ERSTES KAPITEL

Mädchenraub

Die Sonne begann tiefer und tiefer zu sinken. Als die größte Hitze vorüber war, verließen die Beni Abbas ihre Zelte, um ihre Arbeit fortzusetzen. Sie waren dabei so fleißig daß auf dem Kampfplatz bald nur noch erschlagene Feinde zu sehen waren. Die Verwundeten und Gefangenen waren gefesselt und wurden in einigen Zelten bewacht. Die reiche Beute lag, insoweit, als sie aus Sachen bestand, auf einem Haufen in der Nähe der Ruine, die Tiere hatte man ebenda zusammengetrieben.

Jetzt wurden mehrere Feuer angezündet, von denen bald der Geruch des Bratens in die Höhe stieg, und es bildeten sich Gruppen von Weibern, Greisen und Kindern, die um die vollen Lagmi-Gefäße saßen. Das Fleisch wurde verteilt, und die Zungen wurden lauter und lauter.

So ging es fort, bis die Sonne niedersank und das Abendgebet das Mahl unterbrach. Als es dann dunkel geworden, waren die Krüge geleert und das Fleisch verzehrt. Der Muezzin bestieg die Ruinen abermals und forderte die Gesättigten auf, Allah für seine Güte zu preisen und sich dann zur Ruhe zu legen.

Das geschah. Zwei Stunden nach Sonnenuntergang, bereits waren die Feuer verlöscht, und es herrschte tiefe Stille im Zeltdorf.

Aber noch war die Zeit nicht gekommen. Die drei Verschworenen warteten also noch zwei Stunden, dann aber setzten sie sich leise und vorsichtig gegen das Lager in Bewegung, erst gehend, darauf aber, als sie in die Nähe des ersten Zeltes gekommen waren, in kriechender Haltung.

Es war Nacht, aber die Sterne leuchteten in südlicher Pracht vom Firmament herab, und so konnte man auf eine leidliche Entfernung hin jeden nicht gar zu kleinen Gegenstand wahrnehmen.

Lieber würde es den dreien wohl gewesen sein, wenn es ganz dunkel gewesen wäre. Die Gefahr, entdeckt zu werden, war ja groß. Sie krochen am Boden hin, am ersten Zelt vorüber. Im Innern desselben ertönte ein lautes Schnarchen. Das war ein gutes Zeichen. Wenn alle so fest schliefen wie dieser Schnarcher, so mußte das gewagte Unternehmen gelingen!

Kein einziger Mensch ließ sich zwischen den Zelten sehen, wenigstens auf dieser Seite der Ruine, und so gelangten sie glücklich bis nahe an letztere heran, wo die Reitkamele standen.

Die Tiere lagen am Boden und kauten ruhig wieder. Kein Wächter befand sich bei ihnen. In ihrer Nähe hingen die Sättel an Pfählen, und auch ein geräumiger Tachterwahn lag am Boden.

Ein Tachterwahn ist ein Sattel, auf dem ein viereckiges, oben verdecktes und an den vier Seiten mit Vorhängen versehenes Gestell befestigt ist, in dessen Inneren die Frauen während der Reise zu sitzen pflegen.

„Da ist ja alles beisammen“, sagte der Graf leise. „Nur Wasser und Datteln fehlen.“

„Die werden wir in der Ruine finden“, tröstete der Suef.

„Satteln wir sogleich!“

„Werden die Tiere nicht laut werden?“

Die Kamele haben nämlich die Gewohnheit, ganz kläglich zu brüllen, wenn ihnen eine Last aufgelegt wird. Das konnte gefährlich werden.

„Sie werden schweigen, wenn ich ihnen die Halfter enger mache“, antwortete der Suef.

Er drehte dann fünf Kamelen die Halfter zu, so daß sie die Mäuler nicht öffnen konnten, also durch die Nüstern Atem holen mußten, und sagte:

„Jetzt drei Männersättel! Wir haben zuerst für uns zu sorgen!“

Das geschah. Dann wurde dem vierten Tier ein Packsattel aufgeschnallt. Das ging sehr schnell und in aller Ruhe ab. Die einzige Schwierigkeit lag darin, die Kamele vor Auflegung des Sattels auf- und dann wieder niederzubringen.

Das fünfte erhielt den Tachterwahn, dessen Befestigung schwieriger war. Beide, der Russe und der Pascha, verstanden von dieser Art des Sattelns nichts. Der Suef mußte alles allein machen, und da es mit der größten Sorgfalt geschehen mußte, so ging dabei sehr viel Zeit verloren. Nicht der kleinste Gurt oder Strick durfte reißen, sonst wäre der schnelle nächtliche Ritt unterbrochen worden, und eine einzige Minute Aufenthalt konnte verderblich werden.

Endlich lag auch dieses Kamel gesattelt am Boden.

„Nun in die Ruine!“ flüsterte Suef.

„Alle drei?“ fragte der Graf.

„Ja.“

„Soll nicht einer als Wächter hier bleiben? Es könnte doch jemand kommen.“

„So bringt der Wächter auch keinen Nutzen. Einen lauten Warnungsruf darf er ja nicht ausstoßen, weil er dadurch die Feinde erst recht auf die anderen beiden aufmerksam machen würde. Überdies brauchen wir sechs Arme und nicht nur vier. Kommt also!“

Sie streckten sich wieder auf die Erde nieder und krochen nach der Treppe zu. In der Nähe derselben traten die Zelte enger zusammen; es gab deren da also mehr als anderwärts. Da war doppelte Vorsicht nötig. Laute Atemzüge, die sie hörten, hier und da auch ein mehr oder weniger lautes Schnarchen gaben ihnen aber den Beweis, daß die Bewohner im Schlaf lagen.

Jetzt waren sie nur noch wenige Schritte von den Stufen entfernt; da flüsterte der Suef, der vorankroch, in warnender Weise seinen Begleitern leise zu:

„Nehmt euch hier in acht, da wohnt Kalaf, der Alte, der oft an Schlaflosigkeit leidet!“

Es zeigte sich, daß diese Warnung keineswegs überflüssig war. Sie kamen zwar glücklich an dem Zelt vorüber, aber eben als sie im Schatten der Treppe angelangt waren, wurde der Eingang des Zelts von innen geöffnet, und der Alte trat heraus und blickte sich um. Der Suef wußte, daß jetzt ein höchst kritischer Augenblick gekommen sei. Wenn Kalaf näher kam und die drei bemerkte, so mußte er aus dem Umstand, daß sie platt am Boden lagen und sich also zu verbergen suchten, Verdacht schöpfen. In diesem Fall machte er ganz gewiß Lärm.

Was war zu tun? Ihn töten? Konnte das in der Weise geschehen, daß es ihm dabei unmöglich wurde, einen Laut auszustoßen? Keiner von den dreien hielt dies für möglich; keiner von ihnen war ein Steinbach.

„Ich werde mit ihm sprechen“, flüsterte der Suef.

„Bist du verrückt!“ entgegnete der Graf.

„Nein. Es ist das beste.“

„Er wird dich erkennen!“

„Schwerlich. Unter den Beni Abbas befindet sich einer, der sehr stotternd spricht. Ich werde seine Sprache nachahmen. Gelingt es nicht, nun, so müssen wir eben alles wagen und den alten Kerl niederstechen.“

„Er wird schreien.“

„Das vermeiden wir. Ihr packt ihn sofort bei der Kehle, und ich stoße ihm das Messer in das Herz. Also bleibt ihr nur ruhig liegen!“

Während Ibrahim Pascha und der Russe sich so eng wie möglich an die unterste Treppenstufe schmiegten, lehnte der Suef sich aufrecht an einen der Steinpfosten, die zu beiden Seiten der Treppe standen. Seine Gestalt stach von dem Stein ab und mußte also notwendigerweise bemerkt werden.

Kalaf war langsam rund um sein Zelt gegangen. Als er jetzt wieder nach vorn kam, erblickte er den Suef. Stehenbleibend, fragte er:

„Was tust du hier?“

„Ich ha – ha – halte Wa – wa – wa – wache“, antwortete der Gefragte.

„Wer hat dir das geboten?“

„U – u – u – unser – Sche – Sche – Schei – Scheik.“

„Ah, du bist es, Ilaf?“

„Ja.“

„Recht so! Hast du nichts Auffälliges gehört?“

„Nein.“

„Ich konnte nicht schlafen, und da war es mir, als ob ich ein leises Rauschen des Sandes vernommen hätte. Es war ganz so, als ob jemand am Boden krieche.“

„Das wa – wa – war i – i – ich.“

„Bist du denn gekrochen?“

„Nein. Ich bi – bi – bin gela – la – laufen, ein Stückchen hi – hi – hin und ein Stückchen wie – wie – wieder he – he – her.“

„So. Dann bin ich beruhigt. Wie steht es in der Ruine, schläft die Königin?“

„Sie ist noch mu – mu – munter.“

Der Suef glaubte, Grund zu haben, diese Antwort zu geben und keine andere. War die Königin nämlich noch wach, so befand sie sich jedenfalls mehr in Sicherheit, als wenn sie geschlafen hätte. Im Schlaf konnte ihr leichter ein Unfall geschehen als im Wachen.

„Die Freude über unseren Sieg wird sie, ganz so wie mich, nicht schlafen lassen. Na, tue deine Pflicht!“ sagte der Alte. „Es kann zwar von einem Feind keine Rede mehr sein, aber Vorsicht ist stets besser als das Gegenteil. Allah erhalte deine Augen munter!“

„Und dich la – la – lasse er schla – la – lafen!“

Kalaf kehrte in sein Zelt zurück.

„Gott sei Dank!“ flüsterte der Pascha. „Das war sehr viel gewagt.“

„Und mir wurde bereits angst“, meinte der Graf. „Machen wir, daß wir schnell hinaufkommen!“

„Nein, bleiben wir noch!“ entgegnete der Suef.

„Warum? Oben sind wir jedenfalls sicherer.“

„O nein. Der Alte könnte doch Unrat wittern. Wenn es ihm einfallen sollte, noch einmal herauszukommen, und ich stehe nicht hier, so faßt er wohl gar Verdacht und forscht so lange nach, bis er uns findet.“

„Du kannst aber doch nicht solange hier stehen bleiben, bis der Morgen anbricht!“

„Nur solange, bis er ruhig liegt. Warten wir!“

Sie verhielten sich nun wohl eine Viertelstunde lang ruhig. Dann meinte der Suef, daß es Zeit sei, sich an das Werk zu machen, da Kalaf nun wohl nicht noch einmal herauskommen werde.

Jetzt stiegen sie leise die Stufen hinan. Oben gab es, wie sie bemerkten, keinen Wächter. Sie zogen ihre Messer und drangen in das Innere der Ruine ein. Sie mußten, wie bereits erwähnt, erst einen Gang passieren, in dem es bereits am Tag dunkel war. Als sie eine Strecke gegangen waren, glänzte ihnen ein matter Lichtschein entgegen.

Keiner von den dreien war schon einmal in dem Inneren der Ruine gewesen. Sie kannten also die Örtlichkeit gar nicht und blieben daher stehen.

„Ob wir schon jetzt dahin kommen, wo sie schlafen?“ meinte der Suef.

„Möglich“, antwortete der Pascha. „Aber wir müssen uns vor Said in acht nehmen.“

„Warum? Wer ist dieser Said?“

„Er war mein Arabadschi in Konstantinopel. Dort hat er Zykyma sehr oft ausgefahren. Er ist ein Verräter, ihr mehr ergeben als mir. Hier ist er zu ihr übergelaufen. Ich glaube, er wacht für sie. Wenn er uns bemerkt, ist alles verloren.“

„Ist er stark?“

„O nein. Er ist ja noch ein halber Knabe.“

„So wird mein Messer mit ihm sprechen, wenn er es wagen sollte, uns entgegenzutreten. Gefährlicher ist uns der alte Scheik der Beni Abbas.“

„Denkst du, daß dieser sich etwa hier in der Ruine befindet?“

„Es ist möglich.“

„Er hat ja sein Zelt!“

„Jetzt ist er der Beschützer der Frauen. Da kann er sehr leicht auf den Gedanken gekommen sein, in ihrer Nähe zu schlafen. Gehen wir langsam und sehr vorsichtig weiter.“

Sie setzten ihren Weg fort. Der Lichtschein wurde, je weiter sie kamen, desto heller. Der Gang war endlich zu Ende. Der Suef lauschte in das Zimmer hinein.

„Kein Mensch da“, berichtete er leise, „nur das Licht brennt.“

„Hast du dich genau überzeugt? In die Ecken gesehen?“

„Ja.“

„Dann hinein!“

In der Mitte des Zimmers stand die Lampe, ein Tongefäß, in dem ein Docht im Palmöl brannte.

Es war dasselbe Gemach, in dem am Tag der Riese mit der Königin und dann mit der alten Haluja gerungen hatte. Geradeaus führte der Gang nach der Treppe, auf der man zur Zinne stieg. Links öffnete sich der Eingang zu mehreren Wohnräumen.

„Wohin wenden wir uns?“ fragte der Pascha.

„Ich weiß es auch nicht. Lauschen wir zunächst da links hinein“, antwortete der Suef.

„Man wird uns aber sofort sehen, da uns das Licht bescheint.“

„Das schaffen wir natürlich einstweilen beiseite.“

Der Suef nahm hierauf die Lampe und stellte sie in den Gang zurück, aus dem sie gekommen waren. Dann näherten sie sich unhörbaren Schrittes der Türöffnung zur linken Hand, die jedoch durch keine Tür verschlossen war. Dort standen sie, um zu lauschen, still. Bald hörten sie regelmäßige, leise Atemzüge.

„Hier schlafen mehrere“, meinte der Suef.

„Ob sie auch wirklich schlafen?“ mahnte der Pascha.

„Probieren wir einmal!“

„Wie denn?“

„So!“

Der Suef räusperte sich, nicht laut zwar, aber auch nicht so leise, daß es nicht aufgefallen wäre. Der Pascha ergriff ihn am Arme.

„Um Allahs willen! Leise, leise! Du wirst uns verraten!“

„Das will ich ja! Horch!“

Es war nichts zu hören, als nur die Atemzüge.

„Dachte es mir! Sie schlafen fest. Will es aber lieber noch einmal versuchen.“

Er räusperte sich abermals, doch auch jetzt machte sich keine Bewegung in dem vor ihnen liegenden Raum bemerklich.

„Wir sind sicher. Holen wir das Licht!“

Der Suef ging und brachte die Lampe. Sie traten ganz vorsichtig ein. Zu ihrer Freude fanden sie alle, die sie suchten, beisammen, sogar eine Person mehr.

Vor ihnen lagen die beiden Schwestern, Badija und Hiluja, nebeneinander auf weichen Polstern, einige Kissen unter ihren Köpfen und mit reichen Teppichen zugedeckt. Rechts von ihnen ruhte Zykyma in ebenderselben Weise, und links, in der Ecke, hatte sich die alte arabische Dienerin niedergelegt. Der Schein der Lampe übte keine Wirkung auf die geschlossenen Augen der Schläferinnen, die ahnungslos weiterschliefen.

„Da haben wir sie! Allah sei Dank!“ sagte der Suef flüsternd.

„Aber wie machen wir es?“

„Draußen im vorderen Zimmer lagen Stricke!“

„Ja. Und dort in der Ecke hängen Tücher und Kleider. Das paßt. Wir müssen sie natürlich knebeln, damit sie nicht reden oder gar schreien können.“

„Wir wollen zunächst Zykyma unschädlich machen“, mahnte der Pascha.

„Warum?“

„Sie ist ein ganz gefährliches Subjekt. Sie hat einen vergifteten Dolch.“

„Allah!“

„Wenn sie mit der Spitze desselben jemand nur ganz leicht in die Haut ritzt, ist er in einigen Sekunden eine Leiche.“

„Die heiligen Kalifen mögen mich behüten! Und du hast ihr diesen Dolch gelassen?“

„Ich habe ihn ihr einmal abgenommen, aber sie hat ihn wiederbekommen.“

„Das war sehr unvorsichtig von dir!“

„Ich weiß nicht, wie sie sich wieder in seinen Besitz gesetzt hat. Jetzt glaube ich, dieser verdammte Said hat ihn ihr wieder verschafft. Wenn wir ihr Zeit lassen, den Dolch zu ergreifen, so wird unser ganzer Plan zuschanden.“

„Noch nicht!“

„O doch. Und dann wird sie auch die beiden anderen beschützen.“

„Hätte sie den Mut dazu?“

„Oh, die hat alle tausend Teufel im Leib. Sie hat bereits sich selbst und andere gegen mich verteidigt.“

„So müssen wir freilich sie zuerst unschädlich machen. Holen wir die Stricke!“

„Aber die alte Haluja! Was tun wir mit ihr?“

„Mitnehmen können wir sie nicht.“

„Nein. Wir erstechen sie ganz einfach.“

„Das ist nicht nötig. Binden und knebeln wir sie. Da ist sie unschädlich.“

Die Männer traten hierauf in den vorderen Raum zurück, um die erwähnten Stricke zu holen. Da sagte der Suef:

„Zuerst nehmen wir also Zykyma. Das muß aber so schnell gehen, daß sie gefesselt und geknebelt ist, ehe die anderen erwachen.“

„Aber wenn sie dann schreien?“

„Wir müssen eben sehr schnell machen, so daß sie gar nicht zum Schreien kommen. Übrigens drohen wir ihnen mit unseren Messern. Die Angst, ermordet zu werden, wird ihnen den Mund verschließen. Kommt! Wir dürfen keine Zeit verlieren.“

Sie schlichen wieder hinein. Der Suef holte eins der erwähnten Tücher aus der Ecke. Die beiden anderen aber nahmen jeder einen Strick, und dann knieten sie neben Zykyma nieder.

„Jetzt! Rasch!“ flüsterte der Suef, ballte das Tuch zusammen und erhob die Hand, den Augenblick erwartend, in dem sie den Mund öffnen werde.

Der Pascha fuhr ihr indessen mit dem Strick unter dem Leib hinweg, der Graf mit dem seinigen unter den Beinen. Zykyma erwachte nicht ganz. Sie mochte träumen und bewegte sich, um ganz unwillkürlich im Schlaf den Angriff abzuwehren. Dabei holte sie sehr tief Atem, wobei sie den Mund öffnete. Sofort stieß ihr der Suef den Knebel hinein. In demselben Augenblick hatten die beiden anderen ihr die Stricke um Leib, Arme und Beine geschlungen und fest verknotet.

Sie erwachte. Sie öffnete die Augen. Sie sah die drei Männer und wollte schreien – aber es ging nicht. In ihren Augen lag die größte Angst, der entsetzlichste Schreck. Sie wollte sich bewegen und vermochte es nicht – sie war gefangen.

„Jetzt zu der Alten!“ flüsterte der Suef, der den Anführer machte. Er, der halbwilde Beduine, war dazu geeigneter als der Graf und der Pascha, obgleich beide eine nicht geringe Quantität Gewalttätigkeit und Gewissenlosigkeit besaßen.

Jetzt wurde ein anderes Tuch genommen; andere Stricke waren bereit. Und dann knieten die drei vor der Araberin nieder, um bei ihr ganz dieselbe Prozedur in Anwendung zu bringen.

Alte Leute pflegen leiser zu schlafen als junge. Kaum wurde die Dienerin nur leise berührt, so erwachte sie auch. Ihr Blick fiel auf die Angreifer, und sofort war ihr die Situation klar.

„Hil –!“

Sie wollte um Hilfe rufen, aber sie konnte das Wort nicht ganz aussprechen, denn der Suef stieß ihr das Tuch in den Mund, und zu gleicher Zeit wurde sie von den Stricken umschlungen. Ihre Überwältigung hatte kaum eine halbe Minute in Anspruch genommen.

Aber, obgleich sie ihren Ruf nicht vollständig hatte ausstoßen können, war er doch laut und genügend gewesen, die Schwestern zu wecken. Diese öffneten erschrocken die Augen, erblickten die drei Männer und sprangen von ihrem Lager auf.

Letzteres konnte geschehen, ohne die Schamhaftigkeit zu verletzen, da man in jenen Gegenden nicht wie bei uns in Betten schläft und also auch nicht gewöhnt ist, sich zu entkleiden.

Im Nu hatten die drei ihre Messer in den Händen und stellten sich vor den Ausgang, so daß eine Flucht unmöglich war.

„O Allah! Der Suef!“ rief die Königin.

Daß sie dies so laut ausrief, hatte nichts zu bedeuten. Das Zimmer lag so tief in dem dicken Gemäuer, daß man den Ruf draußen ganz gewiß nicht hören konnte.

„Ja, der Suef!“ antwortete dieser. „Aber nicht allein. Ich habe gute Freunde mit. Hoffentlich sind wir dir willkommen!“

„Was willst du?“

„Dich!“

„Mich? Was verlangst du von mir?“

„Von dir? Oh, von euch verlangen wir nichts, gar nichts. Euch selbst aber wollen wir haben.“

Badija starrte mit angstvollen Augen von einem zum andern. Sie konnte sich nicht sogleich in ihre Lage finden.

„Uns selbst? Was wollt ihr von uns?“

„Das werdet ihr sehen. Ihr werdet jetzt ein wenig mit uns spazierenreiten.“

„Wohin?“

„An einen Ort, wo es euch sehr gut gefallen wird. Unsere Liebe wird euch überhaupt einen jeden Ort zum Paradies machen.“

Jetzt wußte Badija, was er wollte. Der Schreck hinderte sie, weiterzusprechen. Ihre Schwester Hiluja war geistesgegenwärtiger. Sie erkannte, daß zwei Frauen gegen die drei bewaffneten Männer nichts vermochten. Aber vielleicht gab es doch noch Hilfe. Said, der treue Arabadschi, hatte, ehe sie sich zur Ruhe legten, ihnen gesagt, daß er als ihr Wächter im vorderen Zimmer schlafen werde. An ihn dachte sie jetzt. Aber sie berücksichtigte nicht, daß die drei Eindringlinge, um in das Frauengemach kommen zu können, diese vordere Stube zuvor passiert haben mußten, und daß der Arabadschi, wenn er sich dort befunden hatte, also jedenfalls von ihnen unschädlich gemacht worden war.

„Said! Hilfe, Hilfe!“ rief sie laut.

In demselben Augenblick aber ergriff der Suef ihren Arm, zückte sein Messer und drohte:

„Noch ein Wort, und ich ersteche dich!“

„O Allah!“ klagte sie, natürlich aber nun mit gesunkener Stimme. „Wo ist Said?“

„Ah! Dieser Kerl sollte hier sein?“

Hiluja deutete mit der Hand nach dem vorderen Raum. Sie überlegte in ihrer Aufregung gar nicht, daß es besser gewesen wäre, gar keine Antwort zu geben.

„Sollte er euch bewachen?“

„Ja.“

„Verdammt! Nun, ihr seht, daß ihr euch da auf einen sehr guten Beschützer verlassen habt. Er ist vielleicht davongegangen, um irgendein hübsches Mädchen der Beni Sallah aufzusuchen. Nun kost er mit ihr und denkt nicht an euch. Allah lasse ihn alle Freuden der Liebe finden, damit er nicht auf den Gedanken kommt, jetzt schon zurückzukehren. Es würde ihm ganz so wie euch ergehen!“

„Nein, noch schlimmer!“ bemerkte der Pascha. „Es würde sein sicherer Tod sein. Er hat mich verlassen, mich verraten. Er mag mir ja nicht begegnen. Er müßte auf der Stelle sterben.“

„Besser so, ja, so bist du ihn los. Jetzt aber, Königin, hoffe ich, daß du dich in dein Schicksal ergibst. Wir haben keine Zeit zu langen Unterhandlungen.“

„So sagt, was ihr wollt!“

„Ich habe es dir bereits gesagt. Wir wollen euch. Ihr sollt mit uns reiten.“

„Das werden wir nicht tun.“

„Wirklich nicht?“

Der Pascha lächelte dabei, aber das war das Lächeln eines Henkers, der sich freut, sein Werk ausführen zu können.

„Nein!“ antwortete sie.

