Kapitel 14
Richards tiefe Stimme schallte ihm schon entgegen. »Nash! Komm rein, mein Junge.«
»Bist du sicher, dass du schon für Gesellschaft bereit bist?«
Richard saß im Bett und hielt sich ein großes Kissen vor die Brust. »Und ob. Ich langweile mich zu Tode. Denk dir nichts wegen dem Kissen – man hat mir gesagt, ich soll es mir an die Brust drücken, wenn ich niesen oder husten muss.« Er verzog schon bei dem Gedanken daran das Gesicht.
Nash trat ein und setzte sich auf einen Stuhl, den Mary für Besucher an Richards Bett gestellt hatte. Nashs Blick glitt flüchtig über die sonnengelb gestrichenen Wände und das antike Holzmobiliar des Zimmers, dann kehrte er zu Richard zurück.
»Na, bist du froh darüber, wieder zu Hause zu sein?«, fragte er.
»Und wie.« Der alte Mann stöhnte. »Wenn nur Mary nicht ständig um mich rumschleichen würde«, fügte er in gedämpftem Tonfall hinzu, damit seine Frau es auch ja nicht hörte.
»Sie macht sich eben Sorgen um dich. Du hast uns allen einen ganz schönen Schreck eingejagt«, stellte Nash fest. Er war zwar stinksauer auf Richard, aber das hatte seiner Zuneigung zu ihm keinen Abbruch getan.
»Ich überlebe euch noch alle«, prophezeite Richard. »Obwohl ich sagen muss, wenn man mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert wird, fängt man an, über so einiges nachzudenken.« Sein Tonfall und seine Miene wurden nachdenklich.
Nash beugte sich nach vorn, bis seine Hände beinahe das Bett berührten. »Zum Beispiel über eine Lüge, die man jemandem vor Jahren aufgetischt hat?«, fragte er mit einem vielsagenden Blick.
Richard wurde noch blasser, als er ohnehin schon gewesen war. »Was meinst du?«
Nash senkte das Haupt. Musste Richard ihn unbedingt zwingen, es offen auszusprechen? »Dass die Rossmans Dare ebenfalls adoptieren wollten und er sich geweigert hat, zu ihnen zu ziehen, und dass ihr mich deswegen alle ganz bewusst angelogen habt.« Bei dem Gedanken daran durchzuckte ein heftiger Schmerz seinen Kopf.
Richard schnappte nach Luft und begann zu husten, wobei er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Kissen an die frisch operierte Brust presste.
Nash schüttelte den Kopf und erhob sich. »Ich hätte noch warten sollen.« Annie war nach ihrer kurzen Unterhaltung vorhin gegangen, aber Mary kam sogleich angeschossen. »Was ist hier los?«
»Ich hätte noch nicht kommen sollen«, sagte Nash, weil er annahm, dass man ihm das schlechte Gewissen deutlich ansehen konnte. »Ich gehe.«
»Nein!«, protestierte Richard.
Mary runzelte verwirrt die Stirn. »Ich weiß ja nicht, was hier vor sich geht, aber ich habe den Eindruck, Nash hat recht. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Es war nie der richtige Zeitpunkt, verdammt noch mal«, widersprach ihr Richard. »Und ich werde es jetzt nicht länger hinausschieben.« Er hustete erneut, wohl, weil er so heftig geworden war.
Mary schloss die Augen und schüttelte verärgert den Kopf. »Also gut, wenn du es schaffst, dich nicht mehr aufzuregen, darf Nash bleiben. Anderenfalls wird er jetzt gehen, und ihr verschiebt dieses Gespräch um … sagen wir mal vier bis sechs Wochen.«
Nash kannte die störrische Miene seiner Ex-Schwiegermutter nur zu gut – er hatte sie oft genug bei ihrer Tochter gesehen. Aber er hatte beschlossen, Annies Gefühle und Bedürfnisse zu ignorieren. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er damit ihre Ehe zum Scheitern verurteilt hatte. Natürlich war auch erschwerend hinzugekommen, dass es zwischen ihnen nie so geknistert hatte, wie das nun bei ihm und Kelly und bei Annie und Joe der Fall war. Auch das wurde ihm erst jetzt klar.
»Richard?« Marys mahnende Stimme holte ihn wieder in die Gegenwart zurück. »Versprichst du, ruhig zu bleiben und dich nicht aufzuregen?«
Richard zwang sich zu nicken.
Tja, was bleibt einem auch anderes übrig, wenn man mit einer derart energischen Frau verheiratet ist?, dachte Nash. Gott, er war einfach viel zu jung und dumm gewesen für die Ehe!
Mary stemmte die Hände in die Hüften und drehte sich zu ihm um. »Nash?«
»Ich werde versuchen, ihn nicht zu provozieren. Versprochen«, sagte er, obwohl er sich fragte, wie zum Teufel sie beide es schaffen sollten, Wort zu halten.
Mary bedachte sie mit einem letzten warnenden Blick. »Ich bin gleich nebenan.«
Nash wartete ab, bis sie hinausgegangen war, dann setzte er sich wieder. »Ich hätte gar nicht damit anfangen sollen. Nicht jetzt.«
»Nein, ich hätte es nicht so viele Jahre vor mir herschieben sollen. Ich hätte es dir sagen sollen, ehe du von allein dahinterkommst.« Richard brach ab, um sich zu sammeln. »Wie hast du es rausgefunden?«
»Kelly ist beim Archivieren der Akten auf den Adoptionsantrag gestoßen, den Samuel und Florence ausgefüllt hatten.« Nash starrte auf seine Hände, dann hob er den Kopf. »Jetzt habe ich eine Frage: Warum hast du es mir verschwiegen?«
Richard deutete auf ein großes Wasserglas, das auf einer Kommode stand.
