III
Die Musik des Lichts
1 Plagiat
Den folgenden Tag begann Faraday, wie er den letzten beendet hatte, und Sarah nahm das wohlwollend zur Kenntnis. Anschließend verschwand er im Labor und arbeitete an der Verfeinerung seiner Apparatur. Er wechselte Magnet und Draht aus: Auf Quecksilber schwimmend rotierte der Magnet um den fixierten, von Strom durchflossenen Draht.
»Es scheint keine Anziehung des Stroms von einem der beiden Pole zu geben«, notierte er, »es gibt nur die zirkuläre Bewegung.«
Nachdem er das Laborbuch zugeklappt hatte, setzte er sich auf einen Schemel und starrte lange auf den Tisch mit den Geräten. Ein Arm lag kraftlos auf der Werkbank, der andere hing herab. Müde und abgeschlagen vor Glück beobachtete Faraday sich, er war angespannt vor Angst und wusste nicht, was er nun tun würde. Die Entdeckung musste in die Welt und nicht nur sein kleines Leben verändern.
Dann fasste er sein Herz an der Hand und unternahm einen Spaziergang zum Haus von William Hyde Wollaston. Seine Überlegungen hatte Wollaston nicht publik gemacht. Faraday würde in der Nacht seinen Artikel zu schreiben anfangen und wollte Wollaston um Erlaubnis fragen, die Vorarbeiten zu referieren. Natürlich würde Faraday von seiner Entdeckung nichts erzählen. Er konnte später sagen, die Lösung nach dem Gespräch gefunden zu haben. Natürlich war er unsicher, als er klopfte. Natürlich würde er sofort alles erzählen, wenn Wollaston ihm nur irgendeine Frage stellte. Alles würde aus ihm herausplatzen. Und dann? War er der Assistent, der Flaschenwegräumer und Aufsucher von Setzfehlern im Artikel, dem man seinen vorzüglichen Einsatz noch vorzüglicher dankte.
Niemand hätte Grund anzunehmen, er sei der Entdecker. Er klopfte an der Tür, fast so laut wie sein Herz in seinem Hals klopfte, und wer immer ihm jetzt aufmachte, würde den Puls in der Schlagader sehen. Er wartete. Klopfte erneut. Niemand machte auf. Wollaston war nicht da. Er war verreist.
Faraday entschied sich, den hoch über ihm stehenden Kollegen, der noch nicht wissen konnte, dass Faraday neuerdings überhaupt ein Kollege war, nicht zu zitieren. Er konnte ihn nicht zitieren, denn er hatte nur ein halbes Gespräch mitgehört, zufällig. Wollaston hatte entschieden, nichts davon zu publizieren. Und warten konnte Faraday auch nicht: In ganz Europa saßen Forscher seit einem Jahr an den Magneten und fummelten Drähte in aberwitzige Positionen. Es waren nicht irgendwelche Forscher, sondern die größten und ehrgeizigsten, und Ampère sprach längst von einer Rotation, hatte sie nur nicht gesehen. Dabei war die richtige Bewegung so leicht zu finden, dass man sich an die Stirn fasste, wenn man sie sah.
Sie war simpel, symmetrisch, natürlich, ökonomisch. Weil sie bestechend war, sah sie zwingend aus. Man hielt sie, hatte man sie einmal gesehen, sogar für logisch. Der Herr musste alle Güte zusammengenommen und sich einen Schuss Humor erlaubt haben: Seht her, Kinder, ein Karussell, nur für euch, bitte schön, ihr könnt damit ab jetzt Räder drehen! Rückwärts betrachtet hätte jeder sie sofort finden können, und anders als rückwärts konnte man es jetzt nicht mehr betrachten, da gab die Zeit kein Pardon.
Davy, der nach dem Verzicht Wollastons mit wenigen Gegenstimmen zum Präsidenten der Royal Society gewählt worden war, befand sich ebenfalls nicht in der Stadt. Warten war keine Möglichkeit, aber dies doch ein Konflikt.
»Also gut«, sagte er sich, aus Versehen laut.
Den Artikel gab Faraday seinem gelegentlichen Handlanger, einem rothaarigen Jungen von sechzehn Jahren mit Sommersprossen und Sprachfehler, der das Labor säuberte, wenn Faraday es einmal zuließ. Der Junge brachte den Artikel in die Redaktion. Dann ging Faraday mit den Skizzen und der kleinsten Batterie, die er hatte, zu seinem Freund und Instrumentenmacher Newman.
Newman wusste nichts über Elektromagnetismus, sah Faraday, der die Erklärung der Apparatur zu ihrem Ende gebracht hatte, aber mit vorgeneigtem Kopf und zusammengezogener Kopfhaut an, als ob er eine Brille trüge, über die er lugen müsste. Ganz ruhig wartete Faraday, bis die Ohren des Freundes wieder an die richtige Stelle gerutscht waren, grinste dann und fasste ihn an der Schulter.
»Wenn du mir fünf Stück bauen kannst?«
Newman brummte kurz. Er hatte nichts gegen Aufträge.
»Je kleiner, desto besser.« Er machte mit Daumen und Zeigefinger ein Maß in die Luft.
Newman nickte: »Bis gestern?«
Da wolle er nicht widersprechen, sagte Faraday.
»Für jedes Mal, wo du nachfragen lässt, dauert es einen Tag länger.«
»Hab ich verstanden.«
»Und ganz umsonst kann ich es auch nicht machen«, sagte Newman nachdenklich, »obwohl ich nichts lieber tun würde.«
Sie gaben sich die Hände, dann scheuchte Newman seinen Philosophen aus der Werkstatt.
Faraday wartete. Es kamen einige Briefe. Richard Phillips bedankte sich für den Übersichtsartikel, der genau wie gewünscht sei. Er hoffte, seinen Freund nicht über Gebühr in Anspruch genommen zu haben, und werde seinen Namen geheim halten, solange Faraday das wünsche, und ihn öffentlich machen, sobald er es gestatte: »Je eher, je besser für den Bericht.«
Faraday beließ es beim Kürzel M., denn es stand ihm gewiss nicht zu, den Obergelehrten zu geben und dabei André-Marie Ampère zu kritisieren.
An De la Rive schrieb er selbst, sich für einen Brief des Franzosen bedankend: »Es schmeichelt mir und es ermutigt mich sehr, dass Sie eine so gute Meinung über die kleinen Beiträge haben, die ich für die Wissenschaft leisten konnte.« Das bezog sich auf die Chloride des Kohlenstoffs. Dann ging Faraday auf den Tadel De la Rives ein, die Engländer würden Ampères Experimente zum Elektromagnetismus nicht genügend würdigen, indem er seine Entdeckung schilderte, die Ampère widerlegte. Schließlich betonte er, den Versuch Ampères zum Erdmagnetfeld wiederholt und bestätigt zu haben, er sei in London von einigen großen Männern bis dahin bezweifelt worden.
Davy bat aus Westmorland, wo Faraday nie gewesen war und wohin er auch nicht wollte, die Diener in der Grosvenor Street möchten die Teppiche in Schlaf- und Wohnzimmer herunternehmen und das Bett gut lüften. Er wollte in der ersten Oktoberwoche in London sein. Zudem benötigte er Zinn und Glasröhrchen mit Platin- und Eisendrähten, deren Form er aufgemalt und deren Masse er angegeben hatte. Er habe einige Experimente völlig neuer Art durchzuführen. Er hatte »völlig neuer Art« unterstrichen, und er verabschiedete sich als »Freund und Gönner« mit »der Erwartung, eine neue Substanz vorzufinden«, wenn er ins Labor zurückkehrte.
Auch Brande schrieb. Er bat Faraday in freundlichen Worten, sich um die Versendung von Satzfahnen vor Kurzem geschriebener Artikel einiger verdienter Mitglieder der Institution zu kümmern. Außerdem möge er Fincher bitten, die Vorlesung für Dienstag, den 9. Oktober anzukündigen: »Je eher, desto besser.«
Eine Woche später schickte Faraday die Glasröhrchen mit Magnet, Quecksilbersee und Rotationsdraht, die Newman ihm mit viel Liebe gebaut hatte, nach Frankreich und einen auch nach Deutschland, wo beileibe nicht nur Friedrich Wilhelm Joseph Schelling mit besonderer Inbrunst an die Einheit der Natur glaubte. Die Anleitung war einfach: Das Ding aufrecht hinstellen, beide Kabel an eine Batterie anschließen, egal, wie herum. Er verkniff sich, »dann bitte staunen« dazuzuschreiben.
Der Artikel erschien am 1. Oktober. Faraday erwartete Glückwünsche von Kollegen und saß in seinem Labor, unfähig, sich auf etwas zu konzentrieren. Aber niemand kam.
»Ich denke«, sagte er beiläufig zu Sarah beim Abendessen, »morgen wird der eine oder andere kommen.«
Aber es kam niemand am folgenden Tag und auch nicht am Tag darauf.
Am dritten Tag sah Faraday Brande im Flur, der sichtlich nervös wurde und nur andeutungsweise grüßte, um schnell in seinem Büro zu verschwinden.
Einmal war Davy im Haus, Faraday hörte ihn durch die offene Tür des Labors mit Brande reden, der Ton war ernst. Davy kam nicht hinunter zu ihm, erst nach Stunden traute Faraday sich hinauf, eine Mischung aus Neugier, Ängstlichkeit und unguter Ungeduld trieb ihn. Keiner der Kollegen war mehr im Haus. Vielleicht hatte man es noch nicht überall gelesen? Vielleicht überprüften andere das Experiment erst voller Unglauben. Oder konnte er einen Fehler gemacht haben?
Herzrasen setzte ein. Welchen Fehler konnte er bloß gemacht haben? Gab es im Labor ein magnetisches Feld, von dem er nichts wusste? Aber bei Newman in der Werkstatt hatten die Glasröhrchen auch hübsch funktioniert. Zittrig wiederholte er alles noch einmal, suchte Störungen, fand keine. Er ging mit einem Röhrchen von Newman und der kleinsten Batterie, die er hatte, auf die Straße, ohne die Blicke der Nachbarn zu bemerken. Er rannte die Treppe hoch in die Wohnung unterm Dach, immer rotierte der Draht wie beim ersten Mal. Er lief bis Hampstead, um auf dem Hügel zu sehen, dass der Draht unbeeindruckt rotierte. Er hatte nie etwas anderes gewollt.
»Die werden sich melden«, sagte Sarah abends mit banger Stimme.
Der vierte und der fünfte Tag gingen herum. Weder Davy noch Brande noch sonst jemand ließ sich sehen. Auch der Schlaf hatte sich wieder davongemacht. In den Nächten lauschte er Sarahs Atem und den Geräuschen im Haus. Von den Holzbalken über dem Bett kannte Faraday trotz seines schlechten Gedächtnisses jede Faser, den Lauf der Maserung hätte er mit verbundenen Augen aufmalen können.
Das meiste, was Brande ihm erklärte, als Faraday am sechsten Tag um eine Unterredung bat, hatte er sich in den Wellen der Selbstzweifel, die längst zur Springflut der Selbstanklage in den Stimmen der anderen geworden waren, schon erschlossen: Er habe Wollaston nicht zitiert, der die Rotation vorhergesagt habe. Er habe Davy nicht gedankt für seine Anleitung und Förderung seit jenen Tagen bei De la Roche über die Europareise bis hin zum Hier und Jetzt: seinem Leben in der Institution. Er hätte sich nicht einmal ohne Erlaubnis mit dem Thema beschäftigen sollen, während Wollaston so nah an der Lösung war. Übersetzt: Er war ein Schmarotzer, der sich an den Leistungen der anderen bereicherte und keine Dankbarkeit zeigte für die Förderung, ohne die er heute noch viel mehr ein Niemand wäre, als er es zu diesem Zeitpunkt noch immer war. Er hatte alle vor den Kopf gestoßen, die nichts als ihn gefördert hatten. Niemand sprach es aus, alle dachten es: Er war genau, wie man sich jemanden seines Standes vorstellte. Seiner Förderung, seiner Anstellung und seiner Kollegen nicht würdig. Er war, wie jeder Kritiker es immer gewusst hatte. Man würde nicht noch einmal einen von der Straße nehmen.
»Ich bin sehr enttäuscht«, sagte Davy im Büro der Royal Society, als er Faraday nach weiteren zehn Tagen Wartezeit empfing. Davy drehte seinem ehemaligen Diener den Rücken zu und sah aus dem Fenster, als er das sagte. Beide hatten Bilder aus Paris, Marseille, Florenz, Rom, Neapel, München vor Augen, wie Faraday morgens klopfte, mit gesenktem Blick hereinkam und den Nachttopf abholte. Diktatorisch ging Davy die Punkte durch. Faraday hörte zu.
»Es war Rücksicht«, meinte er dann ruhig, »dass ich bei einem ganz neuen Befund ohne Rücksprache weder Sie noch Dr. Wollaston namentlich erwähnte. Ich hatte kein Recht, unpublizierte Gedanken zu referieren oder Sie ohne Erlaubnis als Förderer in einer Sache in Anspruch zu nehmen, von der Sie keine Kenntnis hatten.«
»So neu ist der Befund keineswegs, wie Sie ihn darstellen.« Davy spielte mit einer Zigarre. »Wir hätten die Rotation auch gefunden. Es gab bei der Apparatur einen kleinen Fehler. Ich war ja dabei. Die Rotation aber hatten wir.«
Welchen Fehler: Das zu fragen, wäre keine gute Idee gewesen.
»Ich konnte nicht ahnen, dass Wollaston nach sieben Monaten erneut an dem Thema arbeiten wollte.«
»Er hat nie aufgehört«, sagte Davy trocken: »Niemand hat je aufgehört damit.«
»Wenn Sie es anders sehen, als ich es tue«, sagte Faraday, »möchte ich mich entschuldigen.«
Er meinte, bei Davy ein Nicken gesehen zu haben. Auch ein Zittern der Hände oder ein unterdrücktes Beben des Oberkörpers glaubte Faraday wahrzunehmen, bevor sie in keine gemeinsame Zukunft auseinandergingen. Davy wandte ihm beim Öffnen und Schließen der Tür wieder den Rücken zu, sodass ein Wort des Abschiedes, das man hätte freundlich sagen können, nicht fallen konnte. Schließlich war Faraday froh, draußen zu sein. Er hatte sein Gesicht gezeigt, hatte seine Meinung zusammen mit einer Entschuldigung vorgebracht, obwohl sie nicht begründet war.
Er schrieb an Wollaston, bat um ein Gespräch.
Wollaston schrieb zurück: »Sie haben eine falsche Vorstellung über die Stärke meiner Gefühle bezüglich des von Ihnen vorgebrachten Punktes. Die Meinung anderer über Ihr Verhalten ist Ihr Problem, nicht meines. Und wenn Sie sich selbst vom inkorrekten Benutzen der Vorschläge anderer freisprechen können, dann sollten Sie sich nicht zu viel sorgen.« Ein Gespräch bot er trotzdem an, Faraday solle am folgenden Morgen zwischen zehn und halb elf kommen, wenn er es wünsche, denn noch vor elf müsse er aus dem Haus.
Faraday kehrte, nicht ahnend, wie lange das Thema am Leben bleiben würde, binnen einiger Tage zu einem normalen Schlaf zurück. Im Dezember verfeinerte er seinen Apparat und konnte den Magneten weglassen: Der Draht rotierte auch um das Erdmagnetfeld.
2 Humphry Davy
Nachdem sein ehemaliger Reisediener, den er einst von der Straße aufgelesen hatte, gegangen war, blieb Humphry Davy am Fenster stehen.
In der Royal Society gab es nicht wenige, die gegen die jahrzehntealte Vetternwirtschaft des Tyrannen Banks endlich vorgehen wollten. Aufnahmen neuer Mitglieder und andere Zuwendungen und Privilegien sollten nur noch streng nach wissenschaftlicher Qualifikation vergeben werden. Ihre Hoffnung war Davy. Andere, deren Hoffnung ebenfalls Davy war, wollten alles so belassen. Die rechte Hand Sir Humphrys war den einen, der Sohn des Grobschmieds James Faraday den anderen ein Dorn im Auge, obwohl James Faraday fraglos ein guter Mann gewesen sein mochte.
»Außerdem«, dachte Davy, »hätte er uns zitieren müssen. Der letzte kleine Schritt war nicht so wichtig.«
Aber dass diese ganze Elektrodynamik ihn auch nie wirklich angezogen hatte, dachte er auch. Sie hatte keine Farbe, roch nicht, man konnte sie nicht anzünden, schmelzen oder komprimieren. Und von den Flüssigkeiten, von denen die Elektriker immer sprachen, hatte noch nie jemand wirklich etwas gesehen. Dafür ging sie scheinbar mit jedem ins Bett. Sogar mit der Hilfskraft. Na schön, dann sollte der Faraday jetzt eben sein eigenes Spielzeug haben! Er selbst, beschloss er, wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben, mit der Elektrodynamik.
Nach der Freisprechung durch Wollaston konnte Faraday die freundlichen bis enthusiastischen Briefe aus Frankreich genießen: Hachette schrieb, Gay-Lussac schrieb, De la Rive schrieb. Ampère gab eine Demonstration an der Pariser Akademie, ließ Faradays Artikel ins Französische übersetzen und veröffentlichen. Im Januar sandte Ampère, dessen Theorie widerlegt und dessen wissenschaftliche Gefühle nicht im Geringsten beleidigt worden waren, einen freundschaftlichen Brief. Er enthielt weitere, von Ampère mittlerweile entdeckte Details.
Selbstverständlich kam schnell wieder der Alltag zum Zug, und das war die Institution. Ihre Finanzen standen nicht gut, seit Davy nicht mehr vortrug. Brande gab sich Mühe, aber es zählte nur das Ergebnis. Einmal fiel er wegen Krankheit aus, Faraday musste einspringen. Im Halbrund des Saales, die steilen drei Ränge vor sich halb gefüllt mit Menschen voller Erwartungen und etwas Skepsis, was der vergleichsweise junge, vergleichsweise unbekannte, ziemlich kleine Mann, der hier sonst die Apparate betreute, wohl können mochte, fühlte er sich sauwohl. Die jahrelangen Vorbereitungen auf diesen Moment zahlten sich aus. Er sprach und demonstrierte und schrieb an die Tafel, er zeigte mit dem Zeigestock, machte Pausen, sagte nicht ein einziges Mal Äh, und spielend sprang er von einer Erklärung in eine nächste, die feiner war, detaillierter, und von da wieder in die nächste, bis ein Sachverhalt so weit auseinandergefaltet war, dass jeder, der es wollte, ein Gefühl für die Vorgänge der Natur bekam. Nichts Dämonisches blieb an ihr hängen, wenn Faraday über sie sprach.
Im Keller experimentierte er mit Plumbago, mit der Zyangruppe und mit Chlor: Er entdeckte, dass man Chlor mit Hitze und Druck verflüssigen konnte. Für den Artikel setzte Davy durch, dass er als Initiator genannt wurde, der das Ergebnis vorausgesehen habe. Später bemerkten beide: Das Verfahren war schon 1805 beschrieben worden.
Davy, dessen Führungsstil nicht viel Applaus erhielt, schrieb im Herbst an seinen Bruder, dass er die für die Jahreszeit schon üblich gewordenen Probleme mit Magen und Darm habe und Schmerzen in Händen und Füßen: »Kann das die Gicht sein«, fragte er den Arzt, »oder kommt das vom Magen?« Sachte ahnte er, dass der helle Tag, von dem er vor zwanzig Jahren gesprochen hatte, über den Sonnenaufgang noch nicht hinausgekommen war. Nicht mal den späten Vormittag würde er selbst erleben. Das machte ihn nervös. Die Zukunft war statt einer langen Straße durch sich wandelnde Landschaft jetzt eine sich im Nebel abzeichnende Klippe, die er nur noch nicht erreicht hatte. Er wurde langsamer. Entschlüsse fielen ihm nicht mehr zu, wie früher die anbetenden Blicke. Er rang sie sich jetzt ab und war dann selten mit ihnen zufrieden.
Von der Admiralität erhielt die Royal Society den Auftrag, nach besserem Kupfer zu suchen, mit dem man die Schiffe beplanken konnte. Das aktuell verwendete Material korrodierte zu schnell. Davy fand eine Lösung. Aufmontierte Eisenbarren oder Zink konnten die Korrosion stoppen: galvanisch. Es korrodiere dann das Eisen oder das Zink. Die Admiralität setzte den Vorschlag sofort um, aber die Schiffe kamen schon nach kurzen Ausflügen vollkommen unbrauchbar zurück. Seegras, Muscheln, Kletten und Ranken wuchsen schneller, als man fahren konnte. Seepocken und Krebse ließen sich auch nicht zweimal bitten. Das Kupfer korrodierte tatsächlich nicht mehr, aber die Schiffe waren zu schwer und zu langsam. Nur ein paar Tage nachdem die Royal Society den Bericht über die erfolgreiche Technik der Davy’schen Protektoren herausgegeben hatte, erließ die Admiralität den Befehl, die Aufsätze umgehend von den Schiffsrümpfen zu entfernen.
