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Dienstag, 7. April, 8.30 Uhr Carver-Haus

Da Holly als Einzige von ihnen tatsächlich schon mal einen Dämon erledigt hatte, wollte sie ins Einkaufszentrum kommen, sobald Grandma da war, um auf die Kinder aufzupassen. Während Ashe alles arrangierte, rief Reynard die Höllenhund-Wachen vor dem Burgtor an und berichtete ihnen, dass der flüchtige Dämon wahrscheinlich gefunden war. Mac und die anderen Wachen sollten sich bereithalten.

Nachdem das geregelt war, nahmen Ashe und Reynard die Ducati und donnerten durch die Straßen, die von Teenagern in den Frühjahrsferien bevölkert waren. Ashe konnte Reynards Aufregung fühlen, denn seine magischen Kräfte verursachten ein Kribbeln auf ihrer Haut. Es war Dienstagmorgen und der Verkehr nicht sonderlich dicht. Sie brausten an leeren Spielplätzen, stillen Häusern und Schulen vorbei, vor denen sich Kindertrauben ansammelten. Coffee-Shops hatten Tische und Stühle nach draußen gestellt, wo die Gäste im Morgensonnenschein Zeitung lasen. Sah man von der Aufgabe ab, die ihnen bevorstand, war es ein herrlicher Morgen.

Höllenbrut hatte so ihre eigene Art, einem die Stimmung zu verwürzen.

Ashe versuchte, sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was sie über Dämonen wusste. Es gab so viele verschiedene, dass der Terminus »Dämon« in etwa so genau war wie »Käfer«. Manche wurden als Dämonen geboren. Ein Höllenhund etwa stellte eine Art Halbdämon dar. Geborene Dämonen waren oft halbwegs bei Trost und hielten sich an das Gesetz. Andere glichen Parasiten, die ihre menschlichen Wirte infizierten. Die meisten dieser Dämonen waren sehr mächtig, definitiv übel und zum Glück außerdem rar gesät.

Ashe hatte einige schwächere Dämonen getötet, aber noch keinen, der größer als eine Brotdose gewesen war. Die großen Kerle mussten verbannt werden, und das wiederum erforderte magische Kräfte. Die Carver-Hexen hatten genau zwei Mal solche Bannzauber gewirkt. Beide Male war es derselbe Seelenfresserdämon gewesen, mit dem sie es aufnahmen. Ashes Vorfahrin Elaine Carver war gestorben, als sie ihn erstmals aus Fairview vertrieb. Beim zweiten Mal hatte Holly den Dämon vernichtet und das Tor zur Burg geöffnet. Ashe war bei der Schlacht nicht dabei gewesen, hatte jedoch gehört, dass es eine gehörige Portion Magie gebraucht hatte, die aus einer Verknüpfung mit den Ley-Linien zustande kam. Holly hatte die Linienmagie angezapft und in die Schlacht geleitet. Aber wenn sie in dem Bereich damals wie aus einem reichen Ozean schöpfen konnten, dürfte das Einkaufszentrum eher einem Rinnsal entsprechen. Außerdem erholten Hollys Kräfte sich erst von den Nachwirkungen der Geburt. Sie durften nicht auf einen größeren Magieschub zählen. Das Beste, worauf sie hoffen konnten, war ungefähr eine Planschbeckenfüllung. Oder eine Salatschüssel voll. Oder ein Butternapf. Selbst wenn ein Sammlerdämon keinen so heftigen Brocken darstellte wie der Seelenfresser – wie zum Geier sollten sie ihn loswerden?

Sie hielten an einer roten Ampel. Rein zufällig sah Ashe zur selben Zeit nach unten, als Reynard ihr an die Schulter tippte und auf den brandneuen 5er-BMW zeigte, der neben ihnen stand. Ashe erkannte den Fahrer sofort. Bannerman. Eine Woge von Abscheu überrollte sie. War er wieder einmal dabei, Geschäfte für Tony abzuschließen? Suchten sie die Vorhänge für noch mehr Dämonenverstecke aus?

In diesem Moment blickte der Anwalt auf. Sogar durch die getönten Wagenfenster konnte Ashe sehen, dass er blass wurde. Seine Miene verriet ihr, dass er panische Angst vor ihr hatte. Befriedigend … Ja, sie hatte ihn ein bisschen hart angefasst, aber nicht genug, um die plötzlichen Tränen in seinen Augen zu erklären. Die machten sie schlicht neugierig. War irgendetwas passiert?

Auf einmal scherte der BMW aus der Spur und in die Ausfahrt rechts zum Highway. Ein Ausweichmanöver wie aus dem Bilderbuch, das Ashes Neugier noch steigerte. Wusste Bannerman, dass ihr bekannt war, dass er den Heckenschützen auf sie angesetzt hatte?

Im selben Augenblick, in dem er beschleunigte, schaltete die Ampel um. Ashe überquerte zwei Fahrspuren, bevor die anderen Fahrer reagieren konnten. Blitzschnell war sie hinter dem Anwalt. Reynard stieß einen Triumphschrei aus, als die Ducati mit einem Knurren beschleunigte.

Der riesige BMW hatte einige Pferdestärken unter der Haube und Bannerman Vorsprung. Sie rasten eine vierspurige Straße entlang, die zu den Fähren führte. Ashe war vorsichtig beim Rangieren zwischen den anderen Wagen, zumal sie in Begleitung war, aber bald schon hatte sie es an einem Pick-up vorbei geschafft und bessere Sicht auf Bannermans Wagen. Der Pick-up hupte, was nicht mehr als ein Hintergrundgeräusch für Ashe war. Sie hatte das Röhren ihrer Maschine im Ohr, spürte die Vibrationen zwischen ihren Schenkeln und einen heißen, glücklichen Mann, der sich an ihren Rücken presste. Ihr kam es vor, als würde ihr das Herz im Hals schlagen, und das mit der Ungeduld eines Pferdes, das sich gegen seine Trense wehrte.

Bannerman war zwei Wagen vor ihnen und im Begriff, einen dritten zu überholen. Sie fuhren unter einer Überführung hindurch, in deren Schatten kalter Wind in Ashes Gesicht blies. Der BMW wechselte die Spur und gab Gas. Gleichzeitig lenkte Ashe die Ducati in den Freiraum zwischen zwei Spuren und beschleunigte. Sie fühlte, wie Reynards Hände sich fester um ihre Taille legten.

Binnen zwanzig Sekunden war sie nur noch eine Wagenlänge von ihrem Zielobjekt entfernt. Sie sah, wie Bannerman in den Rückspiegel blickte, das Gesicht verzog und seinen Kopf nach links und rechts reckte: auf der Suche nach einem Fluchtweg.

Wieso hatte er solche Angst? Schließlich hatte sie ihn ja nicht vertrimmt oder so.

Er schwenkte riskant auf die linke Spur. Im nächsten Augenblick bog er ab und trat heftig in die Bremsen, ehe die Autos auf den drei Spuren in Richtung Süden seinen schönen Wagen zermatschen konnten. Ashe fluchte, wenn auch mehr der Form halber, und vollführte einen verbotenen U-Turn an der nächsten Lücke in der Mittelplanke.

»Verflucht noch eins!«, brüllte Reynard ihr ins Ohr.