„Nun, ganz wie du willst! Du hast die Wahl. Siehe dir dieses Messer an! Es ist spitz und scharf. Wähle zwischen ihm und dem Gehorsam!“

„Willst du uns töten?“

„Ja, ganz gewiß, wenn ihr nicht gehorcht.“

Mit diesen Worten trat er näher an sie heran, erhob die Hand, in der er das Messer hielt, und fuhr fort:

„Also entscheide! Fügst du dich?“

„Nein“, antwortete sie furchtlos.

Der Suef holte aus.

„Stich zu!“ sagte sie trotzig, ihm fest in die Augen blickend.

Da zögerte er doch. Er war allerdings ein Bösewicht, besaß aber doch nicht den vollen Mut zur Tat, mit der er ihr gedroht hatte.

„Nun? Fürchtest du dich?“

„Fürchten? Was fällt dir ein?“

„So stich doch!“

„Das kannst du nicht wollen. Es ist nicht unsere Absicht, dich zu töten.“

„Und es ist nicht meine Absicht, mit euch zu gehen. Lieber sterbe ich!“

Badija war in diesem Augenblick ganz Königin, ganz die stolze Beherrscherin des tapferen Stammes der Beni Sallah.

„Wenn du nicht anders willst, so wirst du freilich sterben“, sagte der Suef, sie beim Arm fassend.

Da zog ihn der Pascha zurück.

„Es ist nicht nötig, sie zu erstechen“, meinte er. „Wir werden sie wohl zwingen können, zu gehorchen. Wir binden sie.“

„Rührt mich nicht an!“ rief sie.

„Willst du dich wehren?“

„Ja, ich schreie um Hilfe!“

„Wer wird deinen Ruf hören? Und haben etwa diese hier geschrien?“

Er deutete auf Zykyma und die Alte.

Da trat Hiluja zur Königin und sagte:

„Gib dich darein!“

„Wie? Du willst dich ihnen ergeben?“ fragte Badija in zornigem Ton.

„Ja, einstweilen.“

„Meinst du, daß sie dich freilassen werden?“

„Ja.“

„Niemals!“

„Oh, man wird sie zwingen!“

„Wer?“

„Tarik und Hilal.“

Über das Gesicht der Königin glitt ein heller Zug.

„Ja, die Söhne des Blitzes werden uns ganz sicher befreien!“ sagte sie. „Und Masr-Effendi wird mit ihnen kommen.“

„Laßt sie kommen!“ lachte der Suef. „Sie werden nie im Leben erfahren, wohin wir euch geschafft haben. Sie mögen suchen, wo sie wollen, sie werden euch doch niemals finden, wenn wir nicht wollen. Aber ich gebe euch vielleicht frei, wenn die Beni Sallah bereit sind, meine Bedingungen zu erfüllen.“

„Ah, wir sollen Geiseln sein?“

„Ja. Und wenn ihr uns gehorcht, wird euch nichts Böses geschehen. Also laßt euch ruhig binden!“

„Warum binden? Wir ergeben uns, aber zu fesseln braucht ihr uns nicht.“

„Haltet ihr uns für delil (wahnsinnig)? Wir müssen euch heimlich aus dem Lager schaffen, also werden wir euch doch nicht im vollen Besitz eurer Bewegungen lassen. Her mit den Händen!“

„Aber nur die Hände.“

„Ja.“

„Versprichst du, uns nicht weiter zu fesseln?“

„Ja.“

„Dann hier!“

Badija hielt ihm die Arme entgegen. Hiluja tat dasselbe. Man fesselte ihnen nicht etwa die Hände aneinander, sondern man band ihnen die Arme an den Leib. Jetzt trat der Graf mit dem Strick herbei, um der Königin auch die Füße zusammenzubinden.

„Halt!“ sagte diese. „Der Suef hat mir versprochen, nur die Hände zu fesseln.“

„Er, aber nicht ich. Er mag Wort halten; ich aber werde an seiner Stelle tun, was nötig ist.“

„Schurke!“

„Schimpf nicht! Du verschlimmerst dir dadurch nur deine Lage.“

„So werde ich schreien!“

„Versuche es!“

Der Graf faßte sie beim Hals und drückte ihr die Kehle zusammen, so daß sie gezwungen war, den Mund zu öffnen. Sofort steckte ihr der Pascha das dazu bereitgehaltene Tuch hinein. Ganz ebenso erging es Hiluja, und nun wurden beiden Schwestern auch die Beine zusammengebunden. Es verstand sich ganz von selbst, daß sie nun nicht mehr aufrecht zu stehen vermochten. Sie wurden deshalb auf den Boden niedergelegt. Jetzt waren die drei Männer also mit den Frauen fertig.

„Was nun?“ fragte der Pascha.

„Wasser und Datteln“, antwortete der Suef. „Suchen wir nach ihnen! Einer aber von uns muß als Wächter hier zurückbleiben. Es ist ja möglich, daß der Arabadschi uns überrascht. Er muß sofort stumm gemacht werden.“

„So bleibe ich hier“, sagte der Pascha. „Es soll mir eine Freude machen, ihm mein Messer in den Leib zu stoßen.“

Er blieb im Dunkeln zurück. Die beiden anderen aber gingen, um nach den angegebenen Gegenständen zu suchen. Unten im Lager gab es zwar einen Brunnen; aber sie konnten doch unmöglich wagen, sich dort mit einem für vier Tage reichenden Wasservorrat zu versehen. Das hätte Zeit in Anspruch genommen und Geräusch verursacht, so daß sie ganz gewiß entdeckt worden wären.

Sie traten daher mit dem Licht in den Gang der nach der Treppe zur Zinne führte. Ungefähr in der Mitte dieses Ganges gab es abermals eine offene Tür. Als sie dort eintraten, sahen sie sich zu ihrer Freude in dem Vorratsraum der Königin.

Da standen mächtige Krüge mit Palmensaft. Da lagen Haufen von Datteln, und da gab es – was ganz besonders günstig war – viele mit Wasser gefüllte Schläuche.

Diese letzteren waren gefüllt und hierhergeschafft worden infolge der Kunde, daß die Beni Suef das Lager überfallen wollten. Man mußte sich auf alle Fälle vorbereiten und auf alle Eventualitäten gefaßt sein. Es lag doch immerhin im Bereich der Möglichkeit, daß der Feind Sieger blieb. Dann mußten sich die Verteidiger in die Ruine zurückziehen, und da war es notwendig diese letztere mit einem Wasservorrat zu versehen.

„Das ist prächtig“, sagte der Suef. „Wir haben da alles beisammen, was wir brauchen.“

„Etwas fehlt doch noch.“

„Was?“

„Gewehre.“

„Ja, das ist wahr! Laßt uns sehen, was da drin zu finden ist!“

Der Suef deutete auf eine Tür, die sich im Hintergrund des ziemlich großen Raums befand.

Als sie dort hinausgegangen waren und sich umblickten, stieß der Suef einen Ruf der Freude aus. Sie befanden sich in einem Gemach, um dessen Wände sich ein Serir zog, ein ungefähr einen Fuß hohes Holzgestell, das mit Matten und Kissen belegt war. An den Wänden hingen Waffen und Kriegstrophäen aller Art.

„Das ist die Wohnung des toten Scheiks gewesen“, sagte der Suef. „Da draußen, wo man jetzt die Vorräte aufbewahrt, hat er die Versammlungen der Ältesten gehalten, wenn sie geheim sein sollten. Hier sind alle seine Flinten, und da, in diesen Beuteln, befinden sich sicherlich Kugeln und auch wohl Pulver.“

Als er einige der Lederbeutel öffnete, zeigte es sich, daß er ganz richtig vermutet hatte. Es gab hier mehr Munition, als gebraucht wurde. Die beiden Männer suchten sich die besten Schießgewehre aus, für den Pascha auch eins, und versahen sich auch mit Munition.

„Jetzt können wir zurückkehren“, meinte der Graf.

„Ja. Nun kommt aber erst das Schwierigste unseres Unternehmens, nämlich die Frauen und alles andere aus der Ruine fortzuschaffen und auf die Kamele zu bringen, ohne daß es bemerkt wird.“

„Das bietet freilich Schwierigkeiten, die vielleicht unüberwindlich sein werden.“

„Es muß aber gewagt werden.“

„Natürlich! Aber – hm! Wenn es nur möglich wäre, alles auf andere Weise – hm!“

„Was?“

„Ich habe einen Gedanken. Die Kamele liegen doch gleich am Fuß der Ruine. Sollte es denn notwendig sein, alles hinab zu tragen?“

„Was sonst?“

„Könnten wir es nicht vielleicht an Stricken von oben hinablassen?“

Der Suef machte ein ganz verdutztes Gesicht, lachte dann halblaut vor sich hin und sagte:

„Wie dumm!“

„Ist das, was ich gesagt habe, wirklich so dumm?“

„O nein! Es ist im Gegenteil sehr klug. Dumm aber bin ich gewesen, daß ich nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen bin! Wir befinden uns ja gar nicht hoch über dem Boden. Zwölf Stufen sind wir gestiegen. Die Stricke brauchen also gar nicht sehr lang zu sein. Und draußen bei den Vorräten habe ich ein großes Paket Riemen und Stricke gesehen, viel mehr, als wir brauchen.“

„So laß uns eilen! Es ist jedenfalls besser, wir sind fort, wenn dieser Said, der Arabadschi, kommt, als wenn wir uns mit ihm herumschlagen müssen.“

Sie nahmen von den Gegenständen, die sie brauchten, so viel an sich, wie sie tragen konnten, und kehrten zu dem Pascha zurück, der sich über die gute Nachricht freute, die sie brachten.

Die Frauen waren so gefesselt, daß an eine Flucht gar nicht gedacht werden konnte. Man konnte sie also einstweilen allein lassen. Die drei Männer begannen nun Schläuche und einen Sack mit Datteln nach der Seite der Ruine zu tragen, an deren Fuß die Kamele lagen.

„Und nun die Mädchen“, sagte der Suef. „Dann schleiche ich mich hinab, und ihr laßt mir alles nach und nach an den Seilen hinab, erst das Wasser, dann die Datteln und zuletzt die Mädchen. Ihr kommt endlich nach. Dann brechen wir auf.“

„Die Alte also lassen wir zurück?“

„Natürlich.“

„Sie wird uns verraten.“

„Nein. Sie weiß nicht, wohin wir gehen.“

„Aber sie hat uns gesehen; sie wird also sagen, daß wir es sind, die die Mädchen entführt haben.“

„Das mag sie immerhin sagen. Es freut mich sogar, daß sie erfahren, auf welche Weise wir uns gerächt haben. Die Alte weiß, daß wir es waren, unser Ziel aber kennt sie nicht. Wir können also ruhig sein. Kommt, weiter!“

Sie kehrten nun in die Ruine zurück und trugen Badija, Hiluja und Zykyma herbei. Dann holten sie Stricke, die sie zusammenbanden und mehrfach vereinigten, damit sie die Last aushalten konnten, und nun endlich stieg der Suef leise wieder die Treppe hinab.

Drei Viertel der Arbeit waren getan. Er selbst hatte nun noch das Schwierige vor sich – den Raub auf die Kamele zu laden. War das einmal geschehen, so brauchte man nichts mehr zu fürchten. Selbst im Fall der Entdeckung konnten die drei dann schnell aufsteigen und mit ihren Tieren davonjagen. Eine Verfolgung bei Nacht war wohl kaum zu fürchten.

Eben hatte der Suef die letzte Stufe erreicht, so ließ sich im Zelt des alten Kalaf ein Hüsteln hören. Der Suef lehnte sich sofort an den Stein, an dem er vorhin gelehnt hatte. Es war ja möglich, daß der Alte herauskam. Wirklich! Der Vorhang wurde zurückgeschlagen, und Kalaf trat heraus. Er sah den Suef.

„Ilaf, bist du es noch?“ fragte er.

„Ja, ich bi – bi – bin es no – no – noch.“

„Ist etwas geschehen?“

„Nein, ni – ni – nichts.“

„Es war mir, als hätte ich von Weibern einen Schrei gehört.“

Sollte Hilujas lauter Hilferuf wirklich aus dem Innern der Ruine hervor und hier herabgedrungen sein? Das war kaum denkbar.

„Du ha – ha – hast geträumt!“ sagte der Suef.

„Ja, ich war eingeschlafen; aber es war mir so angstvoll zumute. Es ist mir noch jetzt ganz so, als ob eine Gefahr drohe.“

„Gefa – fa – fahr? Ich wa – wa – wache ja!“

„Freilich wohl! Drüben bei der Beute sitzen auch Wächter. Es kann also gar nichts geschehen. Aber seit der Riese die Königin überfallen hat, bin ich so voller Besorgnis, obgleich kein Grund dazu vorhanden ist. Wo befindet sich der Arabadschi?“

„O – o – oben. Er wa – wa – wacht bei der Kö – Kö – Königin.“

„So kann ich ruhig sein. Wecke mich nur sogleich, wenn du etwas hörst oder siehst, was Verdacht zu erregen vermag. Allah gebe eine glückliche Nacht!“

Kalaf ging langsam wieder in sein Zelt. Der Suef aber hielt es, ganz wie vorhin, für geraten, eine Weile zu warten, obgleich seine beiden Gefährten wohl Eile hatten, ihre Lasten loszuwerden. Dann schritt er weiter, nach der anderen Seite der Ruine hin.

Da lagen die Kamele noch ganz ruhig.

„Pst!“ klang es von oben herab.

„Pst! Ich bin da“, antwortete er.

„Endlich! Erst die Schläuche.“

Sie wurden herabgelassen, dann die Datteln. Der Suef lud beides auf den Packsattel des Lastkamels. Dann wurde Zykyma, der man die Hände frei gemacht hatte, an zwei doppelten Stricken herabgelassen. Badija und Hiluja folgten.

Er hob die drei in den Tachterwahn.

Der Graf und der Pascha standen höchstens sechs Meter über ihm an der Brüstung.

„Jetzt kommen wir hinab!“ raunte der Pascha von oben herunter.

„Wartet! Der alte Kalaf ist noch munter. Könntet ihr nicht gleich hier an einem Seil herab?“

„Wenn wir es hier oben anbinden, ja.“

„Versucht es!“

Bald bemerkte der Suef, daß ein Seil herabgelassen wurde, und dann kamen der Graf und der Pascha an demselben herabgeturnt.

„So!“ sagte der letztere. „Das war schwere und ungewohnte Arbeit. Nun haben wir nur noch dafür zu sorgen, daß wir unbemerkt fortkommen.“

„Zunächst müssen wir die Kamele aufstehen lassen und zusammenbinden. Ein jedes muß mit dem Halfter an dem Schwanz des vorangehenden befestigt werden. Das sind sie so gewöhnt. Wenn sie nur dabei nicht laut werden.“

Die Tiere erhielten leichte Schläge auf die Knie, das ist das Zeichen, daß sie aufstehen sollen. Sie gehorchten. Vorher aber hatten der Graf und der Pascha sich in ihre Sättel gesetzt. Sie verstanden es nicht, ein aufrecht stehendes Dromedar zu besteigen, da der Sitz sehr hoch ist.

Der Suef band die Kamele so zusammen, daß das seinige das vordere war; dann kam dasjenige, das den Tachterwahn trug in den der Suef die drei weiblichen Gefangenen gehoben hatte. Nachher folgten der Pascha, der Russe und endlich das Packtier. So standen die Kamele hintereinander. Der Suef faßte den Sattelgurt und schwang sich hinauf. Der Ritt konnte beginnen.

Als nun der Suef sein Tier in Bewegung setzte, folgten die anderen ruhig und willig.

Es ging langsam zwischen den Zelten hindurch.

Als das letzte Zelt hinter der kleinen Karawane lag, befand dieselbe sich im Süden des Lagers; da nun ihr Weg nach Nordnordost führte, mußte der Suef um das Lager herumreiten. Er tat das vorsichtig, um ja nicht gehört zu werden.

„Wollen wir gleich jetzt unsere Richtung einschlagen?“ fragte der Graf mit unterdrückter Stimme.

„Ja.“

„Ist das nicht unvorsichtig?“

„Warum?“

„Wenn man am Morgen unsere Spur sieht, wird man gleich erraten, wohin wir wollen. Es ist also wohl besser, wenn wir einen Umweg machen, um die Verfolger irrezuführen.“

„Dieser Umweg müßte groß genug sein, um sie wirklich zu täuschen; dazu aber haben wir die Zeit nicht und – ha, seht ihr es?“

In diesem Augenblick war gerade im Norden ein Lichtstrahl aufgeflammt, gerade wie ein Blitz, aber nicht vom Himmel zur Erde hernieder, sondern in entgegengesetzter Richtung von der Erde zum Himmel aufwärts.

„Ein Blitz!“ sagte der Graf.

„Wetterleuchtet es denn in der Wüste auch?“

„Das ist kein Blitz“, erklärte der Suef.

„Da, seht, schon wieder!“

Die feurige Erscheinung wiederholte sich. Die Flamme war nicht schwefelgelb, blendend und im Zickzack wie beim Blitz, sondern sie fuhr in schnurgerader Richtung und rotblauer Färbung empor.

„Das ist Schems el Leila! Allah schütze uns!“ sagte der Suef.

„Schems el Leila? Was ist das?“

Schems el Leila ist arabisch und bedeutet zu deutsch die Sonne der Nacht.

„Hast du noch nichts davon gehört, daß der Teufel seine trügerische Sonne mitten in der Nacht an dem Himmel erscheinen läßt?“ fragte der Suef.

„Nein!“

„Aber gehört hast du wohl mein Wort: Allah schütze uns! Wenn die Schems el Leila erscheint, so öffnet der Teufel die Pforten der Unterwelt, und in wenigen Stunden braust der giftige Smum durch die Wüste. Laßt uns eilen!“

„Der Smum! O Allah! Wollen lieber bleiben!“

„Hier? Bei den Feinden? Mit unseren Gefangenen? Bist du toll?“

„Aber wir werden sterben!“

„Nicht ein jeder Smum ist gefährlich. Vielleicht ist der Teufel heute bei guter Laune und läßt nur einen kleinen Teil des Windes aus der Hölle blasen. Jetzt haben wir das Lager hinter uns. Haltet euch fest! Ich lasse die Tiere jetzt so schnell laufen, wie sie nur können. Der Smum wird unsere Spur verwehen. Wir können ihn also willkommen heißen!“

Smum ist dasjenige arabische Wort, das bei uns wie Samum ausgesprochen wird. Da ein jeder von diesem gefährlichen Wüstenwind gehört hat, so ist es nicht nötig, weitläufige Bemerkungen über ihn zu machen.

Die fünf Tiere fielen nun in jenen ausgiebigen Kameltrott, in dem sie imstande sind, ohne Ruhe Strecken zurückzulegen, die nach vielen, vielen Meilen gemessen werden müssen. Nur die allerbesten Pferde vermögen es, mit einem solchen Eilkamel Schritt zu halten, aber auf die Dauer auch nicht.

Es hatte allen Anschein, daß der Mädchenraub gelungen war. – – –

Said, der treue Arabadschi, hatte allerdings bei seiner Herrin wachen wollen. Er hatte es sich vorgenommen, in dem vorderen Raum, in dem das Licht stand, die Nacht zuzubringen. Er war kein Langschläfer. Die Beni Abbas waren sehr zeitig zur Ruhe gegangen; er konnte noch nicht schlafen. Daß seine Herrin hier im Inneren der Ruine überfallen werden könnte, glaubte er nicht. So etwas war heute nur möglich gewesen, weil beim Nahen des Riesen sich keine einzige Person im Lager befunden hatte. Heute abend aber waren doch die Beni Abbas hier. Sie lagen in den Zelten rings um die Ruine. Letztere bot jedenfalls vollständige Sicherheit. Wenn irgendeine Gefahr drohte, so kam sie ganz gewiß von außen her. Darum verließ der Arabadschi die Ruine in der Absicht, zunächst um das Lager zu wandeln, um zu sehen, ob vielleicht etwas Verdächtiges zu bemerken sei.

Er tat dies gerade in der Zeit, als der Suef mit dem Grafen und dem Pascha heranschlich. Leider aber befand er sich auf der nördlichen Seite, während sie von Süden kamen.

Während es diesen gelang ganz unbemerkt die Ruine zu erreichen, patrouillierte er wohl zweimal um das Lager und begab sich dann nach der Stelle, wo die Beute aufgestapelt lag. Dort saßen einige Wächter, die sich dadurch munter zu erhalten suchten, daß sie sich gegenseitig ihre heutigen Heldentaten erzählten.

Er wollte sich nur für einige kurze Minuten zu ihnen gesellen; aber ihre Erzählungen interessierten ihn; er mußte auch das Wort ergreifen, um von sich, von seiner Vergangenheit, von Stambul, der Stadt des Großherrn, zu berichten, und so kam es, daß er länger blieb, als er sich vorgenommen hatte.

Eben erzählte er von Steinbach, dem berühmten Masr-Effendi, da zuckte der erste Strahl der Sonne der Nacht empor. Die Wächter sprangen erschrocken auf, und einer von ihnen rief, sich gegen Osten wendend:

„Das Licht der Hölle! Allah behüte uns vor allen bösen Geistern und vor dem neunmal gekreuzigten Teufel! Allah ist Gott, und Mohammed ist sein Prophet!“

„Das soll das Licht der Hölle sein?“ fragte Said. „Ich habe es noch niemals gesehen.“

„Danke Allah, daß es noch nicht in deine Augen gekommen ist. Bist du einmal in der Hölle gewesen, Said?“

„Nein. Wie könnte ich dort gewesen sein?“

„Mit deinem Leib nicht, aber mit deinem Geist. Allah erlaubt zuweilen dem Menschen, zum Heil seiner Seele im Geist oder im Schlaf hinabzusteigen in die Dschehennah, wo die ewigen Feuer brennen. Hast du auch nicht gehört, wie tief die Hölle ist?“

„Nein.“

„Sie hat hunderttausend Stufen, und eine jede Stufe beträgt tausend Tagereisen. Das ist tief, sehr tief, so tief, daß das ewige Feuer, das dort brennt, zuweilen nicht ganz von dem Grund der Hölle bis herauf zur letzten Stufe reicht. Da sendet der Satan alle seine Teufel hinab auf den Grund, daß sie das Feuer anblasen sollen. Wenn sie da nun ein ganz klein wenig zu viel und zu hastig blasen, so schlägt das Feuer oben zur Hölle heraus, und die Flamme zuckt bis zum Himmel empor. Das heißt dann Schems el Leila, die Sonne der Nacht.“

„Das war es vorhin?“

„Ja. Schau, jetzt zuckt es schon wieder! Die Teufel haben heute sehr guten Atem. Dieser Atem kommt dann an die Oberfläche der Erde und braust über dieselbe hin, den Sand bis zum Himmel wirbelnd und Quellen und Brunnen austrocknend oder verschüttend. Das ist der böse Smum, der giftige Wind der Wüste. Wenn er länger weht, tötet er alles, was er ergreift, Mensch und Tier, Baum und Halm. Dann bleichen die Skelette in der Wüste. Sieh, es zuckt bereits zum dritten Mal auf, und – Allah 'l Allah, dort reitet der neunmal gekreuzigte Teufel in der Wüste!“

Der Sprecher deutete nach Norden. Im Schein der aufzuckenden Flamme war die Karawane des Suef zu sehen. Sie zeichnete sich einen Augenblick gegen den bläulichrot erleuchteten Horizont ab. Die Beni Abbas verneigten sich gegen Osten, wo die heilige Stadt Mekka mit der Kaaba liegt, und murmelten das Glaubensbekenntnis.