»Die gelehrten Experimente des Professors«, schrieb die Times, müssten als Misserfolg gewertet werden, »so wertvoll sie für die Wissenschaft auch sein mögen und so angenehm sie für den Professor waren, der auf Kosten des Staates einen hübschen Sommerausflug an die Nordsee und ans Baltische Meer unternahm.«
Keine Rede von Faradays Beteiligung oder gar der Sicherheitslampe, die in Vergessenheit geraten war. Wie viele Leben hatte sie denn gerettet? Keiner wusste es. Vielleicht lag das an der immer größeren Zahl Arbeiter, die in immer tiefere Minen geschickt wurden. Vielleicht starben sogar mehr als weniger, genaue Zahlen gab es nicht, möglicherweise scherte sich kaum jemand um die richtige Anwendung der Lampe, weshalb auch immer. Jedenfalls hatte das Sterben nicht aufgehört.
Davy antwortete, und er tat es maximal ungeschickt: »Es ist falsch«, gellte er in seinem Schreiben, von dem er annahm, dass die Times es nicht anderswo lesen wollte, sondern nur bei sich selbst: »dass die Admiralität einen Auftrag gab, den Grund für das Korrodieren der Kupferplanken zu finden.« Es sei falsch, dass die Schiffe mit Würmern befallen zurückgekommen seien. »Es ist falsch«, fuhr er fort, »dass in meinen Experimenten Fehler gemacht worden sind.« Und es war noch weit mehr falsch: Vor allem und zuletzt sei falsch, dass er auf Kosten der Allgemeinheit einen Ausflug gemacht habe, vielmehr habe er auf eigene Kosten einen Ausflug gemacht. Dabei sei sogar falsch, dass er einen schönen Ausflug gemacht habe, denn der Ausflug nach Schweden, Däne mark und Holstein sei fürchterlich gewesen. Er wünschte dem Autor der Ungenauigkeiten und des bösen Willens nicht weniger als eine solche Schiffsfahrt, wenn er denn anfällig für Seekrankheit sei.
Keine Erwähnung seines Anlandens in Kiel, das er seiner Frau als hübsch beschrieb und hügeliger und waldiger als andere dänische Städte. Keine Erwähnung der Weiterreise nach Hamburgh, das er »eine ordentliche, geschäftige und kommerzielle Stadt von der Größe Bristols« nannte, die leider nur von nordischen Menschen bewohnt sei.
Keine Rede auch vom Treffen mit Schumacher, dem Astronomen der dänischen Krone in Altona, und dass er dort hörte, Gauß vermesse in Bremen gerade das letzte Dreieck des Königreichs Hanover. Davy hatte seinen Dampfer dorthingeschickt und selbst die Kutsche Schumachers genommen, um zwei Tage in Bremen zu bleiben, in denen Gauß ihm erklärte, dass eine Kugeloberfläche schon ein gekrümmter Raum sei: »Ein zweidimensionaler, allerdings sehr simpler gekrümmter Raum, denn man kann immer noch den kürzesten Abstand zwischen zwei Punkten angeben.« Das sei auf der Erdoberfläche leider gar nicht so: »Leider, leider.«
»Diese drei Männer«, hatte Davy an Lady Jane geschrieben und Schumacher, Gauß und dessen Freund Olbers gemeint, »waren liebenswert, von sehr hohem moralischem Stand und erfüllten mich mit dem Stolz, an einem intellektuellen Streben in diesem Land teilzuhaben, das weniger Rang und Unterscheidung kennt, als man es in Frankreich oder England gewohnt ist.« Sie – die drei – seien, hatte Davy geschrieben: »voller Freizügigkeit«.
Nichts von all dem wusste die Times und druckte den wütenden Brief »mit Bedauern für den Autor«, der, wenn seine Passion ihn nicht vollkommen und restlos blende, einsehen müsse, dass die Sprache, welche er verwende, weder seiner Position angemessen, noch geeignet sei, seine Adressaten zu überzeugen. Nach dem ermüdenden Zerlegen und Aussortieren der Argumente gab die Zeitung zu, angenommen zu haben, der Professor habe eine angenehme Reise gehabt, wie sie Philosophen allgemein bei so ehrenwerten Anlässen zu haben pflegten: »Wenn er tatsächlich«, kam sie zum Schluss, »einen unangenehmen Reiseverlauf hatte, so wünschen wir ihm für die nächste philosophische Reise besseres Wetter wie generell ein besseres Gemüt.«
»Wäre Krieg«, sagte ein Kunde von Riebau mit der Zeitung in der Hand zu seiner Frau: »wegen diesem Professor Davy verlöre die Krone ihn.« Er hatte es im Observer, dessen Abonnent er auch war, so gelesen, und sie nickte zustimmend und widmete sich ohne falschen Stich wieder ihrer Handstickerei.
Faraday nahm den Vorgang mit Unwillen zur Kenntnis, verdrängte ihn jedoch wie schlechtes Wetter, an dem man nichts ändern konnte. Dann vergaß er es, wie mittlerweile so vieles, was an seinem Zentralorgan abprallte oder in dessen Urwald verräumt oder weggeworfen und überwuchert wurde, um nie wiedergefunden zu werden. Er musste immer nach vorne sehen, das war anstrengend genug.
Gegenüber André-Marie Ampère bedauerte er, nicht früher auf den Brief geantwortet zu haben, den der Franzose ihm voll Bedauern darüber geschrieben hatte, ihm nicht früher geantwortet zu haben. Außerdem hatte Ampère sich um einen Brief gesorgt, den Faraday an Dr. Brewster in Edinburgh hatte weiterleiten sollen, und nun wies Faraday auf sein schlechtes Gedächtnis hin: Er könne nicht sagen, ob er jenen Brief zusammen mit diesem bekommen habe, der ihm selber galt, er wisse nicht, ob er ihn gleich weitergeleitet und vergessen oder ihn vielleicht nie gesehen habe. Gerne wollte Faraday vom großen Ampère erfahren, was aus dem Brief geworden sei. Aber auch das vergaß er bald.
Freitags las er in der Albemarle Street vor Publikum. Die Einnahmen des Hauses, dem er sich noch mehr verpflichtet fühlte, als dass er es als seines betrachtete, stiegen wieder. Davy ließ sich doch noch einmal mit der Elektrodynamik ein, wenn auch nur für wenig mehr als eine giftige Bemerkung zu Faradays »genialer Entdeckung«. Dann schlug Phillips Faraday zur Wahl in die Royal Society vor.
»Sie verzichten«, verlangte Davy mit hochrotem Kopf und zusammengebissenen Zähnen auf den Stufen zwischen den dicken kurzen Säulen der Albemarle Street von seinem ehemaligen Reisediener, als er ihn dort zufällig traf. Die Aussprache seines Lehrers und ehemaligen Vorbildes war als Sprühregen in Faradays Gesicht angekommen, zudem stand er in Davys neuerdings sehr unangenehmem Atem, als er erwiderte, er könne sich nicht von der Liste der Kandidaten nehmen: »Ich habe mich ja nicht selbst eingetragen.«
Er solle, so Davy erbost, seine Förderer dazu bringen, den Antrag zurückzuziehen.
»Das«, sagte Faraday trocken, »machen sie nicht.« Unter den zwei Dutzend war auch Dr. Wollaston.
»Dann werde ich«, zischte Davy, »als Präsident den Antrag zu Fall bringen.«
Der Kandidat entgegnete, Sir Humphry würde gewiss tun, was für die Gesellschaft das Beste sei. Faraday empfahl sich korrekt, es sei denn, er war immer noch der Diener des Nachttopfs.
Seine Sache betrieb er diesmal aber selbst. So traf er sich mit Henry Warburton, dem anderen Gegner seiner Kandidatur, und veröffentlichte einen Bericht über den zeitlichen Ablauf des Rotationsexperimentes. Er lüftete das Geheimnis um den Autor der Übersicht über den Elektromagnetismus, M. Er überzeugte Warburton, kein Plagiator zu sein. Warburton zog seine Bedenken zurück und unterstützte Faraday, nachdem noch einige Briefe gewechselt worden waren. In geheimer Abstimmung und mit einer Gegenstimme wurde der Sohn des Grobschmiedes James Faraday zum Mitglied der Royal Society gewählt. Er habe es, sagte er, »gewollt und dafür bezahlt«.
Das Verhältnis zu Davy sollte nie wieder dasselbe sein. Nie wieder sollte auch das Verhältnis von Davy zu sich selbst sein wie zuvor, und das zum Londoner Leben war sowieso gestört. Er spürte seine Kraft schwinden und schwinden und weigerte sich, sie mit dem Willen oder gar den Möglichkeiten gleichzusetzen. Davy war sechsundvierzig. Menschen in seiner Umgebung herrschte er an. Er, der Superlativ der Jugend, die luftgleiche Intelligenz, die leichte, lächelnde Hand, er, der aus nichts als Energie, aus Witz und Aufmerksamkeit und Eleganz bestanden hatte, wollte Unangenehmes durch reine Ablehnung erledigen. Er sah viel aus dem Fenster und wusste nicht, weshalb und wozu schon wieder ein Tag um war, eine Woche, ein halbes Jahr. Sklavisch dachte er an Neapel, an den Blick auf den Vesuv und jenen vom Vesuv hinunter in den Golf. Durch den Winter schleppte er sich, nur dessen Ende vor Augen. Schreiben machte außerordentliche Mühe: »War das der Kopf oder die Hände oder die Verbindung zwischen beiden?«
Seiner ebenfalls kranken Mutter versprach er den Sommer lang, sie besuchen zu kommen. Sie starb im Herbst, ohne ihn gesehen oder gesprochen, seine Stimme noch einmal gehört, seine Hand noch einmal in ihrer gehabt oder seinen Blick noch ein letztes Mal auf sich ruhen gespürt zu haben. Den präsidialen Vorsitz der Jahreshauptversammlung seiner Royal Society absolvierte er gebeugt, zitternd, stotternd, fahrig und fürchterlich schlecht gelaunt. Seine verbliebenen Freunde glaubten, jede nächste Anstrengung würde einen Hirnschlag zur Folge haben. Die Presse hielt man von ihm fern. Zum Abendessen erschien er nicht, und wenige Wochen danach war es so weit: Die rechte Hand und das rechte Bein gehorchten nicht mehr. Die Ärzte empfahlen, warum auch immer, die Londoner Gesellschaft schleunigst zu verlassen.
Mit seinem Bruder John reiste er bei bissigem Winterwetter und mit immer häufigeren Herzschmerzen auf den Kontinent, an Paris ohne Halt vorbei.
»Der Sonne entgegen«, sagte er kraftlos, in mehrere Mäntel und Schals gewickelt, und lächelte orientierungslos seinen Bruder an, der versuchte, die Fassung zu bewahren.
Oft blieben sie in Fahrrinnen stecken, und der Kutscher hatte halbe Tage zu tun, während Sir Humphry neben dem Wagen im Frost döste. Wenn er im Fahren einschlief, träumte er von Hunden, von einer Horde bellender, sabbernder neapolitanischer Straßenköter, die seine Vorlesung stürmten, Apparate und Glasschalen umwarfen, ihn am Arm packten und schon auf das Publikum losgingen. Einmal brach in diesem Moment die Achse des Wagens, und der Professor rammte seinen Kopf an den Haltebügel. John versorgte liebevoll die Wunde, die viele Wochen lang nicht heilen wollte, während Lord Byron als griechischer Revolutionär nach einer Infektion in Fieberschüben und einer Schweißlache starb und Faraday in London in der für seine Lebenseinstellung noch immer typischen Art der Exklamation in ein Notizbuch schrieb: »Mache aus Magnetismus Strom!«
Dass er das zu gleichen Teilen um des nutzvollen Stroms und um des Verstehens willen tun musste, war keine Frage. Dass auch Licht mit Strom und Magnetismus zu tun hatte, wusste er zwar aus Rom, aber vor allem, weil es anders sowieso nicht sein konnte. Er zweifelte nicht an der Schöpfung und auch nicht an Gottes Bereitschaft, sie zu zeigen. Nur »ob ich die Vereinigung noch selbst sehen darf«, war die Frage, die ihn beschäftigte.
3 Harmonien
Noch mit der Unterstützung von Davy zum Labordirektor der Institution ernannt, war Faraday auch Sekretär des Athenaeum Clubs, der sich der wissenschaftlichen und literarischen Intelligenz verschrieben hatte. Eine Zeitverschwendung, fand er und trat schnell zurück. Ewig untersuchte er für die Royal Society Glas. Der Versuch, bei der Herstellung von hochwertigem, farbneutralem Glas die Deutschen, die neuerdings die besten Linsen machten, wieder abzulösen, war ein Auftrag, der Geld brachte. Alle fanden es eine angemessene Arbeit. Niemand hatte überlegt, wie lange es dauern konnte, kaum Ergebnisse zutage zu fördern, und allgemein war man erstaunt, als Faraday nach sechs Jahren des Probierens keinen Wutausbruch scheute, auch schriftlich nicht, wenn er nur darauf angesprochen wurde.
Davy war nicht mehr bis Neapel gekommen. Den ersten Winter hatte er in Norditalien, den Sommer in Bayern, Baden und Mainz verbracht, allein, da sein Bruder auf Korfu zu arbeiten hatte. An seine Frau schrieb er, er hoffe, sie sei bei guter Gesundheit. Er selbst sei offenbar am Ende angelangt und: »Kämst du, so hülfe es, aber zumuten möchte ich es dir nicht.«
Im Herbst schaffte er es zurück bis London, wo er alle mit den Worten begrüßte: »Hier bin ich, das ist der Rest von mir.«
Binnen weniger Tage sprach er jeden, der jemals zum Nervensystem publiziert oder sich sonst wie auf dem Gebiet hervorgetan hatte. Als hätten sie sich abgesprochen, sagten alle dasselbe: »Mach Pause. Noch mindestens ein Jahr.«
»Was mich angeht«, ließ er im Winter seinen Freund Poole wissen, »ich will nicht leben, wenn Gott nicht noch etwas Nützliches in der Wissenschaft mit mir vorhat.«
Er hatte es nicht. Sir Humphry fuhr erneut nach Italien und kam noch einmal bis Rom. Dort erhielt er die Nachricht, dass Wollaston ebenfalls gelähmt sei, erlitt eine zweite Attacke und schrieb:
Der Seele dunkle Hütte, zerfallend und bald eingekracht,
Lässt neues Licht herein, durch Ritzen, die die Zeit gemacht.
Sein Bruder kam aus Griechenland, Lady Davy aus England, Wollaston starb. Die Davys fuhren zusammen nach Genf, wo sie die Nachricht erhielten, dass auch Thomas Young gestorben war. Davy erlitt eine dritte Attacke und wurde in Genf großartig beerdigt.
Faraday ließ kein schlechtes Wort auf ihn kommen und kein Ziel aus dem Auge, schon gar nicht, als sein eigenes Ringen mit der Gesundheit für jeden sichtbar wurde.
»Ich sollte«, schrieb er an Charles William Pasley, der ihn nach Woolwich holen wollte, um dort an der Royal Military Academy Vorlesungen zu halten, »das Angebot annehmen, schon weil ich dann öfters an der frischen Luft wäre.« Woolwich lag vor den Toren der Stadt, und er fragte nach der Bezahlung, nach den Pflichten und dem Umfang der Vorlesungen, die er wohl halten würde, wenn er denn wüsste, wie sie bezahlt würden und er nur den Umfang kennte.
Schon im Sommer davor, 1828, hatte er mehr als zwei Monate außerhalb Londons verbracht und Phillips geschrieben, es gehe ihm dort viel besser, die nervösen Kopfschmerzen und das Schwächegefühl seien beinahe verschwunden, wenn auch das Gedächtnis nicht besser, nein, vielmehr, dass müsse er gestehen, schlechter werde.
In Gesellschaften ging er nicht mehr, »wegen der Unpässlichkeit einerseits und dem daraus entstandenen Zeitmangel andererseits«.
Auch von Pasley verabschiedete er sich auf einen Monat oder auch fünf Wochen, die er auf dem Land verbringen wollte. Die Professur in Woolwich nahm er jedoch nach dem Sommer an, es sollte die einzige bleiben, die er je akzeptierte. Schon im ersten Winter meldete er sich mehrfach krank, im März klagte er über Kraftlosigkeit und schwache Nerven. Er wolle Ruhe, die aber könne ihm kein Arzt geben. Auch Woolwich habe ihm nicht guttun können, alle möglichen Erkrankungen hätten Besitz von ihm genommen: »Ich habe«, schrieb er, »keinen Mut zu irgendwas.«
Sein Laborbuch widersprach ihm, es kondensierte die Geschichte von Arbeit und Konzentration, die er in besseren Tagen immer wieder erkämpfen konnte. Stetig nahm auch seine Korrespondenz an Umfang zu, die Korrespondenten wurden prominenter. Mit George Barnard, der Maler geworden war und noch regelmäßig in die Albemarle Street kam, bastelte er Rosskastanien an Fäden, um Conkers zu spielen. Immer schlug Faraday alle, dann fuhren sie mit dem Fahrrad um den Block und winkten den staunenden Nachbarn zu, die automatisch annahmen, er habe das Gefährt vor ein paar Minuten selbst erfunden. Sonntags morgens radelte er gerne nach Hampstead hinauf, zumindest im Sommer, und schnell sprach sich das in London herum. Manchmal ruderten sie alle flussaufwärts und nahmen ein Dinner mit, das sie unterwegs zubereiteten. Den Vesuv brauchte er nicht. Seine Nichte Margery Reid verbrachte manchen Nachmittag im Labor, still in der Ecke sitzend, und wurde, wenn sie es nicht mehr aushielt, mit einem Stück Kalium unterhalten, das Faraday mit glücklichen Augen in eine gläserne Schale mit Wasser warf, wo es sich entzündete und eine lila Wolke hinterließ, die in Schlieren hinabsank. Einmal machten sie in der Nähe von Ramsgate Urlaub.
Sarah hatte von der Cholera gelesen, die in Indien immer mehr Tote forderte, Faraday hatte auf die Erzählung kaum reagiert.
Aus Paris berichtete Jean Nicolas Pierre Hachette von der Julirevolution: Studenten, die am Stadtrand lebten und sich an der École Polytechnique dem Studium der Mathematik widmeten, der Physik und Chemie, die von Faradays Entdeckungen so bereichert worden seien, hätten sich den bewaffneten Gruppen angeschlossen, einer sei jeweils als Anführer gewählt worden. So seien sie in die Stadt marschiert: »Wenn nur Vernunft über all die Vorurteile triumphieren könnte, die der Perfektionierung der Gesellschaft im Weg stehen!« Philosophen, Künstler und Arbeiter stünden in Frankreich zusammen, und er empfinde auch für Faraday und seine Landsleute, die sich der Wissenschaft widmeten, die größte Wertschätzung und Dankbarkeit. Ampère schloss sich an. Charles der Zehnte dankte ab und zog wieder nach Edinburgh.
Auch im Südosten Russlands brach die Cholera aus, verbreitete sich rasant, stagnierte dann, sogar in Moskau fielen die Todesraten. Erst 1831 gab es »dreißigtausend Infektionen in der Armee«, wie Sarah am Abendtisch unruhig berichtete. Sie war noch immer ohne Kind. Die Russen konnten wegen der Cholera den polnischen Aufstand nicht niederschlagen. Und auch unter den Polen, die aufgegebene Posten der Russen übernahmen, grassierte jetzt die Seuche. Die Berichterstatter korrigierten die Zahlen meist noch im selben Brief: »Nein, es waren doch nicht zwölf Soldaten, die seit gestern Abend erkrankten, sondern siebenundzwanzig. Gestorben sind davon bis jetzt nicht fünf, sondern neun.« Ein jeder mit spitzer Nase, die aus dem entwässerten Rest seines Gesichtes stach wie die letzte Empörung.
Nach Polen könne man von Dover aus ja wirklich nicht hinübersehen, meinte Faraday, »und die Bestimmungen der Quarantäne für Schiffe aus Indien sind streng.« Anders wollte er es nicht denken.
»Da sie von den Dämpfen übertragen wird«, fürchtete Sarah, »kann man sie vielleicht gar nicht aufhalten.«
Faraday glaubte das nicht und wandte sich schnell der Akustik zu.
»Wheatstone hat uns eingeladen«, freute er sich für sich und für Sarah, die sich wunderte. Er ging ja nie in Gesellschaften, und sie hatte sich daran gewöhnt.
»Er hat ein Konzert organisiert.«
»Wheatstone.« Sie machte sich lustig.
»Es ist ein Experiment.«
Darauf wäre sie von alleine nie gekommen, sagte sie und behielt für sich, dass sie auch gern mal wieder in ein ganz normales Konzert gegangen wäre. Aber man nimmt in bestimmten Situationen, was man kriegt, selbst wenn diese ein Leben dauern, und als sie am Samstag drauf gut gekleidet aufbrachen, freute sie sich. Kuhlau und Weber standen auf dem Programm.