»Krieg dich ein! Wir haben ihn gleich.«

Okay, das war vielleicht ein bisschen überoptimistisch. Bis Ashe die Ausfahrt erreichte, sah sie nur noch die BMW-Silhouette vor dem hellen Aprilhimmel. Bannerman bewegte sich gen Südosten auf einer der schmalen Straßen, die durch ein Gewirr von Hobbyfarmen nördlich Fairviews führten. Verloren sie ihn in dieser ländlichen Wildnis, würde die Spur sehr schnell kalt.

Zwischen ihr und Bannerman lag nichts als freies Feld, auf dem der Boden vom Winterregen in einen matschigen Sumpf verwandelt wurde. Die Traktoren hatten dicke Matsch- und Kiesschlieren auf der Straße hinterlassen, so dass Ashe langsamer fahren musste. Allerdings musste auch Bannerman das Tempo drosseln, damit sein teurer Wagen in den Schlaglöchern nicht aufsetzte. Der Anwalt fuhr sogar vorsichtiger als nötig, was Ashe nur recht sein konnte, denn so holte sie auf.

Der BMW fuhr über einen Hügelkamm und verschwand auf der anderen Seite. Ashe folgte ihm, schloss erst hinter Bannerman auf und war schließlich seitlich von ihm. Sie blickte hinüber und erkannte eine Mischung aus Zorn und Angst in seinen Augen.

Hügelabwärts riskierte sie, wieder zu beschleunigen, brachte ihre Ducati vor den Wagen und wich dabei den meisten Hindernissen aus, musste jedoch um Kontrolle über ihre Maschine ringen, als die Straße etwas zu holprig wurde. Eine halbe Meile weiter kam eine Weggabelung. Und exakt diese Distanz blieb Ashe, um Bannerman zu stoppen. Als sie eben genug Abstand gewonnen hatte, verlangsamte sie und drehte ihr Motorrad seitlich, womit sie beide Spuren blockierte. Eine Schmutzwolke stob um sie herum auf.

Reynard sprang von der Ducati und riss sich den Helm vom Kopf. Er sah aschfahl aus, trotzdem rannte er los, brachte sich zwischen Ashe und den heranpreschenden Wagen und zog im Laufen seine Smith & Wesson.

»Hey! Halt!«, schrie Ashe wenige Schritte hinter ihm.

Einen Moment lang glaubte sie, sie würden beide als Kühlerfiguren enden. Erst in letzter Sekunde trat Bannerman auf die Bremse und hielt schlitternd an.

Ashe stand vollkommen still da – teils, um keine Angst zu zeigen, teils aus Furcht, ihre Knie könnten einknicken, sollte sie sich rühren.

Die Beifahrertür flog auf, aus der Bannerman heraus- und in Richtung Highway stürmte.

Das ist ja wohl ein Witz!

Reynard legte seinen Helm auf der Ducati ab. »Wollen wir hingehen und Mr. Bannerman einen guten Morgen wünschen?«

Ashe war direkt hinter ihm. »O ja, darauf freue ich mich schon!«

Reynard holte ihn mit der Supergeschwindigkeit der Burgwachen ein, packte den Anwalt am Arm und zerrte ihn zurück, ehe dieser auch nur hundert Schritte gelaufen war. Er drückte ihn gegen den auf Hochglanz polierten BMW.

Trotz der kühlen Frühlingsluft schwitzte Bannerman so, dass ihm das Haar am Kopf klebte. Die Haut unterhalb seiner Augen sah aufgedunsen und dunkel aus. Er schien zehn Jahre gealtert, seit Ashe ihn vor wenigen Wochen kennengelernt hatte.

Offenbar bekam der Anwalt, was er verdiente.

»Haben Sie’s eilig, irgendwohin zu kommen?«, fragte sie.

»Lassen Sie mich los!«, raunzte er, auch wenn er sie flehend anblickte.

Was denkt der denn, was wir vorhaben?Nicht dass ihr so vieles einfiele.

Ashe versuchte, sich vorzustellen, was Bannerman sah. Reynard und sie trugen beide schwarzes Leder, dunkle Jeans und Sonnenbrillen – die Action-Kluft eben. Wahrscheinlich wirkten sie wie Überbleibsel einer Heavy-Metal-Band.

Reynard nahm seine Hand vom Arm des Anwalts, blieb jedoch dicht genug vor ihm stehen, dass der Mann sich nicht bewegen konnte.

Ashe verschränkte ihre Arme, was in dem festen Leder gar nicht so einfach war. »Also, wie geht es dem guten Tony heute Morgen?«

»Fragen Sie mich nicht nach ihm! Ich kann nicht über ihn reden.«

»Ach ja, stimmt ja. Der Bann.«

Die Haut um Bannermans Augen bekam rote Sprenkel. »Es tut weh.«

Reynard nickte. »Manche Schweigezauber wirken mittels Schmerzen.«

»Sind Sie deshalb weggerannt? Weil Sie Schiss hatten, dass wir Sie zum Reden bringen?«

Bannerman nickte einmal, wobei sein Gesicht grau wurde und ihm Schweißperlen auf die Oberlippe traten.

»Verdammt!« Ashe hasste das, aber Bannerman war ein Widerling und hätte eine gehörige Abreibung nötig gehabt; nur stand sie nicht auf Folter.

»Ist der Dämon im North-Central-Einkaufszentrum?«, fragte Reynard. »Ja oder nein?«

»Ja.« Der Anwalt krümmte sich, als hätte er einen fiesen Krampf.

Reynard beugte sich zu ihm. Obwohl ihm sein Mitgefühl anzusehen war, schreckte es ihn nicht von seiner Aufgabe ab. »Hat er noch andere Immobilien gekauft?«

»Bisher nicht.«

Also handelte es sich bei den anderen beiden Adressen, die der Hacker Ashe gegeben hatte, um Bannermans eigene Investitionen, nicht um Tonys. Gut zu wissen.

»Sind Sie im Begriff, weitere Käufe für den Dämon zu arrangieren?«, wollte Reynard wissen.

»Ja«, keuchte Bannerman.

»Wie viele?«

Bannerman krümmte sich noch heftiger und sank würgend auf Knie und Hände. Ashe sprang zurück, bevor er ihr auf die Stiefel kotzte. Bei dem Geräusch überkamen sie Ekel und Mitleid zugleich.

Der Anwalt hielt drei Finger in die Höhe.

Demnach wollte der Dämon drei weitere Häuser kaufen.

Bannerman richtete sich mühsam wieder auf und wischte sich den Mund mit einem Taschentuch ab. Reynard half ihm und lehnte ihn an den Wagen. Zuerst sank der Kopf des Anwalts nach vorn, und als er ihn wieder hob, war ihm seine Erschöpfung sehr deutlich anzusehen.

»Zuerst schien alles ganz simpel«, erzählte er. »Er kam mir normal vor, sogar nett, und er wollte bloß einen Buchladen. Ich besorgte ihm die Cowan-Immobilie. Ich dachte, warum nicht? Aber dann veränderten die Dinge sich.« Bannermans Gesichtsmuskeln zuckten wild, doch er zeigte den Ausdruck eines Mannes, der seinen Schmerz mit dumpfer Ergebenheit erduldete.

