VlERZEHN
Eine Woche verging. Bei ihren Geschäften hatte Rachel ein komisches Gefühl in der Magengrube. Sie machte Geld, viel Geld, aber es war nicht richtig, und das wusste sie. Sie vermutete, dass Zanus und sein
»Freund« aufgrund von Insiderinformationen handelten oder die Dinge irgendwie manipulierten. Sie stellte keine Fragen. Je weniger sie wusste, desto besser. Natürlich konnte sie ihre Firma und die Geschäfte, die sie für ihre Kunden machte, nicht vernachlässigen. Sie zeichnete über die Firma weiter Aktien für Zanus, und diese brachten auch Geld ein.
Rachel ging immer zuerst in den Börsensaal und machte ihre Geschäfte dort, dann setzte sie sich an einen der Globex-Computer, um die Order von Zanus' Freund auszuführen. Danach ging sie in ihr Büro. Das waren lange Tage.
Am Donnerstag blieb Rachel sogar länger im Büro. Sie fühlte sich wegen der heimlichen Geschäfte zunehmend schuldig und hatte beschlossen, mit Freeman zu reden. Sie war sich nicht ganz sicher, was sie eigentlich erreichen wollte. Vielleicht würde sie eine Orientierungshilfe bekommen, wie sie mit Zanus weitermachen sollte. Oder vielleicht würde sie anschließend wegen Wirtschaftskriminalität ins Gefängnis wandern. Wenn Freeman ihre Sorge teilte, dann käme sie vielleicht sauber aus der ganzen Sache heraus und konnte ihren Job behalten. Und auch mit Zanus zusammenbleibe)
War es das, was sie wollte? Sie war so aufgeregt und durcheinander, dass sie das nicht mehr wusste.
Es war nach sieben. Alle anderen waren schon längst nach Hause gegangen. Freeman hingegen blieb immer lange, also klopfte Rachel an seine Tür.
»Mr. Freeman«, sagte sie. »Haben Sie einen Moment Zeit?«
»Ja, natürlich, Rachel«, rief Freeman. »Kommen Sie herein.«
»Danke, Sir. ich möchte Ihnen einige Bedenken mitteilen, die ich bezüglich Mr. Andreas Zanus habe.« Rachel machte eine Pause, während sie nach den richtigen Worten suchte.
»Ja?« Freeman sah sie ernst an. »Was hat er getan? Hat er sich Ihnen gegenüber unanständig benommen?«
»Nein. Im Gegenteil, er war sehr nett ...«
»Wo ist denn dann das Problem, Rachel? War er nicht in der Lage, seine Transaktionen zu finanzieren? Hat er nicht genügend Geld?«
»Nein, nichts dergleichen. Er hat ... Andeutungen über illegale Aktivitäten gemacht.«
»Haben Sie dafür irgendwelche Beweise?«
»Nein, wir waren ... wir waren auf einem geselligen Treffen.«
Rachel sah Freeman eindringlich an und hoffte, er würde das heraushören, was sie nicht sagte.
Mr. Freeman lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Sie waren mit Mr.
Zanus, einem sehr reichen Geschäftsmann, bei einem geselligen Treffen, und er ließ eine Bemerkung fallen, dass er möglicherweise etwas Illegales vorhatte. Aber Sie haben keinen Beweis, was genau, oder ob er überhaupt irgendetwas Konkretes plante.«
»Na ja, ich denke ... Nein. Das habe ich nicht.«
»Könnte es sein, dass Mr. Zanus Sie nur ein wenig aufgezogen hat?«
»Er ist eigentlich nicht der Typ, der jemanden aufzieht«, sagte Rachel müde.
»Ich denke, er hat einfach einen Scherz gemacht, und Sie sind einfach übervorsichtig.«
Rachel seufzte. Freeman war so dumm. »Mr. Freeman, was ist, wenn Mr. Zanus mich bittet, etwas Illegales zu tun? Wie soll ich darauf reagieren?«
Freeman sah sie stirnrunzelnd an. Dann stand er auf, ging um sie herum, öffnete die Tür und schaute hinaus. Er schloss die Tür wieder, ging zu seinem Schreibtisch zurück und setzte sich.
»Sie sollten selbstverständlich ablehnen. Aber Mr. Zanus ist unser bester Kunde, Rachel«, sagte er vorsichtig. »Wir machen eine Menge Geld mit seinem Kapital. Ich zähle auf Sie, dass seine Beziehung zu uns intakt bleibt.«
»Ja, Mr. Freeman. Ich verstehe.«
Verdammt! Er hatte angedeutet, dass es ihr Job war, alles zu machen, was nötig war, um an einer Geldmaschine wie Zanus dranzubleiben - legal oder illegal. Aber er hatte natürlich nicht explizit gesagt, dass sie etwas Ungesetzliches für Zanus tun sollte, und der würde es entschieden von sich weisen, wenn sie so etwas behaupten würde. Dennoch wusste sie, dass ihr Job davon abhing.
Wenn sie Zanus verlieren würde, dann war's das.
Rachel hätte so etwas erwarten sollen. Freeman war von der alten Schule. Es ging das Gerücht, dass er seine Firma auf ein paar dubiosen, wenn nicht sogar völlig illegalen Geschäften aufgebaut hatte. Er war ein Teil der alten Garde, die glaubte, dass ein Handelskonflikt mit einem Faustkampf im
Börsensaal gelöst werden sollte und dass Firmen ihre Makler gegen Kaution herausholen sollten, indem sie die Gebühren bezahlten, die für fliegende Fäuste erhoben wurden. Was soll ich jetzt bloß machen?
Derek musste zugeben, dass es eine gute Idee von William gewesen war, den Cherub geholt zu haben. Rachel erzählte Sampson alles, was sie tat, und auch wenn die Katze in der Wäschekammer eingesperrt war, konnte sie die abendlichen Unterhaltungen mit Zanus belauschen.