Das Haus lag im Osten der Stadt, was überraschte, und dann stellte sich heraus, es war eine Art Lagerhalle. Als sie den großen flachen Raum im Parterre betraten, erklärte sich das. Man hatte die Bestuhlung auf ein nach hinten ansteigendes Podest gestellt, vor dem eine Unzahl Holzplatten waagerecht aufgestellt waren. Jede von ihnen trug auf einem Kärtchen aus Pappe die Bezeichnung eines Instrumentes. Die Faradays gingen näher hin. Sand war auf jede Platte gestreut. Und jede von ihnen war mit einer straff gespannten Schnur verbunden, die senkrecht nach oben und durch die Decke führte. Sarah sah ihren Mann an, enttäuscht und ratlos.
»Die Musiker sind oben«, sagte er äußerst zufrieden, »wir werden die Musik nicht hören, sondern sehen.«
Die Enttäuschung milderte das gar nicht, was ihrem Mann entging. Wheatstone kam, sodass sie keine Gelegenheit zum Protest hatte. Er begrüßte beide mit überschießender Freude. Dann erklärte er den Aufbau und strich hier und dort mit einem Holz die dünne Schicht Sand auf einer der Platten liebevoll glatt. Anschließend klatschte er in die Hände und hielt eine ungelenke, sehr kurze, stotternde Einführung für das Publikum, bei der er errötete und schließlich sehr froh war, sie beendet zu haben.
»Er macht das nicht gerne«, sagte Faraday.
Sarah wusste nicht, was er meinte.
»Vor Leuten sprechen.«
Sarah nickte aus Höflichkeit oder aus Überforderung oder automatisch und presste die Lippen zusammen, die Musik setzte auch schon ein. Zu ihrem Glück hörte man doch reichlich Töne, wenn auch mehr die tiefen als die hohen. Vor allem aber sah man, wie sich auf den Platten die Vibrationen in Muster übersetzten, die sich je nach Ton in den Sand schrieben und veränderten. Faraday war so glücklich, wie Sarah das von ihm kannte, aber neu war die Deutlichkeit, mit der sie das Gefühl verspürte, ein Kind neben sich sitzen zu haben. Es war nicht unangenehm. Sie lächelte ihn an, sodass er glaubte, sie freue sich. Er dachte daran, wie sie es damals in Ramsgate in der Mühle nicht hatte tun können und dann beim Jawort nachholte. Alles war gut, dachte sie, irgendwie. Was sollte sie anderes denken, in einer Lagerhalle sitzend und Kuhlau zwar nicht richtig hörend, aber richtig sehend. Einmal riss eine Schnur, und auf der Platte blieb das zuletzt gezeigte Muster stehen, bis Wheatstone zwischen zwei Stücken den Schaden reparierte.
Auf dem Rückweg erklärte Faraday seiner Frau voller Enthusiasmus, was sie gesehen hatten, bis sie sanft sagte: »Michael, ich war auch dabei und habe es selbst gesehen.« Dazu nahm sie, ob sie es bemerkte oder nicht, seine Hand fester in ihre.
»Manchmal sahen die Figuren aus wie Eisblumen«, fand sie in die Stille hinein, und Faraday gab ihr sofort Recht: »Weil auch die natürlich aus Kreisen und Radialen zusammengesetzt sind, den beiden voneinander unabhängigen Grundrichtungen der Fläche.«
Von senkrechten Schnittlinien durchtrennte Kreise hatten sie am häufigsten gesehen.
»Ich dachte, eine Fläche besteht aus Breite und Tiefe.«
»Ist dasselbe, immer zwei Richtungen, die senkrecht zueinander sind, egal welche.«
Sie dachte nicht daran, weiterzufragen, dazu war die Sache zu unwichtig: »Auf jeden Fall sind es Harmonien.«
»Was?«
»Die Töne wie die Bilder.«
Er nickte, sie bogen gerade vom Piccadilly in die Albemarle Street ein, und er hatte die Eisenspäne vor Augen, die Kreise und Ovale bildeten, konkave und konvexe Linien. Unterm Dach angekommen bereitete sie einen Tee zu, während Faraday aus dem Fenster sah, als ein Wagen aus dem östlichen Teil der Stafford Street einbog und langsam näher kam. Die Straße war mittlerweile gepflastert worden. Der Wagen hatte Bierfässer geladen, auf denen Regenwasser stand. Durch die regelmäßigen Schläge des Pflasters auf die Eisenfelgen bildeten sich Ringwellen, die das Licht der Gaslampen reflektierten. Sie glichen nicht nur den einfachsten Figuren von Wheatstone. In der Mitte liefen die Wellenberge aufeinander zu, dort spritzte immer wieder eine kleine Fontäne auf.
»Die Ringe«, fand Faraday still, »sind die Bahn, auf der sich der Draht mittels Strom im Magnetfeld bewegt.« Es waren Linien, dachte er, der Kraft. Radiale waren keine zu sehen.
Der Tee war fertig, und ohne viel Aufhebens zu machen, tranken die beiden Verschworenen ihn gemeinsam, bevor sie friedlich zu Bett gingen und in der erneuerten Überzeugung gut schliefen, mit der Welt sei etwas grundsätzlich in Ordnung.
4 Die zweite Erfüllung
Im Keller war Faraday weit davon entfernt, keinen Mut zu irgendwas zu haben. Der Keller war sein Fenster zur Welt, seiner Welt. Er war froh, dass es ein Keller war. Er stellte Platten auf, die er mit Sandkörnern bestreute, dann mit Bärlappsporen, die weniger träge waren. Er baute Wannen, in die er Wasser und Sand füllte oder Eiweiß. Er kaufte einen Geigenbogen. Von Februar bis in den Juli strich er damit Platten aus Holz und Blech an und ließ die Natur ihre Muster machen. Er wechselte zu Glasplatten, schüttete Milch darauf, stellte eine Kerze darunter und hielt ein Stück dünnes Papier darüber.
Unterm Dach legte er sich ins Bett, ein Tuch über den Augen, und hoffte etwas zu sehen oder einzuschlafen und aufzuwachen und plötzlich etwas zu wissen.
Wieder im Keller, hüpfte er um die Platten herum oder stürzte zu seinem Laborbuch: »Sie sind schön, wenn sie einfach sind.« Während er schrieb, erklärte er seinem Helfer Anderson: »Und die komplexen sind ebenso schön.«
Anderson stimmte zu.
Er tupfte einen Wassertropfen von unten an eine Glasplatte: Strich man sie mit dem Bogen an, verteilte sich das Wasser flacher an der Platte, statt sich noch mehr zu sammeln und abzutropfen. Kehrte wieder Ruhe in das Glas, sammelte sich der Tropfen durch Gravitation wie zuvor. Mit Öl wiederholt fand er, dass der Tropfen sich zu einer Linse verbreiterte. Eiweiß war noch klarer, von oben auf die Platte geschüttet schoss es gar in kleinen Fontänen hoch, wenn der Ton laut genug wurde. Hielt Anderson sich schon die Ohren zu, bildete es Eischaum.
»Die Vorstellung von hin- und hergehenden Wellen«, hielt Faraday als zweiundzwanzigsten Punkt der Reihe fest, »gewinnt in meiner Vorstellung Raum.«
Er schickte Anderson los, die Arbeiten von Robert Brown zu kopieren: Ein schottischer Botaniker, der vor Kurzem unter seinem Mikroskop entdeckt hatte, dass Pollen in Wasser zitterten, sich ständig bewegten. War alles ständig in Bewegung und Vibration, stießen Teilchen einander an und transportierten Wellen? Vielleicht war Ruhe nur eine Form von Ignoranz, jedenfalls war Wärme offenbar Vibration.
Quecksilber, Terpentin, Tinte und Alkohol schüttete er in die Wannen. Das Laborbuch lernte die Muster als wunderbar, hübsch und zufriedenstellend kennen. Magnesium, Rost, rotes Blei eigneten sich nicht. Er füllte ein Einweckglas mit Wasser und rieb mit feuchtem Finger über den Rand, dass ein Ton entstand, die Wellenbilder fand er »sehr gut«.
Klagen schrieb er keine nieder, nur die Feststellung, die Arbeit strenge ihn an, er benötige Pausen. Im Juni ließ er Phillips wissen, das Gedächtnis werde von Tag zu Tag schlechter. Faraday war vierzig Jahre alt. Einladungen beantwortete er nun immer mit der Bemerkung, er sei kein sozialer Mensch, und: »Niemals diniere ich außer Haus.«
Sarah fand es überhaupt nicht komisch, dass er den seit Langem geplanten Urlaub in Hastings verschieben wollte. Am Nachmittag war er mit der Idee plötzlich oben in der Wohnung erschienen. Sie hatte gerade die Sachen zu packen begonnen, für den nächsten Morgen waren Plätze in der frühen Kutsche von Charing Cross nicht nur reserviert, sondern auch schon bezahlt. Sie machte es ihm aber ganz einfach, denn »darüber«, gab sie ihm zur Kenntnis, »diskutiere ich nicht«.
Dunst lag über London, als die Faradays das Haus verließen, und da die Sonne noch nicht aufgegangen war, brach sich nur der rote Anteil ihres Lichts bis in die Stadt. Anderson war extra in der Frühe gekommen, um beim Tragen zu helfen und gute Erholung zu wünschen. Er solle im Keller alles so lassen, wie es war, bestimmte Faraday: »Bitte nichts anfassen.«
Wie immer stieg er auf den Kutschbock, das hatte sich seit der Europareise nicht verändert. Als sie die ersten Wiesen erreichten, war das Licht voll entfaltet, nun war oben nur noch Blau, das Rot ging rechts und links am Erdball vorbei ins Universum. Wann der nächste Moment käme, in dem er etwas gezeigt bekäme, fragte Faraday sich. Dieses Mal war er nicht aufgeregt, oder nicht so wie beim ersten Mal. Er wollte den Moment als Genießer nehmen, wenn er denn käme. Seine Hand lag auf der Ledertasche mit dem Labortagebuch, das vor Beobachtungen platzte.
Der Eintrag vom 19. April war besonders: Auf dem Rückweg von Woolwich abends um zehn hatte Faraday ein Polarlicht gesehen. »Es kann keinen Zweifel darüber geben«, sagte seine Handschrift und meinte den Einfluss des Lichtes auf das Erdmagnetfeld. Während der Erscheinung war Faraday flugs bei Samuel Hunter Christie eingekehrt, dem zweiten Mathematiker der Akademie. Er besaß eine Magnetnadel, die, solange das Licht sich am Himmel zeigte, eine Abweichung von über zwanzig Grad aufwies und beim Erlöschen des Lichtes wieder in die Ausgangslage zurückgekehrt war. Zwanzig Grad konnten kein Messfehler sein, zum Zweifeln blieb kein Grund.
»Licht ist magnetisch«, sagte er im Schaukeln und Stoßen der Kutsche immer wieder still vor sich hin und wartete, dass ein Widerspruch aus einem Winkel seines Geistes herausgeschüttelt würde. Es kam keiner. Er wartete, dass sein Verstand ihn auslachte. Er lachte nicht. Ein Teil des großen Ganzen war Licht, genau wie er und der Kutscher und die beiden gutmütigen, ungebürsteten, dampfenden Pferde, auf die er zufrieden blickte, auch wenn sie kein Magnetfeld beeinflussten. Jedenfalls nicht messbar. Noch nicht messbar jedenfalls.
Aus dem Augenwinkel betrachtete er den Kutscher, der sich über die Zügel, die Deichsel, die Radlager, Speichen, Felgen, die Aufhängung, über die Eisen und das Wohlergehen der Pferde hinaus keine Gedanken zu machen schien. Für ihn war es auch selbstverständlich, dass alles hier nach immer gleichen Gesetzen funktionierte, selbstverständlicher als für Faraday sogar. Von Eisenspänen wusste der Kutscher garantiert nichts, aber was wollten die Späne ihm, Faraday, sagen, wenn sie sich in regelmäßige Bilder um den Magneten fügten? Die einfachste Annahme war, dass dahinter Wellen steckten. Anzunehmen, dass keine Wellen hinter den geometrischen Figuren steckten, wäre aufwendig. Nicht nur Davy hätte ihn für verrückt erklärt.
Die Stöße der Kutsche waren angenehm. Er hatte in den zurückliegenden zehn Jahren Licht mit Strom zu beeinflussen und Strom aus Licht zu gewinnen versucht, indem er es auf eine Kupferplatte fallen ließ: Mal das ganze Spektrum, mal einzelne Farben, mal die Platte an der Luft, mal unter Säure haltend. Hätte er statt Säure elektrische Spannung genommen, man hätte Albert Einstein kaum vom Studium der Physik abgeraten. Der Zufall zeigte sich aber selbstverliebt, er nahm sich Zeit: Sechs Jahre lagen allein zwischen diesen beiden erfolglosen Versuchen. Vor drei Monaten hatte Faraday versucht, Strom aus Hitze zu machen: negativ. Hitze machte oft Licht, wenn Metall glühte oder ein Funke durch die Luft schlug.
Sehr unübersichtlich.
In Hastings redete Faraday wenig und wirkte nicht unfroh. Punkt einhundertsechsundvierzig im Laborbuch kam auf die Rillen im Sand zurück, die seinem Geist schon einmal Asyl gewährt hatten, damals ein improvisiertes, diesmal ein fruchtbares, vielleicht, weil alles in seinem Leben darauf hinauslief: »Sie stammen vom Wind«, fand er nun heraus, »der auf das Wasser bläst, wenn es flach auf dem Sand steht. Die Rillen im Sand sind klein, aber leicht zu finden, sobald man nach ihnen sucht. Sie sind zur Windrichtung immer parallel, die Wellen, ein Kräuseln, das auf der Oberfläche von links nach rechts und von rechts nach links läuft, ist gut zu sehen, wenn die Sonne auf das Wasser scheint.«
Und?
Im Hotelzimmer versuchte er, sie mit einer Wanne zu reproduzieren, konnte aber den Wind nicht gut genug nachahmen. Nachts hörte Sarah ihn atmen, spürte, wie er sich umdrehte, und sah ihm nach, wenn er aufstand. Sie hörte, wenn er Wasser trank und aus dem Fenster schaute und seufzte, wenn er sich wieder hinlegte, in der Hoffnung, eine Stunde Schlaf zu bekommen. Sie schlief selbst schlecht, wegen der Unruhe, aber auch aus Sorge. Am Tage versuchte sie, ihn zum Abschalten zu bewegen: sinnlos. Sein Geist eine Fliege hinter Glas, dann wieder ein Raubtier in Gefangenschaft, das ahnte, nicht Gewalt, nur Schläue bringt es hier raus. Disziplin. Er musste sich nur die Wut, die zu jeder Tageszeit und jeden Monat stärker in seinem Rücken stand, zur Verbündeten machen, er musste sie in Zärtlichkeit verwandeln, nur ...
Mal half langes Blicken auf das Wasser. Der Gleichmut der Wellen war majestätisch: wenn man das so sehen wollte. Mal verschärfte langes Blicken auf das Wasser den Tonus seines Geistes auch, und wovon der neben frischer Luft und möglichst gutem Schlaf noch abhängig war, konnte Faraday nicht ausmachen. Er wollte über Wellen nachdenken. Maßlos strengte ihn mittlerweile an, bei jeder einfachen Entscheidung, sei es für ein Abendessen oder gegen einen Spaziergang, um viele Ecken denken zu müssen.
Oft sagte Sarah: »Wir machen das so.«
Oder: »So machen wir das.«
Im August war er zurück in seinem Keller. Im Laborbuch begann er elektromagnetische Versuche wieder ab einem Punkt eins zu notieren. Im September schrieb er Phillips, er habe etwas Besonderes gefunden, könne aber noch nicht sagen, was: »Zu gefährlich. Am Ende habe ich statt eines Fisches vielleicht doch nur Unkraut am Haken.«
Das war übertrieben, stark übertrieben, und seine Fröhlichkeit im angeschlagenen Zustand echt und verräterisch. Am 29. August wusste das Tagebuch: »Ein Stromwelle beim An- und Abklemmen der Batterie. Welle offenbar kurz und schnell.«
Er hatte das Bild der Sandrillen übersetzt: Als Wasser diente ein Eisenring, um den auf einem Abschnitt eine Spule gewickelt war. Als Wind nahm er ein Magnetfeld, das er mit Strom in der Spule erzeugte. Als Sand diente ein zweiter Draht, auch er zur Spule und abschnittsweise um den Eisenring gewickelt, auf der gegenüberliegenden Seite.
Was du dir nicht erfliegen kannst, musst du dir erhinken.
Schickte er Strom in die erste Spule, war das, wie den Wind anzustellen: Der Draht, der jetzt ein Magnet war, magnetisierte den Eisenring, als sei er das Wasser, und aus dem zweiten Draht, als sei er der Sand, kam ein Strompuls heraus. Klemmte er die Batterie ab, erhielt er einen zweiten Puls, der in die andere Richtung lief.
»Hm.«
Brauen zusammengekniffen, Zeigefinger am Mund, kleiner Finger und Ringfinger kratzten die Kopfhaut, Zeigefinger und Daumen zwickten ins Ohrläppchen: Das war doch anders als bei Wind, Welle, Wasser und Sand. Aber das war ja auch nur eine Idee gewesen. Er sprach laut mit sich selbst, hellen Schmerz in der Herzgegend.
Er hielt ein Stück Papier über die flach auf den Tisch gelegte Anordnung und streute Eisenspäne darauf, um das Feld zu sehen. Er sah vier Pole, an jedem Ende jeder Spule einen. Das Magnetfeld der einen Wicklung bewirkte einen Strom in der anderen, der ein Magnetfeld bewirkte: Das war klar gewesen. Oder? Es war mehr als nur gut, die Pole und Linien mit eigenen Augen zu sehen.
Er überlegte, wie eine Wanne beschaffen sein müsste und wie ihre Füllung, um so ein Wellenbild zu erzeugen. Und wieso die Welle nur so kurz war und so schnell.
Beim Abendessen redete er nicht, was Sarah keineswegs störte. Dass er sie nicht küsste, hatte nichts zu sagen.
»Sie haben was gegen die Cholera gefunden«, erzählte sie mit dem Rücken zu ihm: »Statt Kalomel benutzen sie jetzt salpetrige Säure, eine Unze Pfefferminzwasser und vierzig Tropfen Opium.«
»Kalomel?«
»Quecksilberhornerz.«
Er sagte nichts dazu. Er hatte nicht hingehört. Er rannte hinter einem Strom her, der in seinem Kopf kreiste und schneller war als er, eine Idee, die er nur kurz gesehen, aber nicht erkannt hatte und kriegen wollte, bevor sie verschwand. Hatte er nicht schon auf der Treppe damit angefangen? Was, wozu war es noch mal gewesen?
»Man gibt es alle vier Stunden in dünnem Haferschleim oder einem Brei aus Sago oder Maniok«, hörte er Sarah sagen. »Warme trockene Tücher auf den Bauch, Flaschen mit warmem Wasser an die Füße.«
Er hätte es nicht wiederholen können.
»Dann striktes Alkoholverbot, bis es vorbei ist.«
Er sah sie an, skeptisch, als kennte er sie nur von Ferne. Das hier war sie aber.
»Dann striktes Alkoholverbot, bis es vorbei ist.«
»Was vorbei ist?«
»Die Cholera.« Sie seufzte. »Ein Schiffsarzt hat damit über zweihundertsechzig Fälle kuriert. Innerhalb von fünfzig Stunden. Kein Toter.«
»Ein Chirurg?«
Ihr Blick sagte Ja.
»Wo denn?«
Sie hatte den Namen vergessen: »Die Shark. Oder Dolphin. Oder so.«
»Wann denn?«
»Fünfundzwanzig.«
Cholera? Er musste den Anschluss wiederfinden, zum Teufel. Sie meinte eine Jahreszahl: »Achtzehnhundertfünfundzwanzig«, wiederholte sie, weil er nichts kapierte. Seine Gleichgültigkeit verstand sie überhaupt nicht, und sie billigte sie auch nicht.
»Wird sie nicht auch über die Kalbshäute übertragen?«, fragte er zu seiner Verwunderung, er musste das gelesen haben, vor Tagen oder Wochen oder vielleicht heute Morgen erst, hatte er heute Morgen Zeitung gelesen?
Woher wusste er das?
Sie sah ihn an, als redete er Unfug wie ein Kind, sagte: »Kalbshäute.«
»Die nicht unter die Quarantäne fallen.«
Ihr Blick strafend. Hatte sie selbst ihm gerade eben erst von den Kalbshäuten erzählt, oder gestern oder vorgestern, hatten sie eben darüber geredet, sie beide, eben, vor einer halben Minute? Oder gestern oder vorgestern?
Sie sagte: »Doch, die auch.«
Glück gehabt. In den uferlosen Raum fragte er: »Was?«
»Unter Quarantäne. Die Reeder haben ziemlich getobt.«
»Wegen der Quarantäne?«
»Wegen der Nachrede, es gebe keine oder sie hielten sie nicht.«
Faraday war jetzt an die Kochstelle gekommen und küsste Sarah, was beiläufig war und Bedeutung hatte.
