Der Alte Mann
Ein Fisch lernt fliegen
Robert Lynn Asprin
»He ihr!
Zurück ins Labyrinth mit euch! Im Hafen gibt es keine leichte Beute
für euch!«
Monkel, das Oberhaupt des Setmur-Clans, drehte sich erstaunt zu seinem Freund um. Noch vor einer Sekunde war der Alte Mann an seiner Seite gewesen, jetzt stand er sechs Schritte hinter ihm und brüllte wütend in eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern am Rand des Freistätter Hafens.
»Und laßt euch ja nicht wieder hier blicken!« brüllte der Alte Mann noch und rollte mit dem Fuß theatralisch ein paar Steine in die Gasse. »Den letzten Halunken, den wir hier erwischten, haben wir zu Köder zerlegt. Habt ihr gehört? Wagt euch ja nicht mehr hierher!«
Jetzt war Monkel an seiner Seite und streckte den Hals, um in die Gasse spähen zu können. Sie war mit Fässern und Kisten nahezu verstopft und im dämmrigen Licht des nahenden Abends voll Schatten. Aber ein bißchen Licht war noch – trotzdem vermochte Monkel nichts Ungewöhnliches zu sehen. Keine Menschenseele, nicht einmal die geringste Bewegung bot sich seinem starren Blick. Doch eines hatte er in dieser seltsamen neuen Stadt gelernt: sich auf die Fähigkeit seines Freundes zu verlassen, wenn es darum ging, Gefahr zu wittern.
»Macht mich wütend, wenn sich solcher Abschaum in unserem Hafen herumtreibt«, brummte der Alte Mann und ging weiter. »Das ist das Problem mit Geld. Sobald man ein wenig hat, zieht es Gauner an, die es einem wegnehmen wollen.«
»Ich habe nichts gesehen. War jemand da?«
»Zwei, und bewaffnet«, antwortete der Alte Mann dumpf. »Ich kann es dir gar nicht oft genug sagen: Lern deine komischen Augen zu gebrauchen, wenn du in dieser Stadt am Leben bleiben willst.«
Monkel achtete auf die Warnung ebensowenig wie auf die gutmütige Stichelei.
»Zwei? Was hättest du getan, wenn sie nicht auf deine Worte gehört und dich angegriffen hätten?«
Etwas blitzte, als der Alte Mann den Dolch schwenkte, den seine Hand verborgen hatte. »Sie ausgeweidet und an einem Stand verkauft.« Er blinzelte und schob die Klinge in ihre Scheide am Gürtel zurück.
»Aber gleich zwei …«
Der Alte Mann zuckte die Schultern.
»Ich habe schon eine größere Übermacht gegen mich gehabt. Genau wie die meisten in dieser Stadt. Ihresgleichen sind nicht auf Kampf versessen. Außerdem sind wir doch ebenfalls zu zweit.«
Monkel wurde sich plötzlich seines eigenen Messers bewußt, das noch unberührt in seiner Scheide steckte. Der Alte Mann hatte darauf bestanden, daß er es kaufte und immer bei sich trug. Es war nicht die Art von Klinge, wie Männer sie benutzten, die mit Netzen und Angelhaken arbeiteten, sondern ein scharfes, kleines Kampfmesser, das sich rasch zwischen Rippen stechen oder auf eine angreifenden Hand hauen ließ. Auf seine Weise war es ein ebenso gutes Werkzeug wie ein Fischmesser, doch Monkel hatte es noch nie auch nur aus seiner Hülle gezogen.
Furcht überschwemmte den kleinen Beysiber, als er mit einemmal erkannte, wie nahe er daran gewesen war, in eine Messerstecherei verwickelt zu werden. Die Furcht erhöhte sich noch, denn ihm wurde klar, daß der Kampf, wäre es zu einem gekommen, vorüber gewesen wäre, noch ehe er reagiert hätte. Ob er das Ende dieses Kampfes überlebt hätte, hätte einzig und allein von der Geschicklichkeit des Alten Mannes abgehangen.
Der Alte Mann schien seine Gedanken zu lesen und legte beruhigend eine Hand auf Monkels Schulter.
»Mach dir keine Sorgen. Entscheidend ist, die Halunken zu bemerken, nicht der Kampf. Es ist wie beim Fang: Wenn man keine Ahnung hat, wo die Fische sind, kann man sie auch nicht fangen!«
»Aber wenn sie angegriffen hätten …?«
»Das tun sie, wenn man ihnen den Rücken zuwendet, aber sobald sie wissen, daß sie bemerkt worden sind, unterlassen sie es. Sie sind auf leichte Beute aus, nicht auf einen Kampf. Wenn man einen klaren Kopf behält und sich ihnen stellt, weichen sie zurück und suchen sich ein ungefährlicheres Opfer. Diebe oder Meuchler, sie sind alle gleich. Halt die Augen offen, dann kann dir nichts passieren. Dir und den Deinen.«
Monkel schüttelte den Kopf, nicht weil er anderer Meinung, sondern weil er verwirrt war. Kein Jahr seines Lebens war vergangen, ohne daß er einen Freund, einen Verwandten oder Bekannten an das Schattenreich verloren hatte. Der Tod trug viele Gesichter für jene, die für ihren Unterhalt die See herausforderten; ein plötzlicher Sturm, ein auf der Karte nicht eingetragenes Riff oder eine Sandbank, der Angriff eines Meerungeheuers, oder auch nur Unvorsicht, die zu einem Unfall führte. Das Oberhaupt des Setmur-Clans hatte das alles selbst miterlebt, noch ehe er zum Manne wurde, geschweige denn seine gegenwärtige Position erreicht hatte. Er hatte geglaubt, mit dem Schatten des Todes vertraut zu sein, der seinen Berufsstand verfolgte. «Wir bezahlen für unseren Fang mit Blut», war eine der Redensarten, die er so oft benutzt wie gehört hatte.
