Meine Wohnung liegt im Stuttgarter Westen. Jeder, den ich kenne, hat irgendwann einmal im Westen gewohnt. Hier ist es schön, hier ist es irgendwie auch schick, hier fühlt man sich wohl.

In der S-Bahn ist nicht besonders viel los, also können wir sitzen. Sie sitzt mir gegenüber, ihre Sporttasche zwischen ihren Beinen, ihr Blick aus dem Fenster gerichtet. Wir sprechen nicht. Solange, bis wir vor dem Haus stehen, in dem ich wohne.

Ich wohne im vierten Stock. Das ist zwar anstrengend ganz ohne Lift und im Vollsuff, aber es lohnt sich. Die Wohnung ist eine Altbauwohnung, hohe Decken, Parkett, große Fenster. Ich mag es hier und hoffe, dass sie es wegen dem schnoddrigen Stil mit einem Schuss Pariser Bohème auch tut. Sobald ich die Tür öffne, rede ich wie ein Wasserfall auf sie ein.

„Also, im Flur steht noch recht viel Müll, den ich los werden muss. Ich schiebe das immer vor mir her.“

Mein Fahrrad steht direkt neben der Tür, weil ich kein Schloss dafür habe und nicht will, dass es mir gestohlen wird. Manchmal, wenn ich mich selbst überschätze, radle ich damit in die Stadt.

Ihre Jacke hänge ich an den Kleiderhaken, der schon bessere Zeiten gesehen hat, und auf dem sich alle meine Jacken, Sommer wie Winter, türmen. Komisch, als ich die Wohnung verlassen hatte, wirkte sie etwas beeindruckender.

„Dann ist hier direkt die Küche, da drüben das Wohnzimmer, hier ein kleines Büro, da hinten das Bad. Und eben das Schlafzimmer.“

Wir stellen die Tüte in der Küche auf dem Esstisch ab. Er ist aus schwerem Holz, ein Schnäppchen vom Flohmarkt, auf das ich besonders stolz bin. Die Stühle sind ebenfalls vom Flohmarkt und passen nicht zusammen, sehen aber auf ihre Art schick aus.

Die Arbeitsfläche ist groß und strahlt im Glanz, der Kühlschrank surrt in der Ecke vor sich hin. In Regalen sammeln sich Gewürzmischungen, Kaffeetassen, Gläser und Bierflaschen.

Sie hat noch nichts gesagt, sieht sich alles in Ruhe an. Ich weiche nicht von ihrer Seite und betrachte meine Wohnung so kritisch wie noch nie. Manche Möbel habe ich in einem Anflug von Geldsegen gekauft, um mich selbst aufzuwerten. Wenn ein Projekt viel Geld eingebracht hat, dann habe ich mir ein neues Möbelstück gegönnt. Die Couch lädt jedes Mal zum Entspannen ein, auch jetzt würde ich mich gern einfach auf die Kissen werfen und TV schauen. Flat-Bildschirm, natürlich. Wieder so ein Versuch, mich zu etwas Besserem zu machen.

Das Regal an der Wand habe ich mit Stickern und Einladungen zu Partys in der Stadt verschönert. Kaum noch eine freie Stelle. Bücher über Bücher stapeln sich darin, dazu Magazine, DVDs und CDs, die ich über die Jahre gesammelt habe.

Maya greift nach einem Bildband über Kriegsfotografie und blättert es eher angewidert durch, stellt es zurück, nimmt ein Männermagazin vom Stapel und grinst.

„Das gehört nicht mir.“

„Natürlich nicht.“

Sie legt es zurück, liest mit schrägem Kopf die Titel der DVDs und CDs. Das Bild von Madonna, nackt am Straßenrand mit erhobenen Tramper-Daumen, betrachtet sie ebenfalls einen Moment. Es ist ein Kunstdruck, den ein Freund mir geschenkt hat. Eine nackte Frau im Wohnzimmer wünscht sich doch jeder Mann. Sie kommentiert es nicht, geht weiter, über den Flur, wirft einen Blick in mein Bürozimmer. Hier steht mein Laptop, noch immer aufgeklappt, das grüne Lämpchen blinkt. Der Scanner, der Drucker, ein zweiter PC daneben. Alles macht Geräusche, die mir sonst nicht auffallen.

