EPILOG
Staunend und glücklich betrachtete Camilla das Bündel in ihren Armen. War dieses winzige, vollkommene Wesen mit dem schwarzen Haarflaum tatsächlich ihr und Gregs Sohn? War aus ihrer Liebe wirklich ein neuer Mensch entstanden?
Sie blickte sich in dem blumengeschmückten Zimmer um, in dem sie saß, und sah dann zu dem Mann an ihrer Seite auf, reichte ihm das Baby. “Willst du ihn mal halten?”
Stolz nahm Greg seinen Sohn auf den Arm. Seine Bewegungen waren so sanft und sicher, als sei er sein Leben lang mit Babys umgegangen. Camilla beobachtete ihn liebevoll. Wie hatte sie nur je daran zweifeln können, dass ihre Zukunft bei Greg lag?
Viel war geschehen seit dem Motorradrennen vor etwas über einem Jahr, doch ebenso wie ihre Hochzeit und die Geburt ihres Sohnes würde Camilla jenen Tag nie vergessen.
Greg hatte sie mit sich fortgezogen, sobald die Siegerehrung vorbei war. “Warum bist du zurückgekommen?”
“Deinetwegen. Ich werde Eric nicht heiraten.”
Die Erleichterung war ihm deutlich anzusehen gewesen, doch er hatte sofort eine Erklärung verlangt. “Warum nicht? Was ist geschehen? Warum bist du hier?”
“Ich hatte eine Aussprache mit Eric. Oder – besser gesagt – er hatte eine Aussprache mit mir. Er hat mich davon überzeugt, dass er und ich nicht zusammenpassen.”
Zu ihrer Überraschung zeigte Greg keine Genugtuung. Er verzichtete auch auf die Worte: “Ich hab’s dir ja gesagt”, sondern meinte nur: “Bravo, Eric. Ich habe ihn von Anfang an für einen vernünftigen Burschen gehalten.”
Camilla boxte ihn spielerisch in die Rippen. “Nach allem, was du an Eric auszusetzen hattest, behauptest du nun so etwas? Du hattest doch nie ein nettes Wort für ihn übrig!”
Greg nahm sie in die Arme. “Was ich über Eric gesagt habe, Darling, war nicht abfällig gemeint. Ich habe große Achtung vor Männern wie ihm. Sie sind anständig, ehrlich und geradlinig.” Er zog sie fester an sich. “Trotzdem war ich von Anfang an ganz sicher, dass er nicht der richtige Mann für dich ist. Du, meine Liebe”, erklärte er schmunzelnd und gab ihr einen Kuss auf die Nase, “brauchst einen ungezähmten Wilden wie mich.”
Camilla lachte. Selten hatte sie eine wahrere Feststellung gehört!
“Wenn es manchmal so aussah, als ließe ich kein gutes Haar an Eric”, fuhr Greg fort und schmiegte die Wange an ihr Haar, “dann geschah das einzig und allein, weil ich eine Möglichkeit finden musste, dir klarzumachen, dass die Ehe mit ihm ein schrecklicher Fehler gewesen wäre.” Camilla erschauerte, als er sie auf die Schläfe küsste. “Drastische Situationen erfordern drastische Maßnahmen.”
Er schob Camilla ein Stück weg, bis er ihr in die Augen sehen konnte. “Bis jetzt habe ich erst die eine Hälfte deiner Antwort erhalten. Du hast mir gesagt, weshalb du Eric nicht heiraten wirst, aber ich warte immer noch auf eine Erklärung, weshalb du zu mir zurückgekommen bist.”
Wie sollte sie das erklären? Camilla errötete und senkte die Lider, brachte es nicht fertig, ihm ihr Herz zu öffnen und das Wort “Liebe”, in den Mund zu nehmen, denn ihr wurde erst jetzt wieder schmerzlich bewusst, dass ihre Gefühle einseitig waren.
Das war dir doch klar, ermahnte sie sich. Und du hast es akzeptiert. Entschlossen hob sie den Kopf.
