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Jeder Beratung muss eine Diagnostik vorangehen. Das diagnostische Bild der Mensch-Hund-Beziehung ist der erste und wichtigste Schritt in der Beratung. Wenn ich als Hundetrainerin viel Fachwissen und Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf Hunde habe, brauche ich mir über das spätere Praxistraining keine Sorgen zu machen. Trainingsideen und Techniken bewirken jedoch wenig, wenn die Beziehung nicht verstanden und ungeklärt ist. Nur das Verhalten des Hundes vor dem fachlichen Hintergrund einzuschätzen, wäre dabei zu kurz gedacht.

 

Diagnostik und Selbstklärung

 

Das Diagnostizieren hilft sowohl mir als Berater-in als auch dem Kunden. Zunächst müsste ich als Beraterin nun versuchen, die Beziehung zwischen Mensch und Hund zu verstehen. Erst dann kann ich das Problem analysieren, es mit Theorien er-klären und eine sinnvolle Veränderung erarbeiten.

Wenn die Beziehung nicht erfasst ist, kann es nur pauschale Tipps geben, die in der Regel keine nachhaltige Verbesserung bewirken. Für die Kunden ist die Diagnostik wichtig, weil sie bei der Selbstklärung hilft. Menschen erkennen die eigenen Strukturen und Prozesse in der Beziehung oft nicht, weil sie ein Teil des Systems sind, und können sie deshalb auch nicht verstehen. Wenn ich aber weiß, wo ich stehe, kann ich auch meinen Zielort bestimmen, ihn mir näher anschauen und den Weg dorthin planen. Dafür ist das Erstgespräch da. Das Wort sollte in diesem Fall nicht verwirren. Ein Erstgespräch kann in einem Treffen erfolgen, sich aber auch über mehrere Treffen erstrecken oder zwischen den Praxisstunden vonnöten sein.

 

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Das Erstgespräch ist keine Befragung, sondern eine Beratung und dient der Selbstklärung des Menschen.
 (Foto: Nadin Matthews)

 

Erziehungsberatung kann nahegehen

 

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Diagnostik heißt durchschauen/erkennen. Bis dies möglich ist, vergeht eine ganze Weile, vielleicht sogar die ganze Zeit der Beratung. Das Diagnostizieren ist das Bewusstwerden, Erkennen, Verstehen, Analysieren und Erklären bislang unbewusster und hintergründiger Motive des Handelns, Denkens und Fühlens. Ist dies geschehen, so kann das bislang störende Verhalten einer neuerlichen Entscheidung zugänglich gemacht werden. Es kann abgelegt, integriert oder verändert werden. Die Lösung eines Problems heißt nicht unbedingt, dass der Hund das Verhalten nicht mehr zeigt; vielleicht findet der Mensch nur einen anderen Umgang damit. Diesen Prozess können HundehalterInnen meist nicht allein in Gang setzen, weil individuelle und systemische Abwehrmechanismen und Widerstände eine derartige Bewusstwerdung verhindern. Beziehung und Erziehung können sehr intime Bereiche sein, weil sowohl das Beziehungs- als auch das Erziehungsverhalten auf eigenen Erfahrungen basiert. Damit sind sie meist schon vor langer Zeit gelernt und beinhalten die großen Themen des Lebens: Verlässlichkeit, Nähe, Distanz, Enttäuschung, Ängste, Verlust, Liebe, Vertrauen, Sicherheit und Schutz. Dieser Bereich ist bei Menschen in der Regel gut geschützt. Der Schutz der Abwehr kann zur Fessel der Erkenntnis werden und es ist oft schwer, diese allein zu durchbrechen. Diagnostik bedeutet daher nicht nur das richtige Erkennen des zugrunde liegenden Problems, sondern fußt vor allem auf dem Verständnis für Menschen und deren gewachsenen Verhaltensideen. Kann das die Aufgabe von HundetrainerInnen sein? Vielleicht sollte sie es werden. Weg vom Hundetraining hin zur Erziehungsberatung.