„Ich arbeite viel von daheim, deswegen sieht es hier immer etwas chaotisch aus.“

Es ist eine dümmliche Entschuldigung, weil dieser Raum bisher als einziger wirklich mit Ordnung überzeugt. Nur auf dem Tisch liegen lose Blätter, die meisten sind Skizzen meiner Arbeiten.

Im Bad ist es ordentlich, meine Badewanne (ja, ebenfalls eine dieser Errungenschaften, um Eindruck zu machen!) steht direkt am Fenster. Sie hat gusseiserne Füße, Old-School-Look.

Es bleibt nur noch mein Schlafzimmer, aber sie geht zurück in die Küche.

„Du wohnst hier allein?“

„Ja. Die WG-Zeit mit Patrick hat mich geprägt.“

Ente und Käse verschwinden im Kühlschrank.

„Willst du ein Glas Wein?“

Sie setzt sich auf einen der Stühle, zieht die Beine hoch und legt ihr Kinn auf die Knie.

„Gerne, wenn du auch eins nimmst?“

Ich stelle zwei Gläser auf den Tisch. Es sind die guten Weingläser, die ich sehr, sehr selten benutze. Eigentlich so gut wie gar nicht.

Ich stelle den Backofen an, suche den Korkenzieher und konzentriere mich darauf, beim Flaschenöffnen keinen Fehler zu machen. Männer werden häufig an solchen Dingen gemessen. Kann er einen Autoreifen wechseln? Kann er eine Sekt- oder Weinflasche öffnen, ohne sich zu blamieren? Ich kann, und schenke uns großzügig ein. Sie nimmt einen Schluck und lächelt.

„Hmmmm. Der ist gut.“

Ich stimme ihr zu, schmecke ihn aber nicht mal richtig. Ich bin nervös. Und wütend. Unsicher. In den letzten paar Stunden ist eine Menge passiert, Kleinigkeiten, die mich verwirrt haben.

„Willst du deine Wäsche waschen?“

Ein Themenwechsel erscheint mir am besten, dann kann ich mich wieder bewegen und muss nicht daran denken, was alles passiert ist. Wenn ich mich bewege, fällt es mir leichter, mich abzulenken.

„Oh ja. Das hätte ich fast vergessen.“

Die Waschmaschine ist neben dem Kühlschrank und der Spüle. Waschmittel und Weichspüler sollten eine Frau beeindrucken. Ich lege Wert auf weiche und gut duftende Wäsche.

Sie öffnet die Tasche, zieht T-Shirt, Socken, Handtuch und andere Kleidungsstücke heraus und stopft sie in die Trommel. Ich stehe neben ihr, beobachte sie. Einige Slips folgen, ich tue unbeeindruckt. Was mich wirklich beeindruckt ist die Tatsache, dass sie kein Problem damit hat, ihre Wäsche einfach so vor einem mehr oder weniger fremden Mann zu waschen. Ich drehe mich wieder zum Herd und greife nach einer Pfanne.

„Das vorhin an der Kasse. Das war echt toll von dir.“

„Das war doch eine Selbstverständlichkeit.“

„Nein. Das machen nicht viele Kerle. Viele Kerle würden mich auch nicht zum Essen einladen.“

Sie stellt souverän die Waschmaschine an und lehnt sich neben mich an die Arbeitsplatte. Ich weiche ihrem Blick aus, suche das Öl, das Salz, hole die Entenbrüste aus dem Kühlschrank.

„Jonas, genau deswegen.“

Ich verstehe nicht und sehe sie an, während ich die Entenfilets aus der Packung befreie.