Tod durch Mord oder Anschläge war ihm jedoch neu. Der Gleichmut, mit dem die Menschen dieses neuen Landes kämpften und sich wehrten, ging über sein Fassungsvermögen. Das erschreckte ihn am meisten: nicht die Gewalttätigkeit selbst, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der seine neuen Freunde sich damit abfanden. Sie stellten das Vorhandensein willkürlicher Gewalt sowenig in Frage wie die Gezeiten oder den Sonnenuntergang. Gewalt war ein fester Bestandteil der Welt des Alten Mannes – einer Welt, die nun auch seine war.
Des Alten Mannes Bemerkung über Meuchler hallte in Monkel nach. Zu viele Beysiber wurden getötet – so viele, daß nicht einmal die abgestumpftesten Freistätter behaupten konnten, es sei reiner Zufall. Jemand oder möglicherweise eine Gruppe jagte die Einwanderer. Der Burek-Clan war davon stärker betroffen als sein eigener, und Theorien gab es viele: Die Burek waren reicher und zogen dadurch die Aufmerksamkeit von Meuchlern mehr auf sich; sie gingen des Nachts häufiger aus als die Fischer des Setmur-Clans; und durch ihre Arroganz und ihren Stolz neigten sie eher dazu, sich trotz des Gesetzes der Beysa in einen Kampf einzulassen. Monkel sah diese Gründe zumindest in einem gewissen Maß ein, trotzdem fand er, daß auch noch andere in Erwägung gezogen werden sollten. Was er von dem Alten Mann an Grundregeln über das Überleben auf der Straße gelernt hatte, gab er an die Angehörigen seines Clans weiter. Er war der Meinung, daß dies zu einem großen Teil für die geringeren Verluste unter den Setmur verantwortlich war. Und der Hauptgrund war vielleicht, daß die hiesige Fischergemeinde seinen Clan akzeptierte; ein Phänomen, das Monkel im Lauf der Zeit immer mehr zu würdigen wußte. Infolgedessen hatte er von sich aus beschlossen, seine Pflichten als Clanoberhaupt so zu erweitern, daß sie die Förderung der Freundschaft zwischen seinen Leuten und den Einheimischen umfaßten, ob es nun darum ging, sich für den Bau eines neuen Fischkutters einzusetzen, oder den Alten Mann bei seinem wöchentlichen Besuch in ihre Stammkneipe zu begleiten, wie er es heute tat.
Das Weinfaß hatte sich verändert, selbst in der verhältnismäßig kurzen Zeit, die Monkel erst in Freistatt war. Viel des neuen Geldes war in die einzige leicht zugängliche Nahrungsquelle geflossen – den Hafen. Die Fischergemeinde erlebte einen Einkommenszuwachs wie nie zuvor, da blieb es nicht aus, daß ein Teil dieses neuen Reichtums in der Stammkneipe, dem Weinfaß, ausgegeben wurde.
Die einst fast baufällige Hafenspelunke sah nun beinahe vornehm aus. Bequeme Stühle aus zweiter Hand aus einem Freudenhaus gekauft, standen nun, wo man früher auf harten, einfachen Bänken und leeren, alten Kisten hatte sitzen müssen. Und wo früher jahrealter Ruß und Schmutz geklebt hatten, wurde jetzt einmal im Monat gründlich saubergemacht. Doch ein wenig der alten Tradition war geblieben.
Als Monkel dem Alten Mann in die Gaststube folgte, sah er an mehreren Tischen Clansleute, zwar Beysiber unter sich, doch von keinem Freistätter belästigt oder auch nur scheel angesehen. Einen Tisch jedoch gab es, an den sich keiner von ihnen gesetzt hatte, ja an den sich auch kein Freistätter Fischer ohne Aufforderung zu setzen gewagt hätte. Das war der Tisch, an dem bei ihrem Eintreten alle durcheinanderriefen.
»Wird allmählich Zeit, Alter Mann!«
»Wir haben schon deinen Anteil mitgetrunken! Du wirst eine neue Runde bestellen müssen!«
»He, Monkel, kannst du nicht dafür sorgen, daß der Alte Mann ein bißchen schneller geht? Für Trödelnde sind die Straßen jetzt gefährlich!«
An ihrem Tisch saß die Elite von Freistatts Fischergemeinde, die geachtetsten Kapitäne, deren selbstverständlicher Führer der Alte Mann war. Der Tisch unterschied sich nicht von den anderen hier, doch weil sie an ihm saßen, war die Bedienung prompter, und die Krüge waren bis zum Überlaufen gefüllt, wenn sie hier abgesetzt wurden.
Monkel war der einzige, der als Ebenbürtiger am Kapitänstisch akzeptiert wurde, teils seiner Stellung als Oberhaupt des Setmur-Clans wegen, hauptsächlich aber, weil der Alte Mann sagte, daß er hierhergehörte.
Vor ihrer Auswanderung nach Freistatt hatte ein beysibisches Aufklärungsschiff den Alten Mann und seinen Sohn auf dem Meer an Bord genommen und zum Verhör an den Hof der Beysa gebracht. Nachdem offensichtlich war, daß der Alte Mann sich nicht freiwillig von irgendwelchen nützlichen Informationen über ihr geplantes Exil trennen wollte, hatte der Großteil des Hofes sich Hort, seinem Sohn, zugewandt, der nicht nur gesprächiger war, sondern auch mehr über die Politik und die Bewohner von Freistatt wußte. Nur Monkel hatte sich weiterhin mit dem Alten Mann befaßt und ihm Fragen gestellt, die nur einen Fischer interessierten: Fragen über Gezeiten und Riffe, die Art der Fische in den dortigen Gewässern und ihre Gewohnheiten, was Nahrungsaufnahme und dergleichen betraf. Der Alte Mann hatte erkannt, daß dies die Fragen eines Arbeiters waren, im Gegensatz zu jenen, die ihm das Militär und die Politiker gestellt hatten, und er hatte begonnen, Information gegen Information auszutauschen. Ihre gegenseitige Achtung entwickelte sich zu einer Art Freundschaft, und Monkel hatte den Alten Mann vor der Neugier und den Anzüglichkeiten seiner Landsleute geschützt. Nun waren sie in Freistatt, und der Alte Mann revanchierte sich, in dem er Monkel und seinem Clan half, sich hier einzugewöhnen.
