ein Gentleman. Es ist natürlich schlimm, daß er dazu gezwungen ist, ein so schreckliches Vehikel zu fahren, aber er ist stolz darauf. Wahrscheinlich ist es sein erstes Auto. Es wäre höflicher gewesen, seine Einladung anzunehmen.«
Dann stieg sie würdevoll die Stufen herab und begrüßte Robert sehr herzlich. »Ein bemerkenswerter Wagen. Ich würde sehr gern einmal damit fahren.«
Robert, hin- und hergerissen zwischen Verlegenheit und Belustigung, erwiderte zögernd: »Nun ja... Sie werden das Auto sicher nicht sehr komfortabel finden, aber ich finde es toll von Ihnen, daß Sie es ausprobieren wollen. Jo, halt keine Maulaffen feil, steig aus und halt dein Riesenvieh fest. Wart hier auf mich, ich mache eine kleine Rundfahrt mit Mrs. Holden. Kommen Sie, ich helfe Ihnen, Madam. Es ist ein bißchen schwierig einzusteigen.«
»Ich bin noch nicht völlig verknöchert, Mr. Medway.«
»Bitte nennen Sie mich nicht so! Mr. Medway ist mein Vater. Ich bin Robert.«
»Es fällt mir schwer, die Leute mit Vornamen anzureden, aber wenn Sie es wünschen, werde ich es versuchen. Robert ist ein hübscher Name. Hoffentlich lassen Sie niemals zu, daß man ihn abkürzt und Sie >Bob< nennt. Das wäre bedauerlich.«
Robert verschwieg, daß man ihn sehr oft so nannte, und als Mrs. Holden eingestiegen war, wendete er das kleine Auto. Im 30-Kilometer-Tempo fuhren sie die Auffahrt hinab, während die anderen ihnen sprachlos nachstarrten. Jo fand, daß die alte Dame wirklich Charakter hatte, trotz ihres Snobismus, und sie unterdrückte mühsam einen Lachanfall, als Beth auf sie zurannte. »Wo sind denn Robert und Kusine Jane? Ich dachte, ich hätte die Stimme eures Autos gehört, und habe mich beeilt, nach Hause zu kommen.«
»Deine Großmutter macht eine Spazierfahrt mit Robert und Kusine Jane.«
Die beiden Mädchen sahen sich an, dann brachen sie in Gelächter aus. »Oh, wenn ich das nur gesehen hätte!« jammerte Beth.
Jo tröstete sie damit, daß es ihr ja vergönnt sein werde, die Rückkehr der drei zu beobachten. »Wenn Kusine Jane nicht gestreikt oder einen Salto vollführt hat.«
Aber bald kam das kleine Auto brav die Auffahrt heraufgerollt. Während der Fahrt hatte Robert der alten Mrs. Holden von seinen Plänen mit »Gipfelkreuz« erzählt. Sie hatte interessiert zugehört und praktische Fragen gestellt, die ihn erstaunten. »Sie versteht viel mehr von der Landwirtschaft als ihr Sohn«, sagte er später zu seiner Familie. »Sie muß zwar schon über achtzig sein, aber geistig ist sie noch voll da.«
Als Kusine Jane spuckend stehenblieb, lief James die Stufen herab, um seiner Mutter beim Aussteigen zu helfen. Doch er war nicht schnell genug, und es war der junge Mann, dem sie eine arthritische Hand reichte. Sie schaffte es, aus dem Wagen zu klettern, ohne auch nur einen Teil ihrer unangreifbaren Würde zu verlieren.
»Nun, Großmutter, wie hat es dir gefallen?« fragte Beth.
Die alte Dame überlegte eine Weile, dann antwortete sie: »Es ist nicht ganz das Auto, das ich mir aussuchen würde. Aber es wird dem jungen Mann gute Dienste leisten, und es ist ganz schön schnell.« Obwohl die Geschwindigkeit nur dreißig Kilometer pro Stunde betragen hatte, lächelte niemand. Und die alte Mrs. Holden hatte den jungen Mann so offensichtlich ins Herz geschlossen, daß Cynthia nichts anderes übrigblieb, als ihn und seine Schwester zum Kaffee einzuladen.
