Kapitel 20
Mühsam brachte Connor den Wagen zum Stehen, als wir vor Mitchs und Stacys Haus ankamen. Die Bremsen hatten seit unserem wilden Ritt den Hügel hinab einfach keinen rechten Biss mehr. Komisch, oder? Aber eigentlich wunderte mich nur, dass wir die Kutsche nicht mit eingestemmten Fersen ausbremsen mussten wie bei Familie Feuerstein.
Als wir schließlich standen, taumelte Connor aus dem Auto und lehnte die Stirn an den nächstbesten Baum. »Ich sterbe«, stöhnte er.
»Nein, du stirbst nicht.« May krabbelte über die Rücklehne nach vorn und stieg dann zur Fahrertür aus. »Kannst mir ruhig glauben. Damit kenne ich mich aus.«
Ich schnallte mich ab und sah die beiden mahnend an. »Leute! Tarnung!« Der Bannspruch der Luidaeg verbarg uns zwar vor neugierigen Blicken, aber ich war nicht sicher, ob er auch außerhalb des Autos wirkte.
»Ach ja, natürlich.« May schnipste kurz mit den Fingern und war sofort perfekt getarnt. Sie sah zwar immer noch wie ich aus, aber jetzt war sie ich als Mensch. Ich hatte mein menschliches Selbst noch nie so von außen gesehen, und irgendwie war das noch unheimlicher, als in mein echtes Gesicht zu schauen. Ein Schutzbann ist etwas sehr Persönliches, und normalerweise klauen wir ihn einander niemals.
Connor ächzte und wedelte mit einer Hand, ohne den Kopf zu heben. Die Luft um ihn herum schillerte leicht, die Schwimmhäute an seinen Fingern verschwanden, und sein weiches Kopffell wurde drahtiger, bis es wie Menschenhaar aussah. »Zufrieden?«
»Ja«, erwiderte ich, langte über die Sitzlehne nach hinten und strich Jessica die Haare aus dem Gesicht. »Na komm, Süße. Es ist so weit.«
Jessica sah mich an, dann aus dem Fenster. »Das ist unser Haus.«
»Ganz genau.« Andrew, eng an Spike gekuschelt, war fest eingeschlafen, die beiden bildeten ein gottvolles Knäuel. Der Anblick war so niedlich, das es beinahe wehtat, wäre Spike nicht so – nun ja, stachelig gewesen. »Komm schon, Andy, wach auf«, sagte ich und rüttelte ihn. Spike öffnete seine neongelben Augen und zirpte. »Ja, ich weiß, ich störe euch. Jetzt komm hoch.«
»Andy steht nicht gern auf«, bemerkte Jessica.
»Ich merk’s schon. Kannst du ihn dazu bringen?«
»Klar.« Sie griff zu, stemmte ihr Knie gegen seinen Po und zerrte ihn in aufrechte Sitzposition. Er gab ein Murmeln von sich und versuchte sich prompt wieder hinzulegen. »Nein, Andy. Auf jetzt!« Er knurrte ein bisschen, leistete aber keinen Widerstand mehr. Faszinierend, wie Leute so sind. Jessica hatte sich bei dieser ganzen Zerreißprobe als weitgehend nutzlos erwiesen, aber sobald sie ihren kleinen Bruder handhaben sollte, war sie ein Ausbund an Effizienz. Das würde ich mir merken müssen – für den Fall, dass uns wieder mal ein Möchtegern-Gott entführte.
Raj lehnte sich an die Sitzlehne und sah zu, wie Jessica ihr Brüderchen aus dem Wagen nach draußen bugsierte. »Bringt ihr als Nächstes uns nach Hause?«
»Ja, das machen wir«, sagte ich.
