Ich wache in einem kleinen Zimmer mit braunen Wänden auf. Das Bett, in dem ich liege, ist klein und eng. Ich habe kein Kissen, aber die Decke bis zum Hals hochgezogen. Meine Füße liegen im Freien und fühlen sich kalt an. Soweit so gut, die Zehen bewegen sich noch – ich lebe. Aber wo zum Henker bin ich?
Langsam drehe ich meinen Kopf. Der Schmerz in meinem Nacken zieht sich in einem langen Strang die Wirbelsäule hinunter bis zum Po.
Auf der anderen Seite des Bettes sitzt ein Junge auf der Kante und beobachtet mich genau. Er spielt nervös mit seinen Fingern. Er trägt einen Neoprenanzug und erinnert mich an einen Surfer, der jeden Moment mit seinem Brett die Wellen stürmen will. Er lächelt mich an.
„Hi.“
Meine Stimme ist belegt, meine Augen gewöhnen sich nur langsam an die Helligkeit und an die Fremdheit dieses Zimmers.
„Du musst dich umziehen.“
Seine Stimme ist frisch und jung, er grinst.
„Fabian, lass ihn erst mal richtig wach werden.“
Maya taucht im Türrahmen auf und winkt mir kurz zu. Langsam breiten sich meine Erinnerungen an gestern Nacht und an unsere Ankunft in Barcelona wieder aus. Der Eintopf, das Aquarium, Fabians Aufforderung, ich solle mit ihm schwimmen gehen. Richtig, so war das.
„Du hast das Frühstück verpasst.“
Fabian steht auf, nickt zur Tür und ist verschwunden, bevor ich es schaffe, mich aufrecht hinzusetzen. Fabian wirkt wie jeder aufgeregte Junge: er will endlich los, will wissen, wie lang es noch dauert. Er will mit den Fischen schwimmen, höre ich ihn im Flur sagen.
Während ich mir die Augen reibe und meine Füße betrachte, kommen immer mehr Erinnerungen auf. Mayas Mutter, die mich sofort mit Namen begrüßte, lange umarmte und sich bedankte, weil ich so nett war, ihre Tochter bis vor die Tür zu fahren.
Die Wohnung, in die sie uns führte, ein Chaos aus Umzugskisten, klein und eng, anders als meine in Stuttgart. Auch das Badezimmer war erstaunlich klein, dabei wollen mir gar nicht so viele kleine Spanier einfallen. Wenn ich die Nationalmannschaft der Spanier im Geiste durchgehe, will sich außer Xavi und Iniesta keiner als „klein“ darstellen. Aber dann schieben sich andere Gedanken in den Vordergrund.
Heute ist D-Day. Der magische fünfte Tag. Und obwohl ich mich sehr anstrenge, diese Vorstellung nicht in den Mittelpunkt meiner Gedanken rutschen zu lassen, kann ich mich auf kaum etwas anderes konzentrieren. Ich bin wie ein ADHS-Patient, nicht immer, aber irgendwie heute. Am magischen fünften Tag.
Jetzt taucht Maya wieder im Zimmer auf, zieht die Tür hinter sich zu und klettert übers Bett zu mir.
„Guten Morgen.“
Sie lächelt so entspannt, als hätte sie gestern nicht auch die Strapazen der Fahrt auf sich genommen. Wie kann sie nur so unverschämt gut aussehen, während ich noch nicht sicher bin, alle Extremitäten meines Körpers bewegen zu können.
„Morgen.“
„Tut mir leid, dass Fabian dich geweckt hat. Er wollte es unbedingt.“
„Kein Problem, ich weiß ja nicht mal, wie spät es ist.“
Sie streichelt meine Wange, die deutlich mal wieder eine Rasur gebrauchen könnte. Meine Haut muss sich inzwischen wie Sandpapier anfühlen, was Maya aber nicht zu stören scheint.
„Heute ist ein ziemlich großer Tag, was?“
Ich betrachte ihr Gesicht und frage mich, ob sie schon eine Entscheidung getroffen hat. Gut zu wissen, dass der Tag heute für sie nicht ganz bedeutungslos ist. Ich habe Hoffnungen, wie immer. Ich glaube daran, dass alles, was wir zusammen durchgemacht haben zeigt, dass wir mehr verdient haben als nur fünf Tage.
„Ziemlich. Ich bin auch schon etwas nervös.“
Sie hält meine Hände fest. Auch ich bin nervös. Ich will und kann sie nicht gehen lassen. Ich hoffe, sie lädt mich ein, in ihrem Leben zu bleiben.
