SECHSTES KAPITEL
Der sterbende Kaiser
Von jetzt an entwickelten sich die Verhältnisse mit ungemeiner Schnelligkeit. Eskobedo rückte rasch näher und schloß die fünfzehntausend Mann, welche Max bei sich hatte, mit fünfundzwanzigtausend Republikanern ein. Die Belagerung von Querétaro begann.
Ebenso umschloß Porfirio Diaz mit seiner Armee die Hauptstadt, in welcher bald der gräßlichste Hunger zu wüten begann.
Kurt wollte nicht untätig bleiben. Er schloß sich dem Geniewesen an und leitete unter dem Kommandanten dieses Korps die Belagerungsarbeiten. Sternau bemühte sich als tüchtiger Arzt und leuchtete allen seinen mexikanischen Kollegen als Muster vor.
Juarez hatte den Sitz der Regierung nach San Luis Potosí verlegt. Lindsay und Amy befanden sich bei ihm. Es läßt sich denken, wie erfreut diese beiden gewesen waren, als sie von der Rettung der Gefangenen gehört hatten. Wie gern wäre Amy einmal nach Santa Jaga gegangen, aber allein getraute sie sich nicht fort und die Begleitung ihres Vaters konnte sie nicht erlangen, da er bei Juarez unumgänglich nötig war. Desto eifriger aber wurden Briefe gewechselt. Täglich flogen dieselben zwischen Santa Jaga und Potosí hin und her, um Grüße und Küsse zu bringen und die Liebenden auf die so nahe Zukunft zu vertrösten. Auch Sternau hatte seine Pflicht getan und, sobald der Telegraph praktikabel war, in die Heimat telegraphiert, daß sie alle gerettet seien. Hätte er dabei sein können, als diese Depesche das alte, liebe Rheinswalden erreichte.
Da saß der Hauptmann Rodenstein in seinem Lehnstuhl und stöberte in allerlei Papieren herum. Er war recht alt und grau und wackelig geworden, der alte Oberförster, und gerade heute plagte ihn die Gicht auf eine wahrhaft gräßliche Weise.
Da trat der Ludewig ein, schob die Absätze zusammen, legte die Hand an den Kopf, als ob er seine Mütze aufhabe, und wartete, bis sein Herr ihn anreden werde. Dieser drehte sich endlich zu ihm und sage mißmutig:
„n' Morgen, Ludewig!“
„n' Morgen, Herr Hauptmann!“
„Was Neues?“
„Nein.“
„Kein Wilddieb? Kein Windbruch? Keine Kuh gekalbt?“
„Nein.“
„Hol dich der Teufel, du alte Neinposaune – au!“
Er hatte eine schnellere Bewegung gemacht, als seine liebe Gicht es gestattete, und zog nun vor Schmerzen ein fürchterliches Gesicht.
„Da hat man's!“ räsonierte er. „Ich wollte, du wärest der Oberförster und hättest die Gicht!“
„Und Sie wären der Ludewig ohne Gicht dahier?“
„Ja.“
„Habe auch mein Leiden, Herr Hauptmann.“
„Was denn?“
„Gehaltszulage.“
„Donnerwetter! Das fällt dir niederträch – au! Mensch, mache, daß du fortkommst, sonst werfe ich dir hier meine Tabakspfeife in das Gesicht, daß dir die Gehaltszulagen aus der Nase wachsen – he, wer kommt da?“
Es hatte draußen geklopft.
„Weiß es nicht dahier“, meinte Ludewig gleichmütig.
„So gucke doch hinaus, du Esel!“
„Zu Befehl, Herr Hauptmann!“
Er drehte sich um, öffnete ein wenig, steckte den Kopf vorsichtig hinaus, zog ihn wieder ein und meldete dann:
„Der Telegraphenbote.“
„So laß ihn herein.“
„Zu Befehl Herr Hauptmann!“
Der Bote trat ein.
„Woher?“ fragte der Alte, indem er die Hand ausstreckte.
„Aus Mexiko“, antwortete der Beamte, indem er ihm das Kuvert entgegenstreckte.
„Aus Me – Me – Mexi – woher, Kerl?“
„Aus Mexiko.“
Der Hauptmann machte Augen, wie ein Teller so groß.
„Ist's wahr?“ fragte er.
