19. Kapitel
Harper, der sie von Kopf bis Fuß in eine Decke gewickelt hatte, saß hinter ihr auf dem Bett und trocknete ihr mit einem Handtuch die Haare. »Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass ich aufgestanden bin. Und dass ich hinausgegangen bin, weiß ich auch nicht mehr.«
»Ist dir warm genug?«
»Ja.« Bis auf das Eis, das in ihren Knochen steckte.
Sie fragte sich, ob es ihr je wieder richtig warm werden würde. »Ich weiß nicht, wie lange ich draußen war.«
»Jetzt bist du ja wieder da.« Sie legte eine Hand über die seine. Wärme und Trost brauchte er ebenso sehr wie sie.
»Du hast mich gefunden.« Er drückte ihr einen Kuss auf das feuchte Haar.
»Ich werde dich immer finden.«
»Du hast das Babyfon mitgenommen.« Und das, so dachte sie, bedeutete noch viel mehr. »Du hast daran gedacht, den Empfänger mitzunehmen. Du hast sie nicht allein gelassen.«
»Hayley.« Er schlang die Arme um sie und presste seine Wange auf die ihre. »Ich werde keinen von euch allein lassen.« Dann legte er eine Hand auf ihren Bauch. »Keinen. Das schwöre ich.«
»Das weiß ich. Amelia glaubt weder an Versprechen noch an Liebe. Ich schon. Ich glaube an uns.« Sie wandte den Kopf und küsste ihn. »Das war nicht immer so, aber jetzt tue ich es. Ich habe alles. Sie hat nichts.«
»Tut sie dir etwa Leid? Nach dem, was gerade passiert ist? Nach allem, was passiert ist?«
»Ich weiß nicht, was ich von ihr halten soll.« Es war so schön, sich an ihn zu lehnen und den Kopf an seine starke Schulter zu legen. »Ich dachte, ich würde sie verstehen, zumindest ein bisschen. Wir sind in einer ähnlichen Situation. Ich meine, wir sind beide schwanger geworden und wollten das Kind zuerst nicht.«
»Du bist ganz anders als sie.«
»Harper, du musst das Ganze objektiv sehen - wie bei deiner Arbeit. Wir waren beide nicht verheiratet, als wir schwanger geworden sind. Wir haben den Vater nicht geliebt, wollten nicht, dass sich unser Leben ändert, haben das Kind sogar als Last empfunden. Und dann haben wir unser Kind gewollt. Auf unterschiedliche Art, aus unterschiedlichen Gründen, aber wir haben beide unser Kind gewollt. »Unterschiedliche Art, unterschiedliche Gründe«, wiederholte er. »Aber gut, mir ist klar, dass es - zumindest oberflächlich gesehen - ein Muster gibt.« Die Tür ging auf, und Roz kam mit einem Tablett herein. »Ich will euch nicht stören. Harper, du sorgst dafür, dass sie das hier trinkt.« Nachdem sie das Tablett am Fußende des Betts abgestellt hatte, ging sie um das Bett herum und küsste Hayley auf die Wange. »Ruh dich aus.« Harper streckte den Arm aus und nahm für einen Moment Roz' Hand. »Danke, Mutter.«
»Meldet euch, wenn ihr etwas braucht.«
»Sie hatte niemanden, der sich um sie kümmerte«, sagte Hayley leise, als Roz die Tür hinter sich zuzog. »Niemanden, dem etwas an ihr lag.«
»Und an wem lag etwas? Um wen hat sie sich gekümmert? Für mich ist Besessenheit nicht gerade eine fürsorgliche Eigenschaft«, fügte er hinzu, bevor Hayley etwas sagen konnte. Er stand auf und goss den Tee ein. »Was sie ihr angetan haben, war schrecklich. Keine Frage. Aber weißt du was? In ihrer traurigen Geschichte gibt es keine Helden.«
»Das sollte es aber. Es sollte immer Helden geben. Aber du hast Recht.« Sie nahm die Tasse. »Sie war nicht heldenhaft - nicht einmal tragisch, wie Julia. Sie war nur traurig. Und verbittert.«
»Berechnend«, fügte er hinzu. »Und verrückt.«
»Das auch. Dich hätte sie nicht verstanden. Ich glaube, ich kenne sie inzwischen gut genug, um das sagen zu können. Sie hätte nicht verstanden, dass du warmherzig und ehrlich bist. Und das ist auch traurig.« Er ging zu den Balkontüren. Der Regenguss, den er sich gewünscht hatte, war gekommen, und er hätte stundenlang dort stehen und zusehen können, wie die Erde den Regen trank. »Sie ist immer traurig gewesen.« Er unterdrückte seinen Zorn auf Amelia und dachte an früher zurück. Und konnte plötzlich wieder Mitleid mit ihr haben. »Das ist mir schon als Kind aufgefallen, wenn sie in meinem Zimmer war und gesungen hat. Traurig und verloren. Trotzdem fühlte ich mich bei ihr sicher, wie bei jemandem, von-dem man weiß, dass er sich um einen sorgt. Sie hat sich um mich und meine Brüder gesorgt. Ich glaube, das muss man ihr zugestehen.«
