Vermutlich muss ich es nicht erwähnen, aber ich habe in der Nacht kaum ein Auge zugemacht, denn ich habe sie die ganze Zeit angesehen. Für immer in meinem Gedächtnis verankert bleibt jetzt ihr Gesicht, wenn sie schläft. Frauen denken für gewöhnlich, sie sehen schrecklich aus, wenn sie schlafen. Um ehrlich zu sein, die meisten sehen schrecklich aus. Maya ist eine der wenigen Ausnahmen. Ihre Haare, ihre Augen, ihre Lippen, die sie zu einer unglaublich süßen Schnute verzieht, die Arme über dem Kopf verschränkt. Wenn ich wollte, könnte ich unter die Bettdecke schielen, ihren nackten Körper in aller Ruhe betrachten, studieren und verinnerlichen. Aber ich kann nicht von ihrem Gesicht wegschauen.
Die Kondompackung liegt auf dem Boden neben dem Bett. Dieses Bild werde ich ebenfalls nicht vergessen. Sie liegt da wie ein eingelöstes Versprechen. Egal was ich sehe, egal wohin ich schaue, überall scheint die Sonne, und ich grinse wie ein verliebtes Stinktier vor mich hin. Irgendwann gegen sechs Uhr früh schlafe ich endlich ein. Glücklich, zufrieden und unendlich verwirrt.
Was wird morgen? Was wird, wenn ich die Augen wieder öffne? Vielleicht ist sie weg? Oder sie will Geld? Wie soll ich mich verhalten, wenn sie wirklich Geld will? Hat sie mit mir geschlafen, weil sie es wollte? Weil sie es nicht anders gewohnt war? Haben wir zu früh miteinander geschlafen? Irgendwann zwischen all diesen Gedanken besiegt mich die Müdigkeit, und ich ergebe mich ihr überdeutlich, wenn auch ohne erhobene Hände.
Das vertraute Geräusch eines Weckers reißt mich aus dem Schlaf. Draußen ist es schon hell, zumindest erahne ich das, als ich langsam die Augen öffne. Die Seite des Bettes neben mir ist leer. Kurz beschleicht mich das Gefühl, alles nur geträumt zu haben. Vielleicht war der Wunsch, Maya zu berühren, zu küssen und zu lieben stärker als die Realität. Sie ist weg. Entschwunden aus der Traumwelt, die ich gestern Nacht noch so intensiv gefühlt habe. Oder doch nicht?
Geräusche in der Küche. Ihre Sachen liegen noch immer auf dem Fußboden meines Zimmers verteilt. Ich habe es mir also nicht nur eingebildet, sondern wirklich genossen. Ich muss wach werden, denn die Erinnerung des gestrigen Tages will mich mit sich in die tosenden Wellen der Emotionen ziehen. Ich atme lange ein und aus, bevor ich mich aufsetze. Meine Hand tut höllisch weh. Über Nacht ist sie noch etwas mehr geschwollen und es schmerzt mich, eine Faust zu bilden.
Die Tür wird aufgeschoben und mir reicht die Zeit nicht mehr, um meine Haare in eine einigermaßen vernünftige Position zu bringen. Ich muss aussehen wie nach zehn Runden Sparring gegen einen der Klitschkos. Wahlweise auch gegen beide.
Maya trägt eines meiner T-Shirts, mehr nicht. Es reicht ihr bis zur Mitte der Oberschenkel und sie sieht unheimlich sexy aus. Wie können Frauen morgens so aussehen?
Ihre Locken scheinen eine siegreiche Rebellion zu feiern, denn ich sehe keinen Erfolg bei dem Versuch, Ordnung in ihr Haupthaar zu bringen. Das entspannt mich etwas.
Sie lächelt mich breit an, trägt ein Tablett mit Tassen und Tellern und versucht graziös, die Tür hinter sich mit dem Fuß zu schließen.
„Guten Morgen, Schlafmütze.“
Es muss schon zehn Uhr sein oder gar noch später, aber ich habe Schlafmangel. Sie stellt das Tablett aufs Bett und bleibt am Fußende stehen. Mit stolzer Geste deutet sie auf die Teller.
