VIERTES KAPITEL
Der Herr der Plantage
Leflor war, wie er gesagt hatte, in den Garten gegangen. Er hatte sich ganz außerordentlich über Sam geärgert. Das Auftreten des braven Dicken hatte ihm aber doch so imponiert, daß er eingeschüchtert worden war; aber er nahm sich vor, die Gelegenheit zur Rache zu ergreifen.
Was mochte dieser Jäger bei Wilkins wollen? Leflor riet hin und her, konnte sich aber nichts denken, hoffte jedoch, es leicht und schnell zu erfahren.
So schritt er langsam den breiten Kiesweg dahin, in finsteren Gedanken versunken, bis er durch nahende Schritte aus seinem Brüten aufgeweckt wurde. Ein junger, einfach, aber doch gut gekleideter Mann, dessen ausdrucksvolles Gesicht von einem feinen Panamahut beschattet wurde, kam mit schnellen Schritten aus einem Seitenweg heraus und stieß, da er wegen des Buschwerks Leflor nicht hatte sehen können, beinahe mit diesem zusammen.
Über Leflors Gesicht zuckte ein häßlicher Zug. Er blieb stehen und fragte:
„Monsieur Adler, seid Ihr blind?“
Der Angeredete schritt ruhig weiter, ohne zu antworten, ohne zu tun, als ob er den Frager gesehen oder gehört habe. Da rief dieser mit erhobener Stimme:
„Master, hört Ihr mich nicht?“
Und als auch jetzt noch keine Antwort erfolgte, schritt er eiligst hinter ihm her und lachte höhnisch:
„Ah, Ihr fürchtet Euch vor mir! Ihr habt kein gutes Gewissen!“
Da hemmte Adler seine Schritte, drehte sich langsam um und ließ Leflor herankommen. Sein Gesicht schien in diesem Augenblick aus Wachs geformt zu sein; es war vollständig unbeweglich. Selbst sein Auge hatte einen eigentümlich starren Blick, der nicht auf Leflor, sondern über diesen hinausgerichtet zu sein schien. Ein solches Gesicht hat man nur dann, wenn man sich alle Mühe geben muß, eine innere Erregung zu bemeistern, wenn man gezwungen ist, Rücksicht zu üben und höflich zu sein, während man doch gerade das Gegenteil empfindet.
„Habt Ihr gehört?“ fragte Leflor, vor Adler stehenbleibend.
„Was?“
„Daß Ihr Euch vor mir fürchtet!“
„Ihr spracht also mit mir?“
„Natürlich!“
„Ich glaubte, es sei gar niemand da, Monsieur Leflor.“
„Pshaw! Macht mir nichts weis. Euer Betragen gegen mich ist ein solches, daß ich es nicht länger dulden kann. Warum grüßt Ihr mich nicht?“
Da schoß ein zornig-leuchtender Blitz aus Adlers Auge in das Gesicht des anderen; aber in demselben Augenblick hatten die Züge des Aufsehers ihre Ruhe wiedererlangt. Er zuckte leicht die Achseln und antwortete:
„Ich wundere mich über Eure Frage. Ich würde sie gegen keinen Menschen und in keinem Fall aussprechen. Aber da sie einmal ausgesprochen ist, will ich sie beantworten, obgleich ich natürlich nicht gezwungen bin, es zu tun. Ich habe Euch gegrüßt, zehnmal, zwanzigmal. Ihr habt es nicht getan; natürlich unterlasse ich es nun auch. So ist es.“
„So, also so!“ meinte Leflor höhnisch. „Ihr habt also gemeint, auch ich solle grüßen, ich zuerst?“
„Natürlich.“
„Das ist spaßhaft. Ich, der Pflanzer, der Plantagenbesitzer, soll einen Dienstboten grüßen!“
„Warum nicht? Wenn Euch soviel an dem Gruß des Dienstboten liegt, daß Ihr ihn Euch erzwingen wollt, so ist dieser Dienstbote jedenfalls eine so wichtige Person, daß auch Ihr ihn grüßen könnt.“
„Das fehlte noch! Wo kommt Ihr jetzt her?“
„So darf mich nur Monsieur Wilkins fragen!“
„Schön! Es wird anders werden. Jetzt aber verfügt Euch in den Stall, um nachzusehen, ob mein Pferd Futter erhalten hat!“
„Ich will Euch das Vergnügen nicht rauben, Euch um Euer Pferd selbst zu bekümmern.“
Die Männer standen sich Auge in Auge gegenüber. Es war klar, daß Leflor diesen Streit vom Zaun brach, daß er den Aufseher haßte. Zu diesem Haß kam auch noch der Zorn über die Behandlung die er von Sam Barth erfahren hatte. Jetzt brach er los:
„Also Ihr weigert Euch, meinen Befehlen zu gehorchen?“
„Von Befehlen Eurerseits kann gar keine Rede sein!“
„Oho! Ihr werdet bald vom Gegenteil überzeugt sein. Oder hattet ihr dem Schwiegersohne des Master Wilkins etwa nicht zu gehorchen?“
Das Gesicht Adlers ward um einen Schatten bleicher, und seine Stimme bebte leise, als er antwortete:
„Der werdet Ihr jedenfalls niemals sein!“
„Nicht? Ich sage Euch, daß ich soeben um Almys Hand angehalten habe!“
„Dann seid Ihr abgewiesen worden!“
„So kann nur ein Verrückter antworten. Ich habe das Jawort erhalten.“
„In diesem Fall ist die Person, die es Euch gegeben hat, verrückt; da ich aber weder meinen Prinzipal noch dessen Tochter für geisteskrank halte, so sehe ich mich gezwungen, Eure Behauptung sehr einfach für eine Erfindung, eine Lüge zu halten.“
Da trat Leflor einen Schritt vor und sagte:
„Lüge, das mir?“
„Das Euch, ja!“
„Verdammter deutscher Hund! Hier hast du!“
Leflor holte mit der geballten Faust aus und schlug damit Adler – in das Gesicht? Oh, nein. Er wollte es tun, aber seine Faust traf nur die Luft, und er selbst erhielt im Gegenteil einen so gewaltigen Boxhieb in die Magengegend, daß er, sich überschlagend, in weitem Bogen zu Boden stürzte.
„O Jessus, o Jessus!“ kreischte eine weibliche Stimme.
„Hilfe, Hilfe!“ rief eine zweite.
My und Ty waren mit ihrer Wäsche vom Fluß zurückgekehrt. Sie hatten, um schneller heimzukommen, den Seitenweg eingeschlagen, aus dem vorhin Adler gekommen war. Hier hörten sie Stimmen, blieben stehen und erkannten zwischen den Zweigen hindurch die beiden Männer. Sie verstanden jedes Wort, das gesprochen wurde, und als nun die Hiebe fielen, stießen sie erschrocken die Hilferufe aus.
Leflor hatte sich kaum erheben können. Der Atem fehlte ihm. Dennoch wollte er sich auf Adler stürzen, der ihn ruhig in der Stellung eines gewandten Boxers erwartete, als aber die beiden Negerinnen zu schreien anfingen und er also bemerkte, daß seine so plötzliche Niederlage Zeugen gehabt habe, zog er es vor, schnell hinter den Büschen zu verschwinden.
Adler blieb als Sieger noch einen Augenblick stehen, zuckte verächtlich die Achseln und trat zu den Negerinnen.
„Was tut ihr hier? Ihr habt gelauscht!“
„O nein, Massa! Nicht gelauscht“, antwortete Ty. „Wir kamen vom Wasser, ganz zufällig.“
„Habt ihr alles gehört und gesehen?“
„Alles. Massa Adler ist ein starker Held. O Jessus, Jessus, wie Massa Leflor auf die Erde gekugelt ist, wie ein Hund, der aus dem Fenster fällt.“
Ty lachte bei dieser Vorstellung laut auf, und die gute My stimmte mit ein.
„Macht, daß ihr in die Küche kommt!“ befahl Adler. „Und ich verbiete euch, irgend jemand etwas zu sagen! Hört ihr?“
„Oh, wir hören!“
„Wenn ihr plaudert, so wird es euch schlimm ergehen. Also schweigt.“
„Oh, Massa, wir schweigen, wir schweigen sehr!“
Sie nahmen ihre Wäsche wieder auf und trabten von dannen. Als sie in der großen Küche ankamen, befand sich Almy dort. Sie hatte ihren Vater mit Leflor, der von seinem Spaziergang zurückgekehrt, alleinlassen müssen und suchte sich nun hier Beschäftigung um sich von dem Gedanken an den zu erwartenden Überfall nicht zu sehr beunruhigen zu lassen.
„Miß, Miß Almy, wir sind wieder da!“ rief My bereits im Eintreten.
„Ihr braucht sehr lange“, tadelte die Herrin. „Ihr hättet viel eher fertig sein können!“
„Eher? My und Ty konnten nicht eher. Viel andere Abhaltung und viel andere Arbeit.“
„Welche Abhaltung und Arbeit denn?“
„Erst kam ein Mann im Indianerkanu. Dann kam der Bär. Nachher der Mann mit der Nase und der Mann ohne Nase. Und zuletzt kam Streit mit Massa Leflor und Massa Adler.“
Jetzt wurde die junge Herrin aufmerksam.
„Ein Streit zwischen beiden?“
„Ja. Massa Leflor beleidigte Massa Adler. Massa Adler soll ihn grüßen, ihm gehorchen, nach seinem Pferd sehen. Massa Leflor sind Schwiegersohn von Massa Wilkins. Massa hat jetzt das Jawort erhalten von Massa Wilkins.“
Almy wurde rot und dann um so bleicher.
„Wer hat das gesagt?“ fragte sie hastig.
„Massa Leflor.“
„Zu Massa Adler?“
„Ja.“
„Was antwortete dieser?“
„Er sagte, daß es Lüge sei.“
„Das ist es auch.“
„Da wurde Massa Leflor sehr zornig und holte aus, Massa Adler zu schlagen.“
„Mein Gott! Das gibt ein Unglück!“
„Nein, Miß. Kein Unglück, denn der gute Massa Adler war viel schneller und traf Massa Leflor auf den Bauch, so schnell, daß er einen Purzelbaum machte weit auf die Erde hin. O Jessus, Jessus, war das schön, sehr schön!“
„Und was geschah dann weiter?“ fragte Almy voller Angst.
„Ich schrie, und Ty schrie. Da riß der böse Massa Leflor aus. Massa Adler aber kam zu uns und befahl uns, gar nichts zu sa – o Jessus, Jessus, jetzt habe ich es doch gesagt! Nun wird es uns gehen sehr schlimm.“
„Beruhige dich! Ich werde euch nicht verraten; aber sagt es keinem anderen.“
„Nein, nein! Aber dürfen wir es nicht auch noch sagen Nero, dem Kutscher? Er kann nicht leiden Massa Leflor und wird lachen vor Freude, daß Massa gemacht hat einen so großen Purzelbaum.“
„Nein; auch er darf es nicht wissen.“
„So werden wir schweigen. Kein Mensch darf es erfahren, kein Mensch.“
Aber zwei Minuten später stand My bei Nero, dem schwarzen Wagenlenker, der ihr Geliebter war, und erzählte ihm unter den abenteuerlichsten Gesten und Pantomimen alle ihre heutigen Erlebnisse.
Kurze Zeit später erschien der Diener, um Almy zu ihrem Vater zu bitten. Dieser befand sich nicht mehr im Parlor, wo er mit Leflor gesprochen hatte, sondern in seinem Arbeitszimmer. Er empfing die Tochter mit einem Gesicht, auf dem sich Sorge, Rührung und Spannung zeigten. Auf einen Sessel deutend, sagte er:
„Setze dich, liebes Kind! Ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen.“
Er legte die Füße übereinander und strich sich mit der Hand langsam über die Stirn, als werde es ihm schwer, den Anfang zu finden. Almy setzte sich nicht; sie blieb vielmehr stehen und erwiderte in ruhigem, beinahe geschäftsmäßigem Ton:
„Ich weiß, was du mir sagen willst.“
„Schwerlich.“
„Gewiß. Es scheint dir schwer zu werden, den Gegenstand zu besprechen. Ich möchte wünschen, ihn so leicht wie möglich zu nehmen.“
„Du sprichst von dem zu erwartenden Überfall. Oh, der macht mir jetzt weniger Sorge als –“
„Als meine Verheiratung“, fiel sie ihm ins Wort.
Wilkins fuhr erstaunt auf:
„Wie, du weißt es?“
„Ja. Leflor hat das Wort seit langer Zeit auf den Lippen gehabt. Sein heutiges feierliches Auftreten ließ mich vermuten, daß er mit dir über seine Absichten sprechen werde.“
„Er hat es getan“, antwortete der Pflanzer, sichtlich erleichtert, daß Almy so schnell auf diesen Gegenstand einging.
„Was hast du ihm geantwortet?“
„Noch nichts. Ich mußte doch erst mit dir sprechen. Ich wurde keinem Menschen deine Hand ohne deine Einwilligung versprechen, mein liebes Kind.“
„Wann hast du ihn wiederbestellt, um unsere Entscheidung zu erfahren?“
„Er ist noch gar nicht fort. Er bat um sofortige Antwort. Er wartet im Parlor.“
„So hat er es sehr eilig“, lachte sie heiter. „Ich werde sofort zu ihm gehen.“
„Wirklich, Kind, wirklich?“
Er erhob sich erfreut von seinem Stuhl.
„Ja, du erlaubst doch, Pa, daß ich es ihm selbst sage, nicht wahr?“
„Sehr gern, mein liebes Kind. Deine Heiterkeit läßt mich die Antwort erraten, die du ihm geben wirst.“
„Und welche ich ihm sehr gern gebe.“
Da ergriff er sie bei der Hand und fragte, jetzt plötzlich wieder ernst werdend:
„Gibst du sie ihm wirklich so gern? Ich hatte vermutet, wenigstens auf einen kleinen Widerstand zu stoßen.“
„Warum Widerstand, Pa? Wir beide haben doch stets nur einen Wunsch und Willen.“
„Ja; aber warte noch einen einzigen Augenblick, und laß uns fragen, ob er es denn auch wirklich wert ist.“
Sein Ton klang beinahe angstvoll, wenigstens besorgt. Almy aber lachte ihm herzlich entgegen und antwortete, ihm freundlich zunickend:
„Er ist es wert, Pa, gewiß, er ist es wert!“
„Nun, wenn du diese Überzeugung besitzt, und wenn dein Herz bereits so deutlich gesprochen hat!“
„Ja, es hat gesprochen.“
Er schüttelte leise den Kopf. Es flog wie Enttäuschung über sein mildes Angesicht.
„Das hatte ich nun nicht so vermutet“, sagte er. „Es ist doch wahr, ihr Frauen seid vollständig unberechenbar. Ich dachte dich ganz genau zu kennen, und nun sehe ich, daß ich dich gar nicht kannte, daß ich mich geirrt habe.“
„Ja, du hast dich geirrt, Pa, aber in ganz anderer Weise, als du denkst. Bitte, komm!“
Almy ergriff seine Hand und trat mit ihm in den Parlor, wo Leflor wartend am Fenster stand. Er mochte an Adler denken, denn seine Stirn lag in finsteren, drohenden Falten. Jetzt drehte er sich um, und als er das schöne Mädchen lächelnd an der Hand des Vaters erblickte, nahm sein Gesicht den Ausdruck des Triumphes an.
„So schnell!“ sagte er. „Ich erlaube mir natürlich, dies als ein glückliches Omen für mich zu deuten.“
„Ja“, nickte der Pflanzer ernst. „Almy hat mich gar nicht aussprechen lassen. Sobald ich begann, erklärte sie, daß sie Euch gern selbst und sofort die Antwort geben werde.“
„Welch ein Glück! Almy, darf ich hoffen?“
Leflor trat auf sie zu und wollte ihre Hand ergreifen; sie aber wich einen Schritt zurück und fragte, nicht ernst, sondern sorglos lachend:
„Was hofft Ihr denn, Monsieur?“
„Daß Ihr Euch entschlossen habt, den heißesten Wunsch meines Herzens zu erfüllen.“
„Welcher Wunsch ist das?“
„Euch die Meine nennen zu dürfen.“
„Und Ihr hofft, daß ich diesen Wunsch erfülle?“
„Ja, ich hoffe es.“
„Das begreife ich nicht. Die Hoffnung verlangt doch wohl etwas, was man noch nicht besitzt.“
„Allerdings, Miß Almy.“
„Wenn Ihr hofft, mich zu besitzen, so besitzt Ihr mich also noch nicht?“
„Leider nicht, noch nicht.“
„Warum sagt Ihr dann zu anderen Personen, daß Ihr bereits unsere Zusage erhalten hättet?“
Almys Gesicht hatte auf einmal einen ganz anderen Ausdruck angenommen; es war so ernst, ja streng auf ihn gerichtet, daß er vor ihrem Blick die Augen niederschlagen mußte.
„Ich sollte das gesagt haben?“
„Ja.“
„Das ist entweder ein Mißverständnis oder gar eine Lüge.“
„Es ist weder das eine noch das andere. Ihr habt es gesagt, das ist eine Tatsache.“
„Zu wem?“
„Zu Monsieur Adler.“
Da rief er zornig:
„Ah! So hat er geplaudert, der ehrlose Kerl!“
„Nein, er hat kein Wort gesagt. My und Ty sind Zeugen Eurer Behauptung und Eurer Niederlage gewesen; sie erzählten es mir sofort. In Euren letzten Worten gebt Ihr zu, gesagt zu haben, daß Ihr bereits mein Jawort erhalten habt. Haltet Ihr mich für eine so leichte und billige Ware, daß Ihr meint, es bedürfe nur Eures Willens, mich zu besitzen? Da habt Ihr Euch allerdings getäuscht. Das Wort, das Ihr zu dem Aufseher gesagt habt, ist nicht nur eine Lüge, sondern sogar ein Schimpf für mich. Einem Mann, der mich beschimpft und der solche offenbare Lügen sagt, kann ich natürlich nicht gehören. Von Liebe will ich ganz und gar schweigen, aber achten muß man doch wenigstens den Mann können, dem man Sein und Leben widmet; aber nicht einmal dies ist hier der Fall. Ihr selbst seid schuld, daß Ihr nun vor Monsieur Adler der Blamierte seid.“
Leflor hatte Almy aussprechen lassen, ohne sie zu unterbrechen. Er blickte sie starr und mit dem Ausdruck des Zweifels, des Unglaubens an.
„Höre ich recht?“ fragte er dann. „Nicht wahr, Ihr scherzt!“
„Dann wäre ich nicht nur leichtsinnig, sondern im höchsten Grad frivol, und da irrt Ihr Euch abermals.“
„So sagt Ihr also nein?“
„Ein festes Nein.“
Er machte abermals eine Pause. Er war so sicher gewesen, das Jawort zu erhalten, daß er jetzt sich in das schier Unmögliche nicht so schnell finden konnte.
Wilkins seinerseits hatte, durch Almys Heiterkeit getäuscht, fest geglaubt, daß sie Leflor nicht nur ja sagen werde, sondern daß sie ihn sogar heimlich geliebt habe. Auch er konnte sich nicht so leicht in seinen Irrtum finden. Er fragte:
„Almy, scherzt du wirklich nicht? Besinne dich, mein Kind!“
„Es ist nicht notwendig, mich zu besinnen, Vater. Ich will den Schimpf, den er mir angetan hat, nicht rächen, ich will ihm vergeben, aber das Weib meines Beleidigers kann ich unmöglich werden, und du, der in mir mit beschimpft wurde, kannst dich darüber doch nicht wundern.“
Wilkins Gesicht hatte eine Art von großer Verlegenheit ausgedrückt. Jetzt begann sein Auge stolz aufzuleuchten. Er nickte zustimmend mit dem Kopf und sagte zu Leflor:
„Da habt Ihr es, Monsieur! Ihr seid unvorsichtig gewesen. Zu große Sicherheit ist sehr oft trügerisch. Ich gestehe aufrichtig, daß ich die Logik meiner Tochter sehr wohl begreife.“
„So! Ihr stimmt ihr also bei?“
„Vollständig. Es ist eine Beleidigung die Ihr uns angetan habt. Die Folgen derselben kann ich Euch leider nicht erlassen.“
Erst jetzt begann Leflor einzusehen, daß er wirklich einen Korb erhalten habe. Sein Gesicht wurde grün vor Ärger; seine Wangen schienen einzufallen; seine Stirn rötete sich, und die langen, knöchernen Finger strichen nervös an dem Rock auf und nieder. Er preßte die Zähne zusammen und knirschte in beinahe pfeifendem Ton:
„Wißt Ihr aber auch noch alles, was ich Euch vorhin sagte, Monsieur?“
„Ich weiß es“, antwortete Wilkins, indem er eine Bewegung machte, als ob er sich zu dieser Antwort erst besonders ermannen müsse.
„Und habt Ihr es bei Eurer Antwort vielleicht mit in Betracht gezogen?“
„Nicht nur vielleicht, sondern vollständig.“
„Ihr schient aber doch bei Eurem Eintritt überzeugt zu sein, daß die Miß ein Ja sagen werde. Auch verspracht Ihr mir vorhin, ihr zuzureden. Die Änderung ist sehr schnell vor sich gegangen. Mögt Ihr sie nicht bereuen! Oder wünscht Ihr vielleicht noch eine Bedenkzeit. Ich will morgen wiederkommen, meinetwegen auch übermorgen.“
„Danke, Sir! Es bleibt bei unserem Entschluß. Nicht wahr, liebe Almy?“
„Ja. Die Beleidigung ist geschehen; sie kann nicht ungeschehen gemacht werden.“
Da trat Leflor einen Schritt näher an den Pflanzer heran und sagte in fauchendem Ton, fast mit dem Klang einer Katzenstimme:
„Nun wohl! Ein jeder ist seines Glückes Schmied. Ich kann weiter nichts sagen, als daß euch beiden die Reue baldigst kommen wird. Dann werdet ihr euch vergebens nach mir sehnen!“
„Auch das noch!“ rief Almy. „Hinaus mit Euch, sonst rufe ich nach dem Diener!“
„O bitte, bitte! Ich gehe schon! Aber nehmt euch in acht, wenn ich wiederkomme!“
Damit ging Leflor. Vater und Tochter blieben stehen, ohne ein Wort zu sagen, bis unten die Hufschläge eines Pferdes hörbar wurden.
„Da reitet er hin!“ sagte Wilkins mit einem tiefen Seufzer – der Erleichterung oder der Belastung? Es ließ sich nicht sagen.
„Grämst du dich darüber, Pa?“
„O nein! Aber vor fünf Minuten hatte ich an diesen Ausgang nicht geglaubt.“
„Er sagte, du hättest mir zureden wollen!“
„Ich versprach es ihm allerdings.“
„Wie konntest du das! Ich habe dir wiederholt gesagt, daß er mir unsympathisch ist. Ich habe bei seinem Anblick ganz dasselbe Gefühl, das Sam Barth auch hatte. Konntest du wirklich meinen, daß ich ihn liebe, daß ich glaube, mit ihm glücklich werden zu können?“
„Nein, mein Kind. Auch ich achte ihn nicht. Darum war es mir so bange bei dem Gedanken an eine Verbindung mit ihm. Aber er fand Mittel, mich zu zwingen, eine solche Verbindung für wünschenswert zu halten.“
Sie blickte ihn erstaunt an.