“Ich bin hier”, antwortete sie, “weil vom ersten Augenblick an etwas in mir, das ich nicht länger ignorieren kann oder will, mich mit aller Macht zu dir zieht.” Das ist schließlich keine Lüge, sagte sie sich.
Greg küsste sie. “Oh Camilla. Dann spürst du es also auch?”
“Auch?” Sie runzelte die Stirn. “Weshalb hast du mich gebeten zu bleiben?”
Das Herz schien ihr stillzustehen, während er ihr das Haar zurückstrich und ihr in die Augen sah. Ach, er dachte ja nur an Sex! Am liebsten hätte sie die Frage zurückgenommen. Wäre es nicht klüger gewesen, die Wahrheit zu verdrängen und einfach so zu tun, als ob? Doch dafür war es jetzt zu spät.
“Erinnerst du dich, dass ich dir auf der Überfahrt nach Mhoire gesagt habe, ich sei ein unheilbarer Romantiker?”, meinte Greg.
Camilla nickte bedrückt und wappnete sich für das, was jetzt kommen würde. “Ich habe es nicht vergessen.”
Greg legte beide Hände um Camillas Gesicht und hob es an, schien vermeiden zu wollen, missverstanden zu werden.
“Ich habe dir erklärt, dass ich an die große Liebe glaube und nicht bereit bin, mich mit weniger zufriedenzugeben.”
“Ja, auch das weiß ich noch”, bestätigte sie.
“Außerdem habe ich dir gesagt …” Er stockte.
Sie schluckte. Jetzt kam der Teil, vor dem sie sich schrecklich fürchtete.
“Außerdem habe ich dir gesagt”, wiederholte er eindringlich, “dass ich die Frau erkennen würde, die für mich bestimmt ist, wenn ich ihr in die Augen sehe.”
Camilla war verwirrt. Das hatte sie nicht erwartet.
“Also …” Greg holte tief Luft. “Als ich davon sprach, habe ich absichtlich nicht erwähnt, dass ich bereits wusste, wer sie ist … und dass ich ihr genau in jenem Moment gegenüberstand.”
Camilla sah ihn lächeln, aber sie verstand überhaupt nichts mehr. Was meinte er mit dieser rätselhaften Bemerkung?
“Ich versuche, dir zu sagen, dass ich mich bereits für dich entschieden hatte, Darling. Dass du die Richtige bist, habe ich vom ersten Augenblick an vermutet, und diese Vermutung wurde zur Gewissheit, als ich dich im Nebel neben dem angefahrenen Reh fand. Da blickte ich nämlich zum ersten Mal hinter die Maske der Tapferkeit und Sprödheit und erkannte, dass ich mich in dich verliebt hatte. Von dem Abend an stand mein Entschluss fest, dich zu meiner Frau zu machen.”
Camilla hatte plötzlich das Gefühl, es drehe sich alles um sie.
“Ich dachte, du wolltest nur eine Affäre”, hörte sie sich flüstern.
“Eine Affäre!” Er umklammerte ihren Arm so fest, dass es schmerzte. “Willst du das etwa?”
“Nein, natürlich nicht”, wehrte sie erschrocken ab. “Darum bin ich ja abgereist. Aber ich konnte nicht wegbleiben.” Sie biss sich auf die Unterlippe. “Ich bin zurückgekommen, um …” Sie verstummte verlegen.
“Camilla, Camilla, was habe ich dir angetan? Hast du wirklich geglaubt, ich wolle nur ein Abenteuer mit dir?” Schmerz spiegelte sich in seinen Augen wider, ungestüm presste er Camilla an sich. “Als ich dir auf Mhoire sagte, ich wünschte mir, morgens, mittags und abends mit dir zu schlafen, habe ich dich nicht einen Moment als Mätresse gesehen, sondern als meine Frau.”
Kummer und Angst waren wie weggeblasen. Camilla seufzte glücklich, während er ihren Kopf an seine Schulter drückte.
“Verzeih mir, Darling, dass ich mich so zweideutig ausgedrückt habe”, fuhr Greg fort. “Es ist nur … an jenem Tag fühlte ich mich dir so nah, dass ich dachte, Erklärungen wären überflüssig. Ich glaubte, wir würden einander auch ohne große Worte verstehen.”