„Rührei und Speck. Toast und Honig, Kaffee mit Milch und Zucker, und was das da ist, weiß ich nicht so genau.“
Gibt es solche Lieblingsmomente? Wenn ja, dann sollte man darüber einen Roman schreiben! Ich habe mich in diesen Moment verliebt und würde ihn heiraten, wenn ich könnte. Okay, das soll also mein neuer Wahlspruch werden: „Mach jeden Moment zu einem Lieblingsmoment.“ Außerdem habe ich gelesen, in Australien hat ein Mann seinen Fernseher geheiratet. Warum sollte es mir also verwehrt sein, diesen Moment zu heiraten?
Maya streicht mein T-Shirt glatt und zupft es etwas tiefer, als wäre es ihr unangenehm, dass ich ihre Beine sehen kann.
„Ich habe das aus dem Schrank gefischt.“
„Es steht dir.“
Sie sieht wieder zu mir.
„Es riecht nach dir.“
Bevor ich überlegen kann, ob das gut oder schlecht ist, klettert sie neben mich aufs Bett und streichelt mein Gesicht.
„Milch und Zucker.“
Ich verstehe kein Wort, nicke aber, um meine Ahnungslosigkeit zu überspielen. Maya kichert, als hätte nur sie den Witz verstanden.
„Was ist so lustig?“
„Ich rede von meinem Kaffee. Ich trinke ihn mit Milch und Zucker.“
Sie beißt sich auf die Unterlippe und deutet mit einem Nicken auf meinen Nachttisch. Ihr Handy.
„Ich habe deine Nachricht auf meiner Mailbox gehört.“
Kann man sich nur in Grund und Boden schämen? Oder auch in Bett und Matratze? Wenn das möglich ist, würde ich mich gerne hier und jetzt in dieses Bett schämen, und das versuche ich auch.
„Oder soll ich sagen deine Nachrichten ... ?“
Sie will mich aufziehen; aber gestern war das alles ein verzweifelter Versuch, sie zu erreichen, weil es zu sehr weh tat, sie zu verlieren. Ich drücke mir das Kissen ins Gesicht und hoffe, mich in Luft aufzulösen. Wie bescheuert hatte ich doch gleich geklungen? Drei Nachrichten in zwei Minuten, das war sogar für das verliebte Stinktier peinlich!
„Nicht sterben! Hey, schau mich an!“
Sie zerrt das Kopfkissen von meinem Gesicht und lacht fröhlich, während sie sich quer über mich auf den Bauch legt und nach einem Stück Speck fischt. Wie sie so daliegt, gibt sie einen Blick auf ihren perfekten Hintern frei. Sie trägt nur einen schwarzen String, den sie gestern noch in meiner Küche gewaschen hat. Ich bin versucht, meine Hand in einer nebensächlichen Bewegung auf ihre Rundungen zu legen, entscheide mich dann aber für ihre Kniekehle.
Sie kaut genüsslich den Speck und dreht ihren Kopf in meine Richtung.
„Dein Kühlschrank verfügt über immense Vorräte an Leckereien. Du kochst wohl wirklich gerne.“
„Ich koche nicht gerne. Ich esse gern.“
Sie wirft mir einen skeptischen Blick zu.
„Davon sehe ich aber nichts.“
„Ich schwöre, ich habe in den letzten zwei Monaten bestimmt drei Kilos zugenommen.“
Das ist nicht gelogen, allerdings liegt das nicht am Essen, vielmehr am Bier. Leider bringt mein unbedachter Ausspruch sie dazu, ihre Position zu wechseln; dabei hatte ich mich gerade an den Anblick gewöhnt. Sie setzt sich auf, zieht die Decke hoch und wirft einen prüfenden Blick auf meinen Bauch, ohne Erfolg zu verhindern versuche. Ihre Fingerspitze bohrt sich in meinen Bauch und ich spanne sofort alle mir zur Verfügung stehenden Muskeln an. Ob das reichen wird um sie zu beeindrucken, steht auf einem anderen Blatt.
„Oh, ich spüre Muskeln, gaaaaanz weit unten.“
Touché. Ich sollte mal wieder etwas für meine Figur tun. Zwar würde ich sie immer noch als „ziemlich ordentlich“ beschreiben, aber vor einem Jahr versteckte sich unter meinem T-Shirt noch etwas wie ein Sixpack.