»Meine Eltern werden froh sein.«
»Da bin ich sicher.« Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und hielt inne, als mir bewusst wurde, dass meine Tarnung nicht aktiviert war. Zwar war ich ziemlich sicher, dass uns bislang niemand gesehen hatte – das bewies schon der Umstand, dass Mitch und Stacy noch nicht aus dem Haus gestürzt kamen. Aber nun hatte ich ein neues, viel simpleres Problem: Wie konnte ich sicherstellen, dass sie mich möglichst überhaupt nicht zu Gesicht bekamen?
Mit meiner plötzlichen zweiten Jugend würde Stacy vielleicht noch klarkommen, vor allem, wenn ich ihr ihre Kinder zurückbrachte – sie kann noch bei den heikelsten Angelegenheiten unglaublich pragmatisch sein. Aber ich glaubte nicht, dass ich ihr May zumuten konnte. Wie Connor wusste sie ganz genau, dass ich keine Schwestern habe. Anders als bei Connor hatte ich jedoch starke Zweifel, dass sie zusätzlich zu allem anderen, was geschehen war, die Nachricht von meinem bevorstehenden Tod verkraften konnte.
Und dann war da noch die Sache mit Karen. Ich hatte ihren Geist gesehen. Ich wusste nach wie vor nicht, wie sie … wie … nein. Nicht noch mehr Trauma, jedenfalls nicht jetzt. Ich bin ein Kind Faeries. Wenn nichts anderes mehr geht, suchen wir Zuflucht in Lügen. Das mag nicht gerade die ehrbarste Philosophie sein, aber mir persönlich hat Alltagsverstand schon immer mehr bedeutet als ein abstrakter Ehrbegriff. Und mein Alltagsverstand sagte mir klar und deutlich, dass es keine gute Idee war, Stacy meinen Holing vorzustellen, nachdem sowieso schon ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden war.
»Ich bleibe im Wagen«, verkündete ich. Durch die offene Fahrertür sah ich May an. »Du weißt, warum, oder?«
»Ich glaube schon«, sagte sie und runzelte die Stirn. »Ich sollte das nicht tun.«
»Ich weiß.«
»Fair ist das nicht. Meinst du nicht, Stacy würde es wissen wollen?«
»Dass ich sterben muss? Inwiefern soll das hilfreich sein, May? Sie kann es doch nicht ändern.« Ich schüttelte den Kopf. »Du hast mein Gedächtnis. Das heißt, du liebst sie auch.«
»Das stimmt, und du hast ja auch irgendwie recht, aber …« Sie seufzte. »Ich bin so gut wie sicher, dass das gegen die Regeln verstößt. Ich sollte dir gar nicht helfen.«
»Warum nicht?«
»Ich bin dein Holing.«
Ich zuckte die Achseln. »Na und?«
Sie nickte langsam. »Also gut, aber nur Stacy zuliebe, und dies ist das letzte Mal. Keine Hilfestellungen mehr.«
»Ich verstehe.«
May schnipste erneut mit den Fingern. Ihre Kleidung begann zu schimmern und wurde zu Jeans, einem Baumwollhemd mit Knopfleiste und der alten Lederjacke von Tybalt, die ich immer trug – ein typisches Ich-Outfit. Sie schüttelte die Jacke zurecht und rief: »Andy, Jessie, kommt jetzt. Es ist Zeit.«
Jessica hatte es fertiggebracht, Andrew aus dem Wagen zu hieven. Jetzt stand sie neben ihm auf dem Gehweg, Andrew hatte wieder seinen Daumen im Mund. Sie wandte sich Mays Stimme zu, dann zögerte sie. Ihr Blick schoss zwischen May und mir hin und her. »Tante Birdie?«, fragte sie argwöhnisch.
Andrew war nicht so leicht zu verunsichern. Er kam gemächlich herüber an die offene Beifahrertür, beugte sich vor und packte den Saum meines Pullovers, ohne den Daumen aus dem Mund zu nehmen.
