11
Während des gesamten Nachmittags gingen J.D. ihre Worte ständig durch den Kopf. Auch am Abend und noch am nächsten Morgen kehrte er im Geiste immer wieder zu ihnen zurück. Die Erfüllung eines Traumes? Himmel, niemand träumte von einem lächerlichen Boot.
Die Sonne brannte ihm auf die Schultern, er hörte das leise Klirren eines Windspiels, das jemand über seiner Veranda hängen hatte, und zufrieden schmirgelte er die aufgeplatzte Farbe vom Boden seines Boots. Wie kam sie nur auf einen solchen Blödsinn? Es war einfach ein Projekt, um ihn bei Verstand zu halten, wenn er während seiner offiziellen Arbeit im Hotel auszuflippen drohte.
Er nahm sich eine besonders mitgenommene Stelle an der Kanuoberfläche vor, strich anschließend behutsam mit der Hand über den geglätteten Part und überlegte, wohin er seine erste Ausfahrt unternähme. Vielleicht ans andere Ende des Sees, dessen Ufer völlig wild war. Er fragte sich, ob es in der winzigen Bibliothek oben im Hotel wohl Bücher über Boote gäbe. Falls nicht, führe er am besten in den Ort, um sich eins zu kaufen. Es machte sich stets bezahlt, so viele Informationen wie möglich zusammenzutragen, um eine Sache ordentlich zu machen. Das hatte nichts mit Träumen zu tun, sondern zeugte schlicht von Vernunft.
Gerade als er überlegte, ob er eine kurze Pause machen sollte, kam Ben den Weg heraufspaziert. J.D. legte das Schmirgelpapier zur Seite, richtete sich auf, schirmte seine Augen mit den Händen gegen die Sonne ab und wartete auf ihn.
Ben nickte, reichte ihm ein Bier und blickte auf das umgedreht auf zwei Sägeböcken ruhende Gefährt. »Wie ich höre und sehe, haben Sie sich ein altes Boot gekauft, das Sie wieder auf Vordermann bringen wollen.«
J.D. bedachte ihn mit einem argwöhnischen Blick. »Also haben Sie sich gedacht, Sie sollten rüberkommen und mir ein paar Ratschläge erteilen?«
»Nein.« Ben öffnete seine eigene Flasche und zündete sich eine Zigarette an. »Sophie mag Sie und es macht sie traurig, dass Sie wütend auf uns sind.« Er schob das Feuerzeug zurück in seine Tasche und sah J.D. in die Augen. »Wir haben dieses neue Sprichwort: Wenn Sophie nicht zufrieden ist, kann es auch niemand anderer sein. Also dachte ich, ich komme rüber und reinige die Luft.«
»Was eine ziemlich ironische Bemerkung ist angesichts der Tatsache, dass Sie mit einer Zigarette vor mir stehen.«
»Himmel, erzählen Sie mir nicht, dass Sie einer dieser Gesundheitsfanatiker sind. Ich benehme mich inzwischen politisch derart korrekt, dass ich mich nur noch mit Mühe wieder erkenne. Ich rauche weder in Restaurants noch in meinem Auto. Ich rauche überhaupt nicht mehr in geschlossenen Räumen und selbst draußen tue ich es nur noch, wenn Tate nicht in der Nähe ist. Allerdings will ich verdammt sein, wenn ich Ihretwegen nun auch noch draußen auf diesen Spaß verzichte. Ich stelle mich so, dass der Wind den Rauch nicht in Ihre Richtung pustet. Ist das okay?«
»Ja. Danke.«
»Nicht der Rede wert. Also, ich bin gekommen, um mich mit Ihnen zu vertragen. Dass ich einen Anwalt kontaktiert habe, hatte nichts mit Ihnen oder Edwinas Testament zu tun. Dru ...« Er unterbrach sich und fixierte J.D. scharf. »Aber das bleibt unter uns, verstanden?«
»Kein Problem.«