»Wie?«

»Das war, als ob er teils menschlich gewesen wäre, als er zum ersten Mal in die Kanzlei kam. Ich erkannte gar nicht gleich, dass er ein Dämon ist. Aber jetzt ist er nur noch einer, und das immer.«

»Wie sucht er seine Häuser aus?«, fragte Reynard. »Gibt es bestimmte strategische Lagen, die er wünscht?«

»Ich weiß nicht. Er läuft bloß durch die Stadt, und sobald er ein Haus gefunden hat, das ihm gefällt, muss ich den Besitzer zum Verkauf überreden. Und ich muss es bezahlen.« Bannerman ließ den Kopf wieder nach vorn sinken, als fehlte ihm die Kraft, ihn länger zu halten. Er hatte die Augen zusammengekniffen. »Stoppen Sie ihn! Ich kann es nicht.«

Ashe wurde klar, dass Bannerman soeben trotz seiner Schmerzen freiwillig Informationen preisgegeben hatte. Sie dachte an ihr erstes Gespräch mit dem Anwalt, als plötzlich Schleim in sein Büro getropft war. Auf eine ziemlich indirekte Art hatte er sie da schon gebeten, ihn vor Tony zu retten. Und er wollte es immer noch.

»Und wenn der Eigentümer sich weigert zu verkaufen?«, hakte Reynard nach.

Bannerman schüttelte den Kopf. »Das will ich gar nicht wissen.«

Ashe spürte, wie sich neuer Zorn in ihr regte. »Ich werde diese Höllenbrut so was von vereisen!«

Reynard trat einen Schritt zurück und langte ins Auto. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er eine Akte in seiner Hand. »Finden wir hier drin Näheres zu den Verkäufen?«

Bannerman öffnete die Augen und bejahte stumm.

Ashe nahm die Akte und überflog die Papiere. Sie war keine Anwältin, aber es sah aus, als wären hier die kleinsten Details der Transaktionen akribisch festgehalten. Unweigerlich musste sie grinsen. »Bekommen Sie etwa keinen Beratervorschuss?«

Nun machte der Anwalt sich gerade und bedachte Ashe mit einem vernichtenden Blick – schon eher wie der Bannerman, den sie kennengelernt hatte. »Ich könnte Sie immer noch wegen Körperverletzung anzeigen.«

»Was Sie nicht tun werden, denn Sie brauchen uns, damit wir Ihnen Ihren knochigen Arsch retten.«

»Sie vulgäre, arrogante …«

»Ich würde nicht mit Steinen werfen, Alter. Sie waren es doch, der einen Killer auf mich angesetzt hat, oder?«, konterte Ashe.

»Das können Sie nicht beweisen!« Aber Bannermans Gesicht nahm die Farbe von Brotteig an, und er riss die Augen weit auf. »Von der rechtlichen Seite betrachtet, ist das eine reine Mutmaßung.« Er japste nach Luft, und sein Atem klang schmerzlich pfeifend.

Ashe verbarg ihren Ekel nicht. »Spricht jetzt der Dämon aus Ihnen oder nur der üble Rechtsverdreher? Schalten Sie mal Ihr Gehirn ein! Sie haben eben erst zugegeben, dass Sie uns brauchen.«

Reynard blickte erstaunlich unbeeindruckt über die Ränder seiner Sonnenbrille. »Möchtest du, dass ich ihm den Kopf wegpuste, meine Liebe?«, fragte er gleichmütig, spannte allerdings seine Finger fester um die Smith & Wesson.

Ashe legte eine Hand auf seinen Arm und ermahnte sich, ihre Wut zu zügeln. »Auch wenn ich es ungern zugebe, aber er stand unter einem Bannzauber.«

»Ja!« Bannerman nickte eifrig. »Ich bin für nix verantwortlich!«

»Mit Ausnahme von Gier und Dummheit«, erwiderte Reynard frostig und hob gelassen seine Waffe, als hätte er nicht die geringsten Skrupel abzudrücken.

»Nein!«, wehrte Bannerman ab, der sich verängstigt an seinen Wagen klammerte. »O Gott, nein, ich flehe Sie an!«

Reynard wandte sich wieder zu Ashe. »Es ist deine Entscheidung. Bis der Dämon nicht verbannt wurde, stellt er eine Bedrohung dar.«

Ashe biss die Zähne zusammen. Es war verlockend, Reynard einfach abdrücken zu lassen. Klar, sauber, schnell und endgültig. Aber ungesetzlich. Bannerman war kein Monster, sondern die Marionette eines Dämons. Wurden sie Tony los, würde der Anwalt gewiss wieder zu dem gewöhnlichen Abschaum anstelle des mörderischen, der Profikiller anheuert. Diesen Rettungsring sollte sie ihm zuwerfen, wenn schon nicht um seinetwillen, dann für die Familie, die sie auf dem Foto in seinem Büro gesehen hatte.

»Lass ihn leben!«, befahl sie mit unverhohlenem Bedauern.

Reynard nahm die Waffe herunter und machte einen Schritt zurück, wobei er den Anwalt voller Verachtung ansah. »Ich würde sagen, dann sind wir hier fertig.«

Bannerman saß so schnell in seinem Wagen, wie es sterbliche Gliedmaßen erlaubten. Der Motor sprang mit einem edlen Schnurren an.

Ashe pochte an das Fahrerfenster, das Bannerman nur einen Spalt weit herunterrollte. »Was ist?«

»Wo im Einkaufszentrum steckt er?«

Er starrte sie entgeistert an. »Oh, Sie finden ihn.«

Ashe sprang zurück, bevor er ihr über die Füße fuhr, und Reynard fing sie ab, eine Hand auf ihrem Rücken. »Ich habe den Eindruck, dass er unser Wohlwollen nicht zu würdigen weiß.«

Ashe schlug wieder die Akte auf. Darin entdeckten sie offizielle Dokumente sowie Ausdrucke aus dem Internet, die Lagerhäuser, Geschäfte und sogar ein Auktionshaus zeigten. »Wir müssen Tony aufhalten, ehe Bannerman auf die Maklerverbandsliste stößt. Irgendwie tut mir der Typ fast leid. Er ist ein bisschen wie jemand mit Renfield-Syndrom.«

Sie klappte die Akte zu und schob sie in ihre Jacke.

»Die meisten Dämonen beginnen als menschliche Diener und suchen sich später ebensolche«, erläuterte Reynard. »Ein Grund mehr, diesen Dämon zur Strecke zu bringen. Wir wollen nicht, dass er sich mehr Freunde macht. Dämonen sind wie eine Epidemie, die nur darauf wartet, um sich zu greifen.«

Womit er einen von Ashes irrationalen Angstträumen beschrieb: eine Welt, in der Dämonen langsam alle Menschen um sie herum infizierten. Familien, Städte, ganze Länder, die ihrer unersättlichen Gier zum Opfer fielen. Sie ertrug den Gedanken nicht, dass solche paranoiden Phantasien wahr werden könnten. »Wenn sie eine Epidemie sind, bin ich eine große Flasche Antiseptikum.«

Sie holte ihr Handy hervor und wählte.