„Welche Mittel wären das, Pa?“
„Du weißt, daß ich während des Sezessionskrieges ein Anhänger der Nordstaaten war. Sämtliche hiesige Grundbesitzer sind heute leidenschaftliche Südstaatler. Wer eine Ausnahme macht, kann leicht durch allerlei Ränke und Intrigen zugrunde gerichtet werden. Ich habe damals in meinem patriotischen Eifer manches Opfer gebracht und manches getan, was hier niemand wissen darf. Wie Leflor dazugekommen ist, alles zu erfahren, kann ich nicht begreifen; aber er weiß alles, und es ist ihm möglich, mich zu stürzen.“
„Drohte er dir etwa damit, falls du ihm meine Hand verweigerst?“
„Ja.“
„So hast du den eklatantesten Beweis seiner gemeinen Gesinnung, seiner Boshaftigkeit und bodenlosen Schlechtigkeit. Lieber betteln gehen, als das Weib eines solchen Schurken sein!“
„Meinst du das wirklich so?“
„Ja, aufrichtig lieber Vater!“
„Almy, du kennst die Armut nicht.“
„Ich würde sie zu tragen wissen. Die Schande und das Unglück, die Frau eines solchen Menschen zu sein, könnte ich nicht ertragen, könnte ich nicht überleben. Übrigens sind wir ja nicht arm, Pa.“
„Aber er kann uns diskreditieren und stürzen.“
„So verkaufen wir und ziehen fort!“
Wilkins seufzte tief auf und schüttelte den Kopf. Er hatte etwas Schweres, sehr Schweres auf dem Herzen. Sollte er es sagen? Sein Blick fiel auf die schöne, lichte, reine Gestalt des jungen Mädchens. Durfte er von dem Geheimnis sprechen, das ihm die nächtliche Ruhe raubte, an seinem Leben zehrte und sein Mark auszudörren drohte? Nein, nein, wenigstens jetzt noch nicht. Jetzt noch nicht, so hatte er stets gedacht, und doch mußte die Zeit kommen, in der er zum Sprechen gezwungen war. Was dann? Er schüttelte diesen entsetzlichen Gedanken von sich, denn er fühlte sich zu schwach, ihn auszudenken.
Almy legte die Arme um ihn, schmiegte das Köpfchen an seine Brust und fragte liebkosend:
„So bist du wohl unzufrieden mit mir, Pa?“
„Nein, o nein“, antwortete er, sich zu einem heiteren Lächeln zwingend.
„So meinst du, daß ich recht gehandelt habe?“
„Ganz richtig und resolut, mein Kind.“
„So resolut wirst du mich auch heute abend sehen. Ich werde auch ein Gewehr nehmen, um uns gegen die Bushwhackers zu verteidigen. Weiß Master Adler bereits davon?“
„Nein. Ich habe ihn noch nicht zu sehen bekommen. Schicke ihn zu mir, wenn du ihn siehst!“
Almy ging, um sich für einige Augenblicke nach ihrem Zimmer zu begeben. Es war ihr ein Bedürfnis, über die Zurückweisung Leflors noch einmal nachzudenken, um das Ereignis dann für immer ad acta legen zu können.
Gerade als Almy die Tür öffnete, um in ihr Zimmer einzutreten, hörte sie das Geräusch einer anderen Tür. Als sie sich umwandte, erblickte sie Adler, der aus seinem Zimmer kam und, wohl oder übel, an dem ihrigen vorbei mußte.
War es ein Fehler, auf ihn zu warten? Gewiß nicht. Und doch schlug bei diesem Gedanken ihr Herzchen schneller. Er sollte zu Pa kommen; sie wollte ihm dies sagen; nur deshalb blieb sie stehen. War das etwa ein Unrecht? O nein! Es war sogar sehr recht. Es war Gehorsam gegen den Pa. Aber warum fühlte sie denn da ihr Gesichtchen so brennen? Warum ging ihr denn der Atem plötzlich so kurz?
Und nun war er da – noch drei Schritte – noch zwei – noch einen nur! Jetzt ging er vorüber. Er hatte sehr ehrerbietig den Hut gezogen, und sie hatte nicht einmal geantwortet. Er mußte sie für stolz, für unhöflich halten, oder gar für feig für einen Backfisch!
Dieser letztere Gedanke war höchst fatal. Er gab ihr die Sprache wieder.
„Monsieur!“
Leider hatte sie dieses Wort so leise gesagt, daß er es nicht hören konnte. Er war ja bereits vier Schritte entfernt. Vorhin hatte sie diesem Leflor in aller Offenheit ihre Meinung gesagt, diesem elenden Menschen, und hier brachte sie es nicht fertig Adler einen kleinen Auftrag ihres Vaters auszurichten, und er war doch ein so guter Mensch, ein so seelensguter Mensch – und jetzt bereits sechs Schritte entfernt, volle sechs Schritte. Wenn nicht jetzt, später konnte er sie gar nicht hören!
Sie nickte, druckte und schluckte. Endlich!
„Mon – sieur – Ad – 1er –!“
Almy hatte es ausgesprochen, nicht sehr laut etwa; es war kaum zu hören; aber dennoch hatte er es jedenfalls mehr mit dem Herzen als mit dem Ohr gehört, denn er blieb stehen, drehte sich um, zog den Hut und fragte ehrerbietig:
„Befehlt Ihr etwas, Miß Almy?“
„Nein, Monsieur“, hauchte sie verlegen.
„Ich glaubte, meinen Namen gehört zu haben. Verzeihung. Miß!“
Schon erhob er den Arm, um den Hut wieder aufzusetzen. Im nächsten Augenblick würde er sich wieder umdrehen, um fortzugehen. Dann war es vorbei. Und doch mußte er zum Vater, der ihn so sehr notwendig brauchte! Ja, gewiß, es war nur der Gedanke an den Auftrag des Vaters, kein anderer Gedanke, kein anderer Grund, der Almy jetzt den Mut zu den Worten gab:
„Ich sagte – sagte ihn aller – allerdings.“
Da kam er langsam näher.
„Also rieft Ihr mich, Miß! Bitte, sagt mir, worin ich Euch gehorchen kann?“
So sprach er immer zu ihr. Er, der sich vor keinem Menschen um ein Haar breit beugte, war so demütig vor ihr, fast wie ein Sklave. Und doch ruhte dabei sein schönes, dunkles Auge so voll, sicher und selbstbewußt auf ihrem Angesicht! Dieser Widerspruch zwischen der Demut des Wortes und dem Selbstbewußtsein des Wesens war es, was Almy so verlegen machte, was sie immer verwirrte, wenn sie in seine Nähe kam. Und doch fühlte sie sich in dieser Nähe so glücklich!
„Ich wollte Euch bitten – einen kleinen Auftrag für – von – von Pa“, sagte sie.
„Sehr gern, Mademoiselle.“
Almy stand dabei in der geöffneten Tür ihres Zimmers. Es war ganz unwillkürlich geschehen, ganz absichtslos. Wie kam das doch nur?
Und er – nun, er folgte ihr natürlich. Er glaubte ja, einen Auftrag zu bekommen, vielleicht irgendeinen Gegenstand an Pa zu geben, und um diesen Gegenstand zu empfangen, mußte er doch auch mit hereinkommen. Das war doch ganz logisch!
Er war noch niemals hiergewesen. Der kleine Raum war allerliebst eingerichtet. Ein feiner, unbestimmbarer Duft schlug ihm entgegen. Welch ein Geruch war das nur? Keiner und doch einer. Von keiner Blume, von keiner Blüte, und doch von jeder Blume das beste und von jeder Blüte das süßeste. Ist es wahr, daß ein jedes reine, unentweihte Mädchen seinen Duft hat wie jede unberührte Blütenknospe?
Almy befand sich in schauderhafter Verlegenheit, zumal Adler die Tür hinter sich zugezogen hatte. Warum aber hätte er dies nicht tun sollen? Es wäre im Gegenteil höchst unhöflich gewesen, wenn er den Eingang offengelassen hätte!
Aber da stand er nun und erwartete den Auftrag. Was sollte er tun? Daß er zu Pa kommen solle, das hätte sie ihm doch draußen in kurzen Worten sagen können. Warum ihn also mit hereinnehmen? Sie mußte sich also noch etwas anderes aussinnen. Aber was?
Ihr Auge flog ängstlich suchend umher, einen Gegenstand zu entdecken, der ihr Rettung bringen könnte. Dabei streifte ihr Blick sein Auge. Dieses ruhte mit staunender Anbetung auf ihr. Sie wurde darob noch viel, viel verwirrter. Ihre Wangen röteten sich in Purpurglut. Sie hätte laut aufschluchzen können vor Qual und Bedrängnis, und doch war es auch wieder so wunderbar, so himmlisch, daß er hier stand, in ihrem Zimmer, wo er noch niemals gewesen war, und wo sie so viele tausend Male an ihn – ah, da kam Rettung!
„Almy, Almy, meine Almy!“ rief draußen der Papagei.
Ja, der liebe Vogel war der Retter in der Not. Wenn die Not am größten, so ist die Hilfe am nächsten, und sie kommt dann meist von einer Seite, von der man sie gar nicht erwartet hat.
„Master Adler, versteht Ihr Euch auf Or – Or – Or –“
Wie hieß doch nur das Wort? Warum war sie aber auch gerade auf dieses Fremdwort geraten? Es ist doch höchst unangenehm, die erste Silbe eines Wortes zu wissen, nicht aber die vier darauffolgenden!
Er hatte den Ruf des Papageis vernommen. Er ahnte, was sie meinte. Er fragte:
„Ornithologie? Nicht wahr?“
„Ja, Monsieur, Ornithologie meinte ich.“
„Ich habe mich früher mit der Vogelkunde sehr beschäftigt.“
„Auch mit Papageien?“
„Auch mit ihnen.“
„Ja, Sie wissen alles und alles; das habe ich oft bewundert. Jetzt wissen Sie sogar, was ein Papagei –“
Almy hielt ganz erschrocken inne und wurde blutrot. Welch eine Blamage! Sie hatte sagen wollen:
„Jetzt wissen Sie sogar, was ein Papagei ist!“
Was mußte er von ihr denken! Sie schlug die Wimpern nieder. Es war, als ob ihr der Blick am Boden festgebunden sei. Sie fühlte, daß sie im nächsten Augenblick weinen werde. Da ertönte seine milde, ruhige Stimme:
„Was ein Papagei für Krankheiten haben kann? Ja, das weiß ich. Befindet sich der Eurige vielleicht unwohl, Miß Almy?“
Ihre Wimpern flogen in die Höhe, und es traf ihn ein großer, langer Blick dankbarster Freude. Er hatte ihr ja doch die demütigenden Tränen erspart.
„Leider ja“, antwortete sie. „Ich mache mir recht große Sorgen um das liebe Tierchen.“
Und dabei sah sie wirklich so sorgenvoll aus, als ob sie vor lauter Bedrängnis fast weinen möchte. Sie hatte gar nicht die mindeste Ahnung, wie unendlich reizend ihr das stand, wie unwiderstehlich das wirkte. Adler hätte anbetend vor ihr niederknien mögen.
„Darf ich an diesen Sorgen mit teilnehmen?“ fragte er in bittendem Ton.
„Ach, wenn Ihr wolltet!“ seufzte sie erleichtert.
„Wie gern, wie sehr gern!“
„Könntet Ihr denn helfen, Monsieur?“
„Ich hoffe es, Miß Almy.“
„Soll ich ihn einmal hereinholen?“
„Ja. Ich bitte darum!“
Almy ging. Aber draußen angekommen, griff sie nicht sofort nach dem Vogel, sondern legte sich zunächst beide Händchen beruhigend auf den wogenden Busen und flüsterte:
„O Gott! Er ist bei mir, er, er! Wie fürchte ich mich! Wie habe ich so entsetzliche Angst! Und doch ist er so freundlich. Mein Himmel! Was soll ich tun? Ich habe gesagt, der Papagei sei krank, und doch ist er so ganz gesund. Wenn er es merkt, so werde ich krank, ich, ich! Vor Scham! Welche Krankheit wähle ich denn? Den Typhus oder die Ruhr, den Magenkrebs oder Gehirnkrämpfe? Ich weiß es selbst nicht! Und er wartet drin; ich darf ihn doch nicht länger warten lassen!“
Almy nahm den Vogel an seinem Kettchen vom Sitz herab auf ihre Hand und trug ihn zu Adler. Ihr Gesichtchen war jetzt vor Verlegenheit so bleich, als ob sie selbst krank sei.
„Da ist er“, hauchte sie.
Adler trat näher und betrachtete den Vogel.
„Spitzbube, Spitzbube!“ rief der Papagei. „Geh, Hanswurst, geh!“
Almy wurde doppelt bleich. Würde er diese Schimpfworte vielleicht auf sich beziehen? Oh, das wäre schlimm, sehr schlimm! Ihr Händchen, auf dem der Vogel saß, begann zu zittern. Hatte Adler es gesehen? Dieser nahm die zarte, kleine alabasterne Hand in die seinige, um sie zu stützen. Dann fragte er:
„Habt Ihr Euren Liebling genau beobachtet? Seit wann ist er krank?“
„Seit – seit – kurzer Zeit.“
„Seid Ihr über sein Leiden im reinen?“
„Ja, vollständig im reinen“, entfuhr es ihr.
Aber bereits im nächsten Augenblick sah sie ein, welchen großen Fehler sie begangen hatte. Wie nun, wenn sie die Krankheit nennen sollte? Was sollte sie antworten? Daß er an Schwindel leide? Oh, dann konnte Adler ja denken, die ganze Krankheit sei Schwindel. Beileibe nicht! Herzverfettung – oh, das war besser. Das Herz ist der Sitz des Gefühls, Herzverfettung ist also eine Krankheit, welche von zu vielem, von zu fettem Gefühl herkommt. Davon ließ sich jedenfalls sprechen. Aber glücklicherweise kam es gar nicht dazu. Adler nämlich nickte nachdenklich mit dem Kopf und sagte in freundlichem Ton:
„So will ich einmal sehen, ob meine Diagnose mit der Eurigen stimmt. Ich halte nämlich Euren kleinen Liebling für außerordentlich nervös.“
Da fiel sie schnell und frohlockend ein:
„Ja, ja, das ist's, das ist's! Er leidet an Nervosität, an bedeutender Nervosität, das arme, liebe Papchen. Das habe ich auch gefunden.“
„Seht nur, Miß Almy, wie er gerade jetzt zittert. Euer Händchen zittert ganz unwillkürlich mit.“
Oh, hätte er gewußt, daß sie zitterte, nicht aber der Papagei! Um ihn davon abzulenken, sagte sie in bedauerlichem Tone:
„Ich befürchte sehr, daß es kein Heilmittel geben wird.“
„Warum?“
„Pa sagte einmal, daß Nerven sehr schwer wiederherzustellen wären, wenn ihre Stimmung einmal gelitten habe.“
„Das ist richtig auf Menschen angewandt. Ein Papagei aber hat viel stärkere Nerven als ein Mensch.“
„Sollte man meinen? Wirklich?“ fragte sie treuherzig.
„Ja. Bei ihm ist alles härter und fester als bei uns. Darf ich Euch dies durch einen naheliegenden Vergleich beweisen?“
„Ich bitte!“
„Befühlt einmal seinen Schnabel, wie hart er ist. Und nehmt dagegen Eure Lippen, Euren Mund, wie weich, wie voll, wie warm, wie herrlich gezeichnet, wie – mit einem Wort köstlich!“
Er neigte sich ein wenig näher, wie um ihren Mund genauer zu betrachten, hob aber den Kopf sofort wieder empor und sagte:
„Da seht, jetzt bekommt Papchen einen argen Anfall von Nervosität. Es ist kein Irrtum möglich, es sind die Nerven.“
Almy aber wußte sehr genau, daß sie es war, die zitterte. Warum brachte er diesen Vergleich vor? Warum beschrieb er ihre Lippen, ihren Mund so genau? War das wirklich notwendig? Zur Erläuterung ja! Gelehrte Männer gehen ja stets so gründlich vor. Wie gut, daß es so glücklich vorübergegangen war. Einen Augenblick lang hatte sie gefürchtet, er werde nun auch seinen Mund mit dem ihren vergleichen, etwa welcher von beiden wärmer sei! Damit er ja nicht auf diesen Gedanken kommen möge, legte sie ihm eine sehr geschickte, therapeutische Schlinge:
„Welches Mittel könnte da wohl helfen?“
„Um dies zu wissen, muß man die Ursache des Übels kennen. Die Nerven pflegen von gewissen Aufregungen angegriffen und geschwächt zu werden. Hat es dergleichen gegeben?“
„Ja, sehr oft!“
„Welcher Art?“
„Papchen konnte partout Monsieur Leflor nicht ersehen. Er geriet, sooft er ihn erblickte, in eine gewaltige Aufregung.“
„Ah! Ist es das! Da wird also auf Hilfe für das arme Tier verzichtet werden müssen.“
„Wieso?“
„Man kann doch eines Vogels wegen nicht einem Hausfreund die Tür weisen!“
„Warum nicht? Papchen ist mir doch lieber als der Nachbar.“
„Möglich. Aber Ihr werdet trotzdem nicht unhöflich gegen letzteren sein dürfen.“
„Ich werde es sein, wenn ich den armen Vogel dadurch zu retten vermag.“
„Aber Pa? Was wird er dazu sagen?“
„Er wird mir beistimmen!“
„Das ist kaum zu glauben!“
Es war ein eigentümlich tiefer Blick, den Adler ihr jetzt in das Auge senkte. Sie fühlte diesen Blick auf dem tiefsten Grund ihres Herzens. Da taute, da grünte, knospte und blühte es mit einem Mal so, daß sie gar nicht anders konnte, sie mußte es ihm sagen:
„Leflor kommt überhaupt gar nicht wieder.“
Adler fuhr zurück, aber vor freudiger Überraschung. Es entfuhr ihm:
„Gott sei Dank! Wirklich? Wirklich?“
„Ja. Ich habe es ihm vorhin gesagt.“
„Und Euer Vater?“
„War dabei und gab mir recht.“
„Es geschah also wegen des Papageis?“
Es zuckte ihm dabei so eigenartig um den Mund, fast wie ein wenig Impertinenz. Das mußte bestraft werden, und zwar sofort. Darum antwortete sie:
„Ja, nur des Papageis wegen.“
Sofort veränderte sich Adlers Gesicht. Er bog sich zu ihr nieder und fragte:
„Nur?“
Es war nur diese einzige Silbe, aber es lag eine ganze Welt voll Liebe und noch anderes darin, vielleicht sogar Angst. Das tat ihr weh. Sie durfte doch nicht gar so hart mit ihm verfahren, darum antwortete sie:
„Ja, nur des Papageis wegen, und das war eben Leflor.“
„Ah – so –!“
„Ja. Er schwatzte zuviel.“
„Wirklich?“
„Und zwar recht schlimme Unwahrheiten.“
„Der böse Mensch! Auf wen bezogen sich denn wohl diese Unwahrheiten?“
„Auf mich und –“
„Und –?“
„Und ihn.“
Sie war wieder glühend rot geworden. Er aber fragte trotzdem weiter:
„Das verstehe ich nicht. Was hat er gesagt?“
„Er hat gesagt, daß – daß – daß – mein Gott, Ihr wißt es ja selbst auch!“
„Ich?“
„Ja. Er hat es Euch heute gesagt, draußen im Garten, und Ihr habt ihm dafür auch gleich die wohlverdiente Strafe gegeben.“
„Also das, das ist es! Und es war Lüge?“
„Habt Ihr es etwa geglaubt?“
Sie blickte ihn vorwurfsvoll an.
„Nein!“ antwortete er. „Ich habe ihn ja auch sogleich einen Lügner genannt.“
„Das war sehr recht. Er aber wird sich dafür rächen, Monsieur Adler.“
„Ich fürchte ihn ganz und gar nicht. Es steht also zu erwarten, daß er nicht wiederkommt?“
„Es steht nicht nur zu erwarten, sondern es ist ganz und gar gewiß. Ist Euch das unlieb?“
„Mir ist es im Gegenteil sehr lieb, besonders um des guten Papchens willen, das nun ganz sicher wieder gesund werden wird.“
„Nur seinetwegen?“
„Ja. Sonst ist Leflor mir ja völlig gleichgültig.“
Sie fühlte es heraus, daß er sie jetzt strafen wollte, denn sie hatte ihm vorher gerade so auch geantwortet. Es flog wie ein Hauch der Betrübnis über ihr Gesichtchen. Das tat ihm weh, und darum legte er ihr die Hand auf den Arm, trat ihr einen kleinen, ganz kleinen Schritt näher und fragte:
„Bitte, habt Ihr Leflor nur wegen der Nervosität des Vogels fortgewiesen?“
Almy blickte voll und ehrlich zu ihm auf, und er in derselben Weise zu ihr nieder. An diesen Blicken rankten sich die Seelen zueinander hinüber. Jetzt war es Almy unmöglich, den Schein noch länger aufrechtzuerhalten, und sie antwortete, ihr Auge nicht von dem seinigen lassend:
„Nein. Der Vogel ist ja gar nicht krank. Nicht wahr, Monsieur Adler?“
„Ja, er ist kerngesund“, lächelte er. „Und ich konnte Leflor nicht leiden. Er ist ein böser Mensch. Nun ist er fort und kommt nicht wieder. Gott sei Dank!“
In diesem Augenblick schlug der Papagei mit den Flügeln und rief:
„Adler, Adler! Mein Süßer, mein Lieber! Wo bist du denn?“
Almy hätte tief, tief in die Erde hineinsinken mögen. Über Adlers Gesicht glitt ein wonniger Schein, aber er beherrschte sich und sagte:
„Schaut, er sehnt sich nach seinem Kameraden, nach dem Bergadler draußen vor der Veranda. Es wird am besten sein, ihn hinauszubringen.“
Wieder Rettung in der aller- und allerhöchsten Not. Almy warf ihm einen Blick innigsten Dankes zu und trug eiligst den Vogel hinaus. Als sie zurückkehrte, hatte ihr Gesicht einen ganz eigenartigen Ausdruck, so fromm, so erlöst, als ob sie soeben vom Tisch des Herrn komme, an dem sie Vergebung der Sünden empfangen habe. Sie streckte ihm das Händchen hin und fragte:
„Seid Ihr mir noch bös, Monsieur?“
„Ich Euch bös? Weswegen sollte das gewesen sein?“
„Weil ich Euch die Unwahrheit gesagt habe in Beziehung auf den Papagei?“
Da ergriff er die dargebotene Hand und auch die andere, drückte beide an sein Herz und sagte in überquellendem Gefühl:
„Das war keine Unwahrheit, du süßes, du reines, du herrliches Mädchen. Das war der Wall, hinter den sich deine Seele flüchtete, als sie glaubte, in Bedrängnis geraten zu sein. Almy, Almy, du bist soviel und noch mehr wert als die ganze Welt. Ich werde dich bewundern und verehren, solange ich lebe, wenn auch nur aus der Ferne, ach, nur aus der Ferne!“
Er ließ ihre Händchen sinken und war im nächsten Augenblick fort. Sie aber glitt in einen Sessel und legte das Gesicht in die Hände. So lag sie lange, lange still und bewegungslos. Nur der Busen hob und senkte sich unter seligen Empfindungen, und zwischen den rosig angehauchten Fingern drang zuweilen eine Tränenperle hervor – Tränen unbegreiflichen, unfaßbaren und bisher noch ungeahnten Glückes.