»Nun seid ihr endgültig in Gnaden aufgenommen«, flüsterte Beth ihrer Freundin zu.
Die Begeisterung der Familie Holden gefiel Christine nicht sonderlich, da dies das Ende ihrer Isolation und gesellschaftliche Kontakte auch mit den anderen Bewohnern von Rangimarie bedeutete, die Mrs. Holdens Beispiel eifrig folgten und die Medways einluden. Die alte Dame beglückte auch Adrian mit ihrer Freundschaft, obwohl sie ihm nicht die gleiche Herzlichkeit entgegenbrachte wie seinem Sohn. »Ich weiß, warum Sie so gern mit mir zusammen sind, Mr. Medway, und ich freue mich schon auf Ihren neuen Roman, in dem sicher das viktorianische Zeitalter Wiederaufleben wird.«
Einen Augenblick lang war er sprachlos, dann erwiderte er lächelnd: »Ein Tribut, den ich Ihrem Charme zolle, Madam.«
»Wohl eher meiner Einzigartigkeit. Ich bin sicher das älteste viktorianische Relikt, dem Sie je begegnet sind, und deshalb bin ich für Ihre schriftstellerische Arbeit von unschätzbarem Wert.«
»Ich muß Ihre Klugheit bewundern, Madam.«
Bald stand es unumstößlich fest, daß Lester Severne in Rangimarie bleiben mußte. Douglas Severnes Ärzte hatten erklärt, er müsse in der Nähe einer Stadt leben, wo eine wirksamere medizinische Hilfe zur Verfügung stehe, wo er mehr Freunde gewinnen und mehr Interessen pflegen könne.
»Wenn er diese einsame Gegend verläßt, wird er sicher wieder mehr Freude am Leben finden und eher gesund werden«, meinte Adrian. »Mir tut nur der arme Lester leid, der nun die unrentable Farm am Hals hat und allein in dem großen Haus leben muß, denn Mrs. Severne wird ihren Mann ja sicher begleiten.«
»Viel schlimmer ist, daß er in der Nachbarschaft dieser schrecklichen Rangimarie-Snobs leben muß«, sagte Jo. »Ich sehe schon, wie er sich in einen zweiten James Holden verwandelt.«
»Das glaube ich nicht. Er ist aus anderem Holz geschnitzt. Er wird ein ganz normales Leben führen.«
»Hoffentlich wird das auch der armen Beth vergönnt sein. Ihr Vater hat sie gestern gefragt, wann sie mit Craig hier war. >Ja, ich weiß, daß du bei den Medways warst<, hat er gesagt. >Und jetzt stelle ich dir eine ganz simple Frage. Hatten sie noch einen anderen Gast? Und wenn ja — wen?< Für Beth war die Frage natürlich nicht so simpel.«
»Jetzt werden sie uns beschuldigen, daß wir diese Liebesaffäre begünstigt haben«, sagte Christine, »und das können wir auch gar nicht leugnen, Adrian.«
»Unsinn!« entgegnete Adrian, fest entschlossen, sich auf die richtige Seite der Kluft zwischen den Generationen zu stellen. »Es war Beths gutes Recht, sich mit Craig zu treffen. Er ist ein netter junger Mann, und die beiden passen sehr gut zusammen.«
»Nicht in den Augen der Holdens. Wir müssen uns auf das Schlimmste gefaßt machen.«
»Mach dir keine Sorgen, Chris«, sagte Jo. »Was immer auch geschieht, wir werden dich nicht hineinziehen.«
Sie hielt ihr Wort. Als Beth am nächsten Tag auf ihrem schweißüberströmten Pferd angeritten kam, mit tragischer Miene und rotgeweinten Augen, führte Jo sie in eine stille Gartenecke, weit weg von Christine. »Es ist was Schreckliches passiert«, stieß Beth hervor.