Die nächste Runde wurde gebracht, und Monkel griff nach seinem Beutel. Der Alte Mann bedachte ihn mit einem mißbilligenden Blick, doch der Beysiber lächelte lediglich und holte eine Münze heraus, die gerade genügte, für seinen eigenen Wein zu bezahlen. Die Setmur waren zwar arm, verglichen mit dem königlichen Burek-Clan, trotzdem jedoch bedeutend wohlhabender als ihre Freistätter Berufsgenossen. Bald nach ihrer Ankunft in der Stadt hatte der alte Mann Monkel vor einer unnötigen Schaustellung von Geld gewarnt – wie beispielsweise eine Runde für den Kapitänstisch zu bezahlen. Statt als die Geste wohlgemeinter Großzügigkeit angesehen zu werden, die sie war, würde es als Versuch ausgelegt werden, mit seinem Reichtum anzugeben, und statt seine Anerkennung durch die einheimischen Fischer zu fördern, sie im Gegenteil verhindern. Da Monkel von Natur aus fast ein bißchen übertrieben sparsam war, fiel es ihm nicht schwer, diesen Ratschlag zu befolgen, trotzdem machte der Alte Mann ihn immer noch von Zeit zu Zeit darauf aufmerksam.
Der billige Wein, den die anderen Kapitäne vorzogen, schmeckte Monkel gar nicht, denn er war die milderen, feineren Getränke der Beysiber gewöhnt, trotzdem trank auch er ihn, um nicht allzu kritisch zu erscheinen, was den Geschmack seiner neuen Freunde betraf. Als Zugeständnis an seinen Gaumen saß er den ganzen Abend bei einem Glas, an dem er vorsichtig nippte, während er den Fischern zuhörte.
Die Freistätter Fischer waren eine eigene, enge Gemeinde; die sich wenig um die Belange der ›Stadtleute‹ scherten. Das bewiesen auch ihre Gespräche. Von seinen Clansleuten, die nähere Verbindung zum Burek-Clan hatten, waren ihm eine Menge Gerüchte zugetragen worden, die sich beispielsweise damit befaßten, ob der rankanische Kaiser tatsächlich ermordet worden war oder nicht – und welche Auswirkungen das für Prinz Kadakithis haben mochte, der gegenwärtig der Auserwählte ihrer eigenen Beysa war. Am Kapitänstisch dagegen befaßte man sich mit der Wanderung von Fischschwärmen, und hin und wieder kam die Sprache auf die unvorhersehbaren Stürme, die scheinbar aus dem Nichts auftauchten und sogar für die im Hafen liegende Fischerflotte eine Gefahr darstellten. Auch über die kürzliche Sonnenfinsternis unterhielt man sich, die von den Fischern – im Gegensatz zu den Stadtleuten, unter denen Panik ausgebrochen war – ohne Aufregung beobachtet worden war, da Monkel ihnen versichert hatte, daß sie etwas völlig Natürliches sei.
Monkel nahm eifrig an der ›Fisch‹-Diskussion teil, vor allem, soweit es um die Tiefseearten ging, mit denen er vertraut war, schwieg jedoch bei den Überlegungen, die die Stürme betrafen. Er hatte darüber natürlich seine eigene Meinung, doch selbst hier zögerte er, davon zu sprechen. Über dem Hafen hing in letzter Zeit ein Geruch von Zauberei, doch da Monkel als Fischer unter Fischern groß geworden war, sprach er lieber nicht von Dingen, die ihren Aberglauben unnötig schüren würden.
Er war so in diese Gedanken versunken, daß ihm nicht sofort auffiel, als das Gespräch verstummte, ja daß sich über die ganze Wirtsstube Schweigen gesenkt hatte und alle auf die Tür starrten. Da Monkel mit dem Rücken zu ihr saß, mußte er sich umdrehen, um festzustellen, was sie sahen.
In ihrer prächtigen Gardeuniform ließ Uralai vom Burek-Clan sichtlich nervös den Blick durch die Gaststube schweifen. Als Monkel sich umgedreht hatte, erkannte sie ihn und schritt durch die nun stillen Tische auf ihn zu.
»Monkel Setmur«, sagte sie förmlich, »die Beysa möchte, daß Ihr ihr morgen vormittag Bericht über den Fortschritt des Baues des neuen Schiffes erstattet.«
Monkel wollte antworten, doch der Alte Mann kam ihm zuvor.
»Sagt der Beysa, daß wir morgen nachmittag zu ihr kommen werden.«
Uralais Augen wurden einen Moment glasig. Setmur wußte, daß dies ein Zeichen ihres Ärgers war, das die Freistätter Fischer nicht erkannten. Er beeilte sich einzulenken, ehe ihm die Sache aus der Hand glitt.
»Wir werden schon im Morgengrauen zum Fang auslaufen. Vorausgesetzt, die Beysa beabsichtigt keine frühe Audienz, kommen wir am Nachmittag zu ihr, gleich nach unserer Rückkehr.«
»Außer sie entschädigt uns für den Ausfall«, fügte der Alte Mann lächelnd hinzu.
Uralai biß sich nachdenklich auf die Unterlippe, dann nickte sie knapp.
»Gut, ich werde es der Beysa ausrichten.«
Sie drehte sich auf dem Absatz und ging zur Tür.
»Wartet!«
Monkel stand auf. Er ging ihr nach und erreichte sie unmittelbar an der Tür.
