Manche mögens kultiviert



Ein heißer Sommer ging endlich zu Ende. Er vermisste die drückende Hitze, die sonst immer heimlich an seinem Rücken entlang krabbelte. Versonnen und frohen Mutes stand er am Straßenrand, beobachtete die jungen Leute, die auf Weg zur nächsten Eroberung waren. Direkt auf der anderen Straßenseite stand sein nächstes Opfer: groß, schlaksig, leicht trainiert, mit einer großen modernen Brille bewaffnet und einem typischen Denkergesicht. Er seufzte, denn dieser Kunde könnte seine Quote versauen oder mit viel viel viel Glück erfüllen. Ja, ein Student der Bildungswissenschaft stand dort.

Er überlegte kurz und konzentriert, wie er diesen Studenten am besten für sich gewinnen konnte. Kurz entschlossen ging er in seine Nähe und starrte wie er auf das bunte Treiben auf der Straße - natürlich Warschauer Straße.

In dem Kopf des Studenten drehte sich alles um eine junge flippe Frau, die er nach vier Wochen (!) immer noch nicht für sich gewinnen konnte. Dieser Student hatte tatsächlich eine Exceltabelle angefertigt! Er hatte sich die Mühe, den Aufwand gemacht, um in seinem extrem teuren PC eine Tabelle über ihr Verhalten anzufertigen. Er stöhnte hörbar auf! Unfassbar! Dieser junge Mann neben ihm erfasste menschliches Verhalten tatsächlich in einer Tabelle! Sein größter Wunsch war momentan ein neuer Apple Laptop und natürlich die junge flippe Frau, die ihm keine Ruhe ließ.

Er grübelte kurz und drehte sich zu ihm um. Sein Vorschlag war rasch gefasst und der Student riss erstaunt die Augen auf! Wie vom Blitz getroffen rannte er quer über die Straße und fing lauthals an zu singen...

"Wir wollen Seite an Seite, über das Schlachtfeld der Liebe ziehän, und die Träume nach Perfektion habän lange schon nach uns geschriehän..."



Er schmetterte gekonnt das gesamte Lied, alle und wirklich alle Frauen jeden Alters blieben sofort stehen. Der Student hatte jedoch nur Augen für die eine flippe Frau mit den orangenen Haaren, die ihn verdattert anstarrte. Sie kniff die Augenbraun zusammen und zeigte ihm einen Vogel. Dann ging sie kopfschüttelnd davon. Keine Minute später wurde der Student der Bildungswissenschaften von circa hundert gierigen Frauen umgerannt.



Lu schlug sich gegen die Stirn, hatte er doch vergessen, dass ein liebestoller Student wie eben jener (inzwischen mussten diverse Polizeibeamte ihm die gierigen Frauen vom Leib halten) eine konkretere Anweisung gebraucht hätte: Sing nur für diese eine Frau und dein Herzenswunsch wird erfüllt werden!

Neben ihm hörte er eine heisere Lache - nicht schon wieder Michael!

Kannst du mich nicht einfach mal einen Monat in Ruhe lassen?“

Michael grinste und blickte versonnen zum Menschenknäuel rüber.

Du wirst es auch nicht mehr lernen, oder? Sieh dir dieses Chaos an! Die Hormone kann ich fast schon schmecken!“

Dann stürz dich doch in die Mitte!“

Er war extrem genervt, denn das Menschenknäuel aus Polizisten, gierigen Frauen und einem total überforderten Studenten bewegte sich keuchend auf die stark befahrende Straße.

Nein, ungern. Ich habe meine Quote erfüllt!“

Michael blickte zufrieden gen Himmel.

Oh, was ist es denn diesen Monat? Darfst du dir die Fingernägel endlich rot lackieren? Oder vielleicht doch einen zweiten roten Anzug kaufen?“

Michael verzog verärgert das Gesicht.

Weißt du, was du mich mal kannst?“

Kann ich mir denken und nun schwier' ab!“

Michael brummelte einige wütende Flüche und bemerkte den grimmigen Polizisten nicht, der hartnäckig versuchte, eine vollschlanke gierige Frau zu bändigen. Er wich dem ungleichen Paar noch aus, doch die Frau verdrehte wie in einem seiner Lieblingsfilme gekonnt den Hals und fing bei seinem Anblick an zu knurren.

Er hätte ihn warnen können, doch er tat es absichtlich nicht, sondern genoss die kurze Ruhe, bevor alle Frauen sich auf die Jagd nach Michael machten, der nur für sie wahrnehmbar einen romantischen Geruch absonderte.

Vielleicht eine Minute später blieb Michael stehen, drehte sich um und zeigte die pure Panik. Sofort sprintete er los, wurde jedoch von der Frauenmeute schnell eingeholt und mit Küssen niedergedrückt.

Im Ganzen war der Abend doch nicht so langweilig geworden. Immerhin hatte Michael das erhalten, was er schon seit einigen Jahrzehnten verdient hatte. Die moderne Zeit hielt immer wieder Überraschungen für ihn bereit!