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Marinestützpunkt Patuxent River
26. September, 11 Uhr 03
»Willkommen, Lieutenant.«
Luther öffnete die verklebten Augenlider. Offenbar befand er sich im Aufwachraum eines Krankenhauses, einem sterilen Zimmer, das mit Infusionsständern, Schläuchen und piepsenden und fiependen medizinischen Geräten vollgestopft war. Er selbst hing mit der linken Hand am Tropf. Und da er keinerlei Schmerz verspürte, schien es ihm vermutlich ganz gut zu gehen.
»Ich bin Rexanne«, sagte die große, schwarze Frau, die gerade bei ihm den Puls fühlte. Sie hatte Hängebacken wie ein Kampfhund und an ihrem Kinn wuchsen Haare. Er wunderte sich, wo Hannah wohl sein mochte.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte die Schwester in einem ziemlich nüchternen Tonfall.
Er versuchte, sich aufzusetzen. Schließlich konnte er es sich nicht leisten, hier abzuhängen.
»Oh nein. Na, na!« Rexanne hielt ihn mit einer ihrer Männerpranken zurück. »Sie gehen vorläufig nirgendwohin. Nehmen Sie sich ein, zwei Tage frei.«
»Ich muss hier raus«, beharrte Luther. Am Tag darauf würde Jaguars Anhörung stattfinden.
Schwester Rex zog eine ihrer nachgezogenen Augenbrauen hoch. »Die Schrotkugeln haben vielleicht keine lebenswichtigen Organe getroffen, aber Sie sind mit zweiundzwanzig Stichen genäht worden. Die Wunde wird unter Garantie aufplatzen, sollten Sie sich zu hektisch bewegen. Mit Leuten wie Ihnen bin ich schon früher fertig geworden«, warnte sie und schaute ihn eindringlich mit ihren dunklen Glupschaugen an. »Denken Sie nicht einmal daran, dieses Lazarett zu verlassen, bevor der Commander Ihnen nicht die Erlaubnis dazu erteilt hat.«
Luther schloss die Augen und wartete darauf, dass sie endlich verschwinden mochte.
»Und natürlich müssen Sie noch erklären, wieso auf Sie geschossen worden ist«, fügte sie mit einem schelmischen Grinsen hinzu. »Sobald es Ihnen besser geht, werden Sie Besuch von einem Beamten der Patientensicherheit bekommen.«
Luther blickte auf. »Wo sind mein Chief und das Mädchen, das bei ihm war?« Es gefiel ihm nicht, Hannah länger als unbedingt notwendig aus den Augen zu lassen.
»Zum Aufwachraum haben nur Angehörige Zutritt«, teilte ihm die Krankenschwester mit. »Die beiden warten in dem Zimmer, das wir für Sie hergerichtet haben.«
»Was muss ich tun, um hier rauszukommen?«, ließ er es auf einen Versuch ankommen.
Zu seinem Entsetzen schürzte Rexanne die Lippen und bekam einen listigen Gesichtsausdruck, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken. »Ich werde dem Commander mitteilen, dass Sie sich besser fühlen«, sagte sie dann jedoch nur, während sie seine Werte notierte. Als sie sich hiernach endlich verzog, atmete Luther erleichtert auf.
Eine gefühlte Ewigkeit später rollte Schwester Rex ihn zu seinem Zimmer. Diese militärische Einrichtung musste, anders als jene daheim, dringend einmal renoviert werden. Neben Halogendeckenlampen gab es hier diese berüchtigten dunkelgrünen Fliesen, mit denen vor etwa fünfzig Jahren in Regierungsgebäuden jeder Quadratmeter Boden ausgelegt worden war.
Routiniert schob die Schwester seine Transportliege durch eine offene Tür. Und mit großer Erleichterung erblickte Luther Westy, der sich gerade in einen Polstersessel fläzte. Hannah indes lag schlafend auf seinem Bett.