 

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Hunde haben sich in unsere Häuser und dann in unsere Herzen geschlichen.
Ein Blick auf die Mensch-Hund-Beziehung ist daher sehr intim.
 (Foto: Nadin Matthews)

 

Kommunikationsanalyse

 

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Um Veränderungen einzuleiten, ist es also wichtig, zunächst die „alten“ Strukturen aufzudecken. Welche emotionale Funktion hat der Hund für den Menschen? Welche Erwartungen hat der Mensch an seinen Hund? Welche Erwartung hat der Hund an seinen Menschen? Wie beeinflussen sie die Kommunikation und damit auch die Rollen? Welche Erziehungsgedanken und Kompetenzen hat der Mensch? Welche Strategien verfolgen Mensch und Hund in einem Konflikt?

Anhand der Fragen können Sie schon sehen, dass es nicht allein um den Hund und nicht allein um den Menschen, sondern um das Dazwischen geht. In der täglichen Kommunikation definieren Mensch und Hund ihr Selbstbild, das Bild vom anderen und das ihrer Beziehung. Es erwachsen daraus Strukturen und Rollen, die das Verhalten des anderen vorhersehbar machen. Das ist ein großer Vorteil, weil das Zusammenleben dadurch nun einschätzbar wird. Wenn es aber zu Schwierigkeiten in der Beziehung kommt, werden beide Seiten ein ihren Rollen entsprechendes Konfliktverhalten zeigen. Und das kann ein Nachteil sein, teilweise sogar eine Auflösung des Konflikts verhindern.

 

Rollen oder ein festgefahrenes System

 

In sozialen Gruppen etablieren Beziehungen feste Regeln und Muster in der gemeinsamen Kommunikation. Wenn Interaktionsmuster zu einstudierten Tanzliedern werden, die vorhersagbar sind, dann entwickeln sich daraus feste Rollen. Man kann also in bestimmten Situationen immer wieder dieselben Interaktionsmuster von Mensch und Hund beobachten. Das jeweilige Verhalten wird dadurch einschätzbar und man erwartet voneinander, dass sich alle wieder so verhalten werden. Zum Beispiel rechnet der Mensch da-mit, dass der Hund sich aggressiv verhält, und der Hund rechnet damit, dass der Mensch ihn davon abzuhalten versucht.

Rollen sind jedoch kontextspezifisch und können je nach Situation wechseln. Mensch und Hund können innerhalb einer Beziehung mehrere Rollen einnehmen. So kann der Hund im häuslichen Miteinander der Sonnenschein sein und draußen der Unruhestifter. Oder er ist im Haus der Seelentröster und draußen der Macher. Jede Rolle hat ihre Funktion im System. Hier einige typische Rollen im Überblick: „Der Sonnenschein“ ist freundlich und sorgt für eine gute Stimmung. „Der Vorzeigehund“ ist tüchtig und macht stolz. „Der Clown“ ist witzig, erheitert und lenkt von unangenehmen Gefühlen ab. „Der Besitzerhund“ ist verantwortungsbewusst und hilft den Haltern zum Beispiel bei der Erziehung des zweiten (meist problematischen) Hundes. „Der Sorgenhund“ ist problembeladen oder krank und lenkt von anderen Themen ab, eint die Hundehalter in der Sorge. „Der Unruhestifter“ ist lästig, lenkt aber auch von anderen Themen ab und die Hundehalter einen sich in der Disziplinierung. „Das Schwarze Schaf“ lebt die tabuisierten Wünsche des Menschen aus (einfach mal lospöbeln, ohne sich dafür zu schämen). Es nimmt alle negativen Projektionen auf sich und eint die anderen Gruppenmitglieder in der Abgrenzung.

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Die Rollen haben also auch einen Sinn, selbst wenn sie zunächst sehr negativ wirken. Sie haben allerdings den Nachteil, dass jemand innerhalb seiner Rolle keine anderen Verhaltensweisen zeigen „darf“ beziehungsweise diese gar nicht wahrgenommen und dadurch immer seltener gezeigt werden. Die rollenspezifischen Interaktionsmuster werden durch den dahinterliegenden Sinn, die Erwartungshaltung beider und durch die dazu passende Rolle des Menschen aufrechterhalten. Um eine Veränderung einzuleiten, müssen Rollen zunächst geklärt, um dann nach Möglichkeit aufgeweicht oder aufgelöst zu werden. Die Veränderung besteht darin, sich einerseits als Mensch eine neue Rolle zuzuschreiben und diese auszufüllen und andererseits den Hund aus seiner alten Rolle herauszulassen und ihm zu der neuen Rolle zu verhelfen.