Ich sah ihn an, dann seine Schwester. Ich konnte sie nicht belügen, vor allem, weil ich wusste, dass sie es mir hundertprozentig nicht abkaufen würden. »Ich will eure Mama jetzt nicht mehr aufregen als unbedingt nötig«, sagte ich. »Also lassen wir mal für eine kleine Weile May als ich auftreten, in Ordnung?«
May lächelte die beiden an und winkte fast schüchtern mit den Fingern einer Hand.
Jessica beäugte sie skeptisch und wandte sich dann an mich. »Sie ist nicht du.«
»Ich weiß das, und ihr wisst es auch, aber wir könnten doch mal so tun, oder?«
»Also …«, setzte sie an.
Andrew nahm den Daumen aus dem Mund. »Okay.« Er ließ meinen Pulli los, stapfte rüber und ergriff Mays Hand. Jessica sah zu, Panik im Blick. Als sie sich wieder zu mir umdrehte, zitterte sie heftig.
»Ich will nicht ohne dich gehen«, sagte sie.
»Alles wird gut, Süße.« Ich beugte mich aus dem Wagen und nahm sie in den Arm. »Ich weiß, du hast Angst, aber wenn May euch zu euren Eltern bringt, seid ihr in Sicherheit.«
»Versprochen?«
»Versprochen. Er kann euch nichts mehr tun, weil ich ihn besiegt habe. Ihr seid hier sicher. Also geht jetzt mit May, okay?«
»Okay.« Sie hielt inne und runzelte so ernst die Stirn, dass mir angst und bange wurde. »Tante Birdie?«
»Ja?«
»Du hast uns rausgeholt, und das war gut, aber jetzt musst du auch rauskommen.« Sie trat zurück und ging zu May, ehe ich noch etwas sagen konnte. Ihre drängende Unruhe wich einer unnatürlichen Gelassenheit, als sie zu meinem Holing aufsah. »Ich möchte jetzt bitte nach Hause.«
Andrew nickte. »Nach Hause.«
»Okay, Kinder. Dann mal los.« May nahm sie beide an die Hand, warf mir einen kurzen Blick zu und geleitete sie in Richtung Haustür. Ich stieg aus und behielt sie scharf im Blick, bis ich sicher war, dass nichts aus den Büschen gestürmt kam, um sie anzugreifen, dann wandte ich mich ab und schlenderte beiseite. Ich wollte nicht zusehen, wie sie reingingen. Mein Abschied war vollzogen, und ich konnte nichts tun, um ihn rückgängig zu machen.
Als ich Connors Hand auf meiner Schulter spürte, sah ich auf. Mit sorgfältig auf neutral getrimmter Miene stand er zwischen mir und dem Auto. »Hey«, sagte er. »Alles okay?«
Natürlich war alles okay. Was sollte denn nicht okay daran sein, dass man auf Schritt und Tritt vom Inbegriff seines Todes begleitet wird, der einem ständig vor Augen führt, dass die eigene Lebenszeit um ist? »Bestens«, sagte ich und sah weg, während ich mit den Tränen kämpfte.
Er zog die Stirn in Falten. »Du kannst ruhig weinen, weißt du. Niemand denkt deswegen schlecht von dir.«
Ich starrte ihn an. »Du weißt, dass das ’ne saublöde Idee ist.«
»Ich wollte es bloß anbieten.«
»Ich weiß. Ich versuche nur wütend zu bleiben. Was immer mich umbringt«, er zuckte zusammen, aber ich fuhr fort, »wird sich schon anstrengen müssen. Ich weigere mich, kampflos abzutreten.«
»Du musst nicht sterben!«, protestierte er. »Ich kann dich doch beschützen.«
Ich prustete. »Komm auf den Teppich, Connor. Du könntest mich nicht mal gegen eine Papiertüte beschützen. Du bist ein prima Kerl, aber du bist kein Kämpfer, das warst du nie. Du kannst mich nicht retten. Wenn du Glück hast, kannst du dich selbst retten.«
»Wenn ich Glück habe? Glück heißt also, ich darf mit dem Wissen leben, dass ich dich sterben ließ?« Seine Stimme klang lebhaft und bitter. »Nein, ich glaube kaum.« Mit verkrampften Schultern wandte er sich ab und ging zum Auto.