„Allah il Allah, Mohammed Rassuhl Allah. Gott ist Gott, und Mohammed ist sein Prophet!“

Der Arabadschi tat dasselbe. Aber er stammte aus Konstantinopel; er hatte, trotzdem er jung war, viel gesehen und viel gehört. Er war bei weitem nicht so abergläubisch wie diese geistig befangenen Söhne der Wüste und fragte daher:

„Sollte das wirklich der Teufel sein?“

„Ganz gewiß! Hast du ihn nicht gesehen?“

„Nein.“

„So bist du blind. Er hatte den Leib einer Schlange und besaß viele Beine, wohl an die fünfzehn oder zwanzig.“

„Das waren Kamele!“

„Kamele? Dein Unglaube ist groß. Allah möge dir verzeihen. Wie können Kamele dorthin? Sie werden nicht nach Norden gehen, sondern hier bei uns anhalten, um Wasser zu trinken und Datteln zu essen. Dieser neunmal gekreuzigte Teufel ging gerade von uns fort. Er ist über uns hinweg durch die Luft geflogen. Allah hat uns beschützt, weil wir gläubige Söhne des Propheten sind. Ihm sei Dank in alle – o Allah, Allah, Allah!“

Der Wächter stieß diesen Ausruf aus, weil jetzt eine förmliche Feuergarbe vom nördlichen Horizonte aus gegen den Himmel stieg. Ihr Schein verflog nicht blitzschnell: er erhielt sich längerer Zeit am Himmel. Und da war denn die Karawane mit der vollsten Deutlichkeit zu erkennen.

„Siehst du ihn, den Teufel?“ fragte der Beni Abbas. „Das sind Kamele und Reiter.“

„Nein, sondern das ist ein Tier mit vielen Beinen. Es gibt sich aber die Gestalt von Kamelen, um uns hinaus und in das Verderben zu locken.“

„Sie kommen von hier“, sagte Said. „Drei Reiter und ein Tachterwahn. Allah! Was hat das zu bedeuten?“

„Daß die Hölle offen ist!“

„Schweig! Diese Reiter kommen mir höchst verdächtig vor. Entweder kamen sie aus dem Süden und sind an uns vorübergeritten. Das ist sehr verdächtig. Oder –“

„Oder sie kamen aus der Hölle; so ist es!“

Aber Said ließ sich durch den Aberglauben des anderen nicht irremachen und fuhr fort:

„Oder sie kamen von hier!“

„Von hier? Hat die Sonne dir den Verstand verbrannt? Wohnt der Teufel hier bei uns? Ist hier die Pforte der Hölle?“

„Es sind ja Menschen!“

„Wenn es Menschen wären, die von hier kämen, so müßten es Beni Abbas von meinem Stamm sein! Aber wir werden uns hüten, das Lager zu verlassen. Zähle die Männer! Es wird keiner fehlen!“

„Es sind Frauen dabei! Ein Tachterwahn! Allah, ich muß nach meiner Herrin sehen!“

„Meinst du etwa, daß sie in diesem Tachterwahn sitzt? Wenn eine Frau drin sitzt, so ist es die Urtante von des Teufels Vettermuhme. Bleib hier bei uns! Deine Herrin schläft und träumt vom Paradies. Stör sie also nicht!“

„Ich muß wissen, ob sie da ist!“

Said eilte fort, nach der Ruine zu. Es war eigentlich ein abenteuerlicher Gedanke, daß seine Herrin jetzt da draußen in der Wüste reiten könne. Sie hatte ihm ja eine gute Nacht gewünscht und sich dann in das Schlafzimmer zurückgezogen. Er hatte das zweifellos gesehen; er wußte, daß sie dort lag; aber er fühlte trotzdem eine Beklemmung, die ihm den Atem zu rauben drohte, und folgte der Stimme seiner Ahnung.

Bei der Ruine angekommen, sprang er die Stufen hinauf, eilte in den Gang und trat in den Raum, in dem er hatte schlafen wollen. Er hatte dort das brennende Licht stehen lassen. Es war nicht mehr da!

Daraus mußte er schließen, daß eine von den Frauen aufgestanden war und das Licht geholt hatte. Wozu? Said trat hart an die Türöffnung und horchte.

Da hörte er ein Geräusch, wie wenn jemand ängstlich durch die Nase Atem holt. Es klang, als sei die betreffende Person dem Ersticken nahe.

„Herrin!“ sagte er.

Er durfte es natürlich nicht wagen, einzutreten.

Es erfolgte keine Antwort.

„Herrin! Sultana!“ sagte er lauter.

Als einzige Antwort hörte er das Schnaufen, aber lauter, viel lauter als vorher. Jetzt bekam er wirklich Angst.

„Herrin!“ rief er jetzt ganz laut. „Sultana! Zykyma!“

Keine Antwort als nur das ängstliche Atemholen! Wenn Zykyma sich drinnen befunden hätte, so hätte sie ihn hören müssen. Sie war also nicht da. Said trat ein; er wagte es, und als er nun dort in der Ecke die alte Haluja, an Armen und Beinen gefesselt und einen Knebel im Mund, liegen sah, wußte er sofort, daß er seine Herrin in der Wüste zu suchen habe.

„O Allah, o Mohammed!“ rief er entsetzt, dann eilte er in die Ecke, kniete nieder, zog sein Messer hervor und zerschnitt die Stricke der Dienerin.

„Was ist geschehen? Schnell, schnell, sage es!“ rief er ihr zu.

Er dachte vor Eile gar nicht daran, ihr den Knebel aus dem Mund zu nehmen. Sie riß ihn sich selbst heraus und ächzte:

„O Allah, Allah!“

„Was denn, was?“

„Mein Atem!“

„Was geht mich dein Atem an! Schnell, schnell!“

„Meine Hände! Meine Beine!“

„Der Teufel hole deine Hände und deine Beine! Ich will wissen, was geschehen ist!“

Haluja richtete sich vom Boden auf, holte tief Atem, betrachtete ihre Handgelenke und antwortete:

„Gefesselt haben sie mich!“

„Das sehe ich ja!“

„Sogar geknebelt!“

„Aber jetzt hast du doch den Knebel nicht mehr im Mund. Jetzt kannst du reden. So rede doch auch!“

„Welch ein Schreck!“

„So antworte doch! Wo ist Zykyma?“

„Fort!“

„Das sehe ich! Aber wohin?“

„Ich weiß es nicht. O Hiluja, meine Hiluja!“

„Was ist mit ihr?“

„Auch fort!“

„Und Badija?“

„Auch, auch!“

„Hölle und Teufel! Dich haben sie hier gelassen? Konnten sie es nicht umgekehrt machen, dich fortschaffen und die anderen hier lassen!“

„Oho! Beleidige mich nicht!“

„Wer war es denn?“

„Der Beni Suef mit dem Russen und dem Pascha.“

„Ibrahim Pascha?“

„Ja. Sie haben sie gefesselt und fortgeschleppt.“

„Sie sind es; sie sind es! Und dieser Beni Abbas hielt sie für den Teufel! Hätte er doch dich geholt. Warum hast du dich nicht gewehrt? Warum hast du sie nicht beschützt? Nicht um Hilfe gerufen?“

„Konnte ich, wenn sie mir den Mund verstopfen? Ich soll sie beschützen? Wer war der Beschützer? Etwa du nicht? Wo warst du?“

„Du hast recht, ich bin schuld, ich, ich allein. Aber ich werde sie wiederholen. Sogleich! Sofort!“

Said ließ die Alte stehen, rannte hinaus und rief mit weit schallender Stimme von der Ruine herab:

„Auf, auf, ihr Männer, ihr Krieger! Man hat euch die Königin geraubt, die Königin und ihre Schwester und auch Zykyma, meine Herrin. Auf, auf!“

Dann sprang er die Stufen hinab und nach dem Brunnen zu. Dort stand die Fuchsstute des Scheiks der besiegten Beni Suef. Said wußte es. Er hatte gehört, daß sie wie der Wind laufe. Er wollte sie benützen, die Entführer einzuholen.

Die Wächter, die bei der Beute gestanden, kamen herbei, und auch aus den Zelten eilten die Beni Abbas herzu.

„Was gibt es? Was ist's?“ rief es von allen Seiten.

„Die Königin ist geraubt worden!“ antwortete Said. „Dazu Hiluja und Zykyma.“

„Von wem? Von wem?“

„Fragt die Alte! Fragt Haluja! Ich habe keine Zeit. Ich muß voran. Kommt mir schleunigst nach!“

Said hatte während dieser wenigen Augenblicke in fieberhafter Eile dem Pferd den Sattel aufgelegt und festgeschnallt. Jetzt warf er ihm die Zügel über.

„Wohin? Wohin willst du?“ fragte einer der Beni Abbas.

„Ich sage es ja; den Räubern nach.“

„Wer sind sie?“

„Fragt die Alte! Mich aber laßt fort!“

Rasch stieg er auf und sprengte davon, hinaus in die nächtliche Wüste.

Es hatte sich seiner eine Wut, ein Grimm bemächtigt, daß er jetzt, in diesem Augenblick, selbst mit dem Teufel angebunden hätten. Und dieser Grimm richtete sich nicht nur gegen die Räuber der Mädchen, sondern auch gegen sich selbst. Er hatte die Herrin beschützen sollen, war aber von ihr fortgelaufen. Er mußte sie wiederhaben!

Sporen trug er keine, da er nicht auf diesen nächtlichen Ritt vorbereitet gewesen war. Er schlug daher der Stute die Fersen in die Weichen, und sie flog mit Windesschnelle in nördlicher Richtung davon.

Die Sonne der Nacht flammte zuweilen auf. In solchen Augenblicken überflogen Saids Augen den Horizont. Doch er konnte die Karawane nicht mehr erblicken und trieb nun das Pferd zu immer größerer Eile an. So vergingen bange Minuten. Endlich sah er bei einem aufflammenden Strahl die fünf Tiere, aber in weiter Ferne.

„Allah sei Dank!“ rief er. „Ich sehe sie! Nun werde ich sie erreichen!“

Die Stute stob davon, als ob sie die Entfernungen förmlich hinter sich werfen wolle. Said hatte beim Anblick der Karawane freudig aufgejauchzt. Der gute Kerl dachte gar nicht daran, daß er nichts bei sich hatte als nur sein Messer. –

Man kann sich vorstellen, welch einen Aufruhr sein Ruf in dem Lager hervorgebracht hatte. Alles, jung und alt, männlich und weiblich, rannte wirr durcheinander. Hundert Stimmen fragten, was geschehen sei, und es dauerte eine Zeitlang ehe es allen klar wurde, was passiert war. Die drei Mädchen waren entführt worden, und Said war fort, um die Räuber zu suchen. So viel wußte man. Alles drängte sich nun nach der Ruine, allen voran natürlich der alte Scheik, der Vater Hilujas und der Königin. Droben stand Haluja, die Alte, an einen Quader gelehnt. An sie wurden alle Fragen gerichtet. Sie konnte aber gar nicht zur Antwort kommen.

„Schweigt!“ rief endlich der Scheik. „Laßt mich fragen! Ich bin der Vater!“

Jetzt verhielt die Menge sich ruhig und die alte Dienerin konnte erzählen. Sie tat es, vor Aufregung zitternd. Der Scheik hörte ihr ebenfalls, aber vor Wut, zitternd, zu.

„Also fort sind sie, fort! Doch wohin!“ rief er, als Haluja geendet hatte.

Niemand konnte antworten.

„Wohin ist Said?“

Auch das wußte keiner. Nur als auch die Wächter diese Frage hörten, antwortete einer von ihnen:

„Er ist fort, hinter dem neunmal gesteinigten und gekreuzigten Teufel her!“

„Was sprichst du vom Teufel?“

„Ich habe ihn gesehen, o Scheik.“

„Wo?“

„Draußen in der Wüste, gegen Norden hin. Er hatte den Leib einer Schlange oder eines Krokodils mit zwanzig Beinen, fünfzig Augen und zehn Flügeln.“

An die Beine hatte er bereits vorhin geglaubt. Die Augen und die Flügel aber machte er jetzt selbst hinzu. Der Scheik war ebenso vom Aberglauben befangen wie seine Leute. Er antwortete:

„Die Sonne der Nacht blitzt auf, und die Hölle ist offen. O Allah, Allah! Und da sind meine Kinder hinaus in die Wüste, mit ihren Entführern! Wer wird sie retten, wer!“

Da kam der alte Kalaf herbei und sagte:

„Wie können deine Töchter geraubt sein! Sind sie denn des Nachts außerhalb des Lagers spazierengegangen?“

„Nein“, antwortete die Dienerin.

„Sie haben sich in der Ruine befunden?“

„Ja, von Beginn des Abends an.“

„Das begreife ich nicht. Ilaf hat doch gewacht!“

„Wo?“ fragte der Scheik.

„Hier unten an der Treppe.“

„Davon weiß ich nichts.“

„Du selbst hast es ihm geboten.“

„Nein.“

„Er sagte es.“

„Hast du mit ihm gesprochen?“

„Zwei Mal.“

„Wo ist er? Bringt ihn her!“

Ilaf, der Stotterer, wurde gebracht, doch er leugnete, Wache gestanden zu haben.

„Ich habe dich ja gesehen“, sagte der Alte.

„Du täu – täu – täuschst dich.“

„Nein. Ich habe doch auch mit dir gesprochen?“

„Ich weiß ni – ni – nichts davon. Ich habe fest geschla – la – la – lafefen.“

„Lüge nicht! Was ich sehe und höre, das weiß ich genau. Ich kann es beschwören, daß du an dem Stein standst und meine Fragen beantwortetest.“

„Du ha – ha – hast geträumt!“

„Träume ich, wenn ich zweimal mein Zelt verlasse, zu dir trete und mit dir spreche?“

„Habe ich de – de – denn gesto – to – tottert?“

„Ja, natürlich!“

„O Allah 'l Allallallallallallah! Es ist der Teu – Teu – Teu – Teufel gewesen. Heut i – i – i – ist die Höllöllöllöllölle offen. Allallallallallah il Allallallallallah Mohammed Ra – Ra – Ra – Ra – Rassuhl Allallallallallah!“

Alle waren still. Ilaf hatte zwar den kleinen Fehler, daß er stotterte, aber er war bekannt als ein braver, wahrheitsliebender Mann. Man mußte ihm glauben. Der alte Kalaf hatte entweder geträumt, oder er war wirklich vom Teufel betrogen worden. Zu dieser letzten Ansicht neigten sich im stillen alle.

Es wurden nun Fackeln angezündet. Man suchte im ganzen Lager. Da fand es sich, daß fünf Kamele fehlten. Der Teufel hatte sie mitgenommen. Er hatte auch die drei Mädchen entführt. Denn das der Suef, der Pascha und der Graf es wirklich gewesen waren, das glaubte man nicht. Der Teufel hatte die Gestalt dieser drei angenommen, um die Mädchen zu entführen.

Der Scheik wußte weder aus noch ein. Er betete und fluchte in einem Atem. Die anderen alle rezitierten fromme Stellen aus dem Koran. Die sämtlichen Bewohner des Lagers befanden sich in einem solchen Zustand, daß man allen Grund hatte, an ihrer Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln. Ein einziger nur gab sich Mühe, kalt und klar über dieses außerordentliche Ereignis nachzudenken, aber er brachte es auch zu keiner Erklärung. Der Schlußgedanke seiner geistigen Anstrengung lautete:

„Allah ist groß. Alles, was geschieht, das ist im Buch des Lebens verzeichnet. Warum aber ist Masr-Effendi nicht hier? Er würde uns sagen, was wir zu tun haben.“

Masr-Effendi! Dieser Name wirkte zündend. Alle sprachen ihn nach. Und nun erst kam dem Scheik die beste Idee:

„Er muß herbeikommen, schnell, schnell! Man muß ihm einen Boten senden, und zwar augenblicklich. Ist noch ein Eilkamel da?“

Glücklicherweise waren außer den fünf Tieren der Königin, die der Suef gestohlen hatte, noch einige vorhanden. Wenige Minuten nachdem Steinbachs Name genannt worden war, saß bereits der Eilbote im Sattel, der direkt nach dem Zeltdorf der Beni Suef reiten sollte, um Steinbach herbeizuholen.

Der alte Scheik wurde eigentlich von seinem Grimm zum Handeln getrieben und wußte leider nicht, was er tun solle. So blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Wut zu verschlucken und sich bis zur Ankunft Steinbachs seinem Schmerz rückhaltlos hinzugeben.

Die alte arabische Dienerin leistete ihm dabei treulich Gesellschaft. Sie saß während des ganzen Vormittags auf der Ruine und starrte in das Leere. Die ‚Sonne der Nacht‘ hatte ihr Licht nur noch einige Male gezeigt. Es war nicht zu einem wirklichen Smum gekommen. Jedenfalls hatte der Wüstenwind seine Kraft in dem westlichen Teil der Sahara erschöpft, so daß er hier sich nicht einmal als ein gelinder Lufthauch zeigen konnte. Die Atmosphäre war bewegungslos. Der Himmel war ganz nach dem biblischen Wort wie Blei und die Erde wie glühendes Erz. Die Luft lag wie konzentrierte Hitze auf dem Sandmeer, der Mensch hatte das Gefühl, als ob ihm das Blut siede und jeder Knochen ausgedörrt werde.

Das war nicht geeignet, den Schmerz zu beruhigen, der an der Seele des Scheiks nagte.

„Hast du denn die drei wirklich genau gesehen und erkannt?“ fragte er Haluja.

„Ganz genau gesehen und erkannt.“

„Glaubst du vielleicht, daß sie es wirklich waren?“

„Nein, sonst hätten sie mich nicht so leicht fesseln und knebeln können. Es war der Teufel mit seinem Sohn und seinem Enkel. Ja, er ist es gewesen. Er hat sogar Said, den Arabadschi, mitsamt der Fuchsstute durch die Lüfte davongeführt.“

„Wer hat das gesehen?“

„Ich. Ich stand hier oben auf der Ruine, nachdem er von mir weggegangen war. Ich hörte seine Stimme unten vom Baum heraufschallen, dann ritt er fort. Nach einer Weile sah ich den Strahl der Schems el Leila am Himmel aufsteigen, er beleuchtete die ganze Erde, und da bemerkte ich Said, wie ihn sein Pferd durch die Luft davontrug. Er ist verloren.“

Die gute Alte wußte nichts von optischer Täuschung. Sie hatte während eines schnell aufflammenden Strahles den Arabadschi auf dem Pferd bemerkt. Der helle Schein nach dunkler Nacht und die sofort wieder folgende Finsternis hatten ihr den jungen Mann wie in der Luft schwebend erscheinen lassen. Sie war überzeugt, daß er vom Teufel geholt worden sei. – – –

Steinbach war, wie bereits erzählt, mit seinen Scharen nach dem Kampf aufgebrochen, um direkt nach dem Duar der Beni Suef zu reiten. Es sollte ein Parforceritt werden, und er wurde es auch.

Zwölf Stunden ungefähr war es bis zum Ferß el Hadschar. Und dieser lag gerade auf dem Halbscheid des Weges, der also wohl an die vierundzwanzig Stunden betrug. Aber Steinbach hatte die Tiere so antreiben lassen, daß er mit seinen Leuten noch während der Nacht am Ziel ankam.

Das Zeltdorf der Feinde lag in nächtlicher Ruhe vor ihnen. Alles schlief. Selbst die Wächter der Herden hatten sich dem Schlummer in die Arme geworfen.

Es wurde ein kurzer Kriegsrat gehalten. Über siebenhundert Krieger waren versammelt. Es ließ sich annehmen, daß der Feind nur wenige seiner Männer zurückgelassen hatte. Die Überrumpelung des Dorfes war also wohl eine leichte Sache. Steinbach gab den Rat, vier Haufen zu bilden, die sich so einrichten sollten, daß beim Anbruch des Tages je einer im Norden, Osten, Süden und Westen des Dorfes halten solle. Dasselbe war dann so umzingelt, daß kein Mensch entkommen konnte. Dieser Rat wurde angenommen. Man trennte sich also.

Das Zeltdorf lag in einer fruchtbaren, von Palmen bestandenen Oase. Die Palmen standen da so dicht, daß sie einen Wald bildeten, über den hinweg man nicht zu sehen vermochte.

Das war der Grund, daß die Bewohner beim Anbruch des Tages keine Ahnung hatten, daß der Feind in ihrer Nähe sei. Sie gingen ihren Frühgeschäften nach, die in der Zubereitung des Mahles bestanden. Eingenommen durfte dasselbe aber nicht etwa gleich werden, denn das Morgengebet muß nüchtern gebetet werden.

Da tauchte der obere Sonnenrand über den östlichen Horizont empor, und funkelnde Strahlen flogen über die Erde dahin, als ob sie aus lauter Diamanten zusammengesetzt seien. Zugleich ertönte die helle Stimme des Muezzins, der zum Gebet rief. Alle beteten – die Bewohner der Oase und auch die Beni Sallah, die, zum Angriff bereit, um die letzteren standen.

Kaum war das Amen gesprochen, so rückten die Krieger gegen das Dorf vor. Ein alter Hirte war der erste, der die Anrückenden bemerkte. Er eilte in das Dorf zurück, um die schreckliche Nachricht zu verkünden. Ein lautes Jammergeschrei erscholl. Es waren kaum zwanzig kampffähige Männer anwesend. Was konnten diese gegen einen so übermächtigen Feind tun! Man verzichtete auf jeden Widerstand und verkroch sich in die Zelte.

Steinbach hatte die Bedingung gestellt, daß jedes Blutvergießen möglichst zu vermeiden sei. Als jetzt die vier Abteilungen dem Dorf so nahe waren, daß sie Fühlung miteinander bekamen, ritt er zu Hilal hinüber. Er fand ihn an der Spitze seiner Leute.

„Du kommst zu mir?“ sagte der junge, feurige Mann. „Warum gibst du nicht das verabredete Zeichen zum Eindringen in das Dorf?“

„Weil das uns schaden würde. Wir könnten eine Verwirrung hervorbringen, die uns selbst nur Schaden bringen kann. Ich werde ganz allein in das Dorf reiten. Willst du mit?“

„Du bist sehr kühn, Effendi!“

„Du bist auch tapfer.“

Das wirkte.

„Ich reite mit.“

„So komm! Unsere Krieger werden warten, bis wir zurückkehren, oder unsere Befehle erhalten.“

Normann erhielt einstweilen das Kommando, und die beiden ritten dem Dorf entgegen.

Als sie in letzterem anlangten, war zwischen den Zeltreihen kein Mensch zu sehen. Inmitten des Ortes gab es einen größeren Platz. Dort stand das größte der Zelte. Zwei in die Erde gesteckte Speere vor dem Eingange deuteten auf den Rang seines Besitzers.

Steinbach hielt dort an und schlug beide Hände zusammen. Erst nach einiger Zeit steckte ein altes Weib den Kopf durch die Tür.

„Salem!“ grüßte Steinbach.

„Salem!“ antwortete sie.

„Wer wohnt in diesem Zelte?“

„Der Vater des Scheiks.“

„Ist er daheim?“

„Ja.“

„Er mag herauskommen, ich habe mit ihm zu sprechen.“

„Willst du nicht eintreten?“

„Nein.“

Wäre Steinbach nämlich eingetreten, so wäre er von diesem Augenblick an Gast des Besitzers gewesen und hätte nicht als dessen Gegner handeln können.

„So warte! Ich werde ihn senden.“

Steinbach sah recht wohl, daß viele, viele Augen verstohlen aus den Zelten auf ihn gerichtet waren, er tat aber so, als ob er es nicht bemerke.

„Jetzt wirst du den ärgsten Feind der Beni Sallah kennenlernen“, sagte Hilal zu ihm. „Der alte Scheik Hulam hat viele, sehr viele von uns getötet. Seine Zunge ist falsch, und seinem Eid ist nicht zu trauen. Wenn du in seine Augen blickst, so wirst du sofort erkennen, was für ein Mann er ist.“

Da öffnete sich das Zelt, und der alte Hulam trat heraus. Er ging gebückt vor Alter. Sein Bart war lang und weiß, sein Haar ebenso. Er trug den weißen Haïk (Mantel) und einen ebensolchen Turban auf dem Kopf. Es fehlten ihm die Brauen und Wimpern, die Ränder seiner Augenlider waren dick geschwollen und rot. Die Augen trieften und irrten mit flackerndem Licht und unsicherem Blick zwischen Steinbach und Hilal hin und her.

„Salem aaleïkum!“ grüßte er.

