16
Char kniff die Hand der Krake zweimal von ihrem Hintern, bevor sie unvermittelt einen Schritt zurücktrat, etwas sagte, was den Mann zornig die Lippen aufeinander pressen ließ, und eilig die Tanzfläche verließ. Statt jedoch zu ihrem Tisch zurückzukehren, stürmte sie in Richtung Tür. Kev erhob sich halb von seinem Platz, doch die Hand, mit der er sich hatte vom Tisch abstützen wollen, griff auf eine kleine Schultertasche, die neben seinem Ellbogen gelegen hatte, und so setzte er sich wieder. Sie käme garantiert zurück. Auf der ganzen Welt gab es keine Frau, die ihren Schatz an Weiberkrimskrams irgendwo zurückließ. Als er jedoch in Richtung des Ausgangs spähte, sah er, dass die Krake Char aus der Kneipe folgte, und er sprang abrupt auf. Er schnappte sich die Handtasche, stopfte sie in den Hosenbund und boxte sich zur Tür. Auf den ersten Blick wirkte der Parkplatz menschenleer. Dann jedoch hörte er Stimmen neben dem Gebäude und hastete dorthin. Der Regen, der sich schon seit ein paar Tagen angekündigt hatte, prasselte inzwischen auf das Holzdach des Red Bull und bildete glänzende Pfützen auf dem schwarzen Asphalt des Parkplatzes. Kev hielt sich dicht an der Wand des Saloons, wo ihn das überhängende Gesims vor der Nässe schützte.
»... ein verklemmtes kleines Luder«, hörte er eine heisere Männerstimme, ehe er um die Ecke des Gebäudes bog.
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Char. »Nur weil ich mich nicht Ihrer so bereitwillig angebotenen Dienste befleißige?«
»He, du würdest jede Menge Spaß mit mir haben. Ich bin ein wirklich heißer Typ.«
Kev bog um die Ecke und sah, dass Char mit dem Rücken an der Wand stand und zornig auf den vor ihr aufragenden Kerl starrte. Sie schnaubte verächtlich. »Das Einzige, was gleich an dir heiß ist, sind deine riesengroßen Ohren. Jetzt hau endlich ab!«
Der Typ jedoch drückte sich stattdessen dicht an sie, löste seine Hände von der Mauer, packte sie bei den Schultern und schüttelte sie unsanft. »Hör zu, du kleine Schlampe ...«
Beim Anblick der in ihr zartes Fleisch gebohrten Finger, war es um Kevs Beherrschung endgültig geschehen. »Du hast gehört, was sie gesagt hat«, zischte er die Krake an. »Sieh zu, dass du Land gewinnst!«
Beide Köpfe fuhren herum und Kev merkte, dass Char nicht gerade begeistert wirkte, als sie sah, wer ihr Racheengel war.
»Wer zum Teufel sind denn Sie?«, knurrte die Krake.
»Derjenige, der dir einen Satz blaue Augen verpassen wird, wenn du sie nicht sofort loslässt.«
Der Kerl starrte ihn blöde an. »Jetzt!«, bellte Kev wie ein bissiger Hund.
»Immer mit der Ruhe«, meinte der jäh ernüchterte Tourist, ließ seine Hände sinken und trat einen Schritt zurück. »Sie ist sowieso eine frigide Zicke.« Mit diesen Worten machte er kehrt und trollte sich durch den Regen davon.