»Das habe ich mir beinahe gedacht. Was ist los?«
»Ich hatte einen furchtbaren Krach mit meinem Vater, und nun will er mich zu Tante Jessica nach Christchurch schicken, damit ich diese dumme Liebesgeschichte vergesse, wie er sich ausgedrückt hat.«
»Du hast natürlich gesagt, daß du nicht zu deiner Tante gehen wirst?«
»Sicher, aber was hilft mir das? Vater hat schon an Tante Jessica geschrieben. In ein oder zwei Wochen soll ich abreisen.«
»Sei nicht so dumm! Sie können dich nicht zwingen, es sei denn, sie schleifen dich mit Gewalt ins Flugzeug. Sag einfach nein und bleib dabei!«
»Du hast leicht reden. Du bist nicht so autoritär erzogen worden.«
»Allerdings nicht. Wir leben ja nicht mehr im Mittelalter.«
»Was soll ich nur tun?«
Wie als Antwort auf diese verzweifelte Frage sprang Craig über den Gartenzaun und nahm Beth in die Arme. »Ich habe schon in Eldado gehört, was los ist. Du gehst natürlich nicht nach Christchurch. Du bleibst hier und heiratest mich und sagst deiner Familie, sie soll zum Teufel gehen.«
»Ein vernünftiger Vorschlag«, meinte Jo.
»O Craig, ich liebe dich!« stieß Beth hervor. »Aber wie sollen wir das schaffen? Und wo sollen wir leben? Du hast gesagt, daß das Haus frühestens in sechs Monaten fertig ist.«
»Ich werde mich mit der Arbeit beeilen, und inzwischen könntest du ja in der Hütte wohnen. Sie ist in Ordnung, weil Dad immer sagt, die Quartiere der Arbeiter müssen genauso komfortabel sein wie das Haus des Chefs. Die Hütte ist natürlich ein bißchen klein, und sie ist schon seit drei Monaten nicht mehr bewohnt worden.«
»Das macht nichts«, meinte Jo. »Ein verliebtes Paar braucht nicht viel Platz, und den übrigen Problemen kann man mit dem Staubsauger zu Leibe rücken.«
»Mir ist es völlig egal, wie es in der Hütte aussieht«, sagte Beth. »Wir würden sie miteinander herrichten, das wäre himmlisch. Aber wie können wir denn heiraten? Vater wird niemals seine Einwilligung geben.«
»Die braucht ihr auch gar nicht«, erklärte Jo. »Ihr könnt allerdings nur auf dem Standesamt heiraten, weil der Pfarrer euch alle kennt, und es wäre nicht fair, ihn in die Sache hineinzuziehen. Hauptsache, ihr seid überhaupt verheiratet. Manche Leute hätten auch gar nichts dagegen, wenn ihr in wilder Ehe zusammen leben würdet. Aber ich bin ein bißchen altmodisch, und deshalb bin ich froh, daß ihr euch zur Trauung entschlossen habt.«
Die Ironie dieser Bemerkung war an Beth verschwendet, denn sie war viel zu aufgeregt, um darauf zu achten. Sie lag in Craigs Armen, und Christine, die gerade mit einem Rechen den Garten betrat, machte auf dem Absatz kehrt und ergriff die Flucht. »Da ist irgendwas im Gange«, sagte sie zu Adrian. »Sonst sind sie nicht so hemmungslos.«
»Um Gottes willen, halten wir uns da raus!« rief Adrian erschrocken und trat einen langen Spaziergang über die Felder an.