»Sie tut es immer noch, das kann ich spüren. Sie bringt nur vieles durcheinander. Harper, ich kann mich nicht erinnern.«
Sie ließ die Tasse sinken und kämpfte gegen ihre Tränen an. »Nicht so wie bei den letzten Malen, als es passiert ist. Da habe ich sehen können - zumindest ein Teil von mir konnte sehen. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Aber dieses Mal war es anders. Ich konnte nicht sehen, jedenfalls nicht alles. Warum ist sie in den Ballsaal gegangen? Was hat sie dort gemacht?« Harper wollte ihr sagen, dass sie sich entspannen sollte, dass sie sich keine Gedanken mehr machen sollte. Aber er wusste, dass sie das jetzt nicht konnte. Er ging wieder zum Bett und setzte sich neben sie. »Du bist zum Kutscherhaus gegangen. Es muss so gewesen sein. Die Tür war offen, und an den Fußspuren konnte ich sehen, dass du in die Küche gegangen bist. Der Boden war nass.«
»In jener Nacht ist sie dort hingegangen, in der Nacht, in der sie gestorben ist. Sie muss in dieser Nacht gestorben sein. Alles andere ergibt keinen Sinn. Und wir haben sie gesehen, du und ich. Sie stand in ihrem nassen, schmutzigen Nachthemd draußen auf dem Balkon. Sie hatte ein Seil in der Hand.«
»Im Kutscherhaus hätte sie so etwas finden können.«
»Aber warum braucht sie ein Seil, um ihr Kind zu holen? Wollte sie das Kindermädchen fesseln?«
»Ich glaube nicht, dass sie das Seil dafür gebraucht hat.«
»Sie hatte auch eine Sichel in der Hand.« Hell und schimmernd, erinnerte sie sich. Scharf. »Vielleicht wollte sie damit alle töten, die versuchten, sie aufzuhalten. Aber das Seil? Was macht man mit einem Seil, wenn man niemanden fesseln will?« Ihre Augen weiteten sich, als sie den Ausdruck in seinen Augen sah. Mit einem lauten Klirren setzte sie die Tasse ab. »O mein Gott. Sie wollte sich umbringen? Sie wollte sich erhängen, denkst du das? Aber warum? Und warum tut sie das ausgerechnet hier? Warum schleppt sie sich durch den Regen und erhängt sich im Ballsaal?«
»Das Kinderzimmer war damals noch im zweiten Stock.« Das bisschen Farbe, das in ihre Wangen zurückgekehrt war, verschwand. »Das Kinderzimmer.« Nein, dachte sie, als ein Bild vor ihren Augen entstand. Ihr würde nie wieder richtig warm werden.
An Hayleys freien Tagen verging die Zeit immer im Flug. Sie hatte so viel zu tun - einkaufen, Wäsche waschen, das organisieren, was an den Arbeitstagen liegen geblieben war, sich um Lily kümmern, zahllose andere Aufgaben erledigen -, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnte, wie es war, das zu haben, was Leute ohne Vollzeitjob und Kleinkind Freizeit nannten.
Aber wer hätte ahnen können, dass es besser so war? Als sie jetzt plötzlich Zeit hatte, stellte sie fest, dass sie nachdenklich und unruhig war. Aber wenn einem die Chefin befahl, einen Tag freizunehmen, gab es keinen Widerspruch.
Jedenfalls nicht, wenn die Chefin Rosalind Harper hieß. Sie hatte Hayley ohne Lily in Stellas Haus verbannt und ihr gesagt, sie solle sich erholen. Das versuchte sie auch. Sie gab sich alle Mühe. Doch obwohl sie sonst immer gern las, fand sie jetzt keine Ablenkung in ihren Büchern. Der Stapel mit DVDs, den Stella ihr in die Hand gedrückt hatte, konnte sie nicht unterhalten. Und das ruhige, leere Haus ließ sie die Minuten zählen, anstatt sie in den Schlaf zu wiegen. Um die Zeit totzuschlagen, ging sie durch die einzelnen Räume, bei deren Anstrich sie geholfen hatte. Stella und Logan hatten aus dem Haus ein gemütliches Zuhause gemacht, wobei Stellas Sinn für Dekoration und Stil hervorragend von Logans Gefühl für Raum und Tiefe ergänzt wurde. Und natürlich auch die Jungs, dachte sie, als sie vor dem Zimmer mit den zwei Stockbetten und Regalen voller Spielzeug und Comicbüchern, das