„Natürlich. Hier steht es ja.“
„So soll mich doch gleich vor lauter Freude der Kuckuck fressen! Fahr hin, du alte Kanaille! Von heute an wird die neue gestopft! Verstanden, Ludewig?“
Er warf bei diesen Worten die Tabakspfeife zum Fenster hinaus, sodaß sie mitsamt der zerbrochenen Scheibe in den Hof hinunterflog.
„Zu Befehl!“ brummte Ludewig.
„Erst mir ins Gesicht und dann zum Fenster hinaus dahier. Wollte lieber, ich hätte sie zum Präsent erhalten.“
„Geh hinunter und hole sie.“
Aber der brave Bursche ging noch lange nicht. Er mußte doch auch hören, was auf der Depesche stand.
Der Alte hatte jetzt geöffnet und las:
„An den Hauptmann von Rodenstein. Rheinswalden bei Mainz in Deutschland. – Alle glücklich gerettet durch Kurt. Brieflich mehr.
Euer Sternau.“
Noch einmal las er diese Worte leise durch, dann aber fuhr er in die Höhe, daß der Stuhl umfiel, machte einen Freudensprung und rief:
„Gerettet! Hurra! Alle gerettet! Durch Kurt! Kyrieeleison! Glücklich gerettet! Gaudeamus igitur! Brieflich mehr! In dulci jubilo! Euer Sternau! Vivat Pestilenz, Pereat Exzellenz! Hast du's gehört, Ludewig! – Na, was steht denn Er noch da und hält Maulaffen feil?“
Diese Worte waren an den Telegraphenboten gerichtet. Dieser kannte den Alten von früher her und antwortete ruhig:
„Ich lauere auf meine Gebühr.“
„Auf deine Gebühr?“
„Ja.“
„Hast du denn eine Gebühr zu bekommen?“
„Natürlich. Oder denken sie etwa, daß so eine Depesche ganz umsonst übers Meer herübergetragen wird?“
„Alle Teufel, ist der Kerl grob! Na, dieses Mal mag dir's noch so hingehen, weil ich gerade bei guter Laune bin. Also deine Gebühr. Hm. Was gebe ich dir nur gleich?“
Er war vor Freude ganz außer Rand und Band geraten. Er dachte in seinem Entzücken gar nicht daran, daß für das Telegramm eine feste Taxe zu bezahlen sei, sondern sein Auge schweifte im Zimmer herum, um da etwas zu finden, womit er den Mann belohnen könne.
„Halt! Ich hab's!“ rief er endlich.
Er sprang auf den Stuhl und von da auf den Tisch und langte an die Wand, wo hoch oben eine uralte Schwarzwälder Kuckucksuhr hing, deren Schleuder und Gewichte in einem ewig langen, wurmgestochenen Kasten steckten.
„Kerl, siehst du diese Uhr, he?“ fragte er.
„Ja, Herr Hauptmann.“
„Das ist ein altes Kapitalstück. Sie geht zwar schon einundzwanzig Jahre nicht mehr, aber sie ist unter Brüdern noch vierzig Taler wert. Da, nimm sie! Sie soll deine Gebühr sein! – Da!“ Er hob die Uhr ab und schob sie dem Boten in die Arme. „Da!“ Dabei sprang er vom Tisch herab, packte den Kasten und packte denselben dem Boten entgegen, daß beide beinahe niedergestürzt wären.
„Da hast du sie! Halte sie gut! Wenn du sie nicht aufziehst, brauchst du sie im ganzen Leben nicht reparieren zu lassen. Gescheit muß man sein. Nun aber hinaus mit dir und dem alten Uhrenkasten! Fort! Hinaus mit Euch!“
Der Telegraphenbote wollte gegen diese Art von Gebührenentrichtung protestieren, aber ehe er so recht zu Worte kam, stand er draußen, die Uhr in den Händen, und der Kasten lag neben ihm. Nach einigem Nachdenken fügte er sich in das Unvermeidliche, hob den Kasten auf und schleppte seine ‚Telegrammgebühr‘ mühselig und beladen zur Treppe hinab.
„So, der ist bezahlt“, meinte der Hauptmann. „Habe ich eine Freude, so mache ich anderen auch gern eine.“
Ludewig stand dabei, starrte ihn ganz verdutzt an und fragte:
„Aber, Herr Hauptmann, tut es denn nicht weh!“
„Was denn?“
„Beißt oder zwickt und kneipt es denn gar nicht?“
„Zum Teufel! Was denn?“
„Na, die Gicht dahier.“
Jetzt erst fiel auch dem Alten seine Gicht ein. Er machte ein eminent überraschtes Gesicht, stampfte einige Male mit den Füßen und rief dann:
„Ludewig, sie ist fort, rein fort, Gott hab' sie selig!“
„Das ist aber doch merkwürdig“, meinte der Bursche kopfschüttelnd.
