ZWEITES KAPITEL

Verwehte Spuren

Steinbach voran, Normann und Nena hinter ihm, jagten die drei Reiter dem Nordosten zu. Der erstere hielt den Blick scharf auf den Sand geheftet. Er hatte keine Zeit, sich nach seinen Begleitern umzusehen oder eine Unterhaltung mit ihnen zu beginnen. Das Verfehlen eines einzigen, kleinen Zeichens konnte verhängnisvoll werden.

So ging es weiter und weiter. Wohl an die zwei Stunden waren vergangen. Da konnte Normann seine Besorgnis nicht länger zurückhalten. Er trieb sein Tier an die Seite desjenigen, das Steinbach ritt, und fragte:

„Haben Sie eine Spur?“

„Vielleicht.“

„O wehe! ‚Vielleicht‘ klingt schlecht.“

„Nun, haben Sie vielleicht etwas gefunden, was einer Fährte ähnlich sieht?“

„Nein, nicht das geringste.“

„So müssen Sie also mit meinem Vielleicht vorliebnehmen. Ein Vielleicht ist doch immer noch besser als ein Garnichts. Aber bitte, bleiben Sie zurück! Wenn ich allein voran bin, macht mich nichts irre.“

Wieder ging es weiter, aber nicht lange, denn bereits nach wenigen Minuten ließ Steinbach sein Tier niederknien, stieg aus dem Sattel und untersuchte den Sand, der hier allerdings mehrere ziemlich deutliche Eindrücke zeigte. Sein Gesicht erheiterte sich.

„Hier haben wir die Spur“, sagte er.

„Gott sei Dank!“

„Hier sind die Räuber von den Tieren gestiegen, ich weiß natürlich nicht, weshalb, und – ah, da drüben gibt es noch andere Eindrücke. Was ist das?“

Steinbach ging mehrere Schritte nach rechts und untersuchte diese Eindrücke. Dabei stieß er einen lauten Ruf der Freude aus.

„Was ist's?“ fragte Normann neugierig.

„Saids Name, in den tiefen Sand geschrieben, nicht mit dem Finger, sondern mit der Faust, damit die Schrift nicht so leicht vergehen soll. Er ist hinter den Räubern her und hat sie erreicht, als sie anhielten. Da hinter mir hat er sein Pferd stehenlassen und sich herbeigeschlichen. Hier hat er gelegen und sie belauscht. Seine Gestalt hat sich in dem Sand ganz deutlich eingedrückt.“

„Ob er die Mädchen nicht retten konnte?“

„Er gegen drei.“

„Er konnte die Räuber erschießen!“

„Das ist schneller gesagt als getan.“

„Aber der Arabadschi ist nicht feig. Das hat er schon oft bewiesen und hier auch auf das allerglänzendste.“

„Das ist wahr; aber vergessen wir nicht, daß er noch jung ist und eben auch kein Riese von Gestalt. Hätte er sich zu einem Kampf hinreißen lassen, so hätten wir hier wohl seine Leiche anstatt seiner Spur und seines Namens gefunden, und die Mädchen wären erst recht verloren. Nein, er hat sehr klug daran getan, sie bei dem Gedanken zu erhalten, daß sie nicht verfolgt werden.“

„Weshalb sie wohl hier gehalten haben?“

„Wer weiß es. Vielleicht ist ein Gurt locker geworden. Vielleicht haben die Mädchen irgendeinen Vorwand dazu erfunden, damit hier eine Spur im Sand entstehen soll. Für uns ist es genug, zu wissen, daß wir uns in der rechten Richtung befinden. Reiten wir weiter.“

Steinbach stieg auf.

Die Sonne hob sich höher und höher am Himmel. Ihre Strahlen wurden intensiver. Die drei Reiter konnten nicht darauf achten. Nur um die Mittagszeit machten sie halt, um die Tiere verschnaufen zu lassen und einige Schluck Wasser zu sich zu nehmen. Dann ging es in ungeminderter Eile weiter bis gegen Abend.

Hier und da hatte Steinbach einige Anzeichen gefunden, daß er die rechte Richtung beibehalten hatte. Er besaß einen Kompaß an der Uhr, den er natürlich von Zeit zu Zeit zu Rate zog.

Die Sonne war hinter dem westlichen Horizont verschwunden, und die Nacht brach nun bald herein.

„Reiten wir auch des Nachts?“ fragte Normann.

„Jawohl.“

„Und verfehlen die Fährte!“

„Aber nicht die Richtung. Ich bin überzeugt, daß die Kerle wirklich die Beni Halaf aufsuchen.“

„Da können wir drei auch nichts tun. Es wird wohl geraten sein, zu warten, bis unsere Leute herbeikommen.“

„Und unterdessen verschmachtet Said!“

„Wir laufen aber doch Gefahr, des Nachts an ihm vorüberzureiten, ohne ihn zu sehen.“

„Das müssen wir eben riskieren. Übrigens weiß ich, daß ich auch des Nachts weder rechts noch links von der geraden Linie abweichen werde. Diese haben sie jedenfalls auch eingehalten und Said hinter ihnen. Ich habe große Sorge um ihn.“

„Ich freilich auch. Er ist ein braver Mensch.“

„Gerade darum dürfen wir nichts unterlassen, was zu seiner Rettung dienen kann. Nach meiner Ansicht haben wir seit unserem Aufbruch wohl anderthalb gewöhnliche Tagereisen zurückgelegt. Es wundert mich, daß wir ihn noch nicht gefunden haben. Selbst das beste Pferd muß doch nach einem solchen Ritt und bei der Luft, die herrschte, umfallen, wenn es kein Wasser erhält. Wir müssen von jetzt an die Augen offenhalten. Ha, was war das?“

Er hielt sein Tier an.

Sie horchten. Der Pfiff wurde wiederholt. Da sie deutsch gesprochen hatten, waren sie von Nena nicht verstanden worden. Als er aber sah, daß sie lauschten, sagte er:

„El Büdsch!“

„Was ist das?“ fragte der Maler.

„El Büdsch ist der arabische Name für den großen Bartgeier“, erklärte Steinbach.

„Ein Geier hier mitten in der Wüste! Da muß es irgendein Aas geben.“

„Herrgott! Doch nicht etwa den Arabadschi!“

„Das möge der Himmel verhüten. Ah, da oben schweben sie! Es sind zwei.“

Steinbach deutete in die Luft, wo weit vor ihnen hoch zwei Punkte schwebten, die weite Kreise zogen.

„El Büdsch will fressen“, bemerkte Nena.

„Weiter, rasch weiter!“

Sie brachten ihre Tiere in schnellere Bewegung. Bald ertönten die Stimmen der Geier näher. Nun hörte man auch, daß es keine Pfiffe, sondern heisere Schreie waren, die diese Vögel von sich gaben. Man konnte leicht sehen, daß die Aastiere ihre Kreise über einem bestimmten Punkt zogen, dem die Reiter immer näher rückten.

Bald erkannten sie auch diesen Punkt, dessen Lage vorher nur aus den Bewegungen der Vögel zu berechnen gewesen war. Etwas Dunkles lag im Sand. Als sie näher kamen, sahen sie, daß es zwei Gegenstände seien, ein kleinerer, hellerer und ein größerer, dunklerer, der sich noch zu bewegen schien.

Jetzt erhielten die Kamele kräftige Hiebe und schossen förmlich weiter. Dort, ja, dort lag ein Mensch bewegungslos neben einem Pferd, das mit den Beinen zuckte. Das Pferd war ein Fuchs. Der Mensch, der einen weißen Beduinenmantel trug, war Said, der Arabadschi!

Steinbach war der erste, der ihn erreichte. Er ließ sein Kamel gar nicht erst niederknien, sondern sprang aus dem Sattel herab. In demselben Augenblick kniete er vor Said, der mit geschlossenen Augen, aber weit geöffnetem Mund im Sand lag.

„Said!“

Keine Antwort.

„Said! Lebst du? Hörst du mich?“

Der Arabadschi regte sich nicht. Da dachte Steinbach an die Liebe, mit der der junge Mensch an seiner Herrin hing. Vielleicht rief ihn der Name derselben von der Pforte des Todes zurück. Er legte also seinen Mund fast auf Saids Ohr und rief:

„Said! Wache auf! Zykyma ist da! Zykyma, Zykyma!“

Ja, wirklich, das half! Der Mund schloß sich; der Hals machte eine Bewegung des Schlingens, und dann hauchte der Verunglückte: „Ma!“

Das war nicht etwa die letzte Silbe des Namens Zykyma, sondern das arabische Wort Ma heißt so viel wie Wasser.

„Schnell, Wasser her!“

Normann hatte bereits den Schlauch von seinem Sattel genommen. Das belebende Naß wurde dem Arabadschi eingeflößt, natürlich vorsichtig und nur tropfenweise. Sein Gaumen war so vertrocknet, daß er nicht zu schlingen vermochte. Aber seine Augen öffneten sich. Er erblickte die neben ihm knienden Retter und wollte sprechen, vermochte es aber nicht.

Das Pferd war ebenso dem Verschmachten nahe. Es erhob den Kopf ein wenig und richtete die blutunterlaufenen Augen auf die Männer.

„Tränke es!“ sagte Steinbach zu Nena.

Dieser gehorchte. Das Wasser wirkte hier fast augenblicklich. Das Tier erhielt nur einige kleine Lederbecher voll, aber schon beim vierten oder fünften sprang es auf die Beine und ließ ein leises, freudiges Wiehern ertönen.

„Seht, daß wir gerade zur rechten Zeit gekommen sind!“ sagte Steinbach. „Morgen früh wären Mensch und Tier Leichen gewesen. Freilich erholt sich der Reiter weit langsamer als das Pferd.“

Nach einiger Bemühung vermochte Said zu schlingen. Ein glückliches Lächeln glitt über sein Gesicht.

„Effendi!“ flüsterte er.

„Du kennst mich?“

„Ja. Zykyma rief mich. Ich hörte es aus weiter, weiter Ferne.“

„Schweig jetzt noch. Das Sprechen greift dich an. Trink lieber!“

Noch einige Schlucke; aber schweigen konnte Said doch nicht.

„Wo ist sie?“ fragte er.

„Wir wissen es nicht.“

Said blickte Steinbach wirr an, legte sich die Hand auf die Stirn und sagte dann:

„Sie rief mich ja!“

„Das war ich.“

„Du warst es, du? Nicht sie? Wo ist denn sie? Suche sie! Du wirst sie finden, Effendi.“

Dann legte Said den Kopf zurück und schloß die Augen.

„Bist du müde?“ fragte Steinbach.

Der Gefragte antwortete nicht, auch nicht auf die mehrere Male wiederholte Frage; aber seine Brust hob und senkte sich leise und regelmäßig.

„Ich glaube, er schläft!“ meinte Normann.

„Ja. Die Erschöpfung fordert mit allmächtiger Gewalt diesen Schlaf.“

„Was aber tun da wir?“

„Wir warten.“

„Bis er ausgeschlafen hat?“

„Ja.“

„Ich denke, wir wollen keine Zeit verlieren mit der Rettung der Mädchen.“

„Jetzt haben wir es zunächst mit Said zu tun. Übrigens glaube ich nicht, daß er lange schlafen wird.“

Steinbach hatte recht. Bereits nach einer halben Stunde erwachte der Arabadschi wieder und bat um Wasser. Es wurde ihm gegeben und nun schlief er nicht augenblicklich wieder ein. Sein Geist war hell geworden. Er erzählte, wenn auch mit matter, aber doch verständlicher Stimme das letzte Erlebnis im Lager der Beni Sallah bis dahin, wo er sich auf die Fuchsstute geworfen hatte, um die Übeltäter zu verfolgen.

„Wie kamst du auf diesen verwegenen Gedanken?“ fragte Normann.

„Wie ich auf ihn kam?“ klang es im erstauntesten Tone zurück. „Ist nicht Zykyma meine Herrin?“

„Ja das war sie. Aber glaubst du denn etwa, sie retten zu können?“

„Ich glaubte gar nichts. Sie war in Gefahr, und ich ritt ihr nach.“

„Das war unvorsichtig, aber brav. Du hattest weder Wasser noch Speise“, sagte Steinbach. „Du hast die Räuber eingeholt?“

„Ja.“

„Und sie belauscht?“

„Ich lag ganz nahe bei ihnen.“

„Was sagten sie?“

„Es war ein Sattelgurt gesprungen, darum mußten sie anhalten. Es war noch dunkel. So ließ ich mein Pferd stehen und kroch hinzu. Sie sprachen davon, daß sie zu den Beni Halaf wollten. Weiter hörte ich nichts, denn ich hatte mit Zykyma zu tun.“

„Bemerkte sie dich?“

„Nicht eher, als bis ich vor ihrem Kamel im Sand lag. Ich gab ihr mein Messer in den Tachterwahn und flüsterte ihr zu, daß ich sie am Abend retten werde. Dann aber mußte ich wieder fort, sonst wäre ich entdeckt worden. Ich wollte ihnen nachreiten und die drei Kerle des Abends beim Lagern töten. Aber die Hitze des Smum dorrte mir die Gebeine aus. Mein Pferd konnte nicht weiter. Wir blieben also hier liegen. Ich bin müde.“

Said schloß die Augen und schlummerte wieder. Das Pferd erhielt noch einmal Wasser und bekam dann Datteln zu fressen. In einigen Stunden war es jedenfalls wieder fähig geritten zu werden.

Steinbach ließ Said schlafen. Er hatte es sich vorgenommen, die Gefährten zu erwarten. Vielleicht kamen diese am nächsten Morgen, vielleicht noch eher.

Das letztere war der Fall. Noch lange vor Mitternacht ließ sich das Geräusch nahender Kamele hören. Die vierzig Sallah und Abbas kamen. Sie hatten sich außerordentlich beeilt und freuten sich, Said am Leben zu finden. Jetzt ließen sie auch ihren Teufelsspuk fallen.

Es wurde beraten, ob man hier lagern oder gleich weiterziehen solle. Steinbach stimmte für letzteres. Es war der erste Tagesmarsch, und folglich gab es bei den Tieren noch keine große Ermattung. Man konnte die Nacht benutzen und dafür lieber morgen im Sonnenbrand eine Ruhepause machen.

Man brach also gleich wieder auf. Said war zwar noch schwach, konnte sich aber doch im Sattel des Kamels halten. Er erholte sich überhaupt von Minute zu Minute immer mehr.

Um die Mittagszeit des nächsten Tages wurde haltgemacht. Spuren der Verfolgten merkte man nicht mehr im Sand, da die Wüstenluft wieder rege geworden war. Doch hatte das nichts zu sagen, da man ja das Ziel jetzt genau kannte. Gegen Abend des dritten Tages befand sich der Zug in der Nähe der Oase der Beni Halaf.

Es war leicht zu denken, daß diese eine Verfolgung vermuten und also wachsam sein würden; darum hielt es Steinbach für geraten, die Oase von weitem zu umreiten, um von der entgegengesetzten Richtung zu kommen. Auch hierin stimmte man ihm zu.

Es wurde nun im schärfsten Tempo ein Umweg gemacht, bis man sich im Norden der Oase befand, auf die man vorher von Südwesten gekommen war. Von dieser Seite her wurde wohl kein Feind erwartet.

Die Gegend war sehr felsig und zerklüftet. Der Sand hatte aufgehört. Einige Höhenzüge schlossen ihn von der Oase ab. Diese Höhen waren kahl und von Schluchten zerrissen. Durch eine dieser engen Schluchten ritt Steinbach an der Spitze der mutigen Schar. Als sich dieselben öffneten, rollte sich ein anmutiges Bild vor ihnen auf.

Rings von ähnlichen Höhen umgeben, lag ein ziemlich umfangreicher, mit Palmen bestandener und von mehreren Quellen bewässerter Talkessel. Zelte standen unter den Palmen. Herden weideten in der Nähe. Droben auf der Höhe nach Südwesten hin lagen mehrere Krieger, um den Weg zu beobachten.

„Sie warten auf uns“, sagte Tarik grimmig. „Wir werden sie nicht ungeduldig werden lassen.“

„Dennoch aber wollen wir uns nicht übereilen“, meinte Steinbach. „Blicke dort hinüber!“

Eine Schar von vielleicht fünfzehn bis zwanzig Mädchen kam unter den Palmen hervor. Sie hielten Kränze in den Händen, und ihr Ziel schien die Höhe zu sein.

„Was ist mit ihnen?“

„Sieh nur hinauf.“

„Warum? Da begraben sie ihre Toten.“

„Meinst du nicht, daß die Mädchen da hinaufgehen wollen?“

„Ja. Es ist heute der Tag Kadidscha, an dem die Mädchen die Gräber der Ihrigen bekränzen. Das geschieht nach dem Abendgebet, wenn die Finsternis hereinbricht. Es wird dann auf jedem Grab ein Licht angebrannt.“

„Das ist sehr gut. Ziehen wir uns weiter in die Schlucht hinein. Während die anderen unsere Tiere halten, mögen sich zwanzig von hinten her nach dem Begräbnisplatz schleichen, um, wenn es dunkel geworden ist, die Jungfrauen zu ergreifen, ein jeder eine.“

Die andern hielten ganz erstaunt ihre Blicke auf Steinbach gerichtet. Hilal aber sagte:

„Effendi, dein Gedanke ist der weiseste, den es nur geben kann. Wenn wir die Mädchen der Beni Halaf bekommen, müssen sie uns auch die drei, die wir suchen, herausgeben.“

„Natürlich. Wir tauschen sie aus.“

„Wir brauchen also weder zu bitten, noch zu kämpfen. Kein Rat ist besser als der deinige.“

„So kommt zurück!“

Jetzt waren alle einverstanden. Vierzig wenn auch tapfere Männer gegen einen ganzen Stamm war doch zu gewagt. List war geratener.

Hinter der Höhe wurde gehalten. Steinbach stieg mit zwanzig ab, um die Höhe zu erklimmen. Hinter derselben, unten im Tal, ertönte soeben der Ruf des Muezzin zum Gebet. Die Dämmerung kam rasch hernieder.

Als die zwanzig die Höhe erstiegen hatten, war es bereits ziemlich dunkel.

Hier oben gab es ein Steingewirr, in dem man sehr gut Deckung finden konnte. Abwärts lag der Friedhof, ein nicht sehr großer und nicht hoch eingefriedeter Platz. Man sah die Mädchen, die sich am Eingang niedergesetzt hatten und miteinander sprachen.