»Gut. Dru wird in ein paar Wochen dreißig und ich habe Henry Briggs gebeten zu gucken, wie wir ihr am geschicktesten dreißig Prozent unserer Anteile an dem Unternehmen übertragen, um sie endlich zur Miteigentümerin zu machen. Wenn ich es ihr, als Sie dabei waren, bereits erzählt hätte, wäre es keine Überraschung mehr für sie.«
J.D. stellte seine Flasche auf einen der Sägeböcke, auf denen das umgedrehte Kanu lag. Langsam, aber sicher wallte heißer Zorn in seinem Inneren auf. »Halten Sie mich vielleicht für einen Vollidioten? Noch bevor ich den Anruf überhaupt erwähnt hatte, haben Sie sich mir gegenüber total anders benommen als zuvor.« Er starrte sein Gegenüber böse an. »Ich bin nicht von gestern, also tun Sie uns beide den Gefallen und versuchen Sie am besten gar nicht erst, mich zu verarschen.«
»Und ob Sie ein Idiot sind, Carver, wenn Sie mich für einen solchen Feigling halten, dass ich hinter Ihrem Rücken versuche, Ihnen Ihren Anspruch streitig zu machen. Mein verändertes Verhalten Ihnen gegenüber hatte nichts mit Ihrem Erbe zu tun. Das lag einfach daran, dass Sie sich, wie man mir erzählt hat, an Dru herangemacht haben.«
J.D. verschlug es kurz die Sprache, doch dann polterte er: »Ich mich an sie herangemacht! Das ist eine hanebüchene Unterstellung – ich habe sie lediglich ein einziges Mal geküsst!«
»Tja, nun, sie ist und bleibt eben mein Baby und ...«
»Sie haben gesagt, sie wird in ein paar Wochen dreißig!«
»Ich weiß, wie alt sie wird!«, brüllte Ben ihn zornig an. »Aber glauben Sie vielleicht, dass das einen Unterschied für mich machen würde?« Dann holte er tief Luft. »Wenn es um die Familie geht, hört man eben nie auf, sich Sorgen zu machen, okay?«
»Wie Sie meinen.« J.D. zuckte mit den Schultern, fügte jedoch leicht verbittert hinzu: »Aber was Sie damit sagen wollen, ist, dass ich nicht gut genug für Ihre Kleine bin, richtig?« Er hatte doch gewusst, dass das Schauspiel von der großen glücklichen Familie, zu der er mit einem Mal gehörte, nichts als eine Masche gewesen war.
Ben trat wütend einen Schritt nach vorn, riss sich dann aber zusammen. »Das stimmt, Sie erscheinen mir nicht gerade wie der Typ, der sich auf Dauer festlegt.« Er zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, rieb das Papier zwischen seinen Fingern, bis die letzte Asche herausfiel, trat diese noch einmal aus, schob sich den Filter in die Tasche und musterte J.D. mit einem skeptischen Blick. »Oder wollen Sie mir erzählen, dass ich Ihnen damit Unrecht tue?«
»Nein. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber was muss ein Mann tun, um Ihre Nichte küssen zu dürfen -vielleicht eine Erklärung unterschreiben, dass er sie bis an ihr Lebensende lieben und in Ehren halten wird?«
Ben murmelte einen deftigen Fluch und fuhr sich ärgerlich durch die dichten, graumelierten Haare. »Jetzt klingen Sie wie Sophie. Ich behaupte ja nicht, dass das, was ich empfinde, unbedingt vernünftig ist. Ich sage Ihnen nur, dass meine Gefühle der Grund für meine veränderte Haltung Ihnen gegenüber waren.«
