52. KAPITEL
Paris stand kurz vor einem Feldzug der Zerstörung, als seine Frau neben seinem Bett erschien. Er hielt die Luft an und ließ sich wieder in die Kissen sinken. Herrlich glänzend fiel ihr das dunkle Haar über eine Schulter. Sie trug ein golddurchwirktes Abendkleid in Smaragdgrün, und Edelsteine funkelten in dem Stoff. Die schwarzen Flügel erhoben sich majestätisch über ihren Schultern.
Nie war sie schöner gewesen.
Ihm entwich ein Seufzer des Glücks, als sie sich auf ihn warf.
„Ich bin so froh, dass du wach bist!“ Ihr Federgewicht ruhte auf seinem Körper, und ihr Haar bildete einen Vorhang, der ihm das Gefühl gab, sie beide wären die einzigen Personen auf der ganzen Welt. Innerlich jubelte er. Sie gehörten zusammen.
„Stimmt es, dass du jetzt unser Boss bist?“
Sie schnaubte. „Wie geschickt du dich immer ausdrückst. Aber ja, ich bin quasi euer Boss. Ständig sind Titanen aus dem Nichts aufgetaucht, um mir ihren Respekt zu zollen, und zu guter Letzt musste ich mir mit einem königlichen Erlass etwas Privatsphäre verschaffen.“
Königin Sienna. Das gefiel ihm. „Ich schätze mal, das macht mich zu König Paris.“
Ihr entwich ein glockenhelles Lachen. „Ich wusste schon immer, dass du zu Großem bestimmt bist.“
„Natürlich werde ich meine Jungs rumkommandieren können.“
„Natürlich.“
Er grinste. Er war so verdammt glücklich, dass er hätte platzen können. „Ich wusste, dass du mich zurückholen würdest, Baby. Also, bin ich eine untote Seele?“
Mit einem liebevollen Lächeln auf den zarten Zügen hob sie den Kopf. „Nein, du bist sehr lebendig, und deinen Dämon hast du auch noch.“
Ja, er spürte, wie der Bastard aufwachte, sich reckte und streckte und nach Sienna verlangte, nur nach Sienna. Sex war nicht mehr auf wahlloses Rammeln aus. Der Dämon hatte Sienna und all die verschiedenen Facetten ihrer Persönlichkeit voll und ganz angenommen und wollte sie nicht verlieren. Sie war sein Sechser im Lotto.
Während er sie mit einer Hand weiter berührte, tastete er sich mit der anderen kurz ab. Keine Verletzungen. Er war vollständig geheilt. „Was ist da oben passiert?“
Sie küsste ihn auf die Wange, auf den Hals. „Nachdem du in Ohnmacht gefallen warst und ich vollkommen ausgerastet bin, hat Zacharel mich wieder auf den Teppich geholt und mir meinen neuen Status und meine Fähigkeiten erläutert. Außerdem hat er mir eine Phiole mit dem Wasser des Lebens gegeben. Für eine Gegenleistung. Ich habe dir und allen anderen Herren einen Schluck gegeben, und ihr Jungs seid seitdem stetig gesünder geworden.“
„Was für eine Gegenleistung?“, wollte er wissen.