»Connor –«
»Nein, lass gut sein. Es hat keinen Wert. Du wirst sterben, und ich bin bloß der Kerl, der dabei zuschauen darf, denn du lässt mich ja nicht mal versuchen, was dagegen zu tun. Wohlan, dein Wunsch ist mir Befehl.« Er stieg ein und lehnte den Kopf ans Steuer. Raj lugte stirnrunzelnd aus dem Wagenfenster. Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte es nicht erklären.
Verdammt. Connor wusste doch genauso gut wie ich, dass mein Standpunkt nur pragmatisch war, nicht unfair. In Faerie gibt es eine klare Machthierarchie, und Selkies kommen darin gar nicht erst vor. Alles, was sie an Zauberkraft besitzen, steckt in ihrer Haut. Blind Michael würde Connor unzerkaut schlucken und wieder ausspeien, ohne auch nur innezuhalten, und ich müsste dann mit noch jemandem auf dem Gewissen ins Gras beißen. Kränkte ich Connor, wenn ich nicht zuließ, dass er zu helfen versuchte? Ja. Tat ich das, weil er mir zu viel bedeutete, um ihn als Bremsklötzchen auf der Piste meines Ablebens sinnlos zu verheizen?
Ja. Ob er es einsah oder nicht, ja. Eiche und Esche, warum kann denn nie etwas einfach sein? Ich blieb stehen, wo ich war, schloss die Augen und zuckte nicht mal, als May mir beide Hände auf die Schultern legte und sagte: »Ich weiß, es ist schwer. Aber bald ist es vorbei.«
Ich wusste nicht recht, ob das ein Trost oder eine Drohung sein sollte. Widerstrebend machte ich die Augen auf, entzog mich ihr und murmelte: »Na toll.« Damit ging ich zum Auto. Spike kam aus dem Garten angeschossen, ging bei Fuß und zirpte. »Wie geht’s Stacy?«
»Selig, aber in Sorge um Karen.«
»Was hast du ihr gesagt?«
»Dass Karen bei Lily ist und ich ihr Bescheid sage, sobald es was Neues gibt.«
Ich nickte. »Und hat sie –«
»Gemerkt, dass ich nicht du bin? Nein. Warum sollte sie? Solange die Kinder dichthalten, wird sie’s nie erfahren.« Sie seufzte. »Du wärst nie damit durchgekommen, wenn sie nicht so durch den Wind wäre.«
»Ich weiß.« Ich nahm Spike hoch und wiegte ihn an meiner Schulter. »So. Jetzt müssen wir Tybalts Kinder zum Hof der Katzen bringen. Connor fährt.«
»Passt mir gut.« May zuckte die Achseln, stieg ein, kletterte nach hinten durch und stupste Raj an. »Mach mal Platz, Kleiner.«
Raj warf ihr einen strengen Blick zu und wandte sich an mich. »Bringst du uns jetzt nach Hause?«
»Ja. Es wird Zeit.« Ich stieg ein und zog die Tür zu, dann fragte ich: »Connor?«
Er hob den Kopf vom Lenkrad. Seine Miene war düster. »Ja?«
»Kannst du uns bitte zum Golden Gate Park fahren?«
»Oh, sicher. Möchtest du sonst noch irgendwas, wenn ich schon dabei bin? Mein Herz am Spieß? Den Mond und die Sterne für dein Leichentuch?« Er löste die Handbremse und ließ den Motor an.
»Nun sei doch nicht so.«
»Sei nicht wie? Alles, was du mir zugestehst, ist, dich zu Grabe zu tragen.«
»Connor –«
»Wenn dir irgendwas an mir liegt, Toby, dann tu mir bitte einen Gefallen und halt die Klappe.«
Ich verstummte. Es gab vieles, was ich gern gesagt hätte, aber ich fand keine Worte, die es richtig rübergebracht hätten. So verbrachten wir den Rest der Fahrt in Schweigen. Sogar Spike kauerte still auf meinem Schoß und ließ nur gelegentlich voller Unbehagen seine Dornen rasseln.