Er hätte sich nicht zu bemühen brauchen. Die drei waren entschlossen, niemanden einzuweihen. »Es wäre nicht fair, deine Leute hineinzuziehen«, sagte Craig zu Jo. »Es ist mir zwar unangenehm, daß wir ihnen was verheimlichen, aber es ist richtig so, weil sie ja in diesem Distrikt leben.«
»Es ist viel besser, wenn Adrian nichts weiß. Er würde auf Zehenspitzen umherschleichen und verstohlene Blicke um sich werfen, und die Leute würden sich Gedanken machen. Mutter könnte es natürlich besser verbergen, aber es würde ihr schwerfallen, weil sie noch sechs Monate auf >Gipfelkreuz< ausharren muß. Also wissen nur wir drei Bescheid. So, und nun wollen wir Pläne machen.«
Die Pläne waren drastisch, aber vernünftig. Beth mußte zum Schein ihre Reise nach Christchurch vorbereiten. Ihre Eltern sollten einen Flug buchen. Sobald Craig die Heiratslizenz hatte, würde sie nach »Gipfelkreuz« reiten, um Jo zu besuchen.
Plötzlich schrie Beth gequält auf. »Aber mein Kleid! Ich kann doch nicht in Reithosen heiraten!«
»Du kannst auch in einem Bikini heiraten, obwohl das dem Standesbeamten vermutlich nicht recht sein würde«, sagte Jo. »Du könntest ja alle Sachen, die du für die Flitterwochen brauchst, nach und nach in den Laden der Beltons bringen, und ich leihe dir dann einen Koffer.«
»Aber alle meine anderen Sachen! Meine Eltern werden sie nicht rausrücken.«
»Unsinn! Sie können sie nicht behalten. Außerdem werden sie nicht so stur sein. Wenn du erst einmal verheiratet bist, werden sie sicher klein beigeben. Ich werde deine Sachen schon holen.«
»O Jo, wie tapfer du bist! Sie werden auch auf dich wütend sein, weil du mir geholfen hast, sie zu hintergehen.«
»Und darauf bin ich auch stolz. Es wird schon noch alles gut werden, Beth. Sobald du in einem hübschen Haus wohnst und >etabliert< bist, wie sie es nennen, werden sie sich mit dir aussöhnen.«
Sie besprachen ihren Plan gründlich, und dann sagte Beth: »Nur noch einen einzigen Menschen möchte ich einweihen, und er soll auch bei der Hochzeit dabeisein — Lester.«
»Seine Lordschaft?« rief Jo entsetzt. »Bist du verrückt? Er würde sofort deinem Vater Bescheid sagen.«
»Da schätzt du ihn aber völlig falsch ein. Er ist sehr nett, und ich liebe ihn wie einen Bruder. Er soll dabeisein, wenn ich heirate.«
Craig beschloß sich einzuschalten. »Ich kenne Lester, Liebling. Du hast recht, und Jo irrt sich. Aber es wäre trotzdem besser, niemanden einzuweihen — nicht einmal Lester.«
»Das finde ich auch«, sagte Jo. »Lester hat ein ausgeprägtes Ehrgefühl, und solche Leute sind gefährlich. Aber ich werde natürlich dabeisein. Wir fahren zusammen in Kusine Jane nach Avesville. Oh, sie wird so stolz sein. Stellt euch vor, eine Braut fährt in Kusine Jane vor dem Standesamt vor! Natürlich können wir sie nicht mit weißen Bändern schmücken. Das würde deplaciert wirken.«
»Und die Trauzeugen?« fragte Craig. »Außer dir brauchen wir noch einen, Jo.«
»Wir nehmen eben einfach einen Beamten oder einen Mann von der Straße.«
»Aber wenn Lester dabei wäre, könnte er doch der zweite Trauzeuge sein«, sagte Beth. »Darf ich es ihm wirklich nicht erzählen?«
»Sag es ihm nur, wenn du alles verderben willst«, erwiderte Jo.
Beth gab sich seufzend geschlagen.