Derek ging täglich mit Sampson in den Park, und sie setzten sich auf eine Bank, um sich zu unterhalten. Gott sei Dank konnten sie Gedanken austauschen, sodass Derek nicht laut mit der Katze sprechen musste. Die Leute warfen ihm auch so schon genug amüsierte Blicke zu.
»Genau wie Engel William annahm, Gebieter«, erzählte Sampson Derek. »Es hat etwas mit der Weltwirtschaft zu tun. Das ist alles, worüber sie reden. Ich verstehe das nicht. Sie vielleicht?«
»Nein«, gab Derek zu, »aber offensichtlich tut Erzengel Michael das.
Ich habe das, was du mir erzählt hast, an William weitergegeben, der es Michael weitererzählt hat. Und nein, du wirst dich nicht auf meinen Schoß setzen.«
Derek nahm Sampson, der auf die Bank gesprungen war, und setzte ihn ins Gras.
»Ah, kommen Sie schon, Sir, es ist kalt heute!«, bettelte Sampson.
»Nein.« Derek blieb standhaft.
»Ich mache mir Sorgen, Sir«, sagte Sampson, während er sich hinsetzte und ihn ansah. »Rachel wird immer nervöser, über das, was er von ihr verlangt. Sie isst nicht und kann nicht schlafen. Sie versucht zu widersprechen, aber er hat immer eine raffinierte Antwort für sie parat. Warum töten wir ihn nicht einfach, Sir, und setzen dem ein Ende?«
»Das würde ich auch gerne, glaub mir«, sagte Derek finster. »Aber Erzengel Michael sagt, dass wir noch nicht genügend Informationen über das große Ganze haben - was auch immer das heißt.«
Die Katze leckte ihre Pfote und kratzte sich hinter dem Ohr.
»Ja, richtig. Rachel war gestern Abend so deprimiert und unglücklich, dass sie vergessen hat, mir vor dem Zubettgehen Leberhäppchen zu geben. Ich habe wirklich angefangen, solche Leberhäppchen zu mögen«, fügte Sampson traurig hinzu. »Sie haben die Form von kleinen Fischen. Ich nehme nicht an, dass Sie welche für mich kaufen können?«
»Nein, das kann ich nicht«, sagte Derek in Gedanken versunken.
Engel William hatte von einigen seltsamen Aktionen auf dem weltweiten Finanzmarkt berichtet, aber das war nichts, was sich nicht auch anders erklären ließe. Und doch hatten er und Derek beide das Gefühl, dass das erst die Ruhe vor dem Sturm war. Irgendetwas Schreckliches war im Gange.
»Rachel würde denken, dass es eine nette Geste wäre, mir Leberhäppchen zu kaufen, Sir«, sagte Sampson verschlagen. »Sie hat erst neulich gesagt, wie glücklich sie darüber ist, dass Sie und ich uns verstehen.«
»Hat sie das wirklich gesagt?«, fragte Derek.
»Na ja, nein«, musste Sampson zugeben. »Aber wenn Sie mir die Häppchen kaufen würden, könnte es ja sein.«
Derek kaufte die Leberhäppchen.
Zwei weitere Wochen vergingen. Rachel erfüllte noch eine ganze Reihe von Aufträgen für Zanus' »Freund«. Sie fing an, sich vor den Anrufen der fremden Stimme zu fürchten und verließ den Computer jedes Mal mit feuchten Händen, einem mulmigen Gefühl und der Entschlossenheit, Zanus zu sagen, dass sie das nicht länger machen würde.
Eines Abends, als sie zum Abendessen im berühmten Nick's Fishmarket waren und Zanus wieder davon anfing, wie viel Geld er an diesem Tag gemacht hatte, atmete Rachel einmal tief durch, nahm all ihren Mut zusammen und sagte: »Wir haben eine Menge Geld gemacht. Und bis jetzt ist uns noch niemand auf die Schliche gekommen, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Lass uns jetzt aufhören, wo wir noch einen gewissen Vorsprung haben.«
»Aufhören?«, Zanus lächelte sie an. »Das meinst du nicht ernst.«
»Das meine ich völlig ernst«, sagte Rachel. Sie nahm einen Schluck von ihrem Wein. »Ich glaube nicht, dass ich das noch länger durchhalte.«
»Mein Liebling«, sagte Zanus und streckte seine Hand aus, um die ihre zu drücken. »Bin ich etwa gezwungen, mich bei Mr. Freeman zu beschweren? Soll ich ihm erzählen, dass du mich nicht angemessen behandelst?«
Zanus drückte weiter ihre Hand. Sie zitterte bei seiner Berührung und versuchte, ihre Hand wegzuziehen, aber er hatte sie fest im Griff.
»Was glaubst du, was er dazu sagen würde, mein Schatz?«
Rachel wusste ziemlich genau, was er sagen würde, und ließ das Thema fallen. Denn sie machte Geld. Eine Menge Geld, nicht nur für Zanus und seinen Freund, sondern auch für sich selbst und für die Firma. Mr. Freeman hatte sie neulich regelrecht umarmt, als er sie in der Halle getroffen hatte. Er wäre außer sich, wenn Zanus sich über sie beschweren würde.
Sie würde also weitermachen, zumindest für eine kurze Zeit.
Der nächste Tag war ein Montag. Rachel saß ihre Zeit im Börsensaal ab und ging dann zurück zu ihrem Büro, um die Geschäfte des Tages durchzusehen.
Ihr Assistent fing sie ab, bevor sie ihr Büro betreten hatte.