Hätten die beiden Begrüßten diesen ganzen Gruß vollständig wiederholt, so hätte der Scheik damit einen diplomatischen Sieg errungen gehabt, denn vollständig wird der Gruß nur zwischen Freunden gewechselt. Einen Andersgläubigen grüßt der Mohammedaner mit dem einfachen Salem (Friede!) nicht aber mit dem Aaleïkum (sei mit dir!). Es ist darum als eine außerordentliche Ehre und große Auszeichnung zu betrachten, wenn ein Anhänger Mohammeds zu einem Christen ‚Salem aaleïkum‘ sagt.

Daß der alte Scheik Hulam gegen die beiden, die doch seine Feinde waren, den vollständigen Gruß gebrauchte, war eine Hinterlist. Hätten sie ihn erwidert, so wären sie verpflichtet gewesen, als Freunde an ihm zu handeln. Darum antwortete Steinbach einfach mit: „Salem!“

Hilal tat dasselbe.

„Wer bist du?“

Diese Frage war nur an Steinbach gerichtet. Den Sohn des Blitzes kannte der Alte schon längst persönlich. Er brauchte also nicht nach ihm zu fragen.

„Ich bin Masr-Effendi. Hast du bereits von mir gehört?“

„Nein.“

„So wirst du jetzt von mir hören, und zwar von mir selbst. Ich hoffe, daß du mich dann kennen wirst.“

„Willst du nicht absteigen und in mein Zelt treten?“

„Nein. Man tritt nicht in das Zelt eines Feindes.“

„Bist du mein Feind? Ich kenne dich ja noch gar nicht.“

„Ich bin ein Gesandter von Taufik Pascha, dem Herrscher von Ägypten, dessen Gegner du bist.“

„Kannst du mir beweisen, daß er dich sendet?“

„Mein Beweis ist hier in meiner Hand.“

Steinbach deutete auf sein geladenes Gewehr.

Der alte Scheik war überzeugt, daß seine Leute als Sieger von ihrem Zug heimkehren würden. Da jetzt aber die Beni Sallah kamen, so war es ihm ein Beweis, daß die Seinen besiegt worden seien. Die sämtlichen Bewohner des Dorfes waren vom Schreck und von der Angst in ihre Zelte getrieben worden. Hulam wußte den Schreck und die Sorge zu verbergen. Er sagte im Ton des Erstaunens:

„Ich verstehe dich nicht!“

„So verstehe ich dich desto besser. Wo sind die Krieger deines Stammes?“

„Sie sind ausgezogen.“

„Wohin?“

„Ich weiß es nicht.“

„Du bist der Scheik und solltest es nicht wissen?“

„Mein Auge ist matt, und mein Arm ist schwach geworden. Ich bekümmere mich schon längst nicht mehr um das, was die Starken tun.“

„Du lügst. Selbst wenn du die Wahrheit sagst, solltest du dich besser um die Deinigen bekümmern; dann würden sie vielleicht mit den Nachbarn in Frieden leben und nicht auf das Haupt geschlagen werden.“

„Wer soll sie geschlagen haben?“

„Verstelle dich nicht! Sie sind ausgezogen gegen die Beni Sallah, sechshundert Mann stark. Sie haben im Ferß el Hadschar gelegen und ihre Kundschafter ausgesandt. Wir aber haben sie empfangen und ihnen eine solche Niederlage bereitet, daß wir eher hier einziehen als die Flüchtigen, die entkommen sind. Du wirst sie schnell zählen können; es sind ihrer nur wenige.“

„Allah! Ihr habt unschuldiges Blut vergossen! Wer sagt euch, daß sie gegen euch kämpfen wollten. Nun wird eine hundertfache Blutrache sein zwischen uns und euch.“

„Spiele nicht den Heuchler! Ich bin kein Kind. Ich habe Männer zu Freunden, gegen die du ein Hund bist, und meine Ahnen sind wie Löwen gegen die Deinigen, die ich unter die Schakale zähle. Deine Krieger haben mir selbst gesagt, daß sie als Feinde kommen. Ich bin noch so edelmütig gewesen, sie zu warnen; sie haben aber nicht gehorcht. Nun werden ihre Gebeine von den Geiern und Hyänen gefressen. Deine Blutrache fürchten wir nicht. Wir haben, achthundert Krieger stark, dein Dorf umzingelt. Wir sind keine blutdürstigen Tiere wie ihr; wir wollen euer Leben schonen; aber ihr sollt euch unterwerfen. Ich gebe dir eine halbe Stunde Zeit. Besprich dich mit deinen Leuten und komme dann heraus vor das Lager, wo ich dich erwarten werde, um deinen Entschluß zu vernehmen. Wir verlangen, daß ihr euch uns ergebt mit allem, was ihr besitzt. In diesem Fall will ich euer Leben schonen. Tut ihr das nicht, so mag euer Blut über euch selbst kommen.“

Hulam blickte den Sprecher giftig an.

„Habt ihr die Meinen wirklich geschlagen?“

„Ja. Gestern früh vor dem ersten Gebet.“

„Wo ist mein Sohn?“

„Er liegt erschlagen vor unseren Zelten.“

„O Allah! Hat Omram ihn nicht beschützt?“

„Wie konnte dieser ihn beschützen? Er ist selbst gefallen von dieser meiner Hand. Siehe hier die Scheide seines Messers!“

Steinbach zeigte sie ihm hin. Man hätte meinen sollen, daß Hulam ganz niedergeschmettert sei. Mitnichten! Sein Gesicht wechselte den bisherigen Ausdruck nicht im mindesten. Entweder hatte er gar kein Herz, oder er besaß eine ungeheure Selbstbeherrschung. Er bohrte seinen stechenden Blick in Steinbachs Auge und antwortete:

„Warum redest du im Namen der Beni Sallah? Sind sie nicht selber hier? Wo ist ihr Scheik? Ist er ein Knabe, daß er eines anderen bedarf, der für ihn spricht?“

Steinbach lächelte ihn überlegen an und antwortete:

„Du bist ein schlauer Mann! Du weißt, daß der Scheik der Beni Sallah gestorben ist.“

„Ich weiß es.“

„Und daß der Riese Falehd, der euch freundlich gesinnt war, ein Anrecht auf diesen Rang hatte.“

„Auch das weiß ich. Wo ist er?“

„Er ist tot, gestorben von der Hand dieses tapferen Jünglings, der mit ihm auf Leben und Tod gekämpft hat.“

Steinbach deutete dabei auf Hilal.

„Allah ist groß. Er gibt sogar den Kindern den Sieg über die Männer!“

Das war wieder eine Beleidigung.

„Ja, aber den Kindern des Blitzes; Tarik, der andere Sohn des Blitzes, ist Scheik geworden. Seine erste Tat war, daß er die Beni Suef besiegte. Er verfolgt die wenigen, die entkommen sind, nach dem Ferß el Hadschar, wo ich euer Lager und eure Wasserquellen entdeckt habe. Du siehst, daß ich dir deine Fragen beantworte, obgleich ich das gar nicht nötig habe. Der Sieger soll großmütig sein. Nun erwarte ich von dir, daß du einsichtsvoll und demütig bist. Bist du es nicht, so werden wir mit aller Strenge gegen euch verfahren.“

„Welche Bedingungen stellt ihr uns?“

„Gar keine. Wir sind die Sieger. Ihr unterwerft euch uns mit Hab und Gut. In diesem Fall soll keinem von euch das Leben genommen werden.“

„Ich werde die Alten zusammenrufen.“

„Tu das. Aber denke nicht, daß wir uns vielleicht überlisten lassen. Ist die halbe Stunde verflossen, so beginnen wir unser Werk.“

Steinbach lenkte um und ritt mit Hilal davon.

„Nun“, sagte der letztere, „wie gefällt dir dieser Alte?“

„Gar nicht. Die Grausamkeit und Hinterlist steht ihm auf dem Gesicht geschrieben.“

„Vermutest du eine Hinterlist?“

„Ja.“

„Welche?“

„Es gibt nur eine einzige, zu der sie ihre Zuflucht nehmen können, nämlich uns hinzuhalten, um Zeit zu gewinnen, bis die Ihrigen auf der Flucht hierherkommen.“

„So lange warten wir nicht.“

„Nein, keine Minute über eine halbe Stunde.“

„Dann töten wir sie?“

„Nein, auch dann nicht. Nicht nur die Menschlichkeit, sondern auch die Klugheit gebietet es euch, sie zu schonen. Sie werden eure Diener sein, und wer tötet einen Sklaven, von dem er Nutzen hat? Eure Söhne werden ihre Töchter heiraten, und so wird ihr Stamm mit dem eurigen verschmolzen werden. Ihr werdet dadurch stark und unüberwindlich sein. Ihr müßt ihnen einen Scheik geben, und dieser Scheik wirst du sein. Wenn du klug und mutig mit ihnen verfährst, wird dein Name weit und breit genannt werden.“

Hilals Augen leuchteten auf.

„Effendi, du bist ein Mann, wie es keinen zweiten gibt. Was du tust, ist Heldentat, und was du redest, das klingt, als käme es von den Lippen von hundert Weisen und Ältesten.“

Sie waren noch nicht lange an ihren Posten zurückgekehrt, so vernahmen sie ein Klagegeschrei, das sich im Dorf erhob. Hulam hatte bekanntgemacht, was ihm von Steinbach gesagt worden war. Es gab keine Familie, aus der sich nicht wenigstens ein Krieger an dem Zug gegen die Beni Sallah beteiligt hatte. Jede Familie mußte also erwarten, daß ein Verlust sie betroffen habe. Die Leute waren plötzlich aus ihrer Siegeshoffnung gestürzt worden. Die Weiber rannten mit ihren Kindern im Lager umher und heulten; die Männer, alte sowohl wie junge, hatten sich auf dem Platz um Hulam versammelt. Sie waren still und finster. Sie brüteten Rache und hielten diese doch für unmöglich. Es gab keinen Ausweg, sich der Unterwerfung zu entziehen.

Das sagte einer der angesehensten Ältesten. Er begründete diese Ansicht durch die Worte:

„Ich habe meine Knechte nach allen vier Seiten ausgesandt: sie kamen mit der Nachricht zurück, daß wir vollständig eingeschlossen sind, so daß keine Maus entkommen kann. Wir sind gezwungen, uns zu ergeben.“

„Nein!“ antwortete der Scheik. „Diese Hunde haben unsere Krieger getötet. Sollen wir sie nicht an ihnen rächen? Sollen wir die Sklaven dieser verdammten Beni Sallah sein?“

„Es gibt keinen Ausweg.“

„Es gibt einen. Warten wir, bis diejenigen unserer Leute, die übrig geblieben sind, zurückkehren.“

„Werden die Beni Sallah so lange warten?“

„Ja, denn ich werde sie durch List hinhalten.“

„Wenn sie darauf eingehen, was ich nicht glaube. Und wer weiß, ob so viele wiederkehren, wie nötig sind, uns zu erretten.“

„Wissen wir denn überhaupt mit Gewißheit, daß wir besiegt worden sind? Vielleicht lügen die Beni Sallah.“

„Sie sagen die Wahrheit. Meine Boten haben bei ihnen viele unserer besten Pferde und Kamele gesehen, die ihnen als Beute in die Hände gefallen sind.“

„Allah verfluche sie! Aber wenn wir zu schwach sind, so besitzen wir doch List genug, die oft besser ist als Macht und Tapferkeit. Wenn ich mich auf euch verlassen kann, und ihr mir beistimmt, so werden wir sie doch besiegen.“

„Auf welche Weise?“

„Wir täuschen sie. Wir ergeben uns scheinbar. Sie werden in unseren Zelten einziehen. Sie werden da essen, trinken, ruhen und schlafen. Haben wir da nicht unsere Messer?“

„O Allah!“

Dieser Ruf ging von Mund zu Mund. Einige erschraken über die Zumutung Mörder zu werden; aber die Ihrigen waren umgekommen; es galt Blutrache, es galt ferner Befreiung von der drohenden Knechtschaft. Da war schließlich jedes Mittel recht, das Hilfe erwarten ließ. Die zuerst Zaudernden wurden durch die Reden des Scheiks bald gewonnen, und noch war keine halbe Stunde verronnen, so hatte man sich zu einer Art Pariser Bluthochzeit oder sizilianischer Vesper geeinigt. Es waren zwar wenige Krieger, aber doch genug Alte und ziemlich erwachsene Jünglinge vorhanden, um das blutige, gegen die Beni Sallah geplante heimtückische Werk eines hinterlistigen Überfalls auszuführen.

Als die Versammlung aufgehoben wurde, glänzte ein Zug boshafter Befriedigung auf dem Gesicht des Alten. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte. Er konnte den Tod seines Sohnes in fürchterlicher Weise rächen.

Natürlich war während dieser Versammlung so laut gesprochen worden, daß jeder der Anwesenden es hören konnte. Hinter dem Zelt des Scheiks hatte bis dahin unbemerkt ein Mann gesessen, der nur mit einem Hemd bekleidet war und in jedem Ohr einen Messerschlitz hatte, als Zeichen, daß er Sklave sei. Er war beschäftigt, mittels einer Handmühle Mais zu zerkleinern, achtete aber weit mehr auf die Versammlung als auf seine Arbeit und hörte alles.

Jetzt, da die Leute auseinandergingen und er also nichts mehr erfahren konnte, stand er auf und schritt einigen Palmen zu, die in der Nähe standen.

Da rief ihm der Scheik zu:

„Halt! Wohin willst du?“

„Zu der Herde, um Milch zu holen.“

„Du bleibst!“

Als der Sklave eine zögernde Miene machte, zog Hulam die Pistole aus dem Gürtel:

„Gehorche, oder ich schieße!“ rief er drohend. „Hund, ich durchschaue dich! Du hast alles gehört. Du gehst zur Herde? Tut man das, wenn ein Kampf bevorsteht? Nein, du willst uns verraten! Aber ich werde dafür sorgen, daß du unschädlich wirst. Komme herein in das Zelt!“

Nach einigen Minuten trat der Scheik wieder heraus. Es hatten sich indessen die Ältesten wieder eingefunden, die er sich auserwählt hatte und in deren Begleitung er das Vertrauen der Sieger erwecken wollte.

Gerade als die halbe Stunde vorüber war, traten sie den unter allen Umständen sauren Weg an.

Steinbach hatte Hilal und Normann an seiner Seite. Die eine Abteilung der Beni Sallah hielt bei ihnen. Der Scheik musterte die Tiere und erkannte nun freilich manches Kamel und manches Pferd, das bisher Eigentum seines Stammes gewesen war.

„Nun, was habt ihr beschlossen?“ fragte Steinbach.

Der Alte nahm einen demütigen, aufrichtig klingen sollenden Ton an und antwortete:

„Effendi! Wir haben heute in der Nacht die Schems el Leila bemerkt. Sie kommt aus der Hölle und bringt Unglück und Herzeleid über die Menschen. Wir fürchteten, daß sie den giftigen Smum verkündige, doch ist er nicht erschienen. Dennoch aber hat sie uns Leid gebracht. Unsere Söhne sind tot, und unsere Väter und Brüder liegen erschlagen in der Wüste. Allah hat es gewollt: seine Wege sind unerforschlich. Wir dürfen nicht gegen seinen Willen handeln, denn wir sind Kinder seines Propheten. Wir ergeben uns.“

Steinbach warf einen langen, forschenden Blick in die Triefaugen.

„Ihr ergebt euch unter der von mir genannten Bedingung?“

„Ja.“

„Ohne Hintergedanken?“

„Was sollen wir für Hintergedanken haben? Ihr seid uns um das Zehnfache überlegen.“

„List ist oft erfolgreicher als Stärke. Übrigens rate ich euch, aufrichtig zu sein. Der Verrat würde auf euch selbst zurückfallen.“

„Du kannst uns Vertrauen schenken!“

Es war ein eigentümliches, feines Lächeln, das um Steinbachs Lippen spielte. Aber sein Ton klang ganz vertrauensvoll, als er antwortete:

„Nun wohl, ich will euch glauben. Ihr seid hier sieben Männer. Wie viele Männer zählt die Versammlung der Ältesten?“

„Achtundzwanzig.“

„So mag einer von euch zurückgehen und die Fehlenden holen. Ich will, ehe wir in das Dorf einreiten, mit ihnen beraten, was wir von euch fordern können, ohne daß euer Stamm zugrunde gerichtet wird.“

Das klang verheißungsvoll. Sie wollten also nicht alles Eigentum als gute Beute erklären. Der Scheik gab sofort einem seiner Begleiter den Auftrag die Alten zu holen. Da fuhr Steinbach fort:

„Erteile auch den Befehl, daß alle Männer und alle Knaben, die über zehn Jahre alt sind, sich auf dem Platz versammeln sollen. Ich muß sie zählen, um zu wissen, wie viele Waffen wir euch lassen können. Eure Waffen sind eigentlich nun unser Eigentum; aber der Sohn der Wüste muß Messer, Pistole und Gewehr haben. Ihr sollt behalten dürfen, was ihr braucht!“

Der Bote entfernte sich eiligen Schritts. Dem Scheik war es anzusehen, wie befriedigt er von dem Verhalten Steinbachs war.

„Effendi“, sagte er, „wenn du die Besiegten mit Güte behandelst, wird Allah dich segnen, und sie werden euch lieben.“

„Übertreibe nicht, Alter! Von eurer Liebe wollen wir gar nicht sprechen. Meinst du es denn wirklich so aufrichtig?“

„Mein Herz ist ohne Falsch!“

„Aber dein Gesicht ist voller Tücke. Ich glaube dir kein Wort.“

„Effendi!“ rief der Alte in beleidigtem Ton. „Willst du mich kränken?“

„Unschädlich machen will ich dich. Ob dich das kränken wird, danach darf ich nicht fragen.“

„Was willst du tun?“

„Das wirst du gleich sehen.“

Steinbach drehte sich um und winkte seinen Begleitern. Im Nu hatte eine Anzahl derselben den Scheik und die Alten umringt.

„Effendi, willst du uns morden lassen?“ rief der Scheik entsetzt.

„Nein, sondern ich will nur verhüten, daß wir ermordet werden.“

„Allah! Welch ein Gedanke ist das!“

„Jedenfalls der richtige. Allah hat dein Gesicht gezeichnet. Es steht ganz deutlich darauf geschrieben, was du in deinem Herzen denkst.“

„Ich schwöre, daß ich nichts Böses gegen euch sinne!“

„Schwöre es bei dem Propheten!“

Aller Augen richteten sich auf den Alten. Er zauderte. Da sprach Steinbach:

„Siehe, wie ich dich fange!“

„Effendi, mein Wort ist wie ein Schwur!“

„So muß auch der Schwur wie ein Wort sein, das man ohne Zaudern gibt. Du hast dir wohl eingebildet, klüger zu sein als wir, und geglaubt, wir sind müde, wir werden schlafen! Da sehe ich ja die gezückten Messer in euren Händen! Oh, die Beni Sallah sind keine Schafe, die man ganz nach Belieben abschlachten kann! Bindet sie und schafft sie so weit zurück, daß sie uns nicht stören können!“

Kamelstricke waren genug vorhanden, diesen Befehl auszuführen. Die Männer protestierten zwar energisch gegen diese Behandlung mußten sich aber natürlich fügen.

Kaum waren sie hinter die Front geschafft worden, so kam der abgesandte Bote mit den übrigen Ältesten herbei. Sie hatten erfahren, weshalb sie gerufen wurden, und fühlten sich also nicht wenig enttäuscht, als man ihnen ohne Umstände die Hände auf den Rücken band und sie zu den anderen Gefangenen führte.

„Meinst du denn wirklich, daß diese Ältesten auf Heimtücke sinnen?“ fragte Hilal.

„Ich bin davon überzeugt.“

„Wodurch?“

„Das Gesicht des Alten gefällt mir nicht. Auch hat er sich scheinbar viel zu schnell in sein Schicksal gefunden, als daß ich an die Aufrichtigkeit dieser Ergebung glauben sollte. Ich bin überzeugt, daß wir es noch erfahren werden, welchen Plan sich die Versammlung der Ältesten ausgesonnen hat. Jetzt wollen wir die anderen Abteilungen benachrichtigen. Wir umschließen das Lager enger, so daß kein einziger Mensch entfliehen kann. Hundert unserer Reiter aber kommen mit uns nach dem Platz, wo die Männer, Greise und Knaben sich versammelt haben. Alles, was männlich ist, wird gefangengenommen und gebunden. Dann nehmen wir alle vorhandenen Waffen, selbst die Messer an uns. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die flüchtigen Beni Suef haben den Weg über den Ferß el Hadschar eingeschlagen, welcher kürzer ist als derjenige, den wir zurückgelegt haben. Sie können jeden Augenblick hier ankommen.“

In der Zeit von wenigen Minuten war das Zeltdorf eng umschlossen. Die Herden hatte man natürlich außerhalb der Einschließungslinie lassen müssen. Hundert Mann, die geladenen Flinten in der Hand, ritten nach dem Platz, wo die männlichen Angehörigen der Beni Suef standen. Es waren über zweihundert. Alle hatten ihre Messer oder auch andere Waffen im Gürtel stecken, denn selbst der unerwachsene Beduinenknabe führt wenigstens ein Messer mit sich. Das war eine Dummheit von ihnen, weil dadurch ihre Entwaffnung außerordentlich erleichtert wurde.

Steinbach richtete einige Worte an sie, des Inhaltes, daß sie für ihr Leben nichts zu befürchten hätten und daß auch ihr Lager nicht verwüstet werden solle. In jenen Gegenden pflegt nämlich der Sieger die Herden der Besiegten fortzuführen, ihre Palmen niederzuschlagen und ihre Brunnen zu verschütten, so daß sie entweder als Sklaven mit ihm ziehen oder an ihrem Wohnort elend verschmachten müssen.

Steinbachs Versicherung machte sichtlich einen sehr guten Eindruck, doch wurden die Gesichter ein wenig länger, als er verlangte, daß jeder Anwesende die Waffen niederlegen solle. Freilich blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Dann wurden sie alle aus dem Lager geführt, worauf sie sich unter den Palmen niedersetzen mußten. Die gefesselten Ältesten wurden auch herbeigebracht, und Steinbach bedeutete allen, daß jeder, der einen Fluchtversuch wage, sofort eine Kugel erhalten werde.

Man kann sich denken, welchen Eindruck es auf die weiblichen Bewohner des Lagers machte, als sie sahen, daß ihre Männer gefangengenommen wurden. Sie erhoben ein lautes Klagegeschrei, das aus allen Zelten ertönte, aber bald wieder verstummte, als sie bemerkten, daß den Gefangenen kein Schaden an Leib und Leben widerfahren sollte.

Jetzt wurden schnell die Herden besichtigt. Es waren Prachttiere vorhanden, von so hohem Wert, daß die Beni Suef sich gescheut hatten, sie den Gefahren eines Kriegszuges auszusetzen.

Die Frauen und Mädchen der Beni Suef hatten natürlich alle Hände voll zu tun, für die gefangenen Ihrigen und die Sieger Nahrung zu beschaffen.

Als Normann sich gesättigt hatte, wurde er mit einigen gut berittenen Begleitern ausgesandt, die nördlich liegende Gegend zu beobachten, aus der die flüchtigen Beni Suef vom Ferß el Hadschar herkommen mußten. Steinbach wählte gerade ihn dazu, weil er sich am meisten auf ihn verlassen konnte und der Maier mit dem Fernrohr umzugehen wußte.

Nun trat eine Zeit des Wartens ein. Man konnte nicht weitere Dispositionen treffen, bevor die Flüchtlinge empfangen worden und gefangen waren.

Steinbach benutzte die Ruhepause, um sich das Zeltdorf genauer zu besehen, als es bisher geschehen war. Dabei kam er an ein kleines Bauwerk, das außerhalb des Dorfes lag. Es war aus Steinen aufgeführt, hatte etwas über Mannshöhe und war, was hier auffallen mußte, mit einer hölzernen Tür versehen. Holz ist nämlich in den Oasen der Wüste eine Seltenheit.

Diese Tür hatte einen eigentümlichen Verschluß. Derselbe bestand aus vier kreuzförmig gegeneinander gerichteten Holzriegeln, die so künstlich ineinandergriffen, daß nur der Eingeweihte diesen Mechanismus öffnen konnte.

Eben kam eine junge Beduinenfrau vorüber, die am Brunnen Wasser geholt hatte.

