19. Kapitel
Haiti
Christine erwachte mit einem Ruck aus ihrem halb bewusstlosen Schlaf. Sie hatte schlecht geträumt, von ihrem Vater. Er war ihr heimlich gefolgt und hatte sie im Schlaf beobachtet. Dann hatte er die Hand ausgestreckt, um sie …
Benommen schüttelte Christine den Kopf und sah hinauf zu dem hellen Viereck, das unverändert auf sie hinabstarrte wie eine quadratische Sonne.
Wie lange hatte sie geschlafen? Das letzte Mal, als sie die Schachtwände hinaufgesehen hatte, war der Himmel dort oben noch schwarz gewesen. Dazu kam die Frage, wie lange sie überhaupt schon hier unten festsaß. Ein Tag, zwei Tage, eine Woche? Nein, eine Woche konnte es nicht sein, dann wäre sie längst tot.
Stöhnend setzte sie sich auf, ganz behutsam und darauf bedacht, ihr verletztes Bein nicht zu bewegen. Bei dem Sturz in den verborgenen Schacht hatte sie es sich gebrochen. Zumindest nahm sie das an, denn ihr Unterschenkel war stark geschwollen und tiefschwarz angelaufen.
Ein leiser Schmerzensschrei entrang sich ihr, als sie sich auf den Händen und dem gesunden Bein zu der rauen, in den Stein gehauenen Wand des Schachtes schleppte, um sich dort mit dem Rücken anzulehnen. Der Laut klang dumpf und unnatürlich und wurde sofort von den Massen der Felsen um sie herum geschluckt. Christine spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Aber nicht nur vor Schmerz. Immer wieder musste sie an die Nacht denken, in der die Macht der Priesterin versagt hatte und ihre angsterfüllte Flucht über die Felsen des Berges in ihr endgültiges Verderben geführt hatte.
In der Nacht, in der ihre Mutter starb.
Vor ihrem inneren Auge sah Christine, wie der Zombie ihr das Genick brach. Einfach so, als zerdrücke er ein Stück morsches Holz. Sie konnte das grauenvolle Gesicht des Zombies erkennen. Die entstellten Züge ihres Vaters.
Ein Weinkrampf schüttelte Christine und sie schloss die Lider.
Sie wusste, dass sie hier unten sterben würde.
Denn niemand aus ihrem Dorf konnte ahnen, was ihnen zugestoßen war.