Jetzt ward es schneller dunkel. Noch wenige Minuten, so war es Nacht. Auf dem Begräbnisplatz flimmerte das erste Lichtlein auf.

„Männer dürfen wohl nicht dabei sein?“ fragte Steinbach Tarik.

„Nein. Es ist der Tag der Frauen.“

„Desto besser für uns. Sorgen wir vor allen Dingen dafür, daß die Mädchen kein Geschrei erheben. Der Schreck wird sie im ersten Augenblick verstummen lassen. Da muß dann ein jeder eine fassen und ihr gleich die Kehle zuschnüren, aber ohne sie zu töten. Wir tragen sie über die Höhe diesseits wieder hinab und bringen sie so weit fort, daß wir nicht gefunden werden können. Ich aber begebe mich als euer Gesandter zu den Beni Halaf, um mit ihnen zu verhandeln.“

„Das ist kühn.“

„Gar nicht kühn. Sie werden mir nichts tun, weil ihre Töchter sich in unserer Gewalt befinden. Also jetzt ist es Zeit, vorwärts!“

Da schlichen die zwanzig Mann zwischen den Steinen hindurch dem Kirchhof zu. Auf demselben brannten bereits eine Menge Lichter.

An der Mauer angekommen, die den Männern nur bis an die Brust reichte, so daß man sehr leicht hinüberblicken konnte, sah man die Mädchen um ein Grabmal stehen, das das größte von allen war. Vielleicht lag ein berühmter Scheik unter demselben begraben.

„Jetzt stehen sie beisammen“, flüsterte Steinbach seinen Begleitern zu. „Verteilt euch schnell rundum, so daß wir von allen Seiten kommen; dann ist ihnen die Flucht unmöglich. Wenn ich ein Zeichen gebe, eilen alle herbei.“

Da meinte einer der Krieger:

„Glaubst du nicht, daß sie leichter zum Schweigen zu bringen sein werden, wenn wir sie unsere Messer sehen lassen?“

„Natürlich, das könnt ihr tun. Jetzt vorwärts!“

Sie verteilten sich. Nach einer kurzen Pause stieg Steinbach über die Mauer. Sein scharfes Auge bemerkte, daß die auf seiner Seite postierten Gefährten sich auch bereits im Innern des Friedhofes befanden. Er gab das Zeichen.

Da huschten die Gestalten alle auf das erwähnte Grabmal zu, an dem die Mädchen einen monotonen Gesang angestimmt hatten. Steinbach war vermöge seiner Gewandtheit der erste dort. Er ergriff eines der Mädchen mit der linken Hand am Hals, drückte letzteren so fest zusammen, daß es nicht schreien konnte, und hob es auf den anderen Arm empor.

Kaum war das geschehen, so bemächtigten sich die anderen Araber auch der übrigen Mädchen. Einige unterdrückte oder auch nur kurze Schreie erschollen, dann eilten die Männer mit ihren Bürden nach der Mauer zurück, die hier, da die Gräber hoch lagen, mit einem einzigen Schritte zu ersteigen war. Ein Sprung hinab, und dann fort, in das Dunkel hinein. Die Tat war gelungen.

Die Mädchen waren vor Schreck, Angst und Atemnot halb tot. Erst als sie sich inmitten ihrer Feinde befanden, wurden ihnen die Finger von den Kehlen genommen, so daß sie nun wieder richtig Atem zu holen vermochten. Einige begannen laut zu jammern.

„Ruhig!“ gebot Steinbach. „Welche von euch Lärm macht, die wird erstochen!“

Sofort trat Stille ein. Jetzt erkundigte Steinbach sich:

„Ist eine Verwandte eures Scheiks bei euch?“

„Ich“, lautete eine Antwort. „Ich bin seine jüngste Tochter.“

„Wie heißt du?“

„Warda.“

Dieses Wort bedeutet ‚Rose‘. In der Dunkelheit konnte man es nicht erkennen; später jedoch zeigte es sich, daß sie ein schönes Mädchen war und diesen Namen voll verdiente.

„Wie heißt dein Vater?“

„Amulak Ben Musa.“

„Weshalb halten Krieger im Süden vor eurer Oase Wache?“

„Ich weiß es nicht.“

„Du wirst es sofort wissen, wenn ich dir sage, daß wir dich als Sklavin verkaufen werden, wenn du meine Fragen nicht beantwortest.“

„O Allah!“ seufzte sie erschrocken.

„Also rede!“

Sie zögerte noch. Da redeten ihr die Gefährtinnen zu, die Wahrheit zu sagen.

„Tue, was sie dir raten, denn wir werden auch sie mit uns nehmen, wenn du dich weigerst, eine Auskunft zu geben. Wozu also die Wächter?“

„Wir erwarten einen Überfall der Krieger vom Stamm der Beni Sallah.“

„Warum?“

„Es sind einige Freunde zu uns gekommen, die von ihnen verfolgt werden.“

„Wo befinden sich diese Leute?“

„In dem großen Gastzelt gerade gegenüber demjenigen meines Vaters.“

„Haben sie Frauen mit?“

„Ja, drei.“

„Wo sind diese?“

„Im Frauenzelt neben der Wohnung des Scheiks, wo sie bewacht werden.“

„Sind sie da allein?“

„Ja. Der Wächter sitzt vor der Tür.“

„Ich bin mit deinen Antworten zufrieden. Wenn ihr euch ruhig verhaltet, wird euch nichts geschehen, und ihr werdet sehr bald wieder bei den Eurigen sein.“

Jetzt riet Steinbach Tarik, mit der Truppe ganz aus der Schlucht hinaus in das Freie zu ziehen, eine Maßregel, durch die ein unvorhergesehener Überfall verhindert wurde. Dann wollte er sich auf den Weg machen und suchte sich zu diesem Zweck fünf bis sechs Männer aus, unter denen sich auch der Inder Nena befand. Mit diesen brach er auf, natürlich zu Fuß.

Sie gingen wieder nach dem Kirchhof zurück, wo die Lichtchen meist noch brannten. Tiefe Ruhe lag unten in der Oase, wo man also noch keine Ahnung davon hatte, daß die Mädchen entführt worden seien. Jetzt lenkte Steinbach seitwärts ein.

„Warum das?“ fragte einer. „Warum gehst du nicht gerade auf das Lager zu?“

„Weil ich euch zurücklassen muß.“

„Das kannst du auch auf dem geraden Weg.“

„Nein, denn dadurch würde ich euch in Gefahr bringen. Es ist doch möglich, daß sich die Beni Halaf über das lange Ausbleiben ihrer Töchter beunruhigen, noch ehe ich mit ihnen sprechen kann. In diesem Fall würden sie nach dem Friedhof eilen und auf euch stoßen. Ein Kampf wäre da sicher, und er würde zu euren Ungunsten ausfallen. Also kommt!“

Steinbach war ihnen eben in allem überlegen, besonders auch in Beziehung auf die Vorsicht, mit welcher er selbst das Kleinste auszuführen gewöhnt war.

Nach kurzer Zeit erreichten sie die ersten Palmen der Oase. Hier ließ Steinbach seine Begleiter mit der Weisung zurück, sich vollständig ruhig zu verhalten und auf seinen Ruf, den sie bei der nächtlichen Stille leicht hören konnten, zu ihm in das Lager zu kommen. Dann ging er allein weiter.

Steinbach hatte die Lagerfeuer der Beni Halaf leuchten sehen und wußte also, in welcher Richtung er sich zu halten habe.

Jedes einzelne Zelt war genau zu unterscheiden. Die Beni Halaf schienen ihre ganze Aufmerksamkeit nach der Südseite gerichtet zu haben, denn hier im Norden gab es keinen einzigen Wächter. Aus diesem Grund gelang es ihm ohne alle Mühe, bis an die ersten Zelte zu kommen.

Von der Mitte des Lagers her erschollen laute Stimmen. Man schien dort eine Versammlung abzuhalten, oder die Bewohner hatten sich zufällig dort zusammengefunden, um über die Ereignisse des Tages und die nun zu erwartenden Begebenheiten zu sprechen.

War dies wirklich der Fall, so gab es für Steinbach die Möglichkeit, einen kühnen Streich auszuführen. Er legte sich auf den Boden nieder und kroch hart an das erste Zelt heran, um den unteren Raum desselben so weit aufzuheben, wie es die Zeltbefestigung erlaubte, und in das Innere zu blicken. Es war ganz still und dunkel darin; es war leer.

So fand er auch die nächsten Zelte, zwischen denen er sich wie eine Schlange hindurchwand. Auf diese Weise gelangte er immer weiter nach der belebten Mitte des Lagers. Bereits konnte er zwischen den letzten, den Versammlungsplatz begrenzenden Zelten hindurch bemerken, daß wirklich alle Beni Halaf dort zugegen waren, Männer und Frauen getrennt.

Das Zelt des Scheiks zeichnete sich durch die Lanzen aus, die vor demselben in die Erde gesteckt waren. Daneben stand ein kleineres ein wenig mehr zurück, so daß der hintere Teil desselben im Schatten des ersteren lag. Das war vermutlich das Frauenzelt.

Er kroch hinzu, immer im Schatten und stets bereit, aufzustehen und sich zu zeigen, falls er gesehen werde. Aber kein Mensch hielt es für nötig den Blick hierher zu werfen.

Das Zelt bestand aus starker Leinwand, deren unterer Rand an Pflöcken in die Erde befestigt war. Steinbach zog zwei dieser Pflöcke heraus, hob den Saum der Leinwand ein wenig empor und blickte hinein. Es war still im Inneren; aber er erkannte deutlich drei Frauengestalten, die am Boden saßen. Die Lagerfeuer erleuchteten die vordere Zeltwand, so daß die Köpfe der drei dunkel von derselben abstachen.

„Zykyma!“ flüsterte er.

„Allah!“ erklang es erschrocken.

„Still! Ganz leise!“

„Said, bist du es?“

„Nein, ich bin es, Masr-Effendi.“

„Allah sei Dank! Wir sind gerettet, da du hier bist. Wir haben auf dich gehofft.“

„Ihr werdet bewacht?“

„Von einem einzigen Krieger, der draußen vor der Tür sitzt.“

„Kam euch nicht der Gedanke an die Flucht?“

„Er kam uns; aber wir können ja hier nicht sehen, wie es draußen steht.“

„Ist Hilal mit hier?“ flüsterte Hiluja.

„Und Tarik?“ fragte Badija.

„Beide. Ihr werdet sie sehen, wenn ihr mir jetzt folgen wollt.“

„Können wir denn das?“

„Ja. Legt euch platt auf den Boden und kriecht mir nach. Ich öffne die Leinwand.“

Steinbach zog sein Messer und machte einen langen Schnitt in das Zelt, der das Durchschlüpfen gestattete. Die drei Mädchen kamen nun heraus und krochen hinter ihm her, bis er sich von der Erde erhob.

„Steht auf!“ sagte er. „Hier kann man uns nicht mehr sehen. Ihr seid frei!“

Da ergriffen sie seine Hände, um ihm zu danken; er aber zog die Mädchen eiligst mit sich fort, bis hin zu den sechs wartenden Kriegern, von denen er einen aufforderte, die Geretteten sofort zu den Ihrigen zu bringen, und kehrte dann zurück, dieses Mal aber nicht allein, sondern er nahm Nena, den Inder, mit.

Auf demselben Weg und ganz in derselben Weise gelangte er mit ihm an das Frauenzelt, in das die beiden krochen. Als sie sich im Inneren befanden, zog Steinbach die Schnüre so straff an, daß sich der Schnitt, den er in die Leinwand gemacht hatte, schloß und nicht mehr zu sehen war. Dann schlüpfte er vor an die Tür, die aus einer Matte bestand, schob sie ein wenig beiseite und blickte durch die Lücke hinaus. Er sah jetzt sofort den Suef mit dem Russen und dem Türken am Feuer sitzen, wo es sehr lebhaft zuging.

„Komm her!“ flüsterte er Nena zu. „Luge hier hinaus, und sage mir, ob du deinen früheren Herrn erkennst!“

Nena gehorchte. Er musterte die Gesichter und antwortete dann in bestimmtem Ton:

„Er ist da, Herr. Er trägt blaue Hosen und ein rotes Wams mit zwei Pistolen im Gürtel.“

„Ganz richtig! Jetzt sehe ich ein, daß wir ihn festhaben, und daß er uns nicht wieder entkommen wird.“

„Er erhebt sich. Er kommt herbei.“

„Schön.“

Auch Steinbach bog sich zu der Lücke, um den Grafen zu beobachten.

Dieser kam langsam näher und fragte, als er das Zelt erreicht hatte, den Wächter:

„Schlafen die Frauen bereits?“

„Ich weiß es nicht, Herr.“

„Laß sehen.“

Der Graf schob den Wächter zur Seite, bückte sich nieder, hob die Matte empor und steckte den Kopf herein.

„Zykyma!“

Keine Antwort.

Er schob darum den Kopf noch weiter herein.

„Zykyma!“

Da gab Steinbach ihm eine kräftige Ohrfeige, daß es nur so klatschte.

Im Nu war der Kopf verschwunden. Draußen hustete und prustete, ächzte und stöhnte es, und sodann rief der Geohrfeigte:

„Ibrahim! Komm schnell her!“

„Warum?“ fragte der Pascha.

„Die Frauen revoltieren.“

„Das wollen wir uns verbitten.“

Er stand auf, kam herbei und erkundigte sich dann:

„Welche denn?“

„Die deinige ist die Anführerin.“

„Was tut sie denn?“

„Sie will die beiden anderen zur Flucht verführen.“

Das war nicht wahr. Aber der Russe wollte haben, daß der Türke nun auch seinen Kopf einmal in das Zelt stecke. Wenn er es tat, mußte es sich ja finden, welches von den drei zarten Wesen eine so überaus kräftige Hand besaß, und aus welchem Grund überhaupt dieser Schlag geführt worden war.

„Du blutest ja!“ sagte der Türke.

„Wo?“

„An der Nase.“

„Ich habe mich gestoßen.“

„Hat Allah dir die Nase gegeben, damit du mit ihr überall anrennst? Ich werde mit den Ungehorsamen sprechen.“

Auch der Pascha bückte sich nieder und hob die Matte empor. Der Russe aber wischte sich das Gesicht und hielt dabei den Blick voller Spannung auf den Türken gerichtet. Dieser rief in das Zelt hinein:

„Was fällt euch denn ein, Ihr Hündinnen, ihr Ungehorsamen? Warum wollt ihr uns entfliehen?“

Es erfolgte keine Antwort.

„Ich frage euch, was ihr getan habt! Antwortet!“

Es blieb auch jetzt ruhig.

„Zykyma, antworte du!“

Die Aufforderung war erfolglos.

Der Pascha hatte den Kopf freilich noch halb unter dem Eingang. Jetzt aber schob er ihn ganz hinein, während der Russe sich erwartungsvoll, was nun erfolgen werde, vorbeugte.

„Zykyma! Hörst du? Wenn du nicht redest, werde ich dich bestrafen!“

Da gab es im Inneren des Zeltes einen lauten Klatsch und gleich darauf noch einen. Der Türke brüllte auf wie ein Stier und fuhr mit solcher Vehemenz aus dem Zelt zurück, daß er in den Sand schoß. Er sprang jedoch sofort wieder auf, hielt sich die Hände an die Backen und schrie:

„O Allah, o Teufel, o Hölle! Sie hauen zu!“

„Jawohl!“ meinte der Russe, nun seinerseits sehr befriedigt, daß der andere zwei Ohrfeigen erhalten hatte, anstatt einer.

„Wie? Hast du es gewußt?“

„Freilich!“

„Woher?“

„Weil ich auch eine erhalten habe. Dieses Blut fließt wegen einer Ohrfeige, nicht aber wegen eines Stoßes, aus meiner Nase.“

„Und du hast mich belogen, hast mich nicht gewarnt?“

„Ich wußte selbst noch nicht, woran ich war. Ich steckte den Kopf hinein und erhielt den Schlag; da war es unsicher, ob ich eine Ohrfeige erhalten oder mich an dem Pfahl gestoßen hatte. Jetzt aber weiß ich es genau. Auch du blutest!“

„Das werde ich rächen! Welche mag es wohl gewesen sein?“

„Ich weiß es nicht.“

„Und ich so viel, daß Zykyma keine solche Hand hat.“

„So ist es eine der Schwestern gewesen. Guck noch einmal hinein!“

„Sollte mir einfallen! Ich mag nicht wieder geschlagen sein. Ich werde ein Licht holen und hineinleuchten.“

Der Pascha ging nach dem Feuer, um einen Brand zu holen. Als die Araber sahen, daß er blutete, fragten sie nach der Ursache. Er erzählte es und wurde ausgelacht. Dennoch standen mehrere auf, um ihm zu folgen und zu erfahren, wie dieser Kampf zwischen Männern und Frauen enden werde.

Und wiederum kniete er nieder, hob mit der einen Hand die Matte empor und leuchtete mit der anderen vermittels des Feuerbrandes hinein. Man konnte aber nichts sehen, weil die Helle desselben die Augen blendete.

„Weiter hinein!“ sagte einer.

Der Pascha wollte es tun, fuhr aber erschrocken zurück, denn der Lauf einer Doppelpistole wurde von innen heraus sichtbar.

„Allah il Allah! Sie schießen!“

„Haben sie denn Waffen?“

„Hast du nicht die Pistole gesehen?“

„Freilich! Wer hat sie ihnen gegeben? Wir können nicht hinein, aber wir können das Zelttuch abnehmen, da sitzen sie im Freien und können nichts Hinterlistiges unternehmen.“

Sofort waren mehrere Beduinen bereit, die Leinwand zu entfernen. Die Pflöcke wurden herausgezogen und die Leinwand von vorn nach hinten zurückgeworfen. Aller Augen richteten sich nach den Frauen.

„Donnerwetter!“ rief der Russe, erschrocken zurückfahrend.

„Allah ist groß!“ schrie der Türke, indem er einen gewaltigen Seitensprung tat.

Die Araber brachten kein Wort hervor. Sie, die Abergläubischen, hielten es für Hexerei, daß anstatt der drei Frauenzimmer ein hoher, stolzer Mann unter den Zeltstangen stand und und ein zweiter neben ihm saß.

„Steinbach!“ knirschte der Russe.