Und Adler befand sich in einer ganz ähnlichen Stimmung. Das Dichterwort ‚Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt!‘ war die treffendste Schilderung seines jetzigen Seelenzustandes. Er wußte sich geliebt, und zwar so rein, so fromm, so heilig wie noch selten einer geliebt worden war. Er liebte sie wieder. Er hätte für sie alle Qualen der Erde erdulden können, ohne nur einen Laut von sich zu geben, ohne nur mit der Wimper zu zucken. Diese Qualen wären für ihn ebensoviele Seligkeiten gewesen, da er so glücklich war, sie für diese einzige zu erdulden. Aber durfte er das entscheidende Wort sagen? Durfte er an sein Leben das ihrige binden? Er dachte hinüber, jenseits des Meeres, an das gräßliche Schicksal der Familie Adlerhorst. Er war ein Sohn derselben, obgleich es ihm verboten war, hatte er den Mut gehabt, die eine Hälfte seines Namens beizubehalten, auf dem ein unlösbarer Fluch ruhte. Durfte er die Heißgeliebte mit hinab in den Abgrund ziehen, den dieser Fluch für ihn und für die Seinigen geöffnet hatte? Nein und abermals nein und tausendmal nein! Er war entschlossen, zu entsagen, aber ihr nahe zu bleiben, ein treuer Engel zu ihrem Schutz und ihrem Schirm, solange sie berufen war, auf Erden zu wandeln.
So schritt er, in selige und träumerische Gedanken versunken, im Garten hin und her, bis ihn die Stimme des Pflanzers aus seinem Brüten weckte:
„Hier seid Ihr, Monsieur Adler! Ich suche Euch überall. Eure Anwesenheit ist sehr notwendig.“
„Ich stehe zu Diensten, Monsieur“, antwortete Adler, noch halb wie im Traum.
„Schön! Es handelt sich darum, einige ebensogute Schüsse zu tun, wie damals, als Ihr auf den Bruder des ‚Roten Burkers‘ zieltet.“
„Doch nichts Ähnliches?“
„Ganz dasselbe sogar. Burkers ist in der Nähe, um sich heute nacht zu rächen. Kommt mit mir, ich will es Euch erzählen.“ – – –
Sam war, nachdem er sich von dem Pflanzer und dessen Tochter verabschiedet hatte, wieder zu Jim und Tim zurückgekehrt. Der erstere hatte vorwurfsvoll gebrummt:
„Wo steckst du denn? Wir warten bereits zwei volle Ewigkeiten. Hattest dich wohl in die Kleine vergafft, mit der du da drüben sprachst?“
„Ja. Es ist sehr rasch gegangen. Sehen, Lieben, Geständnis, Verlobung alles ist vorbei. Sie zieht als meine Squaw mit nach dem Westen und wird meine Bärin sein.“
„O weh! Das wird junge Bären die schwere Menge geben. Da kann der Alte fleißig für Wildbret und Himbeeren sorgen.“
„Das wird er gern und fleißig tun. Ihr aber könnt zusehen und euch die Mäuler putzen. Kriegen tut ihr nichts davon. Ich habe den Herrn der Plantage aufmerksam gemacht auf heute abend. Wir kehren nachher zu ihm zurück, um Kriegsrat zu halten. Jetzt aber suchen wir zunächst unseren guten Monsieur Walker auf. Kommt!“
Sie setzten ihren Weg ganz in der früheren Reihenfolge fort. Sam voran.
Er war ein ausgezeichneter Pfadfinder. Nach weit über zwei Stunden bestimmte er, selbst auf dem offenen Weg, ganz genau die Spuren, welche der Gesuchte zurückgelassen hatte. So gelangten sie aus dem Garten hinaus und an die Zuckerpflanzung welche der Weg in zwei Hälften zerschnitt.
Weit draußen dehnte sich am Horizont der Wald, einzelnes Buschwerk weiter hereinsendend. Dort erblickten die drei die Hütte Bommys.
Sam blieb halten und musterte das Terrain. Nachdem er einige Male den Kopf nachdenklich hin und her gewiegt hatte, sagte er:
„Das ist ohne Zweifel die Hütte des Niggers, und dieser Weg führt schnurgerade auf sie zu. Wenn wir ihn gehen, so wird man uns ganz gewiß schon von weitem sehen, und dann ist Walker für uns verloren. Wir müssen uns also anschleichen. Das geschieht am besten, wenn wir um die Zuckerplantage herumgehen. Sie wird vom Gebüsch eingezäunt, und wenn wir uns in dem letzteren halten, wird man uns nicht bemerken. Kommt!“
Sie folgten seiner Ansicht ohne Widerrede und befanden sich nach wenig über einer Viertelstunde in einem dichten Buschrand versteckt, von welchem aus man die hintere Seite der Hütte genau überblicken und auch mit einer Gewehrkugel erreichen konnte. Sie lag in einer Entfernung von vielleicht achtzig Schritten. Der Zwischenraum war mit einigen auch sehr dichten Büschen und Gesträuchgruppen besetzt.
„Jetzt bleibt ihr hier“, sagte Sam. „Ich schleiche mich weiter vor und suche die Sträucher zu erreichen, welche der Tür gegenüberstehen. Seht ihr mich in Gefahr, so sendet ihr mir eure Kugeln zu Hilfe.“
„Ist es nicht besser, wir gehen sofort hinein?“ fragte Jim ungeduldig.
„Nein, Alter. Erst will ich wissen, woran ich bin. Das scheinbar Unnötige ist sehr oft am allernötigsten, und nicht der kürzeste Weg ist stets der beste. Warten führt manchmal am schnellsten zum Ziel.“
Er kroch aus seinem Versteck heraus und auf dem Boden weiter bis hinter den nächsten Busch. So kroch er von Strauch zu Strauch, bis er das Gebüsch erreichte, welches sich höchstens sechs Schritt weit von der Tür befand. Es bestand aus strauchartigem Flieder, von wildem Wein durchzogen, und bildete, wenn man sich erst einmal hineingearbeitet hatte, selbst bei hellem Tag ein genügendes Versteck. Sam befand sich trotz seines Körperumfanges sehr bald im Innern des Strauchgewirres, und er wußte sich da so schlau einzurichten und mit Zweigen zu maskieren, daß es des Auges eines geübten Westmannes bedurft hätte, ihn zu entdecken.
Die Hütte war aus sogenannten Loggs, aus starken, massiven Holzklötzen errichtet; auch das Dach bestand aus starken Stämmen. An jeder der vier Seiten befand sich eine kleine hineingehauene Öffnung als Fenster. Die Tür führte, wie dies häufig vorkommt, auf der hinteren Seite in das Innere. Sie war nicht nach innen, sondern nach außen zu öffnen, wie auch die Läden, und bestand aus starken, doppelt übereinandergelegten Brettern.
Das betrachtete sich Sam sehr genau.
„Hm!“ brummte er für sich hin. „Gut, daß Tür und Fenster nach außen aufgehen. So kann man sie verrammeln, so daß die Insassen gefangen sind wie die Wassermaus im Uferloch. Ich werde –“
Er hielt inne. Es gab Besseres zu tun, als den eigenen Gedanken Audienz zu geben. Die Tür wurde aufgestoßen. Ein Neger trat heraus und schritt, sich vorsichtig und höchst aufmerksam nach allen Seiten umblickend, um die Hütte. Als er von der anderen Seite zur Tür zurückkehrte, sagte er in die Öffnung hinein:
„Es geht. Es befindet sich kein Mensch in der Nähe. Komm heraus, Daniel.“
Es erschien ein zweiter Neger, in blaugestreiftes Zeug gekleidet, barfuß, ohne Waffen und Kopfbedeckung. Er blieb stehen und blickte sich auch um. Als er nichts Besorgniserregendes bemerkte, sagte er:
„Dumm, daß man bei dir nur flüstern darf. Wer ist denn noch bei dir?“
„Auch ein Freund.“
„Wo denn?“
„Das geht dich nichts an. Die Botschaft hast du mir gesagt; ich mache mit, und was es noch zu bemerken gibt, das kannst du jetzt noch hinzufügen. Der drin hört uns hier nicht.“
„Ist er heute abend auch noch da?“
„Ich glaube nicht.“
„Das ist gut. Wir brauchen keine Zeugen. Erst hatten wir einen anderen Plan, aber es schien, als ob sich Fremde in unserer Nähe befunden hätten, um uns zu belauschen. Der Hauptmann glaubt zwar nicht daran, aber besser ist besser. Da ich dich so gut kenne, und du uns auch schon andere Dienste erwiesen hast, natürlich gegen gutes Geld, so wurde ich zu dir geschickt, um bei dir anzufragen. Ich kam auf einem Schilfbündel über den Fluß. Punkt neun Uhr kommen wir hier an. Wann es dann im Schloß losgeht, das richtet sich nach den Umständen und wird vom ‚Roten Burkers‘ bestimmt werden. Hast du Schnaps genug?“
„Mehr als ihr braucht.“
„Gut! Schaffe also den drin fort, damit wir am Abend allein sind!“
Er ging fort, auch nach dem Wald zu, um dort Deckung zu finden. Bommy, der Wirt, blieb noch eine kleine Weile stehen und trat dann wieder in die Hütte. Sam hielt es nicht für geraten, allein in das Innere zu treten. Er war überzeugt, daß Walker sich in derselben befinde. Vielleicht gab es einen Kampf; der Neger half dem anderen. Es war unnötig sich in Gefahr zu begeben. Darum kroch er aus seinem Versteck hervor, nachdem er noch einige Zeit gewartet hatte, umschlich die Blockhütte, aufmerksam horchend, ob er vielleicht eine Stimme, ein verräterisches Geräusch vernehme; aber es ließ sich nichts hören. Jetzt kehrte er an die Tür zurück und winkte nach der Stelle hin, wo sich die beiden Brüder befanden. Er gab ihnen durch Zeichen zu verstehen, daß sie möglichst Deckung suchen sollten, um unbemerkt heranzukommen, aber Tim sagte zu Jim:
„Nun ist's gleich, ob man uns sieht. Hinein gehen wir doch, und da wird alles unser, was drin ist.“
„Sam wird zanken.“
„Pshaw! Er macht zu viele Umstände. Jetzt hat er eine Menge Zeit vertrödelt, und wozu? Da hat er im Busch gelegen, um einen alten Nigger anzusehen. Lächerlich! Komm!“
Er verließ sein Versteck und schritt ganz offen auf die Hütte zu. Jim folgte ihm. Sie hatten Sam noch nicht erreicht, als die Tür, die nicht verschlossen, sondern nur angelehnt gewesen war, geräuschvoll verriegelt wurde.
„Verdammt!“ zürnte Sam. „Was fällt euch Kerlen denn ein, so offen herbeizulaufen? Glaubt ihr etwa die einzigen Menschen zu sein, die Augen im Kopf haben? Oder meint ihr, daß man hier in dieses Nest vier Fensterlöcher gemacht hat, nur daß man hineinschauen kann, nicht aber, daß die Bewohner auch hinausgucken?“
„Tim tat es nicht anders“, entschuldigte sich Jim.
„Und wenn er eine Dummheit ausheckt, da mußt du mitmachen, he? Westmänner wollt ihr sein? Das müßt ihr anderen Leuten weismachen, aber ja nicht etwa mir! Wer einen Vogel fangen will, der muß sich fein im verborgenen anschleichen, nicht aber so offen dreinlatschen, wie ihr es hier getan habt!“
„Nun, der Vogel, den wir haben wollen, wird uns doch wohl nicht entgehen. Ich hoffe, daß er sich bereits da in diesem alten Käfig befindet.“
Jim deutete dabei auf die Hütte. Sam aber zeigte sich wenig zur Entschuldigung ihrer Unvorsichtigkeit geneigt. Er war wirklich und allen Ernstes zornig geworden. Sein schon an und für sich rotes Gesicht zeigte vor Ärger eine noch dunklere Farbe. Er antwortete:
„So! Meinst du, daß er sich da drin befindet? Wenn dies nun nicht der Fall ist?“
„So hast du gar keine Veranlassung uns auszuschelten.“
„Und wenn er drinnen ist?“
„So hast du ebensowenig Grund. In diesem Fall kann er uns ja doch nicht entgehen.“
„Ja, du hast einen sehr klugen Kopf, Alter! Wie willst du dich denn seiner bemächtigen?“
„Nun, wir gehen einfach hinein und holen ihn uns heraus.“
„Schön! Tue das, mein Sohn!“
Sam deutete nach der Tür. Dieser Wortwechsel war nicht etwa in lautem Ton geführt worden. Dazu waren die drei denn doch viel zu klug. Sie hatten so leise geflüstert, daß man im Innern der Hütte kein Wort verstehen konnte. Jim schlich sich an die Tür und versuchte, sie zu öffnen.
„Verdammt!“ murmelte er enttäuscht. „Sie ist ja von innen zugeriegelt.“
„Ja“, brummte Sam erbost. „Erst war sie offen. Als ihr aber so sichtbar daherkamt, als ob ihr von dem Nigger zu Gevatter gebeten wäret, da schloß man natürlich schleunigst zu.“
„So klopfen wir!“
„Man wird sich hüten, aufzumachen.“
„So treten wir die Tür ein.“
„Wirklich? Wie klug! Eine Tür, die sich nach außen öffnet, nach innen einzutreten, zumal wenn sie aus so starkem und noch dazu doppeltem Holz besteht.“
„So sprengen wir sie auf!“
„Versuche es! Ich habe nichts dagegen, wenn du eine Kugel vor den Kopf haben willst.“
„Meinst du etwa, daß der Nigger schießen wird?“
„Warum soll er es nicht? Ich würde es ihm keineswegs übelnehmen.“
„Er sollte es wagen!“
„Pshaw! Er ist Besitzer des Hauses. Er kann sein Hausrecht in Anwendung bringen. Er braucht nur demjenigen zu öffnen, der ihm willkommen ist, kann jeden anderen abweisen und darf einen jeden, der gegen seinen Willen den Eingang erzwingen will, mit der Waffe abweisen.“
„Ein Nigger! Wo denkst du hin!“
„Er ist freigelassen, und die Hütte wurde ihm geschenkt. Er ist Eigentümer und hat dasselbe Recht wie ein Weißer, sein Eigentum zu verteidigen. Daran kannst du nun wohl nichts ändern.“
„Der Teufel hole ihn und auch denjenigen, der ihn freigelassen hat!“
„Hättet ihr die nötige Vorsicht angewandt, so wäre die Tür nicht verschlossen worden, und wir ständen jetzt drin und hätten unseren Fisch an der Angel.“
„Ist er denn wirklich drin?“
„Ja. Die beiden, die ich belauschte, sprachen davon.“
„Wer war denn der andere Schwarze? Wohl ein Neger Monsieur Wilkins'?“
„Prosit die Mahlzeit! Es war einer der Schwarzen, die wir gestern draußen im Wald bei der Bande des ‚Roten Burkers‘ belauschten.“
„Was du sagst!“
„Ich erkannte den Kerl, als er heraustrat sofort an den gestreiften Fetzen, die er auf dem Leib hat. Und selbst, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, so wüßte ich, woran ich bin. Er sprach mit Bommy von Burkers. Hätten sie gewußt, daß der dicke Sam da in dem Busch steckte, so hätten sie wohl ihre Mäuler gehalten.“
Sie äußerten ihr Erstaunen darüber, daß der ursprüngliche Plan des ‚Roten Burkers‘ geändert worden war, aber auch ihre Freude, daß der gute Sam ihn doch erfahren hatte. Dieser meinte:
„Wir dürfen uns aber beileibe nicht merken lassen, daß einer gelauscht hat, sonst machen sie uns einen Strich durch die Rechnung.“
„Was aber tun wir jetzt, um in die Hütte zu kommen?“
„Wir müssen eben versuchen, ob man uns einlassen wird.“
„Werden sich hüten!“
„Natürlich! Da es aber nichts anderes gibt, so müssen wir wenigstens diesen Strohhalm ergreifen.“
„So klopfe einmal an.“
Sam machte ein im höchsten Grad erstauntes Gesicht.
„Ich?“ fragte er. „Seid ihr des Teufels?“
„Nun, warum denn nicht?“
„Wahrhaftig, ihr seid nicht die Jäger, für die ich euch gehalten habe. Fast könnte man glauben, ihr hättet euch nur Jim und Tim genannt, ohne es aber wirklich zu sein. Meint ihr etwa, daß mich die beiden Kerle, die sich in der Hütte befinden, auch so genau gesehen haben wie euch?“
„Nein, gewiß nicht.“
„Nun, so werde ich es ihnen auch nicht auf die Nase binden, daß ich da bin. Das wäre doch die allergrößte Dummheit, die sich nur denken läßt. Ihr klopft selbst an, und wenn die Verhandlung zu keinem Ziel führt, so geht ihr wieder so offen fort, wie ihr gekommen seid, so, daß man euch von innen sehen kann. Ich vermute, daß man euch dann nachfolgen wird, um zu sehen, ob ihr euch wirklich entfernt. In diesem Fall husche ich rasch in die Hütte und bin dann Herr des Hauses. Ihr lauft so weit fort, daß man annehmen muß, ihr hättet euch in das Unvermeidliche gefügt, und dann kommt ihr heimlich in das Gesträuch zurück, in dem ihr vorhin gesteckt habt. Ihr werdet wohl so klug sein, zu bemerken, wo ich mich befinde, und wie es mit mir steht. Das übrige ist dann eure Sache. Auf alle Fälle aber könnt ihr von eurem Versteck aus mit euren Kugeln die Hütte erreichen und diesem Walker, auf den wir es abgesehen haben, einige Lot Blei geben, falls er es wagt, herauszutreten, oder gar sich auf und davon machen will.“
Jim nickte zustimmend und sagte:
„Sam, du bist wirklich der schlaue Kopf, als welchen man dich uns geschildert hat.“
„Meint ihr? Ja, es ist auch notwendig, daß wenigstens ich den Verstand zusammennehme, da mit euch nicht einmal eine armselige Gans, viel weniger aber ein Pferd zu mausen ist. Also klopft einmal an. Laßt euch aber ja nicht merken, daß ihr wißt, daß sich der Gesuchte in der Hütte befindet. Wir müssen sie sicher machen.“ –
Walker war, trunken von der Schönheit der jungen Pflanzerin, von seinem Lauscherort fortgegangen, natürlich in der Richtung in der die drei Jäger einige Stunden später seine Spuren gefunden hatten.
Der Weg führte mitten durch die Zuckerplantage geradeaus nach dem Vorwald, an dessen Gebüsch, wie bereits bekannt, die Hütte des Negers Bommy lag. Es traf sich gerade, daß der einsame, vorsichtig um sich schauende Wanderer keinen Menschen erblickte, dem zu begegnen er hätte befürchten müssen.
So erreichte er ungesehen das Blockhäuschen, dessen Tür wie gewöhnlich offenstand. Diebe gab es ja hier wohl nicht, da die splendide Natur in jenen Gegenden selbst den Ärmsten fast mühelos erringen läßt, was er zu seines Leibes Nahrung und Notdurft bedarf. Höchstens waren da jene fremden Banden zu fürchten, die zuweilen selbst hier im Süden von sich reden machten, die aber nach jedem Streich, den sie einmal ausführten, sofort auf längere Zeit wieder verschwanden.
Der Neger saß gleich hinter der Tür auf einem Holzblock, der ihm als Lieblingssessel zu dienen schien. Er rauchte aus einer nach und nach immer kürzer gebissenen Holzpfeife einen selbstgebauten Tabak, dessen Geruch oder vielmehr Gestank einen Ochsen hatte in Ohnmacht fallen lassen können. Die Nerven dieser Leute sind stark, wie aus Eisendraht gemacht.
Er erhob die großen, weiß aus dem dunklen Gesicht glänzenden Augen zu dem Fremdling, blieb aber sitzen und sagte auch kein Wort des Willkommens. Er schien es nur allein für angezeigt zu halten, den Eingetretenen mit scharfem Blick vom Kopf bis zum Fuß zu mustern, um sich sagen zu können, was er wohl von ihm zu erwarten habe.
„Good morning Sir!“ grüßte Walker.
Bommy antwortete nicht. Dieser höfliche Gruß eines Weißen einem Schwarzen gegenüber verstärkte nur sein Mißtrauen.
„Guten Morgen, Sir, habe ich gesagt!“ wiederholte der Gast in scharfem Ton.
„Hab's gehört“, antwortete der Neger gleichmütig.
„Könnt Ihr den Gruß nicht erwidern?“
„Nein.“
„Ah! Warum nicht?“
„Weil er nicht aufrichtig gemeint ist.“
„Oho! Wie wollt Ihr das beweisen?“
„Ihr nennt mich nicht du, und Ihr gebt mir den Titel Sir. Das tut ein Weißer nur dann, wenn er es übel mit dem Schwarzen meint.“
„Vielleicht tue ich es, weil ich es besser mit Euch meine, als tausend andere.“
„Wenn es wahr wäre!“
„Ihr könnt es glauben.“
„Zunächst glaube ich es noch nicht.“
„Donnerwetter! Ihr seid sehr aufrichtig.“
„Das ist besser als hinterlistige Höflichkeit.“
„Aber eine zu große Aufrichtigkeit geht leicht in das über, was man Grobheit nennt.“
„Nehmt es, wie Ihr wollt.“
„Meinetwegen! Nicht wahr, Ihr nennt Euch Bommy?“
„Ja, Master.“
„Habt Ihr nicht einen Schnaps für mich?“
„Nein.“
„Ich denke, Ihr seid Schenkwirt.“
„Das bin ich.“
„So werdet Ihr doch einen Schnaps haben!“
„Aber nicht für alle.“
Bommy saß auch jetzt noch auf seinem Klotz. Er hatte keine andere Bewegung gemacht als diejenige, die nötig war, den Rauch aus seinem Stummel zu ziehen und wieder von sich zu blasen. Er war eine breite Gestalt mit übermäßig langen Extremitäten, wie man es bei Negern ja gewohnt ist. Sein Gesicht besaß eine außerordentliche Häßlichkeit. Es war von den Blattern zerrissen. Seine Augen hatten einen stieren, tückischen Ausdruck, fast wie man ihn bei dem wilden Büffel der Prärie beobachtet.