 

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„Der Sorgenhund“ lenkt von anderen Problemen ab.
 (Foto: Nadin Matthews)

 

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Wenn der Hund viele der wichtigen Rollen im Leben eines Menschen übernimmt, steigt sein Status. Zum Beispiel ist er Seelentröster an einsamen Abenden, der Clown am Tage, der seinen Menschen zum Lachen bringt und dadurch die Alltagssorgen mindert, der Vorzeigehund auf Familienfeiern, der den Menschen mit Stolz erfüllt und ihm dadurch zur Aufwertung der eigenen Persönlichkeit verhilft. Der Hund fühlt sich nicht nur wichtig, er ist wichtig. Dass dieser Hund auch in Konfliktsituationen die Regie übernimmt, ist nicht allzu verwunderlich. Denn in manche Rollen werden Hunde nahezu hineingedrängt. Der Konflikt naht, der Mensch schaut fragend auf seinen Hund und ihm wird die Entscheidung überlassen. Um eine Veränderung am Problem zu erreichen, macht es Sinn, auch die anderen Rollen im täglichen Miteinander zu hinterfragen und abzuklopfen, ob sie das Problem nähren. Und da sind wir bei einem Thema, das weit über Hundetraining hinausgeht. Man nennt das Beratung.

 

„Wer bist du denn?“ Lernen und Beziehung

 

Hundetrainer gibt es in Deutschland einige und jeder erhebt einen gewissen Anspruch, etwas von Hundeverhalten zu verstehen. Die wahren Experten findet man aber nicht in Hundeschulen, sondern auf Hundewiesen. Zunächst wirken sie recht unscheinbar und stehen fast wie zufällig am Rand der Wiese. Sie geben vor, ihren eigenen Hund dort spielen zu lassen. Aber glauben Sie mir, das ist nur Tarnung. Sie warten darauf, dass Sie sich mit Ihrem Problemhund auf der Hundewiese sicher fühlen. Dann fangen sie ganz unverfänglich ein Gespräch an, lenken die Unterhaltung auf Ihren Hund und zack! schnappt die Falle zu: Sie werden zwangsberaten! Sie bekommen eine bündige Analyse über das Verhalten Ihres Hundes, seine Herkunft, seine Gefühls- und Gedankenwelt und nach circa fünf Minuten steht er: der Tipp. Der eine, aber entscheidende Tipp für Sie und Ihren Hund. Mich beeindruckt diese Präzision bis heute. Ich kann das nicht. Vielleicht ist es genau diese Unfähigkeit, die in diesem Buch die Seiten füllt. Stellen Sie sich vor, Sie schlagen ein Hundebuch auf und da steht nur: „Sie müssen sich auch mal richtig durchsetzen und ihn auf den Rücken werfen!“ Danach kommen noch seitenlang Literaturnachweise und fertig. Oder es steht dort: „Sie brauchen viel Liebe und Geduld, müssen Ihren Hund mit Futter belohnen, wenn er etwas richtig macht.“ Bei diesem langen Satz würde sich im Nachfolgenden doch glatt ein Stichwortregister anbieten.

Tja, so einfach könnte doch das Leben sein. Ich glaube nicht, dass sich Probleme nur durch die Anwendung der Lerntheorie lösen lassen. Entweder bin ich jetzt ein komplizierter Typ oder ich habe recht und es ist eben doch nicht so leicht. Vielleicht ist es auch beides.

Nehmen Sie zehn Menschen mit ihren leinenaggressiven Hunden und tragen Sie ihnen auf, den Hund für richtiges Verhalten mit Futter zu belohnen und falsches Verhalten über eine Einwirkung zu unterbrechen. Sie werden unterschiedliche Ergebnisse erzielen. Das liegt natürlich zum einen an den verschiedenen Hunden, der Höhe ihrer Motivation, ihrem Interesse an Futter, aber auch an der jeweiligen Möglichkeit zur sozialen Einflussnahme ihrer Menschen. Anders ausgedrückt: Lernverhalten von Hunden ist unter anderem davon abhängig, wer belohnt oder verleidet. Oder freuen Sie sich immer gleich über ein Lob, egal, wer es ausgesprochen hat? Akzeptieren Sie jedes Verbot, egal, von wem es kommt? Wahrscheinlich nicht.