»Die Angst davor ist so groß, weil man nach kurzer Zeit nicht mehr weiß, wer man ist.«
Das hatte er so noch nicht gehört.
»Einer war sicher, dass er tot ist«, Sarah schmeckte auf einem Holzlöffel eine Soße ab, deren Geruch längst den Raum erfüllte, was er jetzt bemerkte, als er gleichzeitig den Geschmack auf der Zunge hatte, obwohl nicht er, sondern sie es war, die probierte.
»Als man ihn fragte, wieso er das glaube, hat er von sich in der dritten Person gesprochen und gefragt, wieso er glaube, dass er lebe, wenn er nichts fühle.«
Faraday sah auf die Kartoffeln im Kochtopf. Anderson klopfte an die Tür, manchmal aß er mit. Faraday öffnete ihm stumm.
»Er war ganz blau im Gesicht, fast schon schwarz.«
Faraday war zurück am Herd, wendete den Blick von den Kartoffeln nicht ab.
»Keine Angst, Fleisch kommt auch auf den Tisch.«
Er nickte, setzte sich wieder, ohne zu wissen, was er neuerdings gegen Kartoffeln hatte. Anderson begrüßte Sarah und setzte sich über Eck.
»Sie wandert zwanzig Meilen am Tag«, sagte Faraday matt und gereizt, was die anderen hätten bemerken können.
»Wesentlich weniger als Napoleon in seinen besten Zeiten«, wusste Anderson, ohne eingeführt werden zu müssen, worum es ging.
Faraday störte die Bezeichnung »beste Zeiten«, er sagte aber: »Sie ist auch wesentlich weniger wählerisch.«
»Also wird sie kommen?« Sarah hatte sich zu den beiden Männern umgedreht.
Die beiden blickten sie nur an. Sarah musste die Frage wiederholen. Sie wollte eine Meinung haben.
»Die Katholiken«, so Anderson schnippisch, »sind der Meinung, sie kommt.«
Sarah setzte ein fragendes Gesicht auf, aus Höflichkeit, wie Faraday wusste, denn über das Thema hatten sie schon gesprochen.
»Sie meinen«, wurde Anderson deshalb explizit, »es stünde in keines Menschen Macht, die Cholera aufzuhalten. Allein Gebete könnten ...«
Faraday gefiel das überhaupt nicht: »Das meinen nicht nur die Katholiken.« Erst letzte Woche hatte er nach dem Freitagsvortrag einen Arzt aus dem Norden sagen hören, Katholizismus sei ein elektrisches Problem im Kopf, das man eines Tages würde beheben können.
»Glauben Sie denn eher an den Menschen als Überträger oder an die atmosphärische Theorie?«
Das wisse er nicht, sagte Faraday bloß.
»Aber was glauben Sie denn?«
Faraday sagte, in diesem Fall glaube er gar nichts, und wenn er etwas glaubte, so wäre das von keiner Bedeutung.
Anderson verstand ihn nicht: »Wieso?«
»Weil ich nichts darüber weiß«, Faraday war mehr als unwirsch: »Ums Glauben geht es dabei nicht.«
Sarah hatte zum Glück das Essen fertig.
»In Polen und Deutschland«, fügte Faraday ruhiger an, weil er keine noch schlechtere Stimmung entstehen lassen wollte, »versuchen sie mit bestimmten Anzügen, die Seuche anzuhalten. Hier gewachste, da ungewachste. Nur funktioniert es nicht. Niemand hat sie bis jetzt aufgehalten.«
Den Gedankengang von vorhin hatte er jetzt vollständig verloren, er musste aufpassen, nicht wütend zu werden. Sarah kannte ihn gut, wenn er die Geduld verlor, und darauf steuerte er zu.
»Also glauben Sie an atmosphärische Störung?«
»Nein.« Er selbst wusste auch, wie nah die Wut schon war, die immer bei ihm stand, sich manchmal an ihn lehnte oder das Rückgrat hochkroch, um ihn von hinten zu umarmen.
»In Russland sind es Reisende oder Matrosen, die krank in eine Stadt kommen, dann breitet sie sich aus«, plapperte Anderson. »Nur dass nicht jeder sie bekommt. In mancher Familie einer, in anderen alle.« Anderson machte ein fragendes Gesicht.
»In Riga erkranken die mit dem Fortschaffen der Leichen Beschäftigten sehr selten bis gar nicht«, sagte Sarah beiläufig. Sie suchte nach einem Ausweg, fand keinen.
»In Berlin«, meinte Anderson, »tritt sie auf, wo die Häuser eng beieinanderstehen und die Luft nicht abzieht, während sie an den Plätzen, wo die Luft besser ist, bis jetzt nicht war.«
Faraday zuckte mit den Schultern, was die Enttäuschung bei Anderson nicht verkleinerte. Sarah bemerkte sehr wohl, dass ihr Mann schnaufte vor Wut. Es gebe schließlich Leute, führte Anderson an, die behaupteten, die Cholera würde in wenigen Jahren die Menschheit besiegen: »Meistens Katholiken.«
»Ich weiß darüber nichts«, herrschte Faraday ihn jetzt an.
Sarah schickte ihm einen sehr schnellen mahnenden, besänftigenden Blick, hatte schon die Teller gefüllt und sich gesetzt, die Hände gefaltet, sodass Faraday unfreundlich ein kurzes Gebet sprechen konnte. Er mochte sich so nicht und würde Anderson so schnell nicht mehr nach oben bitten.
Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Faraday ihn angebrüllt hätte, aber das wusste außer den beiden Männern niemand. Auch nicht Sarah. Nach dem Essen verabschiedete sich der Helfer bis zum nächsten Morgen mit Danksagungen, die Faraday kalt entgegennahm. Er musste sich morgen konzentrieren, er brauchte auch gute Laune, um weiterzukommen, und Zuversicht, denn aus den kurzen Wellen wurde er nicht schlau. Er setzte sich wieder und schluckte einen Fluch hinunter, den er früher in der Schmiede alle paar Minuten von den Kollegen seines Vaters vernommen hatte und von dem man nicht glauben soll, er hätte ihn jemals vergessen. Sosehr er sich auch anstrengte.
Wo waren sie jetzt? Er musste warten, dass diese Wellen der Aufregung abklangen, aber das taten sie nicht. Immer redeten Menschen sinnlose Dinge durcheinander, verschwendeten Energie auf einen Gegenstand, dem sie sich dann doch nicht zuwandten, und wussten eigentlich nie, wovon sie redeten. Aber das wussten sie auch nicht. Sarah legte ihre Hand auf seine, das genügte ihr im Moment. Es machte die nächsten Minuten erträglicher.
Am Morgen gab Faraday seinem Helfer für ein paar Tage frei. Er fühle sich nicht wohl und wolle lieber allein und langsam arbeiten. Anderson nahm es zur Kenntnis, er gab sich Mühe, nicht gekränkt zu sein.
»Ich schicke nach Ihnen, wenn ich Sie brauche.«
»Sehr wohl.« Bis Woolwich hatte Anderson einen langen Spaziergang vor sich, auf dem er überlegen konnte, was Faraday verärgert haben mochte, der die Tür hinter ihm schloss, seinen Handlanger vergaß und die beiden Spulen vom Vortag ineinanderwickelte. Den Stromstoß machte das kräftiger, sonst änderte es nichts: »Sehr gut!«
Er ließ den Eisenkern weg, was ebenfalls nichts änderte: »Noch besser.« Dann saß er wieder mit hängenden Armen da, ratlos, beglückt, hier unten allein zu sein. Er wünschte nicht mehr, als in dieser Stille und Abgeschiedenheit Gottes Natur zu Diensten zu stehen, die so gütig war, ausgerechnet hier in Honigmilch zu baden und als kleine Aufmerksamkeit für seine Mühe und Artigkeit ab und zu eine bislang geheime Stelle zu entblößen. Wellen. Magneten. Linien und Felder. Plötzlich stand er auf und nahm ein Stück Eisen, wickelte einen Draht darum zur Spule, und wenn er das Eisen mit einem Magneten berührte, also magnetisierte, sah er wieder die kurze Stromwelle durch den Draht gehen!
Punkt dreiunddreißig: Er hatte »zweifellos Strom aus Magnetismus gemacht«. Er war am Ziel. Fast am Ziel, vielleicht nicht ganz. Vielleicht war das Ziel nah. Vielleicht war es unerreichbar wie der Mond, das konnte man nie wissen. Er blieb ganz ruhig in diesem Zustand, hielt die Spannung, schöner konnte es vielleicht nicht werden, oder es würde vielleicht nicht schöner. Wochenlang blieb es so, es waren Wochen, in denen Anderson sich wunderte, einmal ließ er fragen, ob alles zum Besten sei.
Das war es.
Sarah bemerkte seine Entrücktheit, freute sich für ihn mit. Er bemerkte das kaum. Er schlief gar nicht mal so schlecht, auch wenn er täglich früher aufstand und hinunterging. Wurde er immer langsamer? Sie war sich nicht sicher. Er wollte permanenten Strom aus einem permanenten Magnetfeld herausholen. Permanent wollte er damit Geräte antreiben, Maschinen, die sich ausdauernd abplacken würden, weil Ausdauer nicht ihr Problem war. Die ohne zu murren arbeiteten, ohne krank zu werden, garstig und alt, ohne Gicht und Rheuma zu kriegen und Hirnschläge und den Wunsch, dass alles vorbei war. Sie würden nichts als Leistung bringen und den Mangel abschaffen. Sie würden nicht länger Leben verplempern.
Er saß vor dem Tisch mit den Spulen und dämmerte vor sich hin, ab und zu tauchte die Frage auf: »Wie?« Und manchmal wusste er nicht, was gemeint war, hatte vergessen, was er wollte, und nicht bemerkt, wie die Kerzen abgebrannt und erloschen waren und kleine Rauchsäulen hatten aufsteigen lassen, die sich in größter Gelassenheit auflösten und nur Geruch hinterließen, den er hasste, der ihn wütend machte. Hatte er geschlafen? Manchmal ging er sogar spazieren.
Im November verließ er die Stadt für zehn Tage wegen Erschöpfung. Die Cholera hatte auf der Passage von Liverpool nach Dublin erstmals aufgemuckt, ein Mann erkrankte an Bord, überlebte jedoch, im Gegensatz zu seiner Dubliner Pflegerin. Dann hatte die Seuche in Glasgow und Revel ihr Gesicht gezeigt und ihre Seele weiter verborgen gehalten.
Sarah und Faraday waren in Brighton. Auch danach war er vorsichtig und schon bei Punkt zweihundertsiebenundzwanzig der neuen Messreihe, als er erstmals von einer Maschine sprach, einer neuen. Es war Dezember geworden, die Cholera war an der Ostküste des Königreiches gelandet, und Faraday hatte bereits in der Royal Society über das Neue vorgetragen, das er gefunden hatte: die Induktion.
In Sunderland starben von einer Familie Vater, Sohn und Großvater, eine weitere Verwandte starb im Krankenhaus, und ihre letzte Krankenschwester, die ihre Patientin nie lebend gesehen hatte, war nur eine Stunde später selbst erkrankt und am Folgetag jenseits der Hoffnung. Keinem hatte wiederholter, massiver Aderlass oder eines der zur Verfügung stehenden Brech- und Abführmittel helfen können. Auch die Wasseraufnahme zu begrenzen, war wirkungslos.
Vielleicht war die Seuche doch ansteckend, denn ein Schiff war gerade aus Hamburgh angekommen, wo am Tag zuvor die Cholera festgestellt worden war.
Die nächsten Toten gab es in Deptford und Newcastle, und man nahm anhand der zusammengetragenen Zahlen – Opfer pro Tausend pro Tag seit Ausbruch – wahr, dass die Cholera bei ihrer Ausbreitung nach Westen milder wurde. Vielleicht hatte es doch mit der Atmosphäre zu tun. Hoffentlich, dachte Faraday wie alle anderen, stimmten die Zahlen halbwegs.
An den Straßenecken boten Händler todsichere Pillen an. Ärzte stellten todsichere Injektionen zur Vorbeugung, leider nicht ganz billig. Sie wurden nur noch Quacks genannt, diese Ärzte.
»Wickelt man Draht zu einer Spule und schiebt einen Magneten hindurch«, wusste Faraday mittlerweile, »so kommt aus der Spule Strom: Die Änderung des Magnetfeldes ist die entscheidende Größe.« Er unterstrich Änderung, streute Eisenspäne auf Papier, fuhr am Magneten entlang oder drehte den Strom einer Spule hoch und runter: Die Linien bewegten sich.
»Der Draht muss die Kraftlinien des Magneten, in die sich die Eisenspäne legen, kreuzen: Dann gibt es Strom.«
Oft holte Sarah ihn aus dem Labor, wenn er das Ende des Tages zu verpassen schien. Sie klopfte dann, und er kam unter Entschuldigungen und Fragen, wie spät es denn sei.
»Zehn durch.«
Oben fragte sie, was er gemacht habe, und er zuckte mit den Schultern. Dann fragte sie nicht mehr und sah ihn zitternd die Hände schrubben, hörte ihn seufzen und sich an den Tisch setzen, die Hände an den Kopf legen und müde atmen. Sie fragte sich, wie diese Schmerzen sich wohl anfühlen mochten und wie die Erschöpfung, von der er immer sprach. Sie fühlte mit und hatte Angst, es genauer zu erfahren.
»Das Leben«, war Faraday sicher, und er blickte seine Frau mit großer Müdigkeit an, oder war es Milde oder Glück, so mit ihr sprechen zu können, »ändert sich von Grund auf.«
Dass es zum Guten sein würde, stellten sie nicht infrage, während täglich die Choleraopfer aufgelistet wurden: Hundertacht-undneunzig in Sunderland, hundertsieben in Newcastle, dreiundsechzig in Gateshead, neun in North Shields und Tynemouth, keines in North Shields und Westoe, vierzehn in Mouthon-Le-Spring, vier in Haddington. Die Seuche schien sich in bestimmten Straßen niederzulassen, aber die Ärzte kamen trotzdem nur einmal am Tag. Zu selten, fand man allerorts.
Es wurden Choleraärzte eingestellt.
Edinburgh, dessen Häuser wie die in Paris fünf oder sechs Stockwerke hatten, dessen Straßen oft so eng waren, dass man aus dem Fenster des einen Hauses in das des anderen steigen konnte, zwischen denen die Luft niemals abzog, wo es kaum fließendes Wasser oder einen Abtritt gab und von dessen Bewohnern sich die Londoner erzählten, sie nähmen ihre Pferde über Nacht mit hinein, wurde in den ersten Januartagen erreicht. Charles der Zehnte beantragte einen Pass für seine Heimat, und am selben Tag wurde ein junger, unbekannter und kerngesunder englischer Studienabbrecher namens Charles Robert Darwin vor Teneriffa nicht von Bord der Beagle gelassen. Wegen der Cholera sollte er erst mal zehn Tage Quarantäne einhalten.
Deshalb beschloss der Kapitän FitzRoy, gleich zu den Kapverden weiterzusegeln. Nur von Weitem konnte Darwin deshalb den Vulkankegel El Teide gleichzeitig im Wasser, in der Sonne und der Zeit liegen sehen. In aller Gelassenheit schien der Berg eine Andeutung davon geben zu wollen, was die Natur zu sein vermochte. Auf halber Höhe zierte ihn ein schmales, waagerecht in der Welt liegendes Wolkenband, oben trug er großflächig Schnee. Das reflektierte Licht schmerzte in den Augen des neugierigen Mannes, und vor der schieren Existenz fühlte er sich gleichzeitig klein und unbedeutend wie groß und geküsst: Das war nicht zu entscheiden.
Offenbar war er hier, offensichtlich war er Teil eines Ganzen.
»Unmöglich«, dachte er überwältigt und außer sich vor Enttäuschung, nicht an Land gehen zu können, »dass dies nur Verschwendung sein soll.«
In aller Ruhe wechselte das Licht, und die Nacht ließ Minute für Minute mehr Sterne über dem Riesen sehen. Der junge Mann auf der nach Süden davonsegelnden Beagle verstummte.
In Edinburgh atmete nicht nur eine Frau namens Frances Clerk Maxwell auf, als bekannt wurde, dass die Seuche sich nicht weiter ausbreitete. Sie war fast vierzig, schwanger und hatte ihr erstes Kind, eine Tochter, begraben müssen. Nur wenige Tage später, am 13. Februar, die englischen Toten hatten sich auf über tausend addiert, hatte die Cholera aber wieder in der anderen Richtung Strecke gemacht und sich unweit von Woolwich in Rotherhithe und Limehouse im Londoner Osten niedergelassen.
Das erste Opfer, hieß es, habe kurz vor seinem Ende kältere Hände gehabt als danach. Man stritt darüber, ob es die Cholera war, bis man sich einigte: Es war die Cholera. An Aufhalten dachte niemand mehr in der Millionenstadt. Dass hier gerade das Zeitalter der Dampfmaschine zu Ende gegangen war, ahnte niemand, und Faraday erwog auch dieses Mal keine Sekunde, ein Patent anzumelden.
»Ich habe alles da«, sagte Sarah beim Frühstück, weil ihr am Abend das Thema zu riskant gewesen war: »Opium, Pfefferminze, salpetrige Säure.«
Ob die Konzentration stimme, wollte Faraday wissen, wie sie zu sein habe, ob man das überhaupt wisse?
»Ja. Erst haben sie mir Salpetersäure gegeben.«
Ob sie Angst habe.
»Du nicht?«
Er glaube nicht, dass es sehr viele Opfer geben würde: »In Sunderland und Edinburgh haben es auch nur Einzelne bekommen. Genau wie hier.«
Sarah weinte.
»Man muss versuchen, möglichst kühl zu denken.«
Sie drehte sich mit bebenden Schultern weg.
»Haben wir sauberes Wasser für die Pfefferminze?«
»Wieso?« Immerhin hörte sie auf zu weinen, sah ihn wieder an. Er zuckte mit den Schultern, und nachdem sie noch eine Weile dagesessen hatten, die Hände auf dem Tisch ineinandergelegt, die Köpfe leer, ging er in den Keller, wo er so hektisch daran arbeitete, die Induktion in größere Stromerzeugung umzusetzen, als sei er bedroht. Sogar Nachrichten eines aufkommenden Streits um die Priorität bei der Induktion lenkten ihn nicht wirklich ab. Seine Ergebnisse waren von Paris aus nach Italien gelangt und von dort ohne seinen Namen wieder zurück nach London. Auf die Franzosen war doch kein Verlass gewesen. Ein scharfer Brief an die falsch berichtende Literary Gazette musste zur Klarstellung reichen, und ansonsten wollte er die Vorgänge einfach verachten und nie wieder ein Wort mit einem Kollegen reden.
Lieber suchte er eine Stromquelle. Mit einer Kupferscheibe bastelte er so lange herum, bis der erste Dynamo fertig war und der Strom nur in eine Richtung floss. Es war aber so wenig, dass damit nicht mal ein Froschschenkel zuckte. Die Stromquelle sollte außerdem überall sofort einsatzfähig sein. Überall war das Erdmagnetfeld. Musste man darin einen Leiter nur bewegen, um Strom aus ihm herauszuholen? Ein langes Kabel schwang er wie ein Springseil, erhielt aber sehr, sehr wenig Strom auf diese Weise. Auf den Premierminister Robert Peel, der unangemeldet in der Institution erschien, wirkte er, ganz vorsichtig gesagt, wie ein Zauberer.
Wozu das gut sei, fragte Peel lächelnd.
Das wisse er nicht, gab Faraday mittelmäßig gelaunt zur Antwort: »Ich wette aber, die Regierung besteuert es bald.«
Peel verabschiedete sich trocken.
Faraday wollte die Rotation der Erde in ihrem eigenen Magnetfeld nutzen und legte ein vierhundertachtzig Fuß langes Kupferkabel als Schleife in den Brunnen von Kensington Garden. Erlaubnis gab die Hoheit. Die Enden schloss er über zwei kleine Tassen mit Quecksilber an ein Galvanometer an. Es zeigte einen Strom, der aber aus der Voltaik der verschiedenen Metalle stammte, wie sich nach einigem Rumprobieren mit dem Quecksilber herausstellte. Deshalb warf er eine neunhundertsechzig Fuß lange Schleife von der Waterloo Bridge zur Hälfte in die Themse, in der Hoffnung, viel Strom zu ernten, wenn die Flut hereinkam und der Wasserspiegel wie eine sich bewegende Linse das Erdmagnetfeld in der Schleife führte. Es reichte nicht. Den Plan, ein Kabel in den Kanal zwischen Dover und Calais zu legen oder, besser noch, ein Kabel um den Erdball herumzuwickeln, verschob er auf später.
Bis zum Freitagsvortrag musste er den Dynamo so verbessern, dass er Funken schlagen und Froschschenkel zucken lassen konnte. Wie es ihm gelang, er wusste es nicht mehr genau, hinter ihm war immer schon Dunkelheit, aber er musste es nicht genau wissen, das Ergebnis genügte.
In Edinburgh brachte Frances Clerk Maxwell einen gesunden Jungen zur Welt: James.