„Was ist das für eine Hütte?“ fragte Steinbach.

„Sie dient zum Dörren der Bla halefa“, antwortete die Gefragte.

Unter Bla halefa versteht man die geringste Sorte von Datteln, die getrocknet und dann als Futter für die Tiere benutzt werden.

„Wem gehört sie?“

„Dem Scheik.“

„Öffne mir!“

Steinbach wollte sich die Einrichtung besehen. Die Frau trat jedoch einen Schritt zurück und wurde verlegen.

„Ich kann nicht“, antwortete sie endlich stockend.

„Verstehst du nicht, mit den Riegeln umzugehen?“

„Nein.“

„Lüge nicht! Ich sehe es dir an, daß du die Unwahrheit sprichst. Warum lügst du?“

Er sagte das in so drohendem Ton, weil er als Menschenkenner aus dem Verhalten des Weibes schloß, daß es sich hier um etwas handle, was er nicht wissen solle. Sie erschrak sichtlich und stammelte:

„Verzeih, Effendi! Ich darf nicht öffnen.“

„Warum nicht?“

„Der Scheik hat es verboten.“

„Wann? Seit längerer Zeit, oder erst seit unserer Ankunft?“

Sie hatte wohl Lust, ersteres zu bestätigen; er aber blickte ihr so scharf in die Augen, daß sie nicht zu lügen wagte. Sie antwortete also:

„Seit vorhin erst.“

„Ah! Schön! Und du kannst öffnen?“

„Ja.“

„So tue es!“

„Der Scheik wird mich bestrafen.“

„Jetzt bin ich hier Scheik und Gebieter. Übrigens verspreche ich dir, daß kein Mensch erfahren soll, daß du mir geöffnet hast. Was befindet sich denn drinnen?“

Sie blickte sich vorsichtig um, und als sie sah, daß sie ganz allein hier waren, trat sie einen Schritt näher und antwortete:

„Nena ist drinnen.“

„Nena? Wer ist das?“

„Der Sklave des Scheiks.“

„Wann wurde er hineingesteckt?“

„Nach der Versammlung der Ältesten, die vorhin abgehalten wurde.“

„Warum?“

„Ich weiß nicht. Er hatte wohl die Reden belauscht.“

„Ah, ich ahne da eine Teufelei. Öffne also!“

„Aber du wirst mich nicht verraten?“

„Nein.“

Jetzt trat sie zur Tür, schob die Riegel in gewisser Reihenfolge gegeneinander, ergriff sodann aber schnell den Wasserkrug und eilte davon. Die Tür war nun offen.

Steinbach mußte sich bücken, um hineinblicken zu können. Er sah eine Art Herd, auf dem wohl Kamelmist gebrannt wurde. Über demselben gab es in regelmäßigen Entfernungen Erhöhungen, auf die wohl die Hürden zu liegen kamen, die zur Aufnahme der Datteln bestimmt waren. Jetzt fehlten diese Hürden; aber auf dem Boden lag eine nur mit einem Hemd bekleidete Gestalt, die gefesselt war. Um den Kopf derselben hatte man eine Decke gewunden und mit einer Schnur befestigt.

Steinbach zog den Mann an den Beinen heraus und entfernte rasch die Decke. Das Gesicht des armen Teufels war aufgedunsen und hochrot gefärbt, seine Augen verdreht. Er hatte nicht genug atmen können und war dem Tod des Erstickens oder des Schlagflusses nahe gewesen. Jetzt holte er tief und geräuschvoll Atem und stieß, als er Steinbach erblickte, einen Ruf der größten, aufrichtigsten Freude aus.

„Allah sei Dank! Du bist es, Effendi! Ich bin gerettet, gerettet!“

„Ich höre, du seist Nena, der Sklave des Scheiks?“

„Ja, o Herr.“

„Seit wie lange?“

„Seit einigen Jahren.“

„Dein Name ist nicht arabisch, sondern indisch?“

„Ja, ich bin aus dem Land des Maharadschas von Nubrida.“

Radscha heißt im Indischen Herr, Fürst, und Maha ist groß; Maharadscha heißt also soviel wie großer Herr, großer Fürst. Es ist der Titel für viele bekannte, teilweise auch berühmte indische Herrscher.

„Wie kommst du aus Indien so fern in die Sahara?“

„Das werde ich dir noch erzählen! Welch ein Glück, daß du mich zufällig gefunden hast!“

„Warum hat dein Herr dich hier versteckt?“

„Weil er fürchtete, von mir verraten zu werden. Ich wollte dich warnen.“

„Vor wem?“

„Vor dem Scheik und allen Bewohnern des Dorfes. Nehmt euch in acht. Man will euch töten!“

„Uns alle?“

„Alle!“

„Ah! Habe es mir gedacht!“

„Seid ihr bereits im Dorf eingezogen?“

„Ja.“

„So bitte ich euch um Allahs willen, den Beni Suef die Waffen abzunehmen. Sie wollen euch im Schlaf ermorden.“

„Das habe ich mir gedacht.“

„Es wurde in der Versammlung der Ältesten beschlossen, sich scheinbar zu unterwerfen, euch aber zu erstechen, wenn ihr schlafen würdet. Seid ihr viele Krieger?“

„Sehr viele.“

„So nehmt lieber die Suef gefangen!“

„Ich bin dir sehr dankbar für deine Warnung und freue mich, daß ich das, was du mir rätst, bereits getan habe. Alle männlichen Suef sind gefangen, und alle Waffen befinden sich in unseren Händen.“

„So seid ihr Sieger. Werde ich nun euer Sklave sein müssen, Effendi?“

„Nein, du bist frei.“

Da liefen dem Mann die Tränen aus den Augen; er faltete die Hände und sagte weinend:

„Allah möge es dir vergelten. Er hat mich hart bestraft für das, was ich tat, ohne zu wissen, welche Folgen es haben werde. Könnte ich es doch wiedergutmachen!“

„Wer seine Fehler bereut, der findet bei Gott auch Vergebung. Wie kommst du in die Sahara? Ich fragte dich bereits.“

„Mein Herr bereiste die Gegenden des Nils. Ich wußte einiges von ihm, was ihm Schaden bringen konnte; er wollte mich daher loswerden und verschacherte mich heimlich an einen Stamm der Sudanesen. Als er abreiste, hielten diese mich fest. Ich wurde weiterverkauft und kam durch Kriege und Niederlagen meiner Herren in immer andere Hände bis hierher.“

„Ein sauberer Herr!“

„Oh, er war ein Europäer!“

„Ist das möglich?“

„Sogar ein Graf.“

„Das ist unmöglich. Du irrst dich jedenfalls.“

„Ich weiß es ganz gewiß.“

„Er hat sich wahrscheinlich nur für einen Grafen ausgegeben. Ein Edelmann ist unfähig eine solche Schurkerei zu begehen.“

„Ich bin meiner Sache sicher. Ich war ja mit ihm auf seinen Gütern in Rußland.“

„Ein russischer Graf? Ah! Wie ist der Name?“

„Du wirst ihn nicht kennen.“

„Oh, ich bin Europäer und kenne alle Namen russischer Edelleute.“

„Es war der Graf Polikeff.“

Steinbach fuhr zurück, als ob jemand ihm einen Stoß versetzt hätte.

„Polikeff!“ rief er aus. „Höre ich recht?“

„Graf Alexei Polikeff!“

„Welch ein Zusammentreffen! Was würdest du tun, wenn du ihm begegnetest?“

„Ich würde ihm alle seine Taten ins Gesicht schleudern. Er ist ein Verbrecher, ein Halunke!“

„Schön! Du wirst noch heute mit ihm sprechen können.“

„Heute, Effendi?“ frage Nena, indem er gewaltig große Augen machte.

„Ja. Ich bin hier, ihn zu fangen. Er kommt mit den flüchtigen Beni Suef hierher.“

„Allah il Allah! Gott ist allmächtig! Jetzt wird mein heißester Wunsch erfüllt. Kennst du ihn?“

„Ich kenne ihn als einen der größten Halunken, die es geben kann. Ich bin ihm von Stambul aus bis hierher nachgereist, um ihn zu fangen.“

„Oh, so wirst du mir vielleicht helfen, eine Tat wiedergutzumachen, die ich gar nicht beabsichtigt hatte.“

„Welche?“

„Sage mir vorher, ob er ein Weib besitzt.“

„Nein.“

„Allah sei Dank! So hat also Semawa ihm glücklich widerstanden!“

Beinahe hätte Steinbach laut aufgeschrien. Semawa heißt im Arabischen soviel wie Himmelblau. Im Türkischen heißt ganz dasselbe Wort Gökala. Waren diese beiden eine und dieselbe Person? Sollte ihm hier im fernen Winkel der Wüste, die so heiß ersehnte Aufklärung werden, die er in Stambul vergebens gesucht und die ihm sogar von Gökala selbst verweigert worden war? Er glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Fast ohne Atem vor Aufregung und Erwartung fragte er:

„Wer ist Semawa?“

„Die Tochter des Maharadschas von Nubrida.“

„Herrgott! Kennst du sie?“

„Ich habe sie oft gesehen, als ich noch Untertan von Banda, ihrem Vater, war.“

„Wie lange ist das her?“

„Sechs Jahre.“

„Wie alt war sie damals?“

„Vielleicht fünfzehn.“

„Das stimmt; das stimmt ganz sicher. Mein Gott! Sie muß schon damals so entwickelt gewesen sein, daß sie sich im wesentlichen seitdem nicht mehr verändert haben kann.“

„Ihre Mutter war eine Deutsche, die Tochter eines Arztes in englischen Diensten. Sie war so schön, daß der Maharadscha sie zur Frau begehrte. Sie willigte ein unter der Bedingung, daß sie die einzige Frau des Herrschers bleibe. Er hat sie sehr geliebt und Wort gehalten. Semawa war ihr einziges Kind.“

„Beschreibe mir diese Tochter!“

„Sie war ein lichtes, entzückendes Gebilde des sonnigen Tages, blond, mit einem Haar wie flüssiges Gold. Ihre Augen wetteiferten mit dem schönsten Blau des Himmels; es gab in ihnen zuweilen ein Leuchten und Glühen, als ob der Blick Brillanten strahle. Wegen der Farbe dieser herrlichen Augen erhielt sie den Namen Semawa – Himmelsblau.“

„Und sie kam später zu dem Grafen Polikeff?“

„Ja, aber nicht freiwillig. Sie war gleichsam seine Gefangene. Ich werde es dir erzählen.“

„Sie ist es, sie ist es! Herr, mein Heiland, welch ein Tag, welch ein Tag!“

„Du kennst sie alle?“

„Ich habe sie in Stambul gesehen mit dem Grafen. Sie ist mit ihm jetzt in Ägypten.“

„Hast du mit ihr gesprochen?“

„Ja.“

Steinbach befand sich wie im Fieber. Er hatte seine Fragen so schnell hintereinander ausgesprochen, daß Nena mit seinen Antworten kaum zu folgen vermochte. Der Inder warf einen forschenden Blick auf ihn.

„Verzeihe mir die Frage, Effendi“, sagte er in bescheidenem Ton. „Ich tue sie nicht aus Neugierde. Liebst du sie?“

„Unendlich!“ antwortete der Gefragte.

Nur seine Begeisterung war schuld, daß ihm die Antwort entfuhr, die er sonst wohl einem so untergeordneten Menschen gegenüber nicht gegeben hätte. Aber jetzt war ihm das alles ganz und gar gleich, und er fuhr fort:

„Wenn du mir Auskunft über ihr Verhältnis zu dem Grafen geben könntest!“

„Das kann ich, viel besser als jeder andere, vielleicht ebensogut wie sie oder der Graf selbst!“

„So werde ich dich belohnen, daß du mehr, viel mehr als nur zufrieden sein sollst!“

„Du hast mich bereits überreichlich belohnt, indem du mir die Freiheit versprachst. Gib mir jetzt noch ein Kleid, so verlange ich weiter nichts.“

Nena deutete auf sein armseliges Hemd. Steinbach nickte eifrig und zustimmend:

„Jawohl, natürlich! Ich vergesse dich ganz, indem ich nur an mich denke. Du sollst sofort haben, was du dir wünschst. Wir können ja dann auch von Semawa sprechen. Komm, folge mir!“

„Ist auch der Scheik gefangen?“

„Ja; du brauchst ihn nicht zu fürchten.“

Schnell schritten sie dem Lager zu. Als sie durch die Zeltreihe gingen, sah man die Frauen erschrecken, als sie den Inder erblickten. Sie wußten nun, daß ihre Absicht verraten sei.

Steinbach führte Nena direkt in das Zelt des Scheiks. Die Frau desselben, eine alte Mumie, die ihres Mannes ganz würdig zu sein schien, fuhr beim Anblick des Sklaven zusammen.

„Kennst du diesen Mann?“ fragte Steinbach.

„Ja, Effendi.“

„Er braucht ein Gewand.“

„Woher soll er es nehmen?“

„Von dir!“

„Von mir?“ fragte sie erstaunt. „Unser Sklave ein Gewand von uns?“

„Ja, und zwar sofort! Öffne deine Truhe und hole das beste Festkleid deines Mannes hervor.“

Die Alte blickte ihn an, als ob sie ihn für nicht zurechnungsfähig halte.

„Na, schnell, schnell! Sonst helfe ich!“

Steinbach ergriff einen starken Kamelstrick, der an der Querstange des Zeltes hing, legte ihn vierfach zusammen und gab ihr einige Schläge.

„O Allah, Allah! Gleich, sofort!“ heulte sie auf.

Jetzt hatte sie es so eilig das Gewand zu holen und loszuwerden, daß Nena in der Zeit von zwei Minuten zu seinem großen Vorteil umgewandelt war und ganz einem reichen, ehrwürdigen Araber von guter Abstammung glich.

„Jetzt komm weiter“, sagte Steinbach, führte Nena aus dem Zeltdorf hinaus nach der Richtung, in der sich die Gefangenen befanden, und gab ihm an der geeigneten Stelle die Weisung:

„Bleib hier hinter dieser Palme stehen. Wenn ich winke, kommst du zu mir!“

Darauf begab er sich zu den ganz in der Nähe lagernden Beni Suef, deren Scheik, als er ihn kommen sah, sofort seine Stimme laut erhob:

„Oh, Effendi, wir verlangen Gerechtigkeit. Wir sind Kriegsgefangene, aber keine Verbrecher. Warum hast du uns binden lassen? Warum läßt du uns die Fesseln auch jetzt noch nicht abnehmen?“

„Weil ihr sie verdient habt!“

„Dein Verdacht ist grundlos. Wir haben es mit unserer Unterwerfung ehrlich gemeint.“

„Sagen das auch die Ältesten?“

„Ja“, erscholl es rund im Kreis.

„Ihr seid Lügner, obgleich ihr bereits mit dem einen Fuß im Grab steht.“

Da nahm der Scheik eine stolze, beleidigte Miene an und erwiderte:

„Effendi, wenn ich nicht dein Gefangener wäre, würde ich dich wegen dieser Beleidigung zur Rechenschaft ziehen!“

„Das traue ich dir zu. Vielleicht würdest du mich sogar zur Strafe in die Hütte sperren, wo du deine Bla halefa zu dörren pflegst.“

Der Scheik erschrak, faßte sich aber sofort wieder und antwortete:

„Nein, sondern ich würde mit dir kämpfen, wie es sich für einen Krieger schickt und ziemt.“

„Und ich würde dich mit der Peitsche bedienen statt mit der Waffe, wie es einem feigen Mörder und Verräter nicht anders zukommt. Da, siehe diesen hier!“

Steinbach winkte Nena, der sogleich langsam und würdevoll herbeikam, den aber die Beni Suef in seiner gegenwärtigen Kleidung nicht sofort erkannten.

„Wer ist dieser Mann?“ fragte der Scheik.

„Sieh ihn dir genauer an!“

„Ich habe ihn noch nie gesehen.“

„Aber in die Dörrhütte hast du ihn gesteckt!“

„Allah!“

Erst jetzt wußte der Scheik, wen er vor sich hatte.

„Nun, willst du mir vielleicht sagen, weshalb du diesen Mann eingesperrt hast?“

Der Scheik nahm ein höchst reserviertes Gesicht an und antwortete:

„Bin ich dir darüber Rechenschaft schuldig?“

„Ja.“

„Er ist mein Sklave und nicht der deinige. Ich kann mit ihm machen, was ich will.“

„Du irrst. Dein Sklave ist er gewesen. Jetzt sind wir Sieger, und so gehört er nicht mehr dir, sondern uns. Aus ganz demselben Grund hast du mir überhaupt alle meine Fragen zu beantworten, wenn du nicht willst, daß ich dich zwingen soll.“

Der Scheik warf einen giftigen Blick auf den Sprecher.

„Womit willst du mich zwingen?“

„Es gibt verschiedene Mittel, zum Beispiel Schläge.“

Es gibt nichts Beleidigenderes für einen Araber, als wenn man ihm mit Schlägen droht.

„Mich prügeln?“ brauste der Scheik auf. „Mich, einen Scheik, einen freien Sohn der Wüste!“

„Pah! Du bist nicht mehr Scheik und nicht mehr frei. Du bist besiegt und gefangen. Das merke dir nur. Also antworte! Was hat dieser Mann getan, daß du ihn einsperrtest?“

„Er war ungehorsam.“

„In welcher Weise?“

„Ich befahl ihm, zu arbeiten, und er tat es nicht.“

„Das ist eine Lüge. Du warst besorgt, er werde uns sagen, welchen Plan ihr gegen uns verabredet hattet. Du hast ihn so gebunden und vermummt, daß er gestorben wäre, wenn ich ihn nicht durch Zufall gefunden hätte.“

„Er hat keine Veranlassung dazu. Er will uns verderben!“

„Das hat er nicht nötig denn ihr seid verdorben genug. Man wird auf das allerstrengste mit euch verfahren. Merkt euch folgendes: Ein jeder von euch, der nur Miene macht, ohne besondere Erlaubnis von der Stelle, auf der er jetzt sitzt, aufzustehen, wird augenblicklich erschossen. Diesen Befehl habe ich gegeben, und er wird ohne alle Nachsicht gegen euch erfüllt werden.“

Steinbach hätte vielleicht noch weitere und eindringlichere Bemerkungen zu den ihrer Hinterlist überführten Beni Suef gemacht, aber er wurde gestört, denn soeben kam Normann mit seinen Begleitern in das Zeltdorf geritten und meldete in deutscher Sprache, die keiner der anderen verstand:

„Sie kommen!“

„Wie viele sind ihrer?“

„Ich konnte sie nicht zählen. Sie reiten in einem dichten Haufen.“

„Und Tarik? Haben Sie ihn und seine Truppe nicht auch bemerkt?“

„Nein.“

„Werde einmal selbst nachsehen. Führen Sie mich!“

Steinbach bestieg ein Pferd und ritt mit Normann ein Stück vor die Oase hinaus. Da sah er durch das Fernrohr am nördlichen Horizont einen dunklen Punkt, der sich näherte.

„Nicht wahr, sie sind es?“

„Ja. Und noch weiter draußen ist es mir, als ob ich eine dünne Linie sähe. Ich möchte wetten, daß dies Tarik mit seinen Leuten ist. Wenn ich mich nicht verrechne, werden die Beni Suef nach ungefähr drei Viertelstunden hier sein.“

„Wie empfangen wir sie?“

„So, daß nicht ein einziger entkommen kann. Wir teilen uns deshalb in drei Haufen. Von unseren siebenhundertfünfzig Mann reiten zweihundert nach Osten und ebenso viele nach Westen. Sie gehen im Galopp fort, um von den heranziehenden Suef nicht gesehen zu werden, bilden zwei Viertelkreise, die sich im Norden mit Tariks Schar berühren, ziehen sich dann immer näher heran und immer enger zusammen. Die übrigen Leute außer den hundert, die die Gefangenen in Schach zu halten haben, also über zweihundert an der Zahl, bleiben hier zurück, um die Ankommenden im geeigneten Augenblick draußen vor der Oase zu empfangen. Auf einen Kampf hier zwischen den Zelten dürfen wir es nicht ankommen lassen.“

„Wer soll kommandieren?“

„Ich hier im Lager. Sie mögen die nach Osten bestimmte Schar befehligen und Hilal die nach Westen reitende. Sie müssen es so einrichten, daß Sie weder zu früh noch zu spät herankommen. Wollen eilen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Sie kehrten nach den Zelten zurück. Nach wenigen Sekunden ritten Normann und Hilal mit ihren Leuten ab, der eine rechts und der andere links zum Lager hinaus.

Das war ganz selbstverständlich in der Weise geschehen, daß die gefangenen Beni Suef nichts davon gemerkt hatten, die nicht erfahren sollten, daß ihre Krieger sich näherten, und auch nicht, daß die Besatzung des Lagers durch die Entsendung der Vierhundert so bedeutend geschwächt worden war.

Nun trat eine längere Pause der Erwartung ein, in der Steinbach sich mit seinen zweihundertfünfzig Reitern bis beinahe unter die letzten Palmen hinaus zurückzog, doch so, daß er von den nahenden Feinden nicht vorzeitig erkannt werden konnte. Dort wartete er.

Die Suef kamen im Trab näher; ihre Bewegung war aber keineswegs eine schnelle, denn sie selbst und auch ihre Pferde waren müde und erschöpft. Außerdem brachten sie die Kunde ihrer Niederlage, und da ist man nicht so schnell, als wenn man der Überbringer einer Siegesbotschaft sein darf.

Steinbach ließ natürlich auch den östlichen und westlichen Horizont nicht aus den Augen. Dort war nur je eine, fast kaum bemerkbare Linie zu sehen, die sich schnell nach Norden zu ausdehnte, um diejenige Linie zu erreichen, welche die von Tarik befehligte Schar bildete. Diese Vereinigung mit derselben kam schnell zustande. Sie war vollzogen, noch ehe die Beni Suef sich der Oase so weit genähert hatten, daß man die einzelnen Reiter voneinander unterscheiden konnte. Nun brauchten Hilal und Normann nur noch Anschluß an Steinbach zu suchen, so waren die Feinde eingeschlossen.

Diese kamen unterdessen ganz unbesorgt näher, und Steinbach bemerkte durch das Fernrohr, daß sie sich sehr oft nach Tariks Schar umblickten, von der sie verfolgt wurden. Sie schienen gar nicht begreifen zu können, daß eine so kleine Schar es wage, sich an ihre Fersen zu heften.

Jetzt sonderten sich einige, die sich im Galopp näherten, von ihnen ab. Sie sollten jedenfalls den Ihrigen in der Oase das Nahen der Krieger verkündigen und sie auf die Kunde von dem Mißlingen des Kriegszuges vorbereiten.

Da zog Steinbach seine Leute etwas zurück, blieb aber selbst mit einer genügenden Anzahl vorn seitwärts halten, um die Boten, die nur ihrer fünf waren, vorüberzulassen und in die Mitte zu nehmen.

Als diese kamen und sich der Oase näherten, schienen sie sich immer mehr darüber zu wundern, daß auf dieser Seite sich keine Herden befanden, und man sah, daß sie wiederholt umherblickten. Jetzt erreichten sie die Palmen und trabten an Steinbach vorüber, den sie nicht bemerkten. Sofort schwenkte dieser hinter ihnen ein und rief ihnen zu:

„Halt!“

Verwundert hielten sie an und blickten zurück. Es kam ihnen erstaunlich vor, eine Anzahl Reiter hinter sich zu sehen, die sie vorher gar nicht bemerkt hatten.

„Woher kommt ihr?“ fragte Steinbach.