„Ja, Steinbach, der Hund!“ rief der Pascha. „Wo sind die Frauen, wo?“

„Verschwunden, wie du siehst“, antwortete Steinbach. „An ihrer Stelle bin ich hier, um mich von dir entführen zu lassen. Erkläre dich deutlich, wohin du mich schaffen willst!“

Der Scheik war herbeigekommen. Ein Kreis von Leuten bildete sich um ihn und um das Zelt. Er blickte ganz erstaunt von Steinbach zu Nena hernieder und fragte den Pascha:

„Wer ist dieser Fremdling?“

„Masr-Effendi, von dem ich dir erzählt habe.“

„Wie kommt er in dieses Zelt?“

„Frage ihn! Ich weiß es nicht. Unsere Frauen sind fort. Euch haben wir sie zur Bewachung anvertraut. Ihr müßt sie uns wiederbeschaffen!“

Der Scheik war ratlos. Er glaubte nun zwar nicht an Zauberei, wußte aber nicht, wie er sich zu Steinbach verhalten solle, dessen stolze Männlichkeit einen außerordentlichen Eindruck auf ihn machte. Er fragte endlich:

„Bist du wirklich Masr-Effendi?“

„Ja.“

„Wo sind die Frauen?“

„In Sicherheit. Ich habe sie befreit.“

„Wohin hast du sie gebracht?“

„Zu den Beni Sallah, die an eurem Lager stehen und bereit sind, über euch herzufallen.“

„Das ist nicht wahr.“

„Ich lüge nie!“

„Wie können die Beni Sallah hier sein! Wir haben Kundschafter ausgesandt und Posten aufgestellt.“

„Bin ich nicht hier, mitten unter euch? Und ich bin mit den Beni Sallah gekommen.“

„Du bist allein gekommen und hast die Frauen durch List befreit. Hier sehe ich es. Da ist die zerschnittene Leinwand, durch die ihr beide eingedrungen seid. Ihr habt die Frauen vorangehen lassen und seid gestört worden, ihnen zu folgen. Wir werden sie suchen und finden. Ihr aber seid unsere Gefangenen.“

„Ja, so ist es!“ stimmte der Pascha bei. „Er war es, der uns schlug. Er soll die Bastonade bekommen, daß ihm die Fußsohlen bis auf den Knochen aufspringen. Bindet ihn!“

Sogleich eilten einige fort, um Stricke zu holen. Zwei Männer hier mitten im Lager zu überwältigen, das war ja ein Kinderspiel. Es sollte aber nicht so leicht gehen, wie sie gedacht hatten, denn Steinbach tat einen schnellen Schritt auf den Pascha zu, versetzte ihm einen Fausthieb ins Gesicht, daß der Getroffene zu Boden stürzte, und sagte:

„Sprich noch einmal von der Bastonade, Hund, so bekommst du sie selbst!“

„Halt!“ donnerte da der Scheik. „Wie kannst du, unser Gefangener, es wagen, unsere Gäste zu schlagen! Du bist ein Freund der Beni Sallah, also unser Feind. Du hast dein Leben verwirkt. Gib deine Hände her und lasse dich binden!“

„Hier sind sie. Bindet sie!“

Steinbach hielt ihnen in jeder Hand einen Revolver entgegen. Sie fuhren zurück. Nur der Russe und der Türke zeigten in ihrer Wut keine Furcht vor den kleinen und doch so gefährlichen Waffen. Freilich wagten sie es nicht, Steinbach anzufassen, doch blieben sie ganz in der Nähe stehen, um ihm die Flucht abzuschneiden. Dabei gebot der Pascha:

„Scheik, sende Leute aus, unsere entflohenen Frauen zu suchen.“

„Ihr werdet sie wirklich nicht finden“, versicherte Steinbach. „Sie sind zurückgekehrt in den Schutz Hilals und Tariks, deren Bräute sie sind. Und mich braucht ihr nicht zu bewachen. Ich entfliehe euch nicht. Es ist vielmehr meine Aufgabe, euch an der Flucht zu hindern. Scheik Amulak Ben Musa, ich bin gekommen, diese beiden Männer von dir zu fordern, und du wirst sie an uns ausliefern.“

„Bist du toll oder ein Giaur?“

„Er ist ein Giaur, ein ungläubiger Hund!“ fiel der Pascha schnell ein. „Hört nicht auf ihn!“

„Ihr werdet auf mich hören! Ich bin nicht gewöhnt, meine Worte in den Wind zu reden!“

Der Scheik griff nach seinem Messer.

„Mensch, soll ich dich erstechen? Du befindest dich in unserer Gewalt und wagst es, solche Worte zu uns zu reden?“

„Ich bin mitnichten in eurer Gewalt, sondern ich bin so frei, wie ihr frei seid. Diese Männer sind uns entwichen. Wir verlangen sie von euch zurück.“

„Selbst wenn du nicht wahnsinnig wärst, könnte es nicht geschehen. Sie sind unsere Gäste, und wir haben ihnen unser Wort gegeben, sie zu beschützen. Du aber schweig von jetzt an und ergib dich uns, sonst fallen wir über dich her, wie die Heuschrecken über den Halm, der in einem Nu verzehrt wird. Hier sind die Stricke, euch zu binden. Ergebt euch!“

„Greift uns an, wenn ihr es wagt.“

„Wir werden euch nicht anrühren, sondern euch von weitem erschießen. Da könnt ihr euch nicht wehren.“

„Ich rate euch, dies nicht zu tun, denn wenn uns von euch nur ein Haar gekrümmt würde, so müßte sich morgen ein großes Trauergeschrei bei euch erheben, und euer Friedhof würde sich den Leichen eurer Töchter öffnen.“

„Unserer Töchter? Was ist mit ihnen?“

„Blicke empor zum Friedhof, ob die Lichter noch brennen!“

Man konnte von diesem Platz aus den Friedhof sehen.

„Sie sind erloschen!“ sagte der Scheik erschrocken.

„Und warum sind sie erloschen? Weil sie nicht gepflegt und erneut worden sind. Die Töchter der Beni Halaf befinden sich nicht mehr dort auf dem Friedhof.“

„Wo dann?“

„Sie sind in die Hände der Beni Sallah gefallen.“

„O Allah! Sagst du die Wahrheit?“

„Ja. Ich selbst habe den Überfall geleitet.“

„Allah verderbe dich, und der Prophet verfluche dich dafür!“

„Das könnte doch euch keinen Nutzen bringen. Ich führte die Beni Sallah hierher. Wir wußten, daß ihr uns erwartet und also Posten ausstellen würdet. Darum machten wir einen Umweg um von der unbewachten Seite zu kommen. Wir sahen zwanzig eurer Töchter nach dem Friedhof gehen und warteten, bis es dunkel war, sie zu überfallen. Es gelang. Jetzt sind sie unsere Gefangenen.“

„Sie werden sehr bald frei sein, denn wir werden dich töten, wenn sie nicht in einer Stunde sich wieder bei uns befinden.“

„Ihr werdet sie nicht lebendig wiedersehen, denn wenn ich nicht in einer halben Stunde wieder bei den Beni Sallah bin, werden eure Töchter alle erschossen.“

„Ihr seid Hunde. Kein Mann tötet ein Weib!“

„Und kein braver Krieger schützt die Peiniger dreier Frauen, wie ihr es tut!“

„Vielleicht sagst du uns eine Unwahrheit, um uns zu übervorteilen. Ich werde Boten nach dem Kirchhof senden, um nach unseren Töchtern zu suchen.“

„Tue es! Unterdessen vergeht die halbe Stunde, und sie werden getötet!“

„O Allah, Allah!“

Der Scheik fühlte sich ganz ratlos. Um ihn noch mehr einzuschüchtern, sagte Steinbach:

„Auch habe ich mit Warda, deiner jüngsten Tochter, gesprochen. Sie sehnt sich nach dir.“

„Meine Tochter, meine Tochter!“

Er raufte sich die Haare seines Bartes aus. Die Angehörigen der anderen Mädchen erfuhren nun auch, daß ihre Töchter von den Beni Sallah gefangengenommen worden seien. Darüber erhob sich ein großes Wehklagen im Lager. Der Beduine ist nicht gewöhnt, sein Leid allein und still zu tragen. Es müssen so viele wie möglich davon hören. Daher das überlaute Jammern und Heulen bei Unglücksfällen.

Es bildeten sich zwei Parteien. Die eine war dafür, Rache an der Person Steinbachs zu nehmen, die andere stritt dagegen, da in diesem Fall der Tod der Mädchen unvermeidlich sei. Es wurde schnell die Versammlung der Ältesten einberufen, deren Beratung kein anderer Mensch zuhören durfte.

Es galt, zwei sich ganz und gar widerstreitende Punkte in Einklang zu bringen; Steinbach verlangte den Russen und den Türken ausgeliefert, diese beiden Gäste durften aber nicht ausgeliefert werden, wenn der Stamm nicht für ewige Zeiten sein Ansehen und seine Ehre verlieren wollte. Wie war da ein Ausweg zu finden? Die schlauen Araber fanden ihn sehr bald.

Der Scheik ließ den Türken und den Russen zu sich in sein Zelt kommen, wo sie unbelauscht waren, und sagte:

„Ihr habt großes Herzeleid über uns gebracht, dennoch wollen wir euch nicht ausliefern, weil ihr unsere Gäste seid.“

„Wir haben dir nichts getan“, sagte der Pascha.

„Nein; darum will ich euch beschützen. Ich werde mit diesem Masr-Effendi einen Vertrag abschließen, daß ich euch hier bei mir gefangenhalte, bis der Morgen anbricht. Dann reitet ihr ab.“

„Und Masr-Effendi folgt uns?“

„Ja.“

„So sind wir verloren.“

„Nein. Ihr sollt nicht bis zum Morgen hier bleiben, ich lasse euch eher fort.“

„Das geht nicht. Masr-Effendi wird uns sehr streng bewachen. Wir sind ihm bereits einmal auf listige Weise entkommen.“

„Ich werde die Wache an dem Zelt selbst übernehmen.“

„Dagegen wird er nichts einwenden, aber er wird das ganze Lager von seinen Kriegern umzingeln lassen, dann können wir nicht fort.“

„Ist er so klug und vorsichtig?“

„Klüger als hunderte!“

„Ich werde ihn dennoch überlisten. Ihr tretet, sobald ihr hier in das Zelt gegangen seid, sogleich hinten wieder aus demselben und eilt zu den Kamelen, die euch der Suef gesattelt haben wird. Er reitet als euer Wegweiser mit euch.“

„Der Suef wird nicht satteln dürfen, denn Masr-Effendi verlangt jedenfalls, daß er auch gefangengenommen werde.“

„So wird einer von meinen Leuten satteln.“

„Hat dieses Zelt einen Ausgang von hinten?“

„Nein. Ihr kriecht unter der Leinwand hinaus, aber nicht eher, als bis ich hereinkomme und euch sage, daß es Zeit ist. Ich werde für euch aufpassen.“

„Wie nun, wenn der Effendi hereintritt, um nach uns zu sehen, und uns nicht findet?“

„Das schadet nichts. Ihr seid dann fort.“

„Er wird uns verfolgen.“

„Des Nachts?“

„Ja.“

„Er kann ja keine Fährte sehen!“

„Da kennst du diesen Teufel nicht. Sind wir nicht auch des Nachts von den Beni Sallah fortgeritten? Er hat dennoch unsere Fährte gefunden, obgleich er weit entfernt bei den Beni Suef war. Er hat den Teufel, und dieser macht seine Augen scharf. Wenn wir keinen bedeutenden Vorsprung erhalten, so holt er uns ein. Er darf also erst morgen bemerken, daß wir längst fort sind.“

„Gut, so werde ich drei meiner Leute heimlich hier in mein Zelt schaffen, die ähnlich gekleidet sind wie ihr. Seid ihr fort, und er kommt herein, so stellen sie sich schlafend, und er hält sie für euch.“

„Das mag gehen.“

„Ich werde jetzt mit ihm sprechen. Die Ältesten sind einverstanden mit dem, was ich mit euch verhandelt habe.“

Er ging.

„Dieser Steinbach ist wirklich ein Teufel!“ knirschte der Russe. „Schleicht sich der Kerl in das Lager und befreit die Mädchen, deren wir uns unter solchen Gefahren bemächtigt haben!“

„Die Hölle verschlinge ihn! Nun ist Zykyma für mich verloren.“

„Laß sie fahren! Sie liebte dich nicht und war stets ein widerstrebendes Frauenzimmer.“

„Aber schön, außerordentlich schön!“

„Es gibt tausend andere, die noch schöner sind. Gehen wir, um zu sehen, wo unser Suef steckt. Wir müssen ihn instruieren.“

Der Scheik hatte sich wieder zu Steinbach begeben, der so ruhig unter dem halb abgedeckten Zelt sitzengeblieben war, als ob er sich daheim auf seinem Sofa und nicht inmitten eines ihm feindlich gesinnten Beduinenstammes befinde.

„Die Versammlung hat beschlossen“, meldete ihm der Scheik, „dir die beiden Gefangenen zu übergeben.“

„Die drei Gefangenen, meinst du wohl.“

„Auch den Suef mit? Gut.“

„So bringt sie mir her!“

„Du irrst, wenn du meinst, daß es jetzt geschehen soll. Sie sind unsere Gäste, und während der Dauer dieses Tages dürfen wir ihnen das Obdach nicht versagen. Aber bei Anbruch des Tages werden sie unsere Oase verlassen, und ihr mögt ihnen dann folgen, um zu tun, was euch beliebt.“

„Wirst du Wort halten?“

„Ja.“

„Sie uns pünktlich bei Anbruch des Tages übergeben?“

„Ja.“

„Was geschieht bis dahin mit ihnen? Sie werden ganz natürlich auf den naheliegenden Gedanken kommen, bereits diese Nacht heimlich fortzureiten, um einen Vorsprung vor uns zu gewinnen.“

„Ich sperre sie in mein Zelt und lasse sie bewachen.“

„Sehr gut. Darf auch ich sie mit bewachen lassen?“

„Ja, wenn du meinst, daß sie dir da sicherer sind.“

„Das meine ich allerdings. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß meine Augen mich stets am wenigsten täuschen.“

„Du bist also zufrieden mit dem Beschluß der Versammlung unserer Ältesten?“

„Ja.“

„Und wirst uns unsere Töchter wiedergeben?“

„Ja.“

„So sende zu den Deinen, daß diese sie uns nun zurückbringen.“

Steinbach nickte dem Scheik freundlich lächelnd zu und sagte:

„Hast du schon einmal etwas gekauft?“

„Sehr oft.“

„Pflegtest du heute zu bezahlen, wenn du morgen erst den Gegenstand des Preises bekommst?“

„Nein. Geld gegen Ware oder Ware gegen Ware, so ist der richtige Handel.“

„So ist es recht, so liebe ich es auch, und so wollen auch wir es machen.“

„Wie meinst du das?“

Der Beduine hatte gar nicht bemerkt, daß er gegen sich selbst entschieden hatte.

„Wir tauschen doch auch!“

„Ja, die drei Männer gegen unsere Töchter.“

„Ganz richtig! Und da wollen wir es bei deinem eigenen Grundsatz lassen: Ware gegen Ware.“

„Allah! Du willst uns die Töchter nicht heute zurückbringen?“

„Nein.“

„Warum?“

„Weil du uns auch nicht heute die drei Männer auslieferst.“

„Ich habe dir doch mein Wort gegeben, daß ich sie bei Tagesanbruch fortsende!“

„Schön! Da gebe ich dir auch mein Wort, daß ich euch um dieselbe Zeit die Mädchen sende.“

„Wie?“

„Ware gegen Ware und Wort gegen Wort! Nicht aber Ware gegen Wort oder Wort gegen Ware. Du bist ein vorsichtiger Mann, ich bin es auch.“

„Aber wir haben Sehnsucht nach unseren Töchtern!“

„Und wir sehnen uns nach unseren Feinden.“

Der Scheik sah ein, daß er mit seiner List an den unrechten Mann gekommen sei. Er zeigte sich sehr verstimmt.

„So muß ich noch einmal mit den Ältesten sprechen“, sagte er. „Erlaubst du es mir?“

„Ja, doch darf es nicht zu lange dauern, sonst bringst du das Leben der Mädchen in Gefahr.“

Der Scheik ging. Unterwegs traf er auf den Russen und den Pascha. Er teilte ihnen mit, daß seine List ohne Erfolg gewesen sei, und daß er darum noch einmal mit den Ältesten beraten müsse. Dann eilte er weiter.

„Unsere Angelegenheit steht sehr schlecht“, meinte der Pascha. „Wäre es nicht am allerbesten, diesen Steinbach niederzuschießen?“

„Das geht nicht. Wir würden uns da die ganzen Beni Halaf zu Feinden machen, da in diesem Fall das Leben ihrer Kinder in Gefahr käme.“

„Gibt es denn kein anderes Mittel?“

„Es gibt eins.“

„Nun, welches?“

„Das Duell.“

„Allah!“

„Ja, wir fordern ihn. Er darf und wird sich dem Verdacht der Feigheit nicht aussetzen und muß sich also mit uns schießen. Hast du Mut?“

„Dummheit, daran zu zweifeln. Man schießt eine Sekunde früher als er, und ihn trifft die Kugel.“

„Ganz recht. Und wir losen, wer von uns beiden sich zuerst mit ihm schießt!“

„Einverstanden!“

„So komm! Machen wir der Sache auf diesem Weg ein Ende.“

Es hatte wohl keiner von den Männern den rechten Mut, sich mit Steinbach zu schießen, aber da ein jeder die Hoffnung hegte, der zweite zu werden, so wagten sie das Unternehmen. Entschlossen schritten sie dem Zelt zu, unter dem Steinbach noch immer saß, auf die abermalige Rückkehr des Scheiks wartend. Er sah sie kommen und zog schnell seinen Revolver heraus, um ihn für alle Fälle bei der Hand zu haben.

Sie blieben vor ihm stehen und betrachteten ihn mit herausfordernden Blicken.

„Effendi“, begann endlich der Pascha. „Was haben wir mit dir zu schaffen? Warum läßt du uns nicht in Frieden unseres Weges ziehen?“

„Weil ihr mir dabei stets den meinigen kreuzt.“

„Ist mir nicht eingefallen!“

„Mir auch nicht“, stimmte der Russe bei. „Ich habe es satt, mich von dir verfolgen zu lassen. Ich sehe keinen einzigen Grund für dich, mich zu beunruhigen.“

„Mein Hauptgrund heißt zunächst Gökala.“

„Was geht sie dich an? Sie ist meine Frau.“

„Das ist eine Lüge!“

„Beleidige mich nicht!“ donnerte der Graf.