»Das ist zumindest fair«, gestand J.D., wenn auch widerwillig ein und fragte sich, was Ben jetzt von ihm erwartete.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, seufzte Ben. »Ich werde mich aus der Sache zwischen Ihnen und der Kleinen heraushalten, wenn Sie sich bereit erklären, dafür ab und zu bei Soph vorbeizuschauen. Aus irgendeinem Grund hat sie eine richtiggehende Schwäche für Sie entwickelt.« Unvermittelt verzog er den Mund zu einem etwas schiefen, doch ehrlich warmen Lächeln. »Außerdem habe ich Dru noch nie an irgendetwas hindern können, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Und wie mir regelmäßig von allen möglichen Leuten in Erinnerung gerufen wird, ist sie eine erwachsene Frau mit einem eigenen Willen. Also schätze ich, wenn sie sich von Ihnen küssen lassen möchte, tut sie das sowieso.«
»Glauben Sie nicht, dass ich dabei auch noch ein Wörtchen mitzureden habe?«
Ben musterte ihn wortlos, jedoch eindeutig mit der Frage, wen er mit diesem Satz überzeugen wollte, worauf J.D. unweigerlich ebenfalls schief grinste. »Okay, wenn Dru will, dass ich sie küsse, werde ich es höchstwahrscheinlich tun.« Der Gedanke, dass sie mit einer solchen Bitte zu ihm kommen könnte, rief sofortiges Verlangen in ihm wach. Dann jedoch zwang er seine Überlegungen in die Wirklichkeit zurück. »Aber falls es Ihnen ein Trost ist, hat keiner von uns die Absicht, es dazu kommen zu lassen. Der eine Kuss hat sich nur rein zufällig ergeben.«
Ben schnaubte verächtlich. »Red dir das nur immer weiter ein, Kumpel.« Er nahm einen letzten Zug aus seiner Flasche, wandte sich zum Gehen und rief zum Abschied über seine Schulter: »Und vergessen Sie nicht, Sophie zu besuchen.«
J.D. schaute ihm hinterher, bis er auf dem Pfad verschwunden war. Ein Gespräch wie das eben geführte war völlig neu für ihn. Der Typ Frau, den er normalerweise küsste, rief für gewöhnlich keine besorgten männlichen Verwandten auf den Plan.
Schulterzuckend drehte er sich um, sammelte sein Werkzeug ein und ging zurück in seine Hütte. Ebenso gut könnte er tatsächlich eine Pause machen und gucken, ob er irgendwelche Bücher über Kanus und Bootsbau fand.
Als er an seinem Esszimmertisch vorbeikam, fiel ihm die bunte Postkarte, die er für Butch gekauft hatte, ins Auge, er blieb stehen und nahm sie in die Hand. Auf die Rückseite hatte er geschrieben: Ich bin froh, dass du nicht hier bist, und in Gedanken an ihr letztes Telefongespräch spontan hinzugefügt: Aber trotzdem erwarte ich immer noch täglich, dein Gesicht in den Abendnachrichten zu sehen. Er hatte die Karte adressiert, obwohl er wahrscheinlich niemals so weit ginge, tatsächlich eine Briefmarke zu kaufen. Zwar sollte der erste Satz ein Scherz sein, aber im Grunde war er wirklich froh, dass Butch nicht in der Nähe war.
Dieser Ort war Welten von seiner alten Nachbarschaft und dem dortigen Treiben entfernt. Die abendliche Stille war für ihn nach wie vor noch gewöhnungsbedürftig, aber während des Tages war es schön, Vogelgezwitscher statt Autolärm zu hören und statt in den Gestank von Abgasen und Dreck in den Duft wild wachsender Pflanzen eingehüllt zu sein. Es war eine reine, unschuldige Umgebung, und er hatte nicht den Wunsch zu erleben, wie Menschen seiner Vergangenheit sie womöglich korrumpierten.
Er lehnte die Karte gegen die auf dem Tisch stehende Vase mit dem Strauß inzwischen leicht verwelkter Blumen und ging, um sich zu waschen, hinüber ins Bad.
