Elf
»Nein, es ist zwecklos. Ich geb’s auf. Ich krieg’s einfach nicht auf die Reihe.«
Massimo saß, den Rücken trotz weit geöffneter Fenster von mindestens einem Liter Schweiß getränkt, lässig und bequem am Steuer seines Wagens, dessen Klimaanlage vor einem Monat mit Pauken und Trompeten den Geist aufgegeben hatte, und fuhr auf der Autobahn Richtung Rosignano. Er wollte ans Meer, ans richtige Meer, das der Maremma und nicht etwa das von Pineta, das so trüb war, dass man nicht einmal im zehn Zentimeter tiefen Wasser seine Füße sehen konnte, und nichts vermochte ihm dabei seine gute Laune zu verderben. Außerdem konnte er im Auto nach Belieben Selbstgespräche führen, ohne dass ihn jemand schief ansah; die Leute dachten allenfalls, er würde mit der Freisprechanlage seines Handys telefonieren.
Oft dachte er, wie grundlegend das Autofahren doch den Charakter eines Menschen verändert: Oder, um genauer zu sein, er dachte es immer dann, wenn er sich unter vulgären Beschimpfungen mit anderen Autofahrern in die Haare kriegte, die sich anmaßten, genau die Straße zu benutzen, auf die er ein Anrecht hatte, und dazu noch hundsmiserabel fuhren. Dieselben Leute, die, wenn er ihnen in einer Bäckerei begegnen würde, bei ihm allenfalls ein leichtes Kopfschütteln hervorrufen würden. Man sitzt allein mit sich selbst in seinem Auto, in seinem Panzer, und ist absolut man selbst, hat keinerlei Angst vor möglichen gesellschaftlichen Konsequenzen wie vorwurfsvollen Blicken oder Faustschlägen: Also kann man auch mal nach Strich und Faden stinksauer werden. Die anderen sind plötzlich keine Menschen mehr, sondern werden zu Darstellern eines x-beliebigen Films, der gerade im Fernsehen läuft, seltsame rote Fische, die an einem vorbeischwimmen, einige zu schnell, um sie richtig auszumachen, andere langsamer, als das Gesetz erlaubt, wie dieser Alte mit Hut da vorne, der mit siebzig auf der Autobahn dahinkriecht, aber warte nur, eines Tages werden sie mich zum Verkehrsminister machen, und wehe dem, der dann noch mit über siebzig am Steuer erwischt wird.
»Also, rekapitulieren wir. Der Volltrottel von einem Jungen kann niemanden umgebracht haben, jedenfalls nicht zu dem Zeitpunkt, an dem das Mädchen gestorben ist, daran ist nicht zu rütteln. Dasselbe Individuum hatte jedoch Zeit, sie zu schwängern, auch das ist eine unverrückbare Tatsache. Derjenige, der die Leiche im Müllcontainer auf dem Parkplatz des Pinienwäldchens deponiert hat, ob er nun identisch mit dem Mörder ist oder nicht, ist über einsneunzig groß. Auch eine Tatsache. So wie es eine Tatsache ist, dass dieser Typ, der mich gerade rechts überholt, ein Arschloch ist. AC 002 NY. Hoffentlich zerlegst du dich in der nächsten Kurve.«
Draußen zogen die Hügel in sanften Wellen aus Erde und Gras an ihm vorüber, und hin und wieder schweifte Massimo in Gedanken ab und genoss den Anblick dieser Landschaft.
Er schaltete das Autoradio ein, erwischte zufällig den Anfang eines Liedes, das ihm besonders gut gefiel – Walk Like an Egyptian von den Bangles –, und dachte an rein gar nichts mehr, bis es zu Ende war. Als die Musik dann aufhörte und der Stimme eines geistigen Dünnbrettbohrers Platz machte, der sich bei jedermann einschmeicheln wollte, schaltete er das Radio aus und fing wieder an, mit sich selbst zu sprechen.