»Was gibt es, Lord Setmur?«
»Ihr könnt … Ihr solltet des Nachts nicht allein durch die Straßen gehen. Es ist zu gefährlich!«
»Ich wurde beauftragt, Euch zu finden, und das habe ich. Ich hatte keine andere Wahl, wollte ich den Auftrag ausführen.«
»Vielleicht – wenn ich Euch zum Palast zurückbegleitete?«
Uralai hob eine schön geschwungene Braue, und Monkel errötete unter ihrem stummen Spott. Sie trug zwei Schwerter überkreuzt auf dem Rücken und war ausgebildet, mit ihnen zu kämpfen. Monkel dagegen hatte nur sein Messer.
»Bitte – mißversteht mich nicht«, stammelte er verlegen. »Ich wollte damit nicht andeuten, daß ich ein besserer Kämpfer bin als Ihr. Es ist nur, daß wir Setmur festgestellt haben, daß viele Belästigungen und Überfälle vermieden werden können, wenn wir nach Einbruch der Dunkelheit paarweise durch die Straßen gehen.«
»Und nachdem Ihr mich zum Palast begleitet habt? Dann müßt Ihr durch diese gleichen Straßen allein zurückkehren. Nein, Monkel Setmur! Eure Besorgnis ehrt mich, doch ich glaube, daß ich von uns zweien besser gerüstet bin, einen einsamen Spaziergang zu überleben.«
Mit diesen Worten verließ sie ihn und trat hinaus in die Nacht. Er kehrte an den Stammtisch zurück.
»Du solltest dich nicht so einschüchtern lassen«, rügte der Alte Mann, als Monkel sich wieder setzte. »Fast hättest du auf eine Ausfahrt verzichtet, um gehorsam zur Beysa zu laufen, nicht wahr?«
»Ich glaube, ich wurde ursprünglich allein zu ihr bestellt«, brummte Monkel, dessen Gedanken noch bei Uralai weilten.
»Natürlich wurdest du das. Deshalb mischte ich mich ja auch ein. Du bist ein anständiger Mann, Monkel, aber ehrlicher, als gut für dich ist! Es gibt ein paar Posten in unserer Aufstellung, die zu rechtfertigen ein geschicktes Mundwerk erfordern.«
»Hast du die Beysa übervorteilt?« fragte Monkel, nun wieder ganz bei der Sache. »Verhält man sich so gegenüber dem Oberhaupt einer befreundeten Exilregierung? Würdest du das auch bei eurem Prinz-Statthalter tun?«
»Ohne zu zögern!« Der Alte Mann lächelte, und die anderen am Tisch lachten laut. In Freistatt wahrten selbst ehrliche Leute ihren Vorteil bei Leuten mit mehr Geld als Geschäftssinn.
Haron lachte als einzige nicht mit. Sie blickte den jungen Beysiber nachdenklich an, dann legte sie freundschaftlich eine Hand auf sein Knie und beugte sich vor.
»Du magst sie, nicht wahr?« fragte sie leise.
Monkel staunte über ihre Scharfsichtigkeit. Haron war nur wenige Jahre jünger als der alte Mann, und ihre verwitterten Züge zusammen mit ihrem männlichen Benehmen machte sie fast ununterscheidbar von ihren männlichen Kollegen. Doch sie sah auch andere Dinge, auf die die Männer nicht achteten – wie Monkels Reaktion auf Uralai. Er zögerte, dann nickte er.
»Habt ihr das gehört, Jungs?« krähte Haron und schlug die Hand laut auf den Tisch. »Unser Monkel ist verliebt! Damit dürfte die Frage geklärt sein, ob er so normal ist wie ihr!«
Das Oberhaupt des Setmur-Clans war verlegen, ja entsetzt über diese Verkündung, doch es war zu spät, etwas dagegen zu tun. Sogleich war er der Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, die Kapitäne gratulierten ihm und hänselten ihn gleichermaßen.
»Ist sie gut im Bett?« Tercy zwinkerte ihm zu. Das war eine Geste, von der Monkel nie sicher war, wie er sie deuten sollte.
»Du mußt sie mal mitbringen. Wir möchten sie alle gern kennenlernen.«
»Dummkopf!« spottete Haron und versetzte dem Sprecher einen freundschaftlichen Knuff. »Hast du denn keine Augen im Kopf? Sie war soeben da. Die kleine Gardistin mit dem großen Vorbau. Es war so offensichtlich wie eine Schar Seevögel über einem Schwarm fressender Fische.«
Monkel, der sich unter diesem Kreuzverhör wand, vermied es, die anderen Clansleute in der Gaststube anzusehen. Er war überzeugt, daß sie ihn verwundert, aber sicher auch voll Verachtung anstarrten. Sex war unter den Beysibern etwas sehr Intimes, über das selten gesprochen wurde und über das man auf gar keinen Fall in der Öffentlichkeit Witze machte.
Der Alte Mann blickte Monkel nachdenklich an.
»Eine Leibgardistin aus dem Burek-Clan?« fragte er.
Monkel nickte stumm.
»Ist das von Bedeutung?« mischte Ornat sich ein und beugte sich über den Tisch.
»Es bedeutet, daß Monkels Chance, sie für sich zu gewinnen, so groß ist wie deine, mit Prinz Kittycats Kurtisanen zu schlafen!« antwortete der Alte Mann.
»Wie kommst du darauf?« erkundigte sich Haron. »Sie sind doch beide Beysiber, oder? Monkel ist ein guter Mann, und ich bin nicht vielen besseren begegnet. Niemand an diesem Tisch kennt das Meer wie er! Warum sollte er sie nicht bekommen, wenn er sie haben will?«
Obgleich ihm bei diesem Kompliment warm ums Herz wurde, schüttelte Monkel den Kopf.
»Ihr versteht nicht. Bei uns ist es anders. Wäre sie auf der Überfahrt nicht auf meinem Schiff gewesen, hätte ich sie nie kennengelernt. Es ginge einfach nicht, daß ich …«
»So anders ist es auch wieder nicht«, brummte der Alte Mann. »Sie ist reicher und gehört zu den Edelleuten. Einen Fischer zu heiraten – wäre ein richtiger Abstieg.«
Monkel zuckte unwillkürlich zusammen, als Haron sich laut räusperte und auf den Boden spuckte. Sich an diese einheimische Sitte zu gewöhnen, fiel ihm am schwersten. Der Speichel der Beysiberinnen war sehr häufig giftig.