»Herein!«, rief Dru, als es bei ihr klopfte, bedachte die hereinkommende Char mit einem Lächeln und nahm ihr zusammengerolltes Handtuch von der Couch. »Ich bin fast fertig. Ich muss nur noch meine Sonnenbrille finden.«
»Aber hallo!« Char betrat die Wohnung. »Ich wusste gar nicht, dass du dir einen neuen Badeanzug gekauft hast.«
»Ich habe ihn gestern, nachdem wir uns bei Bronsens getroffen haben, gefunden. An meinem alten Badeanzug war der Stoff hintenrum bereits ziemlich dünn.« Sie wollte hundertprozentig ausschließen, dass J.D. sie je noch einmal darin sähe. Dann jedoch verdrängte sie diesen Gedanken und baute sich wie ein Mannequin vor ihrer Freundin auf. »Also, wie gefällt er dir?«
Char reckte einen Daumen in die Höhe und nickte anerkennend. »Wirklich proper.«
Dru begann zu grinsen. »Dieses Wort habe ich nicht mehr gehört, seit dein Opa gestorben ist.«
»Ich weiß, aber es passt. Was ich bisher sehe, sieht wirklich super aus. Lass die Shorts fallen und ich werde dir sagen, was für einen Gesamteindruck ich habe.«
Dru gluckste amüsiert. »Ich bin froh, dass dich hier niemand hört – so fangen nämlich die meisten Gerüchte an.«
»Angesichts der Tatsache, dass wir beide schon viel zu lange keine Verabredung mehr hatten, bräuchten die Leute sicher nicht viel Fantasie, um voreilig den falschen Schluss zu ziehen. Also formuliere ich meine Bitte vielleicht besser um. Zeig mir den Badeanzug in seiner Gesamtheit«, bat Char mit affektierter Stimme, »damit ich den Gesamteindruck beurteilen kann.«
»Ich werde ihn dir zeigen, wenn wir unten am See sind. Ich habe nämlich keine Lust, die Shorts, die ich gerade angezogen habe, noch einmal auszuziehen.« Sie schnappte sich ihre Sonnenbrille von der Durchreiche zur Küche.
»Ich will das blöde Ding sowieso nicht sehen.«
Dru lachte erneut. »Du bist eine elendige Lügnerin, Mc-Kenna. Wahrscheinlich überlegst du schon die ganze Zeit, wo du einen noch tolleren Badeanzug findest, um mich ausstechen zu können.«
»Verdammt. Es ist geradezu widerlich, wenn ein anderer einen so gut kennt.«
Sie feixten einander an und wandten sich zum Gehen.
Kurze Zeit später breiteten sie ihre Handtücher am Ende des Lawrenceschen Privatstegs aus. Char rollte sich auf den Bauch, verteilte ihre Wasserflasche, ihre Zeitschriften und ihre Sonnenmilch um sich und blickte zu Dru auf, die nun endlich aus ihren Shorts stieg. »Wo ist eigentlich Tate?« »Er hat bei Billy übernachtet und ist immer noch dort. Mary wollte ihn eigentlich vorhin schon bringen, aber die Jungen haben einen solchen Spaß, dass sie angerufen hat, um mich zu fragen, ob er nicht bis zum Abendessen bleiben kann.« Sie warf die Hose achtlos auf die Planken und blickte über ihre Schulter kritisch an sich herab. »Also, sei ehrlich – sieht mein Hintern in dem Leopardenmuster fett aus?«
»Das ist ja ein Tankini! Ich dachte, es wäre ein Einteiler. Wie schick. Und nein, du siehst fantastisch aus. Was hast du nur immer mit deinem Hintern? Ich wünschte, ich hätte nur die Hälfte deiner Rundungen.«
»Das wünschte ich mir auch.«
Lachend warf Char ihr die Sonnenmilchflasche zu. »Hier, creme mir mal den Rücken ein, ja?«
Dru kniete sich hinter sie und schüttelte ein wenig von der Milch in ihre Hand.