»Hypothese: Pigi hat ein Motiv, das bislang noch nicht entdeckt wurde. Vielleicht wusste er, dass das Mädchen schwanger war, und dachte vielleicht, er sei der Vater. Aber bringt man deswegen jemanden gleich um? Das wollen wir doch nicht hoffen. Man stelle sich das mal vor, nein, nein, das macht doch niemand. Aber aus welchem Grund könnte einer wie Pigi jemanden umbringen? Aus welchem Grund werden denn Menschen umgebracht? Also, wären wir in einem Krimi von Agatha Christie, würde man wegen Geld morden, oder die erste Frau, die man für tot gehalten hat, taucht plötzlich wieder auf, und weil man inzwischen wieder geheiratet hat, steckt man ganz schön in der Tinte und muss sich was einfallen lassen. Zum Beispiel schließt man sie in einem Zimmer zusammen mit einem Krokodil ein und ist aus dem Schneider. In den Krimis von Nero Wolfe hingegen sind es immer Erpresser, die von malträtierten Opfern kaltgemacht werden, oder Väter, die die Heirat einer Tochter verhindern wollen, und so weiter und so fort. Der Mord ist sozusagen Mittel zum Zweck, um das zu erreichen, was man haben will. Man bringt niemanden um, weil man ihn hasst oder ihn aus dem Weg räumen will. In den Krimis. Im richtigen Leben hingegen wird fast immer die Schwiegermutter umgebracht, weil sie einem seit zwanzig Jahren auf den Senkel geht. Also, was hat der Pigi aus dem richtigen Leben für einen Grund, jemanden umzubringen? Eifersucht? Nein. Ich glaube nicht, dass ihn das juckt. Erpressung? Schon eher. Aber wenn man mit etwas erpresst wird, muss man große Angst haben, dass es entdeckt wird – und was könnte das sein? Drogen, zum Beispiel. Man ist Türsteher einer großen Disco und begegnet jeder Menge Leute. Schon möglich. Sogar wahrscheinlich. Die Kleine kannte sich bestimmt mit Drogen aus, wenn man bedenkt, dass sie mit Messa zusammen war, einem Typen, der sich sogar die pulverisierten Socken von Totti noch in die Nase ziehen würde. Aber das ist mir ebenso egal, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Soll sich doch Fusco drum kümmern, ist schließlich sein Job. Ich muss aufhören, mir den Kopf wegen der Geschichte zu zerbrechen, sonst werd ich noch verrückt. Jetzt halte ich erst mal bei der nächsten Raststätte an, mach ein Pinkelpäuschen und fahr dann weiter.«
Kurz vor der Ausfahrt zur Raststätte drosselte er die Geschwindigkeit und wollte gerade in die Ausfahrtspur wechseln, als ein schwarzer Porsche ihn überholte, unmittelbar vor ihm einscherte und ihn schnitt. Massimo trat auf die Bremse, dass die Räder blockierten, und fluchte lautstark.
Mit zitternden Beinen betrat er die Raststätte.
Als er, müde und zufrieden und mit vom Meersalz spannender Haut – einer unangenehmen Erinnerung an angenehme Sprünge in die Fluten –, zu seinem Wagen zurückkehrte, dachte Massimo erneut an das Verbrechen. Im Gegensatz zu morgens, wenn ihm die Gedankensplitter ungeordnet im Geist herumschwirrten, kamen sie spätnachmittags langsam und geordnet als logische Gedanken, die sich hin und her wenden ließen und sich dann zu nachvollziehbaren Gedankengängen zusammenfügten. Die Drogenhypothese kam ihm wieder in den Sinn. Wenn man kleinlich sein wollte (und das gelang Massimo immer besonders gut), ergab etwas anderes hingegen immer weniger Sinn. Etwas, das der Anwalt am Abend zuvor beim Essen gesagt hatte und was ihm immer wieder im Kopf herumspukte. Nämlich: Das Mädchen wurde um Mitternacht herum ermordet. Aber warum hatte sie in den Stunden vor der Tat niemand gesehen? Weder zu Hause beim Abendessen – was niemanden weiter wunderte, hatte das Mädchen doch ihre Mutter angerufen, um ihr zu sagen, dass sie auswärts essen würde – noch nach dem Abendessen. Sie war an keinem Ort gewesen, an dem jemand sie kannte, also war sie allein für drei, vier Stunden ausgegangen? Oder aber sie hatte sich bereits in Gesellschaft ihres Mörders befunden. Und in diesem Fall kam man wieder auf Pigi, der entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten nicht zum Abendessen im Boccaccio und zu spät zur Arbeit in der Disco erschienen war. Vielleicht ergab das Ganze dann doch einen Sinn: Tatsächlich waren Pigi und Alina im selben Zeitraum von niemandem gesehen worden, und das waren doch ein bisschen zu viele Zufälle.
Hör zu, sagte er zu sich, wir fahren jetzt doch lieber zur Bar zurück, dann sehen wir weiter. Außerdem, wenn es inzwischen was Neues gibt, sind die Bocciafreunde bestimmt die Ersten, die es mitbekommen haben.