Walker hatte sich mit gespreizten Beinen vor ihn hingestellt und den bisherigen Teil der Unterhaltung mit lächelndem Gesicht geführt. Das knurrige Wesen des Negers schien ihm Spaß zu verursachen. Auf die letzten groben Worte antwortete er im ruhigsten Ton:
„Also für mich habt Ihr wohl keinen Schluck?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Ich kenne Euch nicht.“
„Hm! So ist es freilich notwendig, daß wir uns so schnell wie möglich kennenlernen. Pfui, Alter! Vorher schient Ihr mir nur originell zu sein, jetzt aber werdet Ihr grob. Schämt Euch!“
„Habe keine Zeit dazu!“
„Aber ich will nun partout einen Gin oder Whisky mit Euch trinken, und da Ihr dies nur mit Bekannten tut, so werde ich bleiben, bis Ihr mich kennengelernt habt.“
Es waren verschiedene Pfähle in die Erde geschlagen und mit Brettern versehen worden, das gab primitive Tische und Bänke, die den hier verkehrenden Gästen genügen mochten. Walker setzte sich auf eine dieser rohen Bänke und legte nach Yankeemanier die Beine gemütlich auf den Tisch. Der Neger sah dies einige Augenblicke ruhig an, dann stand er auf und sagte:
„Wie lange gedenkt Ihr Euch denn hier niederzulassen, Mylord?“
„So lange, bis wir alte Bekannte sind.“
„Das wird wohl niemals werden, denn in weniger als zwei Minuten werdet Ihr hier zur Tür hinausfliegen.“
„Macht keine dummen Witze.“
„Witze? Ich spreche in völligem Ernst.“
„Das glaube ich nun freilich nicht.“
„So werdet Ihr es gleich glauben müssen. Tut einmal Eure Beine da vom Tisch herab, sonst helfe ich nach!“
Er machte Miene, nach den Beinen des Weißen zu greifen, dieser zog sie schnell an sich und sagte lachend:
„Wahrhaftig, der Mann macht Ernst! Nun, das gefällt mir! Ich ersehe daraus, daß Ihr ein tatkräftiger Mensch seid, der zu gebrauchen ist. Sagt mir einmal: Verdient Ihr Euch nicht vielleicht gern zwei Goldstücke oder auch drei?“
Die Augen des Schwarzen blitzten auf.
„Zwei oder drei?“ fragte er. „Sehr gern, hundert aber noch lieber.“
„Gut! Es können wohl hundert werden, wenn ich in Euch einen nützlichen Mann kennenlerne.“
„Jessus! Jessus! Ist's wahr? Hundert?“
„Ja, hundert. Vielleicht auch noch mehr.“
„Ach, Mylord, tut Eure Beine getrost wieder auf den Tisch. Ihr könnt sie hinlegen, wo es Euch nur immer gefällig ist.“
„Sogar Euch auf den Buckel?“
„Ja, mir sogar auf den Buckel, nämlich, wenn es gut bezahlt wird.“
„Was das betrifft, so braucht Ihr Euch keine Sorge zu machen. Ich pflege das, was man mir leistet, stets gut zu bezahlen.“
„Was verlangt Ihr denn?“
„Zunächst ein Glas Schnaps.“
Der Neger zog die Stirn wieder kraus und antwortete:
„Euer verdammter Schnaps. Könnt Ihr denn gar nichts anderes verlangen?“
„Das werde ich auch noch tun. Aber jetzt bin ich noch nüchtern. Ich muß dem Magen guten Morgen sagen.“
„Wie aber nun, wenn Euch Master Wilkins geschickt hat, um mich auf die Probe zu stellen?“
„Pfui Teufel! Das täte ich nicht.“
„So sagt jeder.“
„Fürchtet Ihr Euch denn vor Master Wilkins?“
„Fürchten? Ich? Pshaw!“
Er nahm die Achsel in die Höhe und zog ein Gesicht, in dem sich eine außerordentliche Geringschätzung aussprach. Walker sah dies und bemerkte:
„Warum fragt Ihr so nach ihm, wenn Ihr Euch nicht vor ihm fürchtet?“
„Weil ich gern gute Nachbarschaft halte.“
„Dürft Ihr Euern Gin nicht geben, wem Ihr wollt?“
„Warum nicht, wenn es mir beliebt. Der Master hat es seinen Leuten verboten, zu mir zu gehen, und wenn ich mich auch nicht etwa vor ihm fürchte, so kann er mir doch schaden, wenn ich mich nicht wenigstens einigermaßen nach seinem Willen richte.“
„Und Ihr haltet mich für einen Abgesandten von ihm?“
„Ist's nicht möglich, daß Ihr einer seid?“
„Ich? Niemals! Im Gegenteil!“
„Was wollt Ihr damit sagen?“
„Daß ich kein Freund Eures Wilkins bin.“
„Oho! Ihr wollt mich nur sicher machen.“
„Fällt mir nicht ein! Seid doch kein Querkopf und habt Vertrauen zu mir! Ich möchte gern einiges über Wilkins erfahren.“
„Von mir erfahrt Ihr nichts.“
„Vielleicht doch. Ich werde Euch Eure Dienste ja sehr gut belohnen.“
„Wendet Euch an andere!“
„Die gibt es nicht. Dieser Wilkins scheint es seinen Leuten ja förmlich angetan zu haben. Sie hängen an ihm wie die Kletten am Kleid, gerade, als ob er der Herrgottsvater im Himmel sei! Ich aber brauche einen Mann, der einen klaren Kopf besitzt und sich nichts vormachen läßt.“
„Hm! Das bin ich“, schmunzelte Bommy.
„Ich will Euch aufrichtig gestehen, daß ich diesem Wilkins gern einiges am Zeug flicken möchte.“
Da machte der Neger eine Bewegung freudiger Überraschung und sagte:
„Am Zeug flicken? Ah, wirklich? Sagt Ihr die Wahrheit?“
„Ja, freilich.“
„So seid Ihr wirklich nicht sein Freund?“
Walker stand von der Bank auf, legte ihm die Hand auf die Achsel und antwortete in überzeugendem Ton:
„Sein Freund? Ich sage Euch, daß er keinen größeren Feind haben kann als mich.“
„Ah, wenn das wahr wäre!“
„Es ist wahr.“
„Könnt Ihr es beschwören?“
„Ja, mit allen Eiden der Welt.“
„Hat er Euch etwas getan?“
„Das gehört jetzt nicht hierher. Es fragt sich nur, ob Ihr mir dienen wollt, wenn es sich darum handelt, ihm einen Streich zu spielen.“
„Gern, außerordentlich gern! Also um einen Streich nur handelt es sich? Das ist wenig, sehr wenig!“
Das Bedauern, welches aus diesen Worten klang war ein höllisches. Sein Lachen dabei war das eines Teufels. Die Zähne blitzten aus dem aufgerissenen Mund wie das Gebiß eines Raubtiers, das sich seiner Beute freut.
„Oh, es ist nicht wenig. Zwischen Streich und Streich ist ein sehr großer Unterschied. Es gibt verschiedenerlei Streiche, Schelmenstreiche, Bubenstreiche und so weiter. Ein lustiger Streich ist zum Lachen, ein sehr ernsthafter Streich, der einen anderen um Ehre und Leben bringt, kann noch viel mehr zum Lachen sein.“
„O Jessus, Jessus! Wenn es doch so ein Streich wäre!“
„Nun, es ist so einer. Ich will es Euch offen gestehen.“
„Ihr werdet ihm Ehre und Leben nehmen?“
„Hoffentlich. Zunächst aber habe ich es auf seinen Besitz abgesehen.“
„Auf die Pflanzung?“
„Ja, er wird sie am längsten besessen haben. Wollt Ihr mir dabei helfen?“
„Sehr, sehr gern, wenn Ihr gut bezahlt.“
„Das werde ich, wie ich Euch bereits gesagt habe. Also, ich kann sicher auf Eure Dienste rechnen?“
„Ganz gewiß!“
„So macht dort die Tür zu, damit wir nicht überrascht werden. Ich muß Euch nämlich sagen, daß man mich hier bei Euch nicht sehen darf.“
„Weshalb nicht?“ fragte der Neger, indem er den Riegel vor die Tür schob.
„Das werde ich Euch sagen, wenn Ihr mir vorher einen Schluck gegeben habt.“
Bommy ging nach der Ecke des Raumes und hob eine hölzerne Decke auf, unter der sich ein viereckiges Loch befand, das seinen Keller bildete. Er nahm eine Flasche und zwei Gläser und setzte sich damit dem Weißen gegenüber.
Walker hatte sich indessen im Raum umgesehen. Er nahm das ganze Viereck der Blockhütte ein. Zwei Tische und vier Bänke, in der bereits angegebenen Weise gefertigt, der Holzklotz, auf dem vorhin der Neger gesessen hatte, ein Herd mit zwei Töpfen und einer Pfanne, das Loch mit mehreren Flaschen und Gläsern, ein Beil, ein paar Messer auf dem anderen Tisch, ein alter Regenschirm, in einer Ecke ein Lager von Laub und in der anderen ein Haufen Brennholz, das war alles, was das Auge erblickte.
Der Herd befand sich an dem einen Giebelfenster, durch welches der Rauch zu ziehen hatte; einen Schornstein gab es nicht. Eine Decke war auch nicht vorhanden. Das Dach vertrat diese Stelle. Der Fußboden bestand einfach aus festgetretener Erde.
Der Neger sah den beobachtenden Blick seines Gastes und fragte:
„Gefällt Euch mein Palast?“
„Gar nicht“, antwortete Walker.
„Ja, wie in New York oder New Orleans bin ich nicht eingerichtet.“
„Ist auch gar nicht nötig. Aber etwas könntet Ihr doch bei aller Einfachheit haben, etwas, was ein Mann wie ich und Ihr zuweilen gebrauchen kann.“
„Ich habe alles, was ich brauche“, sagte der Neger unter einem schlauen Lächeln.
„Aber das, was ich meine, doch nicht.“
„Nun, was meint Ihr denn?“
„Hm! Ich meine ein kleines, lauschiges Örtchen, an dem man nicht von jedermann gesehen werden kann.“
„Ah, Ihr meint ein Versteck?“
„Ja freilich.“
„Hm! Ich habe Euch bereits gesagt, daß ich alles habe, was ich brauche.“
„So, so! Da scheint Ihr also ein solches Versteck gar nicht zu brauchen?“
Der Neger blinzelte listig, zeigte das Gebiß und sagte:
„Ich nicht, aber andere zuweilen.“
„Donnerwetter! So habt Ihr ein Versteck?“
„Ja, Sir.“
Walker warf abermals einen sehr sorgfältigen, forschenden Blick umher und sagte dann:
„Aber nicht hier in der Hütte!“
„Nicht?“
„Nein, gewiß nicht!“
„Wie kommt Ihr zu dieser eigentümlichen Ansicht?“
„Man müßte doch eine Spur davon sehen.“
Da lachte der Neger laut und höhnisch auf:
„Hahahaha! Eine Spur davon sehen! Das wäre mir ein schönes Versteck, das ein Fremder, wie Ihr seid, bereits nach fünf Minuten entdecken kann. Ich müßte ja wahnsinnig sein.“
„Hm! Ich habe ein sehr scharfes Auge. Ich würde unbedingt etwas bemerken. Euer Versteck wird sich also doch wohl außerhalb der Hütte befinden.“
„Macht Euch doch nicht lächerlich, Sir! Ich setze nun den Fall, wir beide säßen hier, und es käme jemand, der euch nicht sehen dürfte; er klopfte draußen an. Könnte ich Euch da wohl hinausschaffen, um Euch zu verbergen?“
„Allerdings nicht.“
„Das Versteck muß sich also hier befinden.“
„Aber wo? Etwa unter dem Laub Eures Nachtlagers?“
„Daß ich so albern wäre!“
„Oder dort unter dem Haufen Brennholz?“
„Wo denkt Ihr hin! Gerade an diesen beiden Orten würde man zuerst suchen.“
„Wo denn sonst?“
„Da fragt Ihr mich zuviel. Ihr seid erst wenige Augenblicke hier, und ich kenne Euch noch nicht. Da dürft Ihr nicht erwarten, daß ich Euch sofort mein größtes und bestes Geheimnis enthülle.“
„Ganz recht. Viel wird dieses Geheimnis aber wohl auch nicht wert sein.“
„Warum nicht?“
„Habt Ihr diese Hütte nicht vom Pflanzer geschenkt erhalten, wie ich hörte?“
„Ja, und ein kleines Areal dazu.“
„Der Pflanzer hat wohl also die Hütte gekannt?“
„Sehr genau.“
„Nun, so kennt er doch auch das Versteck, und es kann Euch also dieses gar nichts nützen.“
„Oho! Dieser verborgene Ort war erst gar nicht vorhanden. Ich habe ihn dann später mit eigener Hand angelegt, und es hat mich viele List und Mühe gekostet, nichts davon merken zu lassen.“
„Hm! Wunderbar! Es ist fast gar nicht zu glauben. Die vier nackten Wände und das nackte Dach! Und da soll es ein Versteck geben!“
Er betrachtete sich abermals das Innere der Hütte genau, untersuchte dann das Bett und den Reisighaufen, griff auch in das freilich kaum drei Fuß tiefe Kellerloch, trat sogar an den Herd und wühlte in der Asche herum – vergebens.
Der Neger sah ihm mit stolzer Genugtuung zu.
„Nicht wahr?“ sagte er. „Bommy ist gescheit?“
„Außerordentlich, wenn es nämlich wahr ist, daß es hier einen solchen Ort gibt.“
„Es gibt ihn, und keiner findet ihn.“
„So bin ich also bei Euch wirklich an den richtigen Mann gekommen. Ich muß Euch nämlich sagen, daß es vielleicht notwendig ist, mich hier für kurze Zeit zu verbergen.“
„Vor wem?“
„Hm! Müßtet Ihr das wissen?“
„Natürlich. Ich muß doch erfahren, für wen und in welcher Angelegenheit ich mich in Gefahr begebe.“
„Nun, ich will also aufrichtig mit Euch sein, obgleich ich sonst nicht so schnell einem Menschen meine Angelegenheiten auf die Nase binde.“
Er schenkte sich ein Glas ein, stürzte den Inhalt desselben hinab und füllte auch dasjenige des Negers. Er nahm eine Miene vertraulicher Aufrichtigkeit an, doch fiel es ihm gar nicht etwa wirklich ein, den Neger in seine Geheimnisse einzuweihen.
Dieser letztere trank sein Glas zweimal aus; es ging ja wohl auf Rechnung des Fremden, und sagte:
„So laßt hören, Mylord. Ich bin sehr neugierig.“
„Nicht wahr, Master Wilkins hatte einen Bruder?“
„Ja, einen älteren Bruder.“
„Habt Ihr ihn gekannt?“
„Freilich habe ich ihn gekannt. Ich war sein Leibdiener. Ihr werdet bemerken, daß ich mich besser auszudrücken vermag als gewöhnliche Neger. Das kommt daher, daß ich stets um die Person des Massa war. Er starb und ordnete in seinem Testament an, daß ich freigegeben werden und diese Hütte als Eigentum erhalten solle.“
„Sehr gut! So kennt Ihr also wohl die Verhältnisse der Familie Wilkins sehr genau?“
„So genau, wie ein Leibdiener dergleichen kennen kann. Man sieht da so manches.“
„Hatte dieser ältere Wilkins nicht auch Kinder?“
„Einen Sohn.“
„Lebt er noch?“
„Ich weiß es nicht. Er ist auf Reisen gegangen und bis jetzt nicht wiedergekommen.“
„Wohin?“
„Ich weiß es nicht, aber Onkel und Neffe werden es wohl wissen. Es ist mir nie zu Gehör gekommen, daß irgendeine andere Person eine darauf sich beziehende Äußerung getan hätte. Ich war nicht mehr im Herrenhaus, als der Neffe fortging.“
„Wie standet Ihr Euch mit ihm?“
„Sehr schlecht. Er war das Gegenteil von seinem Vater und konnte mich niemals leiden. Ich habe manchen Hieb und manchen Fußtritt von ihm erhalten. Er meinte, ich sei infolge der Güte seines Vaters ein sehr frecher Bursche geworden.“
„Da hatte er wohl sehr unrecht?“ fragte Walker unter einem bezeichnenden Lächeln.
Der Neger lachte laut auf und antwortete:
„Höflich bin ich freilich mit diesem Knaben niemals gewesen. Darum nahm er es seinem Vater noch im Grab übel, daß er mich im Testament bedacht hatte.“
„Hm! Hm! Ich glaube, er lebt noch.“
„Wie? Was? Habt Ihre etwa eine Ahnung wo er sich befindet?“
„Eine Ahnung ja. Er sendet eben jetzt drei seiner besten Freunde hierher auf Besuch.“
„Was Ihr sagt, Mylord! Wer sind die Kerle?“
„Drei Jäger. Nämlich der dicke Sam und die –“
„Der dicke Sam Barth etwa?“ unterbrach ihn der Neger rasch.
„Ja. Kennt Ihr ihn?“
„Aus Erzählungen.“
„Die beiden anderen sind die Gebrüder Snaker, die sich als Maultierräuber lange da im Westen herumgetrieben haben. Sie kommen, wie ich glaube, im geheimen Auftrag des jungen Wilkins' hierher. Sie wissen, daß auch ich mich hier befinde, um ihre Absichten zu vereiteln, und so ist es möglich, daß sie nach mir suchen.“
„Sollen sie Euch nicht finden?“
„Nein, beileibe nicht! Sie dürfen nicht ahnen, in welcher Weise ich hier gegen sie agitieren will. Ich weiß ganz bestimmt, daß sie bereits heute am Vormittag nach mir suchen werden. Darum ist es mir lieb, zu hören, daß Ihr ein so gutes Versteck habt.“
„Das habe ich freilich; aber –“
Er stockte und blickte nachdenklich zu Boden. Das, was ihm Walker gesagt hatte, genügte ihm nicht; es war ihm zu unklar. Walker fühlte das sehr wohl. Was er gesagt hatte, war reine Erfindung. Er mußte einen anderen Grund bringen, und der triftigste der Gründe, der allerüberzeugendste ist stets derjenige, zu dem er jetzt griff. Er langte nämlich in die Tasche und zog eine Börse heraus, durch deren Maschen der Glanz zahlreicher Goldstücke blitzte. Er nahm drei derselben heraus, hielt sie dem Neger hin und sagte:
„Hier, Bommy, ein kleines Draufgeld, wenn Ihr mein Kumpan sein wollt.“
Der Schwarze griff gierig zu; der Weiße aber zog die Hand mit dem Gold noch schneller zurück.
„Was? Warum gebt Ihr es mir nicht?“ fragte Bommy.
„Ihr habt mir noch nicht geantwortet.“
„Ja, ja! Ich helfe Euch!“
„Ihr gebt mir auch Euer Versteck, wenn ich es brauchen sollte?“
„Freilich, freilich! Gebt nur das Geld her.“
„Nur Geduld, Geduld! Erst wird eingeschlagen!“
Er hielt die Hand hin; der Schwarze schlug kräftig ein und erhielt dann das Geld. Er hielt es sich vor die Augen, zog eine Grimasse des Entzückens, tat einen Luftsprung und rief:
„Gold, Gold, Gold! Und ich kann noch mehr erhalten?“
„Noch viel mehr, wenn Ihr mir treu dient.“
„Oh, ich bin treu, sehr treu. Ich kämpfe für Euch! Ich sterbe für Euch! Ich tue alles, alles für Euch! Ist das lauter Gold, was Ihr da in dem Beutel habt?“
„Lauter Gold. Und ich habe auch noch mehr.“
„Noch mehr? Wo? Wo?“
Seine Augen blitzten gierig auf, beutegierig, raubgierig – ja, blutgierig.
Walker sah diesen Blick und erschrak. Er erkannte, daß er sich in Todesgefahr begeben hatte. Darum beeilte er sich, zu antworten:
„Nicht hier, sondern auf der Bank.“
„Oh! Ah! Auf der Bank!“ sagte der Schwarze im Ton der Enttäuschung.
„Da kann ich es mir stets holen.“
„Wann werdet Ihr es holen?“
„Sobald ich es brauche – in einigen Tagen.“
„So seid Ihr also reich?“
„Sehr reich. Ihr seht, daß ich Euch belohnen kann und auch belohnen werde, wenn – horch!“
Es ertönte der Hufschlag eines Pferdes. Der Reiter hielt draußen, an der Front der Hütte, wo sich die Tür aber nicht befand, an und schlug mit der Peitsche an den Rand der Fensteröffnung.
„Bommy, alter Rabe! Bist du da?“ rief er.
„Sapperment! Man kommt! Wird dieser Mann vielleicht hier eintreten?“ fragte Walker ängstlich.
„Nein. Es ist Massa Leflor. Der reitet fast täglich vorüber, kommt aber sehr selten herein.“
Er ging hin an die Fensteröffnung und antwortete:
„Ja, Massa, Bommy ist da.“
„Bringe mir einen Gin heraus, aber schnell!“
Der Neger füllte ein Glas und trug es hinaus. Walker stand von seiner Bank auf und trat an das Loch. Er sah sich den Reiter an und hörte auch folgende Worte, die dieser mit dem Neger wechselte.
„Massa will zu Master Wilkins etwa?“
„Ja, alter Nachtschatten.“
„Und zu Miß Almy?“
„Was geht das dich an, Bommy?“
„Mich? O nichts, nichts!“
„Aber du machst ein so verschmitztes Gesicht!“
„Ist mein Gesicht nicht stets so?“
„Nein. Es ist so, als ob du mit etwas Wichtigem hinter dem Berg hieltest.“
„Hinter dem Berg? Oh, Ihr macht Spaß, Massa!“
„Unsinn! Ich kenne dich! Was ist's, was dir auf der Zunge liegt?“
„Jetzt nicht, jetzt nicht, Massa!“
„Nun, wann denn?“
„Wenn, hm, wenn Massa mit Massa Wilkins gesprochen haben, dann!“
„Gesprochen? Worüber und wovon?“
„Von Miß Almy.“
„Sapperment, Bommy! Du scheinst mir wirklich etwas in petto zu haben. Ich bin neugierig, etwas zu erfahren; aber ich kenne dich zu genau, daß ich weiß, du wirst es mir jetzt nicht sagen.“
„Nein, jetzt nicht, aber – dann.“
„Gut. Und da es so steht, will ich dir sagen, daß ich noch heute mit Monsieur Wilkins sprechen werde.“
„Jetzt? O Jessus, Jessus! Ich weiß sehr genau, welche Antwort Ihr erhalten werdet.“
„Nun, welche denn?“
„Laßt sie Euch von Miß Almy geben! Aber Massa, werdet Ihr bei der Rückkehr vielleicht auch ein Gläschen trinken?“
„Warum?“
„Weil ich Euch dann sagen werde, was ich Euch noch nicht sagen kann.“
„Gut! Ich komme. Auf Wiedersehen, Bommy!“
Er ritt fort, und der Neger kehrte in das Innere der Hütte zurück.