die beiden sich teilten, stehen blieb. Das Haus war für Kinder eingerichtet worden - viel Licht und Farbe und ein großer Garten, der an einen Wald angrenzte. Trotz der eleganten Gartengestaltung - was bei zwei Profis auch gar nicht anders zu erwarten war - war es ein Garten, in dem Kinder und ein Hund spielen konnten. Sie nahm Parker auf den Arm - der Hund war der Einzige, der ihr Gesellschaft leistete - und streichelte ihn, während sie wieder nach unten ging. Würde sie genauso geschickt sein wie Stella, wenn es um ihr Zuhause und ihre Familie ging? So liebevoll, so klug und vernünftig? Hayley hatte es nicht so geplant. Stella war diejenige, die ständig Pläne machte. Sie selbst hatte einfach nur einen Tag nach dem anderen gelebt, sie war glücklich gewesen mit ihrem Job in der Buchhandlung und ihrem Vater, dem sie half, ihr kleines Haus in Ordnung zu halten. Hin und wieder hatte sie daran gedacht, ein paar Kurse in Betriebswirtschaft zu machen, für den Tag, an dem sich ihr Traum verwirklichte und sie ihre eigene Buchhandlung eröffnete. Irgendwann einmal. Sie hatte auch daran gedacht, dass sie sich verlieben würde - irgendwann einmal. Aber sie hatte es nicht eilig gehabt mit der großen Liebe und allem, was damit zusammenhing. Stabilität, ein Haus, Kinder. Das ganze Drumherum mit dem Minivan und dem Kinder-in-der-Gegend-Herumfahren war so weit entfernt wie der Mond gewesen. Jahre entfernt. Lichtjahre entfernt. Doch inzwischen hatte ihr Leben eine Wendung genommen, mit der sie nie gerechnet hätte. Sie war mit noch nicht ganz sechsundzwanzig Jahren schwanger mit ihrem zweiten Kind und arbeitete in einer Branche, von der sie noch vor zwei Jahren keine Ahnung gehabt hatte. Und sie war so maßlos verliebt, dass es ihr die Luft zum Atmen raubte. Und die Krönung des Ganzen war, dass ein geheimnisvoller und mit Sicherheit psychopathischer Geist beschlossen hatte, sich hin und wieder ihren Körper zu leihen. Als Parker unruhig wurde, setzte sie ihn ab und folgte ihm in die Küche, wo er sich vor die Hintertür setzte und den Türknauf zu hypnotisieren versuchte.
»Okay, dann raus mit dir. Ich weiß ja, ich bin heute nicht gerade eine Stimmungskanone.« Sie ließ ihn hinaus, und er rannte durch den Garten in den Wald, als hätte er dort eine dringende Verabredung. Auch Hayley wollte an die frische Luft. Es war so schön draußen. Der Regen hatte für etwas Abkühlung gesorgt. Sie könnte einen Spaziergang machen oder ein wenig jäten. Oder sich auf den Liegestuhl auf der Terrasse legen und herausfinden, ob die frische Luft einem Nickerchen vielleicht zuträglicher war. Ohne viel Hoffnung kippte sie die Lehne des Stuhls zurück, überlegte, ob sie noch einmal ins Haus gehen und sich ein Buch holen sollte, und war innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen.
Hayley wachte ein wenig benommen auf, als sie ein lautes Schnarchen hörte. Verwirrt presste sie eine Hand auf ihren Mund, doch das Schnarchen ging weiter. Auf ihren Beinen lag eine leichte Baumwolldecke, und der große Sonnenschirm war so gekippt worden, dass sie im Schatten lag. Das Schnarchen kam von Parker, der neben dem Liegestuhl auf dem Rücken lag und alle viere in die Luft streckte, sodass er aussah wie ein Plüschhund, den jemand vom Regal gestoßen hatte. Im Moment war ihr Leben zwar etwas sonderbar, aber sie glaubte trotzdem nicht, dass ein Hund den Sonnenschirm bewegt oder ihr eine Decke gebracht hatte. Als sie sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte und aufstehen wollte, kam Stella mit zwei Gläsern Eistee in der Hand auf die Terrasse heraus. »Hast du gut geschlafen?«, fragte sie. »Ich weiß nicht. Ich habe jedenfalls durchgeschlafen. Danke«, fügte sie hinzu, als Stella ihr den Eistee gab. »Wie spät ... Du meine Güte.« Sie blinzelte erstaunt, als sie die Uhrzeit auf ihrer Armbanduhr sah. »Ich habe fast zwei Stunden geschlafen.«
»Das freut mich. Du siehst schon viel besser aus.«
»Das hoffe ich. Wo sind die Jungs?«