»Ich konnte es einfach nicht glauben, dass du mich gestern einfach mit Kev allein gelassen hast«, brummelte Char in ihre gekreuzten Arme. »Vielen Dank – du bist mir eine wirklich gute Freundin.«
Dru hielt verdutzt inne. »Ist das dein Ernst? Ich habe lautstark verkündet, dass ich gehe, und keiner von euch beiden hat auch nur geblinzelt. Himmel, ich habe zu J.D. gesagt, er würde sich irren, aber er hat euch tatsächlich richtig eingeschätzt. Du und Kev wart derart aufeinander konzentriert, dass ich eine Bombe hätte zünden können, ohne dass es euch aufgefallen wäre.«
Char rollte sich auf den Rücken. »Was sagst du da?«
»Dass ihr beide total in einer Art verbalem Vorspiel versunken wart.«
»Bist du vollkommen wahnsinnig geworden?«
»Schon möglich. Aber in dieser Sache liege ich eindeutig richtig.« Dru hockte sich auf die Fersen, verteilte die restliche Sonnenmilch in ihren Händen auf ihren eigenen Armen und sah die Freundin an. »Die Luft zwischen euch beiden hat regelrecht geknistert, Char. Und zwar war die Spannung eindeutig sexueller Art. Bist du schon auf der High School heiß auf ihn gewesen oder ist diese Entwicklung neu?«
»Ich bin ganz bestimmt nicht heiß auf einen Kerl wie Kev!«
»Dann willst du es also weiter leugnen?«
»Verdammt, Dru, vergiss es. Wir kommen einfach nicht miteinander zurecht. Wir sind noch nie miteinander zurechtgekommen, das weißt du ganz genau.« Der Blick der Freundin schien ihr zu missfallen, denn sie fügte kämpferisch hinzu: »Wenn du derart versessen darauf bist, über solche Dinge zu reden, weshalb erzählst du mir dann nicht, was sich zwischen dir und J.D. Carver abspielt?«
»Wenn du erwartest, dass ich jetzt in Abwehrhaltung gehe, dann muss ich dich enttäuschen. Denn die Wahrheit ist, dass ich wohl in ziemlich tiefen Schwierigkeiten stecke – und zwar nicht nur deshalb, weil Tate Mary erzählt hat, dass J.D. mich geküsst hat, weshalb inzwischen sicherlich der ganze Ort Bescheid weiß. Ich fühle mich körperlich zu ihm hingezogen. Das ist das erste Problem. Inzwischen kommt das zweite hinzu: Ich merke, dass mehr in ihm steckt, als ich bisher dachte.«
»Was zum Beispiel?«
Dru setzte sich auf ihr Handtuch und verteilte Sonnenmilch auf ihren Beinen. »Normalerweise ist er derart beherrscht, dass es schwer ist, auch nur zu erahnen, was für ein Typ er ist. Aber ab und zu blitzt hinter der steinernen Fassade ein grundehrlicher Mensch auf. Jemand Einsames, der im Leben nichts geschenkt bekommen hat. Erinnerst du dich an meine Erzählung, wie seine Reaktion auf Tante Sophies Crème Brulée war?«
»Alles, woran ich mich erinnere, ist, dass er beinahe die Schüssel ausgeleckt hätte.«
»Dann habe ich also nicht erwähnt, dass der Gesichtsausdruck, mit dem er die Köstlichkeit verputzt hat, mir deutlich gemacht hat, dass er als Kind sicher vieles nicht hatte, was für dich und mich völlig normal war?«
»Nein. Seltsam, dass du diesen Teil bisher für dich behalten hast.«
»Tja, nun ...« Dru rutschte unbehaglich auf ihrem Platz herum. »Wie dem auch sei. Gestern hat er dieses alte Kanu gekauft, das seit Monaten hinten in der Drogerie hing.«
»Das Wrack, das Freds Enkel gehört?«
»Ja. Nur, dass man angesichts seiner Begeisterung hätte denken können, es wäre ein brandneues, leuchtend rot lackiertes Rennboot und er wäre nicht älter als Tate.« Sie lachte leise auf. »Wahrscheinlich würde er eher in rosa Rüschen durch die Gegend laufen als es zuzugeben, aber man hat es ihm überdeutlich angesehen, Char, und am liebsten hätte ich ihm dafür die Arme um den Hals geschlungen und ihn geküsst.«