Die Boten kamen ein wenig näher, und einer meinte:

„Das haben wir zu fragen, nicht aber ihr. Ihr seid hier fremd. Woher kommt ihr?“

„Aus dem Norden.“

„Das ist nicht wahr.“

„Weißt du es etwa besser?“

„Ja. Wir müßten euch gesehen haben.“

„Was kann ich dafür, daß ihr die Augen nicht besser aufgetan habt!“

„Deine Zunge scheint nicht eine Freundin der Höflichkeit zu sein. Zu welchem Stamm gehört ihr?“

„Diese Männer sind Beni Sallah.“

„Sallah! Du lügst!“

„Schäme dich! Ich bin Masr-Effendi, den du wohl kennen wirst.“

„Masr-Effendi? Der ist im Norden bei den Beni Sallah. Du also kannst er nicht sein.“

„Ich bin es. Ich habe euch gestern in den Dünen vor dem Kampf gewarnt, ihr habt meinem Rat nicht gefolgt und seid in das Verderben gerannt. Ihr meint vielleicht, uns entkommen zu sein, habt euch aber geirrt. Wir sind eher da als ihr. Ich fordere euch auf, euch zu ergeben!“

„Bist du wahnsinnig? Hier in unserem Duar?“

Der Suef zog seinen Wurfspieß aus dem Riemen.

„Laß den Spieß stecken!“ meinte da Steinbach. „Was willst du gegen uns ausrichten. Siehe dich nur um!“

Der Suef blickte hinter sich und bemerkte nun allerdings die Feinde, die soeben auf einen Wink Steinbachs herbeikamen, um die fünf Reiter zu umzingeln.

„Allah ist groß!“ rief der Mann, da er sofort bemerkt hatte, daß die Beni Sallah auch groß waren, wenigstens in Beziehung auf ihre Anzahl. Gleich darauf wurde er mit seinen vier Begleitern so schnell zusammengedrängt und von den Tieren gerissen, daß ihnen gar kein Gedanke an Gegenwehr kam, viel weniger aber ihnen die Zeit dazu geboten wurde.

„Entwaffnet sie schnell und schafft sie zu den anderen Gefangenen“, befahl Steinbach, der sah, daß es für ihn nun Zeit sei, den Beni Suef entgegenzugehen, denn diese befanden sich schon so nahe, daß man beinahe ihre Gesichter voneinander unterscheiden konnte. Dann ließ er seine Leute eine doppelte Reihe bilden und sprengte mit ihnen im Galopp gerade auf die Beni Suef zu.

Diese blieben augenblicklich halten, als sie eine so starke Reiterschar unter den Palmen heraus sich entgegenkommen sahen. Waren das Freunde? Etwa ihre eigenen alten, kampfunfähigen Leute? Nein, das war nicht möglich. Feinde aber konnten es auch nicht sein, denn woher hätten diese jetzt kommen sollen! Vielleicht waren es die Krieger eines befreundeten Stammes, die gekommen waren, eine festliche Fantasia mit ihnen abzuhalten.

Da sie sich diese Fragen nicht beantworten konnten, so blieben sie halten, um das Weitere abzuwarten. Schon war Steinbach, den Seinen voran, ganz nahe herbeigekommen, hielt sein Pferd an und sagte:

„Die Krieger der Beni Suef haben schlechte Pferde, daß sie ihre Feinde eher an ihr Zeltdorf kommen lassen.“

„Seid ihr etwa Feinde?“ fragte einer, der den Anführer zu machen schien.

„Ja.“

„Bei Allah, ihr seid aufrichtig!“

„Wir sind Männer. Nur Weiber pflegen zu leugnen, wer sie sind und was sie wollen.“

„Zu welchem Stamm gehört ihr?“

„Zu dem, der euch besiegte.“

„Zu den Beni Sallah?“

„Ja.“

„Scherze nicht! Wie könnten die Hunde der Beni Sallah bereits vor uns hier angekommen sein!“

„Weil sie bessere Reiter sind als ihr.“

„Mann, willst du uns beleidigen? Ich sage dir, ehe es einem Beni Sallah gelingt, uns –“

Der Anführer wurde unterbrochen, denn einer seiner Krieger, der ganz hinten gehalten und infolgedessen Steinbach nicht deutlich gesehen hatte, war weiter nach vorn gekommen und rief im Ton des Schrecks:

„Masr-Effendi!“

„Wer? Dieser Mann hier?“ fragte der Anführer.

„Ja, er ist es.“

„Hölle und Teufel! Irrst du nicht?“

„Nein. Ich habe ihn gestern genau gesehen, als er Omram niederschlug.“

Diese Kunde brachte die Wirkung hervor, daß die Beni Suef alle zu den Waffen griffen.

„Laßt die Waffen in Ruhe!“ sagte jedoch Steinbach. „Es nützt euch nichts.“

Die Beni Suef zählten wohl ebensoviel wie die Beni Sallah.

„Uns nichts nützen?“ fragte der Anführer höhnisch. „Wir werden euch gleich zeigen, wem es nützt und wem es schadet, uns oder euch!“

Mit diesen Worten erhob er den scharfen, spitzen Dscherid zum Wurf.

„Halt!“ rief da Steinbach, indem er gebieterisch den Arm erhob. „Kein unnützes Blutvergießen! Wir haben euer Dorf besetzt. Alle eure Einwohner sind unsere Gefangenen. Wenn Blut fließt, so werden von ihnen so viele büßen müssen, wie ihr jetzt von den Unsrigen verwundet!“

„Allah! Gefangen sind sie?“

„Alle, auch der alte Scheik. Übrigens dürft ihr nicht meinen, daß wir so schwach sind wie ihr. Blickt euch um, rechts und links und auch hinter euch!“

Die Suef hatten bisher ihr Augenmerk nur geradeaus gerichtet. Darum war ihnen entgangen, was auf den andern Seiten geschehen war. Die Scharen Hilals und Normanns hatten sich mit derjenigen Tariks vereinigt und kamen nun im Galopp herangesprengt, die Beni Suef von allen Seiten einschließend. Ehe diese sich von ihrem Schreck erholt hatten, waren sie von allen Seiten umzingelt, und die Beni Sallah rückten augenblicklich so eng zusammen, daß sie mit ihren Kugeln in den Haufen der Feinde schießen konnten.

„Seht ihr nun, daß jeder Widerstand vergeblich ist?“ fragte Steinbach. „Ich hoffe, daß ihr das tut, was zu eurem Frieden dient! Ihr haltet in der Mitte. Wenn jeder von uns nur eine Kugel sendet, seid ihr alle tot.“

Die Beni Suef schoben ihre Pferde enger aneinander und berieten sich. Es war ihren Blicken anzusehen, in welcher Wut sie sich befanden. Nach einer Weile schienen sie einig geworden zu sein. Derjenige, der bisher gesprochen hatte, nahm wieder das Wort und fragte:

„Du hast das Dorf bereits erobert?“

„Ja.“

„Und alle Bewohner gefangengenommen?“

„Alle.“

„Welche Bedingungen stellst du uns, wenn wir uns ohne Kampf ergeben?“

„Wir schenken euch das Leben.“

„Weiter nichts? Was wird mit unserm Eigentum?“

„Darüber wird noch beraten. Übrigens wollen wir nicht, daß ihr verhungern sollt.“

„Diese Bedingung ist hart.“

„Der alte Scheik hat sie auch angenommen. Er hat mit allen seinen Leuten den Tod verdient, denn er hatte den Entschluß gefaßt, Ergebung zu heucheln, uns aber dann im Schlaf zu ermorden. Es wird auf euer Verhalten ankommen, ob wir uns dafür rächen oder nicht.“

„Ich kann es nicht auf mich nehmen, uns zu ergeben. Ich bin nur einstweilen Anführer. Hole den alten Scheik herbei. Was er uns sagt, das werden wir tun!“

Da gab Hilal Steinbach einen Wink, kam rasch herbeigeritten und sagte:

„Willst du das wirklich tun?“

„Ja, und zwar magst du selbst den Alten herbeiholen.“

„Wozu? Warum diese lange Verhandlung? Hätten die Suef mit uns verhandelt, wenn sie Sieger geworden wären?“

„Vielleicht doch. Wenigstens können wir das Gegenteil nicht behaupten, da sie uns eben glücklicherweise nicht besiegt haben.“

„Dennoch brauchen wir nicht so übermäßig langmütig zu sein. Soll das, was sie tun, von einem abhängig sein, der unser Gefangener ist? Sind wir nicht achthundert gegen kaum mehr als zweihundert?“

„Aber wenn es zum Kampf kommt, werden sie sich wehren und mehrere von uns töten und viele verwunden. Warum soll Blut vergossen werden, wenn es nicht unumgänglich nötig ist!“

„Du magst recht haben, aber diese Hunde verdienen keine Schonung.“

„Ich schone uns, indem ich sie schone. Reite du selbst in das Lager und hole den Alten!“

„Gut! Aber wehe ihm, wenn er es wagt, ein Wort zu sagen, das mir nicht gefällt. Ich stoße ihm den Dolch in das Herz, daß seine Seele in die Hölle fährt!“

Hilal ritt fort. Die beiden Parteien beobachteten einander unterdessen mit finsteren Blicken.

Es dauerte nicht lange, so kehrte Hilal zurück. Er ritt, der Alte aber mußte neben ihm herlaufen. Bei Steinbach angekommen, stieg Hilal ab, ergriff den Scheik, der natürlich noch gefesselt war, beim Kragen und sagte zu ihm:

„Diese tapferen Krieger wollen wissen, ob sie sich ergeben sollen oder nicht! Teile ihnen mit, was du für das beste für dich hältst!“

Dabei zog er seinen Dolch.

„Willst du mich erstechen?“ fragte der Scheik.

„Wenn sie sich nicht ergeben, bist du der erste, der in die Hölle wandert.“

Der Alte sah, daß er es mit einer sehr ernst gemeinten Drohung zu tun habe. Er warf einen Blick über seine Leute und dann auf die ihnen viermal überlegenen Beni Sallah und sagte:

„Es ist hier ein jeder Widerspruch vergeblich. Beherrscht eure Tapferkeit und ergebt euch!“

„Wie können sie etwas beherrschen, was sie gar nicht besitzen!“ brummte Hilal.

„Sollen wir uns etwa auch entwaffnen lassen?“ fragte der Anführer.

„Ja.“

„Scheik, wir sind keine Feiglinge gewesen! Wir haben gekämpft.“

„Und dann seid ihr tapfer davongelaufen“, rief Hilal. „Ich habe keine Lust, darauf zu warten, was ihr nach langer Beratung beschließen werdet. Ergebt euch sofort, sonst seid nicht nur ihr verloren, sondern auch alle eure Leute im Dorf.“

„Und auch alle, die ich noch gefangen habe!“ erklang es hinter den Beni Suef.

Dort hielt Tarik mit seiner Verfolgerschar. Er hatte Steinbach von weitem grüßend zugenickt, aber noch nicht mit ihm gesprochen. Jetzt, als er diese Worte sagte, deutete er hinter sich. Die sechzig Mann, mit denen er die Verfolgung der Feinde unternommen hatte, bildeten eine Reihe, die sich jetzt öffnete, damit man sehen könne, wer sich hinter ihnen befand. Dort hielten, auf Pferde und Kamele gebunden, und die Tiere aneinander gefesselt, wohl an die fünfzig gefangene Beni Suef, die auf der Flucht von den Leuten Tariks ergriffen und entwaffnet worden waren. Es war das ein glänzender Beweis dafür, daß Tarik ein guter Anführer sei.

Als die Beni Suef diese Gefangenen sahen, sagte ihr Anführer:

„Wollen wir schuld an dem Tod so vieler der Unsrigen sein? Das willst du wohl nicht, o Scheik.“

„Nein. Wir haben schon so viele verloren. Seid ihr etwa die einzigen, die zurückkehren?“

„Die einzigen.“

„O Allah. Wo sind denn die anderen?“

„Wenige sind gefangen; die anderen alle aber liegen erschlagen in der Nähe des Dorfes der Beni Sallah. Diese hatten von unserem Zug erfahren, und darum gelang es ihnen, uns versteckt zu empfangen und zu besiegen.“

„Allah hat ein großes Herzeleid ausgegossen über unseren Stamm. Unsere Weiber werden heulen, unsere Kinder werden klagen, und unsere Kindeskinder werden weinen. Verflucht sei –“

„Halt!“ schrie Hilal, ihm die Spitze des Dolches vor die Nase haltend. „Wenn du etwa schimpfst, Alter, so stirbst du!“

Natürlich schwieg der Scheik.

„Steigt von den Tieren und gebt eure Waffen ab!“ gebot Tarik, der neue Scheik der Beni Sallah.

„Was hat dieser zu sagen?“ zürnte der Anführer.

„Er ist der Scheik“, erklärte Steinbach.

Da sagte der Mann nichts weiter, sprang vom Kamel und gab seine Waffen ab. Steinbach aber ritt zu ihm und erkundigte sich:

„Nicht wahr, es haben sich zwei Fremde bei euch befunden, die mit dem ausgestoßenen Falehd zu euch kamen?“

„Ja, ein Pascha und ein Russe.“

„Wo sind sie?“

„Ich weiß es nicht.“

„Du mußt es wissen.“

„Bin ich Allah, daß du mich für allwissend hältst?“

„Sie sind bei euch gewesen; sie sind auch mit euch zurückgekehrt, um die Beni Sallah zu überfallen. Ihr müßt also wissen, wo sie sind.“

„Habt ihr sie nicht gefangen?“

„Nein.“

„Oder bei den Toten gefunden?“

„Auch nicht. Waren sie denn bei den Kämpfenden?“

„Da waren sie freilich nicht. Sie wollten unseren Schutz; aber sie waren zu feige, mit uns und für uns zu kämpfen. Sie sind im Lager bei dem Troß zurückgeblieben. Wenn ihr sie weder gefangengenommen noch getötet habt, so sind sie entflohen.“

„Wohin sollten sie in der Wüste fliehen?“

„Vielleicht ist der Suef mit ihnen, der des Riesen Sklave war. Er kam mit ihnen und blieb bei den Wächtern des Trosses.“

„Ihr habt sie also auf eurer Flucht nicht getroffen? Ihr könnt das beschwören?“

„Beim Propheten und allen Kalifen. Hätten wir sie getroffen, so hätten wir sie von uns gejagt, sie, die unsere Gastfreundschaft verlangten und doch nicht mit uns kämpften. Feiglinge brauchen wir nicht.“

Steinbach sah dem Mann an, daß er die Wahrheit sagte. Normann aber, der die Unterredung gehört hatte, meinte enttäuscht:

„Das ist höchst fatal! Eigentlich haben wir nur dieser Kerle wegen den Ritt mitgemacht.“

„Wenn auch nicht ganz nur aus diesem Grund, so gestehe ich doch, daß es mir höchst unangenehm ist; daß sie entkommen sein sollen.“

„Hängt uns etwa dieser Kerl eine Lüge an?“

„Nein, gewiß nicht. Ich bin auch der Ansicht, daß sie das Hasenpanier ergriffen haben, als sie bemerkten, daß wir die Sieger waren.“

„Wie aber konnten sie entkommen? Wir mußten doch jeden Reiter sehen. Und wo einer sich blicken ließ, wurde er verfolgt.“

„Hm. Auch mir ein Rätsel.“

„Ob sie sich zu Fuß fortgeschlichen haben?“

„Das wäre Wahnsinn. Freilich ist es leicht möglich, daß sie es aus Unüberlegtheit getan haben. In diesem Fall sind sie verloren – ohne Tier, ohne Nahrung und Wasser.“

„Hm. Sie werden doch nicht auf den Gedanken gekommen sein, sich das alles, also Reittiere, Wasser und Datteln bei den Beni Sallah zu nehmen?“

„Mir kam soeben derselbe Gedanke.“

„Es wäre ihnen zuzutrauen.“

„O nein. Im Grunde sind sie feige.“

„Aber ehe man verhungert, verdurstet oder verschmachtet, unternimmt man wohl ein Wagnis.“

„Ich gebe es zu. Dazu ist wahrscheinlich der Suef bei ihnen, der jeden Winkel und alle Verhältnisse des Lagers kennt. Dort wachen die Beni Abbas, welche fremd sind und gestern jedenfalls den Sieg gefeiert haben. Nach so einer Feier schläft man gut und lange.“

„Ich beginne besorgt zu werden.“

„Ich ebenso. Jedenfalls wird meines Bleibens hier nicht lange sein. Ich hatte mit größter Sicherheit darauf gerechnet, den Grafen und den Pascha hier gefangenzunehmen. Es wäre wirklich ungeheuer fatal, wenn diese Kerle uns entkämen.“

„Und wir müßten abermals von neuem beginnen.“

„Machen wir unsere hiesigen Obliegenheiten so schnell wie möglich ab. Es wird mir wirklich ein wenig bänglich zumute. Schließlich ist es gar nicht notwendig, daß wir hier so lange bleiben wie die Beni Sallah, wir können eher gehen. Vielleicht ist es uns dann noch möglich, eine Spur der beiden Verschwundenen zu entdecken. Übrigens befindet sich einer hier, der den Grafen ebenso sehnlich erwartet hat, wie ich.“

„Wer?“

„Ein früherer Diener von ihm, den ich von heute an in meine Dienste nehmen will. Sie werden noch weiteres von ihm hören. Ich eile jetzt zu ihm. Sehen Sie darauf, daß die Gefangenen sicher in das Dorf zu den anderen gebracht werden!“

Steinbach ritt fort. Um Nena zu finden, brauchte er gar nicht bis in das Dorf zu kommen. Der Inder, begierig den Grafen zu sehen, war nicht bei den Zelten geblieben, sondern den Kriegern nachgefolgt. Er kam jetzt zu Steinbach heran und fragte, an seiner Seite nach dem Dorf schreitend:

„Ist er da, Effendi?“

„Leider nein. Es ist ihm einstweilen gelungen zu entkommen.“

„Wie schade! Du warst so überzeugt, daß du ihn fangen würdest?“

„Hoffentlich ergreife ich ihn noch.“

„Nun wohl kaum, denn die Wüste ist groß und weit.“

„Aber sie hat ihre Spuren und Fährten.“

„Kannst du diese lesen?“

„Ja.“

„So sollten wir eigentlich sofort aufbrechen. Man darf da keine Zeit verlieren.“

„Du willst also mit mir gehen?“

„Bis an das Ende der Welt und auch noch einige Tagereisen darüber hinaus.“

„Ich bin einverstanden. Wir werden den Grafen suchen. Finden wir ihn, so sollst du gerächt werden.“

„Reiten wir also sofort ab.“

„So schnell geht das nicht. Ich habe doch noch einiges zu tun.“

Als die neuen Gefangenen in Bewachung gegeben waren, glaubte Steinbach, nun Muße zu haben, mit Nena über Gökala reden zu können, aber er kam noch nicht dazu, denn Tarik suchte ihn auf.

„Effendi“, sagte dieser, „mein Stamm schuldet dir unendlichen Dank. Wir werden denselben niemals abtragen können. Diesen großen Sieg und alle seine Folgen haben wir nur durch dich.“

„Dankt mir dadurch, daß ihr die besiegten Beni Suef menschlich behandelt.“

„Das werden wir. Eigentlich müßten sie unsere Sklaven sein. Wir könnten ihre Palmen zerstören, ihre Brunnen zuschütten und ihnen alles nehmen.“

„Das werdet ihr nicht.“

„Nein. Wir werden unsere Beute nehmen und alle Waffen, damit sie nicht wieder gegen uns kämpfen können, doch lassen wir ihnen von ihren Herden und Vorräten so viel, daß ihnen genug zum Leben übrigbleibt, aber auch nicht mehr. Sie müssen in allem von uns abhängig sein, dürfen keinem anderen Menschen etwas bezahlen können und sollen gezwungen sein, alles von uns zu kaufen. So sind sie nicht Sklaven, aber doch abhängig von uns.“

„Erzieht sie immerhin zu Kriegern. Ihr könnt sie gebrauchen. Hoffentlich seid ihr stets gute Freunde des Vizekönigs.“

„Ich war es bereits und werde es sein und bleiben. Hat er nicht dich zu uns gesandt? Hat er uns nicht durch dich die neuen Gewehre geschickt, durch die wir siegten, und Munition und viele andere Geschenke? Sprachst du nicht davon, daß wir einen Vertrag mit ihm machen sollten?“

„Ja, er wünscht es.“

„Einen geschriebenen Vertrag auf Pergament?“

„Nein. Ihr seid Männer und redet keine Unwahrheit. Euer Wort gilt, ganz gleich, ob es geschrieben oder gesprochen ist.“

„Du hast recht, sage dem Vizekönig also, daß er uns als seine Freunde betrachten solle. Wenn er uns braucht, soll er es uns sagen, und wir werden tun, was er wünscht.“

„Ich werde es ihm mitteilen.“

„Und ihm auch alles erzählen, was bei uns geschehen ist?“

„Alles. Ich werde ihm sogar noch mehr erzählen müssen, als du selbst jetzt weißt.“

„Was wäre das?“

„Daß Falehd tot ist.“

„Ah! Er ist gestorben. Hat er mitgekämpft?“

„Nicht mit den Beni Suef, sondern auf eigene Faust. Er ist in das Lager gegangen und in die Ruine eingedrungen.“

„O Allah. Was ist da geschehen? Hat er einen Mord, eine Untat begangen?“

„Er wollte es, aber es ist ihm nicht gelungen.“

Steinbach erzählte, was geschehen war, und beruhigte dadurch das Gemüt Tariks, dem es bereits angst um die Königin geworden war.

Ersterer wollte hieran noch Erläuterungen knüpfen, aber Tarik wurde geholt. Es sollte über die Beute ein Beschluß gefaßt werden, wozu die bedeutenderen Krieger zur Beratung zusammentraten.

Natürlich wurde auch Steinbach aufgefordert, daran teilzunehmen; er schlug es aber ab. Die Beuteangelegenheit war ihm zu unerquicklich, und überdies trieb ihn sein Herz, sich von Nena über Gökala erzählen zu lassen. Er rief also diesen zu sich und ging mit ihm ein Stück fort, wo es kein Geräusch gab – unter den Palmen hin bis fast an den Rand der Dattelpflanzung, wohin der Jubel der Sieger nicht zu dringen vermochte. Schon hatte er dem Inder eine Frage vorgelegt; da blieb dieser stehen, zeigte anstatt der Antwort zwischen den Bäumen hinaus in die Wüste gegen Norden und sagte:

„Dort kommt ein Reiter! Wer ist das?“

Steinbachs Auge folgte der angegebenen Richtung. Wirklich, dort kam er heran, und zwar so schnell, wie sein Kamel zu laufen vermochte. War das ein flüchtiger Beni Suef?

„Komm schnell!“ sagte er und eilte unter den Bäumen weiter bis zu der Stelle, an der der Reiter die Palmen erreichen mußte. Dort stellten sich beide hinter die Stämme und warteten.

Der Reiter kam mit Windeseile näher. Steinbach erkannte bereits das Gesicht – der Mann war ein alter Beni Sallah; Steinbach wußte das ganz genau. Er hatte ihn ja mehrere Male gesehen. Eine bange Ahnung bemächtigte sich seiner. Es war ein Eilbote. Einen solchen sendet man nur, wenn etwas Wichtiges geschehen ist. War es etwas Gutes oder Böses?!

Steinbach trat unter den Palmen hervor und ging dem Boten schnellen Schrittes entgegen. Da erkannte ihn dieser und rief schon von weitem:

„Allah sei Dank! Du bist es! Ich fand niemand, mich zu erkundigen. Ich wußte nicht, ob es euch gelungen sei, das Lager zu erobern.“

„Wir haben gesiegt.“

„Ist viel Blut geflossen?“

„Kein Tropfen.“

„Effendi, du tust Wunder über Wunder! Tue aber nun noch eins in der Sache, wegen der ich zu dir gesandt werde.“

„Ist es eine gute?“

„Eine sehr schlimme.“

„O weh! Erzähle!“

„Gleich! Laß mich nur vorher absteigen! Mein Tier hat nicht einen Augenblick ruhen dürfen, und mein Leib ist wie Wasser, das keinen Halt hat.“

Auf sein Zeichen legte sich das Kamel nieder, und er stieg ab.

„Wollen wir nicht in das Lager gehen“, sagte er, „wo ich meine Botschaft verkünden kann?“

„Sage sie erst mir allein. Wenn es wirklich etwas Schlimmes ist, so ist es vielleicht möglich, daß es Personen gibt, die wir es besser gar nicht wissen lassen.“

„Ganz, wie du willst. Die Königin ist fort!“

„Was? Wie?“ rief Steinbach erschrocken.