„Das wird sich ändern, das wirst du schon noch sehen.“
Sie küsst meinen Hals und kuschelt sich an mich. Wie gerne würde ich sie für immer hier festhalten.
„Hast du heute etwas Bestimmtes vor?“
Ich hoffe, sie beantwortet die Frage mit einer Verneinung, dann kann ich sie entführen, ihr etwas zeigen und den ganzen Tag mit ihr verbringen. Ich fühle mich gezwungen, ihr ständig ein Entertainmentprogramm zu bieten, das sie vielleicht noch davon überzeugen kann, hier zu bleiben und nicht nach Spanien auszuwandern. Noch immer habe ich es nicht geschafft, nach dem Grund ihrer Flucht zu fragen. Ich umschiffe das Thema Spanien so geschickt – es würde mich nicht wundern, wenn ich bei diesem Versuch aus Versehen noch Indien entdecken würde.
„Noch nicht. Wieso? Hast du einen Plan?“
Sie sieht mich aus großen Augen an, und einen ganz kurzen Moment bin ich abgelenkt. Immer wieder wollen sich andere Bilder in meinen Kopf drängen: Bilder, die nicht zu der Frau passen, die hier in meinem T-Shirt neben mir sitzt und meinen Unterarm streichelt. Sie passen auch nicht zu der Frau, mit der ich gestern Nacht geschlafen habe.
Langsam schüttle ich den Kopf und sie lächelt.
„Also kann ich mir aussuchen, was wir machen?“
Wir. Was wir machen. Sie und ich. Irgendwann gestern Nacht ist daraus ein wir geworden.
„Klar.“
Sie grinst frech. Ich erahne, sie erfindet einen Plan hinter ihrem hübschen Gesicht.
„Nicht weggehen. Bleib genau hier. Ich bin sofort wieder da.“
Bevor ich fragen kann, was sie vorhat, springt sie aus dem Bett und über den Flur. Ich sehe ihr kurz nach, bis die nackten Beine in der Küche verschwinden, dann schnelle ich zum Kleiderschrank und fische eine schwarze Boxershorts heraus. Obwohl wir uns gestern Nacht so nahe standen, ist es mir jetzt unangenehm, nackt vor ihr zu sein. Vor allem, wenn sie es nicht ebenfalls ist.
Ich höre sie in der Küche. Also begebe ich mich auf den Boden und versuche im Schutz des Bettes, ein paar Sit-ups zu bewältigen – was mich überraschend schnell an meine körperlichen Grenzen bringt. Bin ich wirklich so sehr eingerostet? Ich habe nur noch drei Tage Zeit, um ihr zu imponieren.
„Ich kann dich sehen.“
Sofort gefrieren meine Bewegungen und mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Wie erkläre ich, was ich hier tue, ohne mich zum kompletten Idioten zu machen?
„Jonas ...“
„Weißt du, die Sache ist die ...“
Ich stehe langsam auf, betont langsam, da ich noch mehr Zeit zum Nachdenken brauche.
„Eigentlich mache ich das jeden Tag. Jeden Morgen ... und Abend. Ich hatte in letzter Zeit nur nicht so viel ... Zeit. Ich arbeite so oft. Und viel. Und lange. Und deswegen ...“
Sie durchquert den Raum und kommt auf mich zu.
„Deswegen erscheine ich vielleicht etwas außer Form. Aber eigentlich bin ich das gar nicht.“
Sie nickt, bleibt vor mir stehen und streichelt meine Arme. Sie lässt eine kleine Tüte aufs Bett fallen.
„Ich kann dich sehen. Und was ich sehe, gefällt mir.“
Sie streichelt über meine Schultern und über meinen Brustkorb, der kurz zuckt, auch wenn ich das gar nicht will.
„Und was ich spüre, auch.“
Sie küsst meine Wange und schlingt ihre Arme um meinen Hals, dabei stellt sie sich auf ihre Zehenspitzen. Wieso haben wir Menschen Probleme, so was zu glauben? Es fällt uns unglaublich leicht, Kritik sofort zu glauben, an allem zu zweifeln, was wir angestellt haben, egal wie gut es doch eben noch erschien. Aber wenn jemand ein Lob ausspricht, hinterfragen wir diesen Ausspruch sofort.