„Du bist süß, Jonas.“
Mir fallen ihre stummen Worte von gestern Nacht wieder ein. Ich wollte sie die ganze Nacht fragen, was sie gesagt hat, aber ich habe mich nicht getraut. Aber was sonst soll sie gesagt haben?
„Süß? Nicht sexy oder so?“
Sie lacht und rutscht wieder vom Bett. Ich beobachte, wie sie das Zimmer verlässt, ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen. Das Zimmer ist nach wie vor klein, aber ich fühle mich etwas verloren. Ich brauche erst mal einen Kaffee und etwas Wasser im Gesicht. Danach, da bin ich mir sicher, fühle ich mich etwas besser.
Aber ich irre mich. Nach der kurzen Dusche, bei der ich mir vier Mal die Ellenbogen an der Wand anschlage, während ich mir die Haare schamponiere, und nach einer Tasse Kaffee geht es mir kein bisschen besser. Von Maya bekomme ich so gut wie nichts mit. Sie ist mit Fabian im Wohnzimmer, ich höre sie lachen und freue mich für sie.
Elke stellt mir einen Teller mit Rührei vor die Nase und lächelt mich an.
„Eine kleine Stärkung vor dem großen Tag.“
Aus Angst Fabian, könnte durch die Tür kommen und mein Frühstück mit Pfeffer klauen, schlinge ich es schnell herunter und spüre, wie mein Herz wild gegen meine Brust pocht. Ich kann eine Frage nicht aus meinem Kopf verbannen. Schon zigmal habe ich ihr die rote Karte gezeigt, aber sie ignoriert mich. Was wird heute Abend passieren? Was sind Maya und ich heute Abend? Und wieso habe ich so große Angst, nicht das zu sein, was ich unbedingt sein möchte? Bisher läuft es doch ausgesprochen gut. Ihre Mutter mag mich, ihr Bruder offensichtlich auch, ich darf an ihrem Leben teilhaben. Es läuft doch gut. Wieso aber habe ich dieses komische Gefühl im Magen? Nach einem letzten Kaffee habe ich meine Panik zunächst einmal in die Umkleidekabine geschickt und versuche, nicht mehr darüber nachzudenken.
Mayas Hand in meiner während wir uns alle auf den Weg machen, trägt ungemein zur Beruhigung bei. Obwohl sie mich immer wieder unsicher ansieht.
„Ist alles okay?“
Ich nicke und schenke ihr ein Lächeln, das ich mir am liebsten ins Gesicht schrauben möchte.
„Heute ist ein wichtiger Tag.“
Wie sagen die Engländer so schön: „Are we on the same page?“. In diesem Fall müsste ich verneinen. Ich wünsche mir, wir würden beide an das Gleiche denken, aber ich weiß ganz genau, dass wir – auch wenn wir beide diesen Tag für einen Wendepunkt halten – es nicht aus denselben Gründen tun. Während ich Angst habe, wieder auf die Autobahn geschickt zu werden, denkt sie nur an Fabian. Und weil ich kein Spielverderber sein will und kann, nicke ich strahlend zurück und überlasse Fabian diesen Tag.
Mit großen Fischen oder Schwimmern muss ich nicht unbedingt eine Freundschaft fürs Leben knüpfen, wenn ich ehrlich sein darf. Ich habe „Der weiße Hai“ weder gemocht noch bis zum Ende ausgehalten, als mein Vater sich entschied, den Film direkt vor unserem Strandurlaub in Südfrankreich mit mir schauen zu müssen. Die qualvollen zwei Wochen am Atlantik habe ich im knietiefen Wasser verbracht, weil ich mich nicht weiter reingetraut habe. Auch heute noch sehe ich mich nicht gezwungen, mir Hai-Dokus oder Ähnliches im TV ansehen zu müssen, selbst wenn das Ausweichprogramm „Sexy Sportclips“ heißt.
Auch „Free Willy“ zählt nicht zu meinen Lieblingsfilmen, obwohl ich damals mit einer meiner ersten Freundinnen ins Kino gegangen bin. Während sie gerührt war und sich fest vornahm, als Walpflegerin in Kanada ihr Glück zu finden, war ich damit beschäftigt, die rechte untere Ecke der Leinwand anzustarren, wann immer Unterwasseraufnahmen kamen.
„Flipper“ war grenzwertig, aber noch zum Aushalten. Allerdings reichte mir dort die Folge, in der Flipper mit einem Hai kämpfen musste, um Sandy das Leben zu retten. Zwar bin ich seitdem stolz darauf zu wissen, ein Delfin könnte mir im Falle einer Haiattacke das Leben retten; allerdings ist die Hoffnung größer, gar nicht erst in eine solche Situation kommen zu müssen.