„Und Hiluja!“

„Höre ich recht?“

„Und Zykyma!“

„Wohin?“

„Wir wissen es nicht.“

„Ihr müßt es doch wissen! Sind sie denn vielleicht unfreiwillig fort?“

„Ja, freilich.“

„Also geraubt! Von wem?“

„Von dem Grafen, dem Pascha und dem Suef.“

„Mein Gott! Wie ist das geschehen? Erzähle, erzähle!“

Der Mann erzählte den Vorgang wie er ihn kannte. Steinbach hörte zu, erstaunt, erzürnt, sogar ergrimmt über die Sorglosigkeit der Wächter. Als der Bericht zu Ende war, rief er:

„Um Gottes willen! Mitten aus dem bewachten Lager herausgeholt! Seid ihr denn des Teufels, ihr Leute?“

„Ja, Effendi, das ist das richtige Wort – des Teufels. Alle wissen, daß der Teufel es gewesen ist.“

„Unsinn!“

„Ganz gewiß! Es war die Sonne der Nacht da, da ist die Hölle offen.“

„Sagtest du nicht soeben, der Russe, der Türke und der Suef seien es gewesen?“

„Der Teufel hat nur ihre Gestalt angenommen.“

„Das ist ein nicht nur dummer, sondern sogar ein gefährlicher Aberglaube. Ist die Entführung denn sogleich bemerkt worden?“

„Ja, von Said, dem Arabadschi.“

„Und ist niemand den Mädchenräubern nach?“

„Nur eben der Arabadschi. Er hat sich auf el Sselßele gesetzt.“

„Was ist das?“

„Die windschnelle Stute des Scheiks der Beni Suef. Er wollte die Räuber verfolgen; aber es gelang ihm nicht. Wir haben sehr genau gesehen, daß er auf Sselßele in der Luft davongeritten ist. Der Teufel hat ihn geholt.“

„O sancta simplicitas! Warte hier! Ich werde dich holen oder dich rufen lassen. Wir müssen alles Aufsehen vermeiden. Noch weiß ich nicht, ob es geraten ist, Tarik von diesem unglücklichen Vorkommnis etwas zu sagen.“

Steinbach ging, um zunächst Hilal aufzusuchen. Er nahm ihn beiseite und teilte ihm die traurige Kunde in schonender Weise mit. Der Schreck Hilals war groß. Seine Aufregung war gar nicht zu beschreiben.

„Hiluja fort! Entführt! Bei allen Geistern der Wüste, das werde ich blutig rächen!“ rief er aus. „Effendi, wir müssen aufbrechen, sofort aufbrechen. Ich eile, es Tarik zu sagen.“

„Halt! Warte noch! Soll Tarik mit?“

„Ja. Die Königin ist ihm ja auch gestohlen worden. Warum sollte er hierbleiben?“

„Er hat als Scheik Verpflichtungen, die ihn hier zurückhalten.“

„Er wird einen Stellvertreter hierlassen, der diese Pflichten erfüllt.“

„Das wird nicht geraten sein. Er hat seinen ersten Feldzug unternommen und seinen Sieg gewonnen. Er darf nicht im mindesten versäumen, das zu tun, was er zu tun hat.“

„Soll er etwa zugeben, daß man ihm seine Geliebte, seine Braut, unsere Königin geraubt hat?“

„Das soll er freilich nicht.“

„Nun, so muß er sie sich wiederholen; er muß die Tat rächen.“

„Dazu ist seine Gegenwart nicht unumgänglich notwendig. Er kann auch nicht mehr tun als wir beide.“

„Wie? Er soll nicht mit uns ziehen? Glaubst du, sein Herz würde ihm Ruhe lassen? Glaubst du, unsere Krieger würden ihn achten können und noch Respekt vor ihm haben, wenn er sich von dem Rachezug ausschließen wollte?“

„Ich denke, er und sie sollen einstweilen noch gar nichts von dem Geschehenen erfahren.“

„Wie? Höre ich recht? Meinst du wirklich, daß ich schweigen könnte? Man hat uns den größten Schimpf angetan; man hat unsere Herrscherin mitten aus unserem Lager geraubt, und ich sollte es verschweigen? Das ist ganz unmöglich. Ich eile, es zu verkünden.“

Steinbach wollte ihn zurückhalten, aber der junge Mann ließ sich nicht halten. Er begab sich zu Tarik, aber da dieser nicht allein, sondern von mehreren Kriegern umgeben war, hörten auch diese die Nachricht, und so verbreitete sich letztere wie ein Lauffeuer weiter.

Lautes Klagegeheul erhob sich. Alles rannte durcheinander. Der Bote wurde herbeigeholt und von Gruppe zu Gruppe geführt, wo er das Vorkommnis erzählen mußte. Der ganze Stamm erklärte einmütig, daß man sofort aufbrechen müsse, um die Übeltäter zu verfolgen und die Tat zu rächen.

Steinbach und Normann waren die einzigen, die äußerliche Ruhe zeigten, und ersterer nahm Tarik vor, um ihm Vorstellungen zu machen. Der junge Scheik wollte nichts davon hören, daß er hier zurückbleiben sollte.

„Meinst du, daß ich hier ruhen könnte?“ fragte er. „Badija ist fort, und ich soll hier sitzenbleiben und Datteln essen!“

„Nicht Datteln essen sollst du, sondern deine Pflichten als Anführer und Scheik erfüllen.“

„Das werde ich ohnedies.“

„Es ist nicht so leicht und schnell getan.“

„So! Was meinst du denn, daß ich zu tun habe?“

„Du hast die Unterwerfung der Beni Suef zu vollbringen.“

„Das ist bereits vollbracht. Sie sind ja besiegt.“

„Du hast Maßregeln zu treffen in Beziehung auf die Regierung und Verwaltung ihres Stammes.“

„Dazu bedarf es keiner Maßregeln. Sie sind uns Untertan und haben uns zu gehorchen.“

„Je schneller ihr aber hierin handelt, desto härter werdet ihr gegen die Beni Suef sein.“

„Wollten sie etwa weich gegen uns verfahren? Sollen wir sie küssen, wenn sie uns schlagen? Dein Herz ist voller Milde, und auch das meinige ist nicht von Stein; aber die Wüste hat ihre eigenen Gesetze; ihre Bewohner handeln nach eisernen Regeln. Auge um Auge und Blut um Blut. Wir haben uns an den Suefs zu rächen, und das müssen wir tun, schon um unseres eigenen Wohles willen. Ich übergebe dann das Kommando der siegreichen Karawane einem meiner zuverlässigsten Krieger und eile unterdessen vorwärts. In einer Stunde können wir aufbrechen.“

Steinbach bat noch einmal, die Beni Suef nicht allzu hart zu behandeln, da antwortete Tarik:

„Deine Bitte ist gut, aber unnütz. Ich werde so schonend wie möglich mit ihnen verfahren, auch ohne daß du diesen Wunsch wiederholst. Ich will nicht hart gegen sie, aber auch nicht ungerecht gegen meine Leute sein. Übrigens sage mir, wer eigentlich die Schuld trägt, daß Badija, Hiluja und Zykyma uns geraubt werden konnten! Nicht etwa die Beni Suef? Sind sie es nicht, die den Russen, den Pascha und den Suef bei sich aufgenommen haben? Hat nicht allein ihr Kriegszug den Räubern Gelegenheit gegeben, den Raub auszuführen? Soll ich solchen Leuten etwa die Datteln lassen und mir die Steine nehmen? Ich will sie nicht an ihrem Leben bestrafen. Sie haben zwei Drittel ihrer Krieger verloren; das ist schlimm genug. Aber ihre Reichtümer darf ich ihnen nicht lassen, sonst erholen sie sich schnell, tauschen Waffen ein, suchen sich Verbündete und fallen über uns her. Sind sie arm, so bekommen sie keinen Verbündeten, können sich keine Waffen verschaffen und sind in allen Dingen von uns abhängig. Ich bin der Scheik meines Stammes und habe für das Wohl desselben zu sorgen. Das werde ich tun und dabei so viel Milde walten lassen, wie sich mit meiner Pflicht verträgt.“

Das war mannhaft und kernig gesprochen. Steinbach mußte ihm recht geben. Dieser junge Mann ließ sich als Scheik ganz außerordentlich gut an. Wenn er so fortfuhr, konnte er seinem Stamm und folglich auch sich eine große Zukunft bereiten. Es war natürlich nicht von ihm zu verlangen, hier in der Wüste, wo das Vergeltungsrecht ohne alle Einschränkung herrscht, nach Regeln zu handeln, die unter zivilisierten Nationen am Platz sind, hier aber als Schwachheit betrachtet und verdammt worden wären.

Das Klagegeschrei verstummte rasch. Es ging zur Beute. Sagt doch schon der Prophet Jesaias in seiner berühmten Weissagung: „Wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt!“

Von allen vorhandenen Tierarten wurde natürlich nur das Beste ausgewählt, und im übrigen ließ man den Suefs nur soviel, wie sie zum Leben nötig hatten.

Nun wurden alle vorhandenen Wasserschläuche gefüllt und viele Säcke mit Futterdatteln aufgeladen. Eine ungeheure Herde war es, die von den Beni Sallah zusammengetrieben wurde. Der Stamm wurde um das Doppelte reicher, als er früher gewesen war. Von den Siegern umschwärmt, brach diese Herde auf, nach dem Ferß el Hadschar zu, wo die einzige Gelegenheit war, unterwegs das Wasser zu erneuern.

Die hundert Sallah, die die Gefangenen bisher zu bewachen gehabt hatten, blieben bis morgen früh in dem eroberten Zeltdorf zurück, um die Besiegten an Ungehörigkeiten zu verhindern.

Natürlich sahen diese letzteren mit stillem Ingrimm zu, wie der größte und beste Teil ihrer Habe fortgeschafft wurde. Die meisten von ihnen brüteten Rache, mußten sich aber doch im stillen sagen, daß ihnen die Macht und Gelegenheit auf lange, lange Zeit hinaus genommen sei. Andere aber richteten ihren Zorn nicht gegen die Sieger, sondern gegen diejenigen ihres eigenen Stammes, die zu dem verderblichen Kriegszuge gegen die Beni Sallah geraten hatten. Ihnen gaben sie die Schuld des Unglücks, in das nun der ganze Stamm geraten war, und – sie hatten nicht unrecht.

Besonders richtete sich dieser Unwille gegen den alten Scheik, der der oberste Anstifter dieses Zuges gewesen war und auch heute wieder die Seinigen zu dem unheilvollen Mordplan gegen die Beni Sallah beredet hatte. Wäre derselbe nicht gefaßt worden, so hätte man wohl ein schonenderes Verhalten der Sieger erwarten können.

Steinbach zog natürlich nicht mit den Herden. Er, Tarik, Hilal und Normann wählten sich zehn der besten Krieger und zwanzig der besten Eilkamele aus und flogen auf diesen windschnellen Tieren dem heimatlichen Zeltdorf entgegen. Natürlich befand sich Nena, der indische Diener, bei ihnen. – – –

Es hatte während des ganzen Tages eine drückende, entnervende Schwüle geherrscht, und nicht der mindeste Lufthauch war zu verspüren gewesen. Es war, als ob die Atmosphäre sich in ein vollständig unbewegbares Glutmeer verwandelt habe.

Auch jetzt noch herrschte diese Hitze. Die Reiter hatten ein Gefühl, als ob sie auf ihren Tieren gebraten würden. Die Luft, die man einatmete, schien die Lunge auszudörren.

Unter diesen Umständen dachte keiner daran, eine Unterhaltung anzuknüpfen.

Es ließ sich nichts als das Geräusch des Sandes hören, der von den Hufen der Kamele nach hinten geworfen wurde.

Nicht die gleiche Stille aber herrschte im Innern der wortkargen Reiter. Ein jeder dachte an Rache und daran, wie dieselbe auszuführen sei.

So ging es vorwärts, so schnell die trefflichen Tiere es vermochten, in fast größerer Schnelligkeit als derjenigen eines Eilzuges. Man glaubt gar nicht, was ein Eilkamel zu leisten vermag. Es kommt nicht selten vor, daß ein solches Tier an einem Tag weit über fünfzig deutsche Meilen zurücklegt, und das in tiefem Sand, in brennender Sonnenglut, ohne Wasser oder Nahrung zu sich zu nehmen.

Selbst als die Sonne den westlichen Horizont berührte, stiegen die Reiter nicht ab, um, wie gewöhnlich, im Sand kniend, ihr frommes Abendgebet zu verrichten. Sie beteten im Dahinjagen die erste Sure des Korans und fügten als Schluß das Glaubensbekenntnis hinzu: „Allah il Allah, Mohammed Rassuhl Allah, Gott ist Gott, und Mohammed ist sein Prophet!“

Dann wurde es schnell Nacht. Die glänzenden Sterne des südlichen Himmels stiegen auf. Man fühlte nun wenigstens die direkten Strahlen der Sonne nicht mehr. Das gab eine Erleichterung, und darum wurden zwischen den Reitern jetzt endlich einige Worte gewechselt.

Tarik und Hilal, die beiden Söhne des Blitzes, ritten nebeneinander und flüsterten sich ihre grimmigen Bemerkungen zu. Normann war etwas zurückgeblieben. Er war weder ein Eingeborener, noch besaß er die robuste, riesenkräftige Natur Steinbachs. Ihn strengte der Ritt außerordentlich an.

So befand sich also Steinbach an der Spitze des Zuges und der Inder neben ihm. Beide hatten während des Ritts kein Wort gewechselt, obgleich der Deutsche darauf brannte, von Gökala zu hören. Jetzt aber begann der Inder selbst:

„Du bist so still, Effendi. Warum schweigst du so unausgesetzt?“

„Ich denke, das Sprechen strengt dich an?“

„Mich? Wegen der Hitze? O Herr, ich habe so oft in der glühenden Sonne gebraten und bin so wenig von den Beni Suef geschont worden, daß mir die Hitze gar nichts mehr anhaben kann. Dazu läuft dieses herrliche Kamel so prächtig, daß es ist, als ob man in einer Ottomane säße. Ich befinde mich sehr wohl und bin bereit, alle deine Fragen zu beantworten.“

„Warum soll ich fragen! Erzähle!“

„Du mußt wissen, daß Nubrida, dessen Herrscher Gökalas Vater war, hoch im Norden Indiens liegt, da, wo die Riesen des Himalaja hoch in den Himmel ragen. Dort berühren sich die Interessen der Engländer und der Russen. Dort kämpfen sie still und heimlich gegeneinander wie die zwei Klingen einer Schere, die nicht sich selbst vernichten, sondern alles, was zwischen sie gerät. Jedes dieser beiden Völker sendet seine Beauftragten, die nichts anderes sind als Spione. Wehe dem, der in ihre Hände gerät. Auch zu Banda, dem Maharadscha von Nubrida, kamen Engländer und Russen. Sie wollten ihn glücklich machen, aber jeder auf eine andere Weise. Er wollte ihr Glück nicht, denn er war bereits glücklich. Er war reich wie kein zweiter. Zwar war ihm die heißgeliebte Gemahlin gestorben, die eine Deutsche gewesen war, aber sie hatte ihm eine Tochter hinterlassen, ihr Ebenbild an Schönheit, Reinheit, Geist und Herzensgüte. Diese Tochter hatte die Augen des Himmels und wurde deshalb Semawa genannt – Himmelsblau.“

„Du hast sie persönlich gekannt?“

„Ja. Ich war ja Diener im Palast ihres Vaters.“

„Also warst du dem Maharadscha ergeben?“

„Früher, ja. Aber einstmals bestrafte er mich unschuldigerweise sehr hart, und wenn ich auch nicht auf Rache sann, so war doch die Liebe und Ergebenheit verschwunden. Ich nahm mir vor, einen neuen Herrn zu suchen. Wer da sucht, der findet. Ich hatte bald einen anderen Herrn.“

„Wohl den Russen?“

„Ja. Doch wußte damals kein Mensch, daß er ein Russe sei. Er war vor nicht gar langer Zeit nach Nubrida gekommen, um seine Gesundheit in der dortigen reinen Luft zu stärken. Er gab sich für einen Sahib aus dem hinteren Indien aus und erhielt die Erlaubnis, sich in dem Garten des Maharadschas zu ergehen. Dort erblickte er die Prinzessin Semawa. Sein Herz erglühte in heißer Liebe für sie. Er wagte es, sich ihr zu nähern und von seinen Gefühlen zu sprechen –“

„Das war nicht nur kühn, sondern sogar frech!“

„Du mußt wissen, daß in Indien die Frauen nicht so eingeschlossen und verborgen werden wie in anderen Ländern. Man kann gar wohl mit einem Mädchen sprechen. Semawa wies ihn mit Entrüstung zurück und meldete sein Betragen dem Herrscher, ihrem Vater. Dieser nahm ihm die Erlaubnis, den Garten zu betreten, und verbot ihm sogar den Aufenthalt in seinem Land. Der Russe zog fort, mit dem Entschluß der Rache und mit dem Grimm zurückgewiesener Liebe im Herzen. Er nahm mich mit. Wir gingen über die Grenze, blieben aber gleich jenseits derselben wohnen. Die Gelegenheit der Rache kam sehr bald. Hoch droben im Norden, am See Issyk-kul, war ein berühmter Prophet aufgestanden. Dort gibt es ein reich gesegnetes Ländchen namens Terskei-Ala-Tau, mit dessen Herrscher der Maharadscha ein Freundschaftsbündnis geschlossen hatte, das aber gestört worden war. Er hatte sich Mühe gegeben, dasselbe wieder anzuknüpfen, doch vergebens. Jetzt glaubte er, mit Hilfe dieses berühmten Propheten werde es ihm gelingen, und beschloß, diesen aufzusuchen.“

„Diese Reise war gefährlich!“

„Das wußte er. Darum reiste er nicht unter seinem Namen, sondern unter einem anderen. Man sollte ihn nicht für reich oder gar für einen Herrscher halten. Die Regierung übergab er für die Zeit seiner Abwesenheit seinem Wesir, auf den er sich verlassen konnte. Er liebte seine Tochter zu sehr, als daß die Trennung von ihr ihm nicht großen Schmerz bereitet hätte, und da sie gar so dringlich und liebevoll bat, sie nicht zurückzulassen, so nahm er sie mit.“

„Das war eine noch größere Unvorsichtigkeit als die ganze Reise überhaupt. Die Bewohner jener Gegenden sind gewalttätig, grausam und rücksichtslos. Er hätte seine Tochter daheim lassen oder, noch besser, die ganze Reise unterlassen sollen. Ein Gesandter hätte ganz dasselbe erreicht, was er bei dem Propheten erreichen konnte.“

„Du hast recht, Effendi. Ich weiß freilich nicht, was ihn in seinen Beschlüssen bestimmte, kurz und gut, er trat mit Semawa die Reise an, nur wenige Begleiter mit sich nehmend. Bereits nach einigen Tagen gelang es ihm, sich einer Karawane anzuschließen, die zu dem Propheten pilgern wollte. Später stießen auch wir zu ihr, der Russe und ich. Nämlich als mein neuer Herr, der Späher besaß, erfahren hatte, was der Maharadscha beabsichtigte, rüstete auch er sich zur Reise. Natürlich hatte er dabei die Absicht, sich zu rächen und möglicherweise sogar Semawa in seine Hand zu bringen.“

„Wußtest du das?“

„Nein. Was ich dir erzähle, war mir damals unbekannt, wenigstens unklar. Ich konnte erst später nach eifrigem Nachdenken und Vergleichen mir alles erklären. Der Maharadscha war natürlich nicht erfreut, als er uns bei der Karawane erblickte. Er mochte befürchten, daß wir sein Inkognito verraten würden. Das aber lag ganz und gar nicht in der Absicht des Grafen. Diesem war es im Gegenteil außerordentlich lieb, daß der Maharadscha einen anderen Namen angenommen hatte.“

„Warum?“

„Das wußte ich damals auch nicht und habe es auch später nicht erfahren. Wir kamen bei dem Propheten an. Der Ort war, ohne daß wir eine Ahnung davon gehabt hatten, von den Russen besetzt worden.“

„Ah, ich beginne zu ahnen!“

„Ja, du wirst wohl das Richtige vermuten. Es gab einen russischen Europäer, der sich vor den Verfolgungen der Polizei nach Indien geflüchtet hatte, und der Maharadscha hatte ganz zufälligerweise für die Zeit seiner Reise denselben Namen angenommen, der auch derjenige dieses Empörers war. Man hielt ihn infolgedessen für den Flüchtling und arretierte ihn, jedenfalls aber auf die Anzeige des Grafen.“

„Schändlich.“

„Ja, und zu dieser Schändlichkeit habe auch ich die Hand geboten, freilich aber, ohne daß ich es wußte. Der Maharadscha hatte natürlich bei seinem Verhör gesagt, wer er sei –“

„Man glaubte ihm nicht?“

„Nein.“

„Konnte er nicht euch beide als Zeugen angeben?“

„Er hat es getan.“

„Und es half ihm nichts? Daraus schließe ich leider, daß ihr falsches Zeugnis abgelegt habt.“

„Von mir aus geschah es in keiner schlechten, sondern vielmehr in einer guten Absicht. Der Graf sagte mir nämlich, daß die Russen Feinde der Engländer und Inder seien –“

„Sehr schlau!“

„Und daß sie den Maharadscha gefangen hätten, eben weil er der Maharadscha wäre. Er sei aber nur zu retten, wenn er hier als Russe gelten bleibe, und darum sollte ich bei meiner Vernehmung aussagen, daß ich ihn ganz genau kenne und daß er der Russe sei, dessen Namen er trage.“

„Das war eine Infamie ohnegleichen! Und du halfst ihm diese Falle stellen?“

„Ja. Ich wußte ja damals noch gar nicht, daß es einen russischen Empörer ganz desselben Namens gebe. Ich wurde verhört und bezeugte aus bester Absicht, daß der Maharadscha jener Russe sei. Der Graf tat dasselbe – der Maharadscha war am nächsten Tag verschwunden.“

„Wohin?“

„Kein Mensch wußte es.“

„Hast es aber später erfahren?“

„Ja. Er ist nach Sibirien geschafft worden.“

„Das geht nicht so schnell. Er mußte doch vorher verurteilt werden.“

„Das ist natürlich auch geschehen.“

„Geschehen konnte es nur nach einer gesetzmäßigen Prozeßführung.“

„Den Prozeß hat man ihm gemacht. Wer weiß, wie das alles gekommen ist. Kennst du das Sprichwort von dem Zaren und dem Himmel?“

„Der Zar ist weit, und der Himmel ist hoch?“

„Ja. Der Zar weiß nicht alles und kann nicht alles wissen, was in seinem Reich vorgeht. Er ist wohl nicht schuld.“

„Jedenfalls nicht. Was aber geschah mit Semawa?“

„Auch sie war verschwunden.“

„Mit ihrem Vater?“

„Ich glaubte es. Aber später erfuhr ich, daß dies nicht der Fall gewesen sei.“

„Aber gefangen war auch sie?“

„Ja. Sie wurde von ihrem Vater getrennt und an einen ganz anderen Ort geschafft.“

„Ich errate, weshalb. Der Graf liebte sie, er wollte sie besitzen. Wenn er als der Anstifter ihres Unglücks auftrat, so mußte sie ihn hassen. Er wollte also als Retter erscheinen. Er ließ sie von ihrem Vater trennen und suchte sie dann auf, um ihr zu sagen, daß er sie und ihn retten werde. Ist es so?“

„Ja.“

„Und du warst dabei?“

„Ich war in der Nähe. Es war in Orenburg, wo man sie in ein Kloster gesteckt hatte. Er holte sie heraus.“

„Warum vertraute sie ihm? Sie wußte ja doch, daß er ihr Feind und derjenige ihres Vaters sei!“

„Er hat sie betört.“

„Womit?“

„Weiß ich es? Jedenfalls hat er ihr ein Lügengewebe vorgesponnen, dem sie Glauben schenken mußte.“