»Rachel, Mr. Zanus ist in deinem Büro. Freeman hat ihm gesagt, dass er warten kann, bis du wieder zurück bist.«
Rachel verkrampfte sich. Das war ungewöhnlich. Zanus kam niemals in ihr Büro. Er rief sie immer an. Sie fragte sich, was los war.
Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, sah sie Zanus auf ihrem Stuhl an ihrem Schreibtisch sitzen. Aus irgendeinem Grund irritierte sie das.
»Hallo, Kätzchen«, sagte er. »Harter Tag auf der Arbeit?«
Rachel schloss schnell die Tür hinter sich.
Zanus kam zu ihr herüber. Er nahm ihr die Aktentasche von ihrer Schulter und stellte sie auf den Schreibtisch, zog sie dann in seine Arme, wobei er sie fast ein wenig vom Boden hochhob, und küsste sie. Rachel erstarrte in seinen Armen. Zanus befreite sie von dem Kuss, hielt sie aber weiter fest, obwohl sie vorsichtig versuchte, sich von ihm zu lösen.
»Womit habe ich das denn verdient?«, fragte Rachel nervös.
»Damit möchte ich meine Dankbarkeit dafür ausdrücken, dass es eine so wunderbare Frau in meinem Leben gibt«, antwortete er.
»Wirklich?« Sie gab ein gezwungenes Lachen von sich. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du hierhergekommen bist, um mich zu bitten, irgendetwas für dich zu tun.«
Diesmal verstellte sie sich nicht. Sie befreite sich aus seiner Umarmung und ging hinter den Schreibtisch. Allerdings setzte sie sich nicht hin. Zu sitzen, während er stand, hätte ihr das Gefühl gegeben, verletzlich zu sein. Sie wollte ihm auf Augenhöhe begegnen.
Zanus lächelte. »Natürlich hast du recht. Du hast meinen Überraschungsbesuch durchschaut. Es gibt etwas, worüber ich mit dir reden wollte.«
Rachel versuchte, locker zu klingen. »Okay, schieß los.«
Zanus beugte sich zu ihr hinüber und sagte mit leiser Stimme:
»Rachel, was, wenn ich dir sagen würde, dass morgen der Wert des Euro um fünfzig Prozent fallen wird?«
Rachel drehte sich von ihm weg. Die plötzliche Kälte und das harte Funkeln in seinen Augen mochte sie nicht.
»Das kannst du unmöglich wissen!«, sagte sie und versuchte wieder, das mit einem Lachen abzutun. »Keiner kann das.«
»Ich bin nicht darauf angewiesen, dass du mir das glaubst, Rachel«, sagte Zanus kühl. Er legte seine Hand auf die ihre. »Was ich allerdings brauche, ist, dass du morgen früh als Allererstes einige Geschäfte für mich abschließt.«
»Das kann ich nicht machen«, keuchte Rachel. »Das ist illegal. Du weißt, dass ich das nicht machen kann.« Sie versuchte ihre Hand aus seiner zu lösen, aber er hielt sie fest. »Selbst wenn ich glauben würde, was du mir erzählst, kann ich keine Geschäfte aufgrund von nicht öffentlichen Informationen abschließen oder aufgrund von Gerüchten über solche Informationen ...«
Rachel hielt inne und starrte ihn an. Sie glaubte ihm. Es war lächerlich, aber ihr wurde plötzlich klar, dass Zanus genau wusste, wovon er sprach.
»Mein Gott!«, hauchte sie. »Das ist wahr, oder? Aber woher weißt du das? Was ...«
»Das ist meine Sache, Rachel«, sagte er und drückte ihre Hand ganz fest. »Und ich frage dich nicht, ob du das für mich machst, mein Schatz. Ich gebe dir den Auftrag. Hier gibt es keinen Spielraum für Diskussionen.«
Er gab ihrer Hand einen Klaps und nahm wieder auf ihrem Schreibtischstuhl Platz. Er schaute auf seine Fingernägel und runzelte die Stirn, als hätte er sie schlecht manikürt.
»Bedenke, was du schon alles für mich getan hast, Rachel«, sagte er ruhig. »Ich hätte nicht gedacht, dass dich das beunruhigt. Du wirst deinen Anteil an dem Geld natürlich erhalten, wenn es das ist, worüber du dir Gedanken machst.« Rachel konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Was ich vorher für dich getan habe, kann man hiermit überhaupt nicht vergleichen«, erklärte sie ihm. »Das, was du jetzt von mir verlangst, ist etwas völlig anderes. Nicht nur, dass es gegen das Gesetz verstößt. Das könnte weltweit ökonomischen Schaden anrichten. Ganz zu schweigen von der unbedeutenden Tatsache, dass es mich für dreißig Jahre hinter Gitter bringen würde.«
Zanus blickte zu ihr auf. Seine dunklen Augen waren kalt, so kalt, dass ihr das Blut in den Adern gefror.
»Rachel, mein Schatz, ich verliere so langsam die Geduld bei dieser ganzen Diskussion.« Er zuckte die Schultern. »Ich möchte nicht zu deinem Chef gehen und ihm die Belege von den Geschäften, die du für meinen Freund abgeschlossen hast, vorlegen, Belege, die ich im Übrigen sehr sorgfältig aufbewahrt habe. Das würde dich mit ziemlicher Sicherheit deinen Job kosten und dazu führen, dass man dich in der Branche auf die schwarze Liste setzt. Eine Verleumdung wie diese könnte dich deine Karriere kosten.«
Rachel taumelte und war kurz davor zu fallen. Sie klammerte sich an der Kante ihres Schreibtisches fest, um Halt zu finden. Sie konnte nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte. Das war grauenvoll, der reinste Albtraum.
»Warum tust du das?« Rachel starrte ihn völlig entsetzt an. »Das verstehe ich nicht! Du kommst hier herein, küsst mich und jetzt bedrohst du mich auf einmal?«
Zanus erhob sich vom Stuhl und ging auf sie zu. Er versuchte sie in den Arm zu nehmen, aber sie wich zurück.