So ein beheizter Whirlpool reicht ja eigentlich auch. Das Meer wird vollkommen überschätzt!
Jetzt sitze ich am Rand eines unglaublich großen Beckens und trage einen Neoprenanzug, der nur die unvorteilhaften Regionen meines Körpers betont und es damit nicht schafft, auf die Rangliste meiner Lieblingsoutfits zu kommen.
Maya sitzt neben Fabian, ich auf der anderen Seite. Unsere Beine baumeln im klaren Wasser, wie man es in diesem unglaublich großen Becken erwartet. Allerdings ist es salzig, was Fabian sofort mit Begeisterung festgestellt hat. Er trägt eine Schwimmweste über seinem Wetsuit. Er wirkt sehr nervös und spielt mit seinen Fingern, während er zu den beiden Delfinen schaut, die langsam und mühelos ihre Kreise ziehen. In Englisch und gebrochenem Deutsch wurde uns genau erklärt, was passieren würde, aber Fabian schien auch so zu verstehen. Er ist aufgeregt, aber nicht nervös. Ganz anders als ich. Ich schwitze unter diesem Wetsuit und meine Handflächen sind glitschig.
Der erste Delfin kommt zu uns geschwommen. Er strahlt eine Ruhe aus, die sich überraschenderweise sofort auf Fabian überträgt, und auch ich kann mich dem nicht gänzlich entziehen.
„Los Fabian, ganz langsam.“
Eine der Betreuerinnen hilft ihm dabei, langsam ins Wasser zu gleiten, aber er weigert sich, Mayas Hand loszulassen, so dass sie ihm ins Nass folgen muss. Ich bin froh, nur Statist in dieser Situation zu sein.
Was dann kommt, ist schwer zu beschreiben. Er streichelt den Delfin, der ihn mit der Nase anstupst und kleine Kreise um ihn zieht. Mit jeder Berührung scheinen die beiden ein stilles Abkommen einzugehen. Fabians Gesicht ist nach wenigen Minuten entspannt. Maya, die nicht von seiner Seite weicht, flüstert ihm immer wieder aufmunternde Worte ins Ohr, und so traut sich Fabian immer mehr. Wieder lerne ich Maya von einer neuen Seite kennen. Sie wirkt unendlich fürsorglich und bedacht, sie spricht ruhig. Ich sehe, wie sehr die beiden einander brauchen. Maya ist weit weg von Lucy, weit weg von all den Dingen, die sie durchgemacht hat, um Fabian endlich hierher zu bringen.
Und ich sehe Fabian, der Mayas Hand fest umschlossen hält. Ich muss lächeln, als ich sehe, wie Fabian entspannter wird, sich schließlich traut und die Rückenflosse des Delfins zaghaft umschließt. Es sind nur wenige Meter, aber er lässt sich tatsächlich durchs Wasser ziehen, lacht dabei laut auf und scheint in genau diesem Moment loszulassen. Vergessen sind all die Zwänge, die seine Krankheit mit sich bringt. Vergessen ist die Welt, in die er sich zurückzieht, weil er sich nur dort wohlfühlt.
Maya sieht sofort zu mir, als brauche sie einen Zeugen für all das, und ich nicke ihr lächelnd zu. Einen Moment bin ich mir wegen des Wassers nicht sicher; es sind Tränen in ihren Augen, aber diesmal sind es fröhliche Tränen, und ich darf dabei sein. Fabian lässt den Delfin los und ergreift sofort wieder Mayas Hand, aber das Lächeln verschwindet nicht aus seinem Gesicht. Er lacht so laut und befreit, es ist verrückt, aber ich muss mitlachen. Er sieht zu mir und winkt mir zu. Oder winkt er mich zu sich? Ich weiß nicht, aber als Maya deutlich macht, ich soll zu ihnen ins Wasser kommen, überwinde ich meine Angst vor den Tieren, die mir so groß und clever erscheinen. Ich taufe meinen Wetsuit auf den Namen „Hosenscheißer“, während ich zu ihnen schwimme. Ich bin kein besonders guter Schwimmer und meine Bewegungen erinnern vermutlich eher an einen ertrinkenden Hund, aber immerhin erreiche ich die beiden heil und am Stück. Maya will nach meiner Schulter greifen, aber Fabian ist schneller, nimmt ihre Hand in seine und hält sie fest. Es ist eine fast nebensächliche Bewegung, aber so wie er zwischen uns schwimmt, halb getragen von der Schwimmweste, da erscheint mir Maya so unendlich weit weg, obwohl sie nicht mal eine Armlänge entfernt ist.