Char stieß sich von der Wand ab, als hätte sie die Absicht, ihn zu verfolgen. »Frigide Zicke? Ich werde dir frigide zeigen, du elendiger Hurenso...«
Kev legte ihr seine Hand unter das Kinn, hob sanft ihr Gesicht an und suchte darin nach Anzeichen für eine Verletzung oder einen Schock. »Ist alles in Ordnung?«
Sie sackte erschöpft gegen die Wand. »Abgesehen von der Tatsache, dass das ein durch und durch beschissener Abend ist?«, fragte sie und fuhr sich müde mit den Händen durch das Haar. »Na, sicher. Es geht mir geradezu fantastisch.«
»Freut mich zu hören, dass es wenigstens einem von uns gut geht. Ich glaube, ich für meinen Teil bin um mindestens zehn Jahre gealtert, als ich mitansehen musste, wie du von diesem Typen angegrabscht worden bist.«
»Ja, sicher, als ob es dich auch nur für fünf Cent interessieren würde, was mit mir passiert.« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Wen versuchst du, mit diesem Gerede zum Narren zu halten – ummph.«
Er hatte ihre Hand umfasst und gab ihr, um ihre Tirade zu unterbrechen, einen vorsichtigen Kuss. Eigentlich hatte er nur die Absicht gehabt, ihr zu beweisen, dass nicht jeder Mann ein Tier war.
Aber vielleicht war er genau das, denn kaum hatte sein Mund ihre weichen Lippen berührt, als eine ungeahnte Hitze ihn durchzuckte. Er presste sie ebenso wie zuvor die Krake unsanft an die Wand und sein plötzliches Verlangen raubte ihm beinahe den Verstand.
Ihr Herzschlag begann zu rasen und sie erwiderte seinen leidenschaftlichen Kuss, schlang ihm die Arme um den Hals und schob ihr rechtes Knie an seinem Bein herauf. Dann jedoch stellte sie den Fuß zurück auf den Asphalt, schubste Kev unsanft von sich und funkelte ihn aus zusammengekniffenen Augen an.
»Nein«, sagte sie tonlos und hielt ihn mit der Hand ein Stückchen von sich ab. »Niemals! So leicht wickelst du mich nicht ein – ich habe von Männern die Nase nämlich gestrichen voll.«
Er rang mühsam um Fassung. »Eine Frau, die von Männern die Nase voll hat, küsst anders.«
»Tja, nun, du hast mich halt in einem schwachen Moment erwischt. Aber von jetzt an wende ich mich lieber ausschließlich an irgendwelche mechanischen Hilfsmittel, wenn mich das körperliche Verlangen überkommt.«
Er lachte erheitert. »Glaubst du nicht, dass das vielleicht ein bisschen einsam ist? Und was ist, wenn die Batterien alle sind? Weißt du, wir Männer haben durchaus unseren Nutzen. Ich gebe zu, ich kann dir vielleicht nichts so Tolles bieten wie der Kraftprotz eben ...«
Als sie prustete, fasste er neuen Mut und fügte hinzu: »Aber ich kann dich offenbar zum Lachen bringen, ich kann dich warm halten, wenn die Nächte kälter werden ...« Seine Stimme wurde leiser. »Und ich kann Gefühle in dir wecken, die du mit keinem mechanischen Hilfsmittel je auch nur annähernd erreichst.«
Ein paar Sekunden musterte sie ihn nachdenklich. Dann jedoch wurde ihre Miene abweisend, der alte Argwohn wallte in ihr auf. »Bitte. Soll ich etwa glauben, dass du plötzlich Interesse an mir hast?«
»Ganz sicher nicht plötzlich. Ich bin schon seit der High School total auf dich fixiert.«
»Du bist ein echter Lügner! Du hast mich immer behandelt, als hätte ich den Sexappeal einer Flasche Olivenöl.«
»Verdammt, ja! Ich wollte fort aus diesem Kaff! Du hingegen nicht, und ich wusste genau, dass du der einzige Mensch gewesen wärst, der mich hier hätte halten können. Das Risiko wollte ich nicht eingehen.« »Ach, nee.« Sie schnaubte verächtlich. »Sehe ich aus, als ob ich auf den Kopf gefallen wäre, Bronsen?«
»Nein. Für mich siehst du aus wie eine durch und durch erwachsene Frau.« Er neigte den Kopf, vergrub seine Nase in Höhe ihrer Schläfe in ihrem blonden Haar und atmete tief ein. »Gott, du riechst einfach fantastisch.«
»Ach ja? Willst du wissen, was ich rieche? Reine, unverfälschte Scheiße.« Sie ergriff eine seiner Hände und schnupperte an seinen Fingern. »Ja. Und diese Hand hat gründlich darin gewühlt.«
Er strich mit den Zähnen über ihr Ohrläppchen und lachte unbekümmert.