„Genau deswegen war ich mir unsicher. Du lässt das alles viel zu nah an dich heran. Du machst es zu einer persönlichen Sache.“

„Es ist ja auch so. Dirk hat dich beleidigt.“

„Das mag sein, aber daran gewöhnt man sich schnell.“

Sie zuckt die Schultern. Ist es ihr wirklich so egal? Eine Frage schwirrt in meinem Kopf herum. Seit dem Moment, als ich sie kennengelernt habe. Mir fehlt nur leider der Mut. Kochen lenkt ab. Ich merke, ich habe schon sehr lange nicht mehr wirklich gekocht. Nudeln machen, ein bisschen Reis, vielleicht mal Huhn. Aber heute muss und will ich glänzen.

„Jonas.“

Sie rückt etwas näher, mir wird warm, was aber bestimmt an der Pfanne liegt, die sich erwärmt. Ich höre das Öl zischen.

„Hm?“

Man sollte mich beim Kochen nicht aus der Ruhe bringen, ich verliere ohnehin recht schnell die Konzentration, vor allem wenn sie hier ist.

„Schau mich mal an.“

Ich schneide das Filet in kleine Stückchen. Die perfekte Ausrede, sie nicht ansehen zu müssen.

„Bitte.“

Sie flüstert fast, aber ich höre sie so deutlich. Sie ist noch ein kleines Stück näher gerückt. Meine ganze Konzentration liegt auf meiner rechten Hand, die tapfer die Ente zerstückelt. Aber das Flüstern ihrer Stimme ist zu stark. Ich drehe den Kopf langsam zu ihr. Sie steht ganz nah an mir dran.

„Wieso?“

Ich weiß zwar, dass „Wieso“ ein gewöhnliches Fragewort ist, aber es so allein stehen zu lassen hilft mir kein Stück. Verständnislos schaue ich in ihr Gesicht, verliere mich fast in ihren Augen.

„Wieso ich? Was findest du an mir? Du kennst mich nicht mal.“

Ich hole tief Luft, will es ihr erklären, weil ich mir die Frage seit Tagen selbst stelle. Patrick hat mich gewarnt, mich aber gleichzeitig angespornt, es zu versuchen.

„Weil ...“

Der brennende Schmerz zieht sich bis in meinen Ellenbogen. Ich weiß, was passiert ist, bevor ich es sehe. Ihre Augen sind weit aufgerissen, sie sieht auf meinen blutenden Finger. Wieso musste ich auch damals, als ich für ein Webdesign besonders viel Geld bekommen habe, diese verdammt scharfen japanischen Messer kaufen? Einen Einbrecher könnte ich damit mühelos filetieren, aber jetzt habe ich mir fast meinen Mittelfinger abgetrennt. Das Blut läuft an meiner Hand hinunter und schlängelt sich zu meinem Unterarm.

„Fuck!“

Ich bin kein besonders großer Fan von Blut, um ehrlich zu sein. Ich kippe zwar nicht sofort um, aber ich muss es auch nicht ständig um mich haben. Ich schiebe mich an Maya vorbei zur Spüle und lasse schnell kaltes Wasser über meine Hand laufen.

„Das tut mir leid. Ich kann nie meine Klappe halten. Ich muss immer fragen, fragen, fragen.“

Sie reicht mir ein Küchentuch und durchsucht die Taschen ihrer Jacke. Ich presse das Tuch auf die Wunde und spüre, wie das Brennen nachlässt.

„Das ist meine Schuld. Es tut mir echt leid, Jonas. Tut mir leid.“

Sie fischt die Pflasterpackung aus der Tasche. Dabei fällt etwas anderes aus ihrer Jacke auf meinen Küchenboden. Wir sehen beide nach unten.

Ich muss lächeln. Der Schmerz ist vergessen. Zum ersten Mal erlebe ich sie schüchtern und unsicher. Sie bückt sich und hebt die Packung Kondome mit Erdbeergeschmack auf. Ihre Wangen haben die Farbe von genau dieser Frucht angenommen. Ich entscheide mich, es nicht zu thematisieren – aber ich lächele, als sie das Pflaster fest um meinen Finger drückt. Eine Katze oder ein Fuchs mit einem neongelben Fell grinst mich vom Pflaster an. Ich inspiziere das Tier etwas genauer, kann mich aber nicht entscheiden, um welche Art es sich handelt.