»Fass mich nicht an«, sagte sie aufgebracht.
»Rachel, Liebling«, sagte er, und seine Stimme war samtweich. »Du nimmst das alles viel zu schwer. Entspann dich. Mach einfach, was ich dir gesagt habe, und alles wird gut. Es wird besser als gut werden, das verspreche ich dir. Das bringt uns Millionen. Ich werde dich zu einer der reichsten Frauen von ganz Chicago machen!«
Rachel drehte ihren Kopf weg, um seinem Blick auszuweichen. Sie merkte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
»Ich weiß, das war ein Schock für dich«, sagte er. »Ich werde dich einen Moment darüber nachdenken lassen. Ich hole dich heute Abend um sieben zum Abendessen ab.«
Und mit diesen Worten schlenderte er aus ihrem Büro und schloss die Tür hinter sich.
Rachel brach hinter ihrem Schreibtisch zitternd zusammen. Sie schluchzte und ließ es für einen Moment zu, die Kontrolle zu verlieren, ballte ihre Hände dann zu Fäusten und versuchte sich zusammenzureißen.
Sie nahm den Telefonhörer und rief ihren Direktionsassistenten an:
»Sagen Sie Mr. Freeman, dass ich mich nicht wohl fühle. Ich gehe für heute nach Hause.«
Das war noch nicht einmal gelogen. Sie hatte sich noch niemals in ihrem Leben so krank gefühlt, nicht einmal während ihrer Lungenentzündung. Rachel zog ihren Spiegel aus der Tasche, trug Puder auf ihre rote und geschwollene Nase auf und wischte sich die verlaufene Wimperntusche ab. Wenn sie das Büro verließ, wollte sie nicht so aussehen, als hätte sie geweint. Dann würden mit Sicherheit Gerüchte die Runde machen. Erst geht Zanus, und dann kommt Rachel verheult aus ihrem Büro. Jeder würde denken, er hätte sie abserviert.
Rachel atmete ein paar Mal tief ein und bereitete sich darauf vor zu gehen.
Sie schaffte es aus der Tür und bis ins Taxi zu kommen, bevor sie wieder zusammenbrach. Sie stammelte die Adresse ihres Hauses.
»Hey, Lady, ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte der Taxifahrer.
Als der Wagen vor dem Haus anhielt, bezahlte Rachel und eilte zu ihrem Apartment. Derek hatte Dienst. Er stand auf und war irritiert, dass sie so früh von der Arbeit nach Hause kam.
»Rachel, was ist los?«
Ohne ein Wort zu sagen, rauschte sie an ihm vorbei. Sie ging die Treppe hinauf, da sie nicht auf den Aufzug warten wollte. Nicht, wenn er sie auf diese Art und Weise anstarrte - so besorgt, so betroffen. Es gab nichts, was er tun konnte. Nichts, was überhaupt jemand tun konnte. Nachdem sie die Tür hinter sich zugeknallt hatte, rannte sie zu ihrem Bett und brach zusammen.
Sie merkte, dass etwas Weiches ihre Schulter berührte. A sie aufblickte, sah sie Sampson. Er berührte sie mit seinen Pfoten, die Krallen eingezogen, und leckte ihr die Tränen von der Wange. Er war so süß und sah sie mit einer solchen Leidenschaft an, dass sie alles aus sich herausschluchzte.
Derek hatte Rachel schluchzen gehört, als sie ins Treppenhaus geflüchtet war. Sofort war ihm klar, dass Zanus ihr irgendetwas angetan hatte. Aber was? Das musste er herausfinden.
»Wenn er sie in irgendeiner Form verletzt hat, dann bringe ich ihn um«, murmelte Derek. »Gesetze hin, Erzengel her.«
Derek war versucht, zu ihrem Apartment hinaufzulaufen und sie zu fragen, was los war. Er zwang sich selbst zur Ruhe. Das Gefährlichste, was ein Krieger tun konnte, war, in Rage und kopfüber in eine Schlacht zu rennen. Wut machte einen Mann blind und für den Feind angreifbar. Derek musste kühl, besonnen und diszipliniert an diese Sache herangehen. Er musste einen Plan haben.
Derek starrte auf die Uhr und gab sich eine halbe Stunde, lang genug, um es plausibel erscheinen zu lassen. Dann ging er zu Rachels Tür und lauschte für einen Moment, um herauszufinden, ob er irgendwas von drinnen hören konnte.
Stille. Das war schlimmer als das Zertrümmern von Gegenständen oder hysterisches Weinen. Er musste wissen, ob sie okay war.
Derek klopfte vorsichtig an die Tür. Zuerst fürchtete er, sie würde nicht antworten, aber dann hörte er sie.
»Wer ist da?« Ihre Stimme klang gedämpft.
»Ich bin's, Derek. Entschuldigen Sie, dass ich Sie störe, aber es wird Zeit, mit der Katze Gassi zu gehen.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann öffnete sich die Tür.
Rachel stand dahinter, sodass er Schwierigkeiten hatte, sie zu sehen.
Was er von ihr sehen konnte, sah schrecklich aus. Ihr Gesicht war aufgequollen, ihre Augen waren rot und fast zugeschwollen. Sie hatte Sampson geholt und jetzt schob sie die Katze und das Halsband durch die Tür in Dereks Arme.
»Sind Sie okay?«, fragte Derek und griff unbeholfen nach Sampson.
»Entschuldigen Sie, Derek, ich kann jetzt nicht reden.« Rachel schlug die Tür zu.
Einen Augenblick später öffnete sie sie noch einmal, warf Sampsons Leine hinaus und schloss sie wieder.