5 Leere
Im Sommer demonstrierte Faraday die elektrolytische Zerlegung einer Säure statt mit einer Batterie mit dem Strom aus seinem Dynamo, während die Cholera Hauptgesprächsthema Londons war. Sie behinderte den Handel nicht nur, sie brachte ihn quasi zum Erliegen, denn jedes Boot musste in Quarantäne. Bei der Fahrt von Dover nach Calais waren mindestens drei Tage Vorschrift, und Schiffe aus manch anderer Stadt mussten zehn Tage warten statt wie bislang fünf. Die Opferzahlen in London waren aber gering geblieben, Dutzende starben, wo man Tausende befürchtet hatte.
Nicht wenige Londoner erbosten sich jetzt über die Vorsichtsmaßnahmen, die vom einst wegen des Gelbfiebers gegründeten Gesundheitsdirektorium beschlossen worden waren. Man bat allgemein doch zu prüfen, ob die Bezahlung manches Mediziners von der Cholera abhänge, und falls dies bejaht werden müsse, ob die Patrone und ihre Zahlungsempfänger nicht ein Interesse daran haben könnten, eine Cholerapanik so lange aufrechtzuerhalten, wie die Bevölkerung bei jeder Art von Krankheit bereit sei, an die Cholera zu glauben.
»Nein«, hörte man freitags auf den Gängen der Institution, auf der Straße oder beim Dinner gebildete Leute sagen, »der medizinische Stand ist in diesem Land und vor allem in London in den drei Monaten dieses Humbugs restlos dem System des Scharlatanismus verfallen. Die Wahrheit und das Gemeinwohl sind seine Opfer.«
Und »Ja«, wurde in der Regel geantwortet, »wenn es so weitergeht, wird jedes Viertel seinen Choleradoktor für ein Dutzend Guineas am Tag haben.«
Die Schifffahrt auf der Themse war mehr als übersichtlich geworden, und der Handel war zur fast vollständigen Ruhe gekommen. Händler vom Land kamen kaum noch in die Stadt.
»Sie wissen nicht mal, ob es asiatische Cholera ist«, hieß es, »oder spastische.«
Viele glaubten, die ganze Krankheit sei erfunden und es handle sich eigentlich um die Ruhr. Trotzdem war man am Ende des Jahres ratlos, weil die Lebenserwartung sank, von Mitte dreißig auf unter dreißig. In Bethnal Green wohnten die am schlechtesten bezahlten Arbeiter, die Diebe und Opfer der Prostitution. Oft teilten sich fünf oder sechs Menschen ein Bett, und die Iren, die das ganze Jahr barfuß liefen, schliefen auf nackten Kellerböden. Ihre Schweine hielten sie, wenn kein Platz für einen Stall da war, in den Häusern, in denen es meist keine Türen gab, aber auch keine Möbel, die man hätte stehlen können. Abfall und Asche lagen vor den Eingängen, wo sich die darübergeschütteten schmutzigen Abwässer in stinkenden Pfützen sammelten. Der Hunger regierte, und dank des vom Pferdekot verursachten Sommerdurchfalls, dank Cholera, Typhus, Tuberkulose, Scharlachfieber und weiß Gott was, denn oft wurde als Todesursache »Visitation Gottes« angegeben, lag die Lebenserwartung in Bethnal Green bei sechzehn Jahren.
Auf dem Land erreichte man in manchen Orten siebenundfünfzig Jahre. »Vielleicht«, sagten die auf ihr Latein stolzen Ärzte, »weil man auf dem Land eine natürliche Vakzination erhält.«
Auf Nachfrage, auf die sie es angelegt hatten, erklärten sie den Segen der Durchseuchung mit Kuhpocken und dass sie scheinbar nicht nur vor allen Pockensorten, sondern auch vor anderen Krankheiten schützte. Andere meinten, die Injektionen mit dem Sekret aus den Geschwüren der Kühe hätten erst für die heillosen Epidemien gesorgt, die immer mehr und unübersichtlicher würden.
»Das ist kriminell«, hieß es.
Es werde die Menschheit vernichten.
Manche behaupteten, dass die besseren Teile der Gesellschaft mehr über die Antarktis und das Erdmagnetfeld wüssten als über Bethnal Green, während Faraday versuchte, sich auf etwas zu konzentrieren, das ihm Fortschritt versprach, Fortschritt durch Verstehen und die damit zusammenhängende Verbesserung des Geistes. Er vermutete, dass die Diffusion der magnetischen Kraft Zeit benötigte. Zeit, wie auch der Schöpfer sie benötigt hat, um die Welt zu schaffen, wie die Wasserwelle sie benötigte, um das Ufer zu erreichen, und er selbst für jeden Gedanken, der zu einem Abschluss kommen sollte. Wie das Sonnenlicht sie benötigt, London und den Rest der Welt zu erhellen. Kein Anhänger Newtons hätte ihm zugestimmt, denn Kräfte waren nach Newton immer schon am Platz, sie zerrten immer schon am Apfel und rissen ihn ab, sobald die Kraft des Stiels nachließ, und niemals hätte Faraday laut gesagt, er glaube, die Eisenspäne stellten das Licht dar, ohne das es kein Leben gab und dessen Geschwindigkeit endlich war und nicht unendlich.
Aber er hatte diese Idee in einem verschlossenen Briefumschlag bei John George Children in der Royal Society hinterlegt, auf die mangelnde Zeit hinweisend, die ihm in der Institution zum weiteren Experimentieren im Moment blieb.
»Höchstwahrscheinlich«, hatte er geschrieben, sei die Theorie der Vibration, wie man sie von einer Wasseroberfläche oder dem Schall kenne, »auch zutreffend für das Licht«. Und für Elektrizität. Er wolle das experimentell verifizieren, sobald er Zeit habe, er wollte also, was andere sich nicht trauten: Newton, der keine Zeit zur Ausbreitung einer Kraft vorgesehen hatte, stürzen. Und eben nicht um des Stürzens, sondern um der Wahrheit willen. Bloß wusste er nicht, ob seine Kraft dafür noch reichte.
Sein Freund John Frederick William Herschel schickte ihm den Arzt Dr. Robinson zu Besuch. Er war ihm von Dr. Ferguson empfohlen worden, dem Generalinspektor der Militärhospitäler und Arzt am Hofe. Gleichgültig ließ Faraday ihn ein und zeigte ihm das Labor. Sie sprachen ein wenig über Galvanismus, und Faradays Laune besserte sich, als er dem Mann die Induktion zeigte.
»Sehr schön«, sagte der wenig interessiert und ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Faraday befremdete das. Dies war sein Labor.
»Wissen Sie, ich bin auf Toxine spezialisiert.«
Ohne jedes Verständnis sah Faraday ihn an.
»Unter anderem.«
Der Mann beobachtete die zitternden Hände seines Gastgebers, der sich fühlte, als starre der Mann ihm unversehens in den Schritt.
»Womit arbeiten Sie hauptsächlich?«
Faraday verstand nicht. Er wollte es auch nicht.
»Quecksilber?«
Faraday bemerkte streng, dass er jetzt an die Arbeit müsse.
»Haben Sie oft Kopfschmerzen?«
Er habe wenig Zeit, sagte Faraday aggressiv, er sei gewiss Manns genug, seine Arbeit zu tun, wie er sie immer getan habe. Robinson verstand. Ob Faraday ihm Geld leihen könne.
»Entschuldigung?«
Ja, Faraday möge bitte entschuldigen, er reise ohne Anstellung und Auftrag, habe aber doch ein reiches Register von Empfehlungsschreiben, die er ihm gern zeige könne, sollte das notwendig sein. Seine Hand verschwand schon zwischen den Bügeln in der Tasche, als Faraday abwehrte.
Es müsse nicht viel sein.
»Wieviel?« In Faradays Stimme und Blick lagen Welten.
Das Gesicht zum Boden geneigt nannte Robinson eine Summe, sein Ton war fragend und unehrlich, er brauchte das Geld. Faraday musste es von oben holen, bevor er es Robinson gab, ihm die Tür aufhielt und die offenbar einzige und letzte oder zumindest die beste Chance auf Diagnose und Genesung gehen ließ. Vielleicht gab es auch keine, denn es wäre leichter gewesen, Davy zu Lebzeiten dazu zu bringen, von seiner Frau zu lassen, als Faraday von seinem Labor. Schließlich war Davy nicht glücklich.
Hachette schrieb aus Paris, sich gegen den von Faraday öffentlich und schriftlich geäußerten Vorwurf verteidigend, die schnelle Mitteilung an den Pariser Kollegen zur Induktion sei ein Fehler gewesen. Er, Hachette, habe mit der Bekanntgabe nur Faradays unangreifbaren Ruhm als einer der größten Physiker gemehrt: Ob Faraday das einsehen wolle?
An der Royal Society entschuldigte sich Faraday für sein Fehlverhalten während einer Sitzung, die finanzielle Angelegenheiten betraf.
Aus Berlin sandte Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander Baron von Humboldt seine Ehrerbietung sowie die Ansicht, dass in zwei Teile geschnittene Zitterfische nur von Hirn und Herz aus elektrische Pulse von sich geben. Was denn Herrn Faradays Meinung sei und ob nicht seine Royal Society mehr Zitterfische aus Guiana einführen könne, der Seeweg sei doch so kurz.
Gerard Moll schrieb aus Utrecht, betört davon, dass der große Faraday ihn noch kenne und mit einem Brief beglückt habe. Moll war beim Astronomen Gauß gewesen, der noch immer seiner ersten, an Auszehrung gestorbenen Frau nachtrauere, aber auch einen magnetischen Telegraphen gebaut habe. Mittels eines Kabels von seiner Sternwarte bis zum drei Kilometer entfernten Kollegen Weber im physikalischen Kabinett an der Paulinerkirche in der Göttinger Innenstadt sei zunächst eine elektrische Klingel mit Induktionsströmen betätigt worden. Dann hätten die beiden die Klingel abmontiert und sie wieder durch einen beweglichen Magneten ersetzt. Sie hätten für jeden Buchstaben des Alphabetes eine bestimmte Folge von Stromstößen und Abständen zwischen ihnen vereinbart, sodass Gauß seinem Freund eine Nachricht senden konnte. Sie lautete: »Wissen vor Meinen, Sein vor Scheinen.«
Vielleicht weil Glauben nicht vorkam, konnte dies in den ersten Jahren der Induktion unmöglich für alle gelten. Schon gar nicht für die Ungeküssten, jene, die nicht geliebt wurden und nicht liebten, sondern nur schmachteten und ihre Eroberungen machen wollten. Mit ihren Meinungen füllten sich die Magazine, nicht nur Gedanken und alles Leben hielten sie für reinen Strom, auch das Licht war nichts als Strom, und die Sonne hielten sie für einen Kondensator. Kometen wurden auf elektrische Weise von der Sonne abgesondert, zum Beispiel der Halley’sche, der 1835 zu sehen war. Planeten bewegten sich jetzt auf Spiralen, die am Ende allesamt in die Sonne führten, ganz wie das Leben in den Tod. War auf diesem Weg Fieber der Agent Gottes, so war Fieber doch zugleich Folge der zu großen Stockung oder zu großen Abfuhr der galvanischen Flüssigkeit im Gehirn. Cholera wollte man, da sie atmosphärisch übertragen wurde, mit der elektrischen Isolation der Häuser bekämpfen, am besten ohne so lange auf die letzten Beweise zu warten, bis alle Menschen tot waren. Jede Bewegung, ob die des Krankheitserregers, Froschschenkels, Arbeiterarms oder Planeten, war wahlweise nur elektrisch oder nur elektromagnetisch und wahlweise Ausdruck von Gottes Wille oder Gottes Machtlosigkeit. Gegenrede folgte auf jede Gegenrede, Höflichkeit war nicht immer möglich. Man fürchtete, der Mond falle mangels Strom bald auf die Erde. Gut ging es der Presse. Es wurde sozialer Fortschritt durch den richtigen Einsatz der Wissenschaft gefordert und sozialer Fortschritt in der Wissenschaft, um sie besser in den Dienst der Entwicklung der Gesellschaft zu stellen. Eine ganz und gar freie Wissenschaft wurde ebenfalls gefordert, weil diese ganz und gar todsicher die besten Ergebnisse für alle brächte. Die Ungeliebten hatten viel Energie und waren von den Liebenden nicht leicht zu unterscheiden, jedenfalls wenn man nicht vom Fach oder selbst ungeliebt war.
Die Liebenden konzentrierten sich, um die Liebe bei Laune zu halten, auf weitere Opfergaben. Andrew Crosse hatte einen Brocken vom Vesuv unter Strom gesetzt und wochenlang mit Kaliumdisilikat und Salzsäure betropft, um Kristalle zu züchten. Nach vierzehn Tagen bildeten sich die ersten Formen aus, die wie Brustwarzen aussahen, nach achtzehn Tagen entstanden daraus längere Fäden, und am sechsundzwanzigsten Tag nahmen sie die perfekte Form von Insekten an. Achtundvierzig Stunden später lösten sie sich vom Stein und bewegten sich langsam durch die Schale ihrer Geburt.
Crosse wurde von den einen gefeiert als endgültiger Entdecker des Lebensrätsels, es hieß Elektrizität, von anderen wurde er als Blasphemiker verteufelt und als Materialist beschimpft. Er wehrte sich gegen die einen wie die anderen: »Mehr als ich beobachtet habe«, sagte und schrieb und wiederholte er sich vergebens, »habe ich nicht weitergegeben.«
In Fraser’s Magazine erschien die Erzählung »Der neue Frankenstein«, in der ein deutscher Student versucht, dem Monster eine Seele zu besorgen, indem er ein ägyptisches Grab aushebt, dort aber auf ein Loch im Boden stößt, aus dem Satan persönlich und ungeachtet einer Seele oder keiner Seele nach beiden Männern greift.
Auch Faraday musste, nachdem Kollegen am Freitag in der Institution über Crosse vorgetragen hatten, Gerüchte dementieren, er habe die Experimente kommentiert. Er wisse nicht, wodurch die Insekten zum Leben erweckt worden seien, schrieb er, und »Elektrizität und Silikat sind nach meinem Eindruck zufällige Komponenten, keine essenziellen«.
Nein, er plane keine eigenen Experimente dazu. Ein Jahr später zeigte er zwar, dass ein Zitteraal seine eigenen magnetischen Feldlinien besaß. »Die nervöse Energie«, beeilte er sich aber festzustellen, »ist nicht dasselbe wie das Lebensprinzip selbst.«
Medizinischer Galvanismus boomte davon ungestört. Neben Leberproblemen, chronischen Kopfschmerzen, Taubheit, Störungen der Sehkraft, Epilepsie, Blödheit, visuellen Erscheinungen, wie zum Beispiel weißen Katzen, oder Lähmungen jeder Art gab es kaum etwas, das man nicht mit Elektroschocks behandelte. Medizinische Induktionsspulen kosteten doppelt so viel wie direkt beim Instrumentenmacher bestellte, was das Vertrauen der Patienten stärkte. Elektrizität wurde mit Kontrolle gleichgesetzt, wobei es Abstufungen gab und natürlich auch Grenzen: Bei Frances Clerk Maxwell wurde Magenkrebs diagnostiziert. Sie konnte zwischen sicherem Tod und wenig Hoffnung durch eine Operation wählen. Eine Betäubung stand nicht zur Verfügung.
Sie wählte die Operation und starb wenig später. Ihr Sohn James kümmerte sich fortan um seinen Vater und ließ kein Fehlen einer Antwort auf seine Fragen gelten.
Auch gegen Faradays Hirnpflanzen half kein Galvanismus. In den Jahren nach der Entdeckung der Induktion wurde er nicht nur zu jedem möglichen und unmöglichen Thema befragt. Er wurde zum korrespondierenden oder Ehrenmitglied wissenschaftlicher Gesellschaften und Akademien von Petersburg bis Palermo und Philadelphia gemacht, von Oxford und Cambridge bis Göttingen, und immer wies er auf seine schlechte Gesundheit hin. Arbeiten von Kollegen las er kaum noch, die Wissenschaft der Elektrizität, die er gerade erst in wenigen Monaten restlos umgestürzt und erneuert hatte, ohne dass einem Kollegen etwas zu entdecken geblieben wäre, entwickelte sich »zu schnell, als dass ich folgen könnte«.
Sein Gedächtnis, beteuerte er, lasse weiter nach. An Gedächtnisübungen war nicht zu denken, nur an das Gegenteil: Ruhe.
»Nichts«, schrieb er seiner Frau aus Liverpool, »entspannt mich so wie das Zusammensein mit dir, und wie ich das schreibe, stelle ich fest, dass ich es laut sage, als wärest du hier.«
Er überlegte zwischenzeitlich gar, ob er nicht mehr über Elektrizität und Magnetismus nachdenke, als lohnend sei. Die Besprechung eines geplanten Altersgeldes, zu der ihn Finanzminister Lord Melbourne gebeten hatte, endete in einem Eklat: Wutentbrannt flüchtete Faraday nach einer flapsigen Eingangsbemerkung des Lords aus dessen Büro. Wochenlang musste die Affäre aufgearbeitet werden. Er wurde »fett« und machte darüber Witze. Er verdächtigte das kalte, feuchte Klima des Kellers, für seine Lahmheit verantwortlich zu sein, obwohl er das nicht beweisen könne. Niemals auch würde er die Institution verlassen, in der er wie eine Schnecke auf einem Stein sitze, die anderswo nicht mehr hinkomme, noch heimisch werden könne ...
Außerhalb des Labors griff Unsicherheit um ihn. Wieder und wieder wusste er nicht, welche Briefe er beantwortet hatte, welche nicht. Er bat um Erinnerungen. Seine Mutter starb im Alter von glücklichen vierundsiebzig Jahren. Während Königin Victoria den Thron bestieg, den sie erst wieder freigeben sollte, als Albert Einstein gerade Schweizer Staatsbürger werden wollte und seinen ersten Artikel in den Annalen der Physik publizierte, hoffte Faraday, dem Freund William Whewell nicht auf die Nerven zu gehen: »Sonst schmeiß meinen Brief einfach ins Feuer.«
In einer Abrechnungsfrage konnte er »Ordnung nicht von Unordnung unterscheiden«. Anfang Juni 1839 sandte er seinem Freund Charles Babbage, der ihn eingeladen hatte, Lady Lovelace kennenzulernen, eine Arbeit, die er ihm bereits Ende Mai schon einmal gesandt hatte. Statt »animals« schrieb er dabei »enamils«. Die Einladung lehnte er, obschon sie sehr verlockend sei, ab: Freitags habe er keine Zeit. Er gab ja noch Vorlesungen.
Ein Unbekannter schickte ihm Pläne für ein schnelles Luftfahrzeug, das hohl sein müsse und stabil genug, um ausgepumpt werden zu können, ohne zu kollabieren. Ein Schaufelrad würde dann Tempo erzeugen, steuern könne man mit Paddeln.
An drei Tagen die Woche war Faraday fortan für niemanden zu sprechen. Dem Portier machte er das so klar, dass selbst Benjamin Abbott, der schon lange nicht mehr in London lebte und seinen Jugendfreund seit Jahren nicht gesehen hatte, abgewiesen wurde.
Administrative Aufgaben in Institution oder Society hatte Faraday eine nach der anderen gestrichen oder abgelehnt, die Freitagsvorlesung war neben dem Labor die letzte Verpflichtung. Einmal erschien die Gräfin Lovelace.
Bevor sie ihm aber persönlich schrieb, wandte sich der Architekt und Bauleiter des Themsetunnels, Marc Isambart Brunel an Faraday. Seine Arbeiter wurden durch Gase krank, die aus dem Schlick der Themse, dem Abwasser der Millionen, entwichen. Mit Schwindel brächen selbst die stärksten Kerle zusammen, schwach bis zur Orientierungslosigkeit seien sie und erholten sich kaum. Brunel legte eine Probe des Schlicks bei, das Gas hatte er schon früher einmal geschickt. Faraday empfahl überreiche Belüftung, sonst wisse er leider auch nichts, und rief noch im selben Jahr eines Freitagabends den Hofarzt Dr. Peter Latham, der Faraday blass, schielend und so schwindelig vorfand, dass er kaum laufen konnte. Er selbst hielt sich für überarbeitet.
Der Arzt ließ ihn an beiden Schläfen zur Ader. Dann schickte er ihn, nicht ohne dass Faraday am nächsten Tag noch die Vorlesung gehalten hätte, nach Brighton: totales Arbeitsverbot. Nach drei Wochen kam er für wenige Tage in die Stadt, in besserer Verfassung, so meinte er, aber noch mit schlimmen Kopfschmerzen und anderen »fliegenden Gefühlen«, sodass weiteres Pausieren sicher das Beste sei.
Der Chemiker John Frederic Daniell schlug ihm vor, aus der Stadt zu ziehen, die Aufregung der Albemarle Street sei es doch, die zu groß sei für die Gesundheit.
