Bridge Jump
Sie rannte nervös auf und ab. Nun sollte es um ihre Zukunft in der Werbefirma gehen. Sie hatte die letzten Tage durchgearbeitet und ständig mehr Make up auflegen müssen, um die dunklen Augenringe zu verheimlichen.
Lu hatte sich in einen jungen Postboten verwandelt und beobachtete das weibliche Arbeitstier genau. Sie war bestens geeignet, denn in ihr brodelte der Wunsch nach Anerkennung um jeden Preis. Aus jeder Pore dampfte der Wunsch und er lächelte zaghaft in leiser Vorfreude. Ihre Blicke trafen sich und sie nickte ihm stumm zu. Zufrieden verschwand er aus der hektischen Werbefirma. Da er jedoch aus eigener Erfahrung nur bestens wusste, dass immer etwas schief gehen konnte, blieb er unsichtbar und folgte seiner neuen Kundin. Sie war auf der Suche nach einem Muntermacher in der Teeküche gelandet. Dort goss sich ein übermüdeter Grafiker einen Kaffee ein und zuckte bei ihrem Anblick kaum merklich zusammen.
„Na, Torben, sind die Poster schon fertig? Ach, ich vergass, bei dir braucht Qualität Zeit, richtig? Oh, Kaffee! Danke, den kann ich gut gebrauchen!“
Torben holte Luft zum Protestieren, ließ sie jedoch gewähren. Als sie mit dem dampfenden Kaffee in der Hand aus der Küche war, grinste er besonders wissend und nickte.
„Viel Spaß, du Miststück! Die Kundenpräsentation wird Firmengeschichte werden!“, murmelte Torben.
Lu ahnte nichts Gutes und folgte in den großen Konferenzraum.
Ein großer dicker Mann – offensichtlich der Kunde – sass abwartend am Kopfende des riesigen Tisches und lauschte den Erklärungen des Geschäftsführers für die neue Werbekampagne. Lu betrachtete seine neue Kundin, die nach ungefähr 30 Minuten stark anfing, zu schwitzen und nervös mit dem rechten Bein wippte. Ihre Nervosität verbreitete sich schnell im Raum, jeder sah sie verwundert aus den Augenwinkeln an.
„Nun, meine Kollegin Maren wird Ihnen das noch besser erklären können. Maren? Maren – hallo? Fängst du bitte an?“
Der Geschäftsführer sah sie auffordernd an.
„JA!“, brüllte Maren und sprang auf.
In den nächsten Minuten lieferte sie eine einmalige Show ab! Sie redete wie ein Maschinengewehr, ohne kaum Luft holen zu müssen. Dabei fuchtelte sie wild mit den Armen, verdrehte die Augen und wischte sich immer wieder den Schweiß von der Stirn. Kaum jemand konnte sie wirklich verstehen. Der Kunde hatte die Augenbraun hoch gerissen und den Geschäftsführer der Agentur mehrfach gefragt, was diese wahnsinnige Frau überhaupt erklärte. Denn er war Hersteller von umweltfreundlichen Toilettenpapier und konnte einfach nicht nachvollziehen, weshalb jemand das Papier einer Klorolle als Leine benutzte sollte! Maren bekam von dem Chaos nicht viel mit, sondern verausgabte sich körperlich und spulte ihr eingeübtes Programm ab.
Torben – der Grafiker kicherte inzwischen hemmungslos. Nach insgesamt zehn Minuten hielt Maren kurz inne.
„Watissnlos, he?! Verstehtihrmichnich'? DieKammpannjewirdfunktionieren! Guckt!“, plapperte sie kaum verständlich und schnappte sich eine Klorolle, die sie aus dem Fenster warf.
„DA! PärfäktesPapiiier!“, kreischte sie und sprang hinterher.
Lu rollte mit den Augen.
Auf der Brücke hechtete Maren wie ein mit Drogen vollgepumptes Eichhörnchen herum, kletterte mit dem Klopapier und hangelte sich herum wie ein Äffchen. Niemand verstand auch nur ein Wort von dem, was sie brabbelte. Die Polizei war schnell vor Ort. Ein erfahrener Beamte sah ihr einige Atemzüge zu und nickte. Die Sanitäter nickten ebenfalls. Der jüngere von beiden wurde von einer älteren Dame angesprochen.
„Wat ist denn mit der los?!“
„Ja, ick würde mal sagen, die hat sich ordentlich Speed rein gedrückt!“
Die ältere Dame sah Maren verständnisvoll an, wie sie von zwei Polizeibeamten zu Boden gedrückt wurde.
„Ts...damit habe ick schon in den 70er Jahren aufgehört. Ist einfach zu anstrengend.“
Lu war nicht wirklich verzweifelt, sondern mittelmäßig frustriert. So hatte sich seine anfängliche Befürchtung in Bestätigung verwandelt. Dieses weibliche Arbeitstier hatte sich nur auf sich fixiert, ihre Mitarbeiter schikaniert und die längst überfällige Strafe erhalten. Beim nächsten Auftrag „weiblicher Workaholic“ würde er auf jeden Fall ablehnen. Diese Kunden stellten sich immer als zu inkompetent heraus! Eine Nonne stand neben ihm und schlug mehrmals das Kreuz. Ihre Gläubigkeit war geheuchelt, denn tief in ihr brodelte der Neid, dass eine Frau sich dermaßen in der Öffentlichkeit gehen lassen konnte. Lu starrte sie an und schenkte ihr sein schönstes Lächeln. Die Nonne fing sofort mit dem Kopf an zu wackeln wie eine arabische Bauchtänzerin, ihre Hüften kreisten und sie wackelte mit ihren Brüsten. Mehr brauchte er nicht sehen und verschwand einfach. Die beiden Sanitäter starrten mit offenen Mündern zu der tanzenden Nonne. Der jüngere zeigte ein besonders verwundertes Gesicht.
„Is dit zu fassen? Die Nonne ist ja fast nackig! Is dit nun n Bauchtanz oder een Striptease?“