Für Menschen und Hunde ist es entscheidend, wie sie sich selbst, ihr soziales Gegenüber und die gemeinsame Beziehung einschätzen. Verstärkung und Bestrafung sind eine Art sozialer Rückmeldung und Bewertung des jeweiligen Verhaltens. Wenn wir belohnen oder bestrafen, drücken wir damit aus, was wir von der vorhergegangenen Handlung unseres Hundes halten. Doch wie wichtig ist ihm unsere Bewertung? Bisher sind wir der Frage nachgegangen, welche Bedeutung Ihr Hund für Sie hat, nun aber lautet die Frage: Wer bin ich für meinen Hund?

 

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Wie würde der Hund seinen Menschen beschreiben?

 

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Aus meiner Sicht begünstigen die folgenden vier Faktoren das Annehmen von Lob und Strafe und bestimmen darüber auch die notwendige Intensität: Beliebtheit, hoher Status, Sozialkompetenz, Fachkompetenz!

 

Beliebtheit

 

Wenn man jemanden gern hat, so ist einem dessen Meinung wichtig. Man versucht, die größtmögliche Nähe und Anerkennung von diesem Sozialpartner zu bekommen. Mit diesem Menschen werden schöne Momente verknüpft. Das kann ein Hundehalter sein, der viel Spannung und Spaß in die Beziehung bringt, die Gruppe durch seine Ausgelassenheit und gute Laune entspannt oder durch Abenteuer und Action belebt. Dazu gehören zum Beispiel sowohl das wilde Spielen als auch das Verlassen der typischen Wege auf einem Spaziergang und immer wieder neue Ideen für die gemeinsame Beschäftigung zu finden. Aber auch ein Mensch, der sich fürsorglich um seinen Hund kümmert, Bedürfnisse wahrnimmt und sie erfüllt, über Ruhe und Kuscheln die Gruppe entspannt sowie zuverlässig füttert, kann attraktiv für einen Hund und dadurch sehr beliebt sein.

 

Status und Durchsetzungsvermögen

 

Wer von innen geleitete Entscheidungen trifft und keine Probleme in der Selbstdarstellung hat, sich sicher in der Interaktion mit anderen fühlt, kann eine Gruppe gut steuern. Es ist eine Kunst, eigene Bedürfnisse und Grenzen klar zu kommunizieren und diese Forderungen auch umzusetzen. Solche Menschen können sehr beeindruckend sein und ihre Rückmeldung ist für andere wichtig. Die eigene Sicherheit und Klarheit im Handling vermittelt auch einem Hund Sicherheit. Die Aussagen eines solchen Menschen haben Gewicht, sind eindeutig und können von Hunden gut akzeptiert werden.

 

Sozialkompetenz

 

Wer kompetent in sozialen Angelegenheiten ist, wird gern um Rat gefragt. Die Meinung eines solchen Menschen ist einem wichtig, weil man sich ernst genommen und gut beraten fühlt. Er ist in der Lage, sich angemessen zu äußern, ohne dabei die Belange des anderen zu unterdrücken. Dazu gehört die Akzeptanz des Hundes als individuelle Persönlichkeit, die Fähigkeit, sich in ihn einzufühlen, als auch die Reflexion des eigenen Erziehungsverhaltens. Sozialkompetente Menschen haben einerseits Verständnis für den Hund und andererseits sehen sie auch die Bedürfnisse von anderen. Für Hunde stellen sie eine verbindliche Basis in der gemeinsamen Beziehung dar.

 

Fachkompetenz

 

Stellen Sie sich vor, Sie planen und bauen selbst ein Haus. Ihr Nachbar, der selbst ein furchtbares Haus gebaut hat, und ein angesehener Architekt loben Sie für Ihre Leistung. Welche Meinung ist Ihnen wichtiger? Fachwissen beeindruckt nicht nur Menschen. In der Mensch-Hund-Beziehung kann Fachwissen Missverständnisse in der Kommunikation reduzieren. Zum Beispiel, wenn sich ein Mensch erklären kann, warum sich ein Hund so verhält, wird er auch nicht an falscher Stelle enttäuscht oder wütend sein.