An Jean-Baptiste-André Dumas in Paris schrieb Faraday, er habe als Einsiedler und unsozial, wie er sei, kein Recht, die Vorteile einer Gesellschaft in Anspruch zu nehmen, zu der er seinen Teil nicht beitrage. Dies gelte auch dann, wenn es, wie er hoffe, nicht durch ein kaltes oder mürrisches Herz, sondern durch die Umstände begründet sei, zu denen mentale Erschöpfung und der Verlust des Gedächtnisses gehörten. Dumas hatte Faraday zur Wahl des Auswärtigen Mitarbeiters der Académie Française nominiert. Die Zeit, mehr als ein korrespondierendes Mitglied zu sein, das fühlte Faraday deutlich, war vorbei.
Er vertauschte Namen und Monate und schrieb kaum einen Brief ohne Bemerkung zum Nachlassen der Kräfte. Und einmal, ohne zu wissen, was er in den Minuten vor dem Auspacken getan hatte, hielt er einen Stich in der Hand, den er sich gewünscht hatte. Er zeigte eine junge Dame, die linke Schulter im Vordergrund, einen Fächer unbeachtet in Händen, den Unterarm entblößt, Blumen im Haar. Eine spitze Nase sah aus dem Bild heraus, mit Augen und Mund, die Faraday nicht zarter, nicht galanter, nicht mit gespielterer Unschuld und frecher ansehen konnten. Es tue ihr leid, ließ ihn die Gräfin Lovelace im Begleitschreiben wissen, keinen Abzug mehr zu haben, den sie hätte signieren können. Dass der gemeinsame Freund Babbage Faradays Wunsch nach diesem Stich an sie herangetragen hatte, habe ihr »sehr geschmeichelt«.
Am nächsten Tag, in der nächsten freien Minute schrieb er zurück: »Der Wert des Portraits ist durch die Art, mit der ich es bekommen habe, um das Hundertfache gesteigert. Ich werde nicht wagen, mehr zu sagen als meinen Dank, nicht nur für das Portrait, nein, auch für Ihre Freundlichkeit.«
Das war im Juni. Im September machte der Chemiker John Dalton ihn auf Blei aufmerksam, er selbst habe in seiner Zeit in der Royal Institution vor mehr als fünfunddreißig Jahren damit Probleme gehabt, die ihn mehr als ein Jahr kosteten: Blei im Trinkwasser und Blei im Wein. Im November wurde Faraday beurlaubt, sein Kopfschmerz dauerte nun seit vier Monaten an, er solle nach Brighton gehen, bis er vollkommen wiederhergestellt sei. Dalton entschuldigte sich für schleppende Korrespondenz, seine Schwäche und sein schlechtes Gedächtnis seien der Grund.
»Dass Ihre Kraft und Ihr Dienst«, schrieb Faraday an Dominique François Jean Arago, »noch lange fortdauern möge, wünscht Ihnen einer, der seine eigene Kraft absterben sieht.«
Im Dezember bedankte er sich beim Chemiker John Joseph Griffin für eine Arbeit, die er aber »wegen einer Attacke in meinem Kopf« nicht werde lesen können, und entschuldigte sich schriftlich bei Edward Magrath für das abrupte Ende eines Gesprächs: »Ich kann nicht lange mit jemandem sein oder bei einer Sache bleiben.«
Man empfahl ihm, alle Städte, Freunde und jede wissenschaftliche Arbeit zu meiden. Er sei erschöpft, so die Diagnose, und dagegen hatte er nichts einzuwenden, dennoch glaubte er, »dass es nur immer schlechter wird«.
Im Sommer 1841 nahmen Sarah und Michael Faraday ein Dampfschiff vom London Quai nach Ostende und fuhren von da nach Aix, wo sie einen Tag lang eine Prozession zu Ehren von St. Peter erlebten. Dann nahmen sie eine Kutsche nach Köln, sahen den Dom an, den man noch vor der Jahrhundertwende fertigstellen wollte, fuhren anschließend den Rhein hinauf. Auf dem Weg nach Koblenz nahmen sie sich Zeit für den Drachenfelsen, es waren ihm »Ehre und Glanz der Franzosen und Russen exzellente Illustration, dass alles eitel und Unruhe des Geistes ist«.
Den Sommer verbrachten sie auf Anraten von Freund Schönbein »fern der dicken, schweren Atmosphäre Londons« in der sauberen Luft der Schweiz. Sie hatten gute Laune und wanderten oft dreißig Meilen am Tag, einmal legte Faraday auch fünfundvierzig Meilen in zehneinhalb Stunden zurück. Bei Einbruch der Dunkelheit war er zurück, sodass »Kraft und Urteil so schlecht nicht sein können«. Gerne hätte er die Hälfte davon gegen Erinnerungsvermögen eingetauscht, denn er musste sich eingestehen, dass es immer schlechter wurde. Vor London und den Freunden fürchtete er sich. Die Natur: Berge, Licht, Wasser, Wind genoss er.
Wieder in England, entschuldigt er sich bei Schönbein und Amadeo Avogadro, er wisse nicht mehr, ob die Arbeit des einen schon gelesen wurde in der Royal Society, beim anderen für den Mangel an Neuigkeiten, er könne nicht lesen oder arbeiten, nur Leere sei in seinem Kopf.
Aus »Sans Souci« schrieb Humboldt, sein König habe nicht gewünscht, sich selbst die Zufriedenstellung zu verwehren, den Namen in der Ehre des preußischen Ordens Pour le Mérite der Wissenschaften und Künste zu wissen, den Faraday durch seine Entdeckungen so illuster gemacht habe.
Beim dritten Lesen verstand Faraday endlich, wer gemeint war.
Der König hoffte, Faraday würde diesen Orden des Grand Frederic tragen, wenn er bei Gelegenheit den neutralen Teil des Kontinents besuche und im Potsdamer Schloss diniere.
Im Oktober beklagte Faraday nach einer neuen Attacke, dass das schlechte Gedächtnis eine große Zaghaftigkeit ausgelöst habe. Die Urteilskraft habe stark nachgelassen, und Anstrengung führe zu Drehschwindel.
Im November experimentierte er mit Blei: Es müsse Bleikarbonat oder hydriertes Bleioxid gewesen sein, das er auf Papier gestreut und angezündet habe, wobei es »zu meiner Freude in der Kerze zu Kügelchen metallischen Bleis oder dem dichten Rauch brennenden Bleis« verbrannte.
Im Februar 1842: »Mein Erinnerungsvermögen ist weg, meine Zeit vorbei.«
Ein Jahr später, im Mai, konnte er den Anfang eines gelesenen Satzes nicht mehr bis zu dessen Ende behalten. Die Hand folgte dem Willen nicht mehr, sodass er keinen Buchstaben sauber schreiben konnte. »Ich habe«, krakelte er an Schönbein, »einige Ihrer Arbeiten kürzlich mit großer Freude gelesen, aber ich bin so durcheinander, dass ich nicht weiß, welche es waren. Nummer sieben des Archivs, auf der ich Ihren Namen sehe, habe ich noch nicht angerührt, sie liegt jetzt vor mir, aber ich traue mich nicht zu lesen. Wegen des Schwindels.«
Im Juli konnte er das Papier vor sich nicht gut sehen, die Hand nicht gut führen, »wegen Schwindel und dem wirren Kopf«. Er ließ Interpunktion, i-Punkte und t-Striche weg, wenn er den Briefpartner gut kannte, um sich das Schreiben zu erleichtern. Manchmal schrieb Sarah für ihn.
Babbage fuhr zu den Lovelaces in Ashley, einem romantischen Ort an der Felsenküste in Somersetshire. Faraday fuhr mit Sarah nach Folkstone oberhalb von Dover, wo er sich, wie er feststellte, viel mehr um das Wetter sorgte als früher. Er musste an der Luft sein, um hoffen zu können, als »ein weniger verbrauchter Mann« nach London zurückzukehren.
6 Das Grubenunglück
Im Herbst 1843 trat er in eine neue, entspanntere Phase: Mit den Ausfällen ging er nun um wie mit allen anderen Begebenheiten. Hier und da bemerkte er nur noch, was er nicht mehr konnte, zum Beispiel das Buch von Scoresby, Spezialist für Packeis und neuerdings Magnetismusforscher, lesen, da er bei keinem der beschriebenen Experimente die Bedingungen bis zum Ergebnis behalten konnte.
Als im April eine Ausschlusswelle durch die Sandemanier ging, die auch Faraday traf, deutete er nur gegenüber Schönbein private Probleme an: Gesundheit und Stimmung waren an einem Tiefpunkt, über wissenschaftliche Neuigkeiten wusste er nichts, aber das habe keine Bedeutung, denn er behalte nichts und alte Dinge erschienen ihm oft als neue, sodass ihm alles vernebelt und zweifelhaft vorkomme. In die Sekte wurde er zu seiner Erleichterung wieder aufgenommen, nachdem er Demut bezeugt hatte.
Schönbein entdeckte das Ozon, Faraday freute sich mit ihm, konnte aber den Ausführungen des Freundes nicht folgen.
Von der Arbeit zu lassen, kam natürlich nicht in Frage. Eigenes, langsames Denken an die wenigen ihn interessierenden Gewissheiten der Kraftlinien war auch um ein Vielfaches eher möglich, als die Aufnahme von Neuem und allem, das von außen an ihn herangetragen wurde, ob es der Name einer ihm vorgestellten Person war, ein einzuhaltender Termin, Druck und Temperatur eines Gases, das bei einem Kollegen im Labor kondensierte, oder der Ablauf des gestrigen Tages.
Den Auftrag, als Gutachter die Katastrophe im Bergwerk von Haswell zu untersuchen, überbrachte ein Gesandter der Regierung Peel. William Prowting Roberts, wegen der Streiks mittlerweile gefürchteter Generalprokurator der über hunderttausend Mitglieder starken Arbeiterunion, hatte bei Peel vorgesprochen und durchgesetzt, dass die ersten Männer des Landes für Chemie und Geologie, Faraday und Charles Lyell, eingesetzt wurden. Fünfundneunzig Jungen und Männer waren bei der Explosion gestorben.
»Ich nehme den Zug um neun nach Birmingham vom Bahnhof Euston«, schrieb Lyell, der über Faradays Zusage sehr froh war. Es gab also kein Zurück. Lyell hatte einen Boten ausgeschickt, um herausfinden zu lassen, wie man nach Haswell kam, erwartete seinen Kollegen am kommenden Tag, einem Dienstag, »zehn vor neun am Gleis oder um halb neun bei mir in der Hart Street in Bloomsbury«. Sarah brachte ihn dorthin.
Noch am selben Abend waren sie ungeachtet des Regens, dank des Dampfes und der schnurgeraden Schienen, die aus dem Fahren reine, leichte Geschwindigkeit machten, in Durham. Gemessen an dem neuen Tempo war er nicht mehr weit von Kirkby Stephen entfernt. Sie bestaunten die Kathedrale, die es laut Faraday mit dem Petersdom aufnehmen konnte, fast zumindest.
»Aber das ist lange her«, ließ Faraday den verdutzten Lyell wissen.
Den Mittwoch verbrachten sie in der Mine. Acht lange Stunden schoben sie sich durch die dunklen, feuchten Gänge, standen in ihrer Zugluft und atmeten Kohlenstaub und Methan.
In der Mine war noch immer mit Kerzen gearbeitet worden, so viel wurde bekannt, nur teilweise kamen die als zu schwach verschrienen Davy-Lampen oder Geordy-Lampen zum Einsatz.
Die Luftzufuhr soll gut gewesen sein, besser als in anderen Minen. Das musste nicht heißen, dass sie ausreichend war, denn Explosionen gab es im Königreich zwei bis drei pro Woche. Bei den Gesprächen, die Faraday führte, als sei er zeit seines Lebens Kommissar gewesen, erfuhren sie, wie gut sich Davy-Lampen zum Anzünden von Zigarren eigneten.
»Jeder zweite Mann unter Tage«, wurde Faraday auf die Frage geantwortet, wie es um die Bildung der Leute bestellt sei, »kann seinen Namen nicht schreiben.«
Sie gingen die Schächte ab, in denen es die meisten Toten gegeben hatte. Er ließ sich die Lampen zeigen, an der Oxidation von einer sah er, dass Gas im Schacht gewesen sein musste. Ein Bergmann erzählte von einem Jungen, der von einem Wind fast weggerissen worden war, sonst aber nichts hatte wahrnehmen können. Der Bergmann selbst war zu weit weg, er hatte in seinem Abschnitt vor und nach der Explosion keinen Unterschied feststellen können, aber zehn Minuten vor der Explosion hatte der Luftzug die Kerzen ausgeblasen, und er bekam sie kaum wieder vernünftig an. Man konnte es an den Zerstörungen der Sperren ablesen, dass sich die Explosion in der Nähe eines toten Mannes ereignet hatte.
»Wie messen Sie den Luftzug eigentlich?«, fragte Faraday den Vorarbeiter.
Der Mann nahm eine Prise Schießpulver aus einer kleinen Schachtel, die er in der Hosentasche getragen hatte, und ließ sie durch die Flamme einer Kerze rieseln. Sein Kollege nahm mit einer Uhr die Zeit, die der Rauch für eine kleine Strecke benötigte.
»Gut«, Faraday räusperte sich.
Wo sie denn das Schießpulver lagerten?
Die beiden Männer sahen sich an und taten so, als verstünden sie nicht, worauf er hinauswollte.
»Sie brauchen ja einen Vorrat für diese Methode.«
Sie hätten es in einem Beutel, sagte der erste, und der zweite ergänzte: »Immer gut verschnürt.«
Faraday fühlte sich müde und setzte sich auf eine mit Lappen bedeckte Tonne, die ihn zum Ausruhen einlud.
»Aber wo«, wollte er wissen, »wo haben Sie den Beutel?« Die beiden sahen sich an, bis einer von ihnen sagte: »Sie sitzen drauf.«
Faraday sprang auf, als habe ihm jemand eine Pistole ins Kreuz gedrückt, und brüllte den Vorarbeiter nun doch an, es sei kein Wunder, dass hier Menschenleben verloren gingen. Er strebte ohne Verzögerung dem Ausgang zu, die Untersuchung war beendet.
Draußen traf er auf eine erregte Hundertschaft Bergarbeiter. Er sah Kinder, junge Frauen und Männer, die auffallend stark entwickelte Oberkörper besaßen, und er wurde von müden, erwartungslosen und wütenden Augen angestarrt.
Roberts war ebenfalls eingetroffen. Er holte Faraday ab, um zu Abend zu essen, wartete aber nicht so lange mit seinen Nachrichten. Auf dem Weg berichtete er ausgiebig von den Verhältnissen unter den Arbeitern. Sie kamen gleichzeitig im Vereinsheim der Arbeiter und bei der Kinderarbeit an: »Sie wissen, dass an den engsten Stellen Vierjährige in der Grube arbeiten?«
Faraday nahm vom Brot und sah ihn so an, dass er weitersprach.
»Auch die älteren Kinder werden oft von ihren Eltern bei Einbruch der Nacht gesucht und schlafend im Straßengraben gefunden. Sie tragen die Kinder nach Hause, waschen sie, während sie schlafen, und sonntags verlassen die Kinder das Bett nicht, um am Montag wieder bei Kräften zu sein. Die Pubertät tritt hier im Schnitt zwei Jahre verspätet ein. Wir hatten einen Fall eines Neunzehnjährigen, der aus Kraftmangel nicht entwickelt war.«
Faraday nickte. Weil er fürchtete, Roberts würde die Verdrängung der Arbeiter durch Maschinen kritisieren, und noch mehr aus Erschöpfung und Unschlüssigkeit, über wen er sich am meisten aufregen sollte, teilte er nichts von seinen elektrischen Träumen mit. Er ging bald zu Bett, wo er sich ein Tuch über die Augen legte und an nichts dachte. Er hatte leichte Zahnschmerzen unten links, das kannte er schon. Er behielt es für sich.
Am zweiten Tag in der Mine ergab sich nichts wesentlich Neues, aber durch einen Einsturz wurde er von Lyell getrennt. Sie blieben unverletzt, mussten verschiedene Ausgänge nehmen. Als Faraday ans Licht kam, regnete es, und er fand dort einen Mann vor, der auf ihn gewartet zu haben schien. Während andere ihn baten, für die Witwen und Waisen zu spenden, was er gerne tat, erklärte der Mann in gebrochenem Englisch, die Art des Wirtschaftens sei an allem schuld. Es würde so billig so viel produziert, dass die Wirtschaft regelmäßig kollabiere. Die nächste Absatzkrise durch Überproduktion und mangelnde Kaufkraft komme in drei Jahren, sie werde schlimmer als die letzte und würde unweigerlich in eine große Revolution münden.
Ein gut gekleideter Mann mit Hut und Stock, der sich Faraday nicht vorgestellt hatte, mit dem anderen aber offenbar schon vorher debattiert hatte, fiel ihm ins Wort: »Wenn man ihnen mehr Geld gibt, arbeiten sie doch gar nicht mehr.«
»Wenn man ihnen mehr Geld gibt«, sagte der erste Mann, dessen Zungenschlag Faraday nun als Deutsch erkannte, »können sie endlich ihr Leben bestreiten, sie geben das Geld schließlich aus. Sie werden unter anderem besser wohnen wollen, sie werden Möbel kaufen, Kleider, was anderen Arbeit und Einkommen bringt, und das System kommt ins Gleichgewicht. Man muss sie beteiligen.«
Er sah Faraday an.
»Wenn die Unternehmer nicht profitabel wirtschaften können«, meinte der Mann mit dem Hut mit sauberer Aussprache, »kommt alles ins Stocken. Wenn es sich nicht lohnt, dann investiert niemand mehr, niemand übernimmt mehr Verantwortung, und niemand hat Arbeit.«
»Wenn niemand etwas kaufen kann, dann lohnt es sich nicht«, sagte der Deutsche. Für so eine Diskussion war Faraday nicht so weit heraufgekommen, egal wie angenehm die Fahrt mit dem Zug auch gewesen war.
»Ansichtssache ist das nicht«, wollte der Deutsche von ihm bestätigt haben, aber Faraday sagte nur, das eine Extrem sei in der Regel so falsch wie das andere, und in dem Moment stieß Roberts zu ihnen, der in der Gruppe mit Lyell gewesen war.
»Darf ich vorstellen«, sagte er trocken zum Herrn mit dem Hut: »William Nassau, Professor für politische Ökonomie«, und Nassau fügte an: »Oxford«. Roberts wies gleichzeitig freundlich auf den Deutschen: »Friedrich Engels.«
»Die Revolution kommt«, sagte der, »man kann sie berechnen.«
Faraday berührte mit der Zungenspitze den schmerzenden Zahn, dann das Zahnfleisch innen und außen, es hatte sich eine Beule gebildet. Es reichte, die Zunge auf den Zahn zu legen und sehr leicht zuzubeißen, um den Schmerz aufschießen zu lassen.
Er war froh, dass nun auch der mit schwarzem Staub bedeckte Lyell herangelaufen kam. Er hatte einen Herrn mit Schirm bei sich. Jetzt bemerkte Faraday, wie schmutzig er selbst war. Alle empfahlen sich höflichst, und als Paare gingen sie auseinander, Roberts und Engels aufgeregt redend, die Naturwissenschaftler nachdenkend und daher schweigsam. Nur der Ökonom ging nach förmlichem Gruß, den Faraday aus mangelnder Aufmerksamkeit verpasste, allein seines Weges.
Erst auf der Rückfahrt, nachdem man sich im Gutachten wie absehbar auf einen Unfall geeinigt hatte, der den Verlust der fünf-undneunzig Leben verursacht hatte, kamen sie wieder auf die Auseinandersetzung zu sprechen.
»Revolution«, meinte Faraday nur kurz angebunden, und hielt sich die Hand an den schmerzenden Unterkiefer, »ist wie ein Blitz im Gewitter. Der schlägt mal da ein und mal da. Das kann man nicht vorhersagen.« Man sollte seiner Meinung nach weder zu viel spekulieren, noch sich seiner Sache zu sicher sein.
Lyell lächelte.
»Schon früher«, ereiferte sich Faraday, wie es Lyell an ihm nicht kannte, »waren sich alle ihrer Sache sicher, nur die Weisen nicht. Zuerst waren Erde, Luft, Feuer und Wasser die Wahrheit, dann Salz, Schwefel und Quecksilber, dann Phlogiston. Dann Oxosäuren und Sauerstoff. Nun Atome? Wir können uns der Fakten sicher sein, aber niemals ihrer Interpretation. Man muss schon einen Fakt für einen Fakt nehmen können und eine Annahme für eine Annahme und sollte sich von Vorurteilen immer wieder freihalten. Und wo das nicht möglich ist, wie in der Theorie, soll man nicht vergessen, dass es sich um Theorie handelt.«
Die um ihn herum redenden Menschen, die der Zug zu ihren Zielen transportierte, die Arbeiter, die gestern für bessere Bedingungen gestritten hatten, die anderen, denen alles egal war, die Besitzenden, die sich an ihre Vorteile klammerten und sie für die Grundlagen der Gesellschaft hielten, der Regen und die Kälte, eine Zeitung, der Zahnschmerz, eine Kirche, an welcher sie im Augenblick vorbeifuhren, die Erwartungen an ihn, samt der Überlegungen, ob sie erfüllbar waren oder nicht, Höflichkeiten, Floskeln, Grobheiten, der wissenschaftliche Fortschritt, den seine Freunde und Kollegen an ihn herantrugen – alles war Lärm für ihn.
