Totaler Arbeitseinsatz im totalen Krieg

April 1943

 

Nach der Niederlage der Deutschen in Stalingrad im Januar 1943 wird nicht nur im Reich der totale Einsatz für den totalen Krieg gefordert. Schon zwei Wochen vor Goebbels’ Rede am 18. Februar im Sportpalast hatte Vidkun Quisling eine Ergebenheitsadresse an Hitler geschickt, in der er betont, dass auch das norwegische Volk durch vermehrte Arbeit zum deutschen Sieg beitragen wolle.

Reichskommissar Terboven fordert den Ministerpräsidenten auf, alle notwendigen administrativen und gesetzlichen Maßnahmen zur totalen Mobilisierung der norwegischen Wirtschaft zu treffen. Dazu soll ein Gesetz der »nationalen Regierung« über die Arbeitspflicht nach deutschem Vorbild gehören, das alle Männer zwischen 18 und 55 und alle Frauen zwischen 21 und 40 Jahren erfassen soll.

Im Februar wird das neue Gesetz bekannt gegeben. Quisling macht jedem Norweger deutlich, welche Opfer nun zu erbringen seien, »damit das norwegische Volk geschlossen und ohne Rücksicht auf Geburt und Vermögen, auf Stand und Stellung alle Kräfte in den Kampf auf Leben und Tod, welchen Europa jetzt gegen den Bolschewismus«52 führe, einsetzen könne.

Im April 1943 erreichen Quislings Gesetze auch die Familie Berthung.

Als Lillian eines Nachmittags von der Handelsschule nach Hause kommt, überreicht ihr die Mutter einen Brief. Lillian schaut erstaunt auf den grauen Umschlag. »Arbeitsvermittlung? Was soll das?« Sie reißt den Brief auf.

 

Lillian Berthung,

geboren am 20.8.1922, Handelsschulschülerin,

ist heute als meldepflichtig registriert in Hinblick auf das Gesetz Nr. 1 im Zusammenhang mit dem Gesetz über den nationalen Arbeitseinsatz.

 

»Das kann doch nicht wahr sein«, ruft Annie, »was für ein Arbeitseinsatz soll das denn sein? Steht die Nasjonal Samling dahinter? Oder die Deutschen?«

Lillian ist schon auf dem Weg nach draußen. »Ich muss Blanche fragen, ob sie auch so einen Brief bekommen hat.« Und tatsächlich, auch ihre Freundin soll sich sofort bei dieser Arbeitsvermittlung melden.

Am Abend erinnert sich John, dass er vor einiger Zeit irgendetwas über ein Gesetz zum nationalen Arbeitseinsatz gelesen hat. Aber auch wenn er sich nicht weiter damit beschäftigt hat, so rät er Lillian doch, auf das Amt zu gehen.

Am nächsten Tag gehen Lillian und Blanche gemeinsam in das graue Amtsgebäude in der Storgate. Dort werden sie schon erwartet. Man teilt ihnen mit, dass sie zunächst einmal für vier Wochen Landarbeit eingeteilt sind. Der Vorsitzende des Arbeitskontors sieht die acht jungen Männer und Frauen, die sich vor ihm versammelt haben, nicht besonders freundlich an. »Später bekommt ihr noch Bescheid über einen weiteren Arbeitseinsatz. Wer von euch kann Deutsch? Wir brauchen überall Arbeitskräfte, und wir müssen auch für die Wehrmacht Mitarbeiter besorgen.«

Lillian und Blanche erhalten die Mitteilung, dass ihr Einsatz am 1. Juli beginnen soll, gleich nach dem Examen an der Handelsschule.

Am Abend sind Helmut und Lillian vor dem Kino verabredet. Heute läuft der Ilse-Werner-Film »Wir machen Musik«. Lillian hat ihn schon einmal mit Helmut gesehen. Aber das macht nichts. Große Auswahl gibt es in Harstad nicht, vor allem weil jetzt nur noch deutsche Filme gezeigt werden. Und die Hauptsache ist ja sowieso, dass man zusammen sein kann.

Wie immer hat Helmut Karten für die Plätze 109 und 110 gekauft. Wenn nur die Wochenschau schon vorüber wäre. Nach der scheppernden Fanfare: Heldengedenktag in Berlin. Der Führer. Der Reichsmarschall. Der Reichsführer-SS. Die ganzen Ritterkreuzträger. U-Boot auf Geleitzug-Jagd im Nordatlantik. Bei unseren Soldaten in Griechenland. Schlacht um Charkow. Unsere Luftwaffe. Bomben. Feuer. Donner. Rauch. Schwere Verluste. Am Schluss essen die Soldaten Brote in der besetzten russischen Stadt.

Lillian sieht sich um. Ob jemand merkt, dass auch sie gerade ein Wehrmachtsleberwurstbrot isst? Helmut bringt ihr die Brote mit ins Kino. »Dein Theater-Konfekt«, sagt er dann immer und lacht.

Das Kino ist voll mit deutschen Soldaten. Und einigen jungen norwegischen Frauen. Lillian sieht das mit Unbehagen, denn sie weiß, dass einige keinen guten Ruf haben. Auch Anna Knudson ist im Kino, die seit ein paar Monaten die Freundin und Sekretärin von Gestapochef Ottlinger sein soll. Lillian kann sich nur allzu gut vorstellen, wie furchtbar das für Annas Vater sein muss, der bekanntermaßen Kommunist ist. Es wird über alle Frauen abschätzig geredet, die sich mit Deutschen einlassen. Lillian ist sich bewusst, dass nun auch sie dazugehört.