„Na ja, die Engel wollten mich die ganze Zeit im Himmel haben, um ihnen bei ihrem Krieg zu helfen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich bereit bin zu helfen, aber dass ich nicht dort leben werde. Ich werde bei dir bleiben. Wenn du mich willst. Aber ein paar Wochen müssen wir doch da oben bleiben, damit ich lernen kann, wie ich meine neuen Kräfte einsetzen muss. Da war ich gerade. Und ich rede schon wieder wirres Zeug, oder?“
„Ich liebe es, wenn du das tust. Aber haben gerade wirklich die Worte ‚Wenn du mich willst‘ deinen Mund verlassen?“ Er konnte nicht anders, er küsste sie hart und schnell und erneuerte so seinen Besitzanspruch. „Ich will dich, heute und an jedem anderen Tag. Und ich werde dir helfen, den Engeln zu helfen. Und ja, ich werde mit dir gehen, wohin auch immer du gehen musst.“
Ihr entwich ein Seufzer der Erleichterung. „Ich bin so froh. Oh, und nur falls es zur Sprache kommt, die Dunkelheit in deinem Inneren ist jetzt auch in mir.“
„Was?“ Perplex suchte er nach Worten und erbleichte. „Es tut mir leid, so furchtbar leid. Ich wollte nicht …“
„Mach dir keine Sorgen darüber … Ehemann.“
Alles in ihm erstarrte. Sein Herz, seine Lungen, die Synapsen in seinem Gehirn. „Du weißt, dass ich dich geheiratet habe?“
„Natürlich.“ Ein hintergründiges Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Ich weiß jetzt eine Menge Dinge. Weltbewegende Dinge zum Beispiel.“
„Weltbewegend am Arsch. Kommst du damit zurecht, auf ewig mit mir verbunden zu sein? Denn ich habe den Eindruck, dass es keine beidseitige Ehe ist, bis du das sagst.“
„Ich sage es, und ich komme damit mehr als zurecht.“
Er liebte diese Frau so unglaublich.
„Gut, denn ich empfinde dasselbe. Ehefrau.“
Ihr Lächeln geriet ins Zittern, als kämpfte sie mit den Tränen. Sie erzählte ihm von Arca, und statt in seine übliche Spirale der Scham und Schuldgefühle für seine Taten zu stürzen, küsste er sie sanft. Sie liebte ihn ebenfalls, und sie hatte ihm vergeben. Sie sah das Beste in ihm.
„Danke“, sagte er. „Von ganzem Herzen danke.“
„Gern geschehen. Jetzt noch mal zurück zu der Dunkelheit.“ Sie versuchte sich an einem geschäftsmäßigen Ton und versagte dabei völlig. Seine Frau war ein Softie, eine Waffel mit Cremefüllung, und er liebte auch das. „Zorn nährt sich davon, und das hilft mir, ihn ruhig zu halten. Und du weißt, was das bedeutet, oder? Wir sind auf jede Art perfekt füreinander.“
„Dem schließe ich mich so was von an. Wir sind eine Familie, du und ich, und ich liebe dich mehr, als ich je werde ausdrücken können.“
„Das ist gut, denn so sehr liebe ich dich.“
Er küsste sie flüchtig auf die Lippen. Irgendetwas darüber hinaus, und er würde sie verschlingen, bevor er alle Informationen hatte, die er brauchte. „Also, wo sind wir mittlerweile?“
Ein schelmisches Glitzern in ihren Augen. „Zurück im Reich der Blutigen Schatten. Alle Herren außer Kane sind hier. Amun und Haidee haben ihn gefunden, um ihn gekämpft, ihn dann aber irgendwie wieder verloren. Aber mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich jetzt um den Fall. Ich werde ihn ein für alle Mal finden. Und ich bin ein, äh, ziemlich dicker Fisch.“
Er grinste.
„Und jetzt zum nächsten Thema. Ich möchte dir etwas zeigen“, sagte sie und rollte sich auf die Seite, blieb jedoch in seiner Umarmung. Mit der Hand wischte sie durch die Luft über ihnen. Ein Lichtschimmer, die Luft verdichtete sich, und dann erblühten Farben darin.
Er sah Baden. Rotes Haar, muskulöser Körper.
Freude und Trauer erwachten in ihm.
Er sah Pandora. Schwarzes Haar, schlanker, gestählter Körper.
Schuld und Scham.
Er sah Cronus. Braunes Haar, muskulöser Körper. Selbstzufriedenheit.
Er sah Rhea. Schwarzes Haar, schlanker Körper. Befriedigung.
Ihre Münder bewegten sich, doch er konnte sie nicht hören. Sie standen zwischen den dicken weißen Säulen eines Tempels.