Die Kinder waren wesentlich froheren Gemüts. Es waren nur noch Cait Sidhe übrig, und sie wussten, dass es nun heimwärts ging. Ihre Ausgelassenheit störte mich nicht, sie blieben damit unter sich und machten keinen Versuch, die düstere Wolkenstimmung zu durchdringen, die über den Vordersitzen hing. Wenn sie über die Stränge schlugen, sorgte Raj mit gezielten Knuffen und Knurrlauten rasch wieder für Ordnung. Ich hielt mich raus.
Der Hof der Katzen unterscheidet sich von anderen Höfen Faeries. Zurzeit war Tybalt König in der Bay Area, doch das würde sich eines Tages ändern, irgendwann würde er abgelöst werden, und Raj galt als wahrscheinlichster Thronfolger. Ein Katzenkönig muss in jeder Hinsicht dominant auftreten. Ihm steht das größte Stück der Beute zu, ebenso die erste Wahl bei den Frauen, und er bekommt von allem, was die Cait Sidhe zu bieten haben, nur das Beste, aber er ist eben auch derjenige, der den Hof der Katzen schützt und bewahrt. Katzen folgen keinem Schwächeren: Um König zu sein, muss man wendig, klug und stark sein. Furcht ist ebenso wichtig wie Respekt, und wenn Raj König werden wollte, war er auf die Loyalität seiner Gefährten angewiesen. Denn das war der Kitt, der seinen Thron zusammenhielt.
Und Tybalt würde vielleicht sterben müssen, damit Raj seine Nachfolge antreten konnte. Der Gedanke stieß mir mächtig unangenehm auf.
May saß schweigend hinten, sah zu, wie die Kids kicherten und rangelten, und wirkte regelrecht grüblerisch. Aber was sollte der Tod zu begrübeln haben? Nun, sie würde sterben, wenn ich starb: Das gab schon zu denken. Ich wusste nicht recht, wie viel da dran war, schließlich existierte sie ja nur, um meinen Tod anzuzeigen, aber dennoch …
Connor fuhr am Eingang des Golden Gate Parks vor und wollte auf den zentralen Fahrweg einbiegen, da gab der Motor ein Rasseln und Scheppern von sich und ging aus. Connor versuchte ihn ein paar Mal vergeblich wieder anzulassen, dann seufzte er. »Keine Chance.«
»Das passt schon, wir sind ja da.« Ich öffnete die Tür. »Also los, Kinder. Connor, könntest du versuchen den Wagen aus dem Weg zu schieben? Ich möchte hier keinen Unfall verursachen.«
»Ich komme mit euch.«
»Nein.«
»Warum nicht?« Connor richtete sich zu seiner vollen Größe auf und machte ein finsteres Gesicht. Er sah stinkig aus, und ich konnte es ihm kaum übel nehmen, schließlich rechnete er damit, dass ich jeden Moment sterben konnte. Er wollte wenigstens dabei sein.
Raj ersparte mir jedoch die Antwort. Er stieg aus dem Wagen, schaute Connor gebieterisch an und erklärte: »Der Hof der Katzen ist kein öffentliches Terrain, und du bist nicht eingeladen.«
»Das ist nicht fair.«
»Na und?« Er schüttelte den Kopf, jeder Zoll ein waschechter Katzenprinz. »Du bist nicht eingeladen, basta. Sie übrigens auch nicht«, er zeigte auf May. »Nur sie.« Er sah mich an, die Augen zu Schlitzen verengt. »Mein Onkel wird mit ihr reden wollen.«
»Na, so ein Glück«, murmelte ich.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Connor. »Wenn wir nicht mitkönnen, sollte sie auch nicht gehen.«
»Der Meinung bin ich auch«, warf May ein.