Lyell sah ihn besorgt an, fragend.
»Wir werden elektrische Maschinen bauen«, sagte er deshalb, »die können die Kohle aus den Minen holen. Sobald wir eine Stromquelle haben.«
Lyell sah ihn weiterhin besorgt an: »Arme wird es immer geben.«
»Immer weniger«, meinte Faraday und wusste selbst nicht, ob er daran glaubte, aber er wollte daran glauben: »Je mehr Bildung unters Volk kommt.«
Lyell sah ihn immer noch besorgt an, aber auch das war Lärm, nicht verarbeitbar, und den Rest der Fahrt verbrachte Faraday mit dem Mantel über dem Kopf. Er ließ nur durch eine Falte genügend Luft an die Nase kommen, dämmerte so vor sich hin und genoss das Sparen von Energie. Ein Stillhalteabkommen mit der Welt, einseitig geschlossen. Zu Hause legte er sich zwei Tage ins Bett, wie in den Bauch eines Wals, der ihn durch die Zeit trug, über Dünen und Abhänge und Spalten im Meeresboden, in denen er seinen Verstand vermutete. Er hatte Halsschmerzen, einen weißen Belag, den Sarah bemerkte und auch der herbeigerufene Dr. Latham, aber einen Aderlass lehnte Faraday ab. Beim Schlucken musste er sich am Bettpfosten festkrallen, das Zahnfleisch blutete bei Berührung, die Beine schmerzten vom bloßen Daliegen und noch mehr, sobald er aufstand und sie benutzte.
Er hoffte einfach, nicht angesprochen zu werden.
Ohne viel schlafen zu können, ohne viel zu denken, ließ er Tage vergehen, aber er wusste, dass er sich langsam erholen konnte und der Punkt erreichbar war, an dem er wieder aufstand. So war es noch immer gewesen, auch wenn es als einzige logische Konsequenz an einem näher kommenden Tag einmal nicht mehr so sein würde.
Sarah brachte Suppen und Tee und ließ ihn auch dann in Ruhe, wenn er kraftlos vor sich hinstöhnte, denn das war nicht seine Art. Sie schlief mit der Hand in seinem Hosenbund, und er versuchte sich möglichst wenig zu bewegen, denn wie die Wintersonne im Gesicht eines Gesunden führte ihm die Hand etwas Kraft zu. Bis zur dritten Nacht hatte er genug gesammelt, dass sein Körper den akuten Alarmzustand aufgeben konnte. Er fand Schlaf. Dann kehrte der Hunger zurück, und es ging weiter aufwärts.
Mit Lyell forderte er schriftlich die bessere Ausbildung der Bergleute, um Leben zu retten und neue Verfahrenstechniken zu entwickeln. Außerdem rieten sie zum Bau von Abzugsröhren, von denen die Minenbesitzer bald behaupteten, ihre Kosten beliefen sich auf einundzwanzigtausend Pfund. Faraday und Lyell kamen auf hundertsechsunddreißig Pfund. Einen zweiten Auftrag in der mittlerweile explodierten Mine in Coxlodge lehnten sie ab, denn es würde kein Ende nehmen. Sorgen machte ihm nur sein eigenes Werk, weil es unvollendet war, und seine Gesundheit, um die es noch viel schlechter stand und die sich in die falsche Richtung entwickelte.
7 Ada Lovelace
Jeden Funken Leben, der in ihm war, musste er nutzen. Weil die Elektrizität ihn so okkupiert hatte, bekam er Hunger auf Chemie und wollte bei der Verflüssigung von Gasen weiterkommen. Aber dann kreuzte die Überzeugung durch seinen Geist, dass alle diese Dinge unter einem Gesetz standen, und je mehr Druck alle machten, jedes auf seinem Weg, desto eher kämen sie an und träfen sich in der Kenntnis der natürlichen Gründe, aus denen alles Sichtbare verstanden und genossen werden konnte.
Was auf seinem Weg noch fehlte, war die Verbindung des Magneten mit seinen Kraftlinien zum Licht mit seinen Wellen. Unmöglich, dass dies zwei vollkommen verschiedene Dinge waren, die nichts voneinander wissen wollten. Faraday fühlte sich wie ein Mann, der die achtzig überschritten hatte und das nicht aufrecht hatte tun können: In der Situation nützte Warten nicht. Er hielt den Kopf, der ihm nicht mehr gehorchte und nicht mehr gehörte, oft in den Händen.
Längst ahnte er, dass die Schlingpflanzen aus toten Adern bestanden, die sich weiterfraßen, immer mehr Ritzen und Falten und Nahrung fanden, in denen sie sich ausbreiten konnten. Neue Verbindungen schuf das Hirn langsamer als alte Wege zerstört wurden. Langsamer, genüsslicher konnte man nicht verspeist werden. In seinem Keller war kein Fenster, aus dem man hätte nach dem täglichen Leben in der Stadt oder einem Zeichen am Himmel sehen können. Es hätte ihn auch sehr angestrengt. Das Zeichen kam trotzdem. Es war ein Brief.
»Ich werde Sie mit einer Offenheit und Innigkeit ansprechen«, las er im Herbst 1844 im kühlen, feuchten Labor die Handschrift der Gräfin Lovelace, »welche durch die bloße Zahl der jemals in des anderen Gegenwart verbrachten Stunden nicht gerechtfertigt sind.«
Seit Jahren sehne sie sich danach, mit ihm zu verkehren und befreundet zu sein. Sein Jünger zu werden. Nur habe sie lange gewartet, da sie sich des Privilegs nicht wert fühlte, solange nicht die Entwicklung ihres Geistes sicherstellte, dass jede Stunde, die er mit ihr verbringe, jeder Gedanke, den er ihr widme, eine Bereicherung für beide sei. Diese Zeit, betonte sie, sei nun gekommen.
Sie bedankte sich für die kleine Arbeit, eine Spekulation über elektrisches Leitvermögen, die er ihr im Frühjahr gesandt hatte, und die sie mit der »tiefsten Aufmerksamkeit« gelesen habe, die für ihre eigene Zukunft als Analystin eigenartige und vielleicht wichtige Betrachtungen angeregt habe, die vielleicht nie jemand mit so viel Wertschätzung für ihre praktische Seite gelesen habe wie sie und für deren Autor sie einen Respekt empfinde, welcher der Ehrfurcht nicht in viel nachstehe. Es gebe Situationen im Leben, wenngleich es tatsächlich sehr wenige seien, in denen die charakterliche Übereinstimmung und die der Interessen direktes Sprechen des einen Geistes zum anderen erlaubten, ohne auf die normalerweise sehr notwendigen und nützlichen Beschränkungen des äußeren Umgangs zu achten.
»Sie werden«, meinte die Gräfin selbstbewusst, »so freundlich sein, mich einfach als eines der Kinder Gottes zu sehen. Im Zufall, ein Bewohner dieses Planeten zu sein, dieser besonderen Ecke Englands, die weibliche Form des Menschlichen zu repräsentieren, bin ich nur eine der vielen Kreaturen nach Gottes Formel des moralischen Wesens, das mit seinesgleichen in Beziehung stehen kann und mit Ihm.«
Schon lange lebe sie im Tempel, dem Tempel von Wahrheit, Natur, Wissenschaft! Und jedes Jahr nehme sie das Gelöbnis genauer, bis jetzt, wo sie das Tor und die Mysterien passiere, die einen Rückzug ausschlössen, und sie dieses Leben, diese ihre Seele, fürderhin auf den Altar der ungeteilten, unerschöpflichen Wissenschaft lege.
Faradays Augen suchten Halt: »Ich hoffe, als Hohepriesterin von Gottes Schöpfung auf dieser Erde zu sterben und das Recht erworben zu haben, meiner Nachwelt das Motto Dei Naturaeque Interpres zu hinterlassen.«
Er las weiter und erfasste weniger genau den Inhalt der einzelnen Sätze von Anfang bis Ende, als dass er den Ton im Ohr hatte: Die Initiation freilich sei streng und langwierig und werde ihre Kräfte vielleicht übersteigen.
Sie wollte einmal in der Woche einen Tag mit ihm arbeiten oder alle zwei Wochen einen. Sie würde jede seiner Arbeiten lesen, seine Aufmerksamkeit für sie solle ihn nicht ablenken, im Gegenteil, sie wolle »die Welle seiner Existenz nicht um den kleinsten Winkel aus ihrer Richtung bringen. Wenn aber meine Welle in manchen ihrer Punkte der Ihrigen folgen und sie berühren kann, damit sie einander kräftigend ergänzen, dann, ja, dann ist alles gut«.
Faraday drehte den Zettel einmal um und wieder zurück, las noch einmal Anschrift und Anrede, Absender und Zeichnung, es war wirklich ein Brief der Gräfin Lovelace, gerichtet an ihn.
Natürlich, las er, würde sie alle Termine nach ihm richten und in der Stadt sein, wann und wie er es wünsche. Ihr eigenes Interesse seien übrigens das Nervensystem und seine Beziehungen zu den eher okkulten Einflüssen der Natur, die sie mit der Mathematik zusammenbringen wolle, aber das müsse noch privat bleiben. Natürlich sei das eine Lebensaufgabe, die sie aber hoffentlich zu Ende bringe, bevor ihr Tod sie zu einem strahlenden, brennenden Licht der Menschheit mache.
Faraday saß auf einem Schemel, der in der Nähe gewesen war, als Anderson ihm den Brief gegeben hatte. Nun stand er auf und ging in das Magnetische Laboratorium hinüber, um die letzten Absätze allein zu lesen: Sie wollte auch über Religion mit ihm reden. Ob nicht der höchste und durchdringendste Grad an Intellekt nur zu erreichen sei, wenn man zu einem höheren spirituellen und moralischen Stand käme, als man normalerweise überhaupt anvisieren würde? Er sei der einzige Philosoph, der ihr dieses Gefühl in seiner vollen Kraft gebe, und sie hoffte, nichts falsch verstanden zu haben, denn wenn sie hier übereinstimmten, so seien sie in der wissenschaftlichen Welt ein wohl einzigartiges Paar.
Er sah kurz um sich, er war allein.
Sie wisse nicht, schloss die Gräfin Lovelace, in welcher Sekte er sei, fand aber, das spiele auch keine Rolle. Sie selbst sei ein bisschen swedenborgisch, ein bisschen römisch-katholisch und habe auch Allianzen mit den frühen Rosenkreutzern: Keiner sei je vollkommen im Recht oder im Unrecht. Schließlich sende sie ihm keine Entschuldigung für diesen langen Brief, sie empfinde keine Notwendigkeit.
Er stand auf, faltete den Brief zusammen, steckte ihn in die Tasche seines Kittels und setzte, ohne ein Wort zu verlieren, die Arbeit mit Anderson fort. Sie hatten Probleme mit dem Quecksilberröhrchen, das zu verdreckt war, um den Druck des Wasserstoffarsenids beim Erhitzen genau genug zu messen. Jedenfalls traute Faraday dem Röhrchen nicht. Ada Lovelace wollte ihn also, dachte er, von der Hälfte seiner Last befreien, indem sie sich auf ihn warf.
Ratlos hatte er den Brief am nächsten Morgen, bevor Anderson kam, wieder in der Hand, las ihn zweimal und steckte ihn ratlos wieder ein. Seine Liebe zog ihre Liebe an. Er gab Anderson frei, ging sich den Zahn ziehen lassen und verbrachte einige Tage mit leichtem Fieber in der Obhut Sarahs. Der Schmerz versickerte langsam in ihm.
Zurück schrieb er erst danach. »Die Natur ist gegen Sie«, erklärte er. Dann schilderte er seinen Verschleiß. Sie ahne nicht, wie oft er seinen Arzt aufsuche, weil ihm schwindelig sei und der Kopf sich drehe. Es sei nicht der Geist selbst, aber die physikalisch-mentalen Verbindungen zwischen Geist und Körper und besonders das Gedächtnis, das nicht mehr arbeite und ihn oft hindere, Untersuchungen zu machen, die zu Entdeckungen führen könnten. Nicht einmal durch seine eigenen Experimente könne er sie mehr führen. Immerhin: Stundenlang könne er mit ihr über ihren Brief reden, wäre er mit ihr zusammen, denn so fruchtbar sei der Brief. Und doch täte ihm das vermutlich nicht gut. Die Moral allerdings, soviel habe er gelernt und wolle sie es gleich wissen lassen, würde leider nicht mit der mentalen Kraft einhergehen.
»Ich werde Ihnen kaum helfen können«, schrieb er auch, »Sie müssen ja vom Bekannten zum Unbekannten gehen, wo die Klarheit des Erforschten an die Stelle des Obskuren tritt, das sie noch umgibt.« Und: »Was Ihr Geist begehrt, werde ich vielleicht nicht mehr erleben.«
Er faltete den Brief zusammen und sah das prächtig mit bunten Blumen geschmückte verführerische Segelboot mit Namen Augusta Ada King Byron, das auf der sommerlichen Themse lag, um ihn zu holen, leer wieder ablegen. Er wollte in den Keller, wollte den Kontakt zu seiner Arbeit nicht verlieren. Er war dreiundfünfzig Jahre alt, und die vierundzwanzig Jahre jüngere Gräfin Lovelace saß im selben Moment in Ashley Combe, jeder Konvention überdrüssig, und schrieb, ohne seine Antwort abgewartet zu haben, erneut: Er solle bloß nicht antworten, bevor er Zeit dazu habe, er solle bloß tun, was ihm natürlich erscheine, er solle bloß nur an sich denken, nicht an sie, er solle bloß keine Zeit verschwenden mit sinnlosen Briefen und solle sie bloß »als nichts als ein Instrument sehen«.
Würde er sie besser kennen, so würde er sicher sehen, dass eine gewisse wissenschaftliche Zusammenarbeit beiden Parteien dienen würde. Deshalb wolle sie seine Schülerin sein.
Faraday musste Schönbein mitteilen, den Termin für das Treffen in Cambridge vergessen zu haben und nicht zu wissen, wo er danach suchen solle, und nachdem er das als »das alte Problem« abgetan hatte, antwortete er der Gräfin, ohne dass ein Tag hatte vergehen müssen: Es sei nun eine andere Kommunion zwischen ihnen beiden.
Die Briefe brauchten immer nur einen Tag oder zwei.
Ada Lovelace feuerte von ihrem Schreibtisch in Somerset zurück: Keinen Tag werde sie vergehen lassen, ohne ihm zu danken. Was er sie habe wissen lassen bezüglich seines momentanen Zustandes, verkleinere nicht im Geringsten ihren Wunsch, ihm nahe zu sein, es modifiziere nur die Art. Wenn er ihr doch von seinen Gedanken mitteilte, was er anderen Wissenschaftlern vielleicht nicht mitteilen möge, wenn er ihr erlaubte, mit ihm zu verkehren, so würde ihm das vielleicht ermöglichen, diese Welt nicht mit dem Gefühl zu verlassen, so vieles nicht getan zu haben. Er solle sie sich vorstellen als eine Kreatur, die alles gibt und nichts erwartet! In der Mitte oder gegen Ende des kommenden Monats werde sie in der Stadt sein, und sie sei sicher, er werde mit ihr einen langen Abend in ihrer Stadtresidenz am St. James’s Square teilen. Oder einen kurzen. Wie er es wünsche.
»Ich werde Ihnen wieder schreiben und alles Ungesagte sagen, das Sie hören sollen, bevor wir uns treffen.«
Im Postskriptum erklärte sie, dass der einzige Zweifel, der sie noch schüchtern mache, die Angst sei, aufdringlich zu sein. Zwar glaube sie, dass ihre Absichten ganz unmissverständlich seien, sollte sich aber herausstellen, dass sie zu den Ansprüchen beitrügen, die ihn so ermüdeten, dann ziehe sie sich genauso zurück, wie sie nun dränge. Sie glaube eben nur, zu seinem Frieden und seinem Wohlbefinden beitragen wie seine Sorgen verkleinern zu können: »Wie leicht«, schloss die Gräfin, »es mir doch fällt, Ihnen zu schreiben. Ich laufe Gefahr, sehr frei und umfassend zu werden«, und Faraday hatte, einen Tag später den Brief in der zitternden Hand haltend, zum ersten Mal das Gefühl zu wachsen, denn an die anderen Male konnte er sich nicht mehr richtig erinnern.
Selbstredend machte Ada ihre Drohung war und schrieb nur eine gute Woche später, wie viel er doch gesagt habe einfach durch die ausbleibende Antwort auf ihren Brief, diesen letzten Brief meine sie, den sie auf seine zwei geschrieben habe!
Das zeige ihr doch, wie gut sie sich verstünden. Wie tief sein Einverständnis zu ihrer Kommunikation sei: »Ich spüre dies, als ob Sie Bände an mich geschrieben hätten.« Sie vergaß nicht, abermals zu erklären, dass sie seine Assistentin sei, »die Braut der Wissenschaft«, der er Aufträge erteilen solle. Um den 25. November herum wolle sie in London sein und hoffe, dann einen Abend mit ihm verbringen zu können und am nächsten Morgen in seinen Keller kommen zu dürfen, um sich alles anzusehen, ihn aber keinesfalls zu stören! So wolle sie herausfinden, wie sie ihm am besten dienen könne.
Gerade schreibe sie die Notizen zu Luigi Menabreas Denkschrift bezüglich Charles Babbages analytischer Maschine, auch wenn sie sich übrigens wünschte, Babbages Wesen wäre in manchem Punkte dem verwandter, was sie an Faraday so bewundere. Babbage habe zu viel Selbst und zu wenig von dem, was sie »göttliche Liebe« nenne. Er habe einen großartigen Intellekt, doch stünde der noch höher, wenn seine moralischen Gefühle Schritt hielten. Sie sei ihm sehr zugetan, doch dann stoße sie immer an eine Grenze, und »Sie sehen«, schloss die Gräfin für dieses Mal, »ich kann nicht anders, denn Sie als Freund langer Jahre zu betrachten«.
Der langsame, müde, konfuse Faraday, der sonst manchmal keinen Satz zu Ende verfolgen konnte, der glaubte, Wichtigeres zu tun zu haben, wartete nicht: Sie müssten sich treffen und reden. Sich verglich er mit einer Schildkröte, worüber die Gräfin beglückt war, und noch beglückter schien sie über das Bemerken ihres »elastischen Intellekts«. Da habe er ein albernes Bild bei ihr erzeugt, das der Anmut nicht entbehre: Die ernste, schwer schuftende Schildkröte mit der um sie herumspringenden, tausend Töne spuckenden Elfe.
Ada ließ die Schildkröte jammern: »Elfe, liebe Elfe, ich bin nicht wie du. Ich kann nicht einfach zahllose luftige Formen annehmen und mich im Universum verteilen. Elfe, liebe Elfe, sei gnädig mit mir, vergiss nicht, ich bin eine Schildkröte.«
Nun, was entgegne die freundliche, höfliche Elfe?
»Liebe Schildkröte«, entgegne sie, »dann werde ich bei dir einfach und nüchtern sein, denn ich kann das wählen. Ich werde das schöne Phantom sein, in Farben und Rede glühen, wenn du das möchtest. Ich kann ein kleiner brauner Vogel an deiner Seite sein. Wenn du mir nur beibringst, wie ich dich kennen und dir helfen kann.«
Sie vergaß nicht anzufügen, dass er sie entschuldigen müsse. Ihr Mann nenne sie seinen Vogel, ein Freund Elfe, ein anderer Freund Kobold, einer nenne sie eine arabische Stute, und keiner sehe offenbar eine gewöhnliche Sterbliche in ihr, aber sie habe kein Recht, ihn damit zu langweilen, zudem sei eine mathematische Elfe doch ein seltenes Ding, oder? Er habe recht, sie müssten sich treffen und reden: »Donnerstag, den achtundzwanzigsten, achtzehn Uhr.«
Im Postskriptum: »Ach ja, am St. James’s Square natürlich.«
Faraday sah auf den Kalender. Es war der elfte. Dann nahm er mit langsamen Bewegungen, die er nicht mehr als so langsam empfand, Feder, Glas und Papier. Er schrieb zurück. Niemand sah seine Freude. Er bemerkte nicht, dass seine seit Jahren ihm treu beistehende Wut, die sich so schnell entsicherte und ihm seit Jahren Angst machte, verflogen war. Sie antwortete wiederum, nun zufrieden, erzählte von Krankheiten, von denen nur ihre Mutter wisse, von ihrer kräftigen Natur, dass für ihn nichts zu antworten sei in diesem Brief und sie so glücklich sei, ihn bald zu sehen!
»Immer die Ihrige: Die Elfendame«.