Als sie ihn hereinkommen hörte, richtete sie sich auf, viel zu erschöpft, um die Rührung und Erleichterung in ihrem Blick verbergen zu können. »Luther!«, platzte es aus ihr heraus, und er bemerkte, dass hinter ihren falschen Brillengläsern Tränen glitzerten. Vielleicht lag es ja an den Schmerzmitteln in seinem Blutkreislauf, aber angesichts ihrer Besorgnis wäre er am liebsten von seiner Transportliege gehüpft und hätte Bäume ausgerissen, um ihr zu beweisen, dass er fit war.
»Raus da!«, kommandierte Schwester Rex Hannah aus Luthers Bett.
Westy sprang auf. Er wirkte mit seinen struppigen Haaren und den Bartstoppeln, die sein Kinn wie ein Nadelkissen aussehen ließen, noch zerzauster als sonst. Immerhin hatte er Zeit gehabt, den Taucheranzug gegen normale Kleidung einzutauschen. »Wie geht’s Ihnen, Sir?«, fragte er und warf Schwester Rex einen argwöhnischen Blick zu.
»Er braucht achtundvierzig Stunden Bettruhe«, antwortete diese an Luthers Stelle. »Keine Aufregung. Keine Spaziergänge.« Sie zog die Transportliege neben das Bett und hängte den Infusionsbeutel an einen Haken darüber. Aus Angst, die Krankenschwester könnte ihn vielleicht hochheben wollen, rutschte Luther rasch hinüber. »Wenn Sie mal müssen«, fügte sie hinzu, »drücken Sie den Klingelknopf, dann bringe ich Ihnen eine Bettpfanne.«
Luther starrte sie entsetzt an. »Das soll doch wohl ein Witz sein?«
»Sehe ich so aus, als würde ich Witze machen?« Wieder blickte sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Nein, Ma’am.«
Sie seufzte schwer und schüttelte bekümmert den Kopf. »Das ist das Problem mit euch Offizieren. Ihr habt keinen Sinn für Humor. Sie haben doch zwei Beine, oder? Also laufen Sie zum Klo.« Dann funkelte sie Hannah und Westy an. »Und Sie beide sorgen dafür, dass er sich die Ruhe antut. Ich verlasse mich auf Sie.«
»Ja, Ma’am«, konterte Westy und kniff vor Entschlossenheit die Augen zusammen. »Ich glaube, die steht auf Sie«, fügte er hinzu, kaum dass Schwester Rex um die Ecke verschwunden war.
Dann griff er in seine Gesäßtasche und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus. »Der Master Chief hat uns das hier gefaxt, damit wir keine weiteren Fragen beantworten müssen.«
»Was ist das?«
»Eine Erklärung darüber, dass Sie bei einer Schießübung verwundet worden sind.«
»Amen«, sagte Luther und überflog die Benachrichtigung. Mit diesem Schrieb würde ihm niemand wegen der Patientensicherheit auf die Pelle rücken.
»Gibt’s was Neues von Valentino?«
»Bis jetzt nicht, Sir.«
»Wie spät ist es?«
Westy warf einen Blick auf seine Uhr. »Kurz vor halb zwölf. Was macht Ihre Schulter, Sir?«
»Der geht’s prima«, gab Luther zurück. »Ich spüre überhaupt nichts. Hört zu, wir müssen spätestens in acht Stunden hier raus sein, wenn wir rechtzeitig zur Anhörung zurück sein wollen. Und Jaguars Anwältin müssen wir auch noch über alles informieren, was wir wissen. Himmel, vielleicht rufe ich sie zuerst an.« Er rieb sich mit dem Handballen das linke Auge, da ihm plötzlich schwindelig wurde.