Nash reichte es ihm und wartete ab, während Richard bedächtig daran nippte, schluckte und Nash das Glas zurückgab. Dieser stellte es auf einem Untersetzer auf dem Nachttisch ab.
»Dare hat mich angefleht, es dir nicht zu erzählen. Er sagte, du wärst so wütend auf Ethan gewesen, und er wollte nicht, dass sich deine Verbitterung auch gegen ihn richtet. Das hätte er nicht verkraftet. Du warst ja das letzte Familienmitglied, das ihm noch geblieben war. Deshalb waren Florence, Samuel und ich uns einig, dass es das Beste für euch beide wäre, dafür zu sorgen, dass ihr euch weiterhin so nahesteht.«
Nash ließ den Kopf hängen und versuchte, seine Gedanken zu sammeln und seinen Groll hinunterzuschlucken. »Ich kann ja nachvollziehen, warum du diese Entscheidung getroffen hast, als Dare fünfzehn war und ich sechzehn«, sagt er. Er konnte sie beim besten Willen nicht gutheißen, doch er verstand Richard. »Aber das ist jetzt zehn Jahre her! Wir waren wie Vater und Sohn. Wie …?« Er schüttelte den Kopf. Er durfte Richard keine Vorwürfe machen. Er war geschwächt und erschöpft. Er benötigte seine gesamte Kraft für seine Genesung.
»Alles, was du sagst, ist mir im Laufe der Jahre auch immer wieder durch den Kopf gegangen. Aber je mehr Zeit verstrichen war, desto schwieriger war es, das alles noch einmal aufzurollen und dir reinen Wein einzuschenken. Und außerdem waren wir uns alle einig, dass du es von Dare erfahren musst, nicht von uns.«
Es lief alles auf Dare hinaus. Dare, der es nicht gewagt hatte, sich ihm anzuvertrauen. Die ganze verrückte Geschichte war einfach zum Aus-der-Haut-fahren. »Alle Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld dachten, sie müssten darüber bestimmen, was ich wissen darf und was nicht. Habt ihr euch je überlegt, was das für mein Leben bedeutet hat?« Nash musste sich zwingen, ruhig zu sprechen und sitzen zu bleiben, obwohl ihm danach war, aufzuspringen und herumzutoben.
»Wir haben doch versucht, uns in dich hineinzuversetzen, Nash.«
»Und, ist euch nie in den Sinn gekommen, dass ich innerlich vollkommen zerrissen war? Ich war den Rossmans natürlich dankbar für alles, was sie mir gegeben haben – ein Dach über dem Kopf, Nahrung, eine Ausbildung an einer Privatschule und an der Universität. Aber zugleich habe ich sie gehasst, weil sie Dare nicht dieselben Möglichkeiten bieten wollten. Ich habe mich selbst verachtet. Warum ich?, habe ich mich immer wieder gefragt. Warum ich, aber Dare nicht?« Er presste sich die Hand auf die Schläfen, als könnte er auf diese Weise die Gedanken stoppen, die ihm wirr durch den Kopf rasten und ihn schon so lange quälten.
»Ich kann dir keine zufriedenstellende Antwort liefern«, erwiderte Richard. »Die kann ich nicht einmal mir selbst geben.« Er sah aus, als wäre er in den vergangenen fünf Minuten um zehn Jahre gealtert, und Nash machte sich unwillkürlich Vorwürfe, dass er ihn in eine derartige seelische Aufregung gestürzt hatte, obwohl er sich durchaus im Recht sah.
Er erhob sich. »Du solltest dich jetzt ausruhen. Wir haben noch genügend Zeit, das alles zu besprechen, wenn du wieder gesund bist.«
Richard nickte zustimmend. »Es tut mir leid.«
»Ich weiß.« Nash ließ den Kopf hängen. Ihm war klar, dass Richard ihm kein Leid hatte zufügen wollen. Tatsache war: Er hatte es trotzdem getan. »Ich muss los.« Es gab ohnehin nichts mehr zu sagen. »Versuch dich zu erholen. Bis morgen.« Was Richard jetzt brauchte, um wieder fit zu werden, war Ruhe.
Keine Aufregung, keinen Stress.
Nash ging zur Tür.
»Kannst du mir verzeihen?«, fragte sein Ex-Schwiegervater.
Nash umklammerte den Türrahmen und drehte sich zu ihm um. Ihm ging eine Vielzahl möglicher Antworten durch den Kopf. Da gibt es nichts zu verzeihen, zum Beispiel. Doch es hatte keinen Zweck, mit Plattitüden zu reagieren, nur um diesen schwachen, alten Mann zu schonen. Richard hätte sie ihm nicht abgekauft; dafür war er zu klug.
Also hielt sich Nash an das, worauf er auch sonst stets setzte – die Wahrheit. »Es wird dauern«, sagte er. »Bis morgen.« Damit ging er hinaus und schloss die Tür mit einem leisen Klicken.