„Wer war dieser Mann?“
„Massa Leflor, ein Plantagenbesitzer, unser nächster Nachbar. Habt Ihr etwa gehört, was ich mit ihm gesprochen habe?“
„Ja. Ihr spracht ja so laut, daß ich es geradezu hören mußte, wenn ich auch nicht gewollt hätte. Es schien sich um ein Geheimnis zu handeln.“
„O nein. Massa Leflor ist verliebt in Miß Almy, die Tochter von Master Wilkins.“
„Sapperment! Macht er seinen jetzigen Besuch vielleicht zu dem Zweck, um ihre Hand anzuhalten?“
„Ja, das tut er.“
„Wird er das Jawort erhalten?“
„Nein, gewiß nicht.“
„Ah! Warum nicht?“
„Wenn es nicht Gründe gibt, von denen ich nichts weiß, so wird er von Wilkins abgewiesen werden, denn er ist leichtsinnig und auch bös.“
„O weh!“ lachte Walker. „Ich glaube, das letztere sind wir wohl auch!“
„Und selbst wenn Wilkins ja sagte, so sagt Miß Almy doch nein, denn sie liebt einen andern.“
Da Walker das schöne Mädchen gesehen hatte, so interessierte ihn das Gespräch außerordentlich. Er fragte:
„Kennt Ihr diesen andern?“
„Ja. Es ist Master Adler, der deutsche Oberaufseher der Pflanzung.“
„Und Leflor weiß das nicht?“
„Nein. Alle wissen es; aber die beiden, die sich lieben, wissen es selbst noch nicht, und Wilkins und Leflor wissen es auch nicht. Leflor wird abgewiesen werden und einen entsetzlichen Haß auf Master Wilkins bekommen.“
Walker machte ein sehr nachdenkliches Gesicht, blickte eine Weile sinnend vor sich hin und fragte dann:
„Ist Leflor reich?“
„Sehr.“
„Hm, hm! Mir kommt da ein Gedanke. Wird er Euch bei seiner Rückkehr wohl aufrichtig sagen, daß er abgewiesen worden ist?“
„Warum nicht, Sir?“
„Er kann sich ja schämen!“
„Aber vor mir nicht. Oh, wir haben schon manchen Streich miteinander ausgeführt, Massa Leflor und ich! Und er weiß genau, daß er einen sehr guten Verbündeten zur Rache an mir haben wird.“
„An mir vielleicht auch. Könntet Ihr ihn nicht einmal hereinrufen?“
„Ja, wenn Ihr mit ihm reden wollt.“
„Nur in dem Fall, daß er abgewiesen worden ist, sonst aber ja nicht.“
In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, die Bommy wieder zugeriegelt hatte.
„Sapperment! Man kommt!“ flüsterte Walker besorgt. „Wer ist es?“
Der Schwarze trat an die Tür. Es gab da einen kleinen Spalt, durch den er hinausblicken konnte.
„Es ist Daniel, ein Bekannter von mir“, sagte er.
„Er darf mich nicht sehen. Wo ist das Versteck?“
„Kommt, Mylord!“
Er trat an den Herd. Dieser bestand aus einer langen und breiten Steinplatte, die mit der hinteren Seite in die Wand eingefügt war und mit den anderen Seiten auf drei eichenen Klötzen ruhte, die horizontal auf dem Boden standen, roh aus dem Baum gesägt waren und mehr als die Stärke eines Mannes hatten. Der Neger schob den linken der beiden Seitenklötze beiseite, was verhältnismäßig leicht geschah, und sagte:
„So habt Ihr es Euch wohl nicht gedacht?“
Der Raum unter dem Herd war hohl und so tief, daß sich selbst ein großer Mann ganz gemütlich hineinsetzen konnte. Luft zum Atmen gab es genug.
„Alle Teufel!“ sagte Walker erstaunt. „Das ist ein Versteck, wie man sich ein besseres gar nicht denken kann!“
„So macht Euch schnell hinein! Daniel klopft wieder. Er geht sonst fort, weil er denkt, daß ich nicht da bin.“
Walker setzte sich hinein. Der Schwarze rollte den runden Klotz wieder an seine frühere Stelle und überzeugte sich, daß er keine Spur außerhalb der jetzigen Lage zurückgelassen hatte. Sodann ging er zur Tür, um diese zu öffnen, und ließ den Neger Daniel ein.
Er legte dabei den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß nicht gesprochen werden solle, setzte sich mit ihm in die von dem Herd entfernteste Ecke und unterhielt sich im Flüsterton mit ihm. Sie sprachen, wie bereits erwähnt, von dem Vorhaben des ‚Roten Burkers‘, doch konnte Walker natürlich kein Wort davon verstehen.
Bommy war dafür besorgt, daß Daniel bald wieder ging und begleitete ihn hinaus, wobei beide von Sam Barth belauscht wurden. Als er dann in die Hütte zurücktrat, vergaß er, die Tür wieder zuzuriegeln, und ging sogleich zum Herd, um Walker wieder herauszulassen.
Dies geschah langsam und bedächtig, so daß Sam bereits das Haus umschlichen hatte, als Walker aus dem Versteck hervorkroch. Der Blick des letzteren fiel, zum Glück für ihn, auf die nur angelehnte Tür.
„Warum habt Ihr –“ Er hielt erschrocken inne. „Warum habt Ihr die Tür aufgelassen?“ wollte er sagen, doch blieb ihm die zweite Frage im Munde stecken, denn er sah durch die Türlücke Jim und Tim herbeieilen.
„Was ist?“ fragte der Neger.
„Pst! Um Gottes willen, leise, leise!“
Er schnellte zur Tür, zog sie heran und schob den Riegel vor, der die Stärke eines Männerarms hatte. Der Neger begriff natürlich, daß sich jemand in der Nähe befinde und eilte zum Fenster. Er kam noch zeitig genug die beiden Brüder bei ihren letzten Schritten zu bemerken.
„Wer sind diese Kerle?“ flüsterte er.
„Es sind Jim und Tim Snaker. Da wird Sam Barth nicht weit entfernt sein.“
„Sie suchen natürlich Euch?“
„Ja.“
„Hm! Was machen wir?“
„Laßt sie, um Gottes willen, nicht herein!“
Er fühlte eine wahre Todesangst. Er wußte ja, daß er verloren sei, wenn er diesen Jägern in die Hände fiel. Er bückte sich an die kleine Spalte, blickte durch dieselbe hinaus und wandte sich flüsternd zurück:
„Da, seht hinaus! Da steht auch Sam, der Dicke. Er scheint die beiden anderen auszuzanken.“
„Woher wissen sie denn, daß Ihr hier seid?“
„Sie müssen meine Spur gefunden haben. Ich wiederhole es: Laßt sie nicht herein!“
„Wo denkt Ihr hin! Einlassen muß ich sie.“
„Warum? Warum denn?“ fragte Walker, vor Angst förmlich zitternd.
„Um Euretwillen.“
„Unsinn. Gerade um meinetwillen sollen sie ja draußen bleiben. Ihr seid hier Hausherr. Ihr könnt sie fortweisen.“
„Ja. Aber da ist der dicke Sam zu schlau. Er wird tun, als ginge er, und sich in der Nähe auf die Lauer legen. Das gibt dann eine förmliche Belagerung und sie bekommen Euch doch.“
„Verdammt! Was ratet Ihr?“
„Geht ins Versteck!“
„Aber wenn sie es finden!“
„Unsinn. Hustet oder nieset nur nicht.“
„Alle Teufel! Was tue ich?“
Er war totenbleich. Es klopfte an die Tür.
„Schnell, schnell!“ drängte der Schwarze.
„Ihr werdet mich nicht verraten?“
„Fällt mir nicht ein!“
Aber Walker hatte Bommys Blicke gesehen; er traute ihm nicht. Er nahm noch drei Goldstücke heraus, gab sie ihm und raunte ihm zu:
„Wenn sie mich nicht entdecken, bekommt Ihr noch fünfzig, sobald ich das Geld von der Bank erhalten haben werde!“
„Gut, gut! Schnell hinein!“
„Holla! Aufgemacht!“ ertönte draußen die Stimme des langen Jim.
In wenigen Augenblicken stak Walker unter dem Herd. Der Schwarze trat zur Tür und fragte:
„Wer ist draußen?“
„Gäste.“
„Wie viele denn?“
„Zwei.“
„Oho! Es sind doch drei!“
Es entstand eine Pause. Draußen flüsterte man einen Augenblick lang, dann sagte Jim:
„Wie viele wir sind, kann dir gleich sein. Mach nur auf, Mann.“
„Wer seid ihr denn?“
„Sei verdammt für deine Neugierde! Ist das eine Art und Weise, ehrliche Leute auszufragen! Wir wollen einen Schluck trinken. Verstanden? Oder ist hier das Himmelreich, vor dessen Pforte jede Seele vorher examiniert wird? Da wollen wir zunächst dir die deinige an die Nase binden.“
„Tut es meinetwegen und kommt herein!“
Er schob den Riegel zurück. Die drei Jäger traten ein. Sams Plan war unnötig geworden. Er hatte nicht an die Möglichkeit gedacht, daß auch er von innen gesehen worden sei.
Eintreten und mit einem einzigen raschen Blicke sich umschauen, das war natürlich eins. Es war außer Bommy kein Mensch zu sehen. Die drei setzten sich an den einen Tisch, und die Brüder Snaker überließen dem klugen Sam die Rolle des Fragenden.
„Gib uns einen Morgentrunk, Schwarzer!“ sagte der Dicke. „Du hast doch wohl etwas, was den Magen eines alten Jägers wärmt?“
„Es wird ausreichen“, antwortete der Neger.
„Ach, ja! Da ist ein ganzer Keller voll.“
Er trat an das offene Loch, blickte hinein, kniete sodann nieder und tat, als ob er die Etiketten der Flaschen betrachten wolle, untersuchte dabei aber mit den tastenden Händen alle vier Seiten und auch den Boden des Lochs. Ein kurzer Wink benachrichtigte dann die Gefährten, daß er nichts gefunden habe. Er kehrte also an seinen Platz zurück und griff zum Glas.
„Schenk dir auch eins ein und stoße mit uns an, Schwarzer! Geht dein Geschäft gut?“
„Leidlich.“
„Man sieht es! Wer mit Goldstücken bezahlt wird, der hat keine Veranlassung über schlechte Zeiten zu klagen.“
Walker hörte diese Worte natürlich. Der Angstschweiß brach ihm aus allen Poren. Auch der Neger erschrak. Er hatte in der Eile die letzten Goldstücke, die er erhalten, auf den Tisch gelegt, um beide Hände für die Bewegung des Eichblocks frei zu haben. Dort lagen sie jetzt noch. Er bemühte sich, eine unbefangene Miene zu zeigen, stieß mit Sam an, ergriff dann das Geld, steckte es in die Tasche und antwortete:
„Ihr hättet recht, wenn dies meine heutige Einnahme wäre. Alle Tage drei Goldstücke, das wäre sehr gut!“
„Was für Geld ist es denn?“
„Das wird Euch wohl gleichgültig sein, Master. Ich frage Euch auch nicht nach Eurem Beutel.“
„Sehr richtig. Aber wenn du es tätest, würdest du eine höflichere Antwort erhalten, als die deinige ist. Hattest du heute schon Gäste?“
„Ja.“
„Wie viele?“
„Es fehlen einige am Hundert.“
„Das glauben wir dir ungeschworen. Es würde uns aber weit lieber sein, wenn du uns eine bestimmtere Antwort gibst. Wir denken nämlich, hier bei dir mit einem guten Bekannten zusammenzutreffen.“
„Wer ist es?“
„Du wirst ihn auch bereits gesehen haben. Sein Name ist Walker.“
„Walker? Diesen Namen habe ich hier noch gar nicht gehört, Master.“
„Nicht? Hoffentlich hast du doch die lobenswerte Angewohnheit, deine Gäste nach dem Namen zu fragen!“
„Nein; ich tue das im Gegenteil niemals. So zum Beispiel werde ich auch euch nicht fragen. Was gehen mich euere Namen an, wenn ich nur bezahlt werde.“
„So tue uns wenigstens den Gefallen, zu sagen, was für Persönlichkeiten heute bei dir eingekehrt sind!“
„Massa Leflor war hier.“
„Wer noch?“
„Weiter niemand.“
„Hm! Bist du vielleicht einmal für einen Augenblick von deiner Hütte fortgewesen?“
„Nein.“
„Nicht? Sonst dächte ich, es hätte sich während deiner Abwesenheit jemand hier eingeschlichen und ohne dein Wissen versteckt.“
„Meint Ihr jenen Walker?“
„Ja.“
„Das ist eine Unmöglichkeit. Wo sollte sich ein Mensch hier verstecken?“
„Vielleicht dort unter dem Lager.“
„Seht nach.“
„Oder unter dem Brennholz?“
„Da hätte er sich einen sehr unbequemen Platz ausgesucht.“
„Freilich; aber wir wollen doch einmal sehen, ob es nicht der Fall ist.“
Die drei Jäger untersuchten das Laub und das Reisig sehr genau, fanden aber natürlich nichts. Der Schwarze sah ihnen angstvoll zu. Wie, wenn sie auf den Gedanken kamen, auch den Herd zu untersuchen! Das konnte er ja verhüten!
Er nahm einen Armvoll Reisig warf es auf den Herd, brannte es an und ging sodann mit einem Topf hinaus, um Wasser zu holen.
„Verdammt!“ sagte Jim. „Wo steckt er? Er muß hier sein!“
Sam winkte ihm und antwortete:
„Ich habe euch doch gleich gesagt, daß er gar nicht in Wilkinsfield ist. Wir hätten ja auch das Kanu finden müssen. Er ist weiter flußabwärts gerudert. Nun haben wir hier die kostbare Zeit versäumt und können uns sputen, sie wieder einzuholen. Wenn der Schwarze wieder hereinkommt, werden wir bezahlen und dann sogleich aufbrechen.“
Bommy kam und stellte den Wassertopf auf das Feuer. Er schürte die Flamme an, um ein lautes Knistern zu erregen, damit man nicht ein etwaiges Husten oder Niesen Walkers hören könne. Dann wandte er sich mit freundlichem Grinsen an Sam:
„Ich braue mir jetzt ein Glas Grog. Hoffentlich bleiben die Masters hier, um eins mitzutrinken!“
„Danke für dein Gebräu, Schwarzer! Wir werden machen, daß wir deine rauchige Bude hinter uns bekommen.“
Sam fragte nach der Zeche und bezahlte. Dann entfernten sich die drei in der Richtung nach dem Wald zu. Dort hinter den Büschen, wo sie von der Hütte aus nicht mehr gesehen werden konnten, blieben sie stehen.
„Du winktest uns“, sagte Tim. „Du glaubst also auch, daß er drin steckt?“
„Ganz sicher!“
„Aber wo?“
„Das weiß der Teufel! Ein Loch muß es in der Bude irgendwo geben. Der Boden war so fest gestampft, daß man eine Spur gar nicht sehen konnte. Ich wette meinen Kopf, daß die Goldstücke von Walker waren. Es geht nicht anders. Zwei von uns legen sich hier in den Hinterhalt. Der dritte eilt zu Monsieur Wilkins, mit der Weisung daß er schleunigst nach Van Buren um Militär senden soll. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir den Vogel nicht doch noch erwischten!“ –
Bommy hatte ihnen nachgeblickt und natürlich hinter ihnen die Tür verriegelt. Dann ließ er Walker aus dem Versteck. Der letztere sah wie eine Leiche aus, und doch standen ihm dicke Schweißtropfen im Gesicht.
„Das war entsetzlich!“ sagte er. „Erst die Angst, daß sie mich entdecken würden, und dann die Hitze!“
„Oh“, lachte der Neger, „vom Feuer hat es gar keine Hitze gegeben. Die Wärme steigt nach oben, und die Platte ist so stark, daß sie erst nach Stunden durchhitzt würde, namentlich von einem so kleinen Feuer. Die Hitze, die Euch ausgetrieben ward, stammt nur von der Angst. Sind diese drei Jäger wirklich so furchtbar?“
„Sie trachten mir nach dem Leben. Es wäre um mich geschehen gewesen, hätten sie mich entdeckt.“
„Was habt Ihr ihnen denn so gar Schlimmes getan?“
„Das werde ich Euch später erzählen. Jetzt muß ich vor allen Dingen wissen, wo sie stecken.“
„Sie sind fort.“
„Das ist nicht wahr!“
„Ich sah sie ja gehen.“
„Sie haben nur so getan, als ob sie sich entfernen. Der Dicke ist ein schlauer Kerl, heute aber hat er es einmal gar zu schlau angefangen. Während Ihr nach Wasser gingt, sagte er laut, daß sie sogleich weiter stromabwärts wollten –“
„Nun, das ist ja sehr gut für Euch!“
„Sehr schlimm im Gegenteil! Er weiß, daß ich hier bin, und hat es gesagt, um mich irrezuführen. Daß sie hierhergekommen sind, ist ein deutlicher Beweis, daß sie meine Fährte gefunden haben. Sie werden sich ganz in der Nähe der Hütte auf die Lauer legen, um zu warten, bis ich gehe. Das ist so sicher wie irgend etwas.“
„So müßt Ihr bleiben, bis es Nacht ist.“
„Warum nicht länger?“
„Ihr werdet mir doch nicht zumuten, daß ich mir meine Wohnung für eine halbe Ewigkeit belagern lasse! Ihr könnt doch nicht tagelang in dem engen Loch unter dem Herd stecken, und ich habe auch mehr zu tun, als mich herzusetzen, um Euch zu bewachen. Heute abend erhalte ich mehrere Gäste, welche Euch nicht sehen dürfen.“
„So wollt Ihr mich preisgeben?“
„Nein. Ihr bezahlt mich gut, und ich diene Euch. Es wird sich wohl bis heute abend ein Mittel finden lassen, Euch ohne Gefahr von hier fortzuschaffen. Einen Ort, wo Ihr dann sicher seid, wird es auch geben. Wir wollen nachdenken!“
Da ertönte draußen der Hufschlag eines Pferdes! Leflor kehrte zurück. Er rief:
„Bommy, bist du da?“
Der Neger trat an die Fensteröffnung und antwortete:
„Ja, Massa. Hier bin ich.“
„Bringe mir einen Schnaps heraus, aber einen tüchtigen!“
„Hat Master Wilkins ja gesagt?“
„Nein. Hole ihn der Teufel!“
„So kommt einmal herein zu mir. Ihr werdet etwas für Euch Gutes erfahren.“
Vor der Hütte gab es einen Pfahl, an den Leflor, als er abgestiegen war, sein Pferd band. Dann ging er nach der hinteren Seite des Hauses und trat ein, worauf Bommy wieder zuriegelte. Als er Walker erblickte, stutzte er und fragte zornig:
„Da ist bereits jemand. Warum rufst du mich da herein, Schwarzer?“
„Zu Eurem Besten, Massa“, antwortete der Gefragte. „Dieser Master interessiert sich für Euch.“
„Wer ist es?“
Walker war von seiner Bank aufgestanden und antwortete an des Schwarzen Stelle:
„Verzeiht, Monsieur! Ich hoffe, daß unsere zufällige Begegnung für uns beide von Vorteil sein wird. Ich heiße Walker.“
„Walker?“ fragte Leflor erstaunt. „Alle Teufel! Herr, man sucht Euch!“
„So? Wer sucht mich?“
„Ein dicker Kerl, namens Sam Barth, der noch zwei Begleiter bei sich hat.“
„Ich weiß es bereits. Woher aber wißt Ihr es?“
„Der dicke Halunke war bei Wilkins. Er glaubte, Euch bei diesem zu finden.“
„Wann?“
„Vor vielleicht einer Stunde.“
„Verdammt! Sie sind dann hierhergegangen. Also wissen sie genau, daß ich hier bin, und so werden sie auch in der Nähe auf mich warten.“
„Was wollen sie von Euch?“
„Wir haben ein kleines Geschäft miteinander, so was man eine Blutrache nennt.“
„Dann tut es mir leid um Euch. Dieser Sam Barth ist der beste Spürhund, den es gibt. Hat er Euch etwa eine Kugel zugedacht?“
„Etwas anderes nicht. Er war mit den beiden anderen soeben hier, hat mich aber nicht gefunden und wird mir nun auflauern. Ich hoffe, daß Ihr mir Euren Schutz gewähren werdet.“
„Ich? Mich geht Eure Angelegenheit gar nichts an!“
„Vielleicht doch!“
„Daß ich nicht wüßte. Der Dicke hat mich zwar bei Wilkins aufs tödlichste beleidigt, so daß ich, aufrichtig gestanden, darauf brenne, ihm einen Streich zu spielen, aber was Ihr mit ihm habt, das liegt mir vollständig fern.“
„Vielleicht näher, als Ihr denkt.“
„Wieso?“
„Verzeiht, Sir, wenn ich da eine Frage tue, welche Euch sehr zudringlich erscheinen wird! Aber sie gehört zur Sache.“
„Fragt nur zu.“
„Ihr habt um Wilkins' Tochter angehalten und einen Korb bekommen?“
„Donnerwetter! Hat hier dieser schwarze Schuft zu Euch geplaudert?“
„Ja. Aber Ihr dürft es ihm verzeihen, denn er hat es nur zu Eurem Vorteil getan.“
„Das möchtet Ihr mir wohl erklären!“
„Gern! Setzt Euch zu mir! Bommy mag Wache halten, damit wir nicht gestört werden.“
Sie holten sich eine Flasche Rum aus dem Loch, setzten sich zusammen und begannen sich im Flüsterton zu unterhalten. Bommy setzte sich auf seinen Holzklotz, brannte sich einen Pfeifenstummel an und beobachtete durch die Ritze der Tür mit scharfem Auge die draußen liegenden Gebüsche. Er konnte von dem leisen Gespräche der beiden nichts verstehen, schien aber auch gar nicht darauf versessen zu sein, etwas zu erfahren, was ihm nicht freiwillig gesagt wurde.