Fabian strahlt mich an.
„Hast du gesehen? Ich bin mit ihm geschwommen!“
Ich schlucke die alberne Eifersucht herunter, nicke und schenke ihm mein ehrlichstes Lächeln, zu dem ich gerade in der Lage bin.
„Das war toll!“
Aber seine Aufmerksamkeit ist schon wieder bei Maya, die er sofort umarmt und fest an sich drückt. Sie hat die Augen geschlossen und hält ihn ebenso fest. Ich treibe irgendwo neben ihnen im Wasser wie ein Stück Treibholz. Weder mit besonders viel Grazie, noch von besonderer Bedeutung.
Den Rest der Therapiestunde beobachte ich wieder vom Beckenrand aus. Ich verstehe nicht alles, was da passiert, aber auch ich bemerke die Veränderung an Fabian. Wie er sich für wenige Minuten verändert, wie er Dinge zulässt, wie er sich entspannt und sein Gesicht einfach nur Glück und weniger von dem Schmerz zeigt. Es tut gut, das zu sehen. Weil es Maya glücklich macht. Ich sehe, alles hat sich gelohnt. Wenn Patrick das sehen könnte. Er würde wissen, dass sich alles gelohnt hat. Wirklich alles. Zu gerne hätte ich einen Platz in diesem Bild, aber so langsam beschleicht mich das Gefühl, dass es eine Wunschvorstellung bleiben könnte. Dieses Gefühl schmerzt ganz tief in mir drinnen. So als ob eine alte Wunde aufplatzt. Und dann lächelt mich Maya an, und der Schmerz in mir spielt keine Rolle mehr.
Fabian und ich stehen in einer Umkleide und schälen uns aus den Wetsuits. Besser gesagt, wir versuchen es. So müssen sich Schlangen fühlen, wenn sie ihre Haut abwerfen. Fabians Hände sind ganz schrumpelig vom Wasser, aber er ist so aufgekratzt und erzählt immer wieder die gleiche Szene.
„Ich habe mich einfach festgehalten.“
Ich nicke erneut und werde nicht müde, ihm zuzuhören. Es ist die Art und Weise, wie er es erzählt. Zuerst klingt es stolz, dann kommt die Unsicherheit dazu, ob es wirklich passiert ist. Aber ich nicke immer wieder, sporne ihn zu weiteren Erzählungen an. Für den Anfang, finde ich, mache ich das gar nicht schlecht. Ich kann weder mit Kindern noch mit Jugendlichen besonders gut umgehen. Es sei denn, ich darf sie in der U-Bahn wegen ihrer zu lauten Handymusik in die Schranken weisen. Und jetzt stehe ich vor einem autistischen Jungen, den ich gar nicht kenne – und den ich doch mag. Viel besser noch, er scheint mich auch zu mögen.
„So ein großer Fisch.“
Er versucht aus dem Wetsuit zu kommen, was wirklich eine Doktorarbeit erfordert. Warum hat mich niemand gewarnt, wie eng die Teile wirklich sind? Ich schaffe es und rolle meinen Anzug über die Schulter. Fabian ist noch nicht ganz so weit, kämpft und betrachtet sich dabei im Spiegel, der vor uns an der Wand hängt.
„Hast du gesehen, wie groß der Fisch ist?“
Er versucht, es mir mit den Händen zu zeigen.
„Ja, habe ich. Aber weißt du, ein Delfin ist eigentlich gar kein Fisch.“
Ich gehe zu ihm rüber und will ihm helfen, den tückischen Reißverschluss am Rücken zu öffnen. Er betrachtet mich über den Spiegel.
„Doch!“
„Nein, es sind Säugetiere. Sie haben keine Kiemen wie Fische.“
Ich greife nach dem Reißverschluss, doch bevor ich ihn zu fassen kriege, dreht sich Fabian mit einer überraschend wuchtigen Bewegung um und stößt mich hart vor die Brust. Ich taumle ein paar Schritte zurück.
„NEIN!“
Er schreit mich an, und ich verstehe nicht.
„Ich wollte nur den Reißverschluss aufmachen.“
„NEIN!“
Wieder stößt er mich, diesmal sind seine Hände zu Fäusten geballt und wieder überrascht mich seine Wucht. Offenbar bin ich ihm zu nahegekommen. Ich hebe abwehrend die Hände.
„Tut mir leid, ich wollte nur den Reißverschluss ...“
„NEIN!“
Doch anstatt mich zu schlagen oder zu schubsen, fängt er plötzlich an, sich selbst zu ohrfeigen, und ich erinnere mich an das, was Maya mir unter der Dusche erzählt hat. Ich spüre eine leichte Panik in mir. Ich bin mit dieser Situation überfordert.