»Ich rufe sie für dich an«, versprach Hannah. »Ist dir kalt, Luther? Möchtest du die Decke haben?«
»Klar.«
Er sah zu, wie sie das Oberbett zurechtzupfte und hier und da feststeckte. Sie bemutterte ihn fast schon zu sehr, dachte er, genoss ihre Aufmerksamkeit jedoch. Trotz der Kanüle in seiner linken Hand, durch welche sein Körper mit Flüssigkeit versorgt wurde, knurrte sein Magen. »Ich hab Hunger«, gestand er. Er hatte seit dem Abend zuvor nichts mehr gegessen.
»Ich schau mal, was es gibt«, bot Westy an und verließ den Raum.
Womit Luther und Hannah allein blieben. Sie hatte sich dem Fenster zugewandt, um die Vorhänge zu richten. »Wie sollst du denn schlafen, wenn es hier drinnen so hell ist?«, sagte sie und zerrte an den Gardinen, die sich nicht schließen lassen wollten.
»Ich komm schon klar.« Die durch das Fenster scheinende Sonne umrahmte ihre Gestalt mit einem blendenden Strahlenkranz. Dabei erschien sie ihm als Engel denkbar ungeeignet zu sein, auch wenn ihm das Denken momentan nicht eben leichtfiel.
Sie ließ die Vorhänge Vorhänge sein und trat wieder zu ihm ans Bett. Luther suchte nach den passenden Worten. Aber warum sollte er sich eigentlich überhaupt die Mühe machen, wenn bei ihr selbst auch kaum etwas richtig zusammenpasste?
»Ich hab mir Sorgen gemacht«, gestand Hannah, wandte, von ihrem eigenen Bekenntnis überrascht, jedoch sofort wieder den Blick ab.
»Mir geht es gut«, versicherte er ihr.
»Es scheint, als würden alle, die … mir etwas bedeuten, sterben«, ergänzte sie und in ihren Augen glänzte es verdächtig.
Er bedeutete ihr also etwas. Ihr Geständnis überraschte ihn. »Ich bin ja noch da«, sagte er. Ihre Blicke trafen sich und sie schauten einander eine Zeit lang an. Ihm wurde bewusst, dass sein Beinaheabgang sie enger zusammengeschweißt, sie zu Freunden und sogar Vertrauten gemacht hatte. Ihre Beziehung zueinander ähnelte nun jener zu seinen Kameraden.
»Ich habe deine Tätowierungen gesehen«, gestand Hannah und lächelte unversehens. »Sie mussten dir in der Notaufnahme den Taucheranzug vom Leib schneiden.«
Auf der Rückseite seiner Unterschenkel standen zwei Worte in arabischen Schriftzeichen geschrieben, was bedeutete, dass er auf dem Bauch gelegen hatte, als seine Ausrüstung entfernt worden war. Er fragte sich, was sie noch gesehen hatte.
»Was steht da?«, drängte sie.
»Liberty und Justice.« Das Bekenntnis band sie noch fester aneinander.
»Die Namen deiner Schwestern.«
Er freute sich, dass sie sich daran erinnerte. »Ich hab mir die Tätowierungen vor der Operation Iraqui Freedom stechen lassen. Für den Fall, dass es zum Schlimmsten kommen würde. Der Feind sollte wissen, wofür ich kämpfte.«
Ihre Miene hellte sich auf und ihre Gesichtszüge wurden weicher. »Es ist kaum zu übersehen, wofür du kämpfst, Luther«, entgegnete sie.
Er fühlte sich, als hätte sie sein Innerstes berührt und seine Seele gestreichelt. Das war bis jetzt keinem seiner Kameraden gelungen. Er räusperte sich und versuchte das Gespräch verzweifelt in andere Bahnen zu lenken. »Du hast uns letzte Nacht mit deinen Schießkünsten das Leben gerettet.«
»Ich bin, ebenso wie du, dafür ausgebildet worden«, gab sie zurück.
Er hielt kurz inne und erinnerte sich. Richtig. Sie war von der CIA zur Nachrichtensoffizierin ausgebildet worden. Und sie konnte nicht die nächste Frau in seinem Leben sein, weil sie nach Übersee gehen würde, in irgendein schäbiges, kleines Land, wo sie, um Informationen zu sammeln, ihren Charme, ihren Witz und, ja, womöglich auch ihren Körper einsetzen musste.