„Ich mag dich genau so, wie du bist, Jonas. Bitte ändere dich nicht.“
Ich habe mich in den letzten zehn Jahren nicht verändert, was mir auf dem Abi-Treffen jeder bescheinigte. Wieso sollte ich es also jetzt tun, wenn Maya das nicht möchte?
„Ich mag dich auch.“
Ich hoffe, sie entlarvt diese kleine Lüge nicht. Ich habe einmal gelesen, dass man spüren kann, wenn jemand lügt. So nah wie Maya jetzt an meinem Körper steht, würde es mich nicht wundern. Ich mag sie, sicher, das ist keine echte Lüge. Aber ich mag sie eben nicht nur, nein, ich verliebe mich in sie! Ich weiß es. Ich weiß es, aber ich kann es weder sagen noch erklären. Also belasse ich es bei einer verkleinernden Lüge und hoffe, sie spürt es nicht.
Ein Handy klingelt in der Ferne, und sofort verkrampft sich mein Körper. Maya spürt es, denn sie küsst meinen Hals, dann mein Ohr und flüstert ein „Shh“ hinein, bevor sie sich von mir löst und erneut im Flur verschwindet. Mein Herz wird schwer. Ich horche. Bitte nicht ...
„Hallo? ... Hey du, na wie geht es euch?“
Das klingt nicht nach Arbeit, ihre Stimme wirkt fröhlich und ungezwungen. Ich atme erleichtert durch. Wie schnell der Körper doch auf äußere Reize reagiert. Ich habe damit gerechnet, wieder auf den Boden der Tatsachen geholt zu werden. Ihre Arbeit, die wie ein Schatten über uns hängt und jederzeit in einem unheimlichen Gewitter ausbrechen kann. Aber nein, diesmal nicht.
Während Maya im Flur telefoniert, suche ich mir ein T-Shirt aus und schlüpfe hinein. Vielleicht können wir zusammen in mein Lieblingscafé? Oder wir schauen uns einen Film im Kino an. Ich will einen kurzen Moment echter Beziehung mit ihr, will der Außenwelt klarmachen, dass wir ein Paar sind. Sein könnten.
Vielleicht gehen wir heute Abend essen, oder wir besuchen Patrick und Meli. Immerhin ...
„Jonas.“
„Was ist passiert?“
Maya sieht gar nicht mehr aus wie Maya. Ganz im Gegenteil. Ihre großen Augen, die immer strahlen, wenn sie lacht, sehen leer aus. Ich nehme sie sofort in die Arme, aber sie erwidert meine Umarmung nicht. Ich gehe vom Schlimmsten aus, jemand muss gestorben sein.
„Ich muss weg.“
„Was? Wieso musst du weg? Wohin?“
Sie schiebt mich langsam von sich und fängt an, all ihre Sachen vom Boden zu sammeln. Dabei wirkt sie unendlich verloren.
„Maya, was ist los? Wer war das eben?“
Sie sieht mich nicht an, ich spreche nur mit ihrem Rücken.
„Ich kann das nicht so leicht erklären, aber ich muss weg. Ich habe was zu tun.“
Ich verstehe nicht einmal Bahnhof. Es ist so, als hätte ich eine südamerikanische Telenovela eingeschaltet und muss binnen Sekunden den Sinn und Zusammenhang der Geschichte erraten. Ich tappe im Dunkeln.
„Wieso kannst du es mir nicht erklären? Vielleicht kann ich helfen?“
Aber ich weiß bereits jetzt, dass sie es nicht tun wird. Sie wird mich nicht wieder an sich ranlassen, es fühlt sich an, als würden wir nicht mal mehr im gleichen Zimmer stehen.
„Maya?“
„Jonas, das geht dich nichts an, okay? Es ist mein Ding und ich werde es durchziehen.“
„Was durchziehen?“
Ich trete hinter sie, will sie umarmen, will ihr zeigen, dass ich da bin, wenn sie mich braucht – sie schüttelt mich geschickt ab, bringt Abstand zwischen uns und sieht mich ernst an.