„Pah! Wirf dich nicht in dieser Weise in das Zeug. Du machst dich doch nur lächerlich! Wie könnte Semawa jemals auf den Gedanken gekommen sein, dein Weib zu werden!“

Der Russe fuhr zur Seite, als ob er einen Stoß erhalten habe.

„Semawa! Wer ist das?“ stotterte er.

„Dieselbe, die du dann Gökala genannt hast.“

„Unsinn!“

„Die Tochter des Maharadscha von Nubrida.“

„Donnerwetter! Du phantasierst wohl? Es ist mir ja noch niemals so ein Ding wie ein Maharadscha zu Gesicht gekommen!“

„Aber aus dem Gesicht kam er dir – nämlich als Verbannter nach Sibirien hinein.“

Der Graf wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort hervor. Er stand mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen da und starrte den Mann an, der dieses heiligste seiner Geheimnisse so genau kannte.

„Nicht wahr, du erschrickst, Graf Alexei Polikeff?“

„Nein! Ich weiß nicht, was du willst.“

„So weiß der es, der hier neben mir sitzt. Habe die Güte, dir ihn einmal anzusehen!“

Nena stand auf und stellte sich haßblitzenden Auges vor den Russen hin. Dieser betrachtete ihn jedoch sehr gleichgültig, denn Nena war gealtert und hatte sich während seines Sklavenlebens sehr verändert.

„Diesen Menschen kenne ich nicht!“ sagte er spöttisch.

„Denke nach! Du verkauftest ihn am Nil!“

„Teufel!“

„Jetzt kennst du ihn?“

„Nena!“ entfuhr es unvorsichtigerweise dem Russen.

„Ah, richtig! Sein Name ist dir noch geläufig. Hoffentlich weißt du nun auch, was alles wir von dir wollen, und wunderst dich nicht mehr darüber, daß wir dir auf den Fersen bleiben.“

„Effendi“, sagte Nena, „soll ich ihn erdolchen?“

„Nein, ich brauche ihn lebendig und zwar vor dem Richter. Wenn das nicht wäre, so hätte ich ihm längst den Schädel zerschmettert.“

Das war dem Grafen denn doch zuviel. Das wollte er sich angesichts seines Verbündeten doch nicht gefallen lassen. Er brauste also auf:

„Verleumder! Warte, bis ich dich vor den Richter lade!“

„Sei still, Schurke!“

„Was? Schurke? Das dulde ich nicht! Das erfordert Satisfaktion. Das muß mit Blut abgewaschen werden. Ich fordere dich!“

„Ich auch!“ rief der Pascha.

„Macht euch nicht lächerlich!“ meinte Steinbach, indem er sich von seinem Sitz erhob. „Mit solchen Schuften duelliert man sich nicht.“

„So bist du feig, niederträchtig feig!“

Da klatschte und krachte es schnell zweimal nacheinander. Sowohl der Russe, wie auch der Pascha hatten jeder eine solche Ohrfeige erhalten, daß sie weit fort und gegen das Zelt des Scheiks flogen, das in seinen Grundfesten krachte. Der Pascha sprang auf, riß seine Pistole heraus und wollte auf Steinbach schießen, wurde aber von dem Russen gepackt und daran gehindert.

„Was fällt dir ein! Willst du mit Gewalt in dein Unglück oder gar in den Tod rennen? Siehst du nicht, daß er den Revolver bereits in der Hand hält?“

„Rache, Rache! O Allah, 'l Allah!“ keuchte der Türke vor Wut.

„Natürlich! Aber später! Je später, desto sicherer. Jetzt schnell zu dem Suef!“

„Warum?“

„Wir müssen augenblicklich fort.“

„Ohne Wissen der Beni Halaf?“

„Selbst ohne deren Wissen. Ich weiß nun, daß dieser Mensch die Oberhand behält. Er wird sich nicht überlisten lassen, und wir entkommen ihm nicht, wenn wir nicht augenblicklich fliehen. Wir müssen auf alle Fälle vor ihm in Kairo ankommen. Unsere Reise war eine vollständig verfehlte. Wir müssen das auf andere Weise einholen. Vor allen Dingen aber dann Rache!“

„Ja, Rache, Rache!“

Sie verschwanden im Dunkel nach der Gegend hin, wo der Suef sich bei den weidenden Kamelen befand.

Steinbach ahnte, daß Ibrahim Pascha und der Russe ihre Rettung in einer schleunigen Flucht suchen würden. Er mußte dem vorbeugen. Da sie Gäste der Beni Halaf waren, durfte er nicht zu Eigenmächtigkeiten schreiten, aber er konnte ihnen wenigstens den Weg verlegen lassen. Darum sandte er Nena an die fünf Beni Sallah, die unter den Palmen warteten, und ließ ihnen bedeuten, schleunigst den Weg zu verlegen, der nach Osten aus der Oase gegen Ägypten führte. Sollten die drei Flüchtlinge da gefaßt werden, so seien sie anzuhalten und zurückzubringen, nötigenfalls mit Anwendung der Waffen. Nachdem er in dieser Weise dafür gesorgt zu haben glaubte, daß den Genannten die Flucht nicht gelingen werde, begab er sich direkt zu dem Scheik in die Versammlung der Ältesten. Dort war die Beratung noch nicht beendet. Sie sahen ihn ungern kommen, da sie ja darüber berieten, wie sie ihre Mädchen wieder bekommen konnten, ohne ihre Verpflichtung gegen ihn erfüllen zu müssen. Er fragte:

„Seid ihr nun fertig?“

„Noch nicht“, antwortete der Scheik.

„So verlange ich, daß ihr wenigstens die drei Männer, die ich haben will, so bewacht, daß sie nicht die Flucht ergreifen können.“

„Sie werden sich hüten, zu fliehen!“

„Nein, sie werden fliehen. Ich weiß es ganz gewiß.“

„Haben sie es dir gesagt?“

„Sie werden nicht so dumm sein, es mir zu sagen. Ich vermute es; aber diese Vermutung hat so gute Gründe, daß es ebensogut ist, als ob sie es mir gesagt hätten.“

„Soll ich sie etwa wie Gefangene bewachen lassen?“

„Gerade dies ist es, was ich von dir verlangen muß.“

„Und ich kann es unmöglich tun.“

„Warum nicht?“

„Weil sie nicht meine Gefangenen sind.“

„Vergiß nicht, daß eure Töchter bei uns gefangengehalten werden! Ich habe dir bereits alles Nötige mehr als reichlich erklärt und bin nicht willens, weitere unnütze Worte zu machen. Ich stehe euch gerade ebenso und noch zwingender gegenüber wie diejenigen, die ihr gegen mich in Schutz nehmt. Sie sollen mir nicht entgehen, und wenn ihr sie mit Absicht entkommen laßt, so mögen die Folgen euch treffen. Ich verlange von euch die Garantie, daß die Männer nicht eher als bis zum Anbruch des Morgens aufbrechen können; wollt ihr nicht darauf eingehen, so könnt ihr sehen, ob ihr eure Töchter jemals im Leben wieder erblickt.“

Da stand der Scheik von seinem Sitz auf und sagte in gewichtigem Ton:

„Du vergißt, daß du dich auch in unserer Gewalt befindest. Ein Wink von mir, und du bist verloren!“

„Nein! Ein Wink von dir, und ich jage dir eine Kugel durch den Kopf. Verstanden?“

Steinbach zog den Revolver und trat drohend zu dem Scheik heran. Dieser wich zurück und meinte ängstlich:

„Effendi, du wirst doch nicht schießen?“

„Sage noch ein einziges Wort, das mir nicht gefällt, und ich drücke ab! Ich habe dir eine Zeit gestellt, diese ist nun verflossen. Was gedenkt ihr zu tun? Ich verlange eine kurze, bestimmte Antwort!“

Da meinte einer der Ältesten zum Scheik:

„Was besinnst du dich noch? Meine Enkeltochter befindet sich mit den anderen in der Gewalt der Beni Sallah. Soll ich sie nie wiedersehen? Dieser Effendi verlangt nichts, als daß wir seine Feinde nicht eher als zum Anbruch des Morgens fortlassen. Diesen Willen können wir ihm tun. Laß dir von den drei Personen ihr Wort geben, daß sie so lange hier bleiben, so ist es gut.“

„Nein, so ist es nicht gut“, sagte Steinbach. „Das Wort dieser Männer genügt mir nicht; sie haben ihr Ehrenwort bereits einmal gebrochen. Ich verlange nicht ihr Wort, sondern das eurige. Und nun stellt meine Geduld nicht auf eine längere Probe! Ich will einen festen, sicheren Bescheid, nach dem ich mich zu richten vermag.“

Die Versammelten erhoben sich von ihren Sitzen, nahmen den Scheik in ihre Mitte und sprachen eine Weile leise auf ihn ein. Dann wandte sich der letztere an Steinbach:

„Gut, Effendi! Wir haben beschlossen, den Fremden, die du ergreifen willst, ein Zelt anzuweisen und sie da bewachen zu lassen.“

„Ich werde sie selbst bewachen lassen.“

„Durch wen?“

„Durch einige Beni Sallah, die ich herbeirufe.“

„Auch das sei dir erlaubt. Aber wir setzen voraus, daß du uns unsere Töchter wiedergibst!“

„Sobald wir aufbrechen, werden sie zu euch zurückkehren.“

„Und es wird ihnen bis dahin weder Gewalt noch Unrecht geschehen? Versprichst du uns das?“

„Ich verspreche es.“

„So werde ich jetzt selbst die drei Männer holen, um sie in ihr Zelt zu bringen. Warte ein wenig.“

Der Scheik ging, und Steinbach kehrte zu dem Inder zurück. Dort hatte er sehr lange zu warten. Es verging eine geraume Zeit, ohne daß der Scheik sich wieder sehen ließ. Dabei bemerkte der Deutsche, daß es im Lager eine Unruhe gab, die endlich auch ihn besorgt machte. Es war ja sehr leicht möglich, daß die Beni Halaf irgendeinen Streich gegen ihn und seine Begleiter, vielleicht gar einen schnellen, heimlichen Überfall im Schilde führten. Darum ging er, den Scheik zu suchen.

Es wurde ihm dabei kein Hindernis in den Weg gelegt. Er fand ihn draußen am Ostende des Lagers, da, wo sich die Kamele befanden. Man hatte einige Fackeln angebrannt, die die Umgebung mit rotem Licht beleuchteten.

„Nun?“ fragte er. „Du kehrst nicht zurück! Wo sind die Leute, die du suchst?“

Der Anführer des Stammes machte ein höchst verlegenes Gesicht. Er antwortete stockend:

„Sie sind fort.“

„Wohin?“

„Weiß ich es, Effendi?“

„Höre, du willst mich betrügen! Du hast sie versteckt, damit sie uns entkommen sollen!“

„Bei Allah, du irrst! Ich habe keine Ahnung von dem Ort, an dem sie sich befinden.“

„Wo sind die Tiere?“

„Die stehen dort am letzten Zelt angebunden; aber uns fehlen die vier besten Reitkamele, die wir besitzen.“

„So sind sie entflohen.“

„Meinst du?“

„Natürlich! Und euch haben sie zum Dank für eure Gastfreundschaft eure besten Tiere gestohlen.“

„So haben wir die ihrigen dafür, die ganz ebenso wertvoll sind.“

„Tröstest du dich damit?“ fragte Steinbach zornig. „Diesen Trost laß ja fallen. Die Tiere sind den Beni Sallah gestohlen worden, und wir werden sie also wieder zu uns nehmen.“

„Oho!“

„Oho? Willst du die Herausgabe etwa verweigern? Daran denke ja nicht! Es würde dir das sehr schlecht bekommen. Überlege vorher, daß du an dem Entweichen der Flüchtlinge schuld bist! Hättest du nicht so endlos gezaudert, so wäre ihnen die Flucht unmöglich geworden. Ich wollte dir eure Töchter gegen sie umtauschen. Nun sind sie fort, und ihr werdet eure Nachlässigkeit und Hinterlist zu bereuen haben.“

„Meinst du etwa, daß du uns die Mädchen nun nicht ausliefern willst?“

„Ja, das meine ich!“

„Effendi, sie gehören uns aber doch!“

„Jetzt gehören sie uns. Sie befinden sich in unserer Gewalt. Gib mir die Fackel und komm mit! Auch einige deiner Leute mögen uns folgen. Ich will sehen, ob ich die Spur der Flüchtigen finde.“

Steinbach ging mit den ihn Begleitenden eine Strecke vom Lager ab und schlug dann einen Bogen um dasselbe. Er brauchte gar nicht lange zu suchen, so fand er die Fährte der vier Kamele. Es war den frischen Spuren ganz deutlich anzusehen, daß die drei Entkommenen sehr schnell geritten waren.

„Hier sind sie aus dem Lager gekommen“, sagte Steinbach. „Sie reiten nach Nordost.“

„Nach dem Dar Gus Abu Seid“, erklärte der Scheik, der sich in großer Verlegenheit befand.

„Vielleicht weichen sie zur Rechten oder Linken ab!“

„Nein, das geht nicht, denn da würden sie in die pfadlose Wüste kommen, wo sie verderben müßten. Der Beni Suef kennt den Weg ebenso wie wir.“

„So werde ich ihnen augenblicklich nachjagen.“

„Tue es, Effendi!“

Bei diesen Worten stieß er einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. Steinbach hörte dies und sagte:

„Das würde dir wohl sehr lieb sein?“

„Warum?“

„So wärst du mich los.“

Der Scheik fühlte sich getroffen und antwortete:

„Was denkst du von mir! Es kann mir doch nicht lieb sein, wenn du fortgehst, bevor du uns unsere Töchter wiedergegeben hast.“

„Da hast du sehr recht.“

„Auch kannst du den Entflohenen bei Nacht gar nicht nachjagen. Du würdest ihre Fährten nicht erkennen.“

„Die brauche ich nicht zu erkennen. Ich reite eben nach dem Dar Gus und werde sie dort finden. Aber es ist sehr richtig daß ich nicht eher gehen werde, als bis ich mit dir in Ordnung bin. Komm wieder zur Versammlung der Ältesten. Dort wollen wir weiter über diesen Gegenstand sprechen.“

Sie kehrten zurück in das Lager, wo sich indessen die Kunde von der Flucht der drei Betreffenden verbreitet hatte. Es herrschte infolgedessen eine ziemliche Aufregung. Den einen war es lieb, daß dieselben entkommen, den anderen hingegen unlieb; dies waren diejenigen, deren Töchter die Beni Sallah gefangenhielten. So spaltete sich das Lager in die Anhänger von zwei verschiedenen Meinungen, und als sich die Ältesten jetzt wieder versammelten, kamen auch alle anderen herbei.

Es bildete sich infolgedessen ein großer Kreis, in dessen Mitte das Feuer brannte. Steinbach trat in die Mitte und sagte mit lauter Stimme, so daß ein jeder ihn hören konnte:

„Ihr Krieger der Beni Halaf, ich habe euch einige kurze Worte zu sagen. Ich kam, um den Russen, den Türken und den Suef von euch zu fordern und euch an deren Stelle eure Töchter und Schwestern anzubieten. Ihr habt die drei Männer entkommen lassen, obgleich ich euch warnte. Darüber will ich nicht mit euch rechten, obgleich ich es könnte; eure Strafe wird ganz von selbst kommen; aber ich muß euch fragen, was nun mit den gefangenen Mädchen geschehen wird. Was meint ihr wohl?“

„Du wirst sie uns aushändigen“, sagte der Scheik.

„Denkst du?“

„Ja.“

„Warum denkst du das?“

„Weil wir ja nicht schuld sind, daß diese drei entflohen sind.“

„Ihr seid daran schuld.“

„Nein.“

„Lüge nicht! Meinst du etwa, ich wüßte nicht, daß ihr sie habt retten wollen? Nein, mich täuscht ihr nicht. Eure Töchter werden mit in die Gefangenschaft gehen.“

„Effendi, das wirst du uns nicht antun!“

„Warum nicht? Du hast es mir doch auch angetan, daß ihr euch so verhieltet, daß die drei Zeit gewannen, zu entkommen. Aber ich will nicht hart gegen euch sein. Ich könnte die Mädchen mitnehmen und sie als Sklavinnen verkaufen lassen. Ich will es nicht tun, sondern sie euch unter einer annehmbaren Bedingung aushändigen.“

„Welche ist es?“

„Der Blutpreis.“

„Effendi!“ rief der Scheik erschrocken aus.