Walker hatte die Unterhaltung mit der Bemerkung begonnen:
„Wenn ich um die Hand eines Mädchens anhalte und abgewiesen werde, so wird mein erstes Gefühl dasjenige sein, diese Niederträchtigkeit heimzuzahlen. Darf ich annehmen, daß bei Euch dasselbe der Fall auch ist?“
„Hm! Ich bin kein anderer Mensch als Ihr.“
„Es kommt freilich ganz auf die Art und Weise an, in welcher man den Korb erhält.“
„Die war allerdings so gemein wie nur möglich. Ich gestehe, auch ohne Euch und Eure Absichten zu kennen, daß ich sehr an Vergeltung denke.“
„Habt Ihr bereits einen Plan?“
„Ja.“
„Der sicher gelingen wird?“
„Von einer absoluten Sicherheit kann ich freilich nicht sprechen. Und das ist es, was mich ganz ungeheuer ärgert.“
„Beruhigt Euch, ich habe die Mittel in der Hand, die Euch eine ganz eklatante Rache ermöglichen.“
„Wie kämt Ihr dazu? Kennt Ihr Wilkins?“
„Gar nicht.“
„Oder steht Ihr in Geschäftsverbindung zu ihm?“
„Nein, doch werde ich bald in diese Beziehung zu ihm treten. Ihn kenne ich nicht, desto besser aber seinen Neffen Arthur Wilkins.“
„Alle tausend Teufel! Ihr kennt Arthur? Wo habt Ihr ihn gesehen? Wo befindet er sich? Lebt er überhaupt noch?“
„Das sind mehrere höchst bedeutungsvolle Fragen auf einmal. Erlaubt, daß ich sie später beantworte. Jetzt möchte ich vor allen Dingen fragen, ob Ihr die Verhältnisse auf Wilkinsfield genau kennt?“
„Natürlich. Ich bin ja der nächste Nachbar.“
„Wem gehört die Plantage?“
„Natürlich Wilkins.“
„Hm! Ihr dürftet Euch da sehr irren.“
„Schwerlich! Wem sollte sie sonst gehören?“
„Wem, fragt Ihr? Wem anders als mir!“
Leflor fuhr auf:
„Was? Euch? Ihr phantasiert wohl?“
„Oh, ich bin vielleicht bei noch mehr als den gewöhnlichen Sinnen. Aber sprecht nicht so laut! Der Schwarze braucht hiervon nichts zu hören.“
Und nun begann ein angelegentliches Flüstern, als ob es sich um die höchste irdische Wichtigkeit handle. Endlich zog Walker ein Portefeuille aus der Tasche und entnahm demselben mehrere Schriftstücke, die er Leflor vorlegte. Den großen Siegeln nach zu urteilen, waren es lauter behördliche Dokumente. Leflor sah sie durch, hielt sie gegen den durch die Fensteröffnung hereinfallenden Sonnenstrahl, kurz, prüfte sie auf jede Art und Weise.
„Außerordentlich, ganz außerordentlich!“ sagte er. „Wer hätte das gedacht? Wer hätte das überhaupt denken können! Ah! Ihr habt ganz recht, Master Walker. Ihr gebt mir da eine förmliche Sprengkugel in die Hand, mit der ich das Rohr meiner Rache laden werde. Wann wollt Ihr Eure Ansprüche geltend machen?“
„Natürlich baldigst. Habt Ihr Euch überzeugt, daß sie rechtsgültig sind?“
„Selbst der raffinierteste Advokat würde keinen Weg finden können, sie anzufechten. Ich wollte, diese Eure Rechte gehörten mir.“
„Hm!“ brummte Walker nachdenklich.
„Habt Ihr nicht Lust, sie mir zu verkaufen?“
„Nein, Sir. Ich müßte sie doch, ehe Ihr sie mir abkaufen würdet, zuvor selbst verfechten, und dann habe ich keine Lust mehr, sie aus der Hand zu geben.“
„Ihr irrt. Ich würde sie Euch jetzt abkaufen.“
„Um mir ein Lumpengeld zu bieten! O nein!“
„Es fällt mir nicht ein, Euch zu drücken. Eure Rechte sind unantastbar, aber dennoch wird Wilkins sich wehren. Es wird einen Prozeß geben. Habt Ihr die Mittel, ihn auszuhalten?“
„Hm! Ich habe mein ganzes Vermögen hingegeben, diese Dokumente zu erwerben.“
„So bedenkt sehr wohl, ob Ihr den Prozeß auszufechten vermögt! Ich rate Euch, Eure Ansprüche zu verkaufen. Ihr werdet allerdings nicht die volle Summe erhalten, doch habt Ihr sie jedenfalls wohl auch nicht gegeben, und ich würde Euch nicht sehr drücken. Überlegt es Euch!“
„Ich würde nur gegen bare und sofortige Zahlung verkaufen.“
„Und ich bin in der Lage, darauf einzugehen. Es liegt mir viel daran, diese Dokumente in meinen Besitz zu bringen. Ich gönne es Euch nicht, diesen famosen Schlag gegen Wilkins zu führen. Ich will es sein, der diesen Menschen aus dem Haus wirft. Er hat mich aus demselben gewiesen, und es soll meine Rache sein, daß ich als Eigentümer vor ihn hintrete.“
„Nun, wieviel bietet Ihr?“
„Das läßt sich nicht so über das Knie brechen. Wir sehen uns doch nicht nur in diesem Augenblick. Habt Ihr Eure Gegenwart hier schon irgend jemandem versprochen?“
„Noch niemandem. Ich kenne hier ja überhaupt noch keinen Menschen.“
„So bitte ich um die Erlaubnis, Euch zu mir einzuladen. Wollt Ihr mein Gast sein?“
„Da es so steht, nehme ich Eure Einladung ohne alle Bedenken an.“
„Schön, sehr schön! Ich werde sofort einen Eilboten nach Van Buren senden, um einen Notar kommen zu lassen. Er mag die Papiere prüfen und kann dann gleich dasjenige vornehmen, was zum Übergang derselben in mein Eigentum erforderlich ist. Einig werden wir ja werden.“
„Ich hoffe es.“
„So halte ich es für das allerbeste, gleich aufzubrechen. Warum wollt Ihr Euch noch länger in diese Hütte setzen?“
„Ihr vergeßt, daß ich hier wahrscheinlich belagert werde, Sir!“
„Sapperment! Es ist ja wahr. Hoffentlich werde ich auch erfahren, wie Ihr mit diesen drei Jägern in Konflikt geraten seid?“
„Ich werde es Euch erzählen. Meine Schuld ist es nicht, daß ich gegenwärtig meines Lebens nicht sicher bin.“
„Sie trachten Euch also nach dem Leben! Ich rate, Euch an den Sheriff zu wenden, um ihnen das Handwerk legen zu lassen.“
„Das beabsichtige ich ja auch. Aber ich bin ihnen erst heute wieder begegnet, und hier gibt es weder Sheriff noch anderweitigen polizeilichen Schutz. Diese Kerle werden mich niederschießen und dann sehr einfach das Weite suchen. Die Hauptsache ist, ihnen für diesen Augenblick zu entkommen; dann habe ich ja gewonnen.“
„Nur dieser Wilkins könnte die Mörder durch seine Leute verjagen lassen; aber er schien in den Dicken geradezu verliebt zu sein. Meine Untergebenen darf ich zu diesem Zweck nicht auf fremdes Gebiet senden. Man müßte also zu List – Sapperment! Da kommt mir ein köstlicher, gottvoller Gedanke, Master Walker!“
„Ich wünsche sehr, daß er auch in Wirklichkeit so köstlich sein möge, wie er Euch erscheint.“
„Das ist er, ja, das ist er! Wenn wir nur gewiß wüßten, ob die drei Kerle sich hier in der Nähe der Hütte befinden.“
„Ich bin überzeugt, daß es der Fall ist.“
„Wo mögen sie da stecken?“
„Ich bin mit den Gebräuchen der Prärie bekannt genug, um diese Frage beantworten zu können. Wenn sie mir auflauern, wollen sie mich aus dem Hause treten sehen. Sie stecken also auf der Seite, auf der sich die Tür befindet.“
Walker hatte jetzt lauter als vorher gesprochen. Der Schwarze hörte es und sagte:
„Das ist richtig. Ich weiß, wo sie sind.“
„Ah! Wirklich! Wo, wo?“
Bei diesen Fragen erhoben sich die Männer von ihren Sitzen und traten an die Tür. Bommy aber wies sie zum Fenster und erklärte:
„Da drüben, gerade der Tür gegenüber, gibt es einen hohen, dichten Mesquitebusch; in demselben stecken sie. Ich habe sie zwar nicht gesehen, aber ich sah die Bewegungen der Äste und Zweige; sie waren nicht durch den Wind hervorgebracht. Es ist sicher; sie stecken da drin.“
„Wollen sehen.“
Ehe die anderen ihn hindern konnten, hatte Leflor die Tür geöffnet und trat hinaus. Die Hände in den Hosentaschen, blickte er sich um, als ob er nach etwas suche, und schritt scheinbar ganz unbefangen weiter, dem bezeichneten Busch immer näher, doch nicht direkt, sondern auf Umwegen und wie ganz zufällig. In der Nähe desselben angekommen, legte er sich ins Gras, ganz nach Art eines unbeschäftigten Menschen, der augenblicklich nichts anderes zu tun hat, als die Zeit totzuschlagen. Das Gesicht auf den Arm gelegt, gab er sich den Anschein, als ob er einzuschlafen beabsichtige, lugte dabei aber unter dem Ärmel scharf in den Busch hinein. Plötzlich sprang er auf, rieb sich das Bein und rief:
„Verdammte Ameisen! Hol euch der Teufel!“
Dann kehrte er schlendernd nach der Hütte zurück. Walker empfing ihn mit den Worten:
„Das hat lange gedauert. Man hätte unterdessen vor Ungeduld auswachsen mögen.“
„Hm! Ich mußte es klug anfangen.“
„Sind sie dort?“
„Ja, alle drei! Man muß es aber bereits wissen, sonst bemerkt man sie nicht, so gut haben sie sich versteckt. Diese Kerle sind wirklich schlau. Wir aber werden noch schlauer sein und sie auf eine Weise betrügen, daß sie sich darüber totärgern.“
„Da bin ich doch begierig, zu erfahren, wie Ihr es anfangen wollt.“
„Sehr einfach. Ihr habt fast dieselbe Gestalt wie ich. Wir ziehen uns hier aus und vertauschen die Anzüge. Ihr setzt Euch auf mein Pferd und reitet fort. Sie werden Euch dann für mich halten und Euch also gar nichts in den Weg legen.“
„Alle Teufel! Der Gedanke ist nicht nur höchst originell, sondern er gewährt mir auch die sicherste Errettung von dem Ungeziefer. Ihr verpflichtet mich zu allergrößtem Dank.“
„Pshaw! Eine Hand wäscht die andere. Also, Sir, genieren wir uns nicht voreinander. Legt immer die Kleider ab. Ihr seht, daß ich schon beginne.“
Leflor zog sich wirklich aus, und Walker tat dasselbe. Nach fünf Minuten hatte jeder des anderen Kleider angezogen. Sie sahen sich an und lachten. Auch Bommy lachte und meinte: „Oh, könnte ich die Gesichter sehen, die die drei dann machen werden!“
„Es ist sehr wahrscheinlich, daß dir dieser Wunsch erfüllt wird“, meinte Leflor. „Sie werden ja wohl herkommen, um sich nach Master Walker umzusehen. Aber bitte, Sir, gebt mir doch die Brieftasche aus meinem Rock und nehmt hier dafür die Eurige. Ihr werdet eher bei mir ankommen, und so will ich Euch einige Zeilen mitgeben, damit man sofort für Euch sorgt und auch einen Eilboten nach Van Buren sendet, des Notars wegen. Ich möchte da keine Stunde unnütz versäumen.“
„Aber ich weiß ja keinen Weg.“
„Ist auch nicht nötig. Ihr reitet hier den Weg, den ich von Wilkinsfield hergekommen bin, immer geradeaus, durch den Wald hindurch. Ist dieser letztere zu Ende, so beginnt meine Besitzung. Wenn Ihr Euch in schnurgerader Richtung haltet, reitet Ihr strikten Weges zu meinem Tor hinein. Der Aufseher wird Euch empfangen, und ihm gebt Ihr die Zeilen, die ich Euch ausfertigen werde.“
„Das klingt wirklich, als ob man eine Humoreske liest. Aber wenn ich an Euch denke, wird mir nicht sehr humoristisch zumute.“
„Warum?“
„Weil Ihr Euch in Gefahr befindet.“
„Das sehe ich nicht ein.“
„Wenn sie mich für Euch halten, werden sie dafür Euch für mich halten.“
„Das mögen sie tun.“
„Wenn sie Euch nun eine Kugel geben!“
„Da habt nur keine Sorge. Das tun sie nicht. Sie werden Euch doch wohl lieber lebendig als tot haben wollen. Ich werde also in aller Ruhe und Gemütlichkeit nach ihrem Versteck gehen. Fallen Sie dann über mich her, nun, da werden sie wohl merken, wen sie haben.“
„Und wenn sie sich rächen?“
„Pshaw! Das werden sie wohl unterlassen. Diese Art von Leuten ist zu gewissenhaft! Nehmt Ihr nur Euch in acht, daß sie Euer Gesicht nicht sehen. Bommy mag jetzt mein Pferd herüber nach der Tür holen. Ihr steigt so auf, daß Ihr diesen Lauschern den Rücken zuwendet. Auf diese Weise werden sie am sichersten getäuscht.“
Der Neger ging das Pferd nach dieser Seite der Hütte zu holen. Also nahte der Augenblick, in dem Walker hinaustreten sollte. Er hatte große Sorge. Wenn die drei Jäger den Betrug ahnten, so erhielt er doch seine Kugel. Er gab dieser Besorgnis jetzt Worte; Leflor aber sagte:
„Macht Euch doch nicht lächerlich, Sir! Seht das Pferd draußen! Es steht so vor der Tür, daß Ihr hinaustreten könnt, ohne daß die Kerle Euer Gesicht sehen. Dann dreht Ihr Euch herum, steigt in den Sattel und reitet fort.“
So geschah es, und es glückte wirklich. Die drei Westmänner hatten natürlich das ganze Gebaren Leflors beobachtet. Als er wieder aufgesprungen war, um sich zu entfernen, brummte der lange Jim in den Bart:
„Sonderbarer Kerl! Wollte hier schlafen! Mag sich doch nach Hause scheren!“
„Hier schlafen?“ meinte Sam. „Ist ihm jedenfalls nicht eingefallen.“
„Na, du hast doch selbst gesehen, daß er sich hier niederlegte!“
„Ja, das hat er wohl getan, aber nur zum Schein. Der Kerl hatte irgendeine Absicht.“
„Welche denn?“
„Wer weiß es! Ob er ahnte, daß wir hier sind, und sich davon überzeugen wollte?“
„Du, das könnte der Fall sein!“
„Ich glaube es auch. Es war mir, als ob er so ganz heimlich unter dem Arm hindurchblickte. Hat er uns wirklich bemerkt, so wird er irgendeinen Plan aushecken, diesen Walker ohne Gefahr aus der Hütte fortzubringen.“
„Donnerwetter, das soll ihm nicht glücken.“
„Nein, sonst bekommt er es mit mir, mit Sam Barth, zu tun, der sich nicht ungestraft eine Nase drehen läßt. Passen wir auf. Schaut, da tritt der Nigger heraus! Er geht nach der vorderen Seite des Hauses.“
„Es ist weiter nichts. Er bringt das Pferd. Leflor reitet fort. Das ist alles.“
„Laßt euch nicht betrügen“, sagte Sam. „Ich ahne, was er will. Das Pferd wird vor die Tür gestellt; Leflor steigt auf und reitet langsam fort; hinter dem Pferd aber wird sich Walker befinden, um uns unter dieser Deckung glücklich zu entwischen.“
„Alle Teufel, das ist wahr“, stimmte Jim bei. „Sie können gar nichts anderes beabsichtigen. Tim, lege die Büchse an! Wir werden zwar von Walker nichts als die Füße sehen können; aber gerade in diese soll er unsere Kugeln bekommen; so daß er es unterlassen wird, an uns vorbeizulaufen. Aufgepaßt!“
Die beiden Brüder legten ihre Gewehre an und hielten sich schußfertig. Sam Barth aber, der nicht in ihrer Weise mit Walker abzurechnen hatte, ließ sein Gewehr liegen.
„Jetzt!“ flüsterte Tim. „Da kommt Leflor heraus. Nun wird Walker folgen!“
Aber die drei sahen sich getäuscht. Der vermeintliche Leflor stieg auf, ihnen den Rücken zuwendend, gab dem Schwarzen die Hand, wechselte noch einige Worte mit ihm und ritt davon.
„Sapperment!“ meinte Jim. „Er reitet wirklich allein. So befindet sich Walker also noch drin.“
Sam schüttelte langsam und bedenklich den Kopf. Ihm war die Sache nicht recht geheuer. Er brummte:
„Der Teufel hole diese verfluchte Geschichte. Ich werde aus ihr nicht klug. Warum wälzt sich dieser Leflor hier im Gras herum, um nachher ganz charmant abzutraben? Das Ding verursacht mir Kopfschmerzen. Ohne Absicht ist er nicht hier in unserer Nähe gewesen, und ohne Absicht hat er auch nicht sein Pferd nach dieser Seite des Hauses bringen lassen. Er konnte ebensogut auf der anderen aufsteigen. Da ist irgendeine Teufelei los; darauf könnt ihr euch verlassen.“
„Aber welche?“
„Werden wir erfahren.“
„Die allergrößte Teufelei wäre die, daß wir hier vor diesem alten Wigwam liegen, und Walker hätte sich gar nicht drin befunden. Das wäre wahrlich dazu angetan, einen vor Ärger zerplatzen zu lassen.“
„Er ist drin gewesen. Ich habe ganz deutlich gehört, daß Bommy es zu dem Neger David sagte. Heraus ist er auch noch nicht, folglich steckt er noch drin.“
„Höre, Sam, es wäre doch am allerbesten, wir gingen noch einmal hinein, um alles nochmals genau zu durchsuchen. Vielleicht fänden wir doch eine Spur.“
„Meinetwegen! Aber da kommt mir ein anderer Gedanke, ein verfluchter Gedanke!“
„Welcher denn?“
„Habt ihr nicht ein Beil drin gesehen?“
„Ja, es war ein solches da.“
„Na, wir liegen alle drei auf dieser Seite. Wie nun, wenn sie auf der entgegengesetzten Seite Luft gemacht und einen der Balken entfernt hätten, so daß es Walker möglich gewesen wäre, hinauszukriechen?“
„Einen solchen schweren, dicken Klotz entfernen?“
„Es ist doch am allerbesten, wir gehen nochmals hinein. Aber hört, anders als vorher! Nicht offen, sondern wir schleichen uns hin. Kommt, wir wollen keine Zeit versäumen!“
Sie krochen nun aus dem Busch heraus und näherten sich, immer Deckung suchend, dem Haus. In der Nähe desselben angekommen, schritten sie dann gerade auf eine Ecke zu, so daß sie von keinem Fenster aus gesehen werden konnten. Dann blieben sie zunächst halten um zu lauschen.
„Die Tür ist jetzt offen“, flüsterte Jim.
„Es sind zwei drin. Hört ihr sie sprechen?“ fragte sein Bruder.
„Habe ich also nicht recht gehabt?“ frohlockte Sam. „Jetzt kriegen wir den Kerl. Kommt hinein.“ –
Als Walker fortgeritten war und der Schwarze wieder seine Hütte betreten hatte, saß Leflor auf der Bank und goß sich den Rest aus der Rumflasche ein.
„Nun kommt das Schwierigste“, sagte Bommy. „Ihr seid doch nicht ganz des Lebens sicher.“
„Hm! Jetzt erscheint mir die Geschichte auch bedeutend bedenklicher als vorher. Ich weiß nicht genau, was Walker mit diesen Kerlen gehabt hat. Ist es eine Geschichte, bei der Blut geflossen ist, so ist es leicht möglich, daß sie mir, sobald ich hinaustrete, eine Kugel in den Kopf geben und sich dann davonmachen. Ich werde mir die Sache doch vorher überlegen.“
Er stand auf und näherte sich dem Fenster. In diesem Augenblick bewegte sich der Mesquitebusch, ohne daß es eine Spur von Wind gab. Sodann rührten sich einige Zweige eines nahe stehenden Strauches, und dann sah Leflor ganz deutlich dreimal etwas wie einen flüchtigen Schatten über den Zwischenraum zweier Sträucher huschen.
„Sie machen es mir leichter“, sagte er. „Sie kommen, wie es scheint.“
„Wieder herein?“
„Ja.“
„Da bin ich neugierig was erfolgen wird.“
„Ich setze mich hierher. Du aber trittst ihnen entgegen und hinderst sie daran, falls sie auf mich schießen wollen. Mach schnell! Sie werden in kurzer Zeit da sein.“
Er setzte sich nun so, daß er dem Eingang den Rücken zukehrte. Bommy aber näherte sich der Tür. Sie wechselten noch einige Worte, die draußen gehört wurden; sodann erschienen die beiden Brüder unter dem Eingang, hinter ihnen Sam.
„Good morning zum zweiten Mal, schwarze Eule!“ sagte Jim. „Ah, ist dein Schützling aus seinem Loch geschlüpft?“
„Schützling?“ fragte der Neger. „Wer?“
„Nun, der gute Master Walker.“
„Kenne keinen Walker.“
„Schön, mein Junge. Du sollst ihn kennenlernen. Ich werde ihn dir sofort zeigen.“
Jim schob den Schwarzen beiseite, trat, gefolgt von Tim und Sam, von hinten an Leflor heran, klopfte ihm auf die Achsel und sagte:
„Endlich ein Wiedersehen seit gestern abend, Master! Wo wart Ihr doch so plötzlich hin?“
Leflor hatte, als er sie eintreten hörte, das Glas ergriffen und an den Mund gesetzt. Er trank es ruhig aus, drehte sich langsam um und fragte:
„Bei allen Teufeln! Welcher Flegel wagt es denn da, mir einen Schlag zu versetzen? Das muß ich mir allen Ernstes verbitten. Verstanden!“
Es ist unmöglich, die Gesichter zu beschreiben, die die drei Getäuschten sehen ließen. Diese Gesichter waren so über alle Maßen drollig, daß Leflor in ein lautes Lachen ausbrach und dabei fragte:
„Himmel und Hölle! Welch Narrenspiel wird denn da aufgeführt? Wer sind diese beiden? Und wer ist – ah, wen sehe ich da? Sam Barth, der mein Gesicht nicht leiden kann! Nun, mein kleiner, dicker Sir, das Eurige ist auch nicht sehr geistreich, wenigstens in diesem Augenblick nicht. Was starrt Ihr mich denn an?“
Aber er hatte sich in dem listigen Sam denn doch verrechnet. Es bedurfte nur dieses Spottes, um dem Dicken seine volle Disposition wiederzugeben. Er machte plötzlich ein ganz anderes Gesicht, schüttelte verwundert den Kopf und sagte:
„Master Walker, wie einer in Eurer Lage noch so das große Maul haben kann, das begreife ich nicht. Wenn Ihr glaubt, Euch dadurch Nutzen zu bringen, so irrt Ihr Euch sehr.“
„Walker!“ lachte der Angeredete. „Ihr seid wohl gar blind geworden, seit wir uns sahen.“
„Wenn es Euch Spaß macht, mich für einen Esel zu halten, so kann ich nichts dagegen haben; aber der Ernst wird gar nicht auf sich warten lassen.“
Sam machte dabei ein so strenges Gesicht, daß Leflor denn doch eine ängstliche Regung fühlte und sagte:
„Ich hoffe doch, daß Ihr mich kennt!“
„Natürlich!“
„Nun, wer bin ich denn?“
„Dumme Frage. Mit einer solchen bringt mich ein Walker nicht aus der Fassung.“
„Aber Mann, Ihr müßt doch wissen, wer ich bin!“
„Freilich! Ihr seid Walker!“
„Ich verstehe Euch nicht! Ihr habt mich ja vor einiger Zeit bei Monsieur Wilkins gesehen.“
„Da habe ich nur einen einzigen Mann gesehen, und das war Monsieur Leflor.“
„Nun, der bin ich ja.“
„Ihr? Leflor?“
Sam stieß ein lustiges Lachen aus und wandte sich an die beiden Brüder:
„Habt ihr schon einmal so einen Kerl gesehen? Er macht es geradeso, wie die Fabel vom Vogel Strauß erzählt. Er denkt, wenn er niemanden sieht, so werde er auch von niemandem gesehen. Lächerlich!“
Jim und Tim hatten auch bereits ihr Erstaunen überwunden. Zunächst hatten sie Sams Verhalten für unsinnig gehalten. Jetzt konnten sie zwar nicht begreifen, was er eigentlich bezweckte, aber daß er eine bestimmte Absicht verfolgte, und daß sie ihn da nicht stören durften, das erkannten sie sofort. Darum stimmten sie in sein Lachen ein, und Jim meinte:
„Ja, so eine Albernheit ist auch mir noch niemals vorgekommen.“
Das ließ Leflor seine Lage noch bedenklicher erscheinen. Er versicherte daher sehr nachdrücklich:
„Aber, Masters, mein Name ist wirklich Leflor.“
„Papperlapapp!“ antwortete Sam. „Kommt uns doch nicht mit solchen Kindereien. Leflor ist soeben auf seinem Pferd davongeritten.“
„Das war ein anderer.“
„Pshaw! Das macht Ihr mir nicht weis. Ich kenne diesen Mann; ich habe vor kurzem mit ihm gesprochen. Ihr aber steht ganz so vor uns, wie wir Euch gestern abend draußen am Fluß gehabt haben. Ihr seid der Dieb und Mörder Walker. Eure unsinnige Ausrede hilft Euch nichts.“
„Aber, zum Donnerwetter, ich begreife Euch nicht!“
„Ich begreife Euch desto besser. Mit mir macht Ihr keinen Mummenschanz. Wir haben ganz und gar keine Lust, Fastnacht mit Euch zu spielen; Jim, gib einmal den Riemen her. Wir wollen dem Master die Hände ein wenig binden.“
„Das dulde ich nicht!“ rief Leflor zornig. „Fragt hier den Neger! Er wird es Euch bezeugen, daß ich nicht Walker heiße.“
„Der? Bezeugen? Der uns vorhin bereits belogen hat? Da müßten wir doch noch dümmer sein, als er und Ihr.“
Da trat aber doch Bommy heran und sagte:
„Dieser Massa ist Massa Leflor, Sir.“
„Schweig Hund!“ donnerte Sam ihn an. „Mit dir wird kurzer Prozeß gemacht.“
„Aber, Sir, ich sage Euch, daß –“
Bommy kam in seiner Versicherung nicht weiter. Sam stieß ihm die geballte Faust mit solcher Kraft in die Magengrube, daß er wie ein Sack in die Ecke flog und dort liegenblieb.