Char blinzelte die Freundin über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg an. »Und warum hast du es nicht getan?«
»Verdammt. Es war einfach ein erschreckender Gedanke. Schließlich kann ich mich nach der Sache mit Tony auf meine Urteilskraft in Bezug auf Männer nicht unbedingt verlassen.«
»Um Himmels willen, Dru, damals warst du neunzehn! Nächsten Monat wirst du dreißig, und ich nehme an, dass deine Fähigkeit, den Charakter eines Mannes zu beurteilen, mit den Jahren durchaus zugenommen hat.«
»Das sollte man zumindest meinen. Ich bin sicher, dass das auf die meisten Frauen auch tatsächlich zutrifft. Aber bei mir bin ich mir absolut nicht sicher.«
»Na und? Dann willst du es also nicht einmal versuchen? Dann willst du also nicht mal gucken, wohin die Sache vielleicht führt? Das Schlimmste, was dir passieren könnte, wäre, dass er dich früher oder später flach legt.«
»Nein, das wäre das Beste, was mir passieren könnte. Ich erinnere mich daran, dass mir Sex durchaus gefallen hat, und sicher ist es dasselbe wie beim Fahrrad fahren – egal, wie lange man es nicht mehr getan hat, fällt einem automatisch alles wieder ein. Nein, das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass ich die Zeichen der Verletzlichkeit, die ich bei ihm zu sehen glaube, falsch deute, und dass er mir genau wie Tony das Herz bricht. Ich habe zu viele Jahre damit zugebracht, Tate und mir ein angenehmes, ruhiges Leben einzurichten, um mich jetzt blind in einen emotionalen Abgrund stürzen zu können.«
»Eine wirklich tolle Metapher. Vielleicht ein bisschen pessimistisch, aber äußerst bildhaft.«
»Ach ja?« Dru musterte Char nachdenklich. »Ich gebe unumwunden zu, dass ich bei dem Gedanken panisch werde, mein emotionales Gleichgewicht durch eine Beziehung mit J.D. Carver zu gefährden. Aber wenigstens leugne ich nicht, dass zwischen uns beiden irgendetwas ist.«
Wodurch das Gespräch beendet wurde, denn Char war nicht bereit, in Bezug auf sich und Kevin ebenso weit zu gehen. Trotzdem dachte Dru später, als sie wieder allein war, noch einmal gründlich über die ganze Sache nach.
War sie wirklich feige, weil sie es nicht einmal versuchte? Vielleicht hatte J.D. tatsächlich die Tiefe, die sie ihm inzwischen zuschrieb. Tate war verrückt nach ihm und Tante Sophie schien ihn ebenfalls zu mögen.
Natürlich war Tate auch verrückt nach Schlangen und Tante Sophie war ein Opfer ihrer peinigenden Hormone und verfügte deshalb sicher nicht über die beste Urteilskraft der Welt.
Verträumt dachte sie an den verführerischen Anblick von J.D. mit seinem Werkzeuggürtel, wie er all die Dinge reparierte, die bereits vor Monaten kaputt gegangen waren. Dann jedoch riss sie sich zusammen.
Ein Talent als Schreiner war sicherlich kein Grund, sich mit einem Typen einzulassen, mit dem man ansonsten fast nur Scherereien hatte. Es gab jede Menge Handwerker in Star Lake, die die gleiche Arbeit machten ... auch wenn keiner von ihnen besonders zuverlässig war. Nein, J.D. war ganz bestimmt die Garantie für elendigen Herzschmerz.
Also wäre es vernünftig, ihn weiträumig zu meiden, bis sich ihr Verlangen nach ihm legte.
Und sie war eine durch und durch vernünftige Person.