„Ja. Was mag da schuld sein?“
„Die Freude oder das Telegramm.“
„Die Freude, Dummkopf! Und denke dir, an mich hat er's adressiert, an mich! Der Prachtkerl, dieser Sternau! Ludewig, renne hinunter in die Küche und sage es, daß Ihr heute Mittag ein Extraessen bekommen sollt.“
„Was denn dahier?“
„Na, was ist euch denn lieber? Nudeln mit Hering oder Eierkuchen mit Sauerkraut oder Pflaumenmus mit Schweizerkäse?“
„Alle drei!“
„Gut. Mir auch egal. Laßt es euch machen. Ich laufe aber sogleich hinüber nach Rodriganda, um die Depesche vorzulesen.“
„Laufen? Mit der Gicht?“
„Sie ist ja fort.“
„Aber sie kann unterwegs wiederkommen.“
„Das mag sie nicht etwa wagen. Ich würde ihr schön heimleuchten. Heute und Gicht! Das reimt sich schlecht auf ein Telegramm aus Mexiko!“
Damit humpelte er fort. Man kann sich denken, welche Freude, ja, welches Entzücken seine Botschaft bei den Lieben allen hervorbrachte. – – –
Unterdessen schritt die Belagerung von Querétaro rasch vorwärts. Die Belagerten sahen freilich nicht müßig zu. Bis zum sechsten Mai hatten sie fünfzehn Ausfälle gemacht, aber nun waren auch die Mittel zum Widerstand fast erschöpft.
Max hatte Unterhandlungen mit Eskobedo anzuknüpfen versucht. Er bot demselben die Übergabe der Stadt an unter der Bedingung, daß ihm nebst seinen europäischen Soldaten und Begleitern freier Abzug aus dem Land bewilligt und seinen mexikanischen Anhängern eine vollständige Amnestie zugesichert werde. Eskobedo ließ kurz antworten:
„Ich habe den Befehl, Querétaro zu nehmen, nicht aber mit dem angeblichen Kaiser von Mexiko – ich kenne gar keinen solchen – zu unterhandeln. Im übrigen schreit das Blut derer, welche um dieses sogenannten Kaiserreiches willen ermordet wurden und die man infolge des Dekretes vom dritten Oktober rechtlos erschoß, zum Himmel auf um Rache. Zudem ist es dem Erzherzog von Österreich verschiedene Male geflissentlich an die Hand gegeben worden, dem wohlverdienten Schicksal zu entgehen. Hat er diese Winke nicht befolgt, so ist das seine Sache.“
So von Eskobedo abgewiesen, hatte Maximilian sich an Juarez selbst gewendet, nun aber keine Antwort erhalten.
Ebenso war es Miramon ergangen. Er hatte sich mit verschiedenen Anträgen an Juarez, Eskobedo und andere gewendet, aber seine Hoffnung, aus der Falle zu kommen, in welche er seinen Kaiser gelockt hatte, war stets vergeblich gewesen. Er erntete entweder Schweigen oder verächtlichen Hohn.
Jetzt hatte er sich auf sein Zimmer zurückgezogen, und vor ihm stand – der Oberst Miguel Lopez, jener Ritter der französischen Ehrenlegion, welcher für einen persönlichen Freund des Kaisers gehalten wurde, weil dieser sogar seinen Sohn aus der Taufe gehoben hatte. Max hatte ihn erst zum Kommandanten und zum Gouverneur der Feste und des Schlosses Chapultepec und sodann zum Obersten des Reiterregiments der Kaiserin sowie zum Befehlshaber der Leibgarde derselben gemacht. Grund genug, seinem Kaiser die höchste Dankbarkeit und Anhänglichkeit zu beweisen.
Jetzt also stand er vor Miramon. Beider Mienen waren düster, aber doch zeigten sie einen ganz verschiedenen Ausdruck.
Der General hatte das Aussehen eines Mannes, der sich verloren gibt, der keine Hoffnung mehr hat und doch nach jedem Strohhalm greifen möchte. Er sah ein, daß er nicht entkommen könne, daß er rettungslos verloren sei.
Oberst Lopez hingegen zeigte eine finstere Entschlossenheit. Er war anzusehen wie ein Mann, der seine schlimme Lage zwar kennt, dem aber jedes Mittel recht ist, sich derselben zu entwinden.