Derek hielt sich nicht mit der Leine auf. Mit der Katze auf dem Arm rannte er zum Aufzug. Er bemerkte, dass Sampsons Fell nass war, und vermutete, dass das Rachels Tränen waren. Er ging vor dem Haus mit der Katze auf und ab, so konnte er die Dinge im Auge behalten.
»Sie hat mir alles erzählt, Sir«, sagte Sampson und spuckte vor Empörung. »Zanus erpresst sie. Er möchte, dass sie morgen im Börsensaal etwas wirklich Schlimmes macht. Etwas, das mit dem Euro zu tun hat. Ich verstehe das nicht, aber hören Sie zu, was sie mir erzählt hat.«
Sampson erzählte Derek die Details und fügte dann hinzu: »Nach dem, was Rachel sagt, könnte das verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben! Das könnte Aufstände und Rebellionen auslösen. Und sogar einen Krieg im großen Stil ...«
»Du meinst nicht verheerend«, sagte Derek. »Du meinst apokalyptisch.«
»Ich denke, das ist es, Derek. Das ist der große Coup. Sie hat ihm gesagt, dass sie das nicht machen würde, aber er hat ihr gedroht, dass schlimme Dinge passieren würden, wenn sie nicht mit ihm kooperiert. Ich weiß nicht, was sie machen wird. Sie wird ihn heute Abend treffen, um ihm ihre Antwort mitzuteilen.«
»Das ist es, worauf er hinauswollte«, sagte Derek. »Das ganze andere Zeug war nur dazu da, sie mit rein zuziehen. Verdammt, Erzengel Michael, lass das nicht zu weit gehen!«
»Wir können ihn beseitigen, Gebieter«, sagte Sampson. Er brachte seine Pfoten zum Vorschein und zeigte seine Krallen.
»Ich habe Befehle«, sagte Derek verdrießlich. »Ich muss Engel William davon in Kenntnis setzen. Er wird entscheiden, was zu tun ist.«
»Ist das alles, Sir?« Sampson starrte ihn an. »Sie werden direkt zu Ihrem Vorgesetzten rennen? jetzt ist es an der Zeit zu kämpfen, nicht zu reden. Ich dachte, Sie wären ein Krieger!«
»Offensichtlich nicht mehr«, sagte Derek verbittert. »Komm. Du gehst jetzt besser zurück. Zumindest einer sollte im Moment bei ihr sein. Und ich muss los, um William davon zu erzählen.«
»Okay, Sir«, sagte Sampson.
Derek brachte die Katze nach oben, blieb aber vor der Tür stehen.
»Sampson, versprich mir etwas.«
»Katzen machen keine Versprechungen, aber ich werde darüber nachdenken. Was wollen Sie, Sir.«
»Benachrichtige mich umgehend, wenn irgendetwas schiefläuft.
Auch wenn du nicht genau weißt, was es ist. Ich muss wissen, wenn sie in Gefahr ist.«
Es gab eine lange Pause, dann sagte Sampson düster: »Derek, Rachel ist jetzt in Gefahr.«
Rachel antwortete nicht, als er klopfte, also öffnete er leise die Tür.
Sie war auf der Couch eingeschlafen und hatte noch die feuchten Papiertaschentücher in der Hand. Weil er sie nicht stören wollte, setzte er nur die Katze ab und legte die Leine auf den Küchentisch.
Sampson sprang auf die Couch und wachte über Rachel, während sie schlief.
»Pass auf sie und auf dich selber auf«, warnte Derek die Katze.
»Zanus wird vor nichts zurückschrecken.«
Sampson kuschelte sich in Rachels Arme.
Derek ging, um William zu suchen. Er würde wahrscheinlich gefeuert, wenn der Manager mitbekommen würde, dass er seinen Arbeitsplatz einfach so verlassen hatte, aber das spielte im Augenblick keine Rolle. Nach einem langen Spaziergang durch Teile von Chicago, deren Existenz niemand gerne zugab, fand er William mit vielen anderen Obdachlosen unter der Fullerton-Street-Brücke.
Der Engel spielte Craps.
FÜNFZEHN
Ich fühle es, dass als Nächstes ein Zweierpärchen fällig ist, Jungs!
Was sagt ihr, zwei oder nichts?«, rief William. Mehrere Obdachlose in der Menge platzierten ihre Wetten, indem sie Münzen und Dollars auf den Bürgersteig warfen. Dann versammelten sich alle um William, um seinen Wurf zu beobachten.
Er streckte seine rechte Hand in die Luft, schüttelte die Würfel und warf sie gegen die Wand. Er starrte sie erwartungsvoll an, als sie auf der Straße aufprallten. Ein Viererpärchen kam heraus.
William stöhnte und schüttelte seinen Kopf. Jubelrufe kamen aus der Menge. »William?«, rief Derek erstaunt. Der Engel sprang auf.
»Oh, hallo, Derek.« William grinste einfältig und stopfte seine Hände in die Taschen.
»Lässt du dich etwa auf Glücksspiele ein?«, fragte Derek.
»Okay, ja, du hast mich dabei erwischt, aber ich spiele nicht wirklich«, versicherte William schnell Er drängte sich näher an Derek heran, griff ihn beim Kragen und flüsterte: »Siehst du, die Würfel sind gezinkt.«
»Du bescheißt diese Leute?«, fragte Derek entsetzt.
»Nein, nein, nein«, sagte William eilig. »So ist es nicht!« Er lächelte stolz. »Ich verliere immer! Die Leute hassen Barmherzigkeit, aber sie lieben die Verlierer. Abgesehen davon mache ich Würfelspiele so gerne«, fügte er wehmütig hinzu. »Und es ist Jahre her, dass ich gespielt habe. Da oben ist das ja nicht erlaubt, wie du weißt.« Er wandte seinen Blick zum Himmel.