„Mann, ich werde Euch zur Verantwortung ziehen!“ rief Leflor drohend. „Ihr habt Euch hier an keinem Menschen zu vergreifen!“
„Das wird immer hübscher“, lachte Sam. „Höre, wenn du dein Maul noch ein einziges Mal so voll nimmst, so stopfe ich es dir, daß du einige Zeitlang an Sam Barth denken sollst. Ich habe keine Lust, mich von so einem Halunken auch noch in so großartiger Weise anrasseln zu lassen. Ein jeder erntet, was er sät, ist's nicht in dieser, so ist's in jener Weise.“
Da ballte Leflor die Faust und drohte.
„Kerl, nenne mich noch einmal du, oder sage noch einmal das Wort Halunke, so antworte ich dir, wie sich's gehört!“
„Schön. Antworte mir einmal. Hier, da hast du meine Frage!“
Mit einer blitzartigen Schnelligkeit, die man dem so unbehilflich erscheinenden Dicken gar nicht zugetraut hätte, versetzte er dem Gegner von unten herauf einen Hieb gegen die Nase, daß sofort das Blut aus derselben sprang, faßte ihn im selben Augenblick an den Hüften, hob ihn hoch empor und schmetterte ihn mit solcher Gewalt zu Boden, daß es klang als ob alle Knochen krachten.
„So, nun antworte doch, Hundsfott. Her mit den Riemen! Wir wollen die Kerle einwickeln, daß sie in fünf Minuten wie grüngeklopfte Rindsrouladen aussehen.“
Beide, sowohl Leflor wie der Neger, hatten von der Riesenkraft des Dicken einen solchen Beweis bekommen, daß sie nicht wagten, sich zu wehren. Desto heftiger protestierten sie mit Worten.
„Hört“, drohte aber Sam, „seid nur still, sonst mache ich euch schweigsam. Es paßt mir keineswegs, mich in alle Ewigkeit von solchen armseligen Geschöpfen ankläffen zu lassen. Jetzt lege ich euch einstweilen zur Ruhe. Wollt ihr da nicht still sein, so kriegt ihr einen Klaps, wie er unartigen Buben gehört!“
Sam nahm hierauf erst den Weißen und schleuderte ihn auf das Lager Bommys; dann warf er den Schwarzen wie einen Sack auf den ersteren hin. Sie waren von den Lassos der Jäger so fest zusammengeschnürt, daß sie sich gar nicht regen konnten. Zu sprechen oder gar zu schimpfen getrauten sie sich auch nicht mehr, zumal Sam den anderen die Instruktion gab:
„Ich gehe jetzt fort, um für den Transport dieser Kerle zu sorgen. Ihr bleibt bei ihnen, riegelt von innen die Tür zu und laßt keinen Menschen ohne meine Erlaubnis herein. Nötigenfalls gebraucht ihr eure Büchsen. Solche Schufte, wie der Weiße einer ist, muß man festhalten. Machen sie Lärm, so gebt ihr ihnen die Faust auf die Nase, das ist das beste Mittel für solche Buben.“
Sam ging, und er hörte, daß hinter ihm die Tür verriegelt wurde. Er hatte die Absicht, nach dem Schloß zurückzukehren, freute sich aber nicht wenig als er in ganz kurzer Entfernung den deutschen Oberaufseher erblickte, der zu Pferd herbeigeritten kam. Er eilte ihm entgegen und fragte:
„Sir, darf ich vermuten, daß Ihr zu den Bewohnern von Wilkinsfield gehört?“
„Jawohl, Master Sam“, antwortete der Gefragte in deutscher Sprache. „Ich heiße Adler und bin Aufseher.“
„Sapperment, das ist prächtig, ein Deutscher. Herr Adler, Sie sind der Mann, den ich brauche. Ist der Bote nach Van Buren fort?“
„Längst.“
„Ich brauche noch einen zweiten, aber er muß ein gescheiter Kerl sein.“
„Wohin?“
„Nach Leflors Plantage.“
„Das ist schlimm. Wir stehen seit heute früh in Feindschaft mit ihm.“
„Schadet nichts. Er bekommt soeben bereits seinen Lohn. Wir suchen nämlich einen Schurken namens Walker; er steckte in Bommys Hütte, die wir belagerten. Da kam Leflor und gab diesem Halunken, um ihn zu retten, seine Kleider und zog dafür diejenigen des anderen an. Infolgedessen hielten wir Walker für Leflor und ließen ihn fortreiten. Vermutlich ist er nach Leflors Besitzung. Wir müssen darüber sofortige Gewißheit haben. Auch möchten wir erfahren, wie, wo und auf wie lange der Kerl dort einquartiert ist.“
„Mit einem solchen Menschen den Anzug gewechselt? Das sieht Leflor ähnlich. Er ist selbst ein Schurke. Den Boten werde ich selbst machen.“
„Sie selbst? Herrlich! Aber schön wäre es, wenn Leflor es nicht erführe, daß wir uns erkundigt haben.“
„Keine Sorge. Er erfährt es nicht. Der Oberaufseher seiner Plantage ist ein Deutscher, ein Landsmann also, er weiß alles und wird mich nicht verraten.“
„Wann können Sie zurück sein?“
„Wenn ich den Landsmann gleich treffe, spätestens in einer Viertelstunde. Hat es Eile?“
„Sehr große sogar.“
„So reite ich Karriere. Ich habe mit Leflor heute bereits ein Renkontre gehabt. Er beleidigte mich. Er hat um die Hand des Fräuleins angehalten und einen Korb bekommen.“
„Sehr gut. Sie werden Genugtuung erlangen. Gibt es vielleicht einen nicht offenen Wagen?“
„Wozu?“
„Einen Gefangenen zu transportieren.“
„Lassen Sie sich einen Baumwollkarren geben und ein Pferd dazu. Wo finde ich Sie bei meiner Wiederkehr?“
„Im Herrenhaus bei Monsieur Wilkins.“
Sie trennten sich hierauf, Adler ritt nach der einen, und Sam lief nach der entgegengesetzten Seite weiter. Trotz seines Leibesumfangs kam er gar schnell vorwärts. Er schwitzte zwar tüchtig, erreichte aber das Herrenhaus binnen fünf Minuten. Dort standen mehrere der erwähnten Karren bereit, nach den Feldern zu gehen. Sam schob, ohne erst viel zu fragen, den schwarzen Fuhrmann beiseite, ergriff Peitsche und Zügel und fuhr im Galopp davon. Nach zwei Minuten hielt er vor der Hütte Bommys.
Er klopfte. Es wurde ihm geöffnet. Die beiden Gefangenen lagen noch so, wie er sie hingeworfen hatte. Nun faßte er Leflor an, hob ihn empor und gab Jim ein Zeichen, mit dem Neger ein Gleiches zu tun.
„Faß an! Wir laden sie auf!“ Sam brachte den Weißen auf den Karren; der Schwarze wurde auf ihn gelegt, und dann rafften die drei das ganze Laub des Lagers zusammen und schütteten es über die beiden Gefangenen. Darauf fuhr Sam davon, dem Herrenhaus zu.
Seine beiden Gefährten aber gingen neben ihm, mehr verwundert und neugierig, was Sam eigentlich beabsichtige, als besorgt um die Folgen dessen, was sie getan hatten.
„Was hast du denn eigentlich vor, Sam?“ fragte Jim halblaut, so daß es von Leflor und Bommy nicht gehört werden konnte.
„Dumme Frage! Der Neger hat uns belogen und betrogen, und der Pflanzer hat uns den anderen Streich gespielt. Dürfen drei brave Westmänner sich dies gefallen lassen?“
„Nein. Hast recht. Wie aber wird es ablaufen?“
„Gut, sage ich euch. Kein Mensch kann uns deshalb ein Haar krümmen. Leflor hat sich verkleidet, um uns zu täuschen, und gerade diese Verkleidung dient zu unserer Rechtfertigung. Es geschieht ihm sein Recht, nicht mehr, eher weniger.“
Da kam ihm im Galopp ein Reiter nach. Es war Adler. Als er Sam einholte, wollte er laut sprechen, erhielt aber einen Wink, und der Dicke übergab hierauf den Gefährten das Fuhrwerk und blieb mit Adler ein wenig zurück.
„Abgemacht“, sagte letzterer. „Ich traf den Oberaufseher noch vor der Besitzung. Walker ist zu Pferd und in der Kleidung Leflors angekommen; er bleibt längere Zeit da und hat zwei Gastzimmer der ersten Etage erhalten. Zugleich ist infolge eines Zettels, den er von Leflor mitgebracht hat, ein reitender Bote abgeschickt worden, um schleunigst einen Advokaten aus Van Buren zu holen.“
„Ah! Weshalb wohl?“
„Das wußte der Aufseher nicht.“
„Hängt jedenfalls mit Walker zusammen.“
„Sie haben doch Laub geladen, Herr Barth?“
„Einstweilen, ja. Bitte, reiten Sie schnell nach dem Herrenhaus und trommeln Sie das ganze dort zu habende Volk zusammen. Ich will den Leuten eine Freude machen.“
„Welche denn?“
„Es wird nichts verraten. Nur so viel will ich sagen, daß es sich um zwei Gefangene handelt.“
„Sie sind ein –“
„Still!“ unterbrach ihn Sam. „Eilen Sie, damit ich das ganze Volk versammelt finde!“
Adler ritt im Trab weiter, während der Baumwollkarren im Schritt folgte.
Als die drei Jäger ihr Ziel erreichten, stand Almy mit ihrem Vater auf der Veranda; vor derselben aber waren alle Bewohner der Plantage, soweit sie nicht auswärts beschäftigt waren, versammelt. Die Schwarzen vollführten einen außerordentlichen Lärm. Sie standen vor einem Geheimnis und umdrängten den Wagen, es enthüllt zu sehen. Jeder wollte den besten Platz haben.
Adler war in der Nähe vom Pferd gestiegen. Er wurde auf die Veranda gerufen und nach der abenteuerlichen Fracht gefragt. Aber wenn er auch so eine kleine Ahnung hatte, welche Überraschung der Dicke den Anwesenden bereiten werde, hielt er es doch für geraten, nicht davon zu sprechen, und sagte nur:
„Nach allem, was man von diesem wackeren Sam gehört hat, gibt es ein gewagtes und doch dabei humoristisches Intermezzo. Er fürchtet sich vor keinem Teufel, und wehe dem Menschen, der es wagt, in irgendeiner Weise mit ihm anzubinden.“
Jetzt ließ sich Sams Stimme vernehmen:
„Hochgeehrte weiße und schwarze Ladies und Gentlemen! Ich stehe im Begriff, euch ein Beispiel von dem Gesetz der Savanne zu geben, damit ihr einmal erfahrt, wie es unter den Männern des fernen Westens zugeht. Wie heißt der dicke schwarze Sir dort drüben mit dem Zylinderhut auf dem Kopf und dem großen Säbel an der wehrhaften Seite?“
„Es ist Master Scipio, der Nachtwächter der Negerhütten“, antwortete einer.
„Ich danke, Mylord! Also, mein teurer Master Scipio, wollt Ihr mir wohl einmal sagen, ob Ihr im Besitz einer Nase seid?“
Der nachtschwarze Wächter der Nacht fuhr sich schnell mit allen zehn Fingern in diejenige Gegend des Gesichtes, von der er überzeugt war, daß er bis dato dort den erwähnten Gegenstand gehabt hatte. Als er ihn noch an Ort und Stelle fühlte, nickte er befriedigt, zog sein breites Maul noch fünfmal breiter und antwortete:
„Yes! Master Scipio hat eine Nase.“
„Wer ist die schwarze Lady, die dort an dem Baum lehnt?“
„Ist Miß Juno aus der Küche“, antwortete eine andere Negerin.
„Danke sehr, Madame! Also, Miß Juno, wessen Eigentum ist wohl die Nase, die Master Scipio in seinem Gesicht trägt?“
„Master Scipio sein Eigentum“, antwortete die Gefragte, höchst stolz darauf, daß ihr der Vorzug geworden war, gefragt zu werden.
Scipio griff sich abermals an die Nase, nickte sehr nachdrücklich mit dem Kopf und stimmte bei: „Yes! Master Scipio sein Eigentum.“
„So sagt mir einmal, Master Scipio, ob Euch irgend ein Mannskind die Nase nehmen darf.“
„O no! Keiner sie mir nehmen darf.“
„Wenn Euch nun jemand Eure Nase wegschnitte, was würdet Ihr tun, Master?“
„Ihm seine auch wegschneiden.“
„Schön! Sehr gut! Das ist das Gesetz der Savanne. Was mir einer nimmt, das nehme ich ihm auch. Nun seht Ihr hier am Wagen einen weißen Gentleman stehen. Er heißt Master Jim Snaker und ist ein berühmter Savannenmann. Einst hatte er so viele Felle erbeutet, die einen ganzen Reichtum ausmachten. Er lagerte mit denselben in der Prärie. Da wurde er überfallen und beraubt, und man nahm ihm nicht nur die Felle, sondern einer der Räuber schoß ihm auch eine Kugel durch die Brust und schnitt ihm dann noch die Nase ab. Es dauerte monatelang ehe seine Wunden heilten. Von da an hat er nach dem Mann gesucht, der ihm nicht nur seine Biberfelle, sondern auch seine Nase raubte. Heute nun hat er ihn gefunden. Master Scipio, was wird dieser Mann wohl hergeben müssen?“
„Seine Nase.“
„Ganz richtig! Seine Nase – und was noch?“
„Die Felle.“
„Wenn er sie aber nicht mehr hat?“
„Kann er nichts hergeben.“
„Oho! Ein Fell hat er noch, nämlich das seinige. Was wird mit demselben geschehen?“
„Wird es hergeben müssen, wird ihm abgezogen.“
„Sehr schön! Master Scipio, Ihr seid zum Sheriff oder zum Lordmajor geboren.“
„Yes, yes, Sir! Bin sehr klug, bin außerordentlich klug, wunderbar klug!“ grinste der geschmeichelte Schwarze.
„Dieser Räuber, der sein Fell und seine Nase hergeben muß, befindet sich hier auf dem Karren als Gefangener. Er hatte sich bei einem seiner Freunde versteckt, der ihn beschützte, der uns belog, damit wir den Verbrecher nicht ergreifen sollten. Auch dieser Mitschuldige liegt mit auf dem Karren. Zur Strafe, daß er sich der Ausübung der Gerechtigkeit widersetzt hat, soll er jetzt verurteilt sein, an seinem Schützling die Strenge des Savannengesetzes zu vollziehen. Er soll ihm die Nase abschneiden und sodann ihm das Fell abziehen, die ganze Haut vom Leib herunterschinden.“
Der Jubel, der jetzt ausbrach, ist nicht zu beschreiben. Alles schrie, lachte und tanzte durcheinander.
„Abschinden! Die Haut abschinden! Die Nase abschneiden. O Jessus, Jessus, ein großes Fest!“
Solche und ähnliche Ausdrücke wurden ausgestoßen. Almy wandte sich schaudernd ab und fragte:
„Pa, ist es möglich?“
„O nein“, lächelte dieser. „Wer weiß, was Sam beabsichtigt. Er sieht gar nicht mordgierig aus.“
Der Dicke wandte sich jetzt an den Jäger:
„Jim Snaker, du bist der Verletzte. Dir steht es zu, diesen Helfershelfer vom Wagen zu heben und ihm dein Messer zu geben, damit er seine Pflicht erfülle. Tue es!“
Der lange Jim ließ ein breites, vergnügtes Lachen hören, griff unter das Laub und zog Bommy vom Wagen herab, legte ihn zur Erde, löste ihm die Fesseln und versetzte ihm dann einen so kräftigen Klaps, daß der Getroffene mit einem lauten Schrei aufsprang. Jetzt wurde er erkannt.
„Bommy, Bommy, oh, Bommy ist es! Bommy ist mitschuldig! Bommy muß Haut abschinden!“ rief es rundumher.
„Jetzt auch den anderen herab!“ sagte Sam. „Der, welcher die Felle raubte und die Nase abschnitt.“
Aller Hälse wurden länger, und aller Köpfe streckten sich, um dieses Ungeheuer zu sehen, dem nun zur Strafe die Haut abgeschunden werden sollte. Und Jim langte abermals unter das Laub, zog ihn hervor, warf ihn herab und band ihm die Fesseln los. Leflor blieb jedoch liegen, nicht etwa aus Schwäche, o, nein! Er fühlte wohl eine Kraft in sich, als ob er die ganze Welt ermorden könne. Aber die Scham, die ungeheure Blamage, die hielt ihn an der Erde fest, damit man sein Angesicht nicht sehen solle. Vergebliches Beginnen!
Jim ergriff ihn mit seinen Eisenarmen und hob ihn in die Höhe, wie man ein Kind aufrichtet. Leflor bot in der Tat einen bedauernswerten Anblick. Die Nase war ihm von Sams Fausthieb geschwollen, die Haare hingen ihm wirr um den Kopf, Kleidung und Wäsche waren in Unordnung. Zunächst traute niemand dem eigenen Auge. Dann aber brach es los, erst einzeln und leise und endlich im Chor und laut, überlaut:
„Massa Leflor! Massa Leflor! Ihm wird die Nase weggeschnitten und die Haut geschunden!“
„Ihr irrt!“ rief Sam. „Das ist nicht Massa Leflor, sondern dieser Mann heißt Walker und mag dem Massa Leflor ähnlich sein.“
„Nein, nein, ist Massa, Massa Leflor!“ brüllte es rundum.
„Ruhig! Still! Wer dieser Schuft ist, das muß ich doch besser wissen als ihr! Ich bin es ja, der ihn gefangen hat!“
Jetzt erst kam Bewegung in den Gefangenen.
Er stieß einen heiseren Wutschrei aus und versuchte, sich von Jims Griffen loszureißen, aber sofort griff auch Tim zu, und nun stand der Gefangene zwischen beiden, von ihren sehnigen Armen umspannt, so daß er sich nicht zu bewegen vermochte. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen, und vor seinen Lippen stand weißer Schaum.
Wilkins hatte bisher geschwiegen. Jetzt trat er vor und fragte laut:
„Master Barth, was ist das? Wie kommt Ihr dazu, Monsieur Leflor solche Gewalt anzutun?“
„Monsieur Leflor?“ antwortete der Gefragte im Ton der Verwunderung. „Verzeiht, das ist ein gewisser Walker, aber nicht Euer Plantagennachbar. Seht seine Kleidung an!“
„Diese könnte mich allerdings fast irreführen. Der Mann selbst aber ist Monsieur Leflor.“
„Unmöglich! Er hielt sich doch bei Bommy versteckt, als wir ihn suchten.“
„Ihr müßt Euch irren!“
„O nein. Wir sind ihrer drei mit sechs sehr guten Augen. Wir sahen den richtigen Leflor bei Bommy einkehren und dann wieder fortreiten. Was sagt Master Adler zu diesem Mann?“
„Daß Ihr Euch irrt“, antwortete der Gefragte. „Er ist Monsieur Leflor.“
„Wunderbar! Wir können doch nicht blind gewesen sein. Ist er Walker, so werden wir ihn nach Van Buren transportieren, um ihm den Prozeß machen zu lassen, ist er aber wirklich Leflor, so müssen wir ihn freigeben. Er selbst mag sich durch offene Antworten aus seiner Lage befreien. Also sagt einmal, wer Ihr seid!“
Diese Frage war an den Gefangenen gerichtet.
Leflor antwortete nicht. Sie wurde wiederholt, und er schwieg abermals.
„Ihr seht, daß ich recht habe“, sagte Sam. „Wäre er Leflor, so würde er antworten.“
Da knirschte der Gefangene in fürchterlichem Grimm:
„Ich bin Leflor! Laßt mich los!“
Zugleich machte er einen vergeblichen Versuch, sich aus der festen Umschlingung zu befreien.
„Nicht zu schnell!“ sagte Sam. „Wenn Ihr wirklich Leflor seid, so haben wir das Recht zu erfahren, wie es kommt, daß wir Euch für den Verbrecher halten mußten. Erklärt es uns!“
Leflor antwortete nicht.
Da trat Wilkins ganz an den Rand der Veranda und sagte in befehlendem Ton:
„Sam Barth, ich gebiete Euch, diesen Mann jetzt freizugeben!“
„Da macht Ihr doch nur Spaß!“ meinte Sam in seinem freundlichen Ton.