„Ich mag Kinderpflaster.“

Es ist ihr peinlich, aber ich finde es goldig. Sie steht vor mir, scheint ebenso das Tier zu analysieren. Ihr Gesichtsausdruck ist angestrengt. Langsam berühre ich ihr Kinn und zwinge sie, mich anzusehen. Zuerst will sie sich wehren, lässt es dann aber doch geschehen. Mit dem Handrücken streichle ich sanft über ihre Wange. Sie hält meinen Finger mit dem Pflaster noch immer in ihrer Hand.

Manchmal brauchen wir Kerle einen kleinen Schubs. Ein Zeichen. Irgendetwas. Mir geht es so. Ich weiß nicht, was sie über mich denkt, ob sie mich mag oder nicht. Aber die Kondome, die sie heimlich gekauft hat, lassen mich hoffen. Es wäre ihr nicht unangenehm gewesen, wenn es keine große Sache wäre.

Ich beuge mich zu ihr und berühre ihre Lippen. Sie öffnet sie leicht und gibt mir somit die Erlaubnis, sie zu küssen. Was ich tue.

Das Öl verbrennt in der Pfanne. Mein Finger tut weh. Die Ente wartet auf ihre Zubereitung. Aber ich habe endlich die Pausentaste für mein Leben gefunden. Die Zeit steht still, während wir uns in meiner Küche küssen. Das Tier auf meinem Pflaster beobachtet uns, da bin ich mir sicher, aber es kümmert mich nicht.

 

Sie spießt das letzte Stück Ente auf, schiebt es wie einen Besen bei der Kehrwoche über den Teller und versucht, den kompletten Rest Soße aufzukehren. Ich beobachte sie lächelnd, während ich sie über den Rand meines Weinglases hinweg ansehe. Sie strahlt mich an, während sie genüsslich kaut.

Wir haben uns geküsst, natürlich schmeckt das Essen wunderbar. Auch unter großen Schmerzen nach meinem Messerausrutscher habe ich tapfer das Menü so gekocht wie geplant.

Maya scheint irgendwie verunsichert, auf eine positive Art und Weise. Sie lächelt wie ein verschüchtertes Mädchen, kichert fast, wenn ich sie ansehe und isst mit großen Appetit und noch größerer Bewunderung.

„Du kannst so was kochen. Das schockiert mich noch immer.“

Auch ich bin zufrieden mit dem Ergebnis meines Kochversuchs. Aber ich würde jetzt auch ein Brot mit Zucker über den grünen Klee loben. Ich habe es getan. Ich habe sie geküsst. Und noch viel besser, sie hat mich zurückgeküsst.

Ich will nicht, dass sie mein Essen lobt. Ich will, dass sie mich wieder küsst.

„Das ist wirklich beeindruckend.“

„Das habe ich gerne gemacht.“

Sie gießt sich Wein nach, während ich die Teller in die Spüle stelle und die Waschmaschinentür öffne.

„Deine Wäsche ist fertig.“

Ein kurzer Blick zu mir, sie mustert mich, wie ich an der Arbeitsplatte lehne und den Korb für die Wäsche mit dem Fuß in die richtige Position schiebe.

„Jonas.“

Sie fängt nur ernste Themen an, wenn sie meinen Namen sagt. Soviel habe ich schon gelernt.

