Helmuts Mutter wird deportiert

September 1944

 

Nach den Deportationen zwischen Herbst 1941 und Sommer 1942 leben nur noch Juden in Wuppertal, die mit einem »arischen« Ehepartner verheiratet sind oder einen »arischen« Elternteil haben. Wuppertal gehört zum Gestapo-Bezirk Düsseldorf, und dort gilt im September 1944 unter dem Druck der herannahenden Front der Alliierten der sogenannte »Gutenberger-Befehl«.

Der »HSSPF« (Höherer SS- und Polizeiführer) Karl Gutenberger hat aufgrund der durch die Kriegsfolgen immer schwieriger werdenden Verkehrs- und Kommunikationslage von Reichsführer-SS Heinrich Himmler die direkte Befehlsgewalt erhalten. Gutenberger verfügt, »sämtliche in den Regierungsbezirken Köln, Düsseldorf und Aachen verbliebenen Juden zusammenzufassen und zu erschießen. Der Befehl wurde vom Chef der Düsseldorfer Gestapo, Gustav Nosske, und dem Inspekteur der Sicherheitspolizei im Wehrkreis VI, Walther Albath, jedoch nicht ausgeführt.«62

Am 17. September 1944 steht die Gestapo mittags vor der Tür des Hauses in Wuppertal, in dem Heinz und Carola Crott nach der Bombardierung bei Bekannten untergekommen sind. Die Männer in den langen schwarzen Mänteln teilen Carola Crott, geborene Callmann, mit, dass sie ihre Sachen zu packen hat und sich bis 16 Uhr zum Abmarsch fertig machen muss.

Heinz Crott ist erst acht Tage später in der Lage, dem Sohn zu berichten, was seiner Frau und ihm an jenem Tag widerfahren ist. Er muss das in verschlüsselter Form tun, weil er natürlich weiß, dass die Zensur im ganzen Reich mitliest. Und da die Feldpost bis nach Norwegen nun vier Wochen braucht, erfährt Helmut erst Ende Oktober, dass seine Mutter deportiert worden ist:

 

Mein lieber Helmut, schon längst hätte ich Deine Nr. 31 beantwortet, aber meine Stimmung war nicht dazu. Du kennst doch die Frau, die Du von jeher die halbe Portion nennst??? Denk Dir nur, sie ist vergangenen Sonntag ganz unerwartet zum Arbeitseinsatz von der Adolf-Hitler-Str. herangezogen worden. Um 13 Uhr kam der Bescheid, und um 16 Uhr musste sie schon mit 10 kg Gepäck, Lebensmittelkarten und für 3 Tage Marschverpflegung antreten. Ihr Mann hat sie begleitet und ist auch mit nach Düsseldorf gefahren, von wo der Zug am nächsten Tage nach Thüringen abgegangen ist. Frau W. und verschiedene andere, die zufällig außerhalb waren, sind bisher nicht weiter behelligt worden, aber aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Es liest sich hier so nüchtern, aber das Drum und Dran von Sonntagmittag bis Montagmorgen war für Frau und Mann gräßlich, zumal auch der Aufenthalt während der letzten Nacht in Düsseldorf alles andere als menschenwürdig war.

Was soll die Frau, die stets umhegt wurde, nun arbeiten?? Vom Bestimmungsort liegt noch keine Nachricht vor. Nur ist eine Karte von unterwegs eingegangen, aus der hervorgeht, daß sie sogar, wohl zufällig, in der zweiten Klasse befördert werden, aber unter großem Durst leiden. Der Mann von der halben Portion hat sich schon mit 8–10 Herren in gleicher Lage in Verbindung gesetzt, die sich alle in hervorragender Position befinden. Ein leitender Herr eines hiesigen großen Werkes, ein Dr. chem., ferner ein Fabrikant und noch 2–3 Leute gehören zum engeren Stab, die alles versuchen werden und jedenfalls die Augen offen halten. Schade nur, daß die Frau so pessimistisch war und keinerlei Hoffnung aufbringen konnte. Du warst ja immer ihr besonderer Verzug, und ihr letzter Gruß vor dem Abschied von dem Ehemann galt Dir!!!