Joe stieg aus der Dusche und spähte mit einem Auge auf die Uhr, während er sich für sein Date mit Annie in Schale warf. Er sollte sie um sieben abholen, aber da in seiner Bar zurzeit akuter Personalmangel herrschte, war er spät dran. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass es ein Treffen in zwangloser Atmosphäre werden sollte, also zog er Jeans und ein langärmeliges hellblaues Hemd an, das ihm seine Schwester im Vorjahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Er versuchte, sich nicht zu viele Hoffnungen zu machen, was den heutigen Abend anging. Schließlich hatte er in den vergangenen zwei Wochen reichlich Zeit mit Annie verbracht – während ihrer Genesung, aber auch danach, wann immer er die Zeit fand, ihr einen kurzen Besuch abzustatten.
Als sie anfing, darauf zu beharren, dass er ihr kein Essen mehr bringen musste, wusste er, sie war auf dem Weg der Besserung. Also änderte er seine Taktik und bat sie, die Buchhaltung für sein Lokal zu übernehmen. Aber sie hatte den Versuch durchschaut und ihm mit hochrotem Kopf und vor Zorn funkelnden Augen vorgeworfen, das sei doch nur ein vorgeschobener Grund, um Zeit mit ihr verbringen zu können.
Ihre Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit amüsierte und erregte ihn, und er war nicht gewillt, eine Absage hinzunehmen. Er lobte so lange ihre Fähigkeiten als Buchhalterin, bis sie einwilligte – auch, weil es sie beeindruckte, dass er sogar bei ihren Klienten angerufen und sich erkundigt hatte, ob sie mit Annie zufrieden waren. Wieder ein Punkt für mich, dachte Joe zufrieden. Aber es war auch aus geschäftlicher Sicht ein kluger Schachzug gewesen. Sein bisheriger Buchhalter war ein Kumpel seines Vaters und vollkommen inkompetent, weil er gerne mal zu tief ins Glas schaute. Der Wechsel war längst überfällig gewesen.
Er griff nach dem Autoschlüssel und war gerade im Begriff, die Wohnung zu verlassen, da klingelte es. Oh, nein, keine weiteren Verzögerungen jetzt. Er riss die Tür auf und schickte sich an, den Besucher schnellstmöglich abzuwimmeln, doch dann registrierte er, wer da auf seiner Matte stand.
»Annie!«
Sie begrüßte ihn mit einem Lächeln. »Hi! Bist du startklar?« Sie trug eng anliegende Jeans und einen goldenen Rollkragenpulli, der ihre Haarfarbe hervorragend zur Geltung brachte, und war mal wieder bezaubernd anzusehen.
Er musterte sie erstaunt. »Ich dachte, ich sollte dich abholen?«
»Überraschung!« Sie klimperte vor seiner Nase mit ihrem Schlüsselbund. »Also, können wir?«
Joe grinste. »Na, und ob.« Er war äußerst angetan von dieser impulsiven Seite, die sie ihm heute zeigte. Trotzdem fragte er: »Soll ich fahren?«
»Nein. Spar dir deine Kräfte und Fähigkeiten lieber für später auf.« Annie wackelte vielsagend mit den Augenbrauen.
»Ich hoffe, du meinst mit später das Gleiche wie ich …«, sagte er heiser, denn er konnte schon die ganze Zeit an nichts anderes denken als an sein Bett – oder ihres – und was sie darin anstellen würden. »Aber ich habe das dumpfe Gefühl, du redest von etwas anderem.«
Sie lachte. »Vielleicht habe ich ja beides eingeplant«, antwortete sie mit einer erotischen, rauchigen Stimme.
Da konnte er nicht länger widerstehen. Er schob eine Hand in ihren Nacken und zog sie an sich, um sie zu küssen.
»Mmm«, machte sie genüsslich und öffnete den Mund, um ihn einzulassen.
Er kostete sie, neckte sie, indem er erst ihre Mundwinkel mit der Zungenspitze erkundete und dann an ihrer Unterlippe knabberte.
»Wenn wir so weitermachen, kommen wir nie los«, warnte er sie schließlich, ohne von ihr abzulassen.
»Mist.« Annie ließ sein Hemd los, in das sie die Finger gekrallt hatte, und trat einen Schritt zurück. »Ich hätte im Prinzip nichts dagegen, aber wir haben zu viel vor.« Lachend ergriff sie seine Hand.
Joe trat von einem Bein auf das andere, weil ihm die Jeans zu eng geworden waren. Aber sie hatte sich etwas Besonderes ausgedacht. Für ihn. Die Vorstellung gefiel ihm, und er würde weder sie noch sich selbst um das geplante Vergnügen bringen. Sie konnten ja hinterher da anknüpfen, wo sie gerade aufgehört hatten.
»Wo fahren wir hin?«, fragte er.
»Bist du schon mal einen Rennwagen gefahren?« Ihr breites Grinsen wirkte verdammt sexy.
»Nein. Du?«
»Auch nicht. Schon mal was vom Grand Prix gehört?«
Joe hob eine Augenbraue. »Du meinst die Rennstrecke? Ein paar Jungs in der Bar haben sich mal darüber unterhalten.« Er hatte allerdings noch nie die Zeit gefunden, es selbst auszuprobieren. Go-Karts, Helme, Rennanzüge und eine richtige Rennbahn. »Das traust du dir zu?«
»Als ich erfahren habe, dass ich an MS leide, habe ich beschlossen, neue Erfahrungen zu machen und mich nicht von der Diagnose einschränken zu lassen. Ich habe daraufhin meinen Mann verlassen, aber ansonsten habe ich noch nichts getan, um meine … Bedürfnisse auszuleben.«
Das Wort hing zwischen ihnen in der Luft und sorgte dafür, dass das Blut schneller durch seine Adern floss.