„Entsetzt dich das so?“

„Es hat ja gar keinen Mord gegeben!“

„Nein, aber ich rechne dennoch sehr richtig. Wenn ein Mann erschlagen wird, so hat der Mörder, wenn er sein Leben retten will, den Blutpreis zu bezahlen. Wie hoch ist er bei euch?“

„Es kommt darauf an, in was er bezahlt wird.“

„Ich meine nämlich in Pferden oder in Reitkamelen.“

„So ist der Blutpreis bei uns vier Pferde oder acht Kamele für einen Mann.“

„Und ich rechne, daß man für ein junges Mädchen wenigstens die Hälfte bezahlen muß.“

„Ich verstehe dich nicht.“

„Du verstehst mich schon. Zum Überfluß aber will ich es dir noch deutlicher sagen. Wir haben zwanzig eurer Töchter gefangen. Wenn ihr sie wiederhaben wollt, zahlt ihr uns für eine jede zwei Pferde oder vier Reitkamele.“

„Allah! Willst du uns unglücklich machen?“

„Nein. Ihr erntet nur das, was ihr vorhin gesät habt, als ihr mich so lange warten ließt, bis die drei entflohen waren.“

„Was denkst du von uns? Wir sind arm.“

„Ihr habt Tiere genug.“

„Wieviel ist es in Summa, was du verlangst?“

„Vierzig Pferde oder achtzig Kamele.“

„Allah 'l Allah! So reich sind wir nicht.“

„Das geht mich nichts an. Hättet ihr vorher an die Folgen eurer Torheit gedacht!“

„Torheit? Effendi, willst du uns beleidigen?“

„Das brauchst du nicht zu fragen. Ich sage, was ich denke. Ihr verdient keine Nachsicht. Ihr habt mich behandelt wie einen Menschen, dem Allah nur den halben Verstand gegeben hat. Jetzt will ich euch zeigen, daß ihr weniger Verstand habt als ich, und das, was euch am Verstand fehlt, werdet ihr mit Pferden und Kamelen bezahlen müssen.“

„Du sprichst Worte, welche wir nicht dulden dürfen.“

„Du mußt sie dulden, wenn du nicht deine Töchter verlieren willst.“

„Ich werde mich rächen!“

„An wem?“

„An dir.“

„Pah! – Wie könntest du das fertigbringen?“

„Das fragst du noch? Befindest du dich nicht ebenso in unserer Gewalt, wie unsere Töchter sich in der eurigen befinden?“

„Nein.“

Der Scheik blickte Steinbach erstaunt an. Dieser zuckte verächtlich die Achseln und fuhr fort:

„Du wunderst dich über meine Antwort. Wenn du wüßtest, aus welchem Land ich bin, so würdest du über meine Antwort nicht so erstaunt sein.“

„Nun, aus welchem Lande bist du, und wie heißt der Stamm, zu welchem du gehörst?“

„Ich bin aus Deutschland und –“

„Dieses Land kenne ich nicht.“

„Das ist nur ein Zeichen, daß dein Blick kurz ist, und daß dein Auge nicht über die Grenzen deines Stammes hinausgedrungen ist. Hast du noch nicht von dem großen Krieger Moltke gehört?“

„Von Moltke, dem großen Helden, habe ich gehört. Alle Welt erzählt von ihm. Er hat die größten Völker des Abendlandes besiegt.“

„Und von Bismarck, dem berühmten Manne?“

„Von Bis-ma? Den kenne ich. Er ist der Großwesir des Sultans im Abendlande, welcher Wiihel heißt, und hat alle Fürsten und Könige bezwungen, welche seine Feinde waren.“

„Nun, ich gehöre zu dem Stamm dieser beiden großen Helden, ich bin ein Krieger ihres Heeres. Ein einziger Krieger bei uns nimmt es mit zwanzig eurer Leute auf. Meinst du, daß ich mich vor euch fürchte? Meinst du wirklich, daß ich mich in eurer Gewalt befinde? Wenn es mir gefällt, so ist es mir leicht, euch zu beweisen, daß ihr mir nichts zu tun vermöget.“

Diese Rede machte sichtlich einen ganz bedeutenden Eindruck. Die Araber blickten einander verlegen an, und der Scheik wußte nicht, was er sagen solle. Endlich meinte er kleinlaut:

„Aber ich sage dir, daß wir nicht so viel bezahlen können. Eine solche Anzahl von Tieren würde uns arm machen. Bedenke, daß nur diejenigen sie geben müßten, deren Töchter sich bei euch befinden.“

„Das weiß ich, aber eben deshalb werden auch nur sie den Schaden haben, die anderen tragen keinen Verlust, und darum kann der Stamm nicht arm werden. Warum aber sollen nur sie bezahlen? Sind nicht die anderen auch mit schuld, daß die Flüchtlinge entkommen sind? Sind sie da nicht auch mit verpflichtet, die Folgen ihrer Unvorsichtigkeit zu tragen? In diesem Fall käme auf einen jeden nur ein geringer Verlust.“

„Darüber müßten wir beraten.“

„Wieder beraten! Unterdessen bekommen die Ausreißer einen Vorsprung den ich nicht wieder einbringen kann, und gerade das scheint ihr zu beabsichtigen.“

„Nein. Nun sie fort sind und wir sie nicht mehr zu beschützen haben, tragen wir auch keine Verantwortung mehr. Mag mit ihnen geschehen, was da wolle, uns geht es nichts mehr an.“

„Schau, jetzt gibst du ganz unabsichtlich zu, daß du sie gegen mich beschützt hast, solange sie sich bei euch befanden. Nun brauchst du kein Wort weiter zu sagen. Ich verlange dreierlei: den halben Blutpreis, die Kamele, die die Fremden den Beni Sallah gestohlen und dann hier bei euch zurückgelassen haben, und endlich einen Friedensbund zwischen euch und den Beni Sallah.“

„Das ist zu viel.“

„Ich weiche nicht von diesen Bedingungen.“

„So gib uns Zeit zu einer Beratung.“

„Ihr müßt jetzt bereits wissen, ob ihr ja oder nein sagen wollt. Aber ich will euch zeigen, daß ich dennoch langmütig sein kann. Ich gebe euch noch den zehnten Teil einer Stunde Zeit, also sechs Minuten. Sind diese erfolglos abgelaufen, so kenne ich keine Nachsicht mehr.“

„So geh und laß uns allein.“

Steinbach drängte sich aus dem dichten Kreis heraus und ging solange er im Lichtschein zu sehen war, gefolgt von den finsteren, haßerfüllten Blicken der Araber. Diese glaubten natürlich, er kehre zu seinen Gefährten zurück, und hatten infolgedessen nicht weiter Obacht auf ihn. Aber Steinbach war nicht der Mann, sich von ihnen täuschen zu lassen. Er traute ihnen nicht und hatte die Absicht, zu erfahren, welches das eigentliche, wahre Resultat ihrer Beratung sei. Das wäre nun wohl sehr schwierig gewesen, aber er hatte sich das Terrain genau angesehen. Der Kreis, den die Versammelten bildeten, war so groß, daß der dazu benützte freie Platz kaum ausreichte. Die Leute standen bis hart an die Zelte heran, die um diesen Platz lagen. So saß auch der Scheik hart an einem Zelt, neben dem mehrere hohe Kamelsättel aufeinander lagen. Hinter ihnen war es dunkel. Dorthin schlich Steinbach.

Er legte sich dort nieder, konnte zwischen den Lücken hindurchblicken und, da der Scheik kaum drei Schritte vor ihm am Boden saß, auch jedes Wort hören, was gesprochen wurde.

Die Araber waren so sicher, unbelauscht zu sein, daß sie sich keine Mühe gaben, mit gedämpfter Stimme zu reden. Eben hatte einer der Ältesten eine Bemerkung gemacht, auf die der Scheik entgegnete:

„Du hast unrecht. Warum machst du mir Vorwürfe? Wir mußten unsere Gäste beschützen. Daß sie sich ohne unser Wissen entfernt haben, kann uns nur lieb sein. Wir können ihre Flucht nicht verantworten, denn wir sind nicht schuld daran.“

„Aber er wirft die Schuld auf uns.“

„Das brauchen wir nicht zu dulden.“

„Was willst du dagegen machen?“

„Ich fürchte mich nicht vor ihm.“

„Er ist ein großer, berühmter und tapferer Krieger; das hat er bewiesen, indem er sich in unsere Mitte wagte.“

„Er hofft darauf, in uns Furcht zu erwecken. Und gerade weil er ein so großer Krieger ist, habe ich keine Sorge um unsere Töchter.“

„So verstehe ich dich nicht.“

„Nimm deine Gedanken zusammen, dann wirst du mich verstehen. Die Seinen werden einen berühmten Krieger nicht gern einbüßen.“

„Wer spricht davon, daß sie ihn einbüßen sollen?“

„Ich. Wir nehmen ihn gefangen.“

„Das ist nicht möglich.“

„Warum nicht?“

„Er selbst hat es gesagt.“

„Wehe dir, wenn du den Worten eines Ungläubigen Glauben schenkst. Er hat es gesagt, nur um uns einzuschüchtern.“

„Er sieht nicht aus wie ein Mann, der sich fürchtet oder der Lügen macht, um sich zu retten.“

„Und doch ist es so. Er ist groß und stark, größer als einer von uns. Aber mehrere von uns werden ihn leicht bezwingen.“

„Er hat Waffen, die wir nicht kennen.“

„So verhindern wir ihn, die Waffen zu gebrauchen. Wir nehmen ihn gefangen und geben ihn nur gegen unsere Töchter frei.“

„Die Beni Sallah werden kommen, ihn zu befreien. Das wird Kampf und Blutvergießen geben.“

„Ich verachte sie. Meinst du, daß sie so zahlreich seien, daß wir sie fürchten müßten?“

„Wenige sind es jedenfalls nicht, sonst hätten sie sich nicht so in unsere Nähe gewagt.“

„Und ihrer viele sind sie auch nicht, sonst wären sie über uns hergefallen, anstatt sich an schwachen, wehrlosen Mädchen zu vergreifen.“

„Sie wollen ihren Zweck lieber mit List als durch Gewalt und Blutvergießen erreichen.“

„Du redest, als wenn du ihr Freund seist.“

„Das bin ich nicht. Mein graues Haar schützt mich gegen jeden solchen Vorwurf.“

„So willst du, daß wir den Preis bezahlen?“

„Ich denke, daß er mit sich handeln lassen wird. Und es ist besser, wir vergleichen uns, als daß wir es auf einen Kampf ankommen lassen.“

„Es wird keinen Kampf geben. Wir überwältigen ihn leicht. Dann ist sein Leben in unserer Hand, und wir können unsere Töchter fordern, ohne ein Schaf oder eine Ziege bezahlen zu müssen. Oder ist es vielleicht nicht so?“

Diese Frage war an die anderen gerichtet. Ein beifälliges Murmeln antwortete. Auch laute, zustimmende Rufe ließen sich hören. Das veranlaßte den bedächtigen Alten, zu sagen:

„So wasche ich meine Hände in Unschuld. Tut also jetzt, was euch gefällt.“

Es wurde abgestimmt, und es zeigte sich, daß die überwiegende Mehrzahl der Meinung des Scheiks war. Sein Vorschlag wurde zum Beschluß erhoben.

„Soll ich den Ungläubigen holen?“ fragte einer.

„Nein“, antwortete der Scheik. „Das könnte ihm auffallen und Verdacht in ihm erwecken. Bis jetzt habe nur ich mit ihm verkehrt. Käme ein anderer, so könnte er leicht mißtrauisch werden. Ich muß also selbst gehen. Wartet, bis ich ihn bringe.“

„Und was tun wir dann?“

„Fünf der Stärksten stellen sich hierher, wo er durch den Kreis muß. Ich gehe voran, er folgt mir, und sobald sie sich hinter ihm befinden, fallen sie über ihn her, halten ihm die Arme, reißen ihn nieder und binden ihn so, daß er sich nicht bewegen kann. Arme dazu sind ja genug vorhanden. Der Teufel müßte sein Diener sein, wenn es uns nicht gelingen sollte.“

Der Scheik ging und die anderen warteten in der festen Überzeugung daß der Anschlag gelingen werde. Die Stärksten wurden ausgewählt und Stricke und Riemen herbeigeholt.

Sobald Steinbach hörte, was mit ihm geschehen solle, wartete er den letzten Teil der Verordnung des Scheiks gar nicht ab. Er kroch zurück, und als er sich hinter dem Zelt im Dunkeln befand, sprang er eiligst weiter zu Nena hin, dem er schnell einige Weisungen erteilte.

„Du fürchtest dich doch nicht?“ fragte er ihn.

„Nein, Effendi. Ich stehe unter deinem Schutz.“

„Sie werden aber vielleicht nicht sehr zart mit dir verfahren.“

„Töten werden sie mich jedoch auch nicht. Der Scheik ist ihnen jedenfalls mehr wert, als ich, und so werden sie mich schonen müssen, um nicht ihn und dann auch die Mädchen zu verlieren.“

„Ich würde dich mitnehmen; aber es muß ja jemand hier sein, um ihnen als Bote zu dienen.“

„Habe keine Sorge um mich, Effendi. Ich weiß, daß mir nichts geschehen wird und bin ganz ruhig dabei. Tue also in Allahs Namen, was du dir vorgenommen hast.“

Steinbach setzte sich, da er jetzt den Scheik langsam herbeikommen sah, und nahm die Haltung größter Unbefangenheit an.

„Willst du nun mit mir kommen?“ fragte der Araber.

„Warum?“

„Um unseren Beschluß zu vernehmen.“

„Warum soll ich da mit dir kommen? Kannst du ihn mir nicht hier sagen?“

„Das gilt nichts. Ich muß ihn dir vor der Versammlung kundgeben. Erst dann hat er Gültigkeit.“

„Wie lautet er?“

„Wir tun, was du willst.“

„Ist das wahr?“

Steinbach stand bei diesen Worten auf und trat an den Scheik heran.

„Ja“, antwortete dieser.

„Nun gut, so will ich mitgehen. Aber ich sage dir, daß es zu deinem Schaden ausschlägt, wenn du mich täuschen solltest. Ich verstehe keinen Spaß.“

„Wir treiben nicht Scherz, sondern Ernst, und ich vertrete alles, was wir tun und was dir geschehen könnte. Es komme auf mich.“

„Nun gut, so mag es auf dich kommen, und zwar gleich jetzt.“

Damit faßte Steinbach den Scheik mit beiden Händen bei der Gurgel und drückte ihm diese so fest zusammen, daß der so unerwartet Überfallene keinen Atem holen konnte, die Arme schlaff herabsinken ließ und ohnmächtig wurde. Jetzt faßte Steinbach ihn bei der Brust, schwang ihn sich auf die Achsel und eilte mit ihm davon, in die Nacht hinein, dahin, wo sich die Pferde befanden. Diese waren ohne Beaufsichtigung da alle männlichen Mitglieder des Stammes sich zum Beratungsfeuer begeben hatten. Steinbach suchte sich, soweit es die Dunkelheit zuließ, ein gutes heraus, stieg auf, legte den Besinnungslosen quer über das Pferd vor sich und ritt davon.

Nena, der Inder, saß bewegungslos an seinem Platz, als ob er gar nichts zu befürchten habe. Einige Zeitlang blieb es ruhig. Dann ließ sich aus der Gegend, wo die Versammlung stattfand, ein dumpfes Stimmengewirr hören, und nachher kam jemand gelaufen und fragte:

„Wo ist der Scheik?“

„Bin ich sein Hüter?“

„War er nicht hier?“

„Frage ihn selbst.“

„Antworte doch. Wo ist der Effendi?“

„Fort!“

„Wohin?“

„Zu seinen Beni Sallah.“

„Allah 'l Allah! So ist wohl der Scheik in das Lager nach ihm suchen gegangen und findet ihn nicht.“

Der Beduine rannte fort nach dem Feuer, und dann hörte Nena, daß die Versammlung sich teilte, um den Scheik zu suchen. Niemand fand ihn. Darum kamen alle zu dem Inder, um sich zu erkundigen. Dieser behielt seine vollständige Ruhe bei. Einer fragte:

„Hast du den Scheik gesehen?“

„Ja.“

„Wo ist er?“

„Warum fragst du da mich?“

„Weil wir ihn vergebens suchen, du aber weißt es.“

„Wohl weiß ich es. Ihr werdet ihn vielleicht niemals wiedersehen.“

„Warum?“

„Er wird den Pfad des Todes wandeln.“

„Mann, Mensch, sprich deutlicher. Du meinst doch nicht etwa, daß er sterben wird?“

„Ja, das meine ich.“

„Ist ihm ein Unglück zugestoßen?“

„Ein sehr großes.“

„Welches?“

„Er hat sich den Zorn meines Effendi zugezogen, und ein größeres gibt es nicht.“

„Weshalb den Zorn?“

„Er wollte ihn verraten, ihn betrügen.“

„Wieso?“

„Er sagte, daß ihr tun wolltet, was der Effendi von euch verlangt hatte, und es war nicht wahr.“

„Es war wahr.“

„Nein, es war eine Lüge. Ihr wolltet den Effendi überfallen, binden und niederwerfen.“

„Wer hat euch das gesagt? Es ist nicht wahr.“

„Leugne nicht! Mein Effendi hat es selbst gehört. Er hat sich bei dem Zelt befunden, da, wo die Reitsättel liegen, und euren Anschlag belauscht.“

„Allah! Wo ist er jetzt?“

„Fort, bei den Beni Sallah. Ich habe es euch ja doch bereits gesagt. Warum fragt ihr nochmals?“

„Und der Scheik?“

„Er ist auch mit fort.“

„Zu den Beni Sallah?“

„Ja.“

„Das lügst du. Er wird nie und nimmer zu ihnen gegangen sein.“

„Freiwillig nicht, aber der Effendi hat ihn gezwungen; er hat ihn gefangengenommen.“

„Mensch, wenn das wahr ist, so bist du des Todes.“

Es blitzten mehrere Messer in den Händen der Araber.

„Ich fürchte den Tod nicht; aber ich weiß, daß ihr mich nicht berühren werdet.“

„Wir werden dich langsam martern und töten.“

„So werden eure Töchter mit dem Scheik noch viel ärgere Qualen erdulden müssen.“

„Dich hat der Teufel zu uns gesandt!“

„Nein, ich bin im Gegenteil der Bote Allahs, des Allgütigen. Wäre ich nicht hier, so würden die Eurigen verloren sein.“

„Warum bist du nicht auch mit dem Effendi gegangen?“

„Um euch zu beweisen, welche Gnade und Langmut er besitzt. Ich soll euch noch eine Frist der Barmherzigkeit geben. Kommt mit zum Beratungsfeuer. Dort wollen wir weitersprechen.“

Sie folgten ihm voll innerem Grimm, daß sie nun anstatt Steinbach diesen Mann hatten, dessen Besitz ihnen gar nichts nützen konnte. Sie wußten natürlich nicht, daß Steinbach den Inder auf keinen Fall verlassen würde, sondern im Gegenteil alles getan hätte, ihm die Freiheit wieder zu verschaffen.

„Hört, was ich euch sagen werde“, begann der treue Mann. „Ich soll nochmals dasselbe von euch verlangen, was bereits der Effendi von euch gefordert hat. Paßt auf, was ich tun werde.“

Nena zog seine Pistole aus dem Gürtel, hielt sie empor und drückte ab. Nach kaum einigen Sekunden wurde sein Schuß durch einen zweiten beantwortet, welcher in der Ferne fiel.

„Wer hat geschossen?“ fragte einer.

„Der Effendi. Ich habe ihm das Zeichen gegeben, daß die Beratung beginnt. Sie darf nur fünf Minuten dauern. Dann wird der Effendi wieder schießen, zum Zeichen, daß er euren Bescheid hören will.“

„Wie soll er ihn hören?“

„Durch mich. Schieße ich nicht, so habt ihr seine Forderung verworfen, und eure Töchter werden mit dem Scheik getötet. Schieße ich aber, so ist das ein Zeichen, daß ihr seinen Vorschlag angenommen habt.“

„Wenn wir dich nun überwältigen und an deiner Stelle schießen, obgleich wir die Forderung des Effendi nicht befriedigen wollen?“

„So würdet ihr eure Lage nur verschlimmern. Ich muß, sobald ich geschossen habe, mit einigen von euch zum Effendi gehen, wo dann der Vertrag ausgefertigt wird. Jetzt beeilt euch. Bedenkt, daß von den fünf Minuten bereits zwei verflossen sind. Der Effendi gibt euch, seit er euren Verrat kennengelernt hat, keine weitere Frist.“

Nena trat zurück. Jetzt waren sie alle im höchsten Grad ängstlich geworden. Der bereits erwähnte Alte, der im Interesse des Friedens gesprochen hatte, erhob seine Stimme wieder, und zwar mit mehr Nachdruck und Erfolg als vorhin, wo der Scheik ihm so kräftig widersprach. Die Not ging an den Mann, und selbst die Widerstrebendsten sahen ein, daß ihre Weigerung von der größten Gefahr für die Bedrohten sein werde. Von allen Seiten erhoben sich mahnende Stimmen.