Warum also ließ er diese zärtlichen Gefühle zu, die ihn innerlich so aufwühlten? Sie waren bloß Zeitverschwendung.
»Also, Sir.« Westy kam herein und riss Luther aus seinen wirren Gedanken. »Das Essen ist zwar noch nicht fertig, aber es war noch was vom Frühstück da, das ich für Sie habe aufwärmen lassen.« Er stellte ein Tablett mit Rührei, Würstchen, Toast, Maisgrütze und drei Tetrapaks voll Milch auf das Nachtschränkchen an Luthers Bett.
»Danke, Chief. Das ist super.«
Westy schob den Rolltisch näher. Da in seiner linken Hand die Kanüle steckte, griff Luther etwas ungelenk nach der Gabel, spießte ein Frühstückswürstchen damit auf und schob es sich in den Mund, während Hannah und Westy neben ihm standen und ihm dabei zusahen. »Warum geht ihr zwei nicht auch was essen und sucht euch eine Unterkunft?«, schlug er dann vor und schnappte sich Würstchen Nummer zwei. Als er jedoch das Bild vor Augen hatte, wie Hannah und Westy ein und dasselbe Zimmer miteinander teilten, fügte er eifersüchtig hinzu: »Zum Schlafen natürlich.«
Westy zeigte sein fieses, kleines Grinsen. »Ja, Sir.« Dann zog er einen Umschlag aus der Hemdtasche. »Sollte Valentino hier aufkreuzen, können Sie ihm diese Abzüge von unseren Fotos geben. Die Originaldateien habe ich auf einer CD gespeichert.« Er legte das Kuvert auf den Nachttisch neben Luthers Bett.
»Gute Idee.« Der Chief nickte. Das Letzte, was sie nun gebrauchen konnten, war, dass Valentino ihre Beweise unterschlug, um seine eigenen Ermittlungen nicht zu gefährden. »Irgendwann heute Abend müssen wir aber dennoch aufbrechen«, ergänzte er.
»Bist du sicher, überhaupt dazu in der Lage zu sein?«, fragte Hannah skeptisch.
»Mir bleibt nichts anderes übrig«, konterte Luther. »Wenn wir die Anhörung verpassen, landet Jaguars Fall vor dem Militärgericht. Und das dürfen wir nicht zulassen.«
»Ich werde sofort anrufen«, versprach Westy. »Das Handy liegt noch in meinem Wagen. Ruhen Sie sich aus, Sir.« Plötzlich wurde er hektisch und drängte Hannah zur Zimmertür.
Beim Hinausgehen drehte sie sich noch einmal um und Luther fragte sich, ob er in ihrem Blick Bedauern oder Besorgnis lesen konnte. Doch das war schwer zu sagen mit dieser verflixten Brille auf der Nase.
Nicht, dass es wichtig gewesen wäre.
Also beendete der Chief in aller Ruhe sein spätes Frühstück, bis er sich rundum satt gegessen hatte, schob den Rolltisch fort und legte sich bequem auf die Seite, wobei ihn die Kanüle in der linken Hand mehr störte als die Wunde an seinem Rücken. Er zog die Decke bis zum Kinn hoch und machte die Augen zu. Nur Sekunden später war er eingeschlafen und fiel in tiefe Träume, die davon handelten, dass Hannah zurückkommen würde.
Ich konnte nicht gehen, ohne das hier noch zu erledigen. Sie nahm die Perücke ab und schüttelte ihren Kopf mit den kurzen, seidigen, roten Locken. Dann setzte sie die Brille ab, sodass ihre grasgrünen und vor Sehnsucht glänzenden Augen voll zur Geltung kamen, bevor sie sich mit ihren schlanken, feingliedrigen Fingern an den Knöpfen ihrer Bluse zu schaffen machte.