»Und dann bist du gekommen und hast gefragt, ob ich mit dir ausgehe, obwohl ich erst dagegen war. Und du hast es mir nicht übelgenommen, dass ich das Date vergessen habe. Im Gegenteil – du hast dich um mich gekümmert, und ich weiß nicht warum, aber es hat sich ganz anders angefühlt als bei Nash, der im Grunde doch genau dasselbe getan hat.« Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Wir sind uns übrigens vorhin über den Weg gelaufen. Er weiß von uns, und er hat mir alles Gute gewünscht. Er ist über mich hinweg.«
Er hat Annie verloren. Der Mann kann einem nur leidtun, dachte Joe. »Bist du dir da auch ganz sicher?«
»Er hat nur noch Augen für Kelly. Und ich, ich habe nur noch Augen für dich.«
Sie klimperte mit den Wimpern, und als er in ihre blauen Augen sah, verlor Joe ein Stück seines Herzens an sie.
»Es liegt daran, wie du mit mir umgehst«, fuhr sie fort, ohne zu ahnen, was in ihm vorging. Und doch drückte sie genau das aus, was er empfand. Es war, als wäre sie ihn hineingeschlüpft.
»Es kommt mir so vor, als würdest du mich wirklich verstehen und als würdest du meine Krankheit wie eine unwichtige Beilage betrachten.«
Er grinste. »Das liegt daran, dass du das Hauptgericht bist, Baby.«
Sie grinste zurück. »Du tust immer so lässig, aber ich weiß Bescheid. Du hast dich um deine Mutter und um deine Schwester gekümmert, und mir ist klar, was für eine große Verantwortung die Bar darstellt. Deswegen dachte ich, wir könnten ja mal gemeinsam ein bisschen Dampf ablassen. Erst auf der Rennbahn …« Sie atmete tief durch. »Und dann im Bett.«
Ihre geröteten Wangen zeugten davon, wie schwer es ihr gefallen war, all das auszusprechen und zuzugeben. Aber es machte ihn zum glücklichsten Mann der Welt, dass sie ausgerechnet ihn auserkoren hatte.
Er streichelte ihr über die Wange und stellte erfreut fest, dass sie wohlig schauderte. »Ich kann es kaum erwarten, mit dir gemeinsam Dampf abzulassen, ganz egal wo.« Er ließ die Zunge blitzschnell über ihren Mund gleiten. »Am liebsten nackt.«
Ihr Körper vibrierte förmlich vor Sehnsucht nach ihm. Darum würde er sich später kümmern. »Auf, auf, die Rennbahn ruft!«
Das Später würde geduldig auf sie warten, bis sie zurückkamen.
Am Samstag erhielt Nash zu seiner Überraschung einen Anruf von Faith. Sie bat ihn, vorbeizukommen, weil sie etwas mit ihm besprechen wolle, verriet aber nicht, worum es ging, als er nachfragte. Als er in die lange Auffahrt einbog und Kellys Auto auf einem der Parkplätze vor dem Haus stehen sah, machte sein Herz vor Freude einen Satz. Eigentlich unglaublich, dass ihn die Aussicht, sie zu sehen, derart beglückte, wo er doch die ganze Nacht neben ihr im Bett gelegen hatte und heute früh an sie gekuschelt aufgewacht war.
Und doch war es so.
Er konnte nicht genug von ihr bekommen.
Er klingelte, und Faith öffnete die Tür. Sie trug Jeans und einen dunkelblauen Pullover, und ihre blonden Haare fielen ihr locker auf die Schultern. Sie war zwar nicht sein Typ, aber Nash wusste den Anblick einer schönen Frau durchaus zu schätzen. Dass Faith schön war, diesen Gedanken hätte er sich bis vor Kurzem noch nicht gestattet. Da war sein großer Bruder noch für Kummer und Verrat gestanden, und mit ihm alle, die ihm nahestanden. Dazu kam, dass Faiths Vater unschuldige Menschen, darunter auch Nashs Adoptiveltern, um ihr Geld geprellt hatte, ohne sich um den Schaden zu kümmern, den er damit angerichtet hatte. All diese Umstände hatten Faith zu einer idealen Zielscheibe für seinen Zorn gemacht.
Doch der Groll, mit dem er so lange gelebt hatte, war fast vollständig verflogen, nachdem Ethan aufgetaucht war, um ihm beizustehen, als Nash ihn gebraucht hatte, weil er plötzlich die Welt nicht mehr verstand. Ethan hatte genau gewusst, dass Nash ihn hasste, und er war ihm trotzdem zu Hilfe geeilt.
Faith begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln. »Hallo Nash. Danke, dass du gekommen bist.«
»Ich war etwas überrascht über deine Einladung«, sagte er ehrlich. Ihr Verhältnis zueinander war bislang wirklich alles andere als harmonisch gewesen.
Sie nickte. »Nun, ich finde, es ist an der Zeit, dass wir uns unterhalten. Komm doch rein.«
Er folgte ihr nach drinnen.
»Am besten gehen wir in den Wintergarten, da ist es schön hell. Die ideale Atmosphäre für ein Gespräch.« Faith führte ihn von der mit Marmor ausgelegten Empfangshalle in Richtung Wohnzimmer.