„Ich bin tot“, erklärte Sienna, „und doch lebe ich. Deshalb kann ich das tun, wozu selbst Cronus nicht in der Lage war, als er auf dem Thron saß. Ich kann dorthin reisen. Ich kann mit ihnen reden. Und ich glaube, ich kann sogar euren Baden zurückholen.“
Plötzlich brannten Tränen in seinen Augen. Und wieder erwies er sich als Weichei, aber was sollte es. Gerade wurde ein Traum für ihn wahr. „Das fände ich großartig. Danke.“
Auch ihre Augen wurden feucht, und sie räusperte sich. „Okay, willst du als Nächstes erst die gute oder erst die schlechte Nachricht?“
Es gab noch mehr? Ihm wurde die Brust eng. „Die schlechte. Gib mir die schlechte, egal, was es ist.“
„Mit Cronus’ Tod sind seine Feinde nun auch meine. Ich bin mir nicht ganz sicher, wer sie sind, deshalb bin ich mir nicht ganz sicher, wem ich vertrauen kann. Außerdem sind die Unaussprechlichen frei, und ich muss Galen vor ihnen beschützen.“
Erleichtert stieß er den Atem aus. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber das war es nicht gewesen. „Mit diesen Feinden beschäftigen wir uns, wenn es so weit ist. Was Galen angeht, werden wir das besprechen.“
Wieder küsste sie ihn auf die Wange. „Hervorragend, denn das ist die perfekte Überleitung zu meiner guten Nachricht.“
Er würde niemals genug von ihren Zärtlichkeiten kriegen und neigte den Kopf, damit sie ihn besser küssen konnte. „Was denn?“
„Na ja, das ist ein Zweiteiler. Zuerst: Die Jäger wurden so gut wie ausradiert. Und zweitens: Galen hat mir den Tarnumhang gegeben.“
„Moment, Moment, Moment. Stopp mal. Was?“
„Ihr seid augenblicklich frei von jeglichen Feinden.“
„Ich …“ Er fand keine Worte. Schock ergriff von ihm Besitz, dann Aufregung, dann Ungläubigkeit, dann wieder Schock. So lange hatte er gegen die Jäger gekämpft. Jahrhundertelang. Und jetzt fand er plötzlich heraus, dass er niemals wieder einem gegenübertreten müsste? Das war fast zu viel, um es zu begreifen.
Als er seine Stimme wiederfand, brachte er krächzend hervor: „Warum hat Galen dir sein einziges Artefakt überlassen?“
„Na ja, als Cronus und Rhea gestorben sind, wurden die Unaussprechlichen befreit, wie ich vorhin schon erzählt habe. Sie sind jetzt hinter ihm her. Ich habe ihm meinen Schutz im Gegenzug für den Mantel angeboten. Es war nicht leicht, aber ich habe ihn auf zwei schlappe Jahre heruntergehandelt.“
„Du hättest dir die Mühe sparen sollen. Erstens: Jeder hier will seinen Tod, um jeden Preis. Und zweitens: Jetzt, wo die Jäger fort sind, brauchen wir den Umhang gar nicht mehr. Wir werden ihn nicht benutzen müssen, um auf Feindesgebiet einzudringen.“
„Gern geschehen“, merkte sie an und hob das Kinn.
„Tut mir leid, tut mir leid. Ich bin dankbar, das schwöre ich dir. Das hab ich ganz falsch ausgedrückt. Ich hasse einfach nur den Gedanken, dass du in seiner Nähe warst – und ihn jetzt auch noch beschützen musst.“ Was bedeutete, dass auch Paris ihn beschützen musste.
Sie wurde weicher. „Und ihr braucht den Umhang trotzdem noch. Ihr könnt euch niemals sicher sein, dass sich nicht jemand anders gegen euch erhebt. Da ist es besser, ihr habt jede Waffe zu eurer Verfügung, als dass sie in Feindeshänden liegt.“
„So ein kluges Mädchen.“
Unser Mädchen.