So hatte auch sie empfunden, doch ihre alte Unsicherheit war stärker gewesen und hatte einen Schatten auf den Zauber geworfen, der sie und Greg aneinander band.
“Ich habe mich noch nie jemandem so nahe gefühlt”, gestand sie und schaute zu ihm auf.
Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, streichelte Camilla. “Meine Liebste. Von jetzt an bis ans Ende unseres Lebens soll es nie wieder ein Missverständnis zwischen uns geben.” Sie erwiderte die Zärtlichkeiten, und er lächelte. “Da habe ich inzwischen geglaubt, unsere Fahrt nach Mhoire sei reine Zeitverschwendung gewesen – und nun das!”
Sie machte ein verständnisloses Gesicht. “Aber wir haben den Schmuck doch gefunden. Deshalb sind wir schließlich auch hingefahren.”
“Nicht ich, mein Schatz. Ich habe nicht einen Moment lang geglaubt, der Goldnebel befände sich auf Mhoire – bis ich glücklicherweise eines Besseren belehrt wurde. Nein, Camilla, ich bin mit dir nach Mhoire gefahren, weil ich dich eine Weile für mich allein haben wollte. Außerdem war ich entschlossen, alles daranzusetzen, dich von einer Heirat mit Eric abzubringen.”
“Du heimtückischer Kerl!”, schimpfte sie lachend und gab ihm einen Stoß. Doch insgeheim segnete sie Gregs Heimtücke, denn während der Tage auf Mhoire war ihre Liebe zu ihm richtig aufgeblüht.
Greg war ernst geblieben. Er schüttelte sie sanft. “Es mag dir entfallen sein, junge Lady, aber ich warte immer noch auf deine Antwort. Ich habe dir nämlich eben unmissverständlich einen Heiratsantrag gemacht, und im Gegensatz zu deinem anderen Verehrer denke ich nicht daran, geduldig zu warten, bis du dich entschieden hast. Also?”
Sie blickte zu ihm auf und empfand nicht die geringste Spur eines Zweifels.
“Ja, ich möchte deine Frau werden”, sagte sie. “Ich will dich mein ganzes Leben lang lieben und für dich sorgen.”
“Ich liebe dich.” Er sah ihr in die Augen. “Und ich werde dich glücklich machen, Camilla”, versprach er. “Ich weiß, dass ich das kann.”
Auch Camilla hatte es gewusst. Und im Laufe der vergangenen zwölf Monate hatte Greg es immer wieder bewiesen. Sie hatte nie zuvor geahnt, dass man auf so viele verschiedene Arten glücklich sein kann.
An Gregs fünfunddreißigstem Geburtstag hatten sie geheiratet. Zwei Monate später hatte sie festgestellt, dass sie ein Kind erwartete. Es füllte sie dann ganz aus, Mutter und Ehefrau zu sein. Doch das größte Glück empfand sie, wenn Greg sie nachts umarmte. In der manchmal sinnlich-trägen, manchmal leidenschaftlichen Vereinigung ihrer Körper schien sich die Liebe und Freude ihrer Beziehung am deutlichsten auszudrücken.
Vor mir liegt ein ganzes Leben solchen Glücks, dachte sie staunend – viel mehr, als ich je zu hoffen gewagt habe.
Die Tür wurde geöffnet, und Maggie trat ein. Sie ging auf Greg zu und nahm ihm das Baby ab. “Ich nehme ihn eine Weile mit, damit Sie sich ein bisschen erholen können.”
Camilla lächelte. “Wenn Sie wollen, baden Sie ihn. Ich komme bald nach, um ihn zu füttern.” Sie sah der Haushälterin nach, die mit dem Baby den Raum verließ. Es war gerade eine Woche alt, und schon hatte Maggie sich zu seiner Beschützerin ernannt, ebenso wie sie es einst bei Greg getan hatte.
Greg legte Camilla den Arm um die Schultern, während sie gemeinsam die Glückwunschkarten auf dem Kaminsims betrachteten. Geschrieben hatten unter anderem Anni und Sue von “Focus”, denen Camilla ihren Anteil verkauft hatte. Ganz besonders freute sie sich jedoch über eine Karte von Eric.