Hinter mir geht dir Tür auf und Maya kommt ins Innere gestürmt, gefolgt von einer der Betreuerinnen.
„Was hast du gemacht?“
Sie sieht mich wütend an. Ich habe so spontan darauf keine Antwort.
„Ich wollte ... ich habe ... der Reißverschluss.“
Das klingt vollkommen idiotisch, dessen bin ich mir bewusst. Maya geht neben Fabian in die Hocke und hält seine Hände fest. Er beruhigt sich nicht sofort und versucht, auch sie abzuschütteln, aber Maya lässt nicht locker. Sie stellt sich auch bei weitem besser an als ich.
Die Betreuerin wirft mir einen skeptischen Blick zu, mustert mich.
„What did you do?“
„Nothing!“
Wieso geht eigentlich jeder davon aus, ich hätte etwas getan? Ich räuspere mich und versuche, es nochmal zu erklären. Aber Fabian funkelt mich böse an und schreit mir ein weiteres NEIN! entgegen. Offenbar will niemand die Geschichte vom Reißverschluss hören.
„Er sagt, es sind keine Fische!“
Dabei sieht er Maya an, als ob sie mich jetzt als Lügner entlarven wird. Darum geht es? Es geht gar nicht um den Reißverschluss? Maya wirft mir einen kurzen Blick zu und schüttelt genervt den Kopf, bevor sie Fabians Gesicht in ihre Hände nimmt und ihn zwingt, sie anzusehen.
„Doch, mein Schatz, das sind Fische. Große Fische, und du bist heute mit ihnen geschwommen. Und wenn wir wiederkommen, dann darfst du den anderen Fisch auch streicheln.“
Sie betont das Wort Fisch explizit, und ich sehe zur Betreuerin, als könne sie mir helfen.
„Well, actually they are not fish...“
Sie hebt nur die Hand und deutet an, ich soll den Mund halten, was ich sofort tue. Fabian beruhigt sich wieder etwas und lässt sich von Maya aus dem Anzug helfen. Sie spricht die ganze Zeit mit ihm, aber er scheint mir nicht zu trauen, beobachtet mich immer wieder. Er ist ganz offensichtlich noch immer erbost, und ich entscheide mich, den Mund zu halten, während ich mich ebenfalls umziehe. Stumm schlüpfe ich in meine Klamotten und versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie verwirrt ich bin. Ich wollte Fabian ganz sicher nicht wehtun.
Bevor wir das Delfinzentrum verlassen, dreht sich Maya zu mir um.
„War das wirklich nötig, Jonas?“
„Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass ...“
„Für ihn sind es Fische. Er ist misstrauisch. Jetzt können wir wieder von vorn anfangen.“
„Von vorn? Ich verstehe nicht.“
„Nein, du verstehst es nicht. Du verstehst es wirklich nicht. Dieser Weg war lang und wir sind endlich hier. Jetzt müssen wir uns auf Fabian konzentrieren.“
Ich weiß, dass sie wütend ist, aber das ist unfair.
„Ich weiß das alles. Ich war dabei.“
„Warst du nicht.“
Damit dreht sie sich weg und führt Fabian nach draußen, wo Alejandro am Auto auf uns wartet. Ich bleibe einen kurzen Moment stehen, weil ich erst mal den Tiefschlag verarbeiten muss. Sie ist wütend. Sie ist nur wütend und müde. Ich sage es wie ein Mantra vor mir her, während ich langsam hinter ihnen hergehe. Ich habe einen Fehler gemacht, aber mehr auch nicht. Fabian will vorne sitzen, ich klettere nach hinten, Maya nimmt neben mir Platz. Alejandro fragt, wie es gelaufen ist, und wir bleiben erst mal still, bis Maya Fabian motiviert, etwas zu erzählen. Aber der will nicht. Die gute Laune ist dahin, es tut mir ehrlich leid. Mayas Augen sind traurig. Sie hatte sich doch so viel von heute versprochen. Und es lief ja auch echt gut, bis zu meinem Fehltritt, der mir nach wie vor leid tut. Ich greife nach ihrer Hand und umschließe sie langsam. Sie sieht kurz zu mir, ich schenke ihr ein aufmunterndes Lächeln. Sie versucht, zurückzulächeln, aber es will ihr nicht überzeugend gelingen. Auch ihre Hand bleibt leblos in meiner.
So fühlt es sich also an, wenn fünf Tage vorbei sind.