»So ein Blödsinn, Alter Mann!« sagte sie. »Da sieht man es wieder, wie wenig du von Frauen verstehst. Du hast ja keine Ahnung, was eine Frau in einem Mann sucht. Hör nicht auf diese Hafenratten, Monkel! Sag mir, wie sie es sieht.«
Monkel nahm einen größeren Schluck als sonst und starrte in das Glas, um ihrem Blick auszuweichen.
»Ich – ich habe keine Ahnung«, stammelte er schließlich. »Ich habe ihr nie gesagt, was ich für sie empfinde.«
»Dann wird es aber Zeit. Oder besser noch, zeig es ihr. Mach ihr ein Geschenk – Blumen oder so was.«
»Blumen!« höhnte Ornat. »Die Frau ist eine Gardistin. Was sollte sie mit Blumen? Was tätest du, wenn ein Mann dir Blumen schenkte, Haron?«
»Was würdest du dann als Geschenk vorschlagen? Ein Schwert? Oder vielleicht ein Paar Wurfmesser?«
»Weiß ich auch nicht. Aber es sollte was sein, was sie sich nicht selbst kaufen könnte oder würde.«
Dieses Thema wurde stundenlang ausgeweidet, bis Monkel die Erinnerung daran in der trunkenen Tiefe seines vierten oder fünften Glases verlor. Nur zwei Punkte blieben haften: Er sollte die Möglichkeit, Uralai zu heiraten, nicht aufgeben, solange er nicht wußte, wie sie darüber dachte. Und er sollte ihr seine Gefühle mit einem Geschenk ausdrücken – einem beeindruckenden Geschenk!
»Seid Ihr krank, Lord Setmur? Oder lief die Fischerflotte heute nicht aus?«
Erschrocken wirbelte Monkel im Sitzen herum und sah Hakiem hinter sich stehen, nicht einmal eine Armlänge entfernt. Er erkannte den einheimischen Ratgeber der Beysa von seinen Besuchen am Hof, doch er hätte nie gedacht, daß der Alte sich so lautlos bewegen konnte. Aber natürlich, Hakiem war schließlich aus den Freistätter Gassen hervorgegangen!
»Ich wollte Euch nicht erschrecken«, entschuldigte sich Hakiem, als er des Beysibers verstörte Miene bemerkte. »Aber Ihr solltet wirklich nicht mit dem Rücken zum Eingang einer Gasse sitzen. Das lenkt nur die Aufmerksamkeit jener auf sich, die mehr habgierig und blutdürstig sind als neugierig.«
»Ich – ich fuhr heute nicht mit hinaus.«
»Unübersehbar, daß Ihr die Wahrheit sprecht. Ihr seid hier, und die Schiffe sind nicht im Hafen.« Ein Lächeln zog über Hakiems verwittertes Gesicht. »Verzeiht mir, ich stecke meine Nase in Dinge, die mich nichts angehen. Ich war Geschichtenerzähler, ehe eure Beysa mich an den Hof rief, und alte Gewohnheiten sind nun mal schwer auszurotten. Meine Erzählerinstinkte sagen mir, daß da eine Geschichte zu finden ist, wenn das Oberhaupt des Setmur-Clans an Land bleibt, während seine Kähne auf Fang sind.«
Monkel betrachtete den Alten skeptisch.
»Wurde meine Abwesenheit im Palast gemeldet? Hat die Beysa Euch geschickt, damit Ihr Euch nach meinem Befinden erkundigt? Oder seid Ihr wirklich auf der Suche nach einer Geschichte bis hierhergekommen?«
Der ehemalige Geschichtenerzähler nickte anerkennend.
»Information für Information. Ein fairer Handel. Ich sehe, Ihr paßt Euch hier rasch an. Nein, ich bin nicht einer Geschichte wegen hier, allerdings muß ich zugeben, daß ich früher für eine Geschichte noch weiter gegangen bin. Ich bin gekommen, um mich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß ihr der Beysa nicht unverschämt viel mehr abknöpft, als das Schiff wert ist, das ihr baut.«
Rasch hob er die Hand und wehrte Monkels Protest ab, ehe er ihn überhaupt äußern konnte.
»Ich beschuldige nicht Euch im besonderen, Lord Setmur, obwohl wir beide wissen, daß die Ausgaben, die Ihr der Beysa gestern gemeldet habt, weit überhöht waren! So etwas hatte ich erwartet, als ich ihr empfahl, euer Projekt zu finanzieren. Und bisher hielten diese Überhöhungen sich noch in einem erträglichen Maß. Da Ihr gewöhnlich mit der Flotte ausfahrt, wißt Ihr natürlich nicht, daß ich jeden Tag die Werft besuche, damit der Anschein entsteht, daß Arbeit und Ausgaben genau überprüft werden. Ich hoffe, das hilft die Gier meiner Landsleute zu zügeln und dadurch einen Skandal und seine schlimmen Folgen zu vermeiden, zu dem eine Buchprüfung sonst führen könnte.«
Monkel senkte verlegen und verwirrt die Augen. Außer mit der sinnlosen Gewalttätigkeit hier hatte er auch Schwierigkeiten zu verstehen, mit welcher Unbekümmertheit in Freistatt Bestechungsgelder angenommen, ja sogar erwartet wurden.
»Unsere Begegnung ist rein zufällig, und daß ich Euch angesprochen habe, ist nur meiner Neugier zuzuschreiben, weil ich nicht gewohnt bin, Euch um diese Stunde an Land zu sehen, das ist alles«, versicherte ihm Hakiem. »Doch nun zu meiner Hälfte des Handels. Was, außer Krankheit, kann Euch veranlaßt haben, die Flotte nicht zu begleiten? Ich hoffe, Ihr habt Euch nicht eine Hafengasse als Krankenlager ausgesucht!«
Als Erwiderung hielt Monkel einen kleinen Stock hoch, um den eine Angelschnur gewickelt war.