»Was treibt Ethan denn so?«, erkundigte sich Nash, als sie die geschlossene Tür zu seinem Büro passierten.
»Der muss arbeiten. Er hat gerade eine Telefonkonferenz.«
Sie durchquerten das Wohnzimmer, und es war das erste Mal, dass Nash das riesige Haus unvoreingenommen bewunderte.
Er wusste, dass Ethan es geschafft hatte, dank seiner Liebe zu Computerspielen und seiner Ausbildung bei der Army ein lukratives Unternehmen aufzubauen, und dass er für ein kleines Vermögen Militär-Software an die Regierung verkaufte. Bislang hatte ihn Ethans Erfolg nicht sonderlich beeindruckt. Das war nun anders.
Sie betraten einen Raum, den Nash noch nicht kannte und der auf einer Seite komplett verglast war, sodass man den atemberaubenden Blick über das Anwesen genießen konnte. Die herbstliche Farbenpracht der Bäume und Sträucher reichte von Gelb über Orange bis hin zu Braun, und darüber erstreckte sich der schier endlos wirkende Himmel.
»Wunderschön«, sagte Nash.
»Danke. Ich liebe unseren Wintergarten und den Ausblick, den er bietet.« Faith deutete auf die Fensterfront. »Setz dich doch.« Sie nahm auf einem großen Lederfauteuil Platz und legte die Füße auf einem gepolsterten Schemel ab.
Nash setzte sich auf das kleine Sofa gegenüber von ihr. Wie im übrigen Haus herrschten auch hier gedämpfte, neutrale Farben und maskuline Brauntöne vor, doch das Dekor und diverse Accessoires verströmten eine gemütliche, heimelige Atmosphäre.
»Also dann …« Nash drapierte einen Arm über die Rücklehne der Couch und sah seiner Gastgeberin in die Augen.
»Du fragst dich wahrscheinlich, warum ich dich hergebeten habe.«
Er nickte. »Richtig.«
Faith redete nie lange um den heißen Brei herum. Sie waren bereits mehrere Male aneinandergeraten, sei es wegen Tess, wegen Ethan oder wegen ihres Vaters. Nash rechnete deshalb damit, dass sie auch jetzt ohne Umschweife auf den Punkt kommen würde.
»Ich wollte dir dafür danken, dass du Ethans Hilfe angenommen hast, als er neulich mit dir bei Florence Rossman war.«
»Da gibt es nichts, wofür du dich bedanken müsstest«, wehrte Nash ganz automatisch ab.
»Oh, doch.« Faith stellte die Füße auf dem Boden ab und beugte sich nach vorn. »Du hättest ihn auch zum Teufel schicken können. Stattdessen hast du zugelassen, dass er dabei war, als du Dare zur Rede gestellt hast.«
»Ich habe ihm durchaus gesagt, er soll sich zum Teufel scheren«, versicherte Nash ihr.
Faith grinste. »Nun, besonders nachdrücklich warst du offenbar nicht.«
Nash öffnete den Mund, doch er klappte ihn gleich wieder zu und zwang sich, nachzudenken.
Hatte er sich nicht gerade eben eingestanden, dass er seinem großen Bruder schon beinahe verziehen hatte? Warum also widersprach er Faith weiterhin? Nur weil er aus alter Gewohnheit nicht mit ihr einer Meinung sein wollte? Um eine gewisse Distanz zu wahren?
»Es ist mir nicht leichtgefallen«, räumte er schließlich ein. »Ein Teil von mir ist noch immer sauer auf ihn.« Und zwar der Sechzehnjährige, der von Ethan damals verlassen worden war. Der erwachsene Nash hatte ihm jedoch vergeben.
»Du bist verletzt. Das ist etwas anderes.« Faith musterte ihn mit einem entschlossenen Blick. »Aber wenn du Ethan noch ein bisschen besser kennenlernst, wirst du erkennen, dass er sich geändert hat.«
Eine Weile herrschte Schweigen. Nash wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Es war nicht einfach, vor Faith über seine Gefühle zu sprechen, aber wie es aussah, reichte es ihr schon, wenn er sich ihre Worte durch den Kopf gehen ließ.
»Mein Bruder kann sich glücklich schätzen, dich auf seiner Seite zu haben«, sagte er schließlich zu seiner Schwägerin.
Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er Ethan und Faith um ihre von Hingabe, Offenheit und Ehrlichkeit geprägte Beziehung beneidet. Doch nun hatte er all das selbst gefunden.
Bei Kelly.
Und obwohl er nicht wusste, wohin die Sache noch führen würde, genoss er den aktuellen Stand der Dinge über alle Maßen.
»Ich bin diejenige, die sich glücklich schätzen kann«, sagte Faith. »Und damit bin ich bei dem eigentlichen Grund für meine Einladung angelangt: Ich dachte, nun, da du dich mit Ethan besser verstehst, können wir beide ja vielleicht auch Frieden schließen.« Sie holte tief Luft. »Ich kann nachvollziehen, warum du meinen Vater hasst, aber ich bin nicht mein Vater. Ich habe mehr mit deiner Familie zu tun als mit meiner eigenen, und ich weiß, es würde Ethan viel bedeuten, wenn wir miteinander auskämen.«
Ihre Worte überraschten ihn, aber Nash spürte, dass sie aufrichtig gemeint waren, und als er in ihre ehrlichen Augen blickte, fragte er sich, warum er bisher nicht erkannt hatte, dass sie kein bisschen so war wie ihr Vater Martin Harrington. Sie war nur zufällig seine Tochter und hatte von seinen Betrügereien genauso wenig geahnt wie die übrigen Bewohner der Stadt. Ihr Vater saß im Gefängnis, ihre Mutter hatte sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen – doch davon hatte sich Faith nicht abschrecken lassen. Sie war eine starke Frau, die ganz auf sich gestellt einen Neustart gewagt hatte.
