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Tomasin Montague sprach fließend Englisch.

Sie hatte sich zudem einen Fluchtplan zurechtgelegt, war aber nicht bereit, zwei Amerikanern, von denen einer immer noch eine Militäruniform trug, Informationen darüber preiszugeben.

Ihre Bodyguards behielten aus Vorsicht ihre Waffen und richteten sie unbeirrbar auf Shane und Magic, und Shane konnte es ihnen nicht verübeln. Wäre er an ihrer Stelle, würde er dasselbe tun.

Er erzählte ihr alles.

Von dem Auftrag, der ihm erteilt worden war, eine gesuchte Terroristin auszulöschen, die dafür bekannt war, so skrupellos zu sein, dass sie sogar Kinder tötete.

Von ihrer Entdeckung, dass die Gesichtserkennungssoftware bewusst manipuliert worden war, um sie zu täuschen.

Von Shanes Versuch, seine Vorgesetzten zu besänftigen und Zeit zu schinden, um Tomasin zu kontaktieren und sie und ihre Familie zu retten, indem er die Bombardierung des verlassenen Bauernhauses unten am Hang anordnete.

Und von dem immer noch nicht identifizierten feindlichen Team, das Mörserattacken auf die Schule gestartet hatte – ein Angriff, der von Senior Chief Salantino und den anderen SEALs gestoppt worden war – zweifellos endgültig.

»Es ist wichtig«, sagte Shane und blickte in Tomasin Montagues müde und misstrauische braune Augen, »dass Sie dieses Mal für immer verschwinden. Ich kann Ihnen dabei helfen.«

Sie traute ihm nicht, aber sie unterbrach ihn auch nicht, also redete er weiter.

»Ich habe einen Freund«, fuhr er fort, doch dann korrigierte er sich, denn Jean war niemandes Freund. »Einen Kontakt. In Wien. Er kann Ihnen helfen unterzutauchen. Ihnen und Ihren Kindern.« Er blickte von Tomasin zu dem kleinen Jungen, den er schon von den Aufnahmen her kannte und den sie fest an sich presste, und dann zu einem Mädchen im Teenageralter, das immer noch ihr Kostüm aus dem Theaterstück trug. Auch sie sah ihrer Mutter sehr ähnlich.

Einer der Wächter, der mit der Kalaschnikow, murmelte etwas, und obwohl Shane nicht annähernd so gut in Fremdsprachen war wie Magic, wusste er anhand des Tonfalls und der Dringlichkeit, dass der Mann sagte, es sei Zeit zu gehen.

»Sie glauben, Sie könnten sich verstecken«, beharrte Shane, und die Frau blickte wieder zu ihm. »Aber die Leute, die hinter Ihnen her sind, werden nicht aufgeben. Sie werden Sie finden.«

»Und beim nächsten Mal wird Lieutenant Laughlin nicht da sein, um Ihnen zu helfen«, schaltete sich Magic ein. »Sie haben keine Ahnung, was für ein Glück Sie haben, dass dieser Mann diese Mission befehligt hat. Nicht die geringste.«

»Jean Reveur«, sagte Shane, als Tomasin von Magic zu Shane und wieder zurück blickte. »Sie kontaktieren Ihn über seine E-Mail-Adresse. Dreamer19@qmail.com. Sagen Sie ihm, dass ich Sie geschickt habe. Sagen Sie ihm, dass ich den Gefallen einfordere, den er mir noch schuldet. Sagen Sie ihm, danach sind wir quitt.«

»Sie würden diesen Gefallen«, sagte sie mit ihrem leichten Akzent, »für Fremde aufbrauchen?«

Magic antwortete für ihn. »Ja, Ma’am, das würde er.«

»Gehen Sie«, sagte Shane. »Jetzt. Dreamer19. Qmail. Wir gehen uns um die Verwundeten kümmern.«

Die Frau nickte, und mit ihren Kindern an ihrer Seite drehte sie sich um, um den Pfad ins Gebirge weiter hinaufzusteigen. Der Leibwächter mit der Kalaschnikow blieb zurück und entfernte sich rückwärts von Shane und Magic, die Waffe immer noch auf sie gerichtet, bis er von der Nacht verschluckt wurde.

»Glaubst du, sie macht es?«, fragte Shane seinen Freund, der sich bereits Shanes Arm um den Hals gelegt hatte, sodass er seinen verletzten Knöchel so wenig belastete wie möglich, während sie den steilen Pfad hinunterkraxelten und -schlidderten, auf die immer noch brennende Wellblechhütte zu.