„Das ist meine Sache. Es tut mir leid, aber ich kann nicht bleiben.“
„Und kannst du mir vielleicht erklären, wieso?“
„Weil es nicht geht. Das hier war ein Fehler.“
Die Welt wird still um uns herum. „Das hier“ – – damit meint sie uns und gestern Nacht. Ich bin betäubt, nicht mehr wütend. Es fühlt sich so an, als würde ich es annehmen. Als würde ich verstehen, was sie gesagt hat, obwohl mein Kopf etwas ganz anderes sagen will.
„Ich habe es gewusst. Es konnte nicht gut gehen.“
„War das deine ... Arbeit?“
Ich gebe mir Mühe, nicht angeekelt zu klingen als ich es ausspreche, und zu meiner Überraschung gelingt es mir.
„Nein. Aber ich muss los.“
Sie will mich küssen oder mich umarmen, aber ich kann nicht und drehe mich weg und gehe über den Flur. Ich lasse mein Herz verlieren, und sie gewinnen. Es fühlt sich an, als wollte in mir eine Hitzewelle losbrechen, die es sich dann aber anders überlegt. Eine eisige Kälte übermannt mich, als ich in der Küche auf einem Stuhl Platz nehme. Nichts hier drinnen ist mehr wie früher. Ich werde hier immer an sie denken. Sie sehen, spüren und schmecken.
Maya ist mir nicht gefolgt. Vermutlich zieht sie sich um und schleicht sich aus der Wohnung, aber ich bin zu taub, um sie aufhalten zu wollen. Ich habe verloren, gegen wen oder was auch immer. Ich kann nicht immer und immer wieder um sie kämpfen. Mal gewinne ich eine Schlacht, aber am Ende verliere ich doch den Krieg. Ich kann nicht immer und immer wieder um sie kämpfen!
Es ist nicht ihre Arbeit gewesen, also gibt es da noch etwas anderen. Oder jemand anderen? Ich weiß es nicht und werde es nicht erfahren, da sie sich weigert, mich in ihr Herz zu lassen. Das habe ich verstanden.
„Es tut mir leid.“
Ich höre ihre Stimme in meinem Rücken und spüre, dass sie weint. Sofort will ich sie umarmen und trösten, aber ich bewege mich kein Stück.
„Geh.“
Meine Stimme klingt so kalt, wie ich mich fühle.
„Es ist besser so.“
Sie versucht das Spiel auch zu spielen. Wir belügen uns. Ich tue so, als ob es mir recht ist, dass sie geht – und sie versucht, sich und mich davon zu überzeugen, dass wir keine Zukunft haben. Also doch eine schlechte Telenovela, nur diesmal verstehe ich die Sprache.
„Schulde ich dir was?“
Wieso ich es sage, weiß ich selbst nicht, vielleicht um ihr auch weh zu tun. Um sie spüren zu lassen wie ich mich fühle.
„Wie bitte?“
Sie kommt zurück in die Küche, aber diesmal gibt sie sich nicht damit zufrieden, mit meinem Rücken zu sprechen, sie stellt sich direkt vor mich.
„Was hast du gesagt?“
„Schulde ich dir etwas? Für letzte Nacht.“
Ihre Augen werden ganz klein und dunkel. Sie ist wütend.
„Du bist ein Arschloch.“
Mit dieser Beleidigung kann ich besser umgehen als mit der Tatsache, dass sie uns einen Fehler genannt hat.
„Danke.“
„Ein großes Arschloch.“
Ich stehe langsam auf.
„Bin ich jetzt ein Arschloch oder ein Fehler?“
Sie muss zu mir hochsehen, was ihr nicht gefällt.
„Vergiss es.“
Aber ich stelle mich ihr in den Weg.
„Sag schon.“
„Beides, okay? Du bist ein Arschloch, das ein Fehler war!“
Sie will schreien, aber ihre Stimme schafft es nicht über ein Schluchzen. Ich spüre die Kälte verschwinden, dafür flammt die Wärme auf. Bedrohlich nahe an meiner Halsschlagader.
„Wenn ich ein Fehler bin, wieso hast du es dann gestern Nacht so sehr genossen?“
Sie will wieder wegsehen, aber ich packe sie am Kinn und zwinge sie, mich anzusehen.