„Maya.“

Ich hingegen sage einfach nur gerne ihren Namen. Ich habe etwas beschlossen, und zwar genau nach ihrem zweiten „Yummy“, während sie die Ente genossen hat. Diese Frau ist genau das, was Melanie für Patrick ist. Ich kann es nicht erklären, es gibt vermutlich nicht mal genügend Wörter, die erklären, was in meinem Inneren passiert ist, als ich sie zum ersten Mal wirklich gesehen habe. Die Menschen erwarten doch immer, dass wir unsere Gefühle genau beschreiben und ins Detail gehen, wieso und warum wir uns in genau diese eine Person verliebt haben. Nun, ich muss diese Menschen enttäuschen. Ich bin Webdesigner, kein Psychologe. Ich könnte vielleicht eine Website bauen, die in rot gehalten mit Herzbuttons zeigt, dass ich sie sehr mag. Aber ich kann es nicht erklären. Wie soll ich etwas für andere schlüssig erklären, wenn ich selbst noch im Dunklen tappe?

Langsam steht sie auf, nimmt ihr Weinglas mit, nur um es dann neben mir auf der Arbeitsfläche abzustellen. Dabei streift ihr Arm meinen Oberschenkel, und ich bemerke das sofort dadurch ausgelöste Lächeln auf meinem Gesicht. Auch ihr entgeht diese Reaktion nicht. Sie schmunzelt, räumt Wäschestück nach Wäschestück in den Korb und sieht mich von unten kniend an.

„Wie oft wäschst du die Schmutzwäsche deines Damenbesuchs?“

Ein wirklich gute Frage, bedenkt man, dass ich Damenbesuchen für gewöhnlich aus dem Weg gehe.

„Also, meine Mutter hat mal ihre Wäsche hier gewaschen. Die Waschmaschine daheim hatte den Geist aufgegeben.“

„Das stelle ich mir nicht besonders erotisch vor.“

Ich lache. Nein, erotische Gedanken kommen mir nun wirklich nicht in den Sinn, wenn ich an meine laut schimpfende Mutter denke, wie sie mit hochrotem Kopf alle Waschmaschinen-Installateure dieser Welt verfluchte.

„Aber im Ernst, wenn du die Damen so bekochst, als Gentleman die Wäsche wäschst – das macht doch Eindruck.“

Was meint sie damit? Geht sie davon aus, ich mache das bei jeder Frau? Moment! In welches Licht will sie mich da gerade rücken?

„Ich wasche nicht die Wäsche anderer Frauen. Ich koche auch nicht für andere Frauen. Und sehr selten blute ich für andere Frauen.“

Ich erhebe mahnend den Finger mit dem leuchtenden Pflaster, das ich stolz wie eine Kriegsverletzung trage. Es wird jetzt für immer die Eselsbrücke zu unserem ersten gemeinsamen Kuss bleiben. Bisher auch der einzige, wenn ich das erwähnen darf. Zu gerne hätte ich den Mut, sie erneut zu küssen, aber ich möchte nicht aufdringlich sein. Ich warte auf ein Zeichen von ihr. Nur eine kleine Geste, ein stummes okay ...

„Also bin ich die Ausnahme?“

Höre ich Sarkasmus in ihrer Stimme?

„Maya, ich habe dich eingeladen, weil ich dich mag. Weil ich gerne für dich kochen wollte.“

Das ist die dumme Wahrheit. Plötzlich bemerke ich, das Angebot, ihre Wäsche zu waschen, der Kuss, die Frage, wieso sie nicht mit mir schlafen will, die Freude über die Kondome und meine naive Annahme, sie hätte sie für uns gekauft – alles sieht so geplant aus.

„Schon klar.“

Sie sieht mich nicht mehr an, legt Unterwäsche zusammen, die mich kurz ablenkt. Ein kleiner schwarzer Slip in ihrer Hand. Meine Gedanken machen sich selbstständig. Ich frage mich, wie dieser Slip wohl an ihr aussieht, wie es sich anfühlt, sie daraus zu befreien?

„Hör mal.“

Meine Kehle ist erschreckend trocken geworden. Ich muss heftig schlucken.

„Ich ...“

Wahnsinn, Fuchs! Wirklich eine beeindruckende Rede, um die Ernsthaftigkeit deiner Gefühle zu offenbaren. Bin ich stolz auf mich? Kein Stück! Ich stehe vor ihr, will alles loswerden, was in meinem Inneren seit Tagen tobt, und bekomme nur ein stockendes „Ich ...“ zustande.