Reynard sah sie verwundert an. »Wen rufst du an?«

»Die Polizei. Mir ist wurscht, wie gut Bannermans Partner ihn abschirmen. Diese Akte ist ein klarer Beweis, dass er Immobilien an einen Dämon verkauft hat. Das gibt fünf bis zehn Jahre, wenn er verknackt wird. Und selbst wenn nicht, sollte es ihn lange genug auf Eis legen, dass wir diesen Schlamassel in Ruhe aufräumen können.«

»Wie überaus listig von dir!«

»Du hast doch nicht geglaubt, dass ich ihn einfach vom Haken lasse, oder?«

Sie blickte zu Reynard hinüber. Nun, da Bannerman fort war, wirkte sein Gesicht eingefallener. Die Auseinandersetzung hatte ihn reichlich Kraft gekostet. Was immer Grandmas und Hollys Magie ihm an Gnadenfrist verschafft hatte: Sie lief allmählich aus.

 

Sie brauchten zwanzig Minuten bis zum Einkaufszentrum. Als sie gerade von der Ducati stiegen, bog ein roter T-Bird auf den Parkplatz und steuerte auf das untere Parkdeck zu.

»Das sind Holly und Alessandro«, verkündete Ashe, die eilig in Richtung Parkhauseingang lief. »Komm, wir holen sie ein!«

Sie begannen zu laufen. Plötzlich aber wurde Reynard langsamer, nahm seine Sonnenbrille ab und schaute suchend zum Eingang des Einkaufszentrums.

»Was ist?«, fragte Ashe, die sofort stehen blieb.

»Meine Urne ist dort. Ich kann sie fühlen.« Tatsächlich wirkte er schlagartig sehr viel frischer, als hätte jemand ihm neue Batterien eingelegt.

»Super! Holen wir sie uns!« Ashe ergriff seine Hand und zog ihn mit sich in den Schatten der Tiefgarage.

Alessandro war schon aus seinem Wagen gestiegen, bis sie ihn erreichten. »Hi, Fangzahnknabe!«, begrüßte Ashe ihn.

Er stieß einen tadelnden Laut aus und klopfte ihr auf die Schulter. Unter seinem langen Ledermantel trug der Vampir ein Breitschwert, dessen Klinge hinreichend Silber enthielt, um für die meisten magischen Kreaturen tödlich zu sein.

Dabei waren Vampire ohnehin schnell mal tödlich, wenn man sie vor der Abenddämmerung aus dem Schlaf riss. Alessandro jedenfalls sah mürrisch und reizbar aus.

Holly stieg auf der Fahrerseite aus und gähnte. »Ich schätze, wir haben keine Zeit mehr für einen Kaffee, bevor wir die Stadt vor dem größten Übel retten, was?«

»Bedaure, nein«, antwortete Ashe. »Und der Kaffee, den sie hier verkaufen, ist das größte anzunehmende Übel.«

Dann stutzte sie und blickte von Alessandro zu Holly. »Hat er dich etwa seinen kostbaren Thunderbird fahren lassen?«

Holly warf dem Vampir einen Seitenblick zu, der ein kaum beigelegtes Wortgefecht andeutete. »Ich erlaube nicht, dass er tagsüber fährt. Alessandro mag wach aussehen, aber das täuscht mich nicht.«

Der Vampir verengte die Augen, doch Ashe konnte nicht einschätzen, ob er erbost oder schläfrig war. Sie reichte Holly Bannermans Akte. »Leg die in den Wagen. Das sind Dokumente mit den künftigen Adressen unseres Dämons.«

Unterdessen hatte Reynard sich dem Wagen genähert und berührte die glänzende rote Motorhaube mit seinen Fingerspitzen. Es bedurfte keines Einsteins, um seine Faszination zu erkennen. Auf Alessandros tiefes Knurren hin zog Reynard jedoch umgehend seine Hand zurück.

»Wie lautet der Plan?«, erkundigte Alessandro sich. »Ich habe einige andere Vampire alarmiert, die sich bei Tageslicht draußen bewegen können, sowie die Hunde- und Wolfsrudel. Sie stehen alle auf Abruf bereit.«

»Wir sind unterwegs dem menschlichen Sklaven des Dämons begegnet«, entgegnete Reynard. »Er steht unter einem Bann, seinem Meister zu dienen. Daher ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass der Dämon bereits vorgewarnt ist. Das Klügste wäre, die Lage einzuschätzen, ehe du deine Truppen hinzuholst.«

»Bannerman meinte, der Dämon wäre leicht zu finden«, ergänzte Ashe.

»Das kann nicht gut sein.« Holly schlug die Wagentür zu und sah die drei anderen an. »Ich meine, was zur Hölle stellt er gerade an?«

Ashe verzog das Gesicht. »Das werden wir rauskriegen müssen.«

»Aber wie sehen wir uns um, ohne uns zu verraten?«, fragte Alessandro.

Ashe zeigte zu einem Lieferanteneingang. »Dadurch kommen wir zum Hintereingang der Bücherei. Falls das Ding mit einem Angriff rechnet, dann wohl kaum von jemandem, der verpennt durch die Jugendabteilung schlurft.«

»Ich schlurfe nicht herum«, erwiderte der Vampir beleidigt.

Holly blickte zu ihrem Partner und unterdrückte ein Seufzen. »Los jetzt!«

Ashe lief voraus, gefolgt von Reynard, Holly und Caravelli. Die schwere Tür ächzte und klapperte, als Ashe sie aufzog, dass es durch die Garage hallte. Von hier stiegen sie eine schmale Treppe aus kahlem Estrich hinauf zur Hauptebene. Das Metallgelände war nackt bis auf ein paar Farbreste hier und dort, die zeigten, dass es einst in ansprechendem Industriegrün lackiert gewesen war. Die Schritte der vier donnerten und flüsterten in dem ungedämpften Treppenhaus – die schwereren der Männer, die leichteren der Frauen. Schließlich öffnete Ashe eine zweite Tür, die in einen Lieferantengang hinter den Geschäften führte. Auf den schlichten weißen Türen standen Nummern und rechts und links von ihnen Pappkartons, Kleiderständer und sonstiger Kram, der darauf wartete, abgeholt zu werden.

Sie alle rümpften die Nasen: Dämonengestank hing in der Luft.

Ashe wandte sich nach rechts. »Hier entlang!«

Der Korridor machte eine Biegung, und dahinter wären sie fast über einen spindeldürren jungen Mann gestolpert, der eine Zigarette rauchte. Hastig trat er sie aus.

»Ashe!«, stieß er hervor und klang wütend.

Ashe erstarrte. »Gary! Was ist?«

Es handelte sich um einen der Verkäufer in der Buchhandlung, der maßgeblich an den Streichen beteiligt war, die Buchhandlung und Bücherei sich spielten. Im Moment wirkte er allerdings nicht wie ein Scherzkeks. Er zuckte nervös, und seine langen schmalen Finger strichen unruhig über sein Polohemd mit dem »Book Box«-Emblem.