Und so setzten sie ihren Plan in die Tat um, begannen Beths Sachen nach »Gipfelkreuz« zu schmuggeln. Sie hinterlegte jeden Tag ein Päckchen für Jo im Laden, einmal einen weißen Wollrock, den sie noch nie getragen hatte, am nächsten Tag den passenden Mantel, und Jo holte die Sachen und versteckte sie in ihrem Zimmer. Beth kam während dieser Zeit nur einmal nach »Gipfelkreuz«, weil es nicht so einfach war, den wachsamen Augen ihres Vaters zu entrinnen. Mit boshafter Freude betrachtete sie das weiße Ensemble. »Das haben Mutter und ich erst vor ein paar Tagen gekauft. Wenn sie wüßte, daß ich darin heiraten werde...«
»Das hast du gut gemacht. Bist du sicher, daß sie noch immer keine Ahnung haben?«
»Ganz sicher. Sie sind überzeugt, daß ich bald in Tante Jessicas Obhut sein werde, und die hält wahrscheinlich schon nach einem passenden Bräutigam für mich Ausschau.« Und Beth lachte so übermütig, wie sie es noch vor sechs Monaten nicht gewagt hätte. Jo hatte wirklich eine Rebellin aus ihr gemacht.
Als Beths Abflug nach Christchurch kurz bevorstand, verkündete Craig, daß nun alles bereit sei. Jo hatte erklärt, daß sie und Beth in Kusine Jane nach Avesville fahren würden, trotz der Proteste Craigs. »Kusine Jane ist das einzig richtige Auto für diese Straße. Du müßtest an deinem Ketten anbringen, und stell dir doch einmal einen Hochzeitswagen mit Ketten vor. Das ist irgendwie unheimlich.«
»Aber du könntest zur Straßenecke fahren, und ich hole euch dort ab. Dann bringen wir dich zu Kusine Jane zurück, bevor wir die Hochzeitsreise antreten.«
Bei diesen Worten begannen Beths Augen zu strahlen. Wie hübsch sie ist, dachte Jo. Die Rebellion hat ihr gutgetan, und ich habe gute Arbeit geleistet.
Craig hatte seinen Eltern gesagt, er wolle zehn Tage Urlaub machen, bevor die anstrengenden Wochen begännen, wenn die jungen Lämmer auf die Welt kämen. Sie hatten zugestimmt, wenn auch etwas erstaunt. »Sie werden alles verstehen, wenn sie den Brief finden, den ich in meinem Zimmer hinterlegen werde«, sagte er und versuchte damit sein Gewissen zu beruhigen. Denn es fiel ihm schwer, seine Eltern zu hintergehen, die er sehr liebte. Beth hingegen stand so sehr unter Jos Einfluß, daß sie nichts empfand außer Triumph, gemischt mit der Sorge, ob auch alles klappen werde.
»Vergiß nicht, dich ganz normal zu benehmen«, schärfte Jo ihr ein. »Setz dich einfach aufs Pferd und sag, du willst nur ein wenig ausreiten. Kusine Jane wird bereitstehen.«
»Und deine Eltern? Werden Sie sich nicht über die Pakete wundern? Werden sie dich nicht fragen, warum du nach Avesville fährst?«
»Sicher werden sie sich wundern, aber sie werden keine Fragen stellen. Christine hat Robert und mir immer das Recht zugestanden, Geheimnisse zu haben. Und weil sie mich nie was gefragt hat, habe ich ihr meistens alles erzählt. Adrian kümmert sich genausowenig um mein Privatleben. Es würde ihn nur in Verlegenheit bringen, wenn ich plötzlich anfinge, ihm Geständnisse zu machen.«
Beth sah ein wenig verwirrt drein. Manchmal war es wirklich schwer, Jo zu verstehen.
»Sie ist so anders als wir«, sagte sie zu Lester, als er sie am Abend vor ihrer Hochzeit besuchte und sie nur mühsam das Bedürfnis unterdrückte, sich ihm anzuvertrauen. »Und ihre Eltern sind anders als meine. Sie hat viel mehr Freiheit.«
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Würdest du dir Eltern wie die Medways wünschen?«
»Ich weiß nicht... Wenn sie mir vertrauen würden — da würde es mir viel schwerer fallen, ihnen etwas zu verheimlichen...« Erschrocken brach sie ab, und seine Augen verengten sich.