»Das ist keine Scheiße, Charlotte«, flüsterte er. »Ich habe dich damals schon begehrt und begehre dich noch heute. Nur, dass ich nicht mehr die gleiche Angst wie damals habe und nicht länger versuche, meine Gefühle für dich zu verbergen.« Er glitt mit seiner Zungenspitze über ihre Ohrmuschel und hauchte: »Das kannst du mir glauben oder nicht. Aber so oder so werde ich nicht eher lockerlassen, als bis ich dich bekomme.«
»Ich an deiner Stelle wäre mir da lieber nicht so sicher, dass das gelingt, Kumpel.« Doch sie setzte sich nicht länger gegen ihn zur Wehr, und als er eine Reihe sanfter Küsse auf ihre Kehle regnen ließ, atmete sie zischend ein und bog ihren Kopf ein Stück nach hinten, damit er leichter Zugang zu ihrem Hals bekam.
Ehe er jedoch zu selbstgefällig werden konnte, vergrub sie die Fäuste in seinem braunen Haar und zog seinen Kopf nach hinten. »Woher soll ich wissen, dass dies nicht nur ein Fall von ›Wenn-ich-die-die-ich-liebe-schon-nicht-kriege-liebe-ich-eben-die-die-ich-kriegen-kann‹ ist? Ist es das, worum es geht? Hat Dru dir einen Korb gegeben oder so?«
»Ich habe mich nie auf diese Weise für Dru interessiert, und das weißt du ganz genau.« Es machte ihn ein wenig wütend, dass sie dachte, er spiele sie gegen ihre beste Freundin aus. »Ich habe sie heute Abend als Freundin eingeladen und ...« Plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie ein Fausthieb, dass genau diese Freundin einfach von ihm im Stich gelassen worden war. »Oh, Mist – Dru!«
Eilig zog er Char um die Ecke des Gebäudes. »Ich bin wirklich ein toller Freund«, schalt er sich auf dem Weg zum Eingang. »Ich war derart auf dich konzentriert, dass ich mich nicht einmal daran erinnern kann, was sie gemacht hat oder wo sie war, als ich ging. Aber ich weiß, dass Carver dort war, und ich habe das ungute Gefühl, dass ich sie, als ich sie allein ließ, dem Wolf zum Fraß vorgeworfen habe.«
Zum dritten Mal in acht Minuten zog J.D. seine alte Taschenuhr hervor.
»Musst du vielleicht noch einen Zug erreichen, Carver?«, fragte Dru ihn trocken.
Er schob die Uhr zurück in seine Tasche, sah sie an und schob eine Strähne ihrer seidig weichen Haare sanft hinter ihr Ohr. »Nein. Ich frage mich nur, wann ich Bronsen endlich als Deserteur bezeichnen und dich mitnehmen kann.«
Selbst im Dämmerlicht der Kneipe konnte er erkennen, dass ihr eine leichte Röte in die Wangen stieg, und er wünschte sich dringend, die Band setze nochmals zu einer langsamen, schmeichelnden Nummer an. Er wollte sie erneut in seine Arme ziehen, wollte den Orangenduft ihres Shampoos riechen, ihre weiche Haut unter seinen Händen spüren.
»Kev kommt sicher gleich zurück«, erklärte sie mit einiger Bestimmtheit.
Das fürchtete er auch, doch er zuckte mit den Schultern. »Trotzdem will ich dich mit nach Hause nehmen.« Er war es einfach leid, ständig zu entflammen, das Feuer jedoch vorzeitig wieder löschen zu müssen, ständig auf der Hut zu sein, ehe das, was sich zwischen ihnen abspielte, seinen natürlichen Verlauf und somit sein natürliches Ende nahm. Nie zuvor in seinem Leben hatte er ein derartiges Verlangen nach einer Frau verspürt und er wollte es endlich stillen.
