Lillian im Arbeitsdienst

Juli 1943

 

Lillian pumpt die Reifen ihres Fahrrads auf. Es sind zwar nur 10 Kilometer, aber sicher ist sicher. Den Rucksack hat sie schon auf dem Rücken. Ihr Vater kommt aus dem Haus. Seit John Berthung von der Beziehung seiner Tochter zu Helmut weiß, ist er ihr gegenüber sehr zurückhaltend. Aber jetzt meint sie doch zu spüren, dass er unglücklich ist.

Lillian umarmt ihn. »Nur vier Wochen, Papa.« Mutter, Pus und Bjørn bekommen einen Kuss. Dann schwingt sich Lillian auf ihr Rad und fährt los.

 

Zunächst ist es genau derselbe Weg wie zur Hütte. Auf der Samagate trifft sie Blanche. Die beiden werden zusammen arbeiten. Das haben nicht nur sie mit Erleichterung aufgenommen, sondern auch ihre Familien. An der Gabelung, an der es links zur Hütte geht, biegen die beiden jungen Frauen nach rechts auf den Ervikveien. Dann geht es am Møkkelandsee weiter nach Kasfjord. Und da ist auch schon ihr Ziel, der Hof von Trygve Lund. Das alte Haus liegt oben am Hang über dem Fjord.

Trygve Lund ist ein Mann um die 50, groß gewachsen, hager. An der Bäuerin mit dem fremd klingenden Namen Simonette fällt der gebeugte Rücken auf, der strenge Mund, das kurzgeschnittene glatte Haar.

In den nächsten Wochen werden Lillian und Blanche das Heu auf den Feldern rechen und zu Ballen schnüren. Die beiden sind abends todmüde, die anstrengende Arbeit ist ungewohnt für sie, aber der Bauer und seine Frau erwarten vollen Einsatz. Und wenn es regnet, dann wird bei der Wäsche geholfen oder der Fußboden geschrubbt.

Referenzpunkt Abbildung 18

 

Aber das Essen! Es ist reichhaltig und gut. In der Stadt haben die beiden Mädchen solche Fülle lange nicht mehr gesehen. Der ganze Hof versammelt sich zu den Mahlzeiten um den großen Tisch in der Küche. Am Kopfende sitzt der Bauer, dann der Vater des Bauern, dann die Mägde und Knechte und dann Lillian und Blanche. Der Altbauer scheint allerdings immer noch das Regiment zu führen. Er kommandiert alle herum, besonders seine Schwiegertochter.

Lillian findet das furchtbar. Ihr und Blanche ist es peinlich, wenn Simonette sie bedienen muss, selbst aber nicht mit am Tisch sitzt, sondern an der Küchentheke das Essen einnimmt. Die Mägde flüstern, dass dieser Brauch aus der Zeit stammt, als auch Simonette noch Magd auf diesem Hof gewesen ist.

Ganz oben auf der Anhöhe haben die Deutschen eine Batterie aufgebaut. Der Hauptmann hat einen Wohnraum des Bauernhofs für sich beschlagnahmt. Lillian kommt es vor, als habe sich die Bauernfamilie an den Fremden gewöhnt, jedenfalls behandeln sie ihn freundlich. Vor allem der herrische Alte ist ganz zahm. Dafür geht ihm der Tabak in seiner Pfeife auch nicht aus.

Von Helmut kommen mehrere Briefe. Die Adresse ist immer mit der Maschine geschrieben. Eine deutsche Handschrift würde auffallen. »Du bekommst aber viel Post von zu Hause, sie vermissen dich sicher«, bemerkt die Bäuerin eines Tages spitz.

»Ja, ja, das ist so«, antwortet Lillian und geht schnell in ihr Zimmer. Sie hat alle Briefe Helmuts in ihrem Bettkasten versteckt, damit niemand sie finden und lesen kann. Nur Blanche weiß Bescheid. Sie sitzt auf ihrem Bett und kämmt sich die Haare.

»Helmut hat dich wohl sehr lieb, Lillian, das muss schön sein.«

Ihr Freund ist vor den Deutschen nach Schweden geflohen. Sie hat nun schon länger nichts mehr von ihm gehört. Aber sie tröstet sich mit dem Gedanken, dass es ihm wohl nicht möglich ist, ihr Briefe zu schreiben. »Ich kann nur warten«, seufzt sie. »Warten und hoffen.«

Referenzpunkt Abbildung 19