»Logan hat sie nach der Schule abgeholt. Sie gehen so gern mit, wenn er einen Auftrag erledigt. Es ist schön hier draußen, nicht wahr? Ein perfekter Tag, um Eistee auf der Terrasse zu trinken.«
»Ist im Gartencenter alles in Ordnung? So ein Wetter lässt die Kunden in Scharen herbeiströmen.«
»Du sagst es. Wir hatten ganz schön zu tun. Sieh dir an, wie diese Kreppmyrten blühen. Ich liebe diesen Garten«, sagte sie mit einem Seufzer. »Du und Logan habt hier etwas ganz Erstaunliches geschaffen. Gerade vorhin habe ich gedacht, was für ein tolles Team ihr doch seid.«
»Tja. Wer hätte gedacht, dass ein launischer, schusseliger Besserwisser und eine krankhaft ordnungssüchtige Karrierefrau wahre Liebe und Glück beieinander finden würden?«
»Ich. Von Anfang an.«
»Na klar. Meine kleine Klugscheißerin. Hast du schon was gegessen?«
»Ich hatte keinen Hunger.«
Stella drohte ihr mit dem Finger. »Aber jemand da drin vielleicht schon. Ich schmier dir ein Sandwich.«
»Jetzt mach doch nicht so ein Getue, Stella.«
»Erdnussbutter?« Hayley schüttelte den Kopf und streckte die Waffen. »Das ist nicht fair. Du weißt genau, wo meine Schwachstellen liegen.«
»Bleib schön hier liegen. Die frische Luft tut dir gut. Ich bin gleich wieder da.«
Kurz darauf war Stella wieder da und hatte nicht nur das Sandwich, sondern auch noch rote Trauben und in Häppchen geschnittenen Käse dabei. Und ein halbes Dutzend Schokoladenkekse. Hayley starrte zuerst den Teller auf ihrem Schoß und dann Stella an. »Willst du meine Mutter werden?« Stella lachte und setzte sich auf das Fußende des Liegestuhls. Und dann fing sie an, Hayley die Füße zu massieren, sodass jeder Muskel in ihrem Körper vor Erleichterung seufzte. »Schwanger sein hat unter anderem den Vorteil, dass man hin und wieder so richtig verwöhnt wird.«
»Das habe ich bei meiner ersten Schwangerschaft leider verpasst.«
»Dann wird es Zeit, dass du es bei dieser nachholst.« Stella tätschelte Hayleys Bein. »Wie fühlst du dich - ich meine, schwangerschaftstechnisch gesehen?«
»Gut. Ich bin müde und mein Hormonhaushalt fährt anscheinend Achterbahn, aber es geht mir gut. Und jetzt noch besser«, fügte sie nach einem Biss in das Sandwich hinzu. »Ich geb es zwar nicht gern zu, aber das Nickerchen und die Erdnussbutter haben ganze Arbeit geleistet. Stella, ich werde auf mich aufpassen, das verspreche ich dir. Bei Lily war ich sehr vorsichtig, und dieses Mal werde ich es auch sein.«
»Ich weiß. Außerdem lassen wir dir sowieso keine andere Wahl.« Hayley rutschte unruhig auf dem Liegestuhl umher. »Warum macht ihr nur alle so ein Getue um mich?«
»Du wirst dich daran gewöhnen. Nach allem, was passiert ist, können wir gar nicht anders. Und das weißt du auch.«
»Das gestern Abend war so ... sonderbar, bizarr, eindringlich. Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll. Dieses Mal war es besonders intensiv. Stella, ich habe Harper nicht alles gesagt. Ich konnte einfach nicht.«
»Was meinst du damit?«
»Ich habe ihm nicht gesagt, was ich gespürt habe. Er würde ausflippen, und ich hoffe nur, dass du anders reagierst.«
»Sag mir, was los ist.«
»Es ist nur so ein Gefühl - und ich weiß nicht, ob es nur Stress oder real ist. Stella, sie will das Baby. Dieses Baby.« Hayley legte eine Hand auf ihren Bauch. »Wie ...«
»Aber sie wird es nicht schaffen. Keine Macht auf dieser Erde ist stark genug, um mich beiseite zu drängen. Du weißt das, weil du auch ein Kind geboren hast. Aber Harper würde ausrasten.«
»Erklär's mir, damit ich nicht gleich hysterisch zu kreischen anfange.«
»Sie bringt so viel durcheinander. Anders kann ich es nicht erklären. Gegenwart und Vergangenheit vermischen sich bei ihr. Sie wechselt immer hin und her. Wenn sie in der Vergangenheit ist, ist es so, als würde es gerade geschehen. Dann ist sie wütend und rachsüchtig und will, dass jemand für das bezahlt, was man ihr angetan hat. Oder sie ist traurig und Mitleid erregend, dann will sie, dass es aufhört. Sie ist müde. Harper glaubt, dass sie Selbstmord begangen hat.«