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Wer viel von einer Sache versteht, wird ernst genommen. Fachlich gut ausgearbeitete Lernaufgaben können von einem Hund schneller gelöst werden. Darüber hinaus wird er registrieren, dass dieser Mensch gut zu verstehen ist. Fachliche Kompetenz drückt sich für Hunde unter anderem durch die klar formulierte Zielsetzung, das passende Timing und durch Verhältnismäßigkeit aus.

 

Begabung und Rollenverständnis

 

Jede dieser beschriebenen Kompetenzen des Menschen beeinflusst das Beziehungs- und auch Lernverhalten des Hundes. Erst in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenwirken könnte man von einer großen Erziehungskompetenz sprechen.

Menschen bringen jedoch unterschiedliche Fähigkeiten mit und haben nicht in allen Bereichen eine Begabung. Ihrem jeweiligen Talent entsprechend werden sie ihre Erziehungsrolle ausbauen und sich entsprechende Trainingsansätze dafür suchen. Von knallharter Unterordnung über Dauerbeschäftigung, von „kein

Futter ohne Leistung“ bis hin zu fachlich fundierter Vermeidung von Konflikten wird alles angeboten.

Das ist kein Problem, wenn alles gut läuft. Wenn es nun aber zu Schwierigkeiten mit dem Hund kommt, kann einem die Hochbegabung in nur einem dieser Bereiche leicht auf die Füße fallen und zum Nachteil werden. Denn jede dieser Rollen hat in ihren Übertreibungen auch Schattenseiten. Im Nachfolgenden versuche ich, die einzelnen Rollen und die damit verbundenen Fähigkeiten in der Darstellung auf die Spitze zu treiben. Dadurch entstehen stark abgegrenzte Archetypen, die in der Realität vielleicht nicht in dieser Extremform vorkommen. Das echte Leben ist glücklicherweise etwas bunter. Aber die Übertreibung kann helfen, eigene Tendenzen im Verhalten zu entdecken und einen Hinweis zu bekommen, in welchem Bereich ein Zugewinn an Kompetenz sinnvoll wäre.

 

„Wer immer nur witzig ist ...“

 

Der ewige Bespaßer – Große Beliebtheit

 

Der Bespaßer erfreut sich großer Beliebtheit, weil er andere zum Lachen bringt und durch immer neue Ideen die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Er neigt allerdings dazu, Konflikte nicht ernst zu nehmen und diese im wahrsten Sinne des Wortes zu überspielen. Bei ernsthaften Fragen wird er nicht zurate gezogen, weil er dort aufhört, wo es der Spaß auch tut. Ihm fehlen sowohl die soziale und fachliche Kompetenz als auch das Durchsetzungsvermögen.

 

„Wer immer nur lieb ist ...“

 

Der ewig Fürsorgliche – Große Beliebtheit

 

Der ewig Fürsorgliche ist ein Segen für alle. Er macht und tut, um anderen zu helfen, tröstet, wenn etwas schiefgelaufen ist. Wenn es aber nicht um Versorgungsfragen, sondern um Entscheidungsfragen geht, wird der Fürsorgliche nicht mehr gehört. Er neigt zum Harmonisieren und dazu, Konflikte zu vermeiden. Seine Strategie in unvermeidbaren Konflikten ist das Aushalten und Abwarten, nicht das Eingreifen. Vor lauter Unterstützung der anderen hat er kein eigenes Standing entwickelt und kann da-durch in Konflikten übersehen werden. Wer nur die Schnittchen macht, wird auch so wahrgenommen.

 

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Spiel, Spaß und Ausgelassenheit sind wichtig für Hunde. Aber reicht das, um einen Hund zu erziehen ?
 (Foto: Nadin Matthews)

 

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Auch wenn es Menschen gerne hätten: Nicht jedes Problem lässt sich wegstreicheln.
 (Foto: Nadin Matthews)

 

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Nur weil der Hund funktioniert, funktioniert noch lange nicht die Beziehung.
 (Foto: Nadin Matthews)

 

„Wer sich immer nur durchsetzt ...“

 

Der ewige Durchsetzer – Hoher Status

 