Da erscholl Steinbachs zweiter Schuß.

„Nun, was beschließt ihr?“ fragte Nena. „Ich muß sofort Antwort geben, sonst erteilt er den Befehl, daß die Eurigen getötet werden.“

„Was geschieht dann mit dir?“

„Das laßt meine Sorge sein.“

„Wir werden dich auch töten.“

„Was liegt an mir altem Mann! Übrigens weiß ich, was ich in diesem Fall zu tun habe. So leicht, wie ihr es denkt, würde es euch nicht werden, mich zu ermorden. Also schnell.“

„Schieß los!“ rief der Alte. „Schieß los in Allahs Namen! Wir gehen auf die Bedingung ein.“

Nena drückte los, lud dann die beiden Läufe seiner Pistole wieder und sagte:

„Jetzt sucht euch sechs der besten Krieger aus. Sie sollen mich begleiten, um den Vertrag auszufertigen. Aber sie müssen unbewaffnet sein.“

Es ging nicht anders. Die sechs wurden also ausgewählt und gingen mit Nena fort.

Dieser führte sie durch den Palmenwald, an dem Gottesacker vorüber, den Berg hinab, in die Schlucht hinein, aus dieser wieder hinaus bis dahin, wo Steinbach mit seinen Beni Sallah hielt, die Gefangenen in der Mitte.

„Allah sei Dank!“ rief der Scheik, tief aufatmend. „Ich hatte Angst, daß dieser Mann nicht schießen werde.“

Er hatte natürlich noch größere Angst um sein Leben gehabt. Steinbach nahm das Wort:

„Machen wir es kurz. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Gehen die Beni Halaf auf meine Vorschläge ein, Nena?“

„Ja.“

„So bestimme ich folgendes: Der Scheik wird mit den zwanzig Mädchen freigelassen, diese sechs Krieger aber reiten mit den Beni Sallah als Geiseln nach dem Dorf der letzteren, wo sie ein volles Jahr in aller Freundschaft zurückbehalten werden. Dann können sie wieder zu den Ihrigen zurückkehren. Sie reiten jetzt augenblicklich unter sicherer Begleitung ab. Die anderen Beni Sallah bleiben hier, um die Bezahlung in Empfang zu nehmen, sobald es Tag geworden ist. Dann wird Friede und Segen sein zwischen den beiden tapferen Stämmen.“

Der Scheik widersprach noch ein wenig. Den Geiseln paßte es natürlich gar nicht, daß sie so plötzlich die Heimat für die Dauer eines Jahres verlassen sollten. Da ihnen aber dabei keinerlei Gefahr drohte, so kam der Vertrag endlich zustande und wurde mit Eiden besiegelt, die so heilig sind, daß sie von einem Moslem niemals gebrochen werden.

Zehn der Beni Sallah machten sich sofort mit den Geiseln auf den Rückweg. Es geschah das aus dem Grund, daß die Beni Halaf ja nicht auf den Gedanken kommen konnten, bezüglich dieser sechs noch Einwände zu erheben. Die anderen begaben sich sodann mit den Gefangenen, die nun freilich frei waren, in das Lager. Dort wurden sie willkommen geheißen, aber nicht etwa mit außerordentlichem Entzücken. Tarik aber war der Mann, seine Leute zu nehmen. Er trat in den Kreis der Versammelten, die düster vor sich niederblickten, und sagte:

„Die Beni Halaf hielten die Beni Sallah für ihre Feinde. Darum haben sie die drei Flüchtigen bei sich aufgenommen und sie nun wieder entkommen lassen. Das war nicht klug von ihnen, denn sie sollen es nun mit Kamelen oder Pferden bezahlen. Aber ich will ihnen beweisen, daß ich nicht ihr Feind, sondern ihr Freund bin. Wir haben die Beni Suef besiegt und eine große Beute gemacht, darum wollen wir nicht die Beni Halaf ihrer Habe berauben, sondern ihnen ihre Tiere schenken. Es sei Friede zwischen uns und ihnen. Nur die sechs Krieger mögen ein Jahr lang unsere Gäste sein, damit sie mit uns leben und dabei erfahren, daß wir es gut mit unseren Freunden meinen. Hier ist meine Hand. Der Scheik mag herkommen und die seinige hineinlegen zum Zeichen, daß wir Brüder sind!“

Diese Wort machten einen außerordentlichen Eindruck. Selbst Steinbach hatte dem jungen Manne keine solche Politik, keine solche weise Mäßigung zugetraut. Alles brach in Jubel aus. Die Gesichter der Beni Halaf wurden plötzlich ganz anders. Der Grimm verwandelte sich in Freude, der Ärger in Entzücken. Alle drängten sich an den jungen, wackeren Scheik heran, um ihm die Hand zu drücken, und der alte Scheik der Beni Halaf rief:

„Du bist mein Bruder und mein Sohn! Willst du meine Tochter zum Weib haben?“

„Nein, ich danke dir, ich habe bereits ein Weib!“

„Das ist schade, jammerschade! Ich hätte sie dir sehr gern gegeben, und du wärst mein Erbe geworden, aber es kann nicht sein, ich muß mich drein ergeben. Allah ist groß, und Mohammed ist sein Prophet!“

Jetzt wurden Feuer angezündet, mehrere Hammel geschlachtet und große Krüge voll gegorenen Palmensaftes herbeigeholt. Das freudige Ereignis mußte natürlich gefeiert werden.

Während Steinbach sehr ernst diesen Vorbereitungen zuschaute, trat der alte Scheik zu ihm.

„Effendi, warum freust du dich nicht auch mit? Warum ist deine Seele betrübt?“

„Ich freue mich der Eintracht, die zwischen euch erwacht ist, und ich wünsche, daß sie nie ein Ende nehmen möge, aber ich habe alles verloren, während ihr alles gewonnen habt. Ich gedachte, meine Feinde zu ergreifen, und nun muß ich die Jagd von neuem beginnen.“

„Daran bin ich schuld, Effendi.“

„Ja, freilich.“

„Hätte ich gewußt, welch ein gutes Ende die Sache nehmen werde, so wäre es mir nicht eingefallen, diese Halunken entkommen zu lassen. Aber tröste dich. Allah wird sie dir wieder in deine Hände geben. Und an mir hast du dich schon im voraus gerächt.“

„Wieso?“

„Glaubst du, es sei ein Vergnügen oder gar eine Wonne, bei der Kehle gedrückt zu werden, bis man den Verstand verliert, um dann inmitten der Feinde wieder aufzuwachen? Ich glaubte da nicht, daß ich die Meinigen wiedersehen oder gar heute noch Lagmi trinken und Hammelbraten essen würde. Allahs Wege sind wunderbar. Er wird dich so leiten, daß du diejenigen, die dir heute entkommen sind, auf das leichteste wieder ergreifen kannst.“

„Das mag er geben. Ich muß ihnen sogleich nach.“

Tarik und Hilal waren herbeigekommen und hörten diese letzteren Worte.

„Das wirst du nicht!“ sagte Tarik. „Du wirst bei uns bleiben und dich des Glückes freuen, das wir nur dir zu danken haben.“

„Nein, er wird nicht bleiben!“ sagte dagegen Hilal. „Ein Mann läßt seine Feinde nicht entkommen. Ein Weib mag sich zum Lagmi setzen und Braten essen und dabei den Feind entlaufen lassen. Masr-Effendi muß die Flüchtigen ergreifen, er wird ihnen sofort nachjagen, und ich werde ihn begleiten.“

„Du?“ fragte Steinbach erstaunt.

„Ja, ich.“

„Gedenke doch deiner Hiluja!“

„Sie ist die Seele meines Lebens, aber sie bleibt mir gewiß. Ich habe vorher meine Pflicht zu tun. Wir verdanken dir alles. Meinst du, daß ich dich allein ziehen lasse? Und muß ich nicht mit? Bin ich nicht gezwungen dazu? Wer soll mit dir zum Vizekönig gehen und ihm für alles danken und einen Vertrag mit ihm abschließen? Das kannst du nicht tun, das kann nur ich, der Bruder des Scheiks der Beni Sallah. Also laß dich nicht abhalten, sondern bereite alles zur Abreise vor, damit wir keine Zeit versäumen und die Flüchtigen noch einholen.“

Er hatte da sehr richtig gleich mehrere Gründe genannt, die einen sofortigen Aufbruch notwendig machten. Es war den braven Arabern vom Stamm der Beni Sallah fast unmöglich, zu denken, daß der Mann, dem sie zu verdanken hatten, daß sie jetzt nicht vernichtet waren, der wie ein von Gott gesandter Bote und Wohltäter unter ihnen erschienen war, nun plötzlich ebenso schnell von ihnen scheiden wollte, wie er bei ihnen aufgetaucht war. Sie mußten sich aber dareinfügen.

Tarik bot Steinbach und Normann Geschenke an, die in guten, ausgezeichneten Reitkamelen bestanden, Steinbach aber wies das alles ab und nahm nur einige kleine, an sich wertlose Andenken als Erinnerungszeichen an die Leute an, deren Interessen ihm während der letzten Tage so wichtig wie seine eigenen, gewesen waren.

Es wurden die besten Kamele ausgesucht und mit Wasser und Proviant beladen. Dann nahmen die Scheidenden Abschied. Als sie fortritten, Steinbach, Normann, der Arabadschi, Nena und Hilal, ertönten die lauten Klagen der Zurückbleibenden, die noch zu hören waren, als die kleine Karawane und ihre Lichter nicht mehr zu sehen waren.

Steinbach hatte nämlich die vorsichtige Veranstaltung getroffen, einige Fackeln anbrennen zu lassen, um die Spuren der Entflohenen wenigstens so weit verfolgen zu können, bis man sicher war, daß sie die eingeschlagene Richtung auch weiter verfolgen würden. Nena und Said gingen mit den Fackeln zu Fuß voran, um den Sand zu beleuchten, die anderen folgten langsam im Sattel.

Als dann die Fährte die gleiche Richtung behielt, stiegen die beiden Genannten auch auf die Tiere, und dann ging es, so schnell die Kamele zu laufen vermochten, auf Dar el Gus Abu Seid zu.

Dieser Ort ist eine Landschaft, die zu der sogenannten kleinen Oase gehört. Es war nicht sehr weit bis dorthin. Man erreichte dieses Ziel beim Anbruch des zweiten Morgens, und die Fährte der Verfolgten bewies, daß man sich hart auf den Fersen derselben befand.

Steinbach und seine Gefährten ritten in das zu der Landschaft gehörige Dorf El Kasr ein und lenkten nach dem Zelt des Scheiks.

Dieser trat ihnen aus der Tür entgegen, betrachtete sie mit finsteren Blicken und fragte:

„Wer seid ihr?“

„Salem aaleïkum!“ grüßte Steinbach. „Warum fragst du, bevor du den Gruß ausgesprochen hast?“

„Soll ich euch grüßen, die ihr Ungläubige seid?“

„Wer hat dir das gesagt?“

„Ich weiß es.“

„Ich weiß es auch. Ich suche bei dir drei Männer, die dir mitgeteilt haben werden, daß wir auf ihrer Fährte sind. Wo befinden sie sich?“

„Das weiß ich nicht.“

„Willst du der Beschützer von Verbrechern sein?“

„Ich beschütze, wen ich will, und lasse mir von keinem Menschen Vorschriften machen.“

„Ich werde dich gut belohnen, wenn du mir sagst, wo ich diejenigen finde, welche ich suche.“

„Ich mag keine Belohnung von dir.“

„So sage ich dir, daß ich unter dem Schutz des Großherrn und des Khediven stehe. Wenn du dich weigerst, mir zu dienen, schädigst du dich selbst.“

„Die Männer, die du suchst, sind fort.“

„Wohin?“

„Nach Mendikkeh. Sie wollten den geraden Weg nach Kairo einschlagen.“

Es war richtig daß der angegebene Ort an dem geradesten Weg nach der Hauptstadt lag.

„Wann kamen sie hier an?“

„Vor drei Stunden.“

„Wann ritten sie wieder fort?“

„Nach einer Viertelstunde. Sie nahmen nur Wasser in ihre Schläuche, dann gingen sie wieder.“

„Und du sagst mir die Wahrheit?“

„Ja.“

Dieser Mann hatte etwas an sich, was nicht sehr vertrauenerweckend war, aber dennoch sah Steinbach es ihm an, daß er wenigstens mit seinen letzten Worten keine Lüge gesagt hatte. Er wandte daher sein Kamel, um den Weg nach Mendikkeh einzuschlagen.

„Halt!“ sagte da der Scheik. „Nehmt ihr denn kein Wasser ein?“

„Nein.“

„Aber ihr habt welches zu nehmen und uns zu bezahlen.“

„Wir brauchen keins.“

„Ohne Bezahlung aber dürft ihr nicht fort. Ich habe das Recht, von jedem Reiter einen Zoll zu erheben.“

„Schäme dich, von Ungläubigen Geld zu verlangen. Wärst du uns höflich entgegengekommen, so hättest du ein Geschenk erhalten, mit dem du ganz sicher sehr zufrieden gewesen wärst. So aber bekommst du nichts, rein gar nichts.“

„So lasse ich euch nicht fort!“

Der Scheik stellte sich Steinbach drohend in den Weg. Dieser aber zog seinen Revolver, hielt ihm denselben entgegen und rief ihm zu:

„Weiche zur Seite, oder ich schieße dich nieder!“

„Allah, Allah!“ rief der Mann und sprang höchst erschrocken seitwärts.

Steinbach aber ritt mit den Seinen davon, ohne sich nach dem Kerl umzusehen.

Der Ort war nicht groß. Die Zelte und Hütten lagen bald hinter ihnen. Da meinte Normann:

„Glauben Sie wirklich, daß der Pascha und der Graf hier diesen Weg geritten sind?“

„Ich glaube es. Erstens sah der Scheik ganz so aus, als ob er die Wahrheit sage, und zweitens haben sie es so eilig daß sich annehmen läßt, daß sie den geradesten Weg einschlagen. Warum sollten sie den Umweg über El Ajus reiten?“

„Um uns irrezuführen.“

„Hm! Sollten sie wirklich auf einen so klugen Gedanken gekommen sein? Hier ist eine Fährte. Ich will sie untersuchen.“

Steinbach stieg ab. Nach genauer Untersuchung fand er, daß dieselbe von ganz denselben Tieren herrührte, denen man bisher gefolgt war. Gewisse kleine Merkmale, die nur Steinbachs scharfes Auge erkennen konnte, bewiesen dies. Also stieg er wieder auf und ritt in der Überzeugung weiter, daß er die Verfolgten vor sich habe. Um den Vorsprung den diese hatten, einzuholen, wurden die Tiere zur höchsten Eile angetrieben.

Bis Mendikkeh reitet man drei Stunden. Als sie dort ankamen, suchten sie ebenso den Scheik des Ortes auf, der sie freundlich begrüßte.

„Sind drei Reiter mit vier Kamelen hier durchgekommen?“ fragte Steinbach.

„Ja.“

„Sind sie noch im Ort?“

„Nein. Sie sind nur bei mir abgestiegen und dann gleich weiter geritten in der Richtung nach Kahira.“

„Ich danke dir. Hier hast du eine Belohnung für diese Auskunft. Salem aaleïkum!“

Er gab dem Scheik ein größeres Silberstück und wandte sich, um fortzureiten. Da rief dieser, nachdem er das Geld, hier eine große Seltenheit, betrachtet hatte, über ein solches Geschenk anscheinend hoch erfreut:

„Halt! Warte noch einen Augenblick!“

Und als Steinbach sein Kamel wieder herumdrehte, trat der Scheik nahe zu dem Tier heran und sagte:

„Deine Hand besitzt die Gabe der Wohltätigkeit; darum will ich nicht haben, daß du betrogen wirst.“

„Ah, du hast mir die Unwahrheit gesagt? Du siehst mir aber gar nicht so aus.“

„Ich habe dir die Wahrheit gesagt, aber in dem Mund der anderen wohnt die Lüge. Du suchst zwei Fremde, die mit einem Beni Suef nach Kahira reiten?“

„Ja. Du sagtest, sie seien hier durchgekommen.“

„Nein, das sagte ich nicht. Du fragtest nach drei Reitern mit vier Kamelen; die kamen hier durch, das ist wahr; aber es sind nicht diejenigen, welche du sucht.“

„Wer denn?“

„Es sind drei Männer aus El Kasr, woher du jetzt gekommen bist. Sie stiegen bei mir ab und rühmten sich, daß sie ausgeritten seien, dich irrezuleiten.“

„Wieso?“

„Die Männer, die du suchst, haben in El Kasr ihre Tiere mit anderen vertauscht, dem Scheik viel Geld gegeben und sind dann über Labu nach Kahira geritten. Die Tiere aber, auf denen sie ankamen, wurden von drei dortigen Männern bestiegen, die hierher zu uns ritten, um dich irrezuführen. Du solltest stets dieselbe Fährte vor Augen haben.“

„Verteufelt!“

„Sie werden noch so weit reiten, bis die Flüchtlinge einen genügenden Vorsprung haben, und dann nach El Kasr zurückkehren und über dich lachen. Die Kamele, die sie eingetauscht haben, sind weit besser als diejenigen, die sie dafür hingaben. Sie machen ein sehr gutes Geschäft.“

„Dieses Geschäft soll ihnen wohl verdorben werden! Ich danke dir für alles, was du mir sagtest. Hier hast du noch ein Geschenk! Wie lange ist es her, seit diese Kerle hier durchgekommen sind?“

„Keine ganze Stunde.“

„So müssen wir sie einholen. Allah sei mit dir!“

Steinbach sauste jetzt mit seinen Begleitern durch den Ort und in die Wüste hinaus, wo die deutlich sichtbaren Spuren ihm zeigten, in welcher Richtung die drei Betrüger davongeritten waren.

„Was werden wir mit den Kerlen tun, wenn wir sie einholen?“ fragte Normann.