»Hör mal, Mädchen, was hat dir diese Jo Medway eingeredet? Ich mache mir schon seit einiger Zeit Gedanken. Diese plötzliche Fügsamkeit, diese Bereitschaft, nach Christchurch zu gehen, wenn dich noch vor vierzehn Tagen keine zehn Pferde dazu bringen konnten? Komm, sei lieb und sag es Onkel Lester.«
Und so erlitt Jo Medway am Mittwochmorgen einen schweren Schock. Sie hatte ihren Eltern gesagt, sie würde mit Beth einen Ausflug machen, und stand nun wartend vor der Haustür. In ihrem Schlafzimmer hing Beths Kleid bereit, damit sie sich rasch umziehen konnte. Plötzlich fuhr ein fremder Wagen in den Hof, und am Steuer saß Lester Severne. Beth hockte mit gesenktem Kopf neben ihm.
»Verdammt«, sagte Jo, »nun hat er also doch gewonnen.« Wortlos verschwand Beth im Haus und in Jos Schlafzimmer, und Lester ging auf Jo zu.
»Irrtum, Sie haben gewonnen. Warum runzeln Sie denn die Stirn? Sie sehen übrigens sehr hübsch aus, wenn Sie wütend sind.«
Jo suchte verzweifelt nach Worten. Wußte er es, oder wußte er es nicht? Wenn nicht, durfte sie nichts verraten. Wenn ja — was tat er dann hier? »Ich — ich weiß nicht, was Sie meinen«, stammelte sie schließlich.
»Natürlich wissen Sie es. Sie brauchen mich nicht anzulügen. Beth hat mir gesagt, daß sie heute heiraten wird. Los, setzen Sie sich in den Fond meines Wagens. Die Braut muß natürlich vom sitzen. Und auf Kusine Jane können wir verzichten.«
Sie zögerte noch immer, war sichtlich verwirrt, und er sagte ungeduldig: »Los, beeilen Sie sich, oder wollen wir den armen Craig warten lassen, mit der Heiratslizenz in der schweißnassen Hand?«
Er machte sich tatsächlich lustig über sie, und Jo wußte nicht recht, ob sie erstaunt oder zornig sein sollte. »Soll das heißen, daß Sie mitkommen und die Hochzeit miterleben wollen?«
»Aber sicher. Zumindest ein Familienmitglied sollte doch wohl dabeisein.«
Jo lächelte widerwillig. »Sie haben also nichts dagegen?«
»Doch, und ich habe auch alles versucht, um Beth davon abzuhalten.«
Jos Lächeln erstarb. »Sie stehen also auf der Seite dieser dummen Snobs, die Beth und Craig auseinanderbringen wollen, weil er ihr nicht ebenbürtig ist?«
»Unsinn! Ich will, daß Beth den Mann heiratet, den sie liebt, und ich bin froh, daß sie sich Craig ausgesucht hat, weil er ein prima Kerl ist. Aber es gefällt mir nicht, daß das Ganze so klammheimlich über die Bühne gehen soll.«
»Es geht nicht anders. Ihre Familie würde niemals einwilligen.«
»Ich hätte ihr geholfen. Ich hätte mit ihrem Vater gesprochen.«
Jo sah überrascht zu ihm auf. Das war ein anderer Lester als der arrogante Bursche, für den sie ihn bisher gehalten hatte. »Sie hätten wirklich Beths Partei ergriffen und sich gegen diese schrecklichen Snobs gestellt?«
»Natürlich, und diese schrecklichen Snobs sind zufällig meine Verwandten. Nicht daß ich sie anders einschätze als Sie... Sie sind wirklich Snobs, und das muß man ihnen abgewöhnen. Wenn ich ein bißchen Zeit hätte, würde mir das auch gelingen.«
»Das würden Sie nie schaffen. Im Gegenteil, mit der Zeit werden Sie sich sogar in das Gesellschaftsgefüge von Rangimarie einordnen.«
»Wenn Sie meinen... Ah, da kommt die Braut. Wir müssen unsere Diskussion auf den Heimweg verschieben. Die Braut sieht verändert aus — und sehr verängstigt.«
»Jo, ich mußte es ihm sagen«, begann Beth, »ich konnte nicht anders...«
»Schon gut«, fiel ihr Jo ins Wort. »Nun hast du wenigstens einen Verwandten dabei. Übrigens, ich habe versucht, unsere Pläne vor meiner Familie zu verheimlichen, aber ich glaube, sie ahnen was.«