Hakiem runzelte die Stirn, dann folgte er der Schnur mit dem Blick bis tief in die Gasse hinein. Ein Fischernetz hing dort, wie zum Trocknen aufgehängt, und auf dem Boden darunter lagen Brotkrümel und Stücke von Früchten.
»Sieht aus, als ob …« Hakiem blickte Monkel verwirrt an. »Als ob Ihr nach Vögeln fischt. Deshalb vernachlässigt Ihr Eure Pflichten auf den Fangschiffen?«
»Der Vogel soll ein Geschenk werden – für eine Dame. Ich dachte, er würde sie mehr beeindrucken als irgend etwas, das ich bloß kaufe.«
»Aber sind die Beyarl Eurem Volk nicht heilig?«
»Ja, aber ich will ja gar keinen Beyarl fangen, sondern …« Monkel sprach nicht weiter, doch Hakiem hatte genug gehört, um den Satz für ihn beenden zu können.
»Sondern einen Freistätter Vogel.« Der Alte wirkte vage beunruhigt. »Dagegen gibt es kein Gesetz, wahrscheinlich weil noch nie jemand auf den Gedanken gekommen ist, es zu versuchen. Seid Ihr sicher, Lord Setmur, daß das klug ist? Freie Kreaturen sollen lieber frei bleiben.«
Monkel lachte. »Das ist ein merkwürdiger Rat für einen, der davon lebt, freie Kreaturen aus dem Meer zu ziehen!«
»Fangen und als Nahrung töten ist eins, doch zu zähmen …« Hakiem unterbrach sich und legte eine Hand auf Monkels Arm. Monkel blickte auf und zog fast im gleichen Augenblick an der Schnur.
Ein schriller Schrei und heftiges Flattern verkündeten seinen Erfolg, als sich das dunkle Federbündel vergeblich bemühte, sich aus dem Netz zu befreien.
»Hab’ ihn!« rief Monkel erfreut und stand auf. »Seid gedankt, Lord Ratgeber, Eure Aufmerksamkeit hat mir Zeit gespart.«
Kopfschüttelnd wandte Hakiem sich zu gehen. »Dankt mir nicht«, sagte er düster. »Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende, falls sie überhaupt schon begonnen hat! Ich hoffe nur, Euch gefällt ihr Ausgang!«
Das hörte Monkel alles nicht mehr, denn mit der Ungeduld der Jugend rannte er bereits, sich seinen Fang zu sichern – oder vielmehr war er davon überzeugt, endlich das Mittel für seinen eigentlichen Fang zu besitzen.
Während die Tage zu Wochen wurden, hatte Monkel mehr als einmal Gelegenheit gehabt, die Wahl seines Geschenkes für Uralai in Frage zu stellen. Der Vogel weigerte sich hartnäckig, sich zähmen zu lassen.
Bei näherer Betrachtung seines Fanges stellte Monkel fest, daß es sich um einen Vogel handelte, dessengleichen er, soviel er sich erinnerte, nie zuvor gesehen hatte, allerdings hatte er sich, zugegebenermaßen, nie sehr mit Landvögeln beschäftigt. Er hatte in etwa die Größe eines Raben, doch sein Hakenschnabel erinnerte eher an einen Greifvogel, und er war schwarz wie das Meer des Nachts. Auffallend waren die leuchtend gelben Augen, die kalt und eindringlich bis in die tiefste Seele zu blicken schienen und gleichzeitig vor einer kaum unterdrückten Wut schwelten, wie man sie üblicherweise nur bei einem Todeskampf mit einem Erzfeind sieht.
Als Monkel den Vogel schließlich frei in seinen Gemächern fliegen ließ, zerbrach er methodisch alles, was auch nur im geringsten zerbrechlich war, und selbst einige Stücke, die Monkel für unzerstörbar gehalten hatte. Als er die übrigen Wertgegenstände wegräumte, rächte der Vogel sich damit, daß er auf Kleidung und Bettzeug machte und die Möbel mit dem Schnabel anbohrte oder zu zersplittern versuchte.
Sein Benehmen gegenüber Monkel wechselte. Manchmal floh er in solcher Panik vor ihm, daß er mit dem Kopf gegen eine Wand prallte. Andere Male flog er ihm ins Gesicht, kreischte seine Wut hinaus und versuchte sogar, ihm das Recht zu verweigern, sein eigenes Gemach zu betreten. Meistens aber spielte er scheu und ließ Monkel zwar mit ausgestrecktem Arm auf ihn zukommen, flatterte jedoch im letzten Moment davon, um an einem anderen, hochgelegenen Platz abzuwarten – manchmal kletterte er jedoch auch kurz auf die Hand, doch gewöhnlich nur, um Monkel den scharfen Schnabel ins Fleisch zu stoßen – hin und wieder auch ins Gesicht –, ehe er wieder davonflatterte.
Dem Vogel machte dieses Treiben viel Spaß. Monkel, dessen Gesicht und Gliedmaßen Narben, halbverheilte und frische Wunden zierten, war von der Sache natürlich nicht so begeistert; er fragte sich immer häufiger, ob der Vogel vielleicht eßbar sei. Zu diesem Zeitpunkt in ihrem Duell wäre, ihn lediglich zu töten, unbefriedigend gewesen.
