III
Es stimmte, Mama konnte Ja-oder-Nein-Fragen beantworten, aber sie wußten ja nicht, was sie sie fragen sollten. Und mehr konnte sie nicht sagen.
Katie hatte David von den »Doppelvisionen«, erzählt, die sie gehabt hatte. Jenes Aufblitzen von Bergwiese, Dorf und schneebedeckter Bergkette im Hintergrund. »Wie ein Bild aus einem Buch. Beide Male war es … beide Male war es wie aufgepfropft auf das, was ich tatsächlich sah. Und es war ganz schnell wieder verschwunden.«
»Machen wir einen Versuch«, schlug David vor. »Beschreibe das Bild deiner Mutter.«
Katie befolgte seinen Rat.
»Erkennst du es?« fragte David die Gelähmte. »Bedeutet es für dich etwas?«
Mamas Augen verdunkelten sich in einem in die Ferne gerichteten Blick.
Sie blinzelte einmal, ganz betrübt.
»Du kennst es?«
Ja.
Was nun?
David hatte eine Idee. »Katie, es wird dir nicht behagen, aber ich muß es früher oder später herausbekommen. Mama«, fragte er und sah Katrin in die Augen, »hast du Angst vor deinem Mann?«
»David!« rief Katie erschrocken und verwundert aus. Aber sie mußte sich eingestehen, daß diese Frage, mochte sie auch unangenehm sein, ihr auch schon in den Sinn gekommen war.
Tränen stiegen Mama in die Augen, und sie blinzelte.
Katie wollte es nicht glauben. Sie fühlte sich schuldig und warf einen Blick aus dem Fenster. Ihr Vater stand auf einer Leiter neben dem Getreidespeicher und besserte das Dach aus. Sie sah zurück zum Bett. War es möglich, daß Bates recht hatte? Daß Mamas Verstand seit dem Schlaganfall nicht mehr normal funktionierte? Sie konnte sich nicht vorstellen, daß ihr Vater Mama etwas Böses zufügen wollte. Sie sah keinen Grund dafür. Oder gab es doch einen? Schließlich hatte Mama mit Ja geantwortet.
»Das dachte ich mir«, sagte David leise und sah Katie an.
»Wir wissen nicht …«, setzte Katie an.
»Jetzt hör zu. Wir machen weiter, ja?« fragte er Mama. »Und warum hast du Angst?«
Mama ließ die Lider flattern, gefangen in ihrer Wortlosigkeit. Dann ließ sie den Blick über die Zimmerdecke wandern, von einer Ecke zur anderen. Wie damals am Abend ihrer Ankunft, und auch nachher, diesmal aber gefaßter und maßvoller.
Sie hielt inne und sah die beiden hoffnungsvoll an.
Und sie begriffen nicht.
»Es muß mit der Decke zu tun haben«, sagte David und setzte sich. »Und mit dem Fotoalbum oder mit einem Bild darin. Hat es damit zu tun, Mama?«
Ja.
»Und mit den Bergen, die Katie sah?«
Diesmal drückte Mamas Blick Zweifel aus, aber dann blinzelte sie. Ja.
»Wußte Aggie Jensen, was da vorgeht?« fragte David weiter.
Mama zwinkerte.
Achtung. Reg sie nicht auf, mahnte Katie David mit einem Blick. Mama wußte ja nicht, was Aggie zugestoßen war.
»So, so …« David dachte nach. Aggie hatte etwas gewußt, und jetzt war Aggie nicht mehr da. Was immer es war, es schien dabei allerhand auf dem Spiel zu stehen. Möglicherweise war es sogar jemand einen Mord wert.
Er holte das Album aus der Schublade und blätterte es von neuem durch. Aber wieder reagierte Mama einzig und allein auf ihr eigenes Bild, das, auf dem sie bereits weiße Haare hatte. Mamas Blick wechselte zwischen dem Bild und Katie hin und her.
Aber Katie konnte in dem Bild keinen Sinn entdecken.
»Und wie steht es mit diesem sonderbaren schleifenden Geräusch?« fragte Kate. »Ich habe es in der ersten Nacht gehört. Hat es eine Bedeutung?«
Mit der Erwähnung und gleichzeitigen Erinnerung an das Geräusch blitzte bei Katie auch eine andere Erinnerung auf. An etwas Entsetzliches, das sich schnell bewegte, das schrie. Doch verschwand diese Erinnerung wieder im Unterbewußtsein, bevor sie sie richtig zu fassen bekam.