Und damit hatte sie recht. Christine hatte einen kurzen Blick aus dem Fenster geworfen und sagte dann zu Adrian: »Lester ist da, und Jo streitet mit ihm. Beth ist in seinem Wagen gekommen, nicht auf ihrem Pferd, und jetzt ist sie in Jos Zimmer verschwunden. Nein, schau nicht hinaus! Je weniger wir wissen, desto besser. Ich schlage vor, wir verlassen das Haus durch die Hintertür und machen einen schönen langen Spaziergang.«
»Aber damit drücken wir uns doch vor der Verantwortung.«
»Natürlich, und das ist auch gut so. Sie sind erwachsen. Wenn sie gewollt hätten, daß wir Bescheid wissen, hätten sie uns eingeweiht. Ich persönlich brauche jetzt frische Luft. Gehen wir durch die Küchentür hinaus, dann werden wir Beth nicht in dem weißen Kleid begegnen, das ich auf Jos Bett liegen sah.«
Und so schlüpften sie durch die Küchentür hinaus, und Adrian meinte seufzend, heutzutage hätten Eltern wohl überhaupt nichts mehr zu sagen.
»Doch«, meinte Christine. »Wenn sie sich nicht aufdrängen, werden die Kinderchen immer wieder zu ihnen kommen. Die Eltern müssen nur wissen, wo ihr Platz ist, und unser Platz ist im Moment ganz gewiß nicht hier im Haus.«
Lester und Jo hatten vorerst keine Zeit, ihren Streit fortzusetzen, denn nachdem sie die Hauptstraße erreicht hatten, mußten sie die Ketten abnehmen, Jo erwies sich als tüchtige Assistentin, und als Beth den beiden helfen wollte, sagte ihre Freundin: »Unsinn! Bräute nehmen Ketten nicht ab, sie legen sie an.«
Die Braut legte ihre schmale, kleine Hand auf Lesters Arm, als er wieder am Lenkrad saß. »Ich bin so froh, daß du dabei bist. Wenigstens einer von der Familie... Natürlich hat sich Jo großartig um mich gekümmert. Ohne sie hätte ich das alles nicht geschafft.«
»Das kann ich mir denken«, sagte Lester. »Wann habt ihr denn das Ganze geplant? Und wie habt ihr es geschafft, deine Sachen zu den Medways zu schmuggeln?«
Es war Jo, die seine Fragen beantwortete. »Es fing alles an, als Mr. Holden beschloß, Beth zu ihrer Tante zu schicken. Und dann brachte sie so nach und nach ihre Garderobe in kleinen Paketen in den Laden. Ich habe Bruce gesagt, ich würde die Kleider für Beth in die Reinigung bringen, aber das hat er mir wahrscheinlich nicht geglaubt.«
»Bestimmt nicht. Ich nehme an, das ist die neue Ausstattung für Christchurch?«
»Ja. Es sind so hübsche Sachen, und es wäre doch schade, wenn Beth sie auf ihrer Hochzeitsreise nicht tragen könnte. Übrigens, Beth, du brauchst ein bißchen mehr Make-up. Ich habe dir ein bißchen was von meinen Kosmetiksachen eingepackt, um dir eine glänzende Nase zu ersparen, aber das sind nicht ganz deine Farben. Du mußt dir also in der nächsten größeren Stadt was kaufen. Ich habe eine Liste von den Sachen gemacht, die du brauchst.«
»O Jo, du denkst wirklich an alles. Ohne dich hätte ich nicht durchgehalten — und ohne Lester auch nicht. Heute morgen war ich schon drauf und dran, meinen Eltern alles zu sagen, aber da erklärte Lester, er würde mit mir eine Spazierfahrt machen und er wüßte noch nicht, wann wir zurückkämen. Damit gaben sie sich zufrieden. Ich kam mir schrecklich schäbig vor, und im letzten Augenblick wäre ich beinahe zusammengebrochen und hätte es Mutter doch noch erzählt. Aber da sagte Vater: >Ja, nimm sie mit. Wenn sie in deiner Obhut ist, kann sie wenigstens keine Dummheiten machen.< Da wurde ich so wütend, daß ich doch den Mund hielt.«
»Und was ist mit dem armen Vetter Lester, der deine Eltern ja schließlich auch hintergeht?« fragte er.