Doch Nash war blind gewesen für ihre Integrität und ihre Stärke. Er hatte Martin Harrington für den Tod seines Adoptivvaters verantwortlich gemacht, und auf Ethan war er ohnehin nicht gut zu sprechen gewesen – da war es ihm nur recht und billig vorgekommen, auch auf Faith wütend zu sein.
Nash schüttelte den Kopf und zwang sich, ihr in die Augen zu sehen. »Ich verstehe nur nicht ganz, warum du mit mir Frieden schließen willst.« Er verschränkte die Finger ineinander. »Ist ja nicht so, als hätte ich dir einen Anlass dafür geliefert.«
Sie zuckte leichthin die Schultern. »Nun, ich habe ja von Anfang an gesagt, dass Tess eine Familie braucht. Du, Ethan und ich, wir können gemeinsam eine solide Basis für sie schaffen.«
Nash entging nicht, dass sie Dare nicht erwähnt hatte. »Da hast du recht«, pflichtete er ihr bei. »Und Tess beurteilt alle danach, wie sie mit Ethan umgehen.« Eine Zeit lang hatte ihn dieser Umstand zur Weißglut gebracht. Jetzt war es einfach eine Tatsache.
Faith grinste. »Tja, auf manche Frauen hat er eben diesen Effekt.«
Nash verdrehte die Augen. Er hatte keine Lust, diese besondere Eigenschaft seines großen Bruders zu diskutieren.
»Ich habe mich dir gegenüber unfair verhalten, aber ich bin ebenfalls bereit, noch einmal von vorn anzufangen. Und ich bin froh, dass du mir eine zweite Chance gibst.«
Faith atmete erleichtert auf und lachte. »Na, das war ja einfacher als ich erwartet hatte.«
Nash schüttelte den Kopf und dachte beschämt an sein bisheriges Verhalten ihr gegenüber. »Du hast dir von mir so einiges anhören müssen.«
»Nichts, was ich nicht verkraftet hätte.«
»Aber du hattest es nicht verdient.« Das führte ihn zur nächsten Frage. »Ich bin froh, dass du den ersten Schritt in Richtung Versöhnung getan hast, aber es würde mich doch interessieren, warum du es gerade jetzt tust.«
Faith sah ihn an. »Weil es Kelly ganz schön viel Überwindung gekostet haben muss, hierherzukommen und Ethan darum zu bitten, dass er dir beisteht. Sie konnte ja nicht wissen, wie er reagieren würde – in Anbetracht der Tatsache, wie du zu Ethan stehst, hätte es ja auch sein können, dass er sie auslacht oder hinauskomplimentiert.«
Wo sie recht hat, hat sie recht, dachte Nash und versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen.
Und jetzt war sein Groll gegen seinen jüngeren Bruder gerichtet. Nash wünschte, er könnte die ganze unschöne Angelegenheit mit einem Fingerschnipsen aus der Welt schaffen, aber so einfach war es nun einmal nicht. Dare hatte ihn jahrelang hintergangen, auch jetzt noch, da sie erwachsen waren, und Nash hatte keine Ahnung, wie er mit diesem Umstand klarkommen sollte.
»Jedenfalls dachte ich, wenn Kelly ganz offensichtlich der Ansicht ist, dass du das Risiko wert bist, dann kannst du kein durch und durch schlechter Mensch sein. Also habe ich dich angerufen und hergebeten«, fuhr Faith fort und holte ihn damit in die Gegenwart zurück.
Nash legte erstaunt den Kopf schief. Er verdankte das alles also Kelly? Dann sollte er sich bei ihr dafür erkenntlich zeigen. Und er wusste auch schon wie, wenn er an die Löwenfußbadewanne in ihrer Wohnung dachte.
Er setzte sich etwas anders hin und zwang sich, mit seiner Aufmerksamkeit wieder zu seiner Schwägerin zurückzukehren. »Ich würde gerne noch einmal ganz von vorn anfangen.« Er erhob sich und streckte ihr die Hand hin.
Doch Faith schloss ihn zu seiner Überraschung in die Arme und drückte ihn an sich.
Da ertönte von der Tür her ein Räuspern. »Stör ich?«, fragte Ethan, der soeben hereingekommen war.
Faith verzog keine Miene, weil er sie dabei ertappt hatte, wie sie einen anderen Mann umarmte. »Nash und ich haben gerade das Kriegsbeil begraben«, verkündete sie mit einem breiten Lächeln.
»So, so.« Ethan beäugte Nash mit gerunzelter Stirn.
Was garantiert nicht daran lag, dass er befürchtete, Nash könnte sich an seine Frau herangemacht haben, denn er wusste genauso gut wie alle anderen Anwesenden, dass Nash so etwas niemals tun würde. Nein, es hatte mit der Feindseligkeit zu tun, mit der dieser Faith so lange begegnet war.