Camilla lehnte sich an ihren Mann. Sie hatte Eric viel zu verdanken, und sie war froh, dass er und Greg gute Freunde geworden waren.
Greg gab ihr einen Kuss. “Ich habe eine Überraschung für dich.” Er stand auf und ging zu einem Sekretär am Fenster. Ehe er die Klappe öffnete, zwinkerte er Camilla über die Schulter zu.
Camillas Herz setzte einen Schlag aus, als er eine geschnitzte Schatulle mit silbernem Schloss hervorzog.
“Keine Angst”, sagte er, denn ihre Reaktion war ihm nicht entgangen. “Es ist nicht der Goldnebel. Der ist sicher verwahrt auf Mhoire, wohin er gehört.”
Camilla atmete erleichtert auf. An dem Tag, an dem der Arzt ihr und Greg bestätigte, dass ein Baby unterwegs war, hatte er beschlossen, den Schmuck auf die Insel zurückzubringen.
“Eines Tages wird unser Sohn Erbe von Crannach sein”, hatte er erklärt, “und obwohl ich um mich selbst nie Angst hatte, will ich ihn auf keinen Fall gefährden. Außerdem …” Er hatte sie an sich gezogen. “Ich weiß, dass du ruhiger bist, wenn der Schmuck auf Mhoire verwahrt wird.”
Camilla wusste, dass Letzteres der wahre Grund war, denn sie schloss noch immer nicht aus, dass es sich bei dem Fluch um mehr als eine Legende handelte. Zwar stand zweifelsfrei fest, dass der Traktorunfall auf einen Fehler im Zündsystem zurückzuführen war – ganz wie Greg von Anfang an behauptet hatte –, und Greg war bei bester Gesundheit fünfunddreißig Jahre alt geworden, obwohl der Goldnebel sich auf Schloss Crannach befand, dennoch …
Vielleicht ist das Ganze wirklich nur Hokuspokus, aber weiß man es genau? hatte sie sich abergläubisch gefragt. Um ihr die Sorge zu nehmen, hatte Greg den Schmuck selbst nach Mhoire gebracht, und das war nur eine der zahllosen Gesten, mit denen er Camilla im vergangenen Jahr seine Zuneigung bewiesen hatte. Trotz seiner oft unbeherrschten Art war er ein verantwortungsbewusster und liebevoller Mensch, solide und verlässlich wie ein Felsen, das hatte Camilla schnell erkannt.
Ihr Felsen. Darauf konnte sie zählen.
Nun wartete sie, während ihr Mann langsam den Schlüssel drehte und den Deckel der Schatulle hob. Gregs graue Augen begannen zu funkeln, als Camillas sich vor Erstaunen weiteten.
“Das ist eine Nachbildung!”, rief sie aufgeregt. “Du hast den Goldnebel nacharbeiten lassen!”
Auf einem Kissen aus nachtblauem Samt lagen Kopien des Schmucks, der einmal Königin Margaret gehört hatte.
Zuerst nahm Greg den mit Granat und Lapislazuli verzierten Armreif heraus und streifte ihn Camilla übers Handgelenk. Dann schob er ihr Haar zur Seite und legte ihr die Kette um.
“Komm und schau dich an”, bat er, nachdem er Camilla auch den Ring angesteckt hatte.
Greg führte sie zu dem großen goldgerahmten Spiegel, der an der seidenbespannten Wand hing, aber wie beim letzten Mal, als sie den Originalschmuck getragen hatte, sah sie nur Gregs Gesicht. Sie wandte sich zu ihm um und küsste ihn.
“Danke, mein Liebster. Danke für alles.”
Er zog sie in die Arme. “Du brauchst mir nicht zu danken. Mir genügt es, wenn du mich liebst.”
“Das tue ich – du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr!”
“Und ich liebe dich.” Er küsste sie. “Du bist die Liebe meines Lebens – mein unmöglicher Traum.”
Lange standen sie eng umschlungen da. Dann gingen sie Hand in Hand nach oben zu ihrem Sohn.
– ENDE –