„Hat sie nie davon zu dir gesprochen?“

„Kein Wort.“

„Und hast du denn keinen Versuch gemacht, dich ihr mitzuteilen?“

„Oft. Sie hörte mich aber nicht an.“

„O weh! Das war sehr unklug!“

„Du mußt bedenken, daß ich ihr Veranlassung zum Mißtrauen gegeben hatte.“

„Das mag freilich sein.“

„Sooft ich den Versuch machte, aufrichtig mit ihr zu sein und ihr meine Hilfe anzubieten, stieß sie mich von sich. Sie wollte kein Wort aus meinem Mund hören. Große Mühe konnte ich mir nicht geben, denn der Graf beobachtete mich. Er mochte mir nicht ganz trauen.“

„Wohin gingt ihr von Orenburg aus?“

„Nach Stambul, wo wir ein Vierteljahr blieben.“

„Dann?“

„Nach Rom. Dort und bereits vorher bemerkte ich, daß der Graf sich alle Mühe gab, ihre Liebe zu gewinnen. Es war vergebens.“

„Hat er nicht gewalttätig gegen sie gehandelt?“

„Er mag das wohl versucht haben, ohne daß ich es bemerkt habe. Aber sie mußte auch irgendeine Art von Macht auf ihn ausüben. War es ihre Schönheit, oder kannte sie irgendein Geheimnis von ihm – kurz und gut, ich weiß, daß er es nie gewagt hat, zudringlich zu werden. Seine Sklavin ist sie gewesen in vielen Beziehungen, aber sie zu berühren, das hat er nicht gewagt.“

„Wohin ging er von Rom aus mit ihr?“

„Nach Paris und London.“

„Ah, er hat sie zerstreuen wollen.“

„Ja. Er hat sich viele Mühe gegeben, damit sie ihr Unglück vergessen möge.“

„Gelang es ihm?“

„Nein. Er wollte sie in die Theater und Konzerte führen, sie aber schlug es ihm ab. Sie blieb daheim. Sie verlangte Lehrerinnen.“

„Er gab sie ihr?“

„Ja. Er mußte. Sie befahl, und er gehorchte.“

„Wirklich?“

„Ja. Sie war die Sklavin seiner Intrige, er aber der Sklave ihrer Schönheit. Er konnte ihr keine Bitte abschlagen, als nur allein die, sie zu ihrem Vater zu bringen.“

„Sie wollte lernen?“

„Ja, und sie lernte. Sie vergrub sich zwischen den Büchern, sie lernte die Sprachen der Länder, in denen sie sich befand. Es fehlte ihr nichts als die Freiheit und ihr Vater, und sie rächte sich dadurch, daß sie von Tag zu Tag schöner, bezaubernder, aber auch gegen ihn stolzer, kälter und verächtlicher wurde. Dann kehrte er mit ihr wieder nach Stambul zurück.“

„Nach welcher Zeit?“

„Es mochten seit unserem Aufbruch von Orenburg wohl zwei Jahre vergangen sein.“

„Was machte er in Stambul?“

„Genau weiß ich es nicht. Ich glaube, daß er sehr viel mit den Diplomaten verkehrte.“

„Semawa auch?“

„Nein. Sie kam in die Gärten des Sultans.“

„Als was?“

„Meinst du etwa als Odaliske? Da irrst du dich. Dazu war sie zu stolz, und das hätte der Graf niemals zugegeben. Er liebte sie und hätte sie keinem anderen überlassen, selbst dem Sultan nicht. Sie wurde Gesellschafterin der Prinzessin Emineh.“

„Wie kam die Prinzessin dazu?“

„Emineh mag Semawa wohl einmal während eines Spazierganges gesehen haben. Ich weiß es nicht genau. Dann mußte ich mit dem Grafen nach Ägypten, wo er in Kahira zu tun hatte. Von da ging er nach Nubien. Dort verkaufte er mich. Er sagte, daß er nur einen Ausflug machen werde und bereits am anderen Tage zurückzukehren gedenke. Es war eine Lüge. Er kam nicht wieder, und der arabische Scheik teilte mir mit, daß ich von nun an sein Sklave sei.“

„Schändlich!“

„Der Graf wollte mich unschädlich machen.“

„Das ging am besten, indem er dich tötete.“

„Dazu hatte er wohl den Mut nicht. Er ist ein Bösewicht, aber ein Feigling. Hinter dem Rücken ist er zu allem fähig, aber einem Feind standzuhalten, das vermag er nicht.“

„Hast du dich mit ihm gezankt?“

„Er war in letzter Zeit hart, ja grausam gegen mich geworden, und ich hatte ihn merken lassen, daß er sich mehr in meiner Hand befinde als ich mich in der seinigen.“

„Das war höchst unklug.“

„Im Zorn tut der Mensch selten etwas Gescheites, Effendi. Hätte ich geschwiegen und mich im stillen davongemacht, so wäre ich nicht ein Sklave geworden. So aber wurde ich verkauft und immer weiterverkauft. Das übrige kennst du. Ich habe es dir bereits gesagt.“

„Du bist unklug gewesen, aber nicht schlecht, das will ich dir zugeben.“

„Und ich habe meine Unklugheit schrecklich büßen müssen. Ich freue mich königlich auf den Augenblick, in dem ich den Grafen sehe.“

„Vielleicht bekommst du ihn niemals wieder vor die Augen.“

„Ich verlasse mich auf dich. Nach dem, was ich von dir gehört habe, wirst du ihn dir nicht entgehen lassen. Davon bin ich vollständig überzeugt.“

„Was würdest du ihm dann tun?“

Der Inder zog seinen Dolch und antwortete blitzenden Auges:

„Ich würde ihm diese Klinge bis an den Griff in sein schwarzes Herz stoßen.“

„Das wirst du bleibenlassen!“

„Bleibenlassen? Meinst du etwa, daß ich ihn vielleicht fürchte?“

„Nein, aber eine solche Sache würde eine höchst unvorsichtige Handlung sein.“

„Wieso?“

„Willst du denn nicht gutmachen, was du falsch gemacht hast?“

„Ja, eben darum will ich ihn töten.“

„Du mußt Semawa ihrem Vater wiedergeben.“

„Das werde ich.“

„Wo ist er?“

„Ich weiß es nicht. Ich hoffe, daß du ihn finden wirst.“

Steinbach stieß trotz des Ernstes der Unterhaltung ein halbunterdrücktes Lachen aus und sagte:

„Hier in der Sahara hast du die Überzeugung, daß ich ihn in Sibirien finden werde?“

„Ja.“

„Du hast also ein sehr großes Vertrauen zu mir. Ich will dir auch gern gestehen, daß ich ihn wohl zu finden hoffe; das kann aber nur geschehen, wenn der Graf leben bleibt.“

„Warum?“

„Weil er den Aufenthalt des Maharadschas kennt.“

„Er muß ihn mir sagen, bevor ich ihn töte!“

„Das wird er nicht.“

„Er muß, sage ich!“

„Und wenn du ihn wirklich dazu zwingen könntest, was würde es dir nützen?“

Der Inder sah ihn erstaunt an.

„Was es mir nützen würde, fragst du?“

„Ja.“

„Nun, ich würde nach Sibirien gehen und ihn ganz einfach frei machen.“

„Wie willst du das anfangen?“

„Ich erzähle, was der Graf getan hat.“

„Glaubt man es dir?“

„Ich hoffe es!“

„Pah! Du müßtest ja auch eingestehen, daß du falsches Zeugnis abgelegt hast. Dann bist auch du Verbrecher, und die Aussage eines Verbrechers gilt nichts.“

„Hm!“

„Nein; der Graf muß selbst hin, um zu gestehen, was er getan hat.“

„Das wird er bleibenlassen!“

„Er wird!“

„Willst du ihn etwa zwingen?“

„Ja, mit Gewalt oder mit List. Du siehst also wohl ein, daß du ihn nicht töten darfst.“

„Wenn du so denkst, so mag er leben bleiben.“

„Ja, ich denke es. Übrigens sage mir doch einmal, warum Semawa ihm überallhin gefolgt ist!“

„Ich kann das nicht wissen.“

„Hat er sie dazu gezwungen?“

„Jedenfalls.“

„Womit? Durch Gewalt?“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Er scheint irgendein Mittel zu haben, mit dem er sie zu zwingen vermag, sonst hätte sie ihn wohl längst verlassen gehabt, ehe er mich verließ.“

„Sie brauchte ihn ja nur anzuzeigen!“

„Das tat sie freilich nicht.“

„Also muß ihr sehr daran liegen, daß er sein Leben und seine Freiheit behält.“

„Das habe ich mir damals auch sehr oft gesagt. Es gibt da irgendein Geheimnis, das ich nicht zu ergründen vermag.“

„Ich auch noch nicht, obgleich ich so eine kleine Ahnung habe. Wir beide, du und ich, müssen uns vereinigen, um Semawa glücklich zu machen und den Grafen zu bestrafen. Wollen wir das, so dürfen wir wenigstens jetzt noch nichts tun, was gegen Semawas Willen ist.“

„Wie aber erfahren wir, was sie will und was sie nicht will?“

„Wir fragen sie.“

„Wo ist sie denn?“

„Ich glaube, daß sie sich in Kahira befindet.“

„Wie, in Kahira?“ rief Nena erfreut. „Oh, so werden wir sie also sehr bald wiedersehen!“

„Freue dich nicht im voraus. Ich vermute, daß sie in Kahira ist, beweisen aber kann ich es nicht. Am allerwenigsten aber kann ich bestimmen, in welcher Straße oder gar in welchem Haus sie zu suchen ist. Ich habe seine und ihre Spur bis Kahira verfolgt, mußte aber leider die Stadt so schnell verlassen, daß ich nicht weitersuchen konnte.“

„So werden wir vereint suchen.“

„Ich habe einen Freund dort zurückgelassen, der mir versprochen hat, alles zu tun, um die Gesuchte zu finden. Es sollte mich unendlich freuen, bei unserer Rückkehr von ihm zu erfahren, daß seine Bemühungen von Erfolg gewesen sind.“

„Wer ist dieser Freund?“

„Ein junger Mann, den du wohl auch noch sehen wirst.“

Steinbach hatte genug erfahren, mehr als er wohl für möglich gehalten hätte. Er wußte, wer die Heißgeliebte war; er kannte ihre Abstammung und ihre Verhältnisse. Er stand vor dem halbgelüfteten Schleier des Geheimnisses, das sie selbst ihm nicht hatte mitteilen wollen. Er wußte nun, wie er zu handeln hatte.

Ein unendliches Glücksgefühl bemächtigte sich seiner. Unwillkürlich trieb er sein Kamel zu noch größerer Anstrengung an, als könne er damit der Erfüllung seines größten Wunsches näherkommen.

Tarik hatte bemerkt, daß Steinbach seinem Kamel einen leichten Schlag versetzte, und sagte:

„Effendi, glaubst du, daß es noch schneller laufen könne?“

„Wohl kaum.“

„Das denke ich auch. Darum hilft das Schlagen nichts. Die Tiere sind klug, sie wissen es bereits, daß es heute gilt, alle Kräfte anzustrengen. Sie tun, was sie vermögen. Ich will die Pfeife nehmen. Wenn sie Musik hören, werden sie das möglichste leisten: mehr aber können wir nicht verlangen. Es ist besser, wir kommen eine Stunde später, als daß die Kamele vor der Zeit zusammenbrechen.“

„Wann werden wir nach deiner Meinung daheim ankommen?“

„Wir haben beinahe die Hälfte.“

„Unglaublich!“

„Ja. Kennst du die Schnelligkeit eines Eilkamels noch nicht? Es fliegt wie die Schwalbe. Wenn wir die Halbscheid des Weges erreicht haben, besteigen wir die ledigen Tiere, die wir mitgenommen haben, damit die anderen ruhen. Auf diese Weise werden wir mit Tagesanbruch unser Lager erreichen.“

Das war allerdings eine Schnelligkeit, die selbst ein Eilkamel nur einen Tag lang aushalten kann. Tarik nahm jetzt die Kamelpfeife heraus. Dieses kleine Instrument hat nur drei Töne, aber sobald ein Kamel die Pfeife hört, erhebt es den Kopf, spitzt die Ohren und strebt mit allen Kräften vorwärts.

Es ist wie bei den Menschen, bei den Soldaten, die auch während eines anstrengenden Marsches bei einem lustigen Lied alle ihre Müdigkeit vergessen.

Über den Verlauf des Eilrittes läßt sich weiter nichts sagen. Die Schwüle war gewichen. Ja, gegen Morgen begann es sogar empfindlich kühl zu werden, was in der Sahara nicht etwa eine Seltenheit ist. Das stärkt die Tiere. Und eben als der Schein des nahenden Tages so stark wurde, daß man in die Ferne zu blicken vermochte, sahen die einsamen Wanderer gerade gegen Norden sich die Ruine und das heimatliche Zeltdorf erheben.

Bald wurden sie von den Wächtern bemerkt. Man eilte ihnen mit lautem „Habakek“ entgegen. Dieses Wort bedeutet ‚Willkommen‘.

Nicht Freude wie sonst lag auf den Gesichtern. Kalaf, der Alte, befand sich unter den ersten, die ihnen entgegengekommen waren.

„Habt ihr gesiegt?“ fragte er.

„Ja“, antwortete Hilal. „Die Krieger sind mit der Beute unterwegs. Sie werden morgen hier ankommen. Sie haben ihre Schuldigkeit getan. Ihr aber nicht!“

Der Alte blickte zu Boden und antwortete:

„Der Teufel war bei uns.“

„Hast du ihn gesehen?“

„Habt ihr nicht auch die Sonne der Nacht bemerkt?“

„Wir haben sie bemerkt, uns aber trotzdem nicht vom Teufel verführen lassen.“

Jetzt erhoben sich viele Stimmen, um die Schuld von sich abzuwälzen und auf den Teufel zu werfen. Steinbach gebot endlich mit laut schallender Stimme Ruhe, und man gehorchte ihm, dann trieb er die Tiere, die stehengeblieben waren, wieder an, ritt direkt nach der Ruine zu, sprang bei derselben ab und stieg die Stufen hinan.

Er hatte bereits von weitem gesehen, daß hier der Scheik der Beni Abbas saß, sein Haupt mit dem Zipfel seines weißen Mantels verhüllt.

„Enthülle dein Angesicht, o Scheik, denn ich will mit dir reden!“ sagte er.

Der Anführer nahm den Zipfel weg und antwortete:

„Darf ich denn mein Angesicht noch sehen lassen, nachdem mir die beiden Töchter meines Herzens geraubt worden sind?“

„Es ist eine große Schande, die die Räuber euch angetan haben; aber ich hoffe.“

„Die Räuber?“ meinte der Scheik verwundert, indem er ihn unterbrach.

„Freilich!“

„Meinst du wirklich, daß es Räuber gewesen sind?“

„Wer sonst?“

„Der Teufel war es, der dreimal gesteinigte und neunmal gekreuzigte Teufel!“

„Höre, Scheik, dein Alter ist über doppelt so groß wie das meinige, darum will ich in Ehrfurcht verschweigen, was ich sagen würde, wenn du jünger wärst. Ich weiß, daß es der Russe, der Türke und der Suef gewesen sind, die die Mädchen entführt haben.“

„O nein. Der Teufel hat mit zweien seiner Geister die Gestalten der drei angenommen. Meinst du wirklich, daß wir es gewöhnlichen Menschen erlaubten, unsere Töchter aus unserer Mitte herauszuholen?“

„Gewöhnlichen Menschen nicht, aber wohl solchen listigen und verschlagenen Gaunern, wie diese drei Genannten sind.“

„Auch ihnen nicht.“

„Ihr habt geschlafen.“

„Ich nicht. Ich habe gewacht.“

„Auf deinem Lager vielleicht. Bist du aber von Zelt zu Zelt gegangen?“

„Nein. Es hätte doch nichts genützt. Kalaf, der Alte, hat auch gewacht. Er ist sogar zweimal außerhalb seines Zeltes gewesen. Da aber hat ihn der Teufel getäuscht, indem er die Gestalt des Stotterers annahm.“

„Nein, der Suef wird es gewesen sein, der ihn täuschte.“

„Der Teufel war es. Er hat auch Said, den Arabadschi, durch die Lüfte entführt.“

„Wer hat das gesehen?“

„Haluja und andere.“

„Wo ist Haluja? Ich muß mit ihr sprechen.“

Soeben trat die Alte aus dem Inneren der Ruine hervor. Als sie Steinbach erblickte, erhob sie ein lautes Wehklagen. Er aber schnitt dasselbe in strengem Ton ab und sagte:

„Laß das Heulen! Erzähle lieber ruhig, was geschehen ist und was du gehört hast.“

Haluja tat es, aber wie! Der Aber- und Teufelsglaube diktierte ihr die Worte. Aus ihrer Darstellung wäre gewiß keiner der Araber klug geworden; Steinbach aber wußte, woran er war. Er verstand das Falsche von dem Richtigen zu unterscheiden, und seine glückliche Kombinationsgabe ergänzte sich das Fehlende mit bewundernswertem Scharfsinn.

„Also Said ist durch die Lüfte geritten?“ sagte er. „Auf welchem Pferd?“

„Auf der Fuchsstute des Scheiks der Beni Suef.“

„Hatte er Wasser mit?“

„Nein, keinen Tropfen.“

„In welcher Richtung ritt er davon?“

„Nach Nordwest.“

„Tarik, sage mir, in welcher Entfernung es dort bewohnte Gegenden gibt.“

„In vier Tagereisen“, antwortete der Gefragte.

„Wer wohnt dort?“

„Die Beni Halaf.“

„Sind sie eure Freunde oder Feinde?“

„Keins von beiden.“

„Sind sie Feinde der Beni Suef?“

„Sie sind verwandt mit ihnen.“

„So haben die Mädchenräuber sich zu ihnen gewandt. Eure Ansicht über den Teufel ist eine Verrücktheit. Der brave Arabadschi ist trotz seiner Jugend klüger und entschlossener gewesen als sämtliche Bewohner dieses Lagers. Er ist seiner Herrin Zykyma nach und wird seine Treue mit dem Tod büßen. Es war gestern ein Tag des Wüstenwindes. Kein Pferd kann da ohne Wasser durch das Sandmeer kommen. Die Fuchsstute wird bald ermattet sein und Said auch. Beide liegen nun wohl verschmachtet im Sand und werden von den Geiern und Schakalen gefressen.“

„O Allah!“ erschallte es ringsum.

„Ja, so ist es, und daran ist euer Aberglaube allein schuld. Warum seid ihr dem wackeren Arabadschi nicht nachgeritten? Jetzt wird es wohl zu spät sein. Wie viele Eilkamele sind noch hier, die frisch und unermattet sind?“

„Drei, die der Königin gehören. Außerdem haben wir noch mehrere treffliche Tiere, die sich unter der Beute befanden, ohne vorgestern von euch mitgenommen worden zu sein.“

„Sattelt die drei ersteren und tut so viele Wasserschläuche darauf, als sie außer dem Reiter zu tragen vermögen. Ich und Normann Effendi werden sogleich aufbrechen, um Said vielleicht noch retten zu können. So viele gute Kamele noch da sind, so viele Krieger mögen uns dann schleunigst folgen, wohl bewaffnet natürlich, denn es ist möglich, daß es einen Kampf geben wird.“

„Ich reite mit!“ sagte der Scheik, indem er sich jetzt erst vom Boden erhob.

„Bedenke, daß du alt bist. Hilal und Tarik sind jung. Sie werden dir deine Töchter zurückbringen. Du aber sollst hier bleiben, um das Lager besser zu bewachen, als du es bisher getan hast!“

Steinbach machte sich mit den Händen Platz und ging mit Normann von dannen, hinunter, wo sich die drei erwähnten Kamele befanden. Hinter ihnen klang die streitende Stimme des Scheiks, der nun plötzlich eine große Tatkraft zeigte und durchaus dabeisein wollte, wo es galt, seine Töchter zu retten.

„Der Alte wäre uns nur hinderlich“, sagte Normann.

„Mag er machen, was er will. Ich habe keine Zeit, mich zu streiten und in Verhandlungen einzulassen. Mir ist es um den braven Arabadschi zu tun.“

„Ob wir den armen Teufel finden werden?“

„Vielleicht ist es schon zu spät für ihn.“

„Es fragt sich, ob er Spuren zurückgelassen hat.“

„Jedenfalls.“

„Aber es sind ja seitdem über vierundzwanzig Stunden vergangen.“

„Doch es war Todesluft, das heißt völlige Windstille über der Wüste. Wenn wir auch keine regelrechte Spur finden, so hoffe ich doch, gewisse Anzeichen zu sehen, aus denen ich auf den Weg, den er zurückgelegt hat, schließen kann. Treiben wir die Kerle an, sich mit dem Satteln möglichst zu beeilen. Vorwärts!“

Steinbach pflegte das, was er einmal in die Hand nahm, auch am rechten Fleck anzufassen. Schon seine hohe Gestalt und seine gebieterische Stimme, die keinen Widerspruch zu dulden schien, wirkten mehr als die Befehle aller anderen. In fünf Minuten schon standen die drei Kamele gesattelt bereit. Hilal kam herbei, und auch Nena, der Inder, sprang herzu.

„Was willst du?“ fragte Steinbach den letzteren.

„Mitreiten.“

„Das geht nicht.“

„Warum sollte ich zurückbleiben?“

„Wir haben kein Kamel für dich.“

„Du hast doch drei.“

„Das dritte ist für den Arabadschi, falls wir ihn finden.“

„Dann ist es auch noch Zeit, daß ich zurückbleibe. Ich gehöre zu dir, Effendi.“

„Hm, du magst nicht so ganz unrecht haben. Steige also mit auf. Sage mir, Hilal, wann ihr aufbrechen werdet?“

„In einer Stunde schon.“

„Wie viele?“

„Vierzig. Die zehn Beni Sallah, die uns bisher begleitet haben, und dreißig Beni Abbas. Der Scheik bleibt hier.“

„Das ist gut, und ich denke, daß vierzig genügen werden. Da wir vier Tage kein Wasser finden werden, so müßt ihr euch mit genügendem Vorrat versehen. Vergeßt das nicht. Werdet ihr aber auch unsere Spuren finden?“

„Meinst du, daß wir blind sind, Effendi?“

„Nein, aber man weiß nicht, was passieren kann. Gebt mir einen langen Strick und ein Schaffell!“

Beides wurde gebracht. Am Fuß der Ruine lagen Steine genug. Steinbach wickelte einen derselben in das Fell, band das eine Ende des Stricks um dieses Paket und befestigte das andere Ende am Sattel des Kamels.

„Wozu das?“ fragte Hilal.

„Damit ihr unsere Spur leichter findet. Ich werde diesen in das Fell gewickelten Stein nachschleifen lassen, das wird in dem Sand eine Fährte geben, die ihr sogar bei Nacht bemerken könnt. Jetzt wollen wir keine Minute länger versäumen.“

Die drei stiegen auf. Alle Anwesenden versammelten sich um sie.

„Effendi“, sagte der alte Scheik, „bringe mir meine Töchter wieder, und ich werde dich belohnen wie ein Fürst.“

Steinbach lächelte.

„Ich werde sie dir senden.“

„Senden? Kommst du nicht selbst mit?“

„Nein. Meine Zeit ist abgelaufen. Ich habe meine Pflicht getan und kann nicht von dem Lager der Beni Halaf wieder vier Tage weit nach hier zurückkehren. Lebt wohl!“

Es erhoben sich viele Stimmen, um ihn zu bitten, wiederzukommen; er aber trieb sein Tier vorwärts, und die beiden anderen folgten. Er hatte keine Zeit, einen vielleicht stundenlangen Abschied zu nehmen.

Sie blickten ihm alle traurig nach, als er jetzt genau an derselben Stelle das Lager verließ, von der aus der Arabadschi davongejagt war. So schnell und unerwartet, wie er gekommen war, verließ er sie, wie ein Meteor, der am Himmel aufsteigt und ebenso plötzlich wieder verschwindet. Dieser seltene Mann hatte ihr Erstaunen erregt, ihre Liebe und Verehrung erworben und ihnen in so außerordentlich kurzer Zeit Wohltaten erwiesen, deren Wert gar nicht zu taxieren und zu bestimmen war.

51 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 03 - Jagd durch die Prärie
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