In die Bar zurückgekehrt, war er überrascht, Del Tacca und Großvater Ampelio noch immer an einem Tisch im Freien sitzen zu sehen, während sowohl drinnen als auch draußen die üblichen Grüppchen Müßiggänger zu einem Aperitif eintrudelten, um sich für die unverdiente abendliche Essensration zu wappnen, die sie erwartete. Gleichzeitig sah er im Innern der Bar Dr. Carli, der gerade von seinem angestammten Barhocker aufstand und im Vorübergehen einen imaginären Hut lüpfte.
»Und wo gehen Sie zum Abendessen hin?«
»Heute nach Hause. Meine Frau hat keine Lust, auswärts zu essen. Ich werde später noch ein bisschen ausgehen, falls überhaupt. Bis morgen.«
Ach ja, bis morgen. Wie die meisten anderen war auch der Dottore vor dem Mord etwa einmal in der Woche vorbeigekommen. Neuerdings ließ er sich täglich blicken. Er nahm stets auf demselben Hocker Platz, um einen Aperitif oder einen Kaffee zu trinken, ehe es nach Hause oder wieder in die Klinik ging, während sein Hochsitz ihm einen optimalen Blick auf Tizianas Ausschnitt gewährte, den er mit betonter, aber geheuchelter Gleichgültigkeit genießen konnte.
Massimo nahm einen Stuhl, drehte ihn mit der Rückenlehne zum Tisch und setzte sich zum Jahrgang ’29.
»Hallo zusammen. Was macht ihr denn noch hier?«, fragte er, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Hallo, Massimo«, sagte Del Tacca. »Wir plaudern halt ein bisschen. Rimediotti und Aldo kommen auch gleich.«
»Gut, ich hab euch schon vermisst. Geht ihr nicht zum Abendessen nach Hause?«
»Nein. Unsere Frauen sind zum Wohltätigkeitsfest der Kirche gegangen, und da ich für Don Graziano nur etwas übrig habe, wenn er schläft – vorausgesetzt, sein Gewissen lässt diesen Hurensohn überhaupt ruhig schlafen –, musste ich passen. Wir essen später hier eine Kleinigkeit.«
»Wenn ihr euer Essen selbst mitbringt, von mir aus. Wie ihr wisst, bleibt nach der Aperitifzeit immer wenig übrig, und die Schiacciatine sind schon aus.«
»Egal, mir genügt auch ein Eis«, sagte Ampelio, der mit gespielt unschuldiger Miene einer Gruppe sylphidenhafter Mädchen nachschaute, die unter knappen Strandkleidern knackige Pobacken zur Schau stellten und mit betonter Gleichgültigkeit auf dem Gehsteig vorbeischlenderten.
Wie hübsch sie sind, diese Mädchen, die vom Strand zurückkommen, dachte Massimo.
Müden Schrittes nach einem langen Tag in der Sonne, und doch mit dem rhythmischen Schwung einer nordischen Göttin, die nichts um sich herum wichtig nimmt. Die Aura natürlicher Unberührtheit verleiht ihnen ein gleichsam überirdisches Aussehen, verbunden mit der unausgesprochenen Ermahnung an den Betrachter, nicht ergründen zu wollen, welcher Zahir sich hinter dieser dunklen Sonnenbrille und unter dem Strandkleid versteckt, das der leichten Meeresbrise ebenso förderlich ist, wie es die schlanken Hüften betont. Göttinnen, genau, aus einem fernen Walhalla, das sich womöglich als das nahe gelegene Pappiana entpuppt, sobald sie den Mund aufmachen. Bitte sagt nichts, lasst euch einfach nur anschauen.
»Armer Märtyrer, der du dich so kasteien musst. Wie viel Eis hast du heute schon gegessen?«
»Also wirklich! Reicht es nicht, dass mir deine Mutter tagaus, tagein mit dem Eis und den Zigaretten in den Ohren liegt, ganz zu schweigen von deiner Großmutter, der nichts anderes einfällt, als mich zu ermahnen, ich soll kein Eis essen und nicht rauchen, aber zum Mittag- und Abendessen gibt’s immer nur Frittiertes. Sogar die Pasta würde sie frittieren, wenn es ginge! Seit vierzig Jahren hab ich Verstopfung wegen dieses Fraßes, aber ihr kommt mir andauernd mit dem Eis. Eins hab ich gegessen, ein kleines Eis.«
Es kam zwar nur selten vor, aber diesmal hatte Großvater Ampelio recht. Großmutter Tilda ging in der Küche nichts übers Frittieren. Massimo sah seinen Großvater mit einer Anwandlung von Mitgefühl an.