„Wieso hast du dann Frühstück gemacht? Wieso fühlst du dich in meiner Wohnung so wohl? Wieso wolltest du den heutigen Tag mit mir verbringen? Wieso bist du gestern nicht zu deinem Job gegangen?“
Ich versuche sie nicht anzuschreien, aber die Kontrolle über meine Stimme habe ich längst verloren. Sie zuckt kurz, dann zittern ihre Hände.
„Und hör auf mich anzulügen. Ich bin bereit, alles zu tun, um uns eine Chance zu geben. Ich versuche mit deinem Job zu leben, ich versuche zu verstehen, was in dir vorgeht, und ich versuche, dir gerecht zu werden. Du rennst davon. Und zwar bei der ersten Fluchtmöglichkeit! Wieso?“
Jetzt zittert ihr ganzer Körper. Ich will sie so gerne umarmen.
„Wieso willst du nicht mal ein bisschen kämpfen? Wieso lässt du mich nicht da bleiben, wo ich gestern Nacht war?“
Auch wenn ihr Körper von meiner Rede mitgenommen erscheint, bleibt ihr Blick auf mich fixiert, unabhängig von den Tränen, die sich deutlich sammeln.
„Maya, du magst mich.“
Sie will den Kopf schütteln, aber ich umklammere ihr Kinn etwas fester, ohne ihr wehtun zu wollen.
„Doch. Du magst mich. Du willst nur nicht dafür kämpfen. Ich habe es von Anfang an getan. Ich habe alles getan. Ich wollte all das vom ersten Moment an. Aber dich muss ich immer und immer wieder davon überzeugen, dass wir es wert sind, eine Chance zu bekommen.“
„Weil es nicht funktionieren kann.“
Ich lasse ihr Kinn los, erhoffe mir mehr, aber es kommt nichts mehr.
„Du hast es nicht mal versucht.“
Ich mache einen Schritt zur Seite und gebe ihr den Weg frei.
„Ich werde nicht hier stehen und hoffen, dass du deine Meinung änderst und zurückkommst, wie gestern. Ich kann das einmal machen. Und vielleicht auch noch ein zweites Mal, aber weißt du, mein Herz bricht jedes Mal ein kleines bisschen. Ich will nicht der Typ sein, der auf die Tür starrt und hofft, dass du doch zurückkommst. Wenn das hier nicht genug für dich ist, wenn ich nicht genug bin, dann geh.“
Sie zögert, ich kann es sehen.
„Mach‘s gut, Jonas.“
Als ich die Tür ins Schloss fallen höre und durch den Spion verfolge, wie sie die Treppe nach unten hastet, will ich ihr hinterher, aber ich kann nicht. Also starre ich auf die Tür und hoffe, dass sie doch zurückkommt.
Siebenundvierzig Minuten später habe ich es verstanden.
Patrick hat die Playstation angeschlossen und ich öffne das erste Bier. Ich habe ihn sofort angerufen, was unvermeidbar war. Er habe es kommen sehen, sagt er mir. Ich fühle mich irgendwie anders, als würde sich mein Leben für eine Weile in einem „post-Maya-Schock“ befinden. Ich sehe sie überall, ich rieche sie überall. Ich vermisse sie. Dabei ist sie erst seit drei Stunden weg.
Patrick hat mich in den Arm genommen, so wie man Männer nicht in der Öffentlichkeit umarmen möchte, weil man Angst hat, unter einem Cristiano Ronaldo-Poster aufzuwachen. Aber unter besten Freunden ist es etwas ganz anderes, vor allem, wenn einer an gebrochenem Herz leidet. Ich habe Patrick oft so umarmt, meistens dann, wenn wir um drei Uhr morgens von einer Stufenparty nach Hause schlichen und Melanie mal wieder einen anderen Oberstufler geküsst hatte, anstatt Patrick zu bemerken. Ich musste auf MacGyver und Michael Knight schwören, dass ich niemals jemandem erzählen würde, wie oft er wegen Meli geweint hat. Auch heute halte ich mich noch an dieses Versprechen unter besten Freunden aus der Schulzeit.
Deswegen weiß ich auch, dass Patrick es niemals erzählen würde, wie sehr ich mich in Maya verliebt habe.