»Ich weiß. Ich habe mit ihm geredet.«
»Er glaubt, dass sie sich im Kinderzimmer erhängt hat. Während das Kind dort geschlafen hat. Es wäre möglich. Sie war so verrückt, dass sie es getan haben könnte.«
»Ich weiß.« Stella stand auf und ging zum Rand der Terrasse, um auf den Garten hinauszusehen. »Ich träume wieder von ihr.«
»Was? Warte?«
»Nicht hier, nicht nachts. Tagträume, könnte man sagen. Bei der Arbeit. Auf dem Grund von Harper House. Bilder wie vorher, von einer Dahlie. Eine blaue Dahlie. Aber sie ist riesengroß. Blütenblätter wie Rasierklingen, die nur darauf warten, einem die Finger zu zerschneiden, wenn man sie berührt. Und dieses Mal wächst sie auch nicht in einem Garten.« Sie drehte sich um und sah Hayley an. »Sondern aus einem Grab. Ein Grab ohne Grabstein. Die Dahlie ist das Einzige, was dort wächst.«
»Wann hat es angefangen?«
»Vor ein paar Tagen.«
»Glaubst du, Roz hat den gleichen Traum?«
»Wir müssen sie fragen.«
»Stella, wir müssen in das alte Kinderzimmer.«
»Ja.« Sie ging wieder zum Liegestuhl und nahm die Hand, die Hayley ihr entgegenhielt. »Es wird uns nichts anderes übrig bleiben.«
Es gab ein todsicheres Mittel, um sich ohne Männer unterhalten zu können: Man brauchte nur anzukündigen, dass es um die Hochzeitsvorbereitungen ging. Männer, so war Hayley schon aufgefallen, nahmen Reißaus wie ein Karnickel, wenn man Worte wie Gästelisten und Blumendekoration aussprach. Und daher war es jetzt auch eine reine Frauenrunde, die am Abend auf Stellas Terrasse saß und Lily von Arm zu Arm wandern oder mit Parker im Gras spielen ließ. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist, Harper zu verscheuchen«, beschwerte sich Hayley. »Eigentlich hätte ich erwartet, dass er eine eigene Meinung dazu hat. Schließlich ist es doch auch seine Hochzeit.«
Roz und Stella wechselten einen amüsierten Blick, bevor Roz den Arm ausstreckte und Hayleys Hand tätschelte. »Mein armes unwissendes Kind.«
»Es ist sowieso egal, da wir ja nicht über die Hochzeit sprechen werden. Trotzdem.« Wütend auf sich selbst, warf Hayley die Hände in die Luft. »Zurück zum Thema Amelia hat Kontakt mit euch aufgenommen, stimmt's?«
»Zweimal«, bestätigte Roz. »Beide Male, als ich allein im Anzuchthaus war. Ich habe gearbeitet, und dann war ich plötzlich woanders. Es ist dunkel, ich kann nichts erkennen. Und kalt, sehr kalt. Ich stehe an einem offenen Grab. Als ich hinunterschaue, sehe ich sie - und sie sieht mich an. Ihre Hände umklammern den Stängel einer schwarzen Rose. Jedenfalls sieht sie in der Dunkelheit schwarz aus.«
»Warum hast du uns das nicht gesagt?«, wollte Stella wissen. »Das könnte ich dich auch fragen. Ich wollte es euch ja sagen - und Mitch hab ich davon erzählt. Aber es gab da ein paar Zwischenfälle.« Hayley setzte Lily auf ihren Schoss und bewunderte das dicke Plastikarmband, mit dem sie spielte. »Als das mit Amelia angefangen hat und ich eine Sance vorgeschlagen habe, haben das alle für einen Witz gehalten. Aber vielleicht sollten wir es wirklich versuchen. Wir drei haben eine Verbindung zu ihr. Und wenn wir wirklich versuchen würden, mit ihr zu kommunizieren, erzählt sie uns vielleicht, was sie will.«
»Du wirst mich nicht so schnell dazu bringen, einen Turban aufzusetzen und in eine Glaskugel zu starren«, sagte Roz energisch. »Jedenfalls glaube ich, dass sie gar nicht weiß, was sie will. Ich meine, sie will gefunden werden und ich glaube, sie meint ihr Grab oder ihre sterblichen ßberreste. Aber sie weiß nicht, wo das Grab ist.«
»Wir können nicht hundertprozentig sicher sein, dass es auf dem Grund und Boden von Harper House liegt«, wandte Stella ein. »Du hast Recht. Mitch sucht in Sterberegistern und Beerdigungslisten nach ihr. Aber er glaubt nicht, dass er etwas finden wird.«
»Ein geheim gehaltenes Begräbnis.«
Hayley nickte. »Aber sie will doch immer, dass wir erfahren, was mit ihr geschehen ist. Sie ist immer noch stocksauer.« Sie zuckte mit den Achseln.