Mama schien nachzudenken. Schließlich blinzelte sie einmal zögernd.
»Du sagtest, dein Vater hätte die Heizungsröhren gereinigt«, warf David ein. »Stimmt das?«
»Er behauptet es -«
Mama machte ein verwirrtes Gesicht.
»Sie schlief, als es passierte«, erklärte Katie.
Sie kamen nicht weiter, und Mama war sichtlich müde.
»Ich mache dir etwas zu essen, ehe du einschläfst«, sagte Katie. Sie vergewisserten sich, daß sie bequem lag, und gingen in die Küche.
»Man kann nicht leugnen, daß sich hier etwas tut«, sagte David. »Etwas sehr Undurchsichtiges.«
Katie nickte. Sie holte eine Suppenkonserve, Milch und Brot aus dem Schrank. David lief in Gedanken versunken auf und ab.
»Aber wir kennen die Fragen nicht, die wir ihr stellen müßten. Wir wissen zu wenig.«
»Mit Ja und Nein kommt man nicht weit.«
»Es würde reichen. Wenn wir nur wüßten, was wir sie fragen sollen.«
»Wir wissen es nicht.«
»Noch nicht jedenfalls. Ich bin aber sicher, daß alles irgendwie zusammenhängt. Die Geräusche. Butch. Aggie. Alles übrige.«
»Aber, David. Wie denn? Alles? Die Vorfälle können einfach keinen Zusammenhang haben …«
»Wir werden ja sehen.« Er ging an die Kellertür und rüttelte an der Klinke. »Warum ist sie dauernd verschlossen?«
»Papa sagte, er wolle verhindern, daß Aggie überall im Haus herumschnüffelt.«
David lachte kurz auf. »Na, jemand hat dafür gesorgt, daß sie es bestimmt nicht mehr tut.« Das klang überaus zynisch.
Er faßte wieder nach der Klinke. »Ein massives Schloß. Und hier hast du die Geräusche gehört?«
»Nur beim zweiten Mal. Beim ersten Mal kam es von überallher durch die Heizungsrohre. Beim zweiten Mal war es sehr schwach.« Sie überlegte.
»Vielleicht war es beim zweiten Mal nur Einbildung.«
»Das möchte ich bezweifeln. Laß mich nicht vergessen, deinen Vater diesbezüglich auszufragen. Wenn er mich nicht hinunter in den Keller läßt, dann wissen wir, daß da unten etwas los ist.«
Katie war da nicht so sicher. Nein, Vater würde für David auf keinen Fall aufschließen, gleichgültig, was da unten war. »Papa ist noch immer der Alte, und außerdem ist er im Moment wütend auf dich.«
»Ein grober Klotz«, sagte David. »Aber das war er ja schon immer.«
Mama war fast eingeschlafen. Dennoch setzten sie die Kranke auf und flößten ihr ein paar Löffel Suppe ein. Dabei wurden sie vom Gerumpel der Brückenbohlen aufgeschreckt. Old Robert kläffte.
»Verdammt. Das wird doch nicht wieder der verrückte Bates sein«, murmelte David.
Diesmal nicht. Es war ein Cadillac, der auf den Hof rollte, schwarz und schimmernd. Die Ähnlichkeit mit einem Leichenwagen war fatal, als er schimmernd und makellos dastand, von Ministrantenscharen blankpoliert. Es war Reverend Mauslocher, der, wie angedroht, »mal vorbeischauen« wollte.
Der Reverend unterhielt sich mit Papa minutenlang draußen neben dem Wagen. Katie und David beobachteten die Szene vom Küchenfenster aus. Papa stand respektvoll stramm, während der großgewachsene Geistliche wild gestikulierte, mal aufs Haus deutete, dann wieder auf Papa. Old Robert sprang wiederholt an dem Besucher hoch, der schließlich Notiz davon nahm und den zerzausten alten Kopf tätschelte.
Sie sprachen leise miteinander, und nur hin und wieder flog dem jungen Paar ein Wort oder ein Satzfetzen zu.
»… Opfer«, hörten sie Papa sagen, » … es wird klappen.«
Der Pfarrer nickte. »Sie wird …«
»… hier. Der Schlüssel ist …«
»Das ist das Wichtigste. Sie …«
»… die einzige, die nicht …«
»Mein Gott«, flüsterte Katie. »Die beiden … was ist denn da los? Worüber die sich wohl unterhalten?«
David legte den Arm fest um sie. Sie spürte seine Unruhe.
»Es ist fast so, als heckten sie einen Plan aus«, stieß er atemlos hervor.