„Nein, es ist mein Ernst. Ich befehle es Euch!“
Da nahm das gutmütige Gesicht des Dicken auf einmal einen ganz anderen Ausdruck an. Seine Augen blitzten zornig auf, seine Gestalt richtete sich in die Höhe, und er antwortete:
„Verzeiht, Sir, wenn ich Euch bei aller Hochachtung Euren Wunsch nicht erfüllen kann. Von einem Befehl ist gar keine Rede. Wir drei sind freie, unabhängige Prärieläufer. Wir gehorchen nur dem Gesetz, das in der Savanne herrscht. Würde diesem Gesetz der Gehorsam verweigert, so würden die menschlichen Untiere ihre Häupter erheben, und Sünde und Verbrechen würden die grausigen Beherrscher des Westens sein. Was wir mit unserem Herzblut der Wildnis abgerungen haben, das wollen wir nicht aus feiger Schwäche dem Verderben preisgeben. Hilfe und Rettung jedem Braven, Untergang und Verderben aber jedem Gottlosen, das ist der Wahlspruch, von dem wir nicht lassen werden. Wir haben gestern abend einen jahrelang gesuchten Bösewicht ergriffen, er entkam uns wieder. Wir folgten seiner Spur, die endlich in Bommys Hütte führte. Hier steht er, den wir gefunden haben, in der Kleidung, in der wir ihn gestern ergriffen, und an dem Ort, zu dem seine Spur führte. Er sagt, er sei ein anderer. Gut. Wir wollen gnädig sein und ihn anhören, was wir nach dem Gesetz der Savanne nicht notwendig hätten, aber er soll uns antworten und erklären, wie er in die Kleider des Verbrechers gekommen ist. Das können und müssen wir verlangen, und wenn irgend jemand uns hindern wollte, so mache ich, so wahr ich lebe, kurzen Prozeß und jage ihm vor allen Versammelten eine Kugel durch den Kopf. Ich heiße Sam Barth und verstehe, wenn es sich um einen elenden Bösewicht handelt, keinen Spaß!“
Sam nahm wirklich die Büchse von der Schulter, richtete den Lauf nach Leflors Kopf und sah sich dann herausfordernd im Kreis um.
Seine Worte hatten eine förmliche Rede gebildet, und diese hatte einen ungeheuren Eindruck gemacht. Alles schwieg und keiner wagte es, zu widersprechen. Sie sahen es Sam an, daß er sofort geschossen hätte. Almy zitterte beinahe, und doch vermochte sie es nicht, ihr Auge von der düsteren Gruppe abzuwenden.
„Nun, Mann, wie steht es?“ fuhr Sam fort. „Wenn Ihr nicht antwortet, so nehmen wir an, daß Ihr Walker seid, und dann habt Ihr zum letzten Mal im Leben die Hände und die Füße frei. Wir warten keine Ewigkeit auf Eure gütige Antwort.“
„Ich bin Leflor“, stieß der Gefangene hervor.
„Wie kommt Ihr in das Gewand des Bösewichtes?“
„Ich habe den Anzug mit ihm getauscht.“
„Wozu?“
Leflor zögerte mit der Antwort.
„Wenn Ihr nicht sprechen könnt, so werde auch ich nicht weitersprechen, sondern handeln.“
„Ich wollte ihn retten.“
„Er ist auf Eurem Pferde und in Eurem Anzug davongeritten?“
„Ja.“
„Warum habt Ihr ihm geholfen? Kanntet Ihr ihn?“
„Nein.“
„Ihr lügt!“
„Ich sage die Wahrheit.“
„Wo ist er hin?“
„Ich weiß es nicht.“
„Da lügt Ihr abermals. Schämt Euch! Ihr wollt ein Gentleman sein, ein vornehmer, reicher Plantagenbesitzer, und fürchtet Euch vor einem armseligen Präriejäger! Aber ich bin zu stolz, um mich länger mit Euch abzugeben. Ihr seid der Verbündete eines Diebes, Räubers und Mörders. Ihr habt seine Kleidung getragen und ihm zur Flucht verholfen; dadurch seid Ihr mit ihm verwechselt worden. Ihr habt Sam Barth ausgelacht und ihn betrügen wollen. Jetzt habt Ihr die Folgen davon. Ein Mann wie Ihr muß sich stets sehr hüten, mit einem braven Westmann in Konflikt zu geraten. Wir sind nicht so spitzfindig und raffiniert wie Ihr, aber wir haben unseren Scharfsinn und unseren Mutterwitz, an den alle Eure Klugheit nicht heranreicht. Geht jetzt fort und hütet Euch in Zukunft vor ähnlichem!“
Jim und Tim ließen nunmehr die Hände von dem Gefangenen. Dieser tat einige schnelle Schritte vorwärts, um aus dem Bereich der vielen auf ihm ruhenden Blicke zu kommen, blieb aber doch noch einmal stehen, drehte sich um, erhob den Arm und rief drohend:
„Merkt euch das, ihr alle! Ich komme wieder! Und dir, du dicker, deutscher Hund, werde ich zeigen, was Rache heißt!“
„So fange es sehr klug an!“ antwortete Sam. „Denn wenn du zum zweiten Mal in meine Hände gerätst, so holt dich der Teufel, in dessen Raritätenkammer du schon lange gehörst.“
Leflor eilte mit langen, schnellen Schritten fort. Auch Bommy wollte gehen, da aber legte Sam ihm die Hand auf den Arm und sagte:
„Halt, Schwarzer! Mit dir habe ich noch ein ernstes Wörtchen zu sprechen.“
Er hatte nicht fest zugegriffen. Bommy riß sich daher los und sprang davon.
„Gut, so zwinge ich dich, stehenzubleiben“, sagte der Dicke, indem er seine Büchse zum Schuß an die Wange legte.
Doch bog sich Wilkins von der Veranda herab, ergriff das Rohr und zog es empor.
„Halt, Master! Wir wollen kein Blut vergießen.“
„Oh, nur ein klein wenig einen Schuß in das Schenkelfleisch.“
„Nein! Hängt denn Euer Glück so sehr davon ab, daß Ihr noch mit dem Schwarzen sprecht?“
„Das meinige nicht, aber vielleicht das Eurige, Sir.“
„So laßt ihn laufen! Ich will mein Glück nicht dem Blut anderer verdanken.“
„Hm! Ganz, wie Ihr wollt! Aber wenn ich mit keinem anderen mehr sprechen darf, so will ich doch wenigstens noch mit Euch einige Worte reden.“
Sam schwang sich auf die Veranda hinauf, und Jim und Tim folgten ihm. Wilkins gab dem versammelten Volk einen Wink. Die Leute entfernten sich, aber nicht etwa ruhig, sondern das aufregende Vorkommnis wurde lärmend und schreiend bis auf das kleinste erörtert. Der Neger ist ein Virtuose im Lärmmachen, und die Negerin übertrifft ihn noch. Wilkins machte ein sehr ernstes Gesicht. Er sah fast zornig aus.
„Befandet Ihr Euch wirklich im unklaren über die Persönlichkeit Leflors?“ fragte letzterer Sam.
„Nicht im geringsten“, antwortete der Sachse hierauf offen.
„Ihr wußtet also gewiß, daß es nicht Walker war?“
„Ja.“
„Ah, so habt Ihr ganz einfach eine Komödie vorführen wollen?“
„Komödie?“ meinte der Dicke, seinerseits nun auch sehr ernst. „Ich weiß nicht, was Ihr unter Komödie versteht; ich aber meine, daß es Komödien gibt, die man nicht oft genug ansehen kann. Zur Unterhaltung ist es nicht gewesen.“
„Notwendig war es auch nicht.“
„Notwendig? Hm! Strafe ist naturnotwendig und Abschreckung ist wünschenswert. Dieser Mann hatte sich unterstanden, mich zu übertölpeln; er mußte also die Folgen tragen.“
„Also nur die Rücksicht auf Euer, wie es scheint, stark entwickeltes Selbstgefühl hat Euch veranlaßt, dieses Schauspiel aufzuführen. Das muß ich streng tadeln, Master Barth!“
„Tut, was Euch beliebt! Ich tue auch, was mir gefällt, nämlich meine Pflicht. Aus diesem Grund wollte ich Bommy zurückbehalten.“
„Ihr sagtet doch, daß Ihr dies nicht Euret- sondern meinetwegen beabsichtigt hättet.“
„Allerdings. Ich meinerseits bin mit diesem Menschen fertig. Aber er hat jedenfalls viel von dem mit angehört, was Leflor mit Walker gesprochen hat. Er muß zum Geständnis gebracht und nötigenfalls dazu gezwungen werden.“
„Ich verzichte darauf. Ich will keine weitere Aufregung, keinen ferneren Skandal.“
„Ich habe weder die Pflicht, noch Lust, Euch zu etwas zu bereden, was Eurem Gefühle widerstrebt, meine aber, daß Ihr durch Bommy viel über Walker und Leflor erfahren könnt.“
„Walker geht mich gar nichts an, und alles, was Leflor betrifft, werde ich jedenfalls erfahren.“
„Vielleicht erst dann, wenn es zu spät ist. Übrigens bin ich keineswegs der Meinung, daß Walker Euch nichts angehe, sondern ich meine vielmehr, daß er Euch noch zu schaffen machen kann. Er hat sich nicht ohne Absicht durch Eure Besitzung geschlichen, und er scheint die Veranlassung zu sein, daß Leflor schleunigst nach einem Notar gesucht hat. Bommy muß davon wissen. Habt Ihr ihn jetzt gehen lassen, so wollen wir ihn doch heute abend, wo er mit den Bushwhackers in unsere Hände fallen wird, recht ernstlich ins Gebet nehmen.“
„Nein. Das wird nicht geschehen, solange mein Wille etwas gilt, und ich bin der Ansicht, daß hier an diesem Ort eben nur dieser, mein Wille maßgebend sei. Ich mag nichts über Leflor wissen und nichts über ihn erfahren. Wird Bommy ergriffen, so mag er als Mittäter der Bushwhackers behandelt werden, von weiterem aber sehe ich ab.“
„Wann wird das Militär eintreffen?“
„Nach Anbruch der Dunkelheit. Monsieur Adler hat durch den Boten bitten lassen, daß die Truppen sich nicht sehen lassen mögen.“
„Das ist sehr klug, auf diese Weise werden wir wie ein Wetter über die Kerle kommen. Ich hoffe, daß ihrer viele ins Gras werden beißen müssen.“
Wilkins Stirn zog sich zusammen.
„Ich hoffe das nicht. Ich will sie fangen und der Gerechtigkeit übergeben. Diese mag sodann mit ihnen nach den Gesetzen verfahren.“
„Das klingt zwar sehr schön, taugt aber nichts. Die Kerle werden hingesetzt und erhalten alle Gelegenheit, sich davonzumachen. Man kennt das schon. Eine Kugel vor den Kopf, und zwar sofort, das ist die beste Medizin gegen diese Seuche.“
„Ihr seid ein Unmensch!“
„Oho! Wenn mich ein Floh beißt, so wird er gefangen und gefingert. Und zapft mir ein Mensch mein Blut und Leben, mein Hab und Gut ab, so hat er ganz dasselbe verdient, ja noch mehr, denn der Floh hat von der Vorsehung das Recht erhalten, der Kostgänger eines jeden Gentleman und einer jeden Lady zu sein, der Mensch aber soll sich seinen Schluck und Bissen selbst verdienen. Ich bin ein Menschenfreund und habe ein Herz, das bei jedem Leid im Einundzwanzigachteltakt klopft, aber wenn der Mensch aufhört, Gottes Ebenbild zu sein, dann muß man sich seiner erwehren. Anderes gibt es nicht. Wer mir heute abend vor den Lauf kommt, der muß dran glauben. Das ist Savannengesetz, und davon gehe ich nicht ab; das ist ein jeder brave Westmann seinen Kameraden schuldig. Der Halunke, den ich heute aus falscher Nachsicht schone, schießt mir morgen wohl bereits den besten Freund über den Haufen, übermorgen einen zweiten und so weiter. Indem ich ihn geschont habe, bin ich mitschuldig an dem Tod der anderen.“
Wilkins machte eine höchst mißbilligende Handbewegung und sagte:
„Nach dem, was Ihr da sprecht, muß ich euch drei dringend ersuchen, euch heute abend an der Affäre gar nicht zu beteiligen.“
„Ist das Euer Ernst?“ fragte Sam erstaunt. „Alle Teufel! Das ist verwunderlich. Hoffentlich wird der Offizier anders denken als Ihr, Mylord. Und hoffentlich wird er mir auch seine Leute gegen Walker zur Verfügung stellen.“
„Was ist Eure Absicht dabei?“
„Walker befindet sich bei Leflor. Ich darf da nicht eindringen; das Militär aber hat die Macht dazu. Ich werde mir durch die Soldaten den Kerl von Leflors Pflanzung holen lassen.“
„Ich habe Euch ja bereits gesagt, daß ich wünsche, Leflor möge in Ruhe gelassen werden.“
„Ich aber wünsche das Gegenteil, Sir. Wir drei müssen Walker holen!“
„Wenn diese Feindseligkeiten von hier ausgehen, werde ich in Leflor einen unversöhnlichen Feind haben. Das wünsche ich nicht.“
„Hoffentlich braucht Ihr ihn nicht zu fürchten!“
Der Pflanzer hob schnell den Kopf empor, fixierte Sam mit scharfem Blicke und sagte:
„Gedenkt Ihr etwa, mich zu beleidigen?“
„Nein, Sir.“
„Euer Ton ist mir aber ein unbequemer.“
„Der Eurige mir ebenso.“
„So wird es für beide Teile am vorteilhaftesten sein, wenn wir aufeinander verzichten. Auf meinen Einfluß hin wird der betreffende Offizier sich nicht zum Vollzieher Ihrer Privatrache hergeben.“
Wilkins hatte das im allerschärfsten Ton gesagt. Er fürchtete die Rache Leflors. Sam seinerseits war auch sehr ärgerlich. Aber er verstand besser, sich zu beherrschen. Er fragte jetzt:
„Ihr werdet also den Offizier bewegen, Walker bei Leflor in Ruhe zu lassen?“
„Ja. Und ich bin überzeugt, daß mein Einfluß dazu genügen wird.“
„Jedenfalls. Ich besitze ja gar keinen Einfluß. Also heute abend dürfen wir nicht mittun, und Walker wird auch nicht arretiert? Dazu sagt Ihr, daß es am besten für beide Teile sei, aufeinander zu verzichten? Mylord, ich bin ein einfacher Mann; aber unsereiner wird im Kampf mit allen möglichen Gefahren und Hindernissen gewitzt und gestählt. Ich habe geglaubt, das Richtige zu wünschen; haltet Ihr Euch aber für erfahrener und scharfsinniger, so wäre es Zudringlichkeit von mir, wenn ich Euch weiter belästigen wollte. Ich wünsche, daß Ihr niemals wieder eines fremden und unangenehmen Rates bedürfen möchtet. Denkt zuweilen einmal an Sam Barth, den Dicken! Gott sei bei Euch!“
Damit legte Sam sein Gewehr auf die Achsel, sprang von der Veranda hinab und schritt in gerader Richtung über den offenen Platz hinweg nach den Bäumen zu, wo Walker gestanden hatte, Almy zu betrachten.
„Good bye!“ sagte darauf Jim und stieg mit einem einzigen Schritt seiner langen Beine hinab und folgte dem Dicken.
„Farewell!“ knurrte Tim in grimmigem Ton und stelzte ebenso davon wie sein Bruder.
Die drei Jäger hatten sich mit dem Pflanzer allein befunden, da Almy in ihr Zimmer zurückgekehrt, Adler aber den Negern nachgegangen war, um ihnen ihre Beschäftigung anzuweisen. Jetzt stand Wilkins ganz allein und betroffen da. Das hatte er freilich nicht beabsichtigt. Fortgehen sollten sie nicht, am allerwenigsten in dieser Weise. Sie sollten ja bleiben, um seine Dankbarkeit zu erfahren. Sie waren gekommen, ihn vor den Bushwhackers zu warnen; sie waren seine Retter, und jetzt beleidigte er sie, jetzt schickte er sie fort. Das durfte nicht sein.
„Messieurs!“ rief er ihnen nach. „Mesch'schurs, wo wollt ihr hin? So bleibt doch da!“
Aber sie hörten nicht auf ihn. Sie gingen fort. Keiner drehte sich um. Schon war Tim als der letzte hinter den Bäumen verschwunden.
Da eilte der Pflanzer ihnen nach, geradewegs, wo sie ja auch gegangen waren, und lief weiter und immer weiter, aber ohne sie zu sehen. Und obwohl er auch ihre Namen rief, es war alles umsonst. Er kannte die Art und Weise dieser braven, charaktervollen Männer nicht. Er hatte sie fortgewiesen, ob im Ernst oder aus Übereilung das war gleich; ein Trapper tut das niemals. Sie sollten gehen, und sie gingen also. Daß sie in demselben Augenblick, in welchem er sie nicht mehr sehen konnte, scharf im rechten Winkel von ihrer ersten Richtung abgewichen waren, ahnte Wilkins nicht. Da er immer in gerader Linie weiterlief, so war es unmöglich, daß er sie einholen konnte, zumal da er auch kein Westmann war, um ihre Spur aufsuchen und finden zu können.
Endlich dachte er an Adler, seinen Oberaufseher, und ging diesen aufzusuchen; als er ihn erst nach längerer Zeit traf, klagte er ihm sein Mißgeschick und teilte ihm in Eile die Unterredung mit, die schuld an der Entfernung der Jäger gewesen war.
„Nun sind sie fort. Was sagt Ihr dazu?“ schloß er seinen Bericht.
Adler zuckte wehmütig die Achsel.
„Zu spät!“ sagte er.
„Können wir sie nicht finden?“
„Nein.“
„Aber sie sind doch nicht aus der Welt. Sie können sich noch nicht sehr weit entfernt haben!“
„Sie sind gegangen und wollen nicht wiederkommen, Mylord. Wenn solche Männer dies wollen, so lassen sie sich nicht finden.“
„Aber wir müssen ihre Spuren suchen.“
„Das würde vergebens sein. Sie werden ihre Spuren verwischen oder gar keine machen.“
„Master Adler, Ihr seid so oft und so lange im Westen gewesen; Ihr seid ein sehr guter Pfadfinder, Ihr werdet ihre Spur entdecken.“
„Gerade weil ich die Eigenheiten solcher Männer kenne, weiß ich genau, daß ich sie nicht finden werde. Sie werden sich getrennt haben, um sich an irgendeinem gegebenen Punkte wieder zu vereinigen. Wir würden im günstigsten Fall nur einen von ihnen erwischen, und dieser würde nicht mit zurückkehren. Das ist er den beiden anderen schuldig, Sir.“
„Ich war in heftiger Stimmung. Ich habe unrecht getan, wirklich unrecht!“
„Und ich hatte mich so sehr auf den wackeren Sam gefreut, der mein Landsmann ist! Dieser alte, kühne und listige Bär ist ein Kerl, der hundert vornehme Herren aufwiegt.“
„So tut es mir um so mehr leid. Auch Euch habe ich um das Vergnügen gebracht. Gibt es denn keine Hoffnung sie wiederzuerlangen?“
Adler sann eine kurze Weile nach und sagte dann:
„Einen Weg gibt es, aber nur, sie vielleicht wiederzufinden. Ob sie jedoch zurückkehren, das möchte ich bezweifeln.“
„Was meint Ihr denn?“
„Sie haben es auf Walker abgesehen. Dieser befindet sich bei Leflor. Folglich werden sie das Haus Leflors so streng bewachen, daß es Walker möglichst schwer wird, zu entkommen. Dort also müßte man sie suchen.“
„Wollt Ihr das tun?“
„Ja, wenn Ihr es wünscht.“
„Ich wünsche es sogar sehr. Steigt zu Pferd, Sir, damit Ihr in kurzer Zeit große Strecken durchstreifen könnt. Vielleicht findet Ihr sie, ehe sie da hinüberkommen.“
„Ich will es wünschen, bezweifle es aber.“
Nach wenigen Minuten ritt Adler davon. Als er zurückkehrte, war der Abend bereits hereingebrochen. Er hatte keinen der drei gesehen.
Andere aber waren gekommen, nämlich ein Detachement Vereinigte-Staaten-Dragoner unter einem Oberleutnant. Sie hatten ledige Pferde mitgebracht, um etwaige Gefangene sogleich und leicht transportieren zu können.
Es wurde Kriegsrat gehalten, und da merkte Wilkins sehr wohl, welchen Wert der Rat Sam Barths gehabt hätte. Adler war der einzige, der infolge seiner früheren Präriefahrten befähigt war, den guten Dicken zu ersetzen. Sein Rat wurde auch akzeptiert.
Er selbst lag zur betreffenden Zeit, durch die Dunkelheit geschützt, im Busch, unweit der Tür der Blockhütte, und beobachtete, daß die Erwarteten nach und nach kamen, einzeln, einer nach dem andern, und erst als er meinte, daß sie alle beisammen seien, kroch er zurück, wo die Dragoner, mit allem Nötigen versehen, seiner warteten, und führte sie zur Hütte.
Jetzt erschallten verschiedene dumpfe Schläge durch die Nacht. Es wurden starke Pfähle gegen die Tür und die Läden gestemmt und in den Boden eingerammt, an Tür und Läden aber festgenagelt. Von drinnen war zunächst ein lauter, verworrenerer Tumult zu vernehmen; dann wurde es still. Nachher loderten Feuer rund um die Hütte auf, um jeden sehen zu können, der sich etwa auf irgendeine Weise Ausgang verschaffen wollte. Hinter diesen Feuern wuchs irgend etwas schwarz aus dem Boden hervor. Was es war, konnten die Belagerten durch ihre kleinen Gucklöcher, die sie sich gemacht hatten, nicht erkennen. Aber als der Morgen tagte, zeigte es sich als eine rund um die Hütte errichtete, aus Reisigbündeln und allerlei Holzwerk bestehende Mauer mit zahlreichen kleinen Öffnungen für die Gewehre. Aus der ganzen, weiten Umgegend kam alt und jung herbei, um dem eigenartigen Schauspiel der Belagerung einer Bushwhackersbande beizuwohnen.
Die Glieder der letzteren erkannten bald, daß Widerstand vergebens sein werde. Sie hätten durch denselben nur ihr Los verschlimmert. Ergaben sie sich aber, so war Hoffnung vorhanden, daß dem einzelnen nichts bewiesen werden und er also freigesprochen werden könne. Wasser gab es nicht, Proviant auch nicht, und so kam es denn, daß die Eingeschlossenen gegen Abend auf Gnade und Ungnade kapitulierten. Das war ein Fang, über den die Bewohner der weitesten Umgegend jubelten. Es war dem Unwesen für lange Zeit ein Ende gemacht worden, und schnell sprach es sich herum, daß man dies nur allein dem dicken Sam Barth und den beiden dürren Brüdern Snaker zu verdanken habe.