»Das kommt jedenfalls von ihr rüber, und zwar ganz deutlich. Wenn sie im Haus getötet wurde oder sich dort umgebracht hat, müssen wir das herausfinden.«
»Das Kinderzimmer«, meinte Roz. »Als ich geboren wurde, wurde es noch benutzt.«
»Du hast dort oben geschlafen, als du ein Kind warst?«, fragte Hayley. »Das hat man mir jedenfalls gesagt. Zumindest für die ersten paar Monate, mit einem Kindermädchen zusammen. Meine Großmutter war dagegen offenbar wurde das Kinderzimmer nur noch benutzt, wenn sie viele Gäste hatten. Sie hat so lange auf meine Eltern eingeredet, bis diese ein Zimmer im ersten Stock als neues Kinderzimmer herrichten ließen. Meine Söhne haben nie im alten Kinderzimmer geschlafen.«
»Warum nicht?« Roz spitzte die Lippen und überlegte. »Zum einen wollte ich sie nicht so weit von mir weg haben. Außerdem hat mir die Atmosphäre in dem Zimmer nie so richtig gefallen. Es war einfach nur ein Gefühl, etwas, das ich nicht erklären konnte, und damals habe ich auch nicht groß darüber nachgedacht.«
»Die Möbel in Lilys Zimmer sind von dort.«
»Ja. Als Mason für das Kinderbett zu groß geworden war, ließ ich die Möbel wieder nach oben bringen. Dann gewöhnte ich mir an, die Sachen der Jungs dort aufzubewahren, wenn sie aus ihnen herausgewachsen waren. Den zweiten Stock nutzen wir eigentlich gar nicht. Der Unterhalt ist zu teuer, außerdem haben wir unten Platz genug. Allerdings haben wir manchmal Feste im Ballsaal gegeben.«
»Ich bin noch nie oben gewesen«, warf Hayley erstaunt ein. »Jetzt, wo ich darüber nachdenke, kommt mir das sehr sonderbar vor, denn ich sehe mir gern Häuser und ihre Einrichtung an. Aber in der ganzen Zeit, in der ich jetzt schon in Harper House wohne, bin ich kein einziges Mal auf die Idee gekommen, nach oben zu gehen. Wie ist das mit dir, Stella?«
»Du hast Recht. Es ist wirklich merkwürdig. Die Jungs haben über ein Jahr dort gewohnt. Eigentlich hätte ich sie irgendwann einmal oben erwischen müssen. Aber ich glaube, sie sind nie im zweiten Stock gewesen. Und selbst wenn sie heimlich dort gewesen wären, hätte Luke mir irgendwann davon erzählt. Er kann kein Geheimnis für sich behalten.«
»Ich glaube, wir sollten nach oben gehen.« Hayley sah von einer zur anderen. »Ich glaube, wir müssen nach oben gehen.«
»Heute Abend?«, fragte Stella. »Ich glaube nicht, dass ich noch länger warten kann. Es macht mich wahnsinnig.«
»Wenn wir es machen, dann alle zusammen. Wir sechs«, sagte Roz.
»Ohne die Kinder. David kann unten auf sie aufpassen. Aber du musst dir ganz sicher sein, Hayley. Zurzeit sieht es so aus, als wärst du von uns diejenige, die ihr am nächsten steht.«
»Ich bin sicher. Aber sie steht nicht nur mit mir in Kontakt. Mit Harper auch.« Hayley fröstelte ein wenig und rieb sich die Arme. »Ihre Gefühle für ihn sind sehr zwiespältig und sehr stark. Sie liebt ihn - das Kind ihres Kindes ihres Kindes, diese Geschichte. Und sie hasst ihn - als Mann, als Harper, als Reginalds Nachfahre.« Sie sah Stella und Roz an.
»Die Kombination dieser Gefühle ist sehr stark. Und ich glaube, sie wird noch stärker durch das, was Harper und ich füreinander empfinden.«
»Liebe, Sex, Verwandtschaft, Rache, Kummer.« Roz nickte.
»Und Wahnsinn.«
»Seine Gefühle ihr gegenüber sind auch sehr zwiespältig. Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber ich glaube, inzwischen ist alles wichtig. Ich glaube, wir nähern uns dem Ende.«
»Halleluja«, rief Stella.
»Ich weiß. Ich will auch, dass es endlich vorbei ist. Ich will meine Hochzeit und die Babyparty planen. Ich will mit euch beiden hier sitzen und über Blumen und Musik und mein Hochzeitskleid reden.« Roz legte ihre Hand auf die ihre.
»Das werden wir.«
»Gestern Abend, bevor es passiert ist, habe ich mir ausgemalt, wie es sein würde. Ich habe mich in einem langen weißen Kleid gesehen, mit einem Blumenstrauß in der Hand ... Aber das kommt wohl nicht in Frage.« Sie zuckte mit den Achseln und tätschelte ihren Bauch. »Ich glaube nicht, dass ich ein Recht auf ein langes weißes Kleid habe.«
Zuerst aßen sie zusammen, wie immer. Es war eine Art Ritual, das sie alle an einem blumengeschmückten Tisch zusammenbrachte. Roz sagte immer, dass solche Dinge wichtig seien, und jetzt verstand Hayley auch, was sie damit meinte. Das sind wir, schien dieses Ritual zu sagen. Und das werden wir auch trotz aller Probleme sein. Vielleicht gerade deshalb.