Bedächtig öffnete sie einen Knopf nach dem anderen, bis der Stoff schließlich zur Seite rutschte und den Blick auf den schärfsten Halbschalen-BH freigab, den er jemals zuvor gesehen hatte. Sie ließ die Bluse von ihren Schultern gleiten und auf den Boden fallen. Mit trockenem Mund starrte Luther auf die milchweiße, zarte Haut ihrer Brüste. Hannah kletterte zu ihm ins Bett, um sich von ihm liebkosen zu lassen. Ihre Nippel zeichneten sich durch die Seide ihres BHs hindurch ab, was ihm sprichwörtlich den Mund wässrig machte.
Sie küsste ihn mit so einer unglaublichen Zärtlichkeit, dass er vor Verlangen erschauderte, und gab sich ihm hin. Es spielte keine Rolle mehr, ob sie ihn morgen verlassen würde, um die Welt zu retten. Er wollte sie jetzt! Und wenn er nun nicht zumindest einen Teil von ihr für sich in Anspruch nähme, würde er es sein Leben lang bereuen.
Sie schmiegte sich an ihn, streichelte ihn und spreizte dann, ohne ihren Blick von ihm abzuwenden, ihre Beine. Oh Mann! Nun trennte sie nur noch der Schritt ihres Seidenslips.
»Lieutenant!«
Die energische laute Stimme hallte in seinem Kopf wie Donner wider und riss ihn aus seinen Träumen. Aus Angst, während eines Einsatzes eingenickt zu sein und nun den Feind über sich zu erblicken, wollte er eine Hand ausstrecken. Doch sein rechter Arm versagte ihm den Dienst. Und in der linken Hand spürte er ein Brennen.
Wer? Was? Wo? Er blinzelte und nahm über sich ein Gesicht mit finsterer Miene wahr, das ihm zwar bekannt vorkam, von dem er zunächst jedoch nicht genau wusste, wem er es zuordnen sollte.
Kein Terrorist. Oh, verdammt, er hielt den Kragen von Valentinos langem, schwarzem Trenchcoat gepackt.
Sofort ließ er los, setzte sich auf und entschuldigte sich mehrfach. Was er besser nicht getan hätte, da er einen stechenden Schmerz zwischen Wirbelsäule und Schulterblatt verspürte. Zusammengekrümmt und stöhnend sank er auf die Seite zurück, Westys Lieblingsfluch auf der Zunge.
»Atmen!«, befahl Valentino.
Luther schnappte nach Luft, woraufhin der Schmerz allmählich nachließ, und zwang sich, die Augen zu öffnen. »Tschuldigung«, flüsterte er und hob eine Hand, um sich noch eine Sekunde lang Zeit zu erbitten. Die Kanüle war bereits halb aus der Vene gezogen, sodass er sie nun mit einem gereizten Knurren ganz herausriss und der Infusionsschlauch in der Luft baumelte.
Valentino winkte ab. »Ich kenne das«, sagte er. Unter dem Trenchcoat trug er einen weißen Seidenpullover. In Kombination mit dem leichten schwarzen Mantel ähnelte er einem katholischen Priester. Er hielt den Umschlag mit den Fotos hoch, den Westy für ihn dagelassen hatte. »Wo sind die Originale?«, fragte er überaus freundlich.
Luther ging plötzlich auf, wie wehrlos er in diesem Moment war. »Die hat Westy«, antwortete er vorsichtig.
»Sie dürfen die Fotos aber noch nicht dem NCIS übergeben«, warnte Valentino und der Blick aus seinen schwarzen Augen war so kalt, dass diese wie polierter Onyx wirkten.
»Wir können unmöglich zusehen, wie unser Zugführer für etwas ins Gefängnis geht, das er nicht getan hat«, widersprach Luther ihm.