Zum endgültigen Durchbruch kam es nach einem Gespräch mit einem seiner Clansleute, denen seine Versuche, den Vogel zu zähmen, immer mehr beunruhigten. Nicht nur, daß Monkel jetzt ständig schlechte Laune hatte, sie lenkten auch unerwünschte Aufmerksamkeit auf die Hafengemeinde. Dabei spielte es keine Rolle, ob seine Freunde vom Kapitänsstammtisch etwas darüber hatten verlauten lassen oder ob Hakiem nicht vielleicht doch nicht so sehr Exgeschichtenerzähler war, wie er behauptete. Eine Rolle spielte lediglich, daß offenbar inzwischen jeder in Freistatt wußte, daß ein beysibischer Fischer einen schwarzen Vogel gefangen hatte und versuchte ihn zu zähmen. Neugierige fast jeden Standes zog es plötzlich in den Hafen. Kneipenhocker und S’danzo, kleine Gauner und angebliche Boten des Verbrecherlords Jubal, alle stellten sie mehr oder weniger subtile Fragen über den Vogel und seinen Dresseur. Einmal erkundigte sich sogar eine dunkelgewandete, geheimnisvolle Frau nach ihnen, von der man behauptete, daß sie sich sonst nie des Tages auf der Straße sehen ließ.
Alle vom Setmur-Clan behaupteten jedoch gegenüber jedermann, nichts darüber zu wissen. Doch da sie normalerweise ein zurückgezogenes Leben führten, waren sie bestürzt über diese plötzliche Aufmerksamkeit, die man ihnen widmete. Nachdem es ihnen trotz aller Anstrengung nicht gelungen war, Monkel zu überreden, sein Vorhaben aufzugeben, deckten sie ihn nunmehr mit jedwedem Rat ein, von dem sie hofften, er könne es zu einem erfolgreichen, vor allem aber raschen Abschluß bringen.
So wandte seine Base Paratu sich eines Nachmittags an Monkel, als sie nach einem langen Fangtag mit der Flotte nach Freistatt zurückkehrten.
»Hast du schon einmal versucht, den Vogel wie eine Person zu behandeln?« fragte sie ohne Übergang. »Vielleicht gefällt ihm deine Einstellung nicht?«
Gegen seinen Willen mußte Monkel lachen. »Wie kommst du auf diese Idee?«
Als Antwort deutete Paratu auf die Stadt.
»Ich erinnerte mich daran, was du zu uns gesagt hast, als wir dieses Höllenloch zum erstenmal sahen – was die Behandlung der Freistätter Bürger anbelangt. Du sagtest, wir sollten von ihnen nicht als Tiere denken; wenn wir sie wie Menschen behandelten, würden sie auch wie solche reagieren und alle würden davon profitieren. Es war ein sehr weiser Rat gewesen, wie sich herausgestellt hat, und ich dachte mir, daß der Vogel, genau wie diese Menschen, aus der Stadt ist. Vielleicht hilft es, wenn du diesen Rat auf ihn ausdehnst.«
»Da ist nur ein Problem, Paratu. Der Vogel ist wirklich ein Tier!«
»Das ist ein Freistätter auch«, entgegnete sie und blickte zur Stadt. »Sie reagieren auf Achtung, und ich bezweifle, daß du unter ihnen mehr als ein Dutzend finden kannst, die klüger als dein Vogel sind.«
Da hatte Monkel laut lachen müssen, doch später hatte er über ihre Worte nachgedacht.
Am selben Abend hatte er angefangen, zu dem Vogel zu reden – nicht nur wie ein Dresseur mit ein paar einfachen Befehlen, sondern er hatte zu ihm gesprochen wie zu einem guten Freund. Er erzählte ihm von seinem früheren Leben, von seinen Befürchtungen, als er zu diesem neuen Land gekommen war, und von seinen bisherigen Leistungen als Clanführer. Er beschrieb dem Vogel den Glanz des Hofes der Beysa und die Schönheit Uralais. Nachdem er einmal begonnen hatte, zu dem Vogel zu reden, wurde es zur lieben Gewohnheit, denn Monkel war im Grund genommen ein einsamer Mann, den die Bedeutung seines Ranges noch einsamer machte.
Zu seinem Erstaunen reagierte der Vogel fast sofort – oder, genauer gesagt, er hörte auf wie bisher zu reagieren. Statt in Panik davonzuflattern oder ihm ins Gesicht zu hacken, saß er ruhig auf seiner Hand und legte den Kopf schief, als hänge er an seinen Lippen. Bald wagte Monkel es, den Vogel auf seine Schulter zu setzen, wo sein Schnabel nicht weit zu seinem Ohr oder seinem Auge hätte. Der Vogel mißbrauchte sein Vertrauen nicht ein einziges Mal. Er schien im Gegenteil sehr glücklich über diesen neuen Platz zu sein und flog, kaum daß Monkel das Gemach betreten hatte, auf seine Schulter.
Nach einer Woche nahm Monkel ihn als letzte Probe mit ins Freie und setzte ihn auch anderen auf die Schulter. Der Vogel ließ es geduldig über sich ergehen und benahm sich tadellos. Trotz eines gewissen Maßes an Mißtrauen über diese plötzlich Zahmheit hielt Monkel die Zeit für gekommen, seiner Angebeteten dieses Geschenk zu verehren, denn er wußte, wenn er noch länger damit wartete, würde der Vogel ihm zu sehr ans Herz wachsen, als daß er ihn noch weggeben könnte.
»Du wirst sehen, sie ist wunderschön, genau wie ich sie dir beschrieben habe.«
Der Vogel musterte Monkel mit ausdruckslosen gelben Augen und lehnte den Leckerbissen ab, den der Beysiber ihm als Bestechung vor den Schnabel hielt.
Mit lautlosem Seufzen drehte das Oberhaupt des Setmur-Clans sich auf dem Stuhl, um noch einmal den Palastkorridor entlangzuschauen, dann starrte er wieder aus dem Fenster.
Er hatte beabsichtigt, Uralai das Geschenk im Audienzsaal der Beysa zu überreichen, doch dann hatte ihn sein Mut verlassen, und er beschloß zu warten, bis ihr Dienst zu Ende war. Das war auch bestimmt besser, denn er hatte immer noch seine Zweifel, ob er sich wirklich darauf verlassen konnte, daß der Vogel sich gesittet benahm. Passierte tatsächlich ein kleines Malheur, wenn er ihn Uralai überbrachte, wäre es zwar sehr peinlich, aber nicht katastrophal wie vor den Augen der Kaiserin.