»Wenn ich dich für einen Moment von deinem Spiel losreißen könnte ... ich muss mit dir reden. Es gibt Neuigkeiten«, sagte Derek.
»Ja, sicher.« William zog ein wenig Geld aus seiner Tasche, warf es auf den Boden und folgte Derek den Weg hinunter. »Was hast du gehört?«
»Zanus macht seinen Coup. Er erpresst Rachel, indem er von ihr verlangt, morgen an der Börse etwas Illegales für ihn durchzuziehen.
Ich verstehe das allerdings nicht ...«
»Erzähle mir alles, was du weißt«, sagte William.
Derek erklärte ihm, was er von Sampson gehört hatte. William nickte und schaute sehr ernst drein.
»Das ist wirklich besorgniserregend, Derek. Du hattest völlig recht, als du sagtest, dass das apokalyptisch ist. Wird sie es tun? Weißt du das?«, fragte William eindringlich.
»Sie weiß noch nicht, wie sie sich verhalten wird.« Derek schüttelte den Kopf. »Er hat ihr gesagt, dass er ihre Entscheidung heute Abend erwartet. William, es zerreißt sie. Wir müssen etwas unternehmen.«
Derek ballte die Fäuste. Es war ganz offensichtlich, was er am liebsten getan hätte.
»Wir unternehmen ja etwas, Derek«, sagte William ernst. »Du und Sampson, ihr werdet eure Überwachungsposition beibehalten. Wir können uns da nicht einmischen. Im Moment jedenfalls nicht. Sie muss diese Entscheidung ganz alleine treffen.« William kratzte sich am Bart und seufzte tief.
Derek starrte ihn an. »Was meinst du damit, dass wir uns nicht einmischen können? Ich muss ihn aufhalten, und vor allem muss ich sie aufhalten.«
»Derek, beruhige dich«, sagte William in scharfem Ton. »Hör mir zu. Unsere Mission hier ist nicht, die Schlacht zu gewinnen, sondern den Krieg. Wir müssen wissen, wer da noch alles involviert ist. Ein Erzfeind stellt so etwas nicht alleine auf die Beine. Wir müssen herausbekommen, mit wem Zanus zusammenarbeitet, und dann können wir sie alle niedermachen. Verstehst du das?«
»Nein, das verstehe ich nicht!«, gab Derek wütend zurück. »Rachel ist in Gefahr. Was, wenn sie sich weigert, William? Sie wird ihren Job verlieren, vielleicht sogar ins Gefängnis gehen oder noch schlimmer.
Zanus wird ein Nein als Antwort nicht akzeptieren. Er würde sie möglicherweise töten, um Himmels willen ...«
»Gebrauche deinen Verstand, Derek!«, mahnte William. »Er wird ihr keinen körperlichen Schaden zufügen. Er ist auf ihre Kooperation angewiesen. Er versucht, sie einzuschüchtern, um sie dazu zu zwingen.«
Derek schüttelte seinen Kopf, er war davon nicht überzeugt. »Wir sollten ihn vernichten ...«
»Das können wir nicht. Nicht jetzt. Du hast das große Ganze nicht im Blick. Du siehst nur einen kleinen Teil davon. Der Himmel weiß, was er tut.«
»Das habe ich früher schon einmal gehört«, erwiderte Derek. »Als die Inquisition mir auf der Folterbank die Knochen gebrochen hat.«
»Derek, du hast dich da persönlich mit reinziehen lassen«, sagte William ernst. »Ich habe dich davor gewarnt. Ich werde dich doch wohl nicht absetzen müssen? Ich möchte das nämlich eigentlich nicht.« Seine Stimme wurde ein wenig sanfter. »Bis jetzt war deine Arbeit unbezahlbar, all die Informationen, die wir gesammelt haben
... Aber ich werde es tun, wenn du mich dazu zwingst.«
Derek sah ihn finster an. Seine Fäuste waren immer noch geballt. Er schaute auf William, aber alles, was er sah, war Rachel, elend und unglücklich. Er konnte ihre Tränen immer noch in Sampsons Fell spüren.
»Ja, ich bin persönlich involviert«, sagte Derek mit stiller Würde.
»Ja, ich liebe sie. Aber ist es nicht die Liebe, die der Himmel über alles stellt?«
Er drehte sich auf dem Absatz um und ging weg. Er konnte spüren, dass William ihm hinterherblickte. Er konnte das Mitgefühl des Engels spüren und auch seine Sorge.
»Keine Sorge«, rief Derek ihm über seine Schulter zu. »Ich werde gehorchen. Ich habe bereits mehrere hundert Jahre gehorcht. Ich werde jetzt nicht damit aufhören.«
Frustriert ging er zum Haus zurück und bezog seinen Posten wieder. Er konnte nichts weiter machen als sitzen, beobachten und warten. Er hatte das Gefühl, als läge er wieder ausgestreckt auf der Folterbank.
Die bekannte schwarze Limousine hielt vor dem Haus. Derek wartete gespannt darauf, dass Rachel aus dem Aufzug kommen würde, aber sie tauchte nicht auf. Seine Brust schwoll vor Stolz und Bewunderung an. Sie kommt nicht, Sie wird das nicht durchziehen. Also kannst du einfach abhauen, Mr. Erzfeind. Geh zurück auf deinen Platz am Feuer ...
Die Tür der Limousine wurde geöffnet. Zanus stieg aus. Sein Gesicht war dunkel und hässlich, seine Lippen zusammengepresst.
Zanus betrat das Gebäude und ging zu Dereks Rezeption.
»Rufen Sie Ms. Duncan an, und sagen Sie ihr, dass ich hier bin«, befahl Zanus ihm.