»Das ist nicht witzig!«, schimpfte Gary, der offensichtlich außer sich war vor Angst, sich aber am Riemen riss. »Die Pappfiguren, die Ostereier, okay, vielleicht war das ein bisschen viel, aber da wurde wenigstens niemand verletzt. Das jetzt ist echt überzogen.«

»Was ist los?«

»Im ganzen Einkaufszentrum geht’s echt komisch zu. Sachen fliegen durch die Luft, es riecht merkwürdig, und den Buchladen hat irgendwas ganz Fieses erwischt. Da läuft stinkender Schleim über die gesamte Wand mit den Bestsellern.«

Caravelli zog eine Braue hoch. »Ein dämonischer Rezensent vielleicht, der seine Meinung kundtun will?«

Gary sah ihn voller Panik an. »O Gott, ein Vampir!«

Ashe nahm den Jungen am Arm und schüttelte ihn leicht, um seine Aufmerksamkeit auf sich zurückzulenken. »Das ist kein Scherz der Büchereileute, Gary. Das ist ein echter Dämon!«

Gary sah sie verächtlich an. »Gehört dieser Ist-kein-Scherz-Teil jetzt zu eurem Witz?«

»Leider nicht«, antwortete Alessandro, der sein riesiges Schwert zückte und die Zähne bleckte.

»O Gott!« Gary drückte sich beide Hände auf die Augen. Ashe war nicht sicher, ob er losheulen oder in Ohnmacht fallen würde. »Ein Dämon, ein Vampir, Schwerter – das ist ja wohl ein total schräges Rollenspiel!«

Er fing an zu hyperventilieren. Ashe schüttelte ihn fest genug, dass er seine Hände heruntersinken ließ und sie ansah. Panik grub tiefe Linien um seine Augen und seinen Mund.

»Jetzt flipp nicht aus, ja?«, beschwor Ashe ihn streng. »Wir sind die Kavallerie, also bring mich nicht dazu, meine fiese Seite rauszukehren! Zeig uns den Dämon!«

»O … okay. Hier lang.« Gary öffnete eine Tür mit der Nummer acht darauf. Ashe bemerkte, dass seine Hände zitterten.

»Tschuldigung wegen der Kartons«, sagte er, »wir waren gerade dabei, eine Lieferung auszupacken, als der Irrsinn losging.«

Es war nicht einfach, sich zwischen den Kartonstapeln hindurchzudrängen, die Ashe unangenehm an die dämonische Buchhandlung erinnerten. Einige der Kartons standen offen und gaben den strengen Geruch frisch gedruckter Bücher von sich. Verglichen mit dem Verwesungsgestank des Dämonenschleims kam die Tinte einem Edelparfum gleich.

»Hey, hier ist die neue Linda Howard!«, freute Holly sich, als sie an einem Tisch vorbeikamen, auf dem Taschenbücher aufgestapelt waren, neben denen Preisauszeichner lagen.

»Wenn wir die Welt retten, bevor sie schließen, kaufe ich sie dir«, versprach Alessandro trocken.

Sie kamen aus dem Lagerraum in das flackernd grelle Neonlicht des Ladens. Ashe und Reynard ließen die anderen vor. Ashe kannte den Laden gut – drei Gänge und ein großer Angebotstisch, auf dem die meisten Bücher ausgestellt waren. An den Wänden befanden sich hauptsächlich Zeitschriften-, Bestseller- und die neuesten Fitness-DVD-Aufsteller.

»Die Urne ist sehr nahe«, flüsterte Reynard. »Ich kann sie fühlen wie einen Magneten.«

»Wir sind kurz davor, sie wiederzukriegen«, antwortete Ashe, die ihn mit der Schulter anstieß. »Wir wollen ja nicht, dass deine Seele bei einem Dämon zu Hause landet.«

Er schenkte ihr einen Blick, der halb eine Ermahnung, halb Zuneigung war. Ashe wandte sich ab, weil sich zu viele Gefühle in ihrer Brust regten. Außerdem wurden ihre Wangen heiß. Das ist ja wohl so was von keine günstige Zeit zum Flirten!Es war Zeit zu jagen. Sie strebten vom Hintereingang zu den Seiten, um einen besseren Blick auf die ganze Buchhandlung zu bekommen.

»Heiliges Schleimdebakel!«, hauchte Holly.

Gary war entsetzt. »Das ist viel schlimmer als noch vor ein paar Minuten.«

Kein Wunder, dass es in dem Laden weder Personal noch Kunden gab!

Blaugrüner Schleim ergoss sich über die Wände. Das Geklecker mochte in der Bestsellerabteilung angefangen haben, hatte sich aber inzwischen auf sämtliche Regale ausgebreitet. Zeitschriften kräuselten und wellten sich unter dem Gewicht des Sirups. Pappschilder, die einst die beworbenen Titel angepriesen hatten, waren zu glitzernden Haufen zusammengeschmolzen, in denen Bücher klebten, die wie das Gebälk eines sinkenden Schiffes aus der unförmigen Masse herausstaken. Am schlimmsten hatte es den Angebotstisch erwischt, der vollständig von Schleim umgeben war, gleich einer Insel in einem Teerozean. Ab und zu regte sich ein stinkendes Blubbern und spie einen Schwall Schleim aus. Ein Miniaturvulkan aus der Hölle.

Ashe hielt sich eine Hand vor die Nase, um den Gestank abzuwehren. »Gehen wir irgendwohin, wo mehr Luft ist. Dieses Zeug ist giftig.«

Sie wollten auf die Eingangstür zulaufen. Holly hatte den Angestellten bei der Hand genommen und zog ihn mit sich. Der Boden war glitschig, so dass sie nur mühsam vorankamen. Ashe musste sich mehrmals an Reynards Ärmel festhalten, weil sie beinahe in die blaugrüne Masse gefallen wäre.

Als sie den matt beleuchteten Gang des Einkaufszentrums erreichten, zog Gary die Glasschiebetüren vor den Buchladen. »Nicht dass irgendjemand da reingeht, aber ich find’s irgendwie besser«, erklärte er. »Ich würde sagen, wir haben für heute geschlossen.«

Ashe sah zu Reynard. »Ist das die Rache, weil ›Book Burrow‹ runtergebrannt wurde?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Dieses Geschäft scheint in demselben Zustand zu sein.«

Ashe folgte seinem Finger, als er auf eine Goth-Boutique zeigte. Ein metallverstärktes Bustier im Fenster troff vor Schleim. Was Ashe ziemlich betrüblich fand, denn sie hatte insgeheim vorgehabt, es zu kaufen, obwohl es ein kleines Vermögen kostete. »Sonst noch irgendwo?«

»Nein, einen anderen Ort sehe ich nicht«, antwortete Reynard.

Seltsam, aber das Einkaufszentrum wirkte fast leer. Ashe hatte mit aufgeregten Leuten gerechnet, mit Geiseln inmitten von Schleim, dämonischen Forderungen nach freiem Zugang zum Einkaufsbereich. Stattdessen konnte sie jede Note der Hintergrundmusik hören, die durch die Einkaufspassage säuselte. Dienstagnachmittags war es normalerweise immer ruhig, aber hier sah es aus, als hätte kaum eine Handvoll Schaulustiger dem Gestank getrotzt, um ein paar Handyfotos von dem stinkenden Schleim zu machen.

»Wo sind die Sicherheitsleute?«, fragte Holly.

Gary zuckte mit den Schultern. »Wir haben versucht, sie anzurufen, aber da meldet sich keiner. Vielleicht hat das, was das hier angerichtet hat, sie als Erstes ausgeschaltet.« Er wandte sich zu Ashe und schien allmählich wieder gefasster. »Was kann ich tun?«

Ashe packte seine Schulter. »Schaff so viele Leute wie möglich hier raus! Sag in den anderen Läden Bescheid, dass sie schließen sollen, und schick die Mitarbeiter nach Hause! Und anschließend gehst du ebenfalls. Hier wird es hässlich.«

Gary nickte und sah alle ernst an. »Ihr seid voll cool.«

»Wir bemühen uns«, gab Ashe zurück. »Und jetzt los, Grashüpfer!«

Er schritt direkt auf ein paar Leute zu, die Handyfotos schossen, und schickte sie weg.