„Soeben komme ich von einer Inspektion zurück“, meinte Miramon. „Wir vermögen uns kaum noch einige Tage zu halten. Der Cerro de las Campanas ist von den Kartätschen des Feindes vollständig verwüstet, die Stadt ist zerstört, die Befestigungen sind vernichtet, und nur das Fort la Cruz vermag noch Widerstand zu leisten.“
„Es wird für uneinnehmbar gehalten“, meinte Lopez.
„Das ist es jetzt nicht mehr. In kurzer Zeit wird Eskobedo seinen Einzug halten und uns das fürchterliche Echo des Blutdekrets vernehmen lassen.“
„Sollte es keine Rettung geben?“
„Den Heldentod mit der Waffe in der Hand.“
„Pah!“ lachte Lopez. „Es mag sehr schön sein, für seinen Kaiser zu sterben, noch schöner aber ist es jedenfalls, für sich selbst zu leben.“
„Sie haben nicht unrecht“, sagte Miramon nachdenklich. „Und was heißt für uns sterben. Es ist das Aufgeben aller Errungenschaften, aller Hoffnungen und Wünsche, aller Pläne, an denen wir jahrzehntelang gebaut und gearbeitet haben. Ich mag, ich kann nicht sterben mit dem Gedanken, daß dieser Juarez, dieser Indianer wieder Präsident von Mexiko ist und als der Retter seines Vaterlandes gefeiert wird.“
„Es muß, es muß ein Mittel geben, uns zu retten.“
„Es gibt eins.“
„Ah! Welches, General?“
„Es ist ein Mittel, welches man kaum sich selbst anzuvertrauen wagt, viel weniger einem anderen.“
„So darf ich es nicht hören?“
„Nur wenn Sie stumm wären.“
„Nun, so bin ich stumm.“
„Schwören Sie es mir zu!“
„Ich versichere Ihnen bei Gott und allen Heiligen, daß kein menschliches Ohr ein Wort von denen hören soll, welche nun sprechen werden!“
„Gut. Ich vertraue Ihnen. Beginnen wir mit der Betrachtung der Lage, in welcher sich der Kaiser befindet.“
„Er ist verloren.“
„Meinen Sie?“
„Ich bin überzeugt davon. Er hat sich mit dem Dekret sein eigenes Todesurteil unterzeichnet, und es wird jedenfalls an ihm vollstreckt werden.“
„Wenn das ist, so hilft ihm auch unsere Aufopferung nichts.“
„Sie nützt weder ihm, noch uns das geringste.“
„Sie schadet uns im Gegenteil. Könnten wir diese Aufopferung in das Gegenteil verwandeln, so würde auch aus dem Schaden ein Nutzen für uns werden.“
„Was soll das heißen?“
„Das müssen Sie verstehen, ohne es zu hören!“
„Ah! Sie meinen, anstatt den Kaiser zu verteidigen, sei es geratener – ihn seinem Schicksal zu überlassen?“
„Das wäre zu wenig; daß hieße doch für uns, untätig verbleiben. Und doch, nur die Tat kann uns retten.“
„Ich verstehe“, meinte der Oberst in einem sehr entschlossenen Ton. „Gut. Sind Sie bereit, mein Bote zu sein?“
„Ja.“
„Es ist noch nicht lange her, daß Ihnen diese Señorita Emilia entkam. Ich vergab Ihnen diesen Streich, indem ich von Ihnen erwartete, daß Ihnen ein anderer Auftrag besser gelingen werde. Die Zeit, Ihnen diesen Auftrag zu erteilen, ist gekommen.“
Lopez warf einen listigen Blick auf seinen Vorgesetzten und fragte:
„Sie haben also schon damals an diese Angelegenheit gedacht?“
„Schon längere Zeit.“
„Desto besser. Ich darf dann hoffen, daß alles reiflich überlegt sei.“
„Das ist es.“
„Die Hauptsache ist, wie überall, hier das Schwierigste.“
„Was verstehen Sie unter der Hauptsache?“
„Eine Person zu finden, an welche man sich gefahrlos wenden kann.“
„Sie ist gefunden.“
„Wirklich?“
„Ja, und auch so leidlich vorbereitet.“
„Wer ist es?“
„General Velez.“
„Der mir gegenüber in den Trancheen liegt? Eignet er sich für eine so schwierige Verhandlung?“