»Schön für euch zwei«, sagte ich. »Kommt, Kinder, gehen wir.« Connor und May zogen Gewittermienen, als ich Spike auf dem Sitz deponierte und ausstieg, machten aber keine Anstalten, mir zu folgen. Auf ihre höchst unterschiedliche Weise kannten mich beide gut genug, um es besser zu wissen.
Die Kinder schwiegen, als wir uns vom Wagen entfernten, und führten mich quer über den Fahrweg auf einen der Seitenpfade, die den Park säumten. Sobald die Straße außer Sicht war, legte ich meine menschliche Tarnung ab – es ist ungehobelt, mit falschem Aussehen an anderer Leute Hof zu erscheinen – und setzte mich an die Spitze unseres kleinen Trupps. Rings um uns sammelten sich Schatten, anfangs noch oberflächlich, dann immer dichter, bis sie fast räumliche Präsenz besaßen. Ich stolperte und blieb stehen. Jemand packte meine Hand, zog kräftig, und ich stürzte ins Dunkel. Japsend rang ich in der plötzlichen Kälte nach Luft …
… und taumelte ins Licht. Wir standen am Ende einer breiten Gasse mit dem Rücken zur Mauer. Ringsum saßen Katzen, und noch mehr Katzen füllten die Gasse, hockten auf Zäunen, Kisten und Mülltonnen. Etliche menschengestaltige Cait Sidhe standen herum oder hockten auf Lumpen- und Zeitungsbündeln. Es gab eine Schrecksekunde in verblüffter Stille, Katzen und Kinder starrten einander an, dann widerhallte die ganze Gasse vom Triumphgeheul beider Seiten. Sie waren nach Hause gekommen.
Ein grau-weiß Getigerter verwandelte sich in einen Mann mit entsprechenden Streifen im Haar, rannte auf uns zu und zog Raj in eine hastige Umarmung. Fast gleichzeitig landete eine Abessinierkatze mit langen, überschlanken Beinen auf seiner Schulter. Es folgte ein rasend schneller Wortwechsel in einer arabisch klingenden Sprache, wobei die Katze jaulende Kommentare einstreute, die beide zu verstehen schienen. Die anderen Cait Sidhe wirbelten um uns herum und lachten vor Freude, als sie die Kinder begrüßten.
Ich verschränkte die Arme und schmunzelte. »So«, sagte ich leise, »sieht ja aus, als hätten wir diese Runde gewonnen.«
All die lachenden Begrüßungen übertönten die Schritte hinter mir. Es gab nichts, was mich gewarnt hätte, nur den plötzlichen Schmerz, als eine Hand mich hart an der Kehle packte und aus dem Gleichgewicht riss, sodass ich schmerzhaft gegen die Mauer prallte. Ich starrte in weit aufgerissene, wohlbekannte wilde Augen über einem verzerrten Totenmaskengrinsen.
»Na, Toby – hast du mich vermisst?«, frotzelte Julie. Schmutzstreifen zogen sich über ihre Wangen, ihr gestromtes Haar war verfilzt und dreckig. Schlechtes Zeichen. Die Cait Sidhe sind normalerweise besessen von Sauberkeit; wenn sie es so weit hatte kommen lassen, würde sie Vernunftargumenten kaum zugänglich sein. Wahnsinnige hören selten zu. »Genießt du deine zweite Kindheit? Es ist nämlich deine letzte!«
Sie hob die freie Hand und fuhr die Krallen aus. Julie hatte von ihren lange verstorbenen Fae-Eltern nicht viel geerbt, die Krallen waren eine Ausnahme – allerdings eine potenziell tödliche. Das Sonnenlicht ließ sie aufblitzen und so diamantenscharf wirken, als könnten sie Glas schneiden. Ihr Griff um meinen Hals war so fest, dass ich kaum atmen konnte, von Flucht ganz zu schweigen. Immer noch grinsend holte sie aus und schlug zu, um mir den Bauch aufzuschlitzen.