„Du hast gefragt, wieso ich dich mag, richtig?“

Nicken.

„Ich kann es dir sagen, aber ich habe Angst, dass du dann deine Klamotten zusammenpackst und aus der Wohnung stürmst. Oder aus meinem Leben.“

Jesus, das klingt viel zu kitschig, unmännlich und verzweifelt. Selten war ich in diesen vier Wänden so ehrlich.

„Ich meine, ich kenne dich kaum. Ich würde dich gerne besser kennenlernen, aber wenn ich mich dumm anstelle, dann willst du das nicht mehr, und das wäre ziemlich blöd, weil ich ja so gerne mehr über dich erfahren will.“

Ich rede, ohne zu denken, ein gefährliches Zeichen für einen baldigen Abgang von Maya. Sie wird die Bühne meines Herzens links/rechts verlassen, und mir bleibt nichts weiter als ein Monolog in der leeren Publikumshalle.

Maya kniet noch immer neben dem Korb mit ihrer nassen Wäsche. Ihre Augen lassen mich keinen Moment aus den Augen, was mich nur noch hektischer reden lässt.

„Kennst du das nicht, wenn du jemanden triffst und dir denkst: Wow!“

Sie lächelt. Ich sollte das jetzt nicht als eine Motivation zum Weiterreden auffassen.

„Ist dir das noch nie passiert?“

Klappe, Fuchs! Halt den Mund, du hast ein Lächeln; wenn du weiter redest, versaust du es noch.

„Jonas, Männer die mich ansehen und Wow! denken, lassen Geld auf dem Nachttisch.“

Kurz zieht sich mein Magen zusammen und es wird unglaublich eng für Ente, Pilze und Feigen, aber ich würge es wieder runter. Das Bild von Maya als Lucy, der Frau, die mit Männern für Geld schläft, habe ich aus meinem Kopf verbannt, weil es zu viele Schmerzen auslöst. Zum ersten Mal an diesem Abend muss ich wegsehen. Bisher konnte ich sie nur anschauen. Ich habe Ausreden erfunden, um sie wieder ansehen zu können, habe sogar nach dem Ursprung ihrer Ohrringe gefragt. Während der Erklärung, sie wären ein Geschenk ihrer besten Freundin, konnte ich sie mindestens acht Minuten unverhohlen anstarren.

„Genau das meine ich.“

Der Korb wird achtlos zur Seite geschoben, als sie aufsteht und sich vor mir aufbaut. Zum zweiten Mal höre ich ihre Stimme das Gleiche sagen.

„Sieh mich an.“

Ich möchte. Ich möchte so sehr! Zuerst müssen nur diese Bilder der vielen Männer in ihrem Bett verschwinden.

Ihre Hand umfasst mein Kinn und mit einer ruckhaften Bewegung, die doch Zärtlichkeit erahnen lässt, sehe ich sie an.

„Sieh mich an!“

Ich tue, wie sie verlangt und versuche, dabei tapfer zu sein. Ihre Augen, ihre Nase, die Wangen, diese Lippen. Sie lenken ab von den kleinen Dämonen in meinem Hinterkopf, die lachend leiser werden.

„Genau deswegen ist es eine dumme Idee.“

Was genau ist eine dumme Idee? Aber mein Mund ist zu trocken zum Sprechen.

„Ich würde und werde dir wehtun. Ich bin nun mal nicht so, wie du es möchtest.“

„Doch.“

Das war ein unglaublicher Kraftakt, aber ich bin stolz darauf, es gesagt zu haben.

„Nein. Du siehst mich an, dann denkst du daran, was ich mache – und das tut dir weh.“

Damit hat sie recht, aber ich würde es nicht zugeben.

„Ich will dir nicht wehtun.“

Ein Hoffnungsschimmer.