„Ihnen die Tiere abnehmen, so daß sie zu Fuß nach Hause laufen müssen. Und nebenbei sollen sie noch eine Lehre erhalten, die sie nicht so schnell vergessen werden.“

Steinbach hob bei diesen Worten die schwere, aus Nilpferdhaut geschnittene Kamelpeitsche empor.

Kaum waren anderthalb Stunden vergangen, so sahen sie die vier Kamele vor sich, drei Reiter und ein leeres Tier. Auch sie wurden natürlich nun bemerkt. Die Reiter hielten ihre Tiere an und stiegen ab.

„Ah, sie wollen sich lagern, um uns in Muße auslachen zu können!“ sagte Steinbach. „Sie sollen ihre Freude erleben. Sie, Normann, ich und Hilal, wir nehmen ein jeder einen Mann, aber so schnell, daß sie die Waffen nicht gebrauchen können. Das übrige besorge ich selbst.“

In zehn Minuten hatten sie die Gruppe erreicht.

„Woher?“ fragte Steinbach.

„Was geht es dich an!“ antwortete einer stolz.

„Wohin?“

„Nach Hause.“

Steinbach und seine Begleiter sprangen aus den hohen Sätteln herab, und ersterer fuhr, auf die Tiere der Lagernden zeigend, fort:

„Diese Kamele kommen mir bekannt vor.“

„Sie gehören uns.“

„Nein. Sie sind den Beni Halaf gestohlen worden.“

„Wir sind keine Diebe. Was fällt dir ein!“

„Aber ihr habt sie von den Dieben eingetauscht, die nach Labu sind, und ihr reitet diesen Weg um uns irrezuführen.“

„Bist du verrückt? Sage noch ein solches Wort, so schieße ich dich über den Haufen!“

Der Sprecher war bei diesen Worten aufgesprungen und griff nach seiner Pistole. Auch die beiden anderen standen auf.

„Du willst schießen? Warte, da will ich erst laden, aber nicht deine Pistole, sondern dich!“ rief Steinbach.

Dann schlug er dem Manne blitzschnell die Waffe aus der Hand, faßte ihn beim Genick, wirbelte ihn einige Male um sich selbst und warf ihn so zu Boden, daß alles krachte. Hierauf kniete er ihm mit einem Bein auf den Nacken und begann nun, das Hinterteil des Mannes mit der Peitsche zu bearbeiten, daß die Hosen in Fetzen flogen.

Ebenso schnell hatten auch Normann und Hilal die beiden anderen ergriffen und entwaffnet. Said und Nena halfen ihnen und nahmen die Waffen zu sich. Als Steinbach den einen so durchgeprügelt hatte, daß er liegen blieb, kamen auch die beiden anderen daran. Sie brüllten wie die Eber, fluchten entsetzlich und gaben, als dies nichts half, gute Worte – vergebens. Die Peitsche verrichtete eine so vollständige Arbeit, daß Steinbachs kräftiger Arm ermüdete.

„So!“ sagte er. „Ihr habt über uns lachen wollen, jetzt könnt ihr euch selbst auslachen. Ich will euch lehren, euch über einen Effendi aus dem Abendland lustig zu machen!“

„Giaur!“ knirschte einer von ihnen.

„Willst du noch mehr? Du sollst deinen Willen haben. Da!“

Steinbach schlug von neuem auf ihn ein. Die beiden andern mochten glauben, daß nun auch an sie nochmals die Reihe käme; sie sprangen daher auf und eilten davon. Der dritte sah dies, riß sich von Steinbach los und folgte ihnen in so großen Sprüngen, als ihm die Schwielen erlaubten, die er erhalten hatte.

„Grüßt euern Scheik von mir“, lachte Steinbach ihnen nach, „und sagt, daß ich euch den Zoll gegeben habe, den ich ihm verweigerte!“

Jetzt wurden die erbeuteten Tiere aneinandergebunden; die Reiter stiegen auf und eilten weiter, nach dem Rate Hilals, der den Weg kannte, quer durch die Wüste auf Abu Mohary zu, wo auch der Russe, der Pascha und der Suef durchkommen mußten. Der Gedanke, Steinbach zu täuschen, war diesen drei Genannten von Nutzen gewesen, denn als der Deutsche mit seinen Begleitern nach Abu Mohary kam, erfuhr er, daß die Gesuchten bereits vor vier oder fünf Stunden durch den Ort gekommen seien.

Hier mußte notwendigerweise haltgemacht werden, um die leeren Wasserschläuche zu füllen. Dann aber ging es eiligst weiter, nach Meghara, wo sie erfuhren, daß die Gesuchten noch immer einen sehr ansehnlichen Vorsprung hatten.

Von hier aus führte die sehr belebte Karawanenstraße gerade ostwärts auf Kairo zu. Diese letzte Strecke wurde bei Nacht zurückgelegt.

In Gizeh angekommen, von wo aus man die Pyramiden zu besuchen pflegt, erhielten sie die Gewißheit, daß die Verfolgten vor drei Stunden hier gewesen seien. Nun ging der Ritt am vizeköniglichen Palast vorüber und über die Brücke der beiden Nilarme, die die Insel Bulak einschließen.

Als Steinbach und seine Begleiter am Hafen von Bulak vorüberkamen, sahen sie die Jacht des Lords am Ufer liegen. Sie hatten jetzt aber keine Aufmerksamkeit für dieselbe, sondern ritten direkt nach dem Hotel, in dem Wallert (Adlerhorst) mit Tschita Wohnung genommen hatte. Beide waren zu Hause. Tschita heißt, wie bekannt, zu deutsch Blume, und das schöne Mädchen blühte in Wahrheit wie eine Rose, als sie mit ihrem Bruder die Zurückkehrenden begrüßte. Steinbach nahm sich keine Zeit zu langen Verhandlungen und Berichten. Er erzählte ihnen nur kurz seine Erlebnisse, und daß Zykyma einstweilen bei Badija, der Königin der Wüste, eine Heimstätte gefunden habe, wo sie unter dem Schutz der Beni Sallah und ihres jungen Scheiks in Zukunft vor allen Gefahren und ferneren Nachstellungen gesichert sei.

„Wir haben“, schloß er seine Erzählung, „Ibrahim Pascha und den Russen getroffen und verfolgt. Sie sind vor drei Stunden hier angekommen, und ich muß sofort auf die Suche gehen. Ihre Nachforschungen sind jedenfalls erfolglos gewesen?“

„Ja“, antwortete Wallert. „Aber ich glaube, der Lord ist so glücklich gewesen, die Bekanntschaft einer Dame zu machen, von der es möglich ist, daß sie Gökala ist.“

„Unmöglich!“ rief Steinbach. „Wo ist sie?“

„In einer kleinen Gasse der Altstadt.“

„Und der Lord?“

„Wohnt ihr gegenüber. Er hat von ihr einen Brief an Sie.“

„Dann sofort hin, schnell hin! Um aber für alle Fälle bereit zu sein, mag ein Bote nach der Jacht laufen und sagen, daß der Kessel geheizt werden soll. Auch hier muß sofort eingepackt werden. Man weiß nicht, ob wir nicht gezwungen sind, augenblicklich abzureisen.“

Hierauf eilte Steinbach mit Wallert in die enge Gasse zu dem Lord, der mit dem Steuermann in seiner Stube saß und Arabisch trieb. Er sprang freudig erstaunt auf, als er die beiden eintreten sah. Um zu zeigen, daß er Arabisch gelernt habe, grüßte er:

„Ahla wa sahla wa marhala!“

„Unsinn!“ sagte Steinbach eilig. „Geben Sie mir den Brief!“

„El Meltub heißt Brief. Itfaddal isterih, nehmen Sie gefälligst Platz!“

„Lassen Sie Ihr Arabisch beim Teufel! Ich will den Brief haben, den eine Dame Ihnen für mich gegeben hat!“

„Alle Teufel, haben Sie es eilig! Hier ist er.“

Der Lord nahm jetzt Gökalas Brief aus einem Kasten und gab ihn Steinbach, der ihn mit fieberhafter Hast öffnete und sodann las. Der Inhalt lautete:

„Mein Geliebter!

Ich preise Gott, daß er mir Gelegenheit gibt, dir diese Zeilen zu senden. Sei barmherzig und forsche nicht weiter nach mir. Dein Forschen macht meinen Vater unglücklich, für den ich alles, alles trage und auch ferner tragen will. Ich sage dir mit blutendem Herzen und sterbender Seele Lebewohl fürs ganze Leben. Sei glücklich! Nimm tausend Küsse und die ewigen Gebete deiner

armen Gökala.“

„Sie ist's, sie ist's!“ rief Steinbach. „Wo wohnt sie?“

„Drüben, gegenüber“, antwortete der Lord.

„Führen Sie mich!“

„Wir dürfen nicht.“

„Unsinn! Ich muß hinüber. Ihr begleitet mich alle; vielleicht brauche ich eure Hilfe.“

Steinbach stürmte voran, die Treppe hinab, ihm nach die drei anderen, über die zwei Schritte breite Straße hinüber. Die Tür war verschlossen. Steinbach klopfte. Da wurde ein kleines Loch geöffnet, und eine alte Frau ließ ihr Gesicht sehen.

„Was willst du?“

„Laß mich ein! Hier hast du!“

Er schob der Alten ein Goldstück durch das Loch hinein.

„O Allah!“ rief diese aus. „Gold! Tritt herein!“ Dann öffnete sie.

„Ist Gökala da?“ fragte Steinbach eilig.

Die Frau betrachtete ihn forschend und fragte:

„Bist du Steinbach-Effendi?“

„Ja. Hat sie von mir gesprochen?“

„Ja. Ihr Mann kam. Sie mußte schnell zusammenpacken; dann gingen sie fort.“

„Wohin?“

„Ich weiß es nicht. Sie nahmen für immer Abschied. Gökala hat noch Zeit gefunden, mir dies Papier zu geben.“

Damit überreichte sie ihm einen beschriebenen Zettel, auf dem die Zeilen standen:

„Geliebter!

Der Graf kam. Er schäumte vor Wut. Ich hörte von ihm, daß du ihn verfolgst. Vielleicht findest du dieses Haus, dann sind wir fort. Forsche aber ja nicht weiter, wenn du mich nicht ganz unglücklich machen willst. Gott behüte dich! Meine Seele bleibt bei dir.

Deine Gökala.“

„Und dennoch werde ich forschen und dich finden!“ rief Steinbach aus. „Du weißt also nicht, wohin sie sind?“

„Nein“, antwortete die Alte.

„Sie hatten doch Gepäck. Wer hat das getragen?“

„Der Hammal, der stets an der Ecke dieser Straße steht.“

„Den suche ich. Kommen Sie, Wallert. Und Sie, Lord, rüsten Sie sich zur schleunigen Abfahrt. Wir treffen uns auf der Jacht.“

Dann eilte Steinbach mit Wallert fort. An der Straßenecke stand der Hammal. Steinbach kannte den Schlüssel zur Zunge dieser Leute. Er gab ihm ein ansehnliches Geschenk und fragte nach dem Grafen und Gökala. Der Packträger sah das Goldstück schmunzelnd an und erwiderte:

„Ich soll es nicht verraten; aber der Herr ist mit der Frau nach der Sikket el Hadid (Eisenbahn). Eine Schwarze war dabei. Auf dem Bahnhof kam noch ein Herr zu ihnen. Sie stiegen ein und nahmen Karten nach Alexandrien. Ich hörte es.“

Steinbach eilte weiter. Unterwegs gab er Wallert die Weisung:

„Gehen Sie in das Hotel, und lassen Sie alles Gepäck nach dem Bahnhof schaffen. Ich muß zum Vizekönig um Bericht zu erstatten über meine Erfolge bei den Beduinen. Mit seiner Hilfe werde ich leicht einen Haftbefehl gegen diejenigen erhalten, die ich festnehmen lassen will.“

Dann trennten sie sich.

Als Steinbach nach etwas über einer Stunde in das Hotel zurückkehrte, glänzte auf der Brust seines schmutzigen Anzuges ein hoher Orden. Er trieb die anderen zur Eile an und sagte ihnen, daß er auf dem Bahnhof zu ihnen stoßen werde. Von da begab er sich auf die Polizei, die nach Vorzeigung der vizeköniglichen Verordnung sofort den Telegraphen nach Alexandrien spielen ließ.

Darauf eilte er zur Jacht, dessen Esse bereits dampfte. Der Lord war reisefertig an Bord.

„Sie dampfen nilabwärts“, sagte Steinbach, „und zwar mit möglichster Schnelligkeit und benutzen den Kanal nach Alexandrien.“

„Wo treffen wir uns da?“

„Am Kai, wo ich Sie erwarte oder erwarten lasse. Aber in Damanhur können Sie einmal aussteigen und auf der Polizei nach mir fragen. Sollte ich Sie in irgendeiner Beziehung zu benachrichtigen haben, so finden Sie dort meine Weisung.“

Ein kurzer Abschied, und dann eilte Steinbach nach dem Bahnhof. Er wußte nicht, wann die Züge gingen, und erfuhr zu seinem Leidwesen, daß er volle sechs Stunden zu warten habe.

Nun verlangte er eine Extramaschine; aber eine solche war leider nicht zu haben, eine Folge der ägyptischen Zustände. Es blieb also den Reisenden nichts anderes übrig, als ihre Ungeduld zu beherrschen. Dieser Aufschub aber erlaubte doch wenigstens einen ordentlichen Abschied von Hilal, der auch auf dem Bahnhof eingetroffen war.

„Der Khedive will dich sehen“, sagte ihm Steinbach. „Ich habe dich angemeldet und dir den Weg geebnet. Fahre so fort, wie du begonnen hast, so wirst du glücklich sein!“

„Effendi, ich habe mein Glück nur dir zu danken!“

„Nein, Gott und dir selbst. Grüße all die Deinen von mir, und sage ihnen, daß ich allezeit in Freundschaft und Liebe an sie denken werde.“

Er reichte Hilal die Hand.

„Willst du mich jetzt schon fortschicken, Effendi?“

„Ja. Das lange Abschiednehmen ist nicht gut. Es ist eine Qual für das Herz.“

„Aber ich möchte dich bis zum letzten Augenblick sehen, den du noch hier verweilst!“

„Du mußt ja zum Khedive!“

„Er mag warten. Du bist mir lieber.“

Der brave Kerl war wirklich nicht fortzubringen. Er wartete, bis endlich der Zug sich in Bewegung setzte. Da erst gab er Steinbach die Hand und sagte:

„Meine Seele ist betrübt, Effendi. Meine Gedanken werden stets bei dir sein. Kommst du wieder einmal in dieses Land, so eile zu uns. Die Söhne und Töchter der Beni Sallah werden dich hochwillkommen heißen und den Tag festlich begehen, an dem du wieder in unsere Mitte trittst. Allah gebe dir ein langes Leben und nachher das Paradies!“

Der Zug setzte sich in Bewegung am Palaste Tuschun vorüber, zwischen dem Kanal und dem Nil nach Norden hin, Alexandrien entgegen.

Man kann sich leicht denken, mit welcher Sehnsucht die Reisenden diesem Ziel entgegenblickten. Leider aber erreichten sie es erst zu später Abendstunde. Während die anderen einstweilen auf dem Bahnhof blieben, eilte Steinbach nach der Polizei. Er erhielt die ganz unerwartete Nachricht, daß Personen, wie sie in der Depesche beschrieben seien, gar nicht in Alexandrien angekommen seien.

„Das heißt auf der Bahn?“

„Ja.“

„Aber zu Schiff, auf dem Kanal?“

„Auch nicht.“

„Oder zu Land durch eins der Tore?“

„Ebensowenig. Wir haben sämtliche Eingänge zu Land und zu Wasser besetzen lassen. Wissen Sie genau, daß die betreffenden Personen wirklich nach Alexandrien wollten?“

„Ja.“

„Vielleicht können sie unterwegs ihren Plan geändert haben, weil sie sich sagten, daß sie verfolgt und also hier erwartet würden.“

„Das liegt freilich im Bereich der Möglichkeit.“

„Dann wären sie von Damanhur aus auf die andere Strecke gegangen, die dort nach Rosette abzweigt. Soll ich einmal dort telegrafisch anfragen, Effendi?“

„Ich bitte sehr darum.“

Der Telegraf spielte, und nach wenigen Minuten bereits kam die Antwort:

„Werden sofort nachforschen.“

Jetzt hatte Steinbach weit über eine Stunde zu warten. Er ließ während dieser Zeit das Signalement des Grafen und des Paschas nach Damanhur telegrafieren. Nach anderthalb Stunden endlich gab der Telegraf das Glockenzeichen. Der Bescheid lautete:

„Die zwei Beschriebenen sind mit einer verschleierten Frau und einer schwarzen Dienerin hier aus- und in den Zug nach Rosette eingestiegen. Müssen bereits dort angekommen sein.“

Sofort ließ Steinbach abermals telegrafieren:

„Lord Eaglenest wird nach mir fragen. Mag schleunigst nach Rosette dampfen, anstatt hierher.“

Dann kehrte er nach dem Bahnhof zurück, von dem aus er wieder nach Rosette an die dortige Polizei telegrafierte. Das war alles, was er unter den gegebenen Umständen tun konnte.

Rosette ist mit Alexandrien durch eine Eisenbahn verbunden, die immer am Meer hinläuft und dabei Abukir berührt. Diese Bahn mußte Steinbach benutzen. Der Zug ging erst gegen morgen, und so kam er mit seiner Begleitung erst am Vormittag dort an.

Auch hier war sein erster Weg nach der Polizei, wo er die vizekönigliche Verordnung vorzeigte und infolgedessen mit größter Ehrerbietung empfangen und behandelt wurde. Die Nachforschungen der Polizei aber waren vergeblich gewesen. Seine Depesche war erst angekommen, als die Gesuchten sich bereits in Rosette befanden. Man hatte sofort alle öffentlichen Häuser und auch diejenigen Privatwohnungen, in denen Fremde aufgenommen werden, genau durchsucht, aber nichts gefunden. Die Polizei hatte alle Straßen und Plätze beobachtet, ohne nur die geringste Spur der Gesuchten zu entdecken.

„Sie sehen, daß wir unsere Pflicht getan haben.“ sagte der Chef der Polizei. „Mehr konnten wir unmöglich leisten.“

„Haben Sie auch die Schiffe untersucht?“

„Die Schiffe?“ fragte der Mann erstaunt.