»Er muß sich miserabel fühlen«, sagte Jo, »und deshalb ist seine selbstlose Tat um so höher einzuschätzen.«
»Glauben Sie ja nicht, daß Sie meinen Segen haben! Ich bin nicht so skrupellos wie Sie. Ich komme mit, weil Beth meine Kusine ist und ich sie in dieser bedeutsamen Stunde nicht im Stich lassen will.«
»Der Protest wird zur Kenntnis genommen«, erwiderte Jo. »Und wenn Sie nach Rangimarie zurückfahren und Beths Eltern und der alten Dame erzählen, daß Sie bei Beths Hochzeit waren, wird es Ihnen sicher helfen, daß Sie nur unter Protest als Trauzeuge fungiert haben.«
»Sie machen mir richtig Angst«, sagte Lester mit entnervendem Grinsen. »Und wenn Sie jetzt nicht den Mund halten, lenke ich den Wagen über diese Böschung, und dann wird doch nichts aus der Hochzeit.«
»An Ihrer Stelle wäre mir ein kleiner Unfall noch lieber als der Zorn der Familie Holden.« Doch dann fügte sie mit ernster Stimme hinzu: »Trotz allem — es war sehr nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind.«
»Ersparen Sie mir eine Dankesrede! Ich kam, weil ich kommen mußte. Wenn man den Feind nicht besiegen kann, muß man sich auf seine Seite schlagen — und so weiter. Und jetzt wollen wir endlich still sein und uns innerlich auf den feierlichen Augenblick vorbereiten.«
Jo lachte und dachte, daß sie Lester wirklich falsch beurteilt hatte.
Sie fuhren rasch dahin, und die Braut wurde immer nervöser, was sich in gelegentlichen tiefen Seufzern äußerte. Lester legte immer wieder beruhigend eine Hand auf ihren Arm, und einmal sagte er: »Kopf hoch, Kleines! Deine Eltern werden schon zur Vernunft kommen. Spätestens in drei Monaten werden sie herausgefunden haben, was für ein großartiger Bursche Craig ist, und froh sein, daß du ihn geheiratet hast.«
»Aber bis es erst einmal soweit ist, Lester... Und diese schreckliche Lage, in die ich dich gebracht habe...«
»So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Die Leute in Rangimarie haben alle großes Mitleid mit mir, weil meine Eltern in die Stadt ziehen und ich ganz allein in dem großen Haus leben und die Farm bewirtschaften muß, also werden sie nicht allzu hart mit mir ins Gericht gehen. Natürlich wird es zuerst einigen Wirbel geben, aber damit werde ich schon fertig, und ich werde auch deine Sachen aus dem Haus holen.«
»Nein, das mache ich«, mischte sich Jo ein. »Ich habe Beth versprochen, ihre Sachen zu holen, und ich will den Holdens auch sagen, daß meine Familie nichts mit der ganzen Sache zu tun hatte. Ich werde mein Geständnis machen, aber nicht um Gnade flehen.«
Lester riet ihr, erst ein paar Tage verstreichen zu lassen, damit sich die Familie von dem Schock erholen konnte. Jo lachte. »Mir ist es egal, was sie denken oder sagen. Werden sie mir die Tür vor der Nase zuschlagen oder mich in eisigem Schweigen empfangen?«
»Weder noch. Seien Sie nicht so dramatisch! Natürlich werden sie wütend sein, und das haben Sie auch verdient.«