»Wahrscheinlich erst, wenn dein Fall vor das Kriegsgericht kommt und publik wird«, sagte Magic hilfreicherweise. »Oder vielleicht wird sie die Zeremonie, wenn sie dir den Rang aberkennen, davon überzeugen, dass du auf ihrer Seite stehst. Insbesondere, wenn sie die Kameras laufen lassen und den Teil draufkriegen, wenn Ashley dir ihren Verlobungsring zurückgibt.«

»Das wird nicht passieren. Ashley liebt mich«, sagte Shane, obwohl er sich selbst für seine eigenen Ohren nicht vollkommen überzeugt anhörte.

»Ich weiß, ich habe dich wegen ihr ständig aufgezogen«, knurrte Magic, während er sie beide vor einem Sturz bewahrte, als er mit den Stiefeln über losen Schotter rutschte, der vor ihnen den Pfad hinunterrollte. »All meine Verschwörungstheorien und dunklen Vorhersagen? Das war nur, weil ich verdammt neidisch bin. Sie ist umwerfend. Und sie liebt dich eindeutig, Mann. Aber Daddy wird nicht zulassen, dass du sie heiratest. Nicht, nachdem der kommandierende CEO dich durchgekaut und wieder ausgespuckt hat. Ashley hat viele großartige Qualitäten, Shane, aber ein Rückgrat aus Stahl gehört nicht dazu. Das weißt du ebenso gut wie ich.«

Dem hatte Shane nichts entgegenzusetzen.

»Sie wird weinen«, fuhr Magic fort, als sie den Berghang hinter sich ließen. »Ihr wird es das Herz brechen, und sie wird verzweifelt sein. Aber letztendlich wird sie tun, was man von ihr verlangt.«

»Ich glaube trotzdem, dass ich eine Chance habe«, setzte Shane an.

Aber Magic war noch nicht fertig. »Du weißt, es ist noch nicht zu spät, dass ich –«

»Grundgütiger, halt einfach die Klappe, Kozinski.«

Aber das tat Magic nicht. »Im Ernst, Shane. Wenn du nicht mehr im Team bist, warum sollte ich dann bleiben? Hast du die neuen Offiziere in der SpecWarGroup HQ mal gesehen? Die das BUD/S-Training noch nicht absolviert haben, aber jetzt SEAL-Teams anführen? Die sind nicht mal qualifiziert, um mir den Arsch abzuwischen.«

Shane konnte die Hitze des Feuers im Gesicht spüren, die Schreie der Verwundeten und Trauernden hören. »Dann solltest du endlich die Kurve kriegen und auf die Offiziersschule gehen. Mach den Sprung vom Soldaten zum Offizier.«

»Leck. Mich«, sagte Magic. »Kannst du dir mich beim Offizierstraining vorstellen? Ich halte keine Woche durch, geschweige denn sechsundzwanzig.«

»Spiel deine Karten richtig aus«, sagte Shane, »vielleicht heiratest du dann Ashley.«

»Das ist nicht lustig.« Magics Stimme klang angespannt.

»Ich weiß«, sagte Shane. »Tut mir leid. Du hast recht.«

Doch dann bogen sie um die Ecke und fanden Ricks provisorische Triage vor – zu der auch ein Bereich für hoffnungslose Fälle und Tote gehörte.

Magic blieb abrupt stehen. »Fuck. Diese Arschlöcher haben Buttercup umgebracht. Scheiße«, sagte er. »Scheiße

Nichts hätte Shanes Befürchtungen klarer bestätigen können als dieser Anblick von einem Dutzend toten Kinder. Oder die zwei Dutzend oder mehr verwundeten, die noch drinnen festsaßen. »Du musst dabeibleiben«, sagte Shane leise. »Sonst finden wir nie raus, wer für das hier verantwortlich ist.«

Magic erwiderte nichts. Er beharrte auch nicht länger darauf, dass Shane hier draußen blieb und Rick zur Hand ging. Er half ihm einfach in das brennende Gebäude und ließ ihn dann ziehen. Offensichtlich war es in Ordnung für ihn, dass Shane den Rest seines Lebens am Stock gehen würde, wenn dieser dafür das Leben von Kindern rettete.

Shane ging an den Zivilisten vorbei, die bei der Evakuierung halfen. Es waren in erster Linie Frauen. Er ging geradewegs auf die Hitze der Flammen zu, wo er ein kleines Mädchen auflas, das hustete und sich erbrach, ganz benommen von der Detonation und dem giftigen Qualm. In seinem Knöchel lodern die Schmerz auf – das Lokalanästhetikum ließ allmählich nach. Doch er trug das Mädchen hinaus und legte es sanft neben Rick hin, dann ging er hinein, um das nächste Kind zu holen, und das nächste, und das nächste.