Derek war versucht, das Telefonkabel zu nehmen, es dem Erzfeind um den Hals zu legen und ihn damit zu erwürgen -ganz langsam. Er hatte versprochen zu gehorchen, und als braver Soldat würde er das auch tun. Abgesehen davon hatte er das Gefühl, dass er das hier genießen würde.
»Wer, soll ich sagen, ruft an?«, fragte er freundlich.
»Sie wissen genau, wer ich bin«, sagte Zanus kalt. »Und in Ihrem eigenen Interesse sollten Sie tun, was ich Ihnen gesagt habe.«
Derek rief in Rachels Apartment an.
»Ms. Duncan, hier spricht Derek. Sie haben einen Gast, der unten in der Lobby auf Sie wartet.«
Er hörte, wie sie ein würgendes Geräusch von sich gab. Dann atmete sie einmal tief ein und sagte: »Sagen Sie Zanus, dass ich mich nicht wohl fühle. Ich kann heute Abend nicht mit ihm essen gehen.«
Sie legte wieder auf.
Derek musste ein Lächeln unterdrücken, als er Zanus die Nachricht übermittelte.
»Mr. Zanus, Ms. Rachel lässt ausrichten, sie bedauert es sehr, aber sie ist krank und kann heute Abend nicht mit Ihnen ausgehen. Ich nehme an, dass Sie dann jetzt wieder gehen wollen?«, fügte Derek hinzu und stand auf. »Lassen Sie mich Ihnen die Tür aufhalten ...«
Zanus' Miene verdunkelte sich. »Den Teufel wird sie tun!«, nuschelte er. Er drängelte sich an Derek vorbei, ging aus dem Haus, blieb unter dem Vordach stehen und klappte sein Handy auf.
Er sprach kurz in sein Handy, ging dann zum Wagen zurück. Derek erwartete, dass er losfahren würde, aber er blieb stehen.
Er fing an, sich Sorgen zu machen. Fünfzehn Minuten später kam Rachel aus dem Aufzug. Sie sah blass und krank aus.
Derek stand auf. Er wollte ihr so gerne sagen, dass sie das nicht tun musste. Sie musste nur ein Wort sagen, und er würde für sie dem Himmel selbst die Stirn bieten.
»Rachel ...«, sagte er sanft.
Sie schüttelte nur ihren Kopf und schritt an ihm vorbei. Sie beschleunigte ihren Schritt, so als würde sie befürchten, dass sie es sich noch anders überlegen könnte, wenn sie langsamer gehen würde.
Wir holen dich da raus, Rachel, versprach Derek ihr leise. Sei einfach stark. Es wird alles gut.
Er blieb auf seinem Posten, bis sie wieder zurückkamen, denn er wollte sich davon überzeugen, dass Rachel sicher nach Hause kommen würde.
Früher als gewohnt fuhr der Wagen vor dem Haus vor. Rachel stieg aus und ging auf die Eingangstür des Hauses zu Sie sah sich nicht um, also konnte sie nicht sehen, dass Zanus auf der anderen Seite ausstieg. Derek ging hinüber zur Tür und hielt sie auf.
Zanus tauchte hinter ihr auf und packte Rachel am Arm »Ich denke, du solltest dir das noch einmal überlegen ...«
Rachel drehte sich um. Sie war extrem blass, aber sie hatte sich unter Kontrolle. »Wir haben das doch bereits ausführlich besprochen.
Ich bin nicht bereit, diese Diskussion weiterzuführen. Bitte lass mich in Ruhe. Ich fühle mich nicht besonders, und ich muss morgen früh aufstehen.«
Zanus hielt sie aber weiter fest. Sein Ausdruck war finster
»Dann lass mich mit dir hinaufkommen. Ich möchte sicher sein, dass du okay bist.«
»Ich bin ganz gut in der Lage, auf mich alleine aufzupassen«, erwiderte Rachel. In ihren Augen schimmerten Tränen, aber sie blinzelte sie weg. »Bitte, lass mich gehen.«
Rachel stellte einen Blickkontakt zu Derek her. Das war genau das Signal, das er brauchte. Derek ging nach draußen und legte seine Hand auf Zanus' Arm.
»Ms. Duncan hat sie gebeten, sie in Ruhe zu lassen«, sagte Derek.
»Rachel, ich bestehe darauf ...«, sagte Zanus und redete an Derek vorbei weiter mit Rachel.
»Ich glaube, Ms. Duncan hat Sie gebeten zu gehen, Sir,« sagte Derek noch einmal. Dann verpasste er Zanus' Arm eine geschickte Drehung. Zanus ächzte vor Schmerzen und ließ Rachel los. Sie flüchtete ins Haus. Zanus starrte Derek konzentriert an. Die schwarzen Augen des Feindes fixierten ihn unheilvoll.
»Das ist nicht deine Angelegenheit, Junge«, sagte Zanus barsch und fing an, Derek aus dem Weg zu schubsen. »Glaube mir«, sagte der Feind. »Du willst das nicht zu deiner Angelegenheit machen.«
»Im Gegenteil«, stellte Derek ruhig fest. »Es ist meine Aufgabe, die Bewohner dieses Hauses zu beschützen. Einer dieser Bewohner hat Sie gerade gebeten zu gehen. Entweder Sie tun das jetzt selber, oder ich schätze mich glücklich, Sie dabei zu unterstützen. Mehr als glücklich.«
Rachel befand sich jetzt in dem Haus. Allerdings war sie noch nicht in ihr Apartment hinaufgefahren. Sie stand noch in der Lobby.