Sehr gut! Ashe blickte zu den anderen. »Sieht jemand eine Dämonenhöhle?«

»Noch nicht«, antwortete Holly.

»Dann fangen wir an zu suchen. Wollen wir uns aufteilen oder zusammenbleiben?«

»Zusammenbleiben«, entschied Alessandro und sah zu Holly. »Wenn immer noch Kunden kommen und gehen, kontrolliert der Dämon bisher nicht das ganze Einkaufszentrum. Mit ein wenig Glück können wir seinen Einfluss orten.«

Ashe nickte, und sie begannen, als Gruppe durch das Einkaufszentrum zu wandern, wobei sie jedes Geschäft auf Hinweise für Dämonenbesessenheit überprüften. Unweigerlich musste Ashe an ihre Highschool-Tage denken, als sie hin und wieder den Unterricht geschwänzt hatte und mit Freunden hier herumgelungert war. Sogar einige der Geschäfte waren noch dieselben. Irre!

Der Dämon hatte weder den Stereoladen noch den mit Biovitaminen oder die Edelboutiquen angerührt. Das Spielwarengeschäft hingegen sah aus, als wäre eine Horde marodierender Wikinger darüber hergefallen. Sie folgten einer Spur von Spielzeugrittern und Plüschtieren – von denen eines dem Hasen ähnelte, den Belenos bei Lor ließ – um eine Ecke in einen anderen Gang. Dort, schräg gegenüber von ihnen, entdeckten sie die Dämonensammlung.

»Was die Einkäufe angeht«, bemerkte Holly, »würde ich sagen, dass er ziemlich desorientiert ist.«

»Tja, er hat’s ganz schön übertrieben«, sagte Ashe. »Vielleicht ist der gute alte Tony vom Teller gedreht, als er den Buchladen verloren hat.«

Sie konnte nicht umhin zu staunen. Der Dämon war in ein leeres Geschäft eingezogen, hatte das Tor vorn aufgebrochen und alle Lichter eingeschaltet. Nun blickten sie in einen Raum, in dem es keinerlei Mobiliar, aber jede Menge Krempel gab. Der Wirrwarr aus Haufen und Stapeln machte es schwierig, einzelne Sachen zu erkennen. Da war ein wackliger Turm aus Gourmet-Kochgeschirr, dessen Kupfer und Edelstahl im Licht blinkten. Es stapelten sich Bücher, DVDs, Spielwaren und ein Rasenmäher neben farbig lasierten Pflanzenübertöpfen und einer Ansammlung gemusterter Gehwegplatten für den Garten. Der Dämon hatte anscheinend das Sears-Gartencenter geplündert. Ein Stück weiter standen ein großes Sofa und ein passender Zweisitzer aus weißem Leder, dazu Beistelltische mit Tiffany-Lampen. Die Tische waren sehr hübsch, aus handpoliertem Walnussholz, was Ashe wusste, weil sie sich ab und zu danach sehnte, auch mal ein Stück zu besitzen, das nicht aus billigem Kiefernholz mit Astlöchern gefertigt war. Das Allermeiste in dem Laden allerdings waren Sammlungen: ein Berg Anziehpuppen mitsamt Wagen, Häusern und verrückter Garderobe. Küchenmesser. Fernsehserien-DVDs. Besteck- und Glas-Sets sowie Royal-Doulton-Geschirr mit Goldrand.

»Wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen Sammeln und Horten?«, fragte Alessandro leise, als redete er eher mit sich selbst.

»Ungefähr fünfzig Action-Figuren früher«, antwortete Holly. »Mich wundert, dass sich das Ding nicht für ein Mietdepotgebäude interessiert.«

»Es genießt das Herzeigen«, erklärte Reynard. »Ich bin dieser Kreatur schon ein oder zwei Mal begegnet.«

»Weißt du irgendetwas, das wir benutzen können?«, erkundigte Holly sich. »Wie gehen die Wachen in der Burg mit Dämonen um?«

»Sie dürfen sich nicht unter die übrigen Einwohner mischen. Es gibt gewisse Bereiche in der Burg, die eigens für Dämonen abgeriegelt wurden. Dort können sie keinen Schaden anrichten.«

»Und wenn einer ausbricht?«

»Einem großen Dämon wie diesem sind ein oder auch zwei Wachen nicht gewachsen. Es braucht mindestens ein Dutzend, und das innerhalb der Burg. Ginge es lediglich darum, unseren Freund verhaften zu lassen, hätte Mac Verstärkung geschickt. Doch er kann uns erst helfen, wenn der Dämon sich wieder in der Burg befindet.«

Holly sah ihn verwundert an. »Was habt ihr denn früher in solchen Fällen gemacht?«

»Wir verließen uns auf die Hilfe von Zauberern und Hexen«, gab Reynard mit einem resignierten Seufzer zu. »Unter den alten Wachen waren einige Zauberer, doch die Jahre haben ihren Tribut gefordert. Ich selbst verfüge über ein wenig Magie, jedoch nicht ausreichend hierfür.«

»Ich besitze den Schlüssel, den Belenos hatte«, warf Ashe ein. »Nützt der was?«

»Die Schlüssel wirken nicht bei Feen und den meisten Dämonen«, erwiderte Reynard. »Sie können durch kein Tor, das mit einem der Schlüssel geschaffen wurde. Gegen die gefährlichsten Arten wurden besondere Schutzmaßnahmen ergriffen. Nur zusätzliche Zauberei kann ihnen eine Tür öffnen. Ich könnte allerdings ein Portal mittels Wächtermagie schaffen. Da ginge er hindurch.«

Ashe fluchte. »Also läuft es wie bei dem Hasen: Du öffnest ein Portal, und wir treiben den alten Tony in Macs fürsorgliche Hände?«

Reynard nickte. Holly und Alessandro wechselten Blicke und stimmten zu.

»Wollen wir nach der Urne suchen, solange Schleimi noch nicht aufgekreuzt ist?«, schlug Ashe vor.

»Ich würde lieber erst wissen, wo der Dämon steckt«, wandte Holly ein. »Das hier könnte eine Falle sein.«

»Ja, du hast recht«, pflichtete Reynard ihr bei. »Und ich sollte Mac Bescheid geben, damit er seine Männer bereithält.«

»Warum öffnest du nicht gleich ein Portal?«, fragte Holly. »Ich meine, das ist schließlich der schwierige Teil. Bringen wir ihn hinter uns.«

»Nein, dann wüsste unser Freund, dass ein Wächter im Haus ist. Ihn zu überraschen wäre günstiger.« Er wandte sich zu Ashe. »Darf ich dein Mobiltelefon ausleihen?«

Ashe nahm es aus ihrer Tasche. »Haben sie in der Burg Handyempfang?«

»Nein, die Hunde am Tor geben unsere Nachrichten weiter.«

Reynard klappte das Handy vorsichtig auf, tippte eine Nummer ein und hielt es sich ans Ohr. Ashe nahm es ihm wieder ab, drückte die Wähltaste und reichte es ihm lächelnd. Er bedankte sich mit einem Grinsen. Ashe mochte es, wenn ein Mann über sich selbst lachen konnte. Bei ihm müsste sie nicht ständig einen Eiertanz vollführen.