Es blieben Faraday zwei Wochen, in denen sie seinen Lärm zurück in Musik verwandelt hatte. Er fror nicht einmal mehr in seinem Keller, während er seine Gifte erhitzte, und wenn doch, dann störte es ihn nicht. Dass er auf dem Weg zum St. James’s Square an die Prozession in Rom denken musste, die er für Karneval gehalten hatte, bevor sie sich als Trauerzug herausstellte, belustigte ihn. Obwohl St. James’s nur wenige Fußminuten von der Institution entfernt lag, war er lange nicht dort gewesen. Den Mantelkragen hochgeschlagen und frisch frisiert querte er von der King Street kommend den Platz diagonal zur Südseite und wurde auf sein Klopfen umgehend eingelassen.
Die hohen Decken ähnelten denen der Institution, aber ein Vergleich verbot sich durch die teure Ausstattung. Jetzt merkte er, auf welch dünnem Eis er sich zu bewegen versuchte. Aber zu spät. Die Hausherrin, nach welcher der Diener geläutet hatte, kam in einem Furor aus Stoff, Haar, Schmuck und Düften, deren Existenz er nicht geahnt hatte, die Treppe herunter, auf das Herzlichste lächelnd, die Hand reichend. Sie bat ihn in den Salon, dessen Fenster zur Pall Mall gingen. Im Luftwirbel hinter ihrem Körper entfalteten sich die Düfte, als er ihr brav folgte. Noch nie war ihm seine Körpergröße so sehr aufgefallen wie jetzt: Er war ein sehr kleiner Mann. Mit ihrer auffallend schmalen, weißen Hand wies sie ihm einen Platz am Teetisch zu, einen Sessel. Sie lächelte dosiert, jetzt setzte sie sich auf das zweisitzige Sofa. Spitzbübisch schaute sie ihn an, fand er und fühlte, dass etwas fehlte. Es war die überfließende Emotion ihrer Briefe, auf die Faraday sich innerlich gestützt hatte. Ihm war kalt. Ihrer Wirkung war sie sich so sicher, dass sie darüber niemals nachdachte.
Faradays Augen suchten ihren Hals ab, und er bemühte sich angestrengt, das zu unterlassen. Hatte er nicht Dutzende Male darauf bestanden, ein alter Mann zu sein, den jedes Gespräch überforderte? Was hatte ihn dazu gebracht, entgegen lang gepflegter Gewohnheit die Einladung einer jungen reichen Dame anzunehmen, dieser Dame?
»Sie müssen wissen«, begann er, ohne sie anzusehen, »ich bin ein einfacher Mann, mein Vater war Schmied in Westmorland, bevor er nach London kam.«
Das sei ihr gewiss bekannt. Der Diener brachte einen Wein, den sie probierte. Sie nickte Faraday zu, er sollte dasselbe tun. Schnell kam er dem nach, und sie hielten sich die Gläser entgegen.
Während sie sprach, betrachtete er nervös ihre Haut, sah, wie sich ihre Knochen und Muskeln darunter bewegten. Hatte er über ihr Alter gar nicht nachgedacht? Nein. Er hatte über gar nichts nachgedacht. Aber wann war das, dass er so jung gewesen war, wie sie ihm jetzt schien? Hektisch suchte er nach etwas, das ihn anbinden konnte an die Welt, in der diese ihm fremde und unerreichbare Person lebte, aber er fand nicht einmal eine Erinnerung aus der Zeit, in der er dreißig gewesen war. Der Kontakt dazu war abgerissen.
Schon beim ersten Schluck lockerte der Wein ihn gefährlich auf. Er schwitzte, und nun bemerkte er, dass er auf ihre Brüste geschaut hatte, kleine, handliche Erhebungen, die nichts weiter zu tun hatten, als in aller Ruhe dort zu sein, wo sie sich befanden, bedeckt, warm, duftend, rund, von wo aus man sie auch ansehen würde, wenn man dürfte. Sie wurden manchmal von den verschränkten Armen eingerahmt und vermochten ohne Weiteres auch einem Leben, das mehr verfloss, als es strebte, einen Sinn zu geben.
Ada begann von der Mathematik zu sprechen, von der er nichts verstand. Er wechselte das Thema, doch bald hatte er den Faden verloren. Sie bemerkte das, schlug die Beine andersherum übereinander, und unter den Geräuschen der aneinanderreibenden, aufeinanderschiebenden, gleitenden und rutschenden Lagen Stoff, es war Seide oder etwas Ähnliches, bewegten sich beim Wechsel des Beines und Verlagern ihres Körpergewichtes auf die andere Hälfte des Gesäßes auch die beiden Seiten ihres Geschlechts: Das musste er denken. Sie zog den roten Umhang, der zur Seite gefallen war, mit zwei Fingern über den hellen Rock, machte einen spitzen Mund dazu, wenn er das richtig gesehen hatte, denn er hatte entgeistert auf die Stelle geschaut, die seine Imagination nicht loslassen wollte. Hitze schoss ihm ins Gesicht.
Was hatte sie zuletzt gesagt?
Ob sie denn morgen ins Labor komme, fragte er unvermittelt und unbewusst ahnend, dass er mit noch etwas mehr Wein zu einem Ausfall in der Lage sein würde, der es ihm nicht erlauben würde, noch einmal über sich selbst nachzudenken. Er hätte schreien wollen oder aufspringen und etwas zerstören oder eben etwas sagen, das ganz unmöglich war und ihn frei machen würde und allein. Den nächsten Schluck Wein würde er gar nicht im Mund behalten können, weil seine Zunge ihm nicht gehorchte. Als ob seinem Körper ein Notprogramm zur Verfügung stünde, überfiel ihn, der seit Jahren nicht gut geschlafen hatte, in diesem Moment die Müdigkeit eines ganzen Lebens. Er brauchte Sauerstoff und unterdrückte gerade noch ein Gähnen, zu müde, um eine Hand zu heben. Keine Stunde saß er bei ihr, dachte er, nicht viel länger jedenfalls, er rieb sich erschöpft die Augen.
»Äußerst gern«, sagte sie.
Sie überging das abrupte Ende des Gesprächs, keineswegs unangenehm berührt von seinen Blicken, aber irritiert von seiner sprunghaften Art. Sie lächelte, und seine Angst vor einem Fauxpas beruhigte sich wie ein Schiff, das im Sturm endlich quer zu den Wellen stand. Er musste diese Position jetzt noch ein paar Sätze lang halten.
Wann es ihm passe.
Das war jederzeit.
Faraday war schon aufgestanden, das Weinglas war noch halb voll.
Ada Lovelace rief nach dem Diener, sie lächelte enttäuscht und erhob sich ebenfalls, schritt in ihrer Aura, in der Faraday vielleicht hätte wohnen dürfen, wäre das für ihn infrage gekommen und hätte er sich das zugetraut, mit in den Empfangsraum, wo sie sich verabschiedete.
Er schlief zu Hause sofort ein und schlief wie ausgeschaltet die ganze Nacht durch.
Am nächsten Vormittag kam sie nicht. Auch am Nachmittag blieb er unbehelligt, obwohl er zweimal nach oben lief, um dem Pförtner zu sagen, man dürfe Lady Lovelace durchlassen, man möge bei Nachfragen einer Dame nach ihm den Namen der Person erfragen, »und Lady Lovelace einlassen«, ergänzte der Pförtner beim zweiten Mal korrekt, um zu zeigen, dass er bereits beim ersten Mal verstanden hatte.
Erst am Sonntag erhielt er einen weiteren Brief, sie habe weder gestern noch Freitag kommen können, »wegen all der Verpflichtungen und des Regens«.
Faraday las langsam weiter: Er solle sich nicht sorgen, zu einfach oder grob für sie zu sein. Er wisse nicht, wie ärgerlich Lobhudelei und Etikette für sie seien, oft gehe sie unerkannt aus, geradezu nachlässig gekleidet. Sie müsse dann mit vielen Leuten umgehen und selbst auf sich aufpassen, das sei nur gut, ein Training für die intellektuelle Existenz. Sie sei in Eile und vermutlich unklar, schloss sie den kurzen Brief, es wäre besser, wieder einmal zu reden: »Wir müssen über Pflichten und Wissenschaft reden, das nächste Mal.«
Aber der Schildkröte war es nicht geheuer in der Welt. Sie zog ihre Glieder und den Kopf wieder ein, und auf die nächsten Einladungen reagierte er immer unsicherer und orientierungsloser, weil er keinen Ort erkannte, an den diese Kommunion führen konnte. Was die Gräfin keineswegs davon abhielt, vom St. James’s Square Boten mit kleinen, mal verspielten, mal ernsten und immer sehnsüchtigen Nachrichten zu schicken, die große Wirkung auf den Empfänger hatten. Es kamen immer Einladungen, die ihn vor Probleme stellten.
Im Februar war ihr gemeinsamer Ton der von Ada gewünschte, Faraday kam ein anderer, wegen Erkältung und Grippe verschobener Termin dazwischen, er wollte sie aber sehr wohl sehen und kündigte sich für halb zehn oder zehn abends an, auf eine halbe Stunde: »Solange Sie nicht sagen, das sei zu spät.« Dabei vergaß er über der Vorstellung, sie so spät am Tage zu sehen, wie er im Postskriptum anfügte, ganz, für ihren freundlichen Brief zu danken und für den Bericht über ihre Gesundheit.
Aber je enger das Netz ihrer Ansprüche wurde, die ihn ganz einbinden wollten in ihr Leben, desto mehr lavierte er und integrierte, was nicht zu integrieren war. Er schob auf, bis er platzte und einen Abend um sein Pult herumschlich, ohne zu wissen, was er ihr schreiben sollte. Er hatte an den Gasgesetzen gearbeitet, hatte sich gefragt, wie die Übergänge für Quecksilber, Zink und Kalium, die im flüssigen Zustand undurchsichtige Metalle, im gasförmigen aber transparent oder gar farblos seien, mit dem Gesetz der Kontinuität von Lavoisier übereinstimmen könnten. Er regte sich auf dabei und versuchte sich nicht aufzuregen, bis er ihr absagte, ihr, die, wenn sie in London war, nur sechs, sieben Blöcke entfernt wohnte beziehungsweise eben: residierte und darauf wartete, ihn zu sehen und zu sehen und zu sehen.
Er rang mit sich, irrte im Keller umher, um sein Stehpult wieder und wieder herum, konfus, wie ein Esel, der sich zwischen zwei Heuhaufen nicht entscheiden kann und Gefahr läuft, beide aus dem Blick zu verlieren.
Er wusste nicht, was er schreiben sollte. Bis er sie ohne jede Formalie wissen ließ, sie treibe ihn »in die Verzweiflung«. Und ihr absagte. Er werde nicht kommen.
Zitternd faltete er den Brief zusammen, ließ drei Tropfen Wachs von der Kerze auf die Stoßkanten fallen, und als er endlich getroffen hatte, presste er sie aufeinander. Oben würde er den Brief gleich dem Portier aushändigen, damit er, wie schon so oft, einen Laufburschen zum St. James’s Square hinüberschickte. Gut so.
Auf einen Zettel schrieb er: »Erklärung: Wenn ich sage, dass ich momentan nicht in der Lage bin, viel Gespräch auszuhalten, dann heißt das ohne Mehrdeutigkeit, ohne auslegbare Bedeutung und denkbare Implikation, ohne Vorwand und zweite Absicht, dass ich es, zu schwach im Kopf und unfähig zur Arbeit, nicht kann.«
Den Zettel zerknitterte er und beförderte ihn wütend in eine Ecke unter dem Tisch. Er würde auch morgen arbeiten, er publizierte fortwährend, gab Vorlesungen. Seine Tage waren zwar Irrläufe, sein Leben eine Reise, deren Verlauf jemand auf ein knittriges, jederzeit zerreißbares Stück Papier gekritzelt hatte, in das seine widerstreitenden Gedanken fortwährend Löcher bohrten, aber er würde nicht zulassen, dass jemand daraus ein Schiffchen bastelte, das man auf der Themse aussetzen konnte, damit es bei Ebbe langsam und mit Schlagseite außer Sichtweite geriet.
Es klopfte: Sarah. Er werde gleich kommen, sagte er, warf sich aber kurz darauf den Mantel über und ging aus dem Haus. Sarah hätte ihn theoretisch von oben die Straße hinunterlaufen sehen können.
Draußen sog er die Luft durch Nase und Mund. Offenbar war er noch am Leben. Nicht mal nur in eine Richtung bewegte es sich, nicht nur bergab. Er dachte an den kommenden Tag, den er im Frieden seines Kellers verbringen würde, allein mit den Gasgesetzen, an denen er arbeitete, die ihm nie unberechtigte Vorwürfe machten und ihn nie zu etwas zwingen wollten. Den Inhalt seines Briefes an die Gräfin und sie selbst zu vergessen, ließ er seinem löchrigen, eingerissenen Geist gern zu. Es war genau, was er wollte.
8 Der Faraday-Effekt
Er wollte sich ab morgen, das war ihm jetzt klar, nur noch mit dem Brief von William Thompson beschäftigen, den er am Nachmittag bekommen hatte.
Thompson war einundzwanzig, Mathematiker. Welch langen Weg er genommen hatte, um sich mit seinen Arbeiten zu den Kraftlinien anzufreunden, konnte Faraday nicht wissen. Das war sehr gut so. Im Vorjahr hatte Thompson seinem Tagebuch noch anvertraut, wie heftig ihn die Art abstieß, mit der Faraday in den Experimentellen Erforschungen der Elektrizität von den Phänomenen »redete«.
Wie es sich mit so einer Abneigung in der Regel verhält, hatte sie einen Grund. Der junge Mann konnte sich von ihr auch nicht losreißen, und je mehr er sich auf sie einlassen wollte, desto unsicherer wurde er. Mit jedem überprüften Detail erodierte die Ablehnung ein Stück, bis sie kaum noch zu halten war und schließlich ins Rutschen kam. Sein negatives Urteil verwandelte sich ins Gegenteil, und plötzlich war er sehr glücklich damit, Faradays Ansichten zu verstärken: Thompson jubilierte jetzt. Er würde Faradays Erkenntnisse verbessern, ausbauen, jedem verständlich machen, der lesen konnte und die Dinge auch nur ein wenig genau nahm. Faradays Ansichten seien, schrieb er, in Übereinstimmung mit den Rechnungen seiner Theorie.
Das Vorspiel nicht ahnend las Faraday von gekrümmten Linien, induktiver Wirkung, schwarzen Flächen, einem in allen Richtungen gleich hellen Himmel, von weißen Papierschnipseln in gleicher Größe, Analogien, wieder von Linien, deren Krümmung vernachlässigt wurde, vom Kosinus einer Neigung, der Hypothese Amadeo Avogadros und seinem, Faradays, elften Teil der Experimentellen Erforschungen im Zusammenhang mit Coulombs delikaten, unsicheren Messungen.
Thompson jedenfalls, so viel war zu verstehen, schrieb an einer Arbeit, welche zeige, dass alle ultimativen Ergebnisse der Abstoßung und Anziehung vollkommen mit einer Theorie übereinstimmten, die auf Faradays Ansichten beruhte: »Wenn meine Ideen richtig sind, dann sind die gekrümmten Linien der Induktion für jedwede Kombination elektrisch geladener Körper vollständig berechenbar.« Die Kraft wäre eine rein geometrische Angelegenheit. Er habe übrigens alles von der mathematischen Theorie der Wärme hergeleitet.
Faraday überflog ungeduldig eine Seite weiterer Erklärungen bestimmter Fälle in einer ausnehmend hässlichen, leblosen und fühllosen Sprache, wie sie nur ein Mathematiker übers Herz brachte. Falls er eins hatte. Am Ende wies der junge Thompson darauf hin, dass Elektrizität und Magnetismus nach seinen Berechnungen einen Einfluss auf polarisiertes Licht haben mussten, zum Beispiel in Glas.
Faraday schluckte. Er hatte nach genau diesem Effekt schon gesucht, und die Paragraphen neunhunderteinundfünfzig bis neunhundertfünfundfünfzig seiner Erforschungen beschrieben das auch: Die Suche war negativ. Erbost über die Theoretiker, die immer alles besser wussten, würde er morgen alles im chemischen Labor liegen lassen und ins Magnetische hinüberwechseln.
Thompson wollte ihn besuchen kommen.
Faraday hatte keine Zeit.
Polarisiertes Licht war leicht herzustellen. Faraday nahm eine Öllampe und eine Linse und ließ das Licht schräg auf einen Spiegel fallen. Von da kam es polarisiert zurück, was er mit einem zweiten Spiegel prüfen konnte, der senkrecht dazu schräg gestellt war, denn dann kam, wie damals in Davys Vorlesung, kein Licht mehr zurück.
Den präparierten Strahl schickte er durch Glas. Dahinter stellte er eine polarisierende Linse rechtwinklig ein, sodass aus ihr kein Licht mehr heraustrat. Dann schickte er Strom durch das Glas, längs dem Lichtstrahl, quer zu ihm, schräg. Er schickte Strompulse einzeln, in Paketen, scharfe Strompulse oder weich ansteigende und ebenso weich abfallende. Er nahm die Batterie, den Dynamo und generierte Funken. Statt Glas nahm er alles, was ähnlich transparent war: Wasser, Zuckerlösung, Schwefelsäure, Terpentin. Er sah nichts auf den Lichtstrahl einwirken. Kein Licht kam durch die Linse. Er polarisierte den Strahl schließlich besser durch einen Turmalin. Er blendete alles nichtrote, dann alles nichtblaue Licht aus dem Strahl heraus, er nahm einen Kalkspatkristall statt der Linse, um die kleinste Abweichung der Polarisation sehen zu können. Dutzende Male schrieb er »kein Effekt« oder »null Effekt« oder »nichts« oder »noch immer nichts«. Der hinter der Linse aufgestellte weiße Schirm blieb dunkel.
Faraday verfluchte die Theoretiker mit ihren Bleistiften, die noch nie etwas Sinnvolles geleistet hatten und den wahren Entdeckern wie ihm nur Arbeit machten, weil sie glaubten, die Natur zu verstehen, ohne sie überhaupt anzusehen. Sie waren immer nur mit sich selbst beschäftigt.
Er schlief besser, Gott wusste, wieso. Zwei Wochen vergingen, bis er den stärksten Elektromagneten, den er hatte, aufbaute und den polarisierten weißen Lichtstrahl parallel und rechtwinklig zu den Feldlinien durch Luft schickte: Kein Effekt. Durch Flintglas: Kein Effekt. Durch dickeres Flintglas: Kein Effekt. Durch einen Erzkristall: Kein Effekt. Kalkspat: Kein Effekt.
Er nahm ein schweres Boratglas, das noch aus den verlorenen Jahren der Glasforschung stammte. Es war durch die Jahre, in denen es gelegen hatte, bestens ausgekühlt und nun rein wie kein zweites. Faraday sandte das Licht rechwinklig zu den Feldlinien, kein Effekt. ABER, schrieb er später in sein Tagebuch, parallel zu den Feldlinien depolarisierte der Lichtstrahl, ein weißer Fleck auf dem Schirm war deutlich zu sehen.
Er stellte den Strom der Elektromagneten ab, der Fleck verschwand, stellte ihn wieder an, der Fleck war wieder da: Magnetische Kraft und Licht standen miteinander in Beziehung: »Diese Tatsache wird sehr wahrscheinlich außerordentlich fruchtbar sein und von großem Wert in der Erforschung beider Zustände der natürlichen Kraft.«
So wenig wie Sarah wusste er selbst, wie viele Stunden vergangen waren, bis sie die frühen, schleppenden Schritte auf der Treppe hörte und erschrocken auf die Tür starrte, die sich langsam und mit einem Knarren, das ihr vorher nie aufgefallen war, öffnete und sie eine abgekämpfte, gebeugte, schwer atmende, runzlige und welke und heftig wie eh und je strahlende Sonne vor sich sah, die ihr Mann war.
Er sagte: »Dieses Haus ist ein Planet. Es war immer alles richtig. Immer. Alles.«
Er setzte sich an den einfachen Holztisch, an dem er seit dreißig Jahren morgens, mittags und abends gesessen hatte, blickte auf die Holzplatte mit den Flecken und Kerben, die er so genau kannte wie den Anblick seiner Hände und die Stimme seiner Mutter, den Blick aus den Fenstern hier oben.
»Licht ist magnetisch.«
Er sah auf und nahm erst jetzt seine Frau war, Sarah, die vor ihm stand, als sei sie eben aus dem Nebel getreten, der gerade durch das wuchernde, wackelnde, zerbrechliche London zog, um ihn mit seinen eigenen Augen anzusehen.
»Ich bin fertig«, hörte er sich nach einer Ewigkeit aus Sekunden, Minuten oder Stunden sagen, in denen sein Leben in einigen wenigen einzelnen Bildern vor ihm abgespult wurde, die zusammen einen Lauf ergaben: sein Vater in der Schmiede, Riebaus Laden, die alte Dame nach dem Lesen von Davys Rede, ein kläffender, sabbernder Hund in Neapel, die Promenade in Ramsgate, Kollegen in Paris, ein wütender Davy, die Gemeindemitglieder, der Keller, der Keller, der Keller, der kleine, unscharfe Fleck Licht eben, als er den Elektromagneten angestellt hatte. Erst jetzt lächelte er. Sarah nahm seine Hand.