Das war jetzt ihre Familie. Eine Mutter, eine Schwester, ein Mann, Brüder und Freunde. Ein Kind, das von allen geliebt wurde, und ein zweites Kind, das auf dem Weg war. Sie würde alles tun, damit ihrer Familie kein Leid geschah. Alles. Und daher aß sie. Sie redete und hörte zu, half, die kleinen Missgeschicke der Kinder wegzuwischen, und begrub ihre Nervosität unter diesem Mantel aus Normalität. Sie redeten über Blumen und Bücher, über die Schule und Bücher. Und die Hochzeit. »Hayley hat dir, glaube ich, schon gesagt, dass wir hier heiraten wollen, wenn dir das recht ist«, sagte Harper zu seiner Mutter. »Genau darauf habe ich gewartet.« Roz legte ihre Gabel weg. »Im Garten? Wir sorgen dafür, dass es schönes Wetter gibt, und ich lasse für alle Fälle ein paar Zelte aufstellen. Und was die
Blumen angeht, so bin ich fest entschlossen, in die Vollen zu gehen. Ich bestehe darauf, dass du mir dabei völlig freie Hand lässt. Hayley, ich gehe davon aus, dass du Lilien möchtest?«
»Ja. Ich möchte rote Lilien als Brautstrauß.«
»Dann also kräftige Farben, nichts Pastelliges. Damit kann ich arbeiten. Ich weiß, dass es nicht zu steif werden soll, und da wir dieses Jahr schon zwei
Hochzeiten hatten, werden wir die Details im Handumdrehen festgelegt haben.«
»Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um die Frauen ans Ruder zu lassen«, sagte Logan an Harper gewandt. »Erspar dir die Qual. Sag einfach immer ja. Und wenn sie dir die Wahl lassen, geh ihnen nicht in die Falle. Sag einfach, dass beide Vorschläge großartig sind und Hayley entscheiden soll.«
»Er hält sich für ungemein witzig«, sagte Stella trocken. »Und wenn er nicht Recht hätte, würde ich ihn jetzt unter dem Tisch treten.«
»Warum heiraten eigentlich alle?«, wollte Gavin wissen. »Und warum müssen wir uns immer Krawatten umbinden?«
»Weil sie uns gerne quälen«, erklärte ihm Logan. »Frauen sind eben so.«
»Dann sollten sie auch Krawatten tragen.«
»Ich werde mir eine Krawatte umbinden«, bot Stella an. »Aber dann trägst du hochhackige Schuhe.«
»Ich weiß, warum Leute heiraten«, meldete sich Luke. »Damit sie im selben Bett liegen und Babys machen können. Haben du und Mitch auch schon ein Baby gemacht?«, fragte er Roz. »Wir haben unser Kontingent schon vor einer Weile produziert. Und in diesem Sinne ...« Roz stand auf. »Ich glaube, für euch Jungs wird es jetzt Zeit, David beim Aufräumen zu helfen, damit ihr später noch ein Eis essen könnt.«
»Alle Mann antreten, mit dem Gesicht zu mir. Du auch, Soldat.« Bevor Hayley sich darum kümmern konnte, hatte David schon Lily aus dem Hochstuhl genommen. »Nur weil du so kurz bist, heißt das noch lange nicht, dass du dich vor dem Küchendienst drücken kannst. Am liebsten hilft sie mir beim Einräumen des Geschirrspülers«, sagte er an Hayley gewandt. »Wir kommen schon zurecht.«
»Ich muss nur schnell mit dir reden - in der Küche.«
»Meine Herren, Tisch abräumen und Geschirr stapeln«, befahl er, dann trug er Lily aus dem Esszimmer. »Ich habe alles im Griff. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
»Darum geht es doch gar nicht. Ich weiß, dass Lily bei dir gut aufgehoben ist. Es geht um die Hochzeit. Ich wollte dich um etwas bitten.« Er setzte Lily auf den Boden und gab ihr einen Topf und einen Löffel zum Spielen. »Was brauchst du?«
»Ich weiß, dass das jetzt ein bisschen sonderbar klingt, aber ich glaube, der Hochzeitstag sollte so sein, wie man sich das immer vorgestellt hat, meinst du nicht auch?«
»Wenn nicht dieser Tag, welcher dann?«
»Genau. Also habe ich mich gefragt, ob du mich nicht vielleicht weggeben würdest.«
»Was?« David starrte sie fassungslos an.
»Ich?«
»Ich weiß, dass du gar nicht alt genug bist, um mein Vater zu sein. Aber so sehe ich das auch gar nicht. Du bist einer meiner besten Freunde. Und bei Harper ist es genauso. Du gehörst zur Familie. Und an einem Tag, an dem es um Familie geht, ist weder mein Vater noch jemand anderes aus meiner Verwandtschaft da, den ich so gern habe wie dich. Und daher möchte ich, dass du mich zum Altar führst - sozusagen - und mich an Harper weggibst. Es würde mir sehr viel bedeuten.« Seine Augen wurden feucht, als er sie in den Arm nahm.
»Das ist süß«, murmelte er. »Das ist ja so süß.«
»Machst du's?«
David ließ sie los und trat einen Schritt zurück. »Es wäre mir eine Ehre.«
Dann nahm er ihre Hände, drehte sie um und küsste die Handflächen. »Eine ganz große.«
»Puh. Ich dachte schon, du hältst es für eine Schnapsidee.«
»Nicht im Geringsten. Ich bin so stolz. Und gerührt. Und wenn du jetzt nicht sofort verschwindest, werde ich mich vor den Augen meiner Männer lächerlich machen.«
»Ich auch.« Sie schniefte. »Wir reden später noch einmal darüber.« Sie ging in die Hocke, um ihrer Tochter einen Kuss zu geben, wurde jedoch weitgehend ignoriert. »Schön brav sein, Lily.«
»Hayley.« David holte tief Luft, als sie an der Tür stehen blieb. »Dein Daddy wäre auch sehr stolz gewesen.« Sie konnte nur nicken, als sie ging. Sie wischte sich die Tränen weg, als sie den Stimmen der anderen ins Wohnzimmer folgte, blieb aber stehen, als ihr auffiel, dass Harper wütend war. »Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir überhaupt nicht. Und es gefällt mir noch weniger, dass ihr drei euch davongemacht habt und das allein ausgeheckt habt.«
»Ja, ja. Das Weibervolk«, sagte Roz, deren Stimme vor Sarkasmus förmlich triefte. »Dafür, dass ihr Frauen seid, kann ich nichts«, fuhr er sie an. »Dafür, dass meine Frau schwanger ist, aber schon. Ich werde kein Risiko dabei eingehen.«
»Dein Einwand ist berechtigt. Aber was willst du denn die nächsten sieben, acht Monate mit ihr machen , Harper?«
»Ich werde sie beschützen.«
»Du machst es mir wirklich sehr schwer, mit dir zu diskutieren.«
»Diskutieren bringt uns nicht weiter«, hörte sie Mitch sagen.