Verdammt, am liebsten hätte er sie mit Haut und Haaren verschlungen. Er sah ihr in die Augen und unternahm nicht den kleinsten Versuch, seine Gefühle zu verbergen.
Sie griff nach ihrem Bierglas und leerte es in einem einzigen langen Zug.
Er blickte auf den leichten Schaumbart, der von dem Bier auf ihrer Oberlippe zurückgeblieben war, beugte sich nach vorn, hielt dann jedoch inne.
Den Schaum zärtlich abzulecken wäre Bestandteil des Manövers, mit dem der Paarungstanz vorangetrieben wurde. Eine weitere Methode die Begierde anzufachen.
Nur, dass es bei ihm nichts mehr anzufachen gab. Ein Kuss – und schon würde er den Tisch mit einer ausholenden Armbewegung leer fegen, damit er Platz für den Liebesakt bekam. Also streckte er nur die Hand aus, strich mit der Spitze seines Zeigefingers über den dünnen Schaum, hob den Finger an seinen Mund und leckte ihn betont genüsslich ab.
Sie rutschte auf ihrem Stuhl herum und schob sich dabei etwas dichter an ihn heran.
J.D. sprang auf die Füße. »Okay, ich denke, dass du verlassen worden bist. Also bringe ich dich wohl am besten sicher he ...«
»Hey, tut mir Leid, dass ich einfach so verschwunden bin«, ertönte Kevs ungeliebte Stimme und J.D. drehte sich verbiestert zu dem Kerl herum.
Kev war Hand in Hand mit Char hereingekommen, und ohne sie loszulassen, erklärte er der Freundin: »Char hatte ein kleines Problem mit einem Touristen. Ich werde dafür sorgen, dass sie sicher heimkommt. Bist du bereit zu gehen?«
J.D. baute sich dicht vor seinem Widersacher auf und erklärte: »Ich bringe Dru nach Hause.«
Kev reagierte nicht minder aggressiv. »Vergessen Sie es, Carver. Ich habe sie hierher gebracht, also bringe ich sie auch sicher wieder zurück.«
»Um Himmels willen.« Dru beugte sich nach vorn und blickte an J.D. vorbei auf ihren alten Freund. »Wenn der Testosteronspiegel hier drin noch weiter steigt, werden Char und ich Rettungswesten brauchen, um nicht darin zu ertrinken.«
Char pflichtete ihr bei und J.D. und Kev traten jeweils einen Schritt zurück.
Dru bedachte Kev mit einem Lächeln, worauf sich J.D.'s Magen schmerzlich zusammenzog. Dann jedoch erklärte sie: »Es ist wirklich nicht nötig, dass du mich extra heimbringst«, streckte den Arm aus und drückte Kev begütigend die Hand. »J.D. und ich müssen beide den Berg rauf, so dass es keinen Sinn macht, wenn du extra meinetwegen einen Umweg fährst. J.D. wird mich nach Hause bringen. Und du begleitest Char.«
Kev sah sie zweifelnd an. »Bist du sicher?«
»Ja.«
»Okay.« Er legte einen Arm um Chars schmale Schultern. »Dann werden wir jetzt gehen.«
»Wir sprechen uns morgen, Dru«, erklärte Char und wandte sich lächelnd an J.D. »War schön, Sie wieder zu sehen. Danke für den Tanz.«
Und schon waren die beiden verschwunden und J.D.
wandte sich an Dru. »Bist du auch bereit zu gehen?« Wenn sie jetzt Nein sagen würde, brächte er sich um.
Doch sie griff nach ihrer Tasche und stand auf. »Ja.«
Schweigend gingen sie zu seinem Wagen, und sofort, nachdem sie eingestiegen waren, war die Luft in dem alten Mustang von der explosiven sexuellen Spannung zwischen ihnen beiden erfüllt. Tatsächlich hatte J.D. erst die halbe Straße den Berg hinauf geschafft, als er es nicht mehr aushielt, das Fahrzeug in Richtung einer Aussichtsplattform lenkte, die Handbremse anzog und Dru reglos ansah.