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Der ewige Durchsetzer strebt wie kein anderer nach Macht und Durchsetzung des eigenen Willens. Er ist vor allem dann präsent, wenn es um Entscheidungen geht. Man macht, was der Durchsetzer sagt, weil man keinen Ärger will und weiß, dass er am längeren Hebel sitzt. Damit ist er hervorragend geeignet, Konflikte für sich zu entscheiden und sich gegenüber anderen durchzusetzen. Allerdings muss er weder kompetent noch beliebt sein, um seine Position aufrechtzuerhalten. Andere schließen sich ihm nicht gern an, sondern nur, weil sie unter Druck stehen. Dadurch steht er immer mit dem Rücken zur Wand, muss die anderen ständig kontrollieren und darf nie locker lassen. Er ist niemand, den man gern um seinen Rat fragt, sondern nur jemand, auf den man hört. Das ist ein Unterschied! Vertrauen und emotionale Bindung bleiben dabei auf der Strecke.

 

„Wer es allen recht machen will ...“

 

Der ewige Berater – Sozialkompetenz

 

Der ewige Berater hilft anderen, eine Entscheidung zu treffen. Er informiert über verschiedene Handlungsoptionen und beeinflusst dadurch die Entscheidung, trifft diese letztendlich aber nicht selbst. So endet die Beratung vor einer Entscheidung und beginnt wieder danach. In Konflikten neigt er mehr zum Erklären des Verhaltens aller Beteiligten und zum Vermitteln zwischen den Fronten als zum tatsächlichen Handeln in eigener Sache mit fachlichem Bezug. Berater sind Berater und nicht der Chef der Firma.

 

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Der sozialkompetente Berater hilft bei einer Entscheidung, trifft sie aber nicht selbst.

 

„Wer sich immer nur informiert ...“

 

Der ewige Fachspezialist – Fachkompetenz

 

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Niemand weiß mehr zu einem Thema als der Fachspezialist. Er ist äußerst belesen, schlau und kann zum Beispiel Lernprozesse im Detail aufführen und planen. Wenn es nun zu Konflikten kommt, neigt dieser Profi dazu, sich noch mehr Fachwissen anzueignen in der Hoffnung, da-durch eine Lösung zu finden. Er versucht Probleme ausschließlich fachlich zu erklären. Entscheidungen in sozialen Fragen werden in der Regel aber emotional getroffen. Während der Fachspezialist noch denkt und grübelt, haben andere schon längst aus dem Bauch heraus gehandelt und die Entscheidung herbeigeführt. Eine soziale Beziehung lässt sich eben nicht vertechnisieren.

 

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Während der fachkompetente Mensch noch grübelt und abwägt, handelt der Hund bereits.

 

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Für ein harmonisches Zusammenspiel zwischen Mensch und Hund kann es keine allgemeingültigen Regeln geben.
 (Foto: Nadin Matthews)

 

Wer wichtig ist, muss weniger tun

 

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Wer sind Sie für Ihren Hund? Wer möchten Sie gern sein? Welche Rolle müssten Sie einnehmen, damit Ihr Hund seine aufgeben kann? Wir alle haben Stärken und Schwächen, Überzeugungen und Unsicherheiten. Ein Blick auf sich selbst und das, was wir in die Beziehung zu unserem Hund an Fähigkeiten mitbringen, kann helfen zu sehen, was wir noch lernen müssen. Wenn der Hund sich verändern soll, müssen zunächst wir uns verändern. Manchmal ist es nur wichtig, sich an die eigene Kompetenz zu erinnern, manchmal ist es aber auch notwendig, sie zu erweitern. Hunde informieren uns über Unzulänglichkeiten in der Erziehung, spiegeln unsere Fähigkeiten wie auch unsere geheimen Wünsche wider und können aufgrund der gezeigten Problematik helfen, uns in unserer Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Wir könnten also für jedes Problem dankbar sein, denn es beinhaltet die Chance, etwas Neues zu lernen. Wer mehr für seinen Hund darstellt, muss weniger tun, damit er sich über ein Lob freut oder eine Grenze akzeptiert.

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Die Traumvorstellung vom beliebten Erziehungsberechtigten, der sich durch Gelassenheit, Fairness, soziale und fachliche Kompetenz, aber auch durch Entscheidungsfreudigkeit auszeichnet, ist vielleicht nicht immer erreichbar. Doch konfliktreiche Zeiten fordern Veränderungen. Nicht nur vonseiten des Hundes, sondern gerade von demjenigen, der den Erziehungsauftrag übernommen hat. Nutzen wir ausschließlich unsere Stärken und suchen uns allein unserem Talent entsprechende Trainingsansätze, so kann der Hund mit seinen Bedürfnissen in der Erziehung übersehen werden. Das wäre nicht fair. Erziehung sollte sich an dem orientieren, der erzogen wird, und nicht nur an dem, der erzieht.