„Ausgezeichnet. Er ist ein zweiter Trenk, rauh, verwegen und Herr seiner Soldaten, nicht aber seiner Gesinnungen. Er haßt den Kaiser wie den Tod, und würde sehr viel darum geben, derjenige zu sein, von dem gesagt wird, daß er den Kaiser gefangen habe.“
„Wird er aber ermächtigt sein, einen Vertrag, wie den beabsichtigten, abzuschließen?“
„Jedenfalls.“
„Also autorisiert von Eskobedo?“
„Es kann Eskobedo nur lieb sein, ohne weitere Opfer in den Besitz der Stadt zu gelangen.“
„Dann müßte vor allen Dingen Fort la Cruz übergeben werden.“
„Allerdings. Also wollen Sie diese Verhandlung übernehmen?“
„Ja. Ich bin entschlossen dazu.“
„So ist hier der Schlüssel zur Ausfallspforte. Heute, gerade um Mitternacht, wird Velez sich bis zu derselben heranschleichen.“
„Er selbst?“
„Ja. Er verläßt sich auf mein Wort, daß ihm nichts geschieht.“
„Welche Bedingungen machen Sie?“
„Freien Abzug für mich und Sie.“
„Welche Garantien fordern Sie?“
„Welche könnte ich fordern?“
„Etwa eine Unterschrift?“
„Die kann ich nicht verlangen. Kein General wird so unvorsichtig sein, über einen solchen Vertrag ein Schriftstück zu verfassen und dasselbe gar noch mit seiner Unterschrift zu versehen.“
„So müssen wir uns mit dem Ehrenwort begnügen?“
„Ja. Velez hat sein Wort noch niemals gebrochen.“
„So ist das meine ganze Instruktion?“
„Ihre ganze. Nur habe ich noch hinzuzufügen, daß die Stunde genau angegeben werden muß.“
„Das versteht sich von selbst.“
„So können wir uns trennen. Ich werde heute abend nicht eher zur Ruhe gehen, als bis Sie bei mir gewesen sind, um mir das Resultat Ihrer Konferenz mitzuteilen.“
Lopez ging. Draußen aber wendete er sich um, ballte die Faust, drohte zurück und murmelte:
„Jeder seinen Lohn. Hast du den Kaiser ins Unglück gestürzt, so wirst du nun von mir betrogen. Du sollst sterben müssen, gerade wie er.“
Er konnte kaum die Mitternacht erwarten. Der Tag und der Abend schienen ihm schneckenhaft zu schleichen. Endlich aber war doch die Zeit gekommen. Er schlich zur Ausfallspforte, öffnete sie leise und verschloß sie ebenso, nachdem er sich im Freien befand.
Nun blickte er sich um. Nicht weit von ihm lehnte eine dunkle Gestalt an der Mauer.
„Wer da?“ flüsterte dieselbe.
„Bote von Miramon“, antwortete er ebenso leise.
„Willkommen.“
Mit diesem Wort trat die Gestalt näher.
„General Velez?“ fragte er.
„Ja. Und Sie?“
„Oberst Lopez.“
„Ah! Kenne Sie! Schickten mir kürzlich ein allerliebstes Mädchen.“
Dabei kicherte der Offizier leise, aber doch vernehmlich vor sich hin.
„Ich Ihnen ein Mädchen?“ fragte Lopez erstaunt. „Wüßte nicht.“
„Schon gut. Hätten sie sollen nach Tula bringen, um sie dort zu hängen.“
„Ah, diese, Señor. Das war eine fatale Sache.“
„Wir hoffen, daß es heute nicht ebenso fatal zugehen werde.“
„Ich bin überzeugt, daß wir uns einigen werden.“
„Kommt auf Eure Vorschläge an. Was verlangt Miramon?“
„Freiheit für sich und mich.“
„Hm. Ist sie nicht wert. Lasse ihn nicht gern durchschlüpfen.“
„Das ist ja auch nicht notwendig.“
„Ah! Wieso?“ fragte der General betreten.
„Er ist nicht mein Freund.“
„Alle Teufel! Ich denke, Sie sind sein Bote, sein Bevollmächtigter.“
„Das ist wahr. Aber muß denn er das Tor aufschließen? Kann nicht auch ich dasselbe tun?“
„Sehr richtig. Aber wie wollen Sie sich dann gegen ihn verhalten?“
„Ich werde so tun, als ob ich abgeschlossen habe unter der Bedingung, daß er die Freiheit erhält.“
„Donnerwetter! So