Während Reynard telefonierte, ging Ashe ein paar Schritte zur Seite. Wir haben den Dämonenschatz gefunden, aber wo steckt der Dämon? Sie schaute den dämmrigen, größtenteils leeren Wandelgang des Einkaufszentrums hinunter. Im Laufe der Jahre hatte sie hier so viel Zeit verbracht, dass sie sich diesem Ort verbunden fühlte und ihn schützen wollte. Sie sah in alle Schaufenster, prüfte, welche noch unversehrt waren. Der Uhren- und der Blumenladen schienen okay, ebenso wie das Brautmodengeschäft.

Sie machte ein paar Schritte auf »Louise’s Weddings« zu und betrachtete das Kleid im Fenster. Erleichtert stellte sie fest, dass ihr Lieblingskleid unverschleimt war. Es handelte sich um ein trägerloses, gerade geschnittenes Modell – schlicht, aber klassisch. Ashe hatte nur eine standesamtliche Trauung gehabt, die schneller vorbei gewesen war, als die Tinte auf den Urkunden trocknete. Eigentlich hielt sie auch gar nichts von allzu viel Brimborium, doch beim Anblick dieses Kleides fand sie, ein klein bisschen mehr Feierlichkeit wäre nicht schlecht. Champagner, Fotografen, Flitterwochen … Sirenen.

Sie hörte, wie sich Sirenen näherten. Noch waren sie weiter weg, aber sie bewegten sich schnell.

Ashe lief zum Eingang, um zu schauen, was dort zu sehen war. Hatte jemand begriffen, dass der Schleim kein simples Problem für die Hausmeister darstellte, und die Cops gerufen? Oder die Feuerwehr, weil er den Gestank mit einem Gasleck verwechselte?

Noch mehr Menschen hier wären gar nicht gut. Mögliche Opfer würde man unwillkürlich der Übernatürlichengemeinde ankreiden, und die Nichtmenschlichen wurden sowieso schon kaum toleriert. Ein Grund mehr, die Sache zu beschleunigen.

»Wir kriegen Gesellschaft«, informierte sie die anderen. »Feuerwehr- oder Polizeiwagen sind hierher unterwegs.«

»Sieh dir das an!« Alessandro zeigte einen anderen Gang hinunter, in dessen Mitte sich der Osterhasenthron befand. Dort hockten sich die Kinder auf den Schoß des Osterhasen und wünschten sich riesige Mengen Schokoladeneier.

Da Ashe derzeit ein angespanntes Verhältnis zu Hasen hatte, war sie froh, dass seine Schlappohrmajestät sich den Rest des Tages freigenommen hatte. »Was ist denn?«, fragte Ashe. Was soll da sein?

Der Thron war umgeben von Plüschküken, Jelly Beans und Papplämmern in absurden Pastelltönen. Im Schaufenster eines nahen Postkartenladens war eine ganz ähnliche Szenerie aufgebaut, ergänzt durch ein winziges österlich dekoriertes Dorf mitsamt Modelleisenbahn.

Als sie näher kam, vernahm Ashe ein schwaches asthmatisches Hauchen, das wohl das Lokomotivenpfeifen sein sollte.

Sie fühlte Alessandro neben sich. Der Vampir bewegte sich vollkommen lautlos. »Das Postkartengeschäft verkauft dieses Osterdorf«, sagte er. »Die Einzelteile sind Sammlerstücke und teuer.«

Plötzlich begriff Ashe, worauf er hinauswollte. Sie zog den Colt, den sie hinten an ihrer Hüfte trug. »Der Laden hat nur eine von den Kirchen. Sie kostet Hunderte von Dollar.«

Alessandros Miene verhärtete sich, während er zu seinem Schwert griff. »Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass unser Dämon sich solch eine Kostbarkeit entgehen lässt. Du?«

Wenige Meter vor dem Ladeneingang verlangsamten sie ihre Schritte, und Ashe riskierte einen Blick hinter sich. Reynard war ihnen gefolgt, seine Waffe gezogen, Holly dicht auf seinen Fersen.

Dann linste Ashe an einem großen Aufsteller mit Souvenir-Bechern vorbei in das Geschäft. Mist! Geiseln!

Tony saß auf dem Kassentresen, ein zufriedenes Grinsen im Gesicht, und packte jeden Karton mit Teilen des Miniaturdorfes aus, die er neben sich aufstellte. Ungefähr zwanzig Kunden und Mitarbeiter kauerten auf dem Boden. Tony benutzte den Laden als Gefangenenraum. Ashe zählte fünf Kinder, die jünger als Eden waren, und zwei alte Frauen. Stumm bedeutete sie den anderen, außer Sichtweite zu bleiben. Er muss den Sicherheitsdienst ausgeschaltet haben, sonst hätte jemand etwas auf einem der Überwachungsmonitore gesehen.

Aber vielleicht hatte jemand heimlich via Handy die Polizei gerufen. Ashe hatte Sirenen gehört. Wo zur Hölle blieben die?

»Mir fehlt immer noch die Brücke«, sagte Tony. Sein freundlicher Gesichtsausdruck übertrug sich nicht auf die Stimme, die schneidend wie ein Dolch klang.

Eine Verkäuferin eilte zu einer Vitrine mit Schiebetüren. Sie öffnete sie und wühlte hektisch durch Dutzende identisch aussehender kleiner Schachteln, deren Etiketten sie las, um die zu finden, die sie brauchte. Schließlich hatte sie die richtige und lief zum Kassentresen. »Hier, bitte, Sir!«

Behutsam öffnete Tony den Deckel, zog einen Styroporklotz hervor, klappte ihn auseinander und nahm eine kleine Steinbrücke heraus, auf welcher der Osterexpress den Fluss überquerte. Ein verzücktes Lächeln trat auf Tonys Züge, erstarb jedoch unvermittelt.

»Da ist ein Sprung drin!« Er hielt die Modellbrücke in die Höhe und zeigte auf etwas, das Ashe nicht sehen konnte, bevor er sich zu der Verkäuferin beugte. »Die ist beschädigt!«

»Ich hole Ihnen eine neue, Sir!«, quietschte die verängstigte Frau und rannte zu der Vitrine zurück.

Gleichzeitig schleuderte der Dämon die Modellbrücke gegen eine andere Vitrine, deren Sicherheitsglas mit einem dröhnenden Knall explodierte und in einem Scherbenregen zu Boden prasselte. Die Verkäuferin schrie auf, und zwei Kinder begannen zu weinen.

»Gib mir eine andere!«, brüllte Tony in einem unwirklichen Bariton.

Ashe nutzte den Moment, um sich unbemerkt in den Laden zu schleichen, gefolgt von Alessandro. Reynard und Holly schlichen zur anderen Seite. Ashe war ziemlich sicher, dass eine Kugel keinen Dämon in Menschengestalt töten konnte, aber sie würde ihm Schmerzen bereiten und ihn vielleicht sogar ohnmächtig machen. Dann brauchten sie Tony nur noch durch ein Portal zu schubsen, und alles wäre erledigt.