»Es wird dir hier gefallen«, murmelte er, mehr um sich selbst zu beruhigen als den Vogel. »Es ist ein beachtlicher Schritt aufwärts von der Gosse, wo du früher um deine Brocken kämpfen mußtest. Ich wette, jeder Beyarl – das sind unsere heiligen Vögel – würde dich beneiden …«
Leichte Schritte waren zu hören, so blickte er rasch wieder den Korridor entlang und sah Uralai auf sich zukommen. Seine Ängste und seine Unsicherheit verkrampften sich zu einem festen Klumpen, der ihm in der Kehle steckte. Aber er wappnete sich und stand auf, um ihr entgegenzugehen.
»Monkel Setmur! Welch eine nette Überraschung!« Ihre Stimme wirkte fast wie Musik, wenn sie nicht für die Beysa sprach. »Und welch hübscher Vogel!«
Glücklich über ihre warme Begrüßung sagte Monkel überstürzt: »Der Vogel ist ein Geschenk. Ich – ich möchte gern, daß Ihr ihn annehmt.«
»Wirklich? Ich wußte gar nicht, daß es in dieser Stadt so etwas zu kaufen gibt.«
Uralai betrachtete den Vogel, als Monkel ihn auf die Hand nahm und ihr entgegenstreckte.
»Gibt es auch nicht«, entgegnete er. »Ich habe ihn selbst gefangen und gezähmt.«
»Warum?«
Monkel schluckte. Als er sich immer wieder vorgestellt hatte, wie er sagen würde, wenn er Uralai das Geschenk überreichte, hatte er nicht mit einem längeren Gespräch gerechnet. Seine innere Unsicherheit wuchs.
»Ich wollte … ich bin ein einfacher Fischer … ich habe hin und her überlegt … aber mir fiel nichts Besseres ein, Euch meine Bewunderung zu zeigen als mit einem Geschenk.«
»Das habe ich nicht gemeint«, sagte Uralai, »obwohl es Euch zweifellos gelungen ist. Ich meinte, weshalb Ihr Euch gerade dieses Geschenk ausgedacht habt.«
»Der Vogel ist ein Geschöpf unserer neuen Heimat. Sein Wesen und das der Stadt sind eins. Wenn wir hier überleben wollen, müssen auch wir eins damit werden. Wir dürfen uns nicht an unseren Sitten und Gebräuchen festklammern, sondern müssen aufgeschlossen für Veränderungen sein und für hiesige Vorstellungen – wie der beispielsweise, daß Ihr die Bewunderung eines Mannes von einem niedrigeren Clan nicht als beleidigend empfindet.«
»Für einen einfachen Fischer versteht Ihr Euch aber erstaunlich gut auszudrücken.«
Uralai nahm den Vogel auf die Hand und hob ihn zu ihrer Schulter. Gehorsam hüpfte er darauf. Monkel hielt den Atem an. Plötzlich wurde ihm bewußt, wie leicht der Vogel nach ihrem Auge hacken könnte.
»Es ist nicht einfach, sich Eure Vorstellung anzueignen, eins mit dieser elenden Stadt zu werden. Ich werde darüber noch in Ruhe nachdenken müssen. Doch …«
Sie legte eine Hand sanft auf seinen Arm.
»Doch sich über Eure Bewunderung zu freuen, ist nicht so schwer, wie Ihr zu glauben scheint. Bedenkt doch, Ihr seid das Oberhaupt Eures Clans, während meine Stellung in meinem viel niedriger ist …«
Der Vogel drehte sich um und ließ seinen Kot vorne auf ihre Uniform fallen.
Monkel rollte die Augen himmelwärts und wünschte sich inbrünstig, er könnte im Erdboden versinken.
»Denkt Euch nichts dabei.« Uralais Lachen wirkte nur leicht gezwungen. »Er ist so unkultiviert wie diese Stadt. Er weiß nicht, wie man sich einer Dame gegenüber benimmt. Ein Wunder, daß er so zahm ist! Erzählt mir, wie habt Ihr das geschafft? War es sehr schwierig?«
»Nun …«
Ehe Monkel fortzufahren vermochte, hüpfte der Vogel auf Uralais Kopf, wo er seine vorherige Unanständigkeit wiederholte, und zwar in einer Menge, daß etwas davon auf ihr Gesicht fiel.
»Das hast du absichtlich gemacht!« explodierte Monkel und griff nach dem gefiederten Unhold. »Ich werde dir …«
Der Vogel flog aus dem Fenster und verschwand mit einem Schrei, der zweifellos eher triumphierend klang als entschuldigend.
»Zur Hölle mit dir!« brüllte Monkel ihm nach. »Tut mir leid, Uralai, wenn ich geahnt hätte …«
Uralai schüttelte sich vor stummem Lachen und wischte sich den Vogeldreck von Gesicht und Haar.
»O Monkel!« sagte sie und nannte ihn zum ersten Mal nur bei seinem Namen. »Wenn Ihr Euch hättet sehen können! Vielleicht hätte ich damals Euer Angebot annehmen sollen, mich zu begleiten. Ihr werdet so unbeherrscht wie diese Leute, mit denen Ihr trinkt. Aber kommt, macht einen Spaziergang mit mir und erzählt mir, wie Ihr Euer entschwundenes Geschenk gezähmt habt.«
Erst nach über einer Stunde mußte Monkel sich von ihr trennen und fühlte sich beschwingter als selbst vom berauschendsten Wein. Das Geschenk hatte seine wildesten Erwartungen, eine Beziehung zu Uralai herzustellen, übertroffen. Und was noch besser war, er brauchte sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen, daß ihr der Vogel zu Hause Unannehmlichkeiten bereitete.
Der Vogel erwartete ihn bereits, als er heimkam. Und keine Verwünschung oder Drohung konnten ihn dazu bewegen, ihn zu verlassen.
Originaltitel: A Fish with Feathers is Out of His Depth
Copyright © 1984 by Robert Lynn Asprin