Definitiv.
„Davon abgesehen können wir jetzt nach der Büchse der Pandora suchen“, erinnerte sie ihn strahlend.
Alle vier Artefakte, sinnierte er und spürte eine tiefe Ehrfurcht vor dieser Frau. Sie hatte recht. Sie brauchten die Artefakte nicht nur, um sie vor den Händen ihrer Feinde zu bewahren, sondern auch, um die Büchse der Pandora zu finden und zu zerstören, bevor jemand sie gegen sie verwenden konnte. Das Ziel, auf das sie so hart und seit so langer Zeit hingearbeitet hatten, war näher als je zuvor. „Aber lass uns nicht jetzt sofort auf die Suche gehen“, murmelte er und zupfte an ihrem Kleid.
„So ein kluger Junge.“ Sie begegnete seinem wartenden Mund mit dem ihren, leckte und küsste und saugte an ihm. „Wir suchen später. Viel später.“
Ja! Ich bin dabei!
In einem versteckten Winkel in Siennas Kopf stiegen die Gedanken eines Mannes auf. Was soll die Scheiße? Jetzt muss ich mich schon wieder entschuldigen.
Striders Stimme, erkannte sie. Und er war auf dem Weg zu ihrem Schlafzimmer.
Ich hab versucht, Paris zu überreden, dieses Mädchen abzuschießen, wie schon bei Amun, und beide haben dafür gelitten. Ganz zu schweigen davon, wie ihre Frauen sich gefühlt haben müssen. Das war’s für mich. Ich bin raus. Nie wieder mische ich mich bei meinen Jungs und ihren Frauen ein. Aber jetzt sind sowieso nur noch Kane und Torin übrig, und Torin ist ein Einsiedler, der zählt nicht. Und wenn Cameo jemals einen Typen mit nach Hause bringt, garantiere ich für nichts. Der Kerl muss sich erst mal als würdig erweisen, keine Diskussion. Und verdammt, ich bin schon fast da. Ich hoffe bloß, Kaia bedankt sich anständig für diese Aktion, schließlich hat sie darauf bestanden. Ich hasse Entschuldigungen, und Paris ist echt nachtragend. Er wird mich zwingen, ihn auf Knien um Vergebung anzuflehen, ich weiß es. Das wird verdammt peinlich. Und schmerzhaft!
Klopf, klopf.
„Geh weg“, rief Paris, die Hände auf Siennas Po gepresst. „Ich muss mit dir reden, Mann“, erwiderte Strider, seine Stimme gedämpft durch das Holz der Tür. „Und auch mit Ihrer Hoheit, von der ich mal annehme, dass sie mit dir da drin ist. Ich muss sie nicht wirklich Eure Hoheit nennen, oder?“
„Doch, das musst du. Wir unterhalten uns später.“
„Jetzt. Also, äh, ja. Es tut mir leid. Bis dann.“ Ja, das tat genauso weh, wie ich mir das vorgestellt habe, dachte Strider.
Seine Schritte verklangen.
„Was sollte das denn sein?“, fragte Paris.
Jetzt war Siennas Kopf von ihren eigenen Gedanken erfüllt. Ich werde nicht lachen. „Es ging um mich. Er hat sich dafür entschuldigt, wie er in Bezug auf mich mit dir umgesprungen ist. Eigentlich hat er sich sogar bei uns beiden entschuldigt.“
„Ich liebe dich, Baby“, sagte Paris.
Sie lächelte. „Ich dich auch.“
Als sie endlich beide nackt waren, versenkte er sich in sie. Er war zu Hause, endlich zu Hause. Und er spürte einen tiefen Frieden. Seine Frau war bei ihm, und sie würde ihn nicht verlassen. Sie würden zusammen sein.
Was auch immer kommen mochte, was auch geschehen mochte, sie würden zusammen sein, genau, wie er es sich von Anfang an gewünscht hatte.