»Ich will verdammt sein, wenn ich jetzt versuche, dich wie ein notgeiler Teenie auf dem Rücksitz meines Wagens flachzulegen«, erklärte er ihr tonlos, schlang eine Hand um ihren Nacken und zog ihren Kopf zu sich herüber. »Aber das hier muss einfach sein.« Er presste seinen Mund entschlossen auf ihren.
Sofort teilten sich ihre Lippen und als er seine Zunge tief in ihre Mundhöhle versenkte, keuchte sie leise auf. Ja. Himmel, ja, genau das. Genau das hatte er gebraucht – ihren Geschmack, ihre bereitwillige Reaktion.
Er riss sich, um sie nicht doch noch dazu zu überreden, sich auf dem Rücksitz seines Wagens von ihm lieben zu lassen, mühsam von ihr los, lehnte seine Stirn an ihren Kopf und fragte: »Und wo ist heute Abend Tate?«
»Er übernachtet bei Billy in der Stadt.«
Es gab tatsächlich einen Gott. »Kommst du dann mit zu mir?«
Im Dämmerlicht der Armaturenbrett-Beleuchtung sah sie ihn reglos an. »Ja.«
Beflügelt lenkte er den Mustang zurück auf die Straße, brachte ihn wenige Minuten später hinter seiner Hütte zum Stehen, hüpfte aus dem Auto, nahm mit einem ungeduldigen Sprung die Abkürzung über die Kühlerhaube und riss schwungvoll Drus Tür auf, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Er zog sie eng an seine Brust, schlug mit seiner freien Hand die Tür zu, umfasste ihre Taille, neigte seinen Kopf und küsste sie erneut. Innerhalb weniger Sekunden stand er lichterloh in Flammen und drückte sie, bereit, mit ihr an Ort und Stelle umzusinken, mit dem Rücken gegen den Wagen.
Doch der prasselnde Regen kühlte ihn glücklicherweise leicht ab. Er trat einen Schritt zurück und strich ihr zärtlich das Haar hinter das Ohr. Wenn er sich nicht zusammenriss, würde sie allmählich auf die Idee kommen, er wäre auf dem Gebiet der körperlichen Liebe ein hirnloser, brutaler Macho. Also ließ er es wohl besser mal schön langsam angehen.
Selbst wenn ihn das schier umbrächte.
Er trat einen Schritt zurück, ergriff zärtlich ihre Hand – »Komm rein« –, führte sie über die Veranda und nahm den Schlüssel von dem schmalen Sims über der Tür. »Möchtest du noch ein Bier, eine Tasse Kaffee oder sonst etwas?« Die Hütte wurde von einer einzigen kleinen Lampe über der Küchenzeile in ein schummriges Halbdunkel getaucht.
Dru trat lächelnd ein. »Nein, danke.« Sie warf ihre Tasche auf das Sofa, wandte sich ihm zu, ließ ihre Hände über seine Brust hinaufklettern bis zu seinen Schultern, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn erneut.
Oh, Mann! Er zog sie in seine Arme und richtete sich mit ihr zu seiner ganzen Größe auf, worauf ihre Zehenspitzen gute zehn Zentimeter über dem Boden baumelten.
Es war einfach herrlich, sie zu küssen. Ihre Lippen waren so unglaublich weich und sie schmeckte süßer und frischer als alle Lippen, die er zuvor gekostet hatte. Er hatte gedacht, alle Küsse der Frauen wären ähnlich, doch offensichtlich hatte er bisher immer die falschen Frauen geküsst, denn Drus Lippen hatten einen ganz eigenen, köstlichen Geschmack.
Eine Spur von Unbehagen wallte in ihm auf, er machte sich von ihr los und stellte sie vorsichtig wieder auf die Füße.