 

Problemanalyse

 

In der Problemanalyse geht es nun darum, all die Aspekte aus der Beziehung, der Erziehung und dem Konfliktverhalten unter Berücksichtigung der individuellen Persönlichkeiten und vor dem Hintergrund des Fachwissens über Entwicklung, Faktoren für Aggressionsverhalten, Genetik, Lernverhalten und Körpersprache von Hunden in Verbindung zu bringen sowie in Bezug auf das Problem auszuwerten. Damit beschreibt sich der IST-Zustand der Mensch-Hund-Beziehung. Man stößt bei dieser Vorgehensart auf viele verschiedene Menschen, Hunde und Beziehungen. Jede dieser Beziehungen ist einzigartig.

Um das Problem näher kennenzulernen, lässt sich ein Haufen an Fragen stellen: Wie läuft die Problemsituation typischerweise ab? Wer macht was? Wer fühlt was? Welche Auswirkungen hat das Problem auf Ihre Beziehung zu Ihrem Hund? Wie reagiert Ihr Umfeld darauf? Wann trat das Problem zum ersten Mal auf? Wie haben Sie darauf reagiert? Hat sich das Problem im Laufe der Zeit verändert? Woran haben Sie das gemerkt? Was müsste geschehen, damit das Problem noch größer wird? Woran würden Sie erkennen, dass das Problem nicht mehr da ist? Was würde sich dadurch verändern? Welches Problem hat Sie vor dem Auftreten des aktuellen Problems beschäftigt? Welche Probleme hätten Sie, wenn dieses nicht wäre? Wie müsste die Lösung aussehen, was müsste sie beinhalten, damit Sie sie annehmen könnten? Welche Art von Lösung können Sie sich gar nicht vorstellen? Wie haben Sie bislang andere Konflikte gemeistert?

Ein Problem ist der Ausdruck einer Störung im Gesamtsystem. In der Analyse geht es daher nicht nur um das Beschreiben des Problems, sondern vor allen Dingen um Zusammenhänge von Verhalten. Was hat die Rolle des Hundes im Haus mit seinem Verhalten auf dem Spaziergang zu tun? Was hat die defensive Aggression mit der Herkunft des Hundes zu tun? Was hat das Nähebedürfnis des Menschen mit dem aggressiven Verhalten des Hundes zu tun? Was hat das Appetenzverhalten des Hundes am Anfang des Spaziergangs mit der Beschäftigung des Hundes zu tun? Was hat der Unwillen des Hundes, sich dem Menschen anzuschließen, mit dem starken Durchsetzungsverhalten des Menschen zu tun?

Es geht dabei nicht um einfache Kausalwirkungen, sondern um eine erste, vorläufige Verhaltensinterpretation. Hunde sind in der Betrachtung des Systems als vollwertige Mitglieder der Gruppe anzusehen, die an der Kommunikation ebenso beteiligt sind wie die Besitzer. Die Diagnostik sollte frei von Schuldzuweisungen sein und sich durch Einfühlungsvermögen der BeraterInnen auszeichnen. Empathie ist keine Technik! In der Beratung geht es nicht darum, seine Methode zu verkaufen oder sich die Hundehalter zu Untertanen der eigenen Einstellung zu machen.

 

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Wenn Hunde aufeinandertreffen, so treten sie einander mit ihrem persönlichen Selbstbild entgegen. Die einen sind groß, die anderen fühlen sich so.

 

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Manche Menschen haben Sorgen, ihren Hund zu halten, haben Angst zu fallen. Andere sorgen sich um ihren Hund, haben Angst, dass er gebissen wird.

 

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Das aggressive Verhalten sieht zwar sowohl in Klein als auch in Groß ähnlich aus, doch die dahintersteckenden Geschichten lassen sich mit dem bloßen Auge nicht erkennen.

 

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Am Ende gehen alle wieder an den Ort zurück, der täglich von Neuem das Selbstbild gebärt: nach Hause.