Eine Frau schrie auf, als sie Ashes Waffe sah, aber im Weinen der Kinder ging der Laut glücklicherweise unter. Sowie Ashe freie Schussbahn hatte, drückte sie den Abzug. Sie fühlte den Rückstoß und hörte den Knall eine Mikrosekunde später.

Im nächsten Augenblick glitt Tony vom Tresen, eine Kugel zwischen Daumen und Zeigefinger haltend. »Du fängst an, mir auf die Nerven zu fallen!«

Ashe spürte ein Schwingen von Erdenmagie. Holly sammelte ihre Kräfte. Der Göttin sei Dank, dass ihre Magie zurückgekehrt ist! Ashe blickte dem Dämon ins Gesicht, denn er sollte sich tunlichst auf sie konzentrieren. »Tja, du machst mich schon länger stinksauer, also dürften wir quitt sein.«

»Raus hier! Lass mich in Frieden! Dieses Einkaufszentrum gehört mir.«

»Dämonen dürfen keine Immobilien besitzen – nicht mal einen Briefkasten, genau genommen. Egal, welche Verträge du mit Bannerman hast: Sie sind null und nichtig.«

»Das Recht ist auf der Seite des Besitzenden, und glaub mir, Dämonen sind sehr gut im Besitzen!« Er lachte über seinen eigenen Scherz und warf die Kugel beiseite.

»Wozu die Geiseln?«

»Wie ich höre, fährt die Polizei draußen vor.« Tony griente, dass sich Grübchen auf seinen Wangen zeigten. »Geiseln sorgen dafür, dass die Gesetzeshüter sich anständig benehmen.«

Wieder spürte Ashe, wie Holly Erdenergie aufnahm. Sie musste den Dämon weiter hinhalten und ihrer Schwester mehr Zeit verschaffen. »Was warst du, bevor du ein Dämon wurdest?«

»Vermögensschätzer. All die schönen Dinge, und nichts von ihnen war mein. Was für ein trauriges Leben!« Er packte die zweite Schachtel, die ihm die Verkäuferin gebracht hatte. »Jetzt kann ich alles haben, was ich will.«

»Ist dir aufgefallen, dass das meiste Krempel ist?«

Kichernd öffnete er die Schachtel. »Wer sagt, dass es mir um den Geldwert geht? Sachen zu haben, gibt mir ein warmes Glücksgefühl.«

Nun konnte Ashe Holly sehen. Ihre Schwester hatte sich hinter Tony geschlichen und entließ einen Energieschwall. Tony zuckte, als jagten Stromstöße durch seinen Leib, und Rauch stieg aus seinen Poren. Im selben Moment fiel Alessandro mit blitzendem Schwert von der Decke.

»Raus!«, rief Ashe den Geiseln zu. Sie rappelten sich hoch, manche jedoch nur sehr mühsam. Ashe half den beiden alten Damen nach oben und schob sie von der Gefahr fort.

Leider nicht schnell genug.

Wütend schleuderte Tony den Vampir gegen einen Kartenaufsteller. Der Energieschwall warf drei der fliehenden Menschen auf die Knie. Plötzlich war Reynard zur Stelle, der sie aus der Tür zerrte. Noch eine zornige Kraftwelle folgte. Ashe stolperte rückwärts und schlug mit der Schulter gegen einen Regalträger. Sie steckte ihre nutzlose Waffe weg und überlegte fieberhaft.

Die menschliche Gestalt des Dämons verschwamm, ähnlich einem Bild unter Wasser, und die Farben seiner Kleidung wie auch seine Konturen wurden dunkel und unscharf. In der nächsten Sekunde verwandelte er sich in eine Rauchwolke, in deren Wirbeln sich Flügel entfalteten. Sie füllten die gesamte Breite des Ladens aus. Und Ashe meinte, Zähne und einen Schnabel zu sehen.

Gütige Göttin, sie mussten das Ding aufhalten! Vor allem sollten sie ihn von den rennenden Geiseln ablenken. Ashes Blick fiel auf die Miniaturkirche auf dem Tresen, und sie hatte eine Idee. Sie schnappte sich das kleine Kirchenmodell und warf es ihrer Schwester zu. »Fang! Und lauf zum Depot!«

Holly machte große Augen, fing das Ding aber und rannte los. Der Dämon wirbelte herum, wobei Rauchschwaden aus seiner fließenden Form aufstiegen. Er kreischte vor Wut und warf Holly Becher und Minihäuser hinterher.

Reynard ergriff die Gelegenheit, um ein Portal gleich über dem qualmenden Ding zu öffnen. Zornig schlug der Dämon um sich. Postkarten flogen durch die Luft; Briefbeschwerer und Geschenkkartons vollführten wilde Loopings. Irgendetwas traf Ashe am Hinterkopf. Sie torkelte und stolperte über die Kante eines niedrigen Regals. Sobald sie dalag, rieselten alle fliegenden Gegenstände auf sie herab wie besonders gehässiger Schnee: Briefumschläge, Schleifen, Stifte, Notizbücher, Fotorahmen und Baumschmuck. Ashe rollte sich auf den Bauch, hielt schützend beide Hände über ihren Kopf und versuchte, sich auf ihre Knie aufzurichten. Die albernen Postkarten fühlten sich seltsam schwer an, als wären sie aus Stein, nicht aus Papier, und immer mehr von ihnen türmten sich auf ihr. Ashe wollte eine Hand aus dem Haufen strecken, doch die Karten und Umschläge schienen an den Rändern zusammenzukleben. Licht wurde durch den Papierschleier gefiltert, ein Schachbrett in Rosa, Weiß und Blassgrün, in dem Ashe gefangen war wie in einem Kokon.

Sie bekam Panik. Mit jeder ihrer Bewegungen schien die Falle fester zuzuschnappen. Ihre Beine waren zu eingeschnürt, als dass sie hätte treten können. Also zwang sie sich, ruhig zu liegen, und lauschte keuchend. Der ausgetretene Teppichboden war nur Zentimeter von ihrer Nase und ihrem Mund entfernt, und unter ihrer Wange klebte ein alter Kaugummi im Bodenbelag. Künstliches Kirscharoma vertrug sich nicht sonderlich gut mit Dämonengestank, wie Ashe feststellte.

Hören konnte sie rein gar nichts. Der Papierhaufen drückte ihr auf Rücken und Brustkorb und presste sie buchstäblich an den Boden. Ihre Lunge rang brennend nach Luft. Ashe kam es vor, als hätte der Dämon alles auf ihr abgeladen, was er jemals gesammelt hatte.

Nicht einmal mehr ihre Finger konnte sie bewegen. Jeder Nerv ihres Körpers schien in Brand zu sein, flehte sie an, ihre Muskeln zu rühren, doch sie brachte kaum ein Schaudern zustande. Heiße salzige Zornestränen rannen ihr über die Lippen und tropften auf den kratzigen Teppich.

Wo sind die alle? Was ist los? Wieso höre ich keinen Pieps?

Was an Sauerstoff in dem Kokon gewesen war, hatte sie aufgebraucht. Als ihr Sichtfeld sich von den Rändern aus verdunkelte, schloss sie die Augen, denn die kriechende Finsternis musste sie sich nicht unbedingt ansehen.

Ihr Atem ging in schleppenden, rasselnden Stößen.

Und dann stoppte er ganz.