„Ich mag dich, Jonas. Ich mag dich sehr. Viel mehr, als ich sollte. Das ist mir schon lange nicht mehr passiert. Ich mag dich so sehr, dass ich auf keine Alarmglocke in meinem Kopf höre. Ich weiß, ich werde dir wehtun, wenn ich das zulasse.“

Meine Hände halten ihre fest in meinen, vielleicht, weil ich Angst habe, sie wird gehen, wenn ich es nicht tue. Und das will ich nicht zulassen. Ich will sie genau hier behalten.

„Wenn du was zulässt?“

Sie will einen Schritt zurückmachen, aber ich ziehe sie langsam wieder näher zu mir. Unsere Gesichter sind sich nah, ich kann ihren Atem spüren, ihre Gedanken fast hören. Meine Stimme aber ist fast nicht zu hören, als ich spreche.

„Was willst du nicht zulassen?“

Ihre Augen sehen etwas glasig aus. Sie hat doch nur ein Glas Wein getrunken, es kann unmöglich der Alkohol ein. Eine Träne rollt ihre Wange herunter, aber mein Daumen ist schneller und wischt sie weg, bevor sie das Kinn erreichen kann.

„Hey. Kein Grund zum Weinen.“

Sie will wegsehen, aber das lasse ich nicht zu.

„So etwas sollte nicht passieren, Jonas.“

„Was?“

Ich meine zu wissen, was sie sagen will, aber zur Abwechslung will ich es hören. Von ihr. Sie weiß so genau, was ich für sie empfinde. Mit jedem Schlag meines Herzens sagt es mein Körper. Sie muss es hören. Ich bin mir sicher, in ihrem Inneren hört sie es. So wie Hunde das Pfeifen einer Hundepfeife hören. Für das menschliche Gehör mag es nicht erfassbar sein, aber sie hören es.

Ihr Herz muss meines hören.

„Ich kann mich jetzt nicht verlieben.“

Vermutlich kann sie das Springen meines Herzens jetzt auch hören, da ich ihre Worte verstanden habe.

„Wieso nicht?“

„Weil ich eine ...“

Ich bringe sie mit einem Kuss auf die Lippen zum Schweigen. Ich weiß, was sie ist. Aber sie ist es nicht jetzt, nicht hier und nicht für mich. Ich muss es nicht verstehen. Ich will es nicht verstehen. Aber sie ist hier keine Nutte, sie ist nur Maya, das Mädchen, das ich kennengelernt habe, und in das ich mich verliebt habe. Genug der Erklärungen. Ich habe mich verliebt. Wenn ich dürfte, würde ich mein Herz in eine Schachtel legen, sie in Geschenkpapier packen und Maya schenken. Vermutlich würde sie, ungeduldig wie sie ist, das Papier aufreißen und mein Herz sehen. Wenn ich zu erklären versuchte, was ich für sie empfinde, würde ich versagen. Aber ich würde ihr, wenn ich dürfte, mein Herz schenken.

Sie erwidert meinen Kuss fast schon schüchtern, bevor sie mich sanft von sich schiebt und traurig ansieht. Ich will sie fest in meine Arme schließen und nie mehr loslassen. Ich will sie beschützen und mich trotzig jedem Mann in den Weg stellen, der sie anfassen will. Diese Traurigkeit will ich ihr nehmen. Ich würde alles tun.

„Ich fliege bald nach Barcelona.“

Ihre Worte prallen an mir ab. Ich verstehe sie nicht.

„Urlaub?“

„One-Way-Ticket. Ich ziehe da hin.“

Barcelona?

„Wann?“

„Mittwoch.“

In meinem Kopf überschlägt sich das Rechenzentrum.

„Das ist in fünf Tagen.“

Sie nickt und zuckt hilflos die Achseln. Ich lehne mich wieder an die Arbeitsplatte, sie lehnt sich gegen meine Brust.

„Fünf Tage.“

Meine Arme legen sich um sie, drücken sie fester an mich, während der Rest meines Körpers langsam taub wird.

5 Tage Liebe
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