Die ersten drei Spiele lässt er mich gewinnen: ein Versuch, mich zum Lächeln zu bringen. Immerhin ist die Chance erdenklich klein, dass mein Verein Tottenham Hotspur gegen die Übermacht von Manchester United ein Tor schießt. Und doch gewinne ich 3:1 und sollte mich freuen, einen Siegestanz auf der Couch vollführen – aber ich sehe nicht, was ich mache, meine Hände spielen das Spiel ohne meinen Kopf.
„Vielleicht kommt sie ja doch wieder?“
Patrick, der sogar jetzt noch Hoffnung in die Stimme legt, hat ebenso wie ich genau diese vor Stunden abgelegt.
„Ich kann gegen ihren Job nicht gewinnen.“
So langsam ist es klar: wie der Sonnenschein nach einem Gewitter, wenn alle Wolken sich verziehen und nur noch der klare Himmel zu sehen ist. So geht es mir. Alles andere ist weg. Ich habe mich in eine Nutte verliebt und zahle jetzt den Preis.
„Du hast doch gegen ihren Job gewonnen.“
Patrick reicht mir ein frisches Bier, dabei habe ich mein altes nicht mal bis zur Hälfte getrunken.
„Sie ist zurückgekommen. Und so wie du es erzählt hast, ging es doch um was anderes.“
„Dann habe ich eben gegen das andere verloren.“
Ich lege die Füße auf den Couchtisch und rutsche tiefer in die Kissen. Genau hier hat sie neulich noch gelegen, nachdem sie diesen emotionalen Ausbruch hatte. Genau an dieser Stelle haben ihre Haare den Bezug berührt.
„Erinnerst du dich noch daran, als wir in der Raucherecke der Schule standen und dieser Großkotz Steffen dazukam?“
Wie könnte ich diesen Moment jemals vergessen! Wir waren nicht cool genug um zu rauchen, also gesellten wir uns zu den echten Rauchern, damit unsere Jacken nach Zigaretten stanken und wir somit behaupten konnten, schon seit Monaten auf Lunge zu ziehen.
Steffen Bohner war einer dieser Jungs, der alle Mädchen haben konnte, sie aber nie lange behielt, weil die Verlockung des nächsten Mädchens viel größer war. Er sammelte sie wie Triumphe. Wo konnte man besser mit ihnen angeben als in der Raucherecke?
Nie werde ich Patricks Gesicht vergessen, als Steffen in detaillierten Geschichten erzählte, wie er eine gewisse Melanie gestern Nacht bis zu den Sternen gebumst hatte, so laut habe sie geschrien. Er ließ kein Detail aus, und mit jedem Wort wurden Patricks Knie weicher, er lehnte sich gegen die Wand und ich schob meinen Arm unauffällig um ihn. In diesem Moment war es mir egal, was andere über uns dachten, ob wir für die nächsten Monate das Gespött der Schule waren. Ich hielt Patrick fest, dessen junges Teenagerherz solche Schmerzen nicht gewohnt war, denn er litt wie ein sterbender Hund.
In dem Alter glaubt man nun mal, diese Schmerzen würden niemals vergehen. Das Herz bricht so schnell und heilt doch noch schneller.
Als Steffen fertig war und sich die Gruppe um uns herum langsam auflöste, konnte ich Patricks ganzen Schmerz sehen.
Ich hatte damals keine Worte, um ihn zu trösten, keine Playstation oder einen Kasten Bier; also habe ich ihn nur umarmt und fest an mich gedrückt.
„Das hat verdammt wehgetan. Aber schon bei der nächsten Party habe ich es wieder versucht.“
„Du hattest einen langen Atem, was Meli angeht.“
„Glaubst du, das war leicht? Das war es nicht! Und das mit Maya ist auch nicht leicht. Aber wenn du jetzt hier sitzen bleibst, dann bleibt nur der Schmerz. Und nie die Erleichterung, als ich erfahren habe, dass Steffen nicht mal unter ihr T-Shirt durfte ...“
Er grinst mich breit an. So, wie nur ein Mann grinsen kann, der die Wahrheit weiß und den Schmerz von damals vergessen hat.
„Fahr zu ihr. Ein letztes Mal, dann lasse ich dich in Ruhe.“
„Ich dachte, du hältst das alles für emotionalen Selbstmord?“
„Tue ich auch, aber ich bin hoffnungslos romantisch. Vielleicht ist sie es auch.“