»Schon klar«, antwortete der FBI-Agent. »Das wird auch nicht geschehen. Aber wir ziehen das auf meine Weise durch, Lieutenant, oder überhaupt nicht.«
Auf einmal war klar, wie Valentino es geschafft hatte, die italienische Mafia zu infiltrieren und mit dem Leben davonzukommen: Er ging selbst wie ein Mafioso vor.
Luther dachte über die Drohung nach und fragte sich, was sie zu bedeuten hatte, falls sie überhaupt ernst gemeint war. Unvermittelt meldete sich sein Gerechtigkeitsgefühl und verlieh ihm den Mut, ungeachtet dessen, dass er im Krankenbett lag und sich kaum rühren konnte, offen seine Meinung zu äußern. »Ich hoffe, Sie halten Wort, Sir.« Herausfordernd schaute er Valentino in die Augen. »Sie legen sicher keinen Wert darauf, sich mit einem ganzen Trupp Navy SEALs anzulegen, das kann ich Ihnen versprechen.«
Luther war erleichtert, als er den FBI-Agenten verdrießlich lächeln sah. Seine Augen funkelten vor Belustigung. »Stimmt«, gab er Luther recht. »Gedulden Sie sich, Lieutenant. Wir sind unserem Mann dicht auf den Fersen und werden ihn in Kürze festnehmen. Danach müsste dann alles seinen Lauf nehmen. Aber was Sie auch tun, seien Sie auf keinen Fall unvorsichtig. Ihr Job steht auf dem Spiel.«
Luther fragte sich, was das nun wieder heißen sollte, und versuchte, trotz der bohrenden Schmerzen in seiner Schulter einen klaren Gedanken zu fassen.
»Wie macht Geary sich?«
Man hätte annehmen können, Valentinos Frage zielte darauf ab, Luther aus dem Konzept zu bringen. Vor seinem inneren Auge flackerten die Bilder aus seinem Traum auf.
»Prima«, sagte er kurz angebunden. »Sie ist eine starke Frau«, schob er ohne Übertreibung hinterher.
Valentino vergrub die Hände in den Taschen seines Trenchcoats. »Richten Sie ihr aus, dass sie ihren Bruder sehen kann, sobald ich das Individuum in Gewahrsam genommen habe. Kann ich Ihnen noch irgendetwas bringen, bevor ich gehe?«
»Nein.« Luther wollte nur noch, dass er endlich verschwand, damit er in Ruhe über Valentinos Anliegen nachdenken konnte. »Danke.« Wenn sie das NCIS nicht umgehend von den gestohlenen Waffen in Kenntnis setzten, würde Lovitt sein Lagerhaus räumen, noch bevor die Behörden sich dort umsehen konnten. Vielleicht wären die Fotos der mit dem Diebesgut übereinstimmenden Seriennummern jedoch auch ausreichend.
Valentino drehte sich mit einem letzten rätselhaften Blick um und ging hinaus. Luther blieb noch einen Moment lang sitzen, ließ die Worte des FBI-Agenten Revue passieren und versuchte, ihnen auf den Grund zu gehen, ohne dabei auf das schmerzhafte Puckern in seiner Schulter zu achten. Wollte er das Krankenhaus an diesem Abend verlassen, würde er starke Schmerzmittel benötigen. Also drückte er den Knopf, um die Schwester zu rufen.
Aus dem Lautsprecher dröhnte eine ihm wohlbekannte Stimme. »Was gibt’s?«
Luther schluckte seinen Männerstolz hinunter. »Ich brauche was gegen die Schmerzen«, brummte er.
»Jetzt schon?«, höhnte Schwester Rex. »Ihr SEALs seid wohl auch nur Riesenbabys. Bleiben Sie im Bett, ich bin gleich bei Ihnen. Die gute, alte Rex passt schon auf Sie auf.«
Er zuckte zusammen, als er sich auf die Seite wälzte, um auf sie zu warten. »Genau davor fürchte ich mich ja«, jammerte er.