»Wie es aussieht, findet deine Göttergattin, jeder Mensch hätte eine zweite Chance verdient«, sagte Nash zu seinem Bruder, wobei er Anstalten machte, sich von Faith zu lösen, doch sie hielt ihn zurück, indem sie ihm den Arm um die Taille legte.
Damit wollte sie ihm wohl zu verstehen geben, dass sie eine Familie waren und keine Geheimnisse mehr zwischen ihnen standen.
»Soll mir recht sein, solange du sie mit dem gebührenden Respekt behandelst«, sagte Ethan, doch es klang noch etwas misstrauisch.
Wie es aussah, war er selbst zwar zur Versöhnung bereit, aber wenn es um die Menschen ging, die er liebte, kam ihm sein Beschützerinstinkt in die Quere.
Eine Eigenschaft, die Nash durchaus lobenswert fand. »Keine Sorge, das werde ich«, versicherte er seinem Bruder.
»Gut.« Ethan lächelte und wirkte gleich um einiges entspannter. Er ging zu den beiden und streckte den Arm nach Faith aus, und sie schmiegte sich an ihn. »Und, wie geht es dir?«, erkundigte er sich bei Nash.
»Bestens«, erwiderte Nash. Weil er viel arbeitete und sich große Mühe gab, nicht über Dinge nachzudenken, die er nicht ändern konnte. Denn der Versuch, zu verstehen, warum Dare ihn angelogen hatte, bereitete ihm schlaflose Nächte und kostete ihn wertvolle Zeit, die er viel lieber anderweitig nutzte.
Bei dieser Gelegenheit fiel ihm etwas ein. »Ich habe Kellys Auto draußen vor eurer Tür stehen sehen …«
Ethan musterte ihn, und sein Blick ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er Nash sein »bestens« nicht abgekauft hatte.
Faith grinste nur. »Kelly und Tess sind in der Küche und backen Plätzchen.«
Nash ging weder auf Ethans Blick noch auf Faiths Grinsen ein. »Dann werde ich noch kurz bei den beiden vorbeischauen, ehe ich gehe.«
»Wir fahren gleich mit Tess ins Jugendzentrum«, sagte Faith. »Meine Freundin Kate Andrews möchte dort demnächst einen Malkurs anbieten, und Tess hat eine ihrer Lehrerinnen gefragt, ob sie Zeit hat, sich ehrenamtlich zu engagieren. Wir wollen noch ein paar Einzelheiten mit ihr besprechen.«
»Und Faith meinte, es würde Tess ganz guttun, anderen Kindern zu helfen«, fügte Ethan hinzu.
»Das heißt dann wohl, dass du mit Kelly die Plätzchen fertig backen musst«, feixte Faith und zwinkerte Nash zu.
Tess stand mit Kelly in Ethans topmoderner Küche, um Cookies für eine Benefizveranstaltung an ihrer Schule zu backen. Mit den eingenommenen Spenden sollte ein Besuch des Museum of Modern Art in Manhattan finanziert werden. Tess war von der Idee natürlich hellauf begeistert gewesen, aber da Kellys Küche so winzig war, hatten sie beschlossen, das Plätzchenbacken hierher zu verlegen. Sie hatten sämtliche Zutaten auf der Anrichte aufgereiht und waren gerade dabei, die letzten Ingredienzien in den Teig einzurühren. Rosalita hatte heute frei, das Aufräumen würde also an Kelly hängen bleiben, aber daran war sie ohnehin gewöhnt.
Kelly spähte in die riesige Rührschüssel, die vor ihr stand. »Backen ist nicht grad meine Stärke, so viel steht fest«, murmelte sie und griff nach dem Eierkarton. »Warum konnten wir denn nicht einfach einen fertigen Plätzchenteig kaufen? Den hätten wir nur noch in Scheiben schneiden müssen.«
»Weil wir bei der Benefizveranstaltung die Rezepte untereinander austauschen, deswegen. Und jetzt rühr weiter, ich seh da noch Klümpchen«, sagte Tess und stibitzte sich mit einem Löffel eine Kostprobe.
»Hey!« Kelly verpasste ihr einen Klaps auf die Finger. »Hör auf zu naschen, sonst ist bald nichts mehr da, was du verkaufen kannst! Du wolltest doch das Blech einfetten, oder?«
»Sklaventreiber. Hast du dran gedacht, das Backrohr vorzuheizen?«, fragte Tess.
Kelly nickte. Sie rührte weiter, bis der Teig endlich glatt war, dann formten sie daraus gemeinsam die Plätzchen und legten sie auf das Blech, wobei sie darauf achteten, genügend Abstand zu lassen, damit sie beim Backen nicht zusammenkleben konnten. Schließlich schoben sie das Blech ins Rohr, und Kelly aktivierte dieKüchenuhr.
»Sag mal, warum magst du Nash eigentlich so?«, erkundigte sich Tess aus heiterem Himmel.
Kelly biss sich auf die Unterlippe und überlegte fieberhaft, was sie darauf erwidern sollte. »Dein Bruder hat eben das Herz am rechten Fleck.«
»Das meine ich nicht.« Tess erklomm einen der Barhocker am Frühstückstresen, stützte das Kinn in die teigverschmierten Hände und musterte Kelly mit großen Augen. »Vergessen wir mal, dass Nash mein Bruder ist. Was findest du so toll an ihm?« Sie war offenbar nicht gewillt, sich mit Kellys ausweichender Antwort zufriedenzugeben.