»Wir können endlos darüber diskutieren, und trotzdem werden wir nie in allen Punkten einer Meinung sein. Aber wir müssen jetzt ein paar Entscheidungen treffen.« Hayley drückte die Schultern durch und betrat das Wohnzimmer. »Tut mir Leid, aber das war nicht zu überhören. Harper, eigentlich wollte ich dich bitten, mit mir hinauszugehen, damit ich mit dir reden kann, aber ich glaube, was ich zu sagen habe, geht alle an.«
»Und ich habe dir einiges zu sagen, was du dir mit Sicherheit lieber unter vier Augen anhören willst.« Sie lächelte nur. »Du wirst später noch Gelegenheit haben, mich unter vier Augen anzuschreien. Ein ganzes Leben lang. Ich weiß, dass du dich wegen der Kinder bis jetzt beherrscht hast. Aber lass mich bitte ausreden, bevor du noch etwas sagst.« Sie räusperte sich und ging noch ein paar Schritte weiter bis in die Mitte des Raums. »Ich habe mir heute, als ich den ganzen Tag allein war, die Frage gestellt, wie ich eigentlich hierher gekommen bin. Ich hätte mir nie vorstellen können, einmal von dort, wo ich aufgewachsen bin, wegzuziehen, und zwei Kinder zu haben, bevor ich weiß, was ich aus meinem Leben machen möchte. Heiraten, Kinder bekommen, das hätte alles später stattfinden sollen, nachdem ich beruflich weitergekommen bin. Und jetzt lebe ich in einem anderen Staat, habe eine Tochter, die noch nicht ganz zwei Jahre alt ist, und erwarte mein zweites Kind. Ich werde heiraten. Ich habe einen Job, den ich mir nie hätte vorstellen können. Wie bin ich hierher gekommen? Was mache ich hier?«
»Wenn du hier nicht glücklich bist ...«
»Bitte, hör mir einfach zu. Das habe ich mich gefragt. Ich habe immer noch die Möglichkeit, mich anders zu entscheiden. Man hat immer eine Wahl. Also habe ich mich gefragt, ob es das ist, was ich will. Ob das hier der Ort ist, an dem ich leben will. Ob meine Arbeit das ist, was ich machen will. Und all diese Fragen habe ich mit ja beantwortet. Ich liebe dich. Ich habe gar nicht gewusst, dass ich so viel Liebe in mir habe.« Sie sah Harper an und legte ihre Hände auf ihr Herz. »Ich habe nicht gewusst, dass ich ein Kind einmal so lieben könnte wie Lily. Ich habe nicht gewusst, dass ich einen Mann einmal so lieben könnte wie dich. Und selbst wenn ich alle Möglichkeiten dieser Welt hätte, ist das hier genau das, was ich mir aussuchen würde. Bei dir zu sein, bei unseren Kindern, hier, an diesem Ort. Da ist nämlich noch was, Harper. Ich liebe dieses Haus. So sehr wie du. Was es ist, für was es steht, was es für unsere Kinder sein wird und für die ihren.«
»Ich weiß. Ich habe genau das Gleiche gedacht. Und deshalb bist du die Frau, die ich bis in alle Ewigkeit lieben werde.«
»Ich kann nicht von hier weggehen. Verlang das bitte nicht von mir. Ich kann dieses Haus, meine Familie, meine Arbeit nicht einfach im Stich lassen. Aber ich kann nur bleiben, wenn ich es versuche, wenn ich versuche, alles zu einem Ende zu bringen. Wenn ich ein Unrecht wieder gutmache, oder zumindest versuche, es zu verstehen. Vielleicht ist mir das bestimmt. Vielleicht haben wir beide uns gefunden, weil wir dazu bestimmt sind. Ich weiß nicht, ob ich es ohne dich schaffe.« Sie sah die anderen an. »Ohne euch.« Ihr Blick ging wieder zu Harper. »Vertrau mir, Harper. Vertrau darauf, dass ich das Richtige tue. Dass wir das Richtige tun.« Er ging zu ihr und legte seine Stirn an die ihre. »Ich vertraue dir.«