Sie glitt an ihm herab, bis sie mit den Fußspitzen auf seinen Stiefeln stand, blinzelte ihn an, und beim Anblick ihrer blauen Augen, ihrer geschwollenen Lippen sowie ihrer verführerisch zerzausten braunen Haare war es abermals um ihn geschehen. Er ließ seine Hände über ihren Rücken zu ihrem Hinterteil gleiten, vergrub seine Finger in den wohl geformten Backen und zog sie dicht an sich heran. Der Stoff ihres Kleides war so dünn, dass er kaum zu spüren war.
»Es überrascht mich, dass du in deinem Aufzug heute Abend keinen Massenauflauf provoziert hast«, erklärte er ihr heiser.
»Gehst du immer in deiner Unterwäsche aus?« Sie lachte. »Das ist keine Unterwäsche, Carver, sondern ein Kleid.«
»Ach ja? Und wo hast du das erstanden – vielleicht in Miss Kitties Bekleidungsgeschäft für laszive Barmädchen? Alles, was noch fehlt, sind Netzstrümpfe, ein Samtband um den Hals und ein Paar altmodischer Knopfstiefel, damit du wie eins der Mädchen aus dem Wilden Westen aussiehst.« Er rieb seinen Körper an ihrem straffen Bauch. »Eins von denen, mit denen sämtliche Cowboys auf ein Zimmer gehen wollten.«
Sie bedachte ihn mit einem Blick, der beinahe einen Herzstillstand bei ihm verursacht hätte und der seinen bereits harten Schwanz tatsächlich noch härter werden ließ. »Du erscheinst mir eher wie der typische Städter als wie der Cowboy-Typ«, erklärte sie ihm leise. »Aber ...« Wieder stellte sie sich auf die Zehenspitzen, küsste ihn auf die Wange und wisperte: »Willst du vielleicht trotzdem mit mir auf ein Zimmer gehen?«
Oh, Mann! Er schlang die Arme um sie und trug sie durch die offene Tür des Schlafzimmers zu seinem Bett.
Butch hatte gewartet, bis J.D. und die Frau um die Hütte herumgegangen waren, bevor er aus seinem am Straßenrand geparkten Wagen gestiegen war. Lautlos hatte er die Tür geschlossen, sich auf Zehenspitzen den dunklen Weg hinaufgeschlichen und, nachdem die Haustür ins Schloss gefallen war, auf der Lichtung gestanden und in Richtung des schwach beleuchteten Gebäudes gespäht. Obwohl er durch das Vorderfenster nur die Umrisse der beiden hatte sehen können, hatte er begriffen, was sie taten. Und dann hatte J.D. die Frau in irgendeinen anderen, von der Lichtung aus nicht einsehbaren Raum geschleppt.
Er hätte gern gewusst, ob die Hütte J.D. oder der Frau gehörte. Am besten würde er warten, um zu sehen, wer von den beiden bliebe und wer das Haus am Schluss verließ.
Ebenso gern hätte er erfahren, was zum Teufel hier oben vor sich ging. Zuerst war da dieser Typ in dem Saloon gewesen, der aussah, als wäre er mit dem braunhaarigen Mädchen gekommen, obgleich er eindeutig hinter der Blondine her gewesen war. Dann hatte die Blondine J.D. angesprochen, dann hatte sich, während Butch auf dem Parkplatz auf J.D. gewartet hatte, der andere Typ an die Blondine rangepirscht, war schließlich mit ihr weggefahren, und danach war J.D. mit der Brünetten aufgetaucht, und hatte es so eilig gehabt, ihr an die Wäsche zu gehen, wie Butch es noch nie bei ihm erlebt hatte.
Er hatte immer gedacht, das Leben in einer Kleinstadt wäre sterbenslangweilig, ein solches Bäumchen-wechsle-dich jedoch hatte er bisher noch nirgendwo erlebt. Wie stellten die Leute das bloß an – wurden die jeweiligen Partner vielleicht allabendlich verlost? Wenn es ansonsten keine Unterhaltung gab, boten die Einheimischen sie sich offensichtlich selbst. Nicht in einer Million Jahre jedoch hätte er gedacht, dass der so anständige, pingelige J.D. an solch einem verruchten Treiben jemals teilnahm.