Zanus hielt für einen Moment inne, so als wäre er dabei, die Situation abzuschätzen. Er starrte Derek aufmerksam an und rief dann über dessen Schulter in Rachels Richtung:
»Liebling, es tut mir leid, wenn ich dich durcheinander gebracht habe. Bitte schlafe dich heute Nacht erst einmal richtig aus. Morgen ist ein großer Tag«, sagte er bedeutungsvoll. Dann wandte Zanus seinen Blick Derek zu, der ihn immer noch fest im Griff hatte.
»Ich weiß, wer du bist, Commander«, sagte Zanus mit sanfter Stimme, seine Worte waren nur für sie beide bestimmt. »Und du solltest darüber nachdenken, auf unsere Seite zu wechseln.« Er blickte verachtungsvoll auf Dereks Uniform. »Die Spesenkonten sind besser.«
Er riss sich von Derek los und ging die Stufen hinunter zu der offenen Wagentür. Derek blieb stehen, wo er war, bis der Wagen davonfuhr.
»Er ist weg«, sagte Derek. Er drehte sich um, ging zu Rachel und berührte sanft ihre Schulter.
»Haben Sie keine Angst«, sagte Derek. »Ich werde die ganze Nacht hier bleiben. Er wird Sie nicht belästigen.«
»Danke«, sagte Rachel gebrochen.
Sie sah so aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen, deshalb sagte Derek: »Ich bringe Sie zu Ihrem Apartment.«
»Ich kann allein gehen«, protestierte sie. »Sie müssen mich nicht tragen ...«, sagte sie und lächelte schwach. »Das gehört nicht wirklich zu den Pflichten eines Portiers.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Derek und hielt sie noch ein wenig fester. »Haben Sie das Handbuch für Portiers gelesen? Das Kapitel
>Ohnmächtige Frauen in ihre Apartment tragen<?«
Sie versuchte zu lächeln, aber ihre Lippen zitterten. »Oh Derek, ich habe etwas Schreckliches getan. Ich bin in ziemlichen Schwierigkeiten, und es gibt keine Möglichkeit, da wieder raus zukommen.« Eine Träne lief ihr die Wange hinunter.
»Doch, die gibt es«, sagte er, und ihr Kummer berührte sein Herz.
»Sagen Sie mir, was ich tun kann.«
»Sie können gar nichts tun«, sagte sie in verzweifeltem Ton.
»Niemand kann das. Da habe ich mich selber reingeritten.«
Sie schloss die Augen und legte ihren Kopf an seine Schulter. Sie schluchzte nicht. Sie weinte leise, und das war viel schlimmer. Er beobachtete, wie ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen. Er spürte ihre Wärme, spürte das Zittern ihres Körpers an seinem. Er roch den Duft ihrer Haare, die seine Wange berührten, und spürte ihre weichen Brüste, die sich an seinen Körper pressten. Er wurde überwältigt von Verlangen und Liebe und Mitleid und Wut, sodass es sich für einen Moment so anfühlte/als würde sein Herz vor Schmerz zerreißen. Dem Schmerz des Verlangens. Dem Schmerz der Enttäuschung.
Diese Wut hatte er nicht mehr empfunden, seit Gott ihn vor so langer Zeit verlassen hatte. Wenn er es gekonnt hätte, wäre er in diesem Augenblick in den Himmel gestürmt und hätte sich wütend vor den Thron des Herrn gestellt und den Himmel verflucht.
Das konnte er jedoch nicht. Das würde die Dinge nur noch schlimmer machen. Und außerdem konnte er Rachel nicht alleinlassen.
Er begleitete sie zu ihrem Apartment, wobei er den Arm um sie legte und sie stützte. Sie sagte nichts, aber es schien, als würde sie sich in seiner Nähe wohl fühlen. Als sie an ihrer Tür ankamen, sah sie zu ihm auf.
»Danke, Derek. Sie haben sich als ein echter Freund erwiesen. Sie sollen wissen, dass ich das sehr schätze.«
Sie steckte ihren Schlüssel ins Schloss.
»Lassen Sie mich Ihnen helfen«, sagte er.
Sie drehte sich um und sah ihn an. »Das tun Sie doch«, sagte sie.
»Einfach dadurch, dass Sie da sind.«
Sie öffnete die Tür. Derek wartete draußen, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war.
Sampson war da. Er hatte die Krallen ausgefahren, den Rücken gekrümmt, den Schwanz wie eine Flaschenbürste nach oben gerichtet und war bereit anzugreifen.
»Alles in Ordnung, Sampson«, sagte Rachel und bückte sich, um die Katze auf den Arm zu nehmen. »Es ist Derek. Nicht Zanus.«
Sie rieb ihre Wange an Sampsons Kopf. »Man sagt, dass Tiere gute Menschenkenner sind. Sampson hat Zanus noch nie gemocht. Ich hätte es wissen müssen.«
»Versuchen Sie, ein wenig zu schlafen«, riet Derek ihr.
Rachel schüttelte den Kopf. »Ich bin so durcheinander, dass ich nicht sicher bin, ob ich das kann. Außerdem muss ich eine Entscheidung treffen. Gute Nacht, Derek. Danke noch mal.«
Sie schloss die Tür.
Sampsons Stimme ertönte in Dereks Kopf. »Wird Rachel heute Nacht sicher sein?«, fragte Sampson ängstlich.
»Ich hoffe«, sagte Derek und seufzte. »Ich weiß es allerdings nicht.
Sie hat Zanus gesagt, dass sie nicht zustimmen wird, aber er hat sie ziemlich fest im Griff. Ich bin nicht ganz sicher, was sie machen wird.«
»Und was machen wir!«,, fragte Sampson.
»Unsere Befehle lauten, dass wir nichts tun sollen«, sagte Derek grimmig.
»Na gut, wenn wir nichts tun sollen, gibt es dann irgendjemanden, der etwas unternimmt?«, fragte Sampson. »Das hoffe ich«, sagte Derek. »In der Tat hoffe ich das.«