»Ja, Kelly, sag Tess, was du so toll an mir findest.«
Kelly fuhr herum und sah Nash in der Tür stehen. Der Blick seiner funkelnden Augen wirkte halb amüsiert, halb erregt.
»Nash!«
»Hallo! Ich warte auf eine Antwort!«, rief Tess.
Kelly stöhnte ergeben und lehnte sich an die Anrichte. »Die Anziehung zwischen zwei Menschen lässt sich aber nicht erklären«, brummte sie halblaut.
Nash konnte sich nicht von ihrem Anblick losreißen.
»Oh, Mann! Erwachsene!« Tess schüttelte frustriert den Kopf.
»Tess, bist du so weit? Wir wollten doch zum Jugendzentrum fahren«, erschallte Faiths Stimme von nebenan.
»Ich komme!«
»Geh dir die Hände waschen«, befahl Kelly.
»Ja, ja. Danke für deine Hilfe beim Plätzchenbacken. Aber unsere Unterhaltung ist noch nicht zu Ende!«
Damit stürmte sie hinaus, und Kelly biss sich in die Innenseite der Wange, um nicht zu lachen. »Was führt dich denn hierher?«, fragte sie Nash.
Er nahm auf dem Barhocker neben ihr Platz, und als ihr sein wohlriechendes Eau de Cologne in die Nase stieg, musste sie daran denken, wie sie die vergangenen Tage neben ihm eingeschlafen und in seinen Armen aufgewacht war. »Und mir lief schon bei den Plätzchen das Wasser im Mund zusammen«, murmelte sie.
»Was sagst du?«
»Dass du gut riechst.« Kelly beugte sich zu ihm, um an seinem Ohrläppchen zu knabbern, und entlockte ihm damit ein wohliges Knurren. Sie grinste. »Also, was treibst du hier?«
»Faith hat mich eingeladen. Wir haben ›das Kriegsbeil begraben‹, wie sie es ausgedrückt hat.« Er schüttelte den Kopf, als könnte er es noch nicht so recht glauben.
Kelly dagegen war keineswegs erstaunt.
»Das freut mich.« Erst Ethan, jetzt Faith. Langsam aber sicher brachen die Wälle, die er um sich herum errichtet hatte, zusammen.
Endlich waren sich Ethan und Nash ein Stück nähergekommen. So hatte der Streit mit Dare immerhin einen positiven Nebeneffekt gehabt. Aber auch Tess schien sich allmählich mit dem Gedanken anzufreunden, dass sie und Nash ein Paar waren – statt deswegen Probleme zu machen, stellte sie Kelly sogar Fragen über ihre Beziehung. Jetzt musste nur noch die Versöhnung zwischen Dare und Nash herbeigeführt werden, dann hatte diese Familie endlich zueinandergefunden.
Im Augenblick war es noch zu früh für eine Bemerkung in diese Richtung. Und es war auch noch zu früh, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte.
Sie hatte die Erkenntnis ja selbst noch gar nicht so richtig verkraftet.
Nash befand sich auf einem guten Weg, aber er war noch nicht am Ziel. Und Kelly musste erst lernen zu akzeptieren und zu verstehen, was es bedeutete, ihn zu lieben.
Plötzlich hatte sie eine Idee. »Hast du dieses Wochenende eigentlich schon etwas vor?«, fragte sie ihn, ehe sie der Mut verlassen konnte.
Er beugte sich zu ihr. »Denkst du da an etwas Bestimmtes?«
Die Wärme, die von ihm ausging, heizte auch ihr gewaltig ein.
»Was hältst du davon, wenn wir uns mal eine Auszeit gönnen? Wir könnten übers Wochenende aufs Land fahren und in einem Bed & Breakfast übernachten.«
Seine Augen leuchteten auf. »Klingt verlockend.«
»Ich werde ein bisschen recherchieren und uns etwas Nettes suchen. Am Freitagabend präsentiert Tess im Rahmen einer Schülerausstellung ihre Zeichnungen, aber es reicht ja, wenn wir Samstagmorgen ganz früh losfahren.«
»Perfekt.« Nash zog sie an sich und küsste sie lange und leidenschaftlich.
Kelly schmolz wie üblich sogleich in seinen Armen dahin, als seine Zunge über ihre Lippen wanderte und Einlass forderte. Nash stöhnte leise auf, als sie für einen kurzen, köstlichen Moment den Mund öffnete, ehe sie den Kuss unterbrach.
»Du schmeckst nach Plätzchenteig«, stellte er fest und leckte sich grinsend die Lippen.
Sie verpasste ihm einen Klaps auf die Schulter. Wenn er noch länger hierblieb, ließ sie sich womöglich hier in Ethans Küche zu allen möglichen Schweinereien hinreißen. »Zieh Leine. Ich muss hier sauber machen, und dann suche ich uns eine Unterkunft.«
Er küsste sie ein allerletztes Mal, dann zwinkerte er ihr mit einem vielsagenden Grinsen zu und machte sich auf den Weg.
Kelly seufzte glücklich auf. Wann hatte sich ihr Leben zuletzt so harmonisch gestaltet? Sie konnte es kaum erwarten, mit Nash allein zu sein. Irgendwo weit weg von sämtlichen Familienmitgliedern und Problemen.
Irgendwo, wo sie sich ganz aufeinander konzentrieren konnten.