Himmlische Unterbrechung
Sie zog sämtliche Blicke der männlichen Gäste auf sich, während sie scheinbar ihrer Freundin zuhörte. In Wirklichkeit war ihr Kopf voll mit ganz anderen Dingen: Sind meine Fingernägel noch in Ordnung, sitze ich gerade, sind meine Beine gut zu sehen und vor allem ist mein Make-up noch einwandfrei? Gemächlich nahm sie mit spitzen Fingern den kleinen Klappspiegel aus ihrer kleinen Handtasche und begutachtete ausgiebig ihr Gesicht. Sanft strich sie sich über ihre langen blonden Haare und verstaute den Spiegel wieder. Nach einem kurzen Blinzeln wandte sie sich von dem Anblick ihrer unscheinbaren Freundin ab und redete mit weicher Stimme auf sie ein.
Er war begeistert! Diese Frau war perfekt! Sie dachte nur über ihr Aussehen nach, wie viel Kapital sie aus ihrem nächsten Modeljob schlagen konnte und sonst war ihr nichts wirklich wichtig. Am liebsten hätte er einen Hüpfer vor Freude getan.
Eine kleine Melodie vor sich hinpfeifend setzte er sich an den freien Tisch in ihrer Nähe, um sie weiter zu beobachten. Es war erstaunlich, wie sehr sie sich Ruhm wünschte und nach Anerkennung lechzte. Besonders, was sie dafür bereit war zu opfern. Mit ihr sollte er ein sehr einfaches Spiel haben! Sein Grinsen wurde breiter als sie sich ihm zu wandte, direkt in die Augen blickte. Als hätte sie es ihm zugeflüstert... so klar und deutlich waren ihre Wunschgedanken. Nun brauchte er nur noch das entsprechende Angebot unterbreiten!
Doch aus den Augenwinkel sah er ihn heranschleichen. Die rote Hose brachte seine Augen zum Tränen. Natürlich musste ausgerechnet jetzt Michael zu ihm kommen.
„Wie laufen die Geschäfte?!“, wisperte er und setzte sich direkt vor ihn, so dass er den Blickkontakt mit seiner Kundin verlor.
„Jetzt besonders mies.“, knurrte er und presste dermaßen stark die Lippen zusammen, dass sein Kopf wackelte.
Alle Frauen starrten Michael an. Immer wieder musste dieser Kerl auftauchen, wenn seine Chancen extrem gut waren.
„Das ist bedauerlich, aber...“
„Ja, ich weiß schon. Für euch natürlich gut. Hau ab, lass mich allein.“
„Warum denn? Wir haben uns so lange nicht gesehen.“
„Das weiß ich. Was willst du?“
„Du hast das Gleichgewicht gefährdet!“, zischte ihm Michael leicht verärgert zu.
„Nein, wie schlimm!“
„Wegen dir haben fünf Engel nicht ihre Provision einlösen können. Die sind alle richtig traurig.“
„Traurig? Nein, wie ist mir das egal! Meine Auftragslage, die ist traurig! Und nun verschwinde!“
„Nein.“
„Wie war das? Der liebreizende Michael hat Widerworte? Wie kommt das denn?“
Michael lehnte sich zu ihm und sah plötzlich wütend aus. Eine ganz neue Eigenschaft!
„Du kennst die Regeln! Bisher hat sich jede Seite wunderbar daran gehalten. Gefährde das Gleichgewicht nicht weiter!“
„Ist das ein Wunsch, ein Befehl, ein Traum oder was?“
„Eine Andeutung!“
„Du bist noch genauso so dämlich wie ich dich in Erinnerung hatte. Schwirr ab!“
Er tat so als würde er ihm mit der rechten Hand eine Ohrfeige verpassen. Berühren brauchte er ihn nicht. Michaels Kopf kippte nach hinten. Ganz langsam senkte er seinen Blick, seine Wut war nun nicht mehr zu übersehen.
„Gott ist überhaupt nicht erfreut!“
„Das ist mir schon klar. Ich bin es ja auch nicht! Die Aufträge werden immer schwieriger, meine Quote ist miserabel! Ich sollte jammern!“
„Das tust du sowieso. Also, halte dich an die Regeln!“
„Mal sehen und jetzt lass mich endlich in Ruhe!“
Michael drehte sich zu seiner Kundin um und schenkte ihr sein schönstes Lächeln. Sie erglühte förmlich. Als nächstes war klar, dass sie nur ein friedvolles Gesicht zeigten konnte. Manche würden es auch als leer bezeichnen.
„Hey, was soll das? Die war perfekt!“, beschwerte er sich laut.
Michael schenkte ihm ein schadenfrohes Grinsen als er aufstand.
„Gern geschehen. Somit sind wir wieder quitt, richtig? Sie wird nun nach Afrika reisen und dort den Menschen helfen. Ist das nicht himmlisch?“, flüsterte er und ging beswingt davon.
Äußerst verstimmt knabberte er auf seiner Unterlippe herum.
Seine verspielte Chance tippelte Michael hinterher, das war auch klar gewesen. Ihre Freundin sah ihr verwirrt hinterher.
„Nach Afrika? Was um Himmels Willen sie denn da?“, fragte sie sich laut und schnappte sich ihr Handy.
Er war sehr wütend inzwischen. Von seinem Kopf stiegen wieder kleine rötliche Dampfwolken auf. Neben ihm stand plötzliche eine junge Mutter, die liebevoll mit ihrem kleinen Sohn sprach. Der Junge sah direkt in seine Augen - die Unschuld war fast zu schmecken. Er schickte ihm sofort einige gute Ideen für den Nachmittag.
Als er aufstand und das Bistro verließ, konnte er noch die Schreie der Mutter hören. Ihr Sohn hatte sich ein kleines Messer geschnappt und ihre Designerhandtasche zerschnitten. Wenigstens die kleinen Kinder konnte er noch beeindrucken.