„Freilich! Das war das Erste und Notwendigste.“

„Wieso?“

„Weil Flüchtlinge gewöhnlich so rasch wie möglich an Bord zu gelangen streben.“

„Wer hier an Bord will, hat sich erst bei uns zu melden, und da die Betreffenden sich nicht gemeldet haben, so sind sie also nicht an Bord gegangen.“

„Wie nun, wenn sie ohne Ihre Erlaubnis ein Schiff bestiegen haben?“

„Das wollte ich mir verbitten!“

„Wenn das Schiff bereits fort ist, so ist es wohl zu spät, sich eine solche Unterlassungssünde zu verbitten. Ich muß Sie dringendst ersuchen, alle im Hafen liegenden Schiffe durchforschen zu lassen.“

„Böse Arbeit!“

„Die ich Ihnen aber nicht erlassen kann. Welche Schiffe haben seit gestern abend den Hafen verlassen?“

„Gestern keins. Heute morgen zwei Segler, nach Damiette und Port Said bestimmt, und sodann ein französischer Dampfer, der nach Marseille geht und unterwegs Kandia anläuft.“

„Passagierschiff?“

„Nein, sondern Paketfahrer.“

„Der Name?“

„Die ‚Bouteuse‘, Kapitän Leblanc.“

„Werde mich gleich selbst nach diesem Fahrzeug erkundigen.“

Steinbach ging. Am Nilhafen angekommen, sah er eben die Jacht des Engländers ans Ufer legen.

„Gefunden?“ rief der Lord, der auf dem Deck stand und ihn erblickte.

„Nein.“

„Verdammt! Sie können doch nicht durch die Luft davongeflogen sein! Was tue ich?“

„Nehmen Sie schleunigst Kohlen ein und was Sie sonst zur Seefahrt brauchen. Es ist möglich, daß wir bald in See stechen.“

„Well, Sir! Soll geschehen.“

Jetzt erkundigte sich Steinbach, an welcher Stelle der französische Dampfer gelegen hatte, erfuhr es und begab sich hin. Dort saß eine Frau mit zwei Kindern, die ihm auf seine Fragen folgenden Bescheid geben konnte:

„Zwei Männer und ein Weib gingen gestern abend auf das Schiff. Es war eine Negerin dabei. Die Verschleierte schenkte mir Geld. Einer der Männer zankte sie aus, da sie dabei ein wenig zurückblieb.“

„Hast du gehört, was er sagte?“

„Ja.“

„Nun, was?“

„Vorwärts, Gökala!“

„Ich danke dir! Hier hast du Geld.“

Steinbach gab der Frau zwei Goldstücke, so daß sie vor Freude laut aufschrie. Als er sich entfernte, rief sie ihm den tausendfachen Segen Allahs nach.

Was die ganze Polizei seit gestern nicht fertiggebracht hatte, das war ihm in einer Viertelstunde gelungen. Dann kehrte er nach der Polizei zurück, wo der Chef die Untergebenen versammelt hatte und im Begriff stand, ihnen seine Instruktion betreffend der Durchsuchung der Schiffe zu erteilen. Es war sehr erklärlich, daß Steinbach sich nicht in der besten Laune befand. Abermals waren ihm die Gesuchten entgangen, und zwar jetzt infolge der Nachlässigkeit des obersten Polizeibeamten. Darum sagte er in einem nicht sehr höflichen Ton:

„Das ist nun unnötig geworden.“

„Warum?“

„Die, welche wir suchen, sind fort und Sie haben sie entkommen lassen!“

„Wieso?“

„Sie haben sich bereits gestern abend an Bord der ‚Bouteuse‘ begeben.“

„Allah! Ist es möglich!“

„Ich weiß es ganz gewiß. Was raten Sie mir nun?“

„Hätten Sie ein schnelles Fahrzeug so könnten Sie den Dampfer noch einholen. Er ist seit kaum einer Stunde fort und ist so schlecht gebaut, daß er nur langsam fortkommt.“

„Glücklicherweise steht mir eine Schnelljacht zur Verfügung.“

„So eilen Sie! Allah ist groß. Wer eine Jacht braucht, dem gibt er eine. Sein Name sei gepriesen.“

Nach Verlauf von nicht viel über einer Stunde befanden sich alle an Bord: der Lord mit seinen Leuten, Steinbach, Normann, Wallert, Tschita mit der Stummen, Nena und der Arabadschi. Die kleine Jacht stieß vom Land und dampfte den Nilarm vollends hinab, in die See hinaus.

Zunächst ging die Fahrt langsam, weil das Fahrwasser hier sehr gefährlich ist. Dann aber, als offene See vor dem Kiel lag, ließ der Lord vollen Dampf geben. Das kleine Fahrzeug legte sich jetzt leicht zur Seite und schoß wie eine Schwalbe durch die Flut. Der Steuermann hatte die Seekarte vor sich liegen, auf der die Kurse genau verzeichnet waren. Er brauchte sich nur nach ihr zu richten und den Kurs auf Kandia einzuhalten. Kurz nach Mittag tauchte vor ihnen ein großer Dampfer auf. Als sie sich ihm näherten, sahen sie hinten an seinem Stern in großen goldenen Buchstaben den Namen ‚La bouteuse‘.

„Wir haben ihn!“ sagte Steinbach erleichtert. „Steuermann, halten Sie Seite an Seite!“

Der Steuermann gehorchte diesem Befehl, und bald dampfte die Jacht hart neben dem Dampfer her. Der Kapitän des letzteren stand auf der Kommandobrücke, blickte höhnisch auf die Jacht herab und fragte zu derselben hinüber:

„Fahrzeug ahoi! Woher?“

„Rosette“, antwortete Steinbach.

„Wohin?“

„Zur ‚Bouteuse‘.“

„Zu mir? Was wollt ihr?“

„An Bord. Ich bitte, beizudrehen.“

„Was habt ihr an Bord zu tun?“

„Flüchtlinge suchen.“

„Die sind da.“

„So bitte ich um die Auslieferung derselben.“

„Verrückte Idee! Ihr seid ein Deutscher?“

„Ja.“

„Gut, so macht, daß Ihr mir von der Seite kommt, sonst mache ich eine Wendung und dampfe Euch auf den Grund!“

„Verdammter Franzose!“ fluchte der Lord. „Was ist zu tun, Mister Steinbach?“

„Er braucht uns die Leute allerdings auf offener See nicht auszuliefern; aber wir brauchen ja nur in seinem Fahrwasser zu bleiben. Auf Kandia legt er an; da befindet er sich also in einem Hafen, und dort muß er der Polizei gehorchen.“

„Gut, bleiben wir also in seinem Wasser!“

„Nur nicht zu nahe“, meinte der Steuermann. „Dieser Kerl ist sonst imstande, Rückdampf zu geben und uns in Grund zu bohren, wie er gedroht hat.“

„Ich glaube gar, da oben auf Deck stehen sie!“ meinte der Lord.

Und es war auch so. An dem Schiffsgeländer lehnten der Graf und der Pascha und winkten hohnlachend mit ihren Tüchern herab.

„Recht so!“ rief ihnen der Kapitän zu. „Jetzt sind die Affen an der Quelle und dürfen doch nicht saufen. Das gibt mir ganz besonderen Spaß, weil dieser Steinbach, von dem Sie mir erzählt haben, so ein verdammter Deutscher ist.“

„Aber Kapitän, der Kerl ist kein Dummer! Er ist klug und wird uns auf der Ferse bleiben, bis wir einen Hafen erreichen, und dann sind Sie gezwungen, uns auszuliefern.“

„Pah! Der Kerl denkt, ich fahre nach Kandia, was freilich auch der Fall ist. Aber wenn Sie noch fünfhundert Franken bezahlen, so kommt es mir auf einen Umweg nicht an.“

„Die fünfhundert sollen Sie haben, natürlich aber erst dann, wenn wir in Sicherheit sind.“

„Versteht sich! Ein Franzose verkauft niemandem die Katze im Sack.“

„Wohin werden Sie uns da bringen?“

„Ich warte, bis es dunkel ist, und mache dann eine Schwenkung nach Nord, die dieser Deutsche nicht bemerken kann, weil er sich hüten muß, ganz nahe an uns heranzukommen. Darauf bringe ich sie nach Rhodos, von wo es ihnen freisteht, sich dahin zu wenden, wohin es ihnen beliebt. Der Deutsche mag sich nur die Augen aussuchen, ich habe nichts dagegen. Und begegne ich ihm später, so werde ich ihm eine Nase machen, die länger als mein Bugspriet sein soll.“

Der französische Kapitän aber hatte seine Rechnung ohne Steinbach gemacht. Dieser lehnte an der Brüstung der Jacht und behielt das Frachtschiff scharf im Auge; er sagte sich, daß der Franzose es als eine Ehrensache betrachten werde, die Passagiere nicht auszuliefern. Da er nun, falls er in Kandia anlegte, nichts gegen die Ergreifung derselben tun konnte, so lag für Steinbach der Gedanke nahe, daß der Franzose lieber gar nicht nach dieser Insel gehen, sondern das Dunkel der Nacht benutzen werde, um die Passagiere an einem anderen, sicheren Ort abzusetzen.

Der Steuermann hielt die Jacht jetzt in ziemlicher Distanz von dem Dampfer und folgte diesem in ganz gleicher Schnelligkeit. Jetzt befahl Steinbach einen der Matrosen an die Logleine, um die Schnelligkeit zu messen, in der sich die beiden Dampfer fortbewegten. Es stellte sich heraus, daß sie nur zwölf Seemeilen in der Stunde zurücklegten; da nun die Entfernung zwischen Rosette und Kandia ungefähr dreihundert Seemeilen beträgt, so waren seit der Abfahrt fünfundzwanzig Stunden erforderlich, um den letzteren Ort zu erreichen. Behielt man die gegenwärtige Schnelligkeit bei, so war man also ungefähr morgen um die Mittagszeit in Kandia.

Da aber verminderte der Franzose plötzlich seine Schnelligkeit um neun Knoten; das war höchst auffällig. Steinbach ging zum Steuermann, um ihn auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Derselbe meinte kopfschüttelnd:

„Unbegreiflich! Bei dieser Langsamkeit kommt der Franzose erst morgen des Nachts nach Kandia, und das kann er doch nicht beabsichtigen.“

„Nein, das beabsichtigt er jedenfalls nicht. Ich meine vielmehr, er will uns eine Nase drehen. Er fährt langsamer, um nicht zu weit nach West zu kommen und seine Passagiere heute während der Nacht an einem östlichen Ort auszuschiffen, vielleicht also in Rhodos oder auch auf Karpathos.“

„Richtig, richtig so wird es sein! Es gibt gar keinen anderen Grund für ihn, seine Schnelligkeit zu vermindern. Aber ich werde ihm ein Schnippchen schlagen.“

„Inwiefern?“

„Ich dampfe ihm voraus, damit er denkt wir gehen schnell nach Kandia, um ihn dort zu erwarten und abzufangen; aber ich entferne mich nur so weit von ihm, daß ich ihn im Auge behalten kann, während er uns nicht mehr sieht, da unsere Jacht zu klein ist. Er wird dann sofort den Kurs ändern, und wir folgen ihm, er mag fahren, wohin er will.“

Dieser Plan hatte natürlich Steinbachs volle Zustimmung und er zeigte sich auch bald als sehr gut ausgedacht, denn kaum war die Jacht im Westen verschwunden, so ließ der Franzose nach Norden halten, gerade auf Rhodos zu. Er ahnte nicht, daß er von Steinbach beobachtet sei und nun von demselben aus sicherer Ferne verfolgt werde.

Nach Rhodos von Rosette sind es zweihundertundachtzig Seemeilen, und da der Franzose jetzt wieder vollen Dampf gab und nun sechzehn Meilen in der Stunde machte, so ließ sich erwarten, daß er bei Anbruch des Morgens die erwähnte Insel erreichen werde.

Diese Berechnung erwies sich als richtig. Als die Nacht vergangen war und der Tag anbrach, sahen sie vor sich die Bergkuppen von Rhodos auftauchen; links aber lag der langgestreckte Karpathos.

„Da haben wir unser Ziel“, sagte der Kapitän zu dem Russen und dem Pascha, die bei ihm standen. „Dieser Deutsche soll sich totärgern, wenn er bemerkt, wie ich ihn überlistet habe!“

Fast gerade im Kurs lag ein Fischerboot in See, das das Segel fallen gelassen hatte und nun sich mit den Netzen von den Wellen treiben ließ. Drei Männer saßen darin. Der Franzose war doch kein Dummkopf. Er dachte daran, daß doch vielleicht irgendein Schiff im Hafen von Rhodos liegen könne, von dem Steinbach beim zufälligen Zusammentreffen erfahren werde, wo die von ihm Gesuchten abgesetzt worden seien. Er ließ daher stoppen und fragte die Fischer, was für Schiffe im Hafen seien.

„Nur türkische und griechische Segler“, lautete die Antwort, „außer einer englischen Dampfjacht, die vor anderthalb Stunden hier vorüberkam.“

„Wie hieß sie?“

„Lord Eaglenest.“

„Donnerwetter!“ wandte sich der Kapitän zu den beiden Passagieren. „Dieser verdammte Steinbach hat uns durchschaut und ist uns vorangedampft.“

„Was tun wir da? Wieder umkehren?“

„Nein. Er würde es merken und uns wieder folgen. Er hat uns noch nicht gesehen. Ich fahre nach Karpathos und setze euch dort ab, wo ihr in größter Sicherheit eine weitere Gelegenheit abwarten könnt. Dann dampfe ich nach Rhodos und kehre, sobald ich ihn sehe, um, als ob ich fliehen wolle. Er wird schnell hinter mir her sein, und ich beschäftige ihn solange, bis ihr in Sicherheit seid. Vor allem aber müßt ihr diesen Fischern ein Geschenk geben, damit sie nicht verraten, daß wir hier gewesen sind.“

Auf einen Zuruf kam einer der Fischer auf dem kleinen Nachen, den sie anhängen hatten, herbei und erhielt seine Instruktion nebst dem Trinkgeld. Dann hielt der Franzose nach Karpathos hinüber, hinter dessen Vorgebirge er verschwand, um erst nach zwei Stunden wieder zu erscheinen und nun auf Rhodos zuzuhalten. Kaum war der Hafen der Stadt in Sicht und der Franzose im Begriff, in denselben einzulaufen, so erschien die Jacht des Lords, deren Insassen nun ihres Fanges sicher zu sein wähnten. Aber der Franzose wandte sofort um und dampfte wieder zum Hafen hinaus, sich das Ansehen gebend, als ob er vor der Jacht die Flucht ergreife.

„Alle Teufel!“ rief der Lord. „Er geht uns wieder aus dem Garn! Was ist da zu tun?“

„Unangenehm, höchst unangenehm!“ meinte Steinbach. „Wenn der Hafen nicht so klein wäre, hätten wir uns verstecken können, bis er die Anker niedergelassen hätte, dann konnte er nicht wieder fort. Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig als ihm abermals zu folgen.“

Also begann die Fahrt in westlicher Richtung von neuem. Steinbach ahnte nicht, daß diejenigen, die er ergreifen wollte, bereits den Franzosen verlassen hatten. Er folgte diesem an Karpathos vorüber auf dem Kurs nach Kandia. Auf offener See war nichts zu tun, man mußte warten, bis der Franzose in einen Hafen einlief.

So verging der ganze Tag. Als der Abend herangekommen war, stoppte der Franzose die Maschine und drehte bei, die Jacht ganz nahe herankommen lassend.

Nach einer kurzen Beratung bat Steinbach, die kleine Jolle auszusetzen und ihn hinüber nach dem Franzosen zu rudern. Der Kapitän desselben ließ auf Anrufen die Falltreppe nieder und empfing ihn nebst Wallert und Normann mit übermäßiger, aber auch ironischer Höflichkeit.

Steinbach erklärte, wen er suche, und erhielt darauf die Erlaubnis, alle Räume des Schiffes zu durchforschen und die Gesuchten, falls er sie finde, in Gottes Namen mitzunehmen.

Diese Untersuchung nahm weit über eine Stunde in Anspruch. Nach Verlauf derselben hatte Steinbach die Überzeugung daß die Betreffenden nicht mehr an Bord seien. Sie waren also irgendwo ans Land gesetzt worden. Zuletzt befand er sich im Kohlenraum. Einer der Maschinisten führte ihn. Dieser hatte sich bisher ganz schweigsam verhalten, jetzt aber sagte er, indem er sich umblickte, um sich zu überzeugen, daß er nicht von anderen gehört werde.

„Monsieur, Sie sind betrogen worden. Auch ich bin ein Franzose und liebe die Deutschen nicht, aber ich befand mich vor längerer Zeit zu Besuch in Deutschland und habe da eine so freundliche Aufnahme gefunden, daß ich aus Dankbarkeit dafür Ihnen mitteilen will, daß die Personen, die Sie suchen, auf Karpathos ausgestiegen sind. Sie werden sie in dem Dorf Arkassa finden, das im südlichen Teil der Westküste dieser Insel liegt. Aber ich bitte Sie dringlichst, mich nicht zu verraten!“

Steinbach streckte ihm die Hand entgegen und sagte:

„Nehmen Sie meinen Dank, Monsieur! Nachdem ich mich überzeugt habe, daß die Personen nicht mehr an Bord sind, konnte ich auch ohne Ihre Mitteilung mit Sicherheit erwarten, daß sie nur auf Karpathos oder Kaso ans Land gesetzt worden seien. Hoffentlich komme ich nicht zu spät dorthin.“

Er verließ darauf mit den Gefährten das Schiff. Der Franzose aber lachte laut und höhnisch hinter ihm her, doch als er sah, daß die Jacht sofort wandte und mit Volldampf zurückging, sagte er ärgerlich:

„Verdammter Kerl! Er behält die Nase fest auf der Fährte! Ich will nicht hoffen, daß er sein Wild doch noch erwischt!“

Der Franzose hatte allerdings recht, einem Mann, wie Steinbach, zuzutrauen, daß er trotz aller ihm von dem Russen und Ibrahim Pascha bereiteten Schwierigkeiten diesen Schurken dennoch ihre Beute abjagen und sich Gökala, die geraubte Geliebte, zurückerobern würde. Ja, auch Steinbach sollte, wie wir später sehen werden, noch jenes Glück finden, das schon in kürzester Zeit Hilal und Hiluja, Tarik und Badija, der Königin der Wüste, beschieden war, die gleich nachdem Hilal, mit Geschenken und Ehren überhäuft, von Kairo zurückgekehrt war, im Lager der Beni Sallah eine glänzende Doppelhochzeit feierten.

51 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 03 - Jagd durch die Prärie
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