»Was für ein Eis hättest du denn gern?«
»Schokolade und Joghurt. Danke, Junge.«
Massimo ging in die Bar und wandte sich an Tiziana. »Hallo. Wie läuft’s?«
»Gut. Und bei dir? Hattest du ein bisschen Spaß? Wie war’s am Meer?«
»Großartig. Wenig Leute heute. Ich habe ein Plätzchen hinter Rimigliano gefunden, am Ende der Welt. Dort geht kein Mensch hin. Wenn du brav bist, nehme ich dich irgendwann mal mit.«
»Ja, Buana. Hast du gewisse Vorlieben, was den Badeanzug anbelangt?«
»Eine Burka wäre nicht schlecht.«
»Wann suchst du dir endlich eine Freundin, statt dich über deine Mitarbeiter lustig zu machen?«
»Solange ich Mitarbeiter habe, die so gut ausgestattet sind wie du, ist das kein Thema. Zumal ich vorhabe, das Ius primae noctis einzuführen.«
Massimo griff in seine Hüfttasche und brachte eine Zigarettenpackung, ein Feuerzeug, Schlüssel und einen merkwürdigen kleinen grauen Gegenstand zum Vorschein, den er auf den Tresen legte.
»Was ist denn das?«, fragte Tiziana. »Ein Telepass? Warum lässt du den nicht im Auto?«
»Der ist nicht aus meinem Auto.«
»Wo hast du ihn dann aufgelesen?«
»In einem Porsche, dessen Fahrer den geisteskranken Cousin von Barrichello gespielt hat; kurz darauf habe ich den Wagen mit heruntergelassener Fensterscheibe an der Autobahnraststätte wiedergetroffen. Da hab ich mir gedacht, dass es einem Typen wie ihm guttun würde, eine saftige Strafmaut zu zahlen.«
»Du hast sie wirklich nicht mehr alle.«
»Also, meine Angestellte, hör mal zu. Während ich drinnen die Stellung halte, gehst du raus, um die Tische ordentlich hinzurücken und sauber zu machen. Und wenn du dann noch das Knabberzeug verteilt hast, kannst du meinem Großvater ein Eis servieren.«
»Noch eins?«
»Das geht schon in Ordnung. Er isst heute nichts zu Abend … Moment mal, wie viele hatte er denn heute schon?«
»Seit ich hier bin, vier.«
Ohne ein weiteres Wort begab sich Massimo hinter den Tresen. Er nahm ein Messer und machte sich daran, ausgesprochen langsam und präzise Zitronen zu schneiden, für Tiziana das untrügliche Zeichen dafür, dass er eine Stinkwut im Bauch hatte, die sich noch steigern würde. Sie wartete einen Augenblick, dann griff sie zum Tischschäufelchen und fragte: »Und welche Eissorten hätte dein Großvater gern?«
»Zitrone und Kaffee. Mit ganz viel Sahne.«
»Hast du ein Ass oder ’ne Drei?«
»Drei Punkte hab ich.«
»Die Partie ist fast zu Ende, und es ist noch nichts Aufregendes abgelegt worden, da willst du weder ein Ass noch ’ne Drei haben? Also wirklich.«
»He, woher soll ich denn wissen, mit wem du spielst?«
»Mit dir spiel ich, du Sturkopf. Zuerst hab ich dir zwei und sechs, also acht gegeben, die er hätte haben können, der die Kreuz-Drei ausgerufen hat, denkst du, ich bin blöd, freiwillig auf acht zu verzichten?«
»Großvater, er hat recht, gib sie ihm. Mit dem Ass sind es vierzehn, also fehlt nur noch ein Punkt. Wär ja dumm.«
»Und wenn ich das Ass nicht hab?«
»Dann halt die Drei, dann sind es sechs.«
»Ach, hier hast du die Drei. Und was legst du drauf?«
»Na ja, ich muss jetzt die Kreuz-Drei ausspielen, es reut mich zwar, sie für sechs Punkte herzugeben, aber wenn ich sie jetzt nicht ablege, gehe ich ein Risiko ein.«
»Also hast du sie, du Hurensohn!«
»Pass auf, was du sagst, Ampelio, schließlich ist er der Sohn deiner Tochter.«
»Jetzt fang du nicht auch noch an, sondern spiel anständig! Wenn das so weitergeht, verlier ich hier noch mein letztes Hemd.«
»Aber die Schuhe hoffentlich nicht, oder?«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, dass du wieder mal in Pantoffeln aus dem Haus gegangen bist.«
»Oh ja, du hast recht. Ich dachte, ich … Massimo, alles in Ordnung mit dir?«
Die Frage war berechtigt. Massimo hatte die Augen geschlossen und wiegte sich auf dem Stuhl vor und zurück, während er leise vor sich hin brummte.
Ampelio wartete ein paar Sekunden, ehe er erneut fragte: »Geht’s dir gut, Junge?«
Massimo, der sich weiterhin auf dem Stuhl wiegte und vor sich hin brummte, nickte.
»Also was, zum Teufel, machst du denn da?«, fragte Del Tacca, frei von großväterlicher Liebe.
Massimo, ohne sich aus seinem tranceähnlichen Zustand zu lösen, bedeutete ihm mit der Hand: Ich erklär’s dir später.
Er hörte Rimediottis Stimme, der fragte, ob das Mekkagebet noch lange dauere, gefolgt von Ampelios, der antwortete, er verstehe nur Bahnhof.
Nach einer Weile öffnete Massimo die Augen, sagte: »Gut«, stand auf und ging hinein.
Vier Augenpaare hinter dicken Brillengläsern folgten ihm aufmerksam und irritiert zugleich.
Sie sahen, wie er sich auf einen Barhocker setzte, Tiziana etwas fragte, den gesamten Inhalt seiner Hosentasche herausnahm und auf den Tresen legte, ehe er sich darüberbeugte. Wie er lächelnd und beinahe liebevoll die Sachen betrachtete, dann alles wieder einsammelte und in die Tasche zurücksteckte.
Eine Sekunde später trat er ins Freie, noch immer lächelnd, und schwenkte den Autoschlüssel am Finger.
»Was hast du denn vor?«, fragte Aldo, amüsiert und ungläubig zugleich.
»Ich gehe jemanden besuchen.«
»Und was ist mit unserer Partie?«
»Die spielen wir zu Ende, wenn ich zurück bin.«
»Und was musst du diesem jemand sagen, das so wichtig ist, dass es nicht noch ein bisschen warten kann?«
»Dass ich weiß, wer ihre Tochter umgebracht hat, und sogar glaube, es beweisen zu können. Ich brauche nur noch ein paar Informationen.«
Ruhig, ruhig, ruhig. Du musst dich jetzt beruhigen, sonst führst du dich auf wie ein Idiot. Ich komm mir vor wie die Hauptfigur in diesem Buch von Sciascia, Ein einfacher Fall, als sein Vorgesetzter ihm sagt, wo in dem Zimmer der Lichtschalter ist, woraufhin bei ihm der Groschen fällt und er auf einmal weiß, wer der Mörder ist und wie er die Tat begangen hat. Und auch ich weiß nicht, an wen ich mich verdammt noch mal wenden soll. An Alinas Mutter, ja, komisch, dass »das Mädchen« in meinem Kopf plötzlich zu »Alina« geworden ist. Ein Name, der in den Zeitungen stand, und ein aschfahles Gesicht, das aus einem Müllcontainer ragte, sind zu einer Person geworden. Einer realen Person, oh ja. Einer, die gelebt, geliebt und dem falschen Menschen vertraut hat. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich in meiner Haut wohlfühle. Solange es ein Spiel war, eine Art Denksport, war alles in Ordnung. Aber jetzt … Hör mal, es ist ja nicht deine Schuld. Die Lösung ist dir einfach so zugeflogen, beim Kartenspiel mit den alten Nervensägen, ohne dass du in dem Augenblick darüber nachgedacht hättest, und jetzt, wo du verstanden hast, was geschehen ist, musst du es nur noch beweisen. Nicht, dass dir die Lösung gefallen würde, es ist einfach nur die richtige. Das ist alles. Auch wenn sie hässlich ist. Da kannst du nichts machen. Vielleicht sollte ich doch erst zu Fusco gehen. Aber vorher dusche ich noch und zieh mich um. Wenn ich schon ein einziges Mal in meinem Leben einen Mord aufkläre, muss ich das nicht unbedingt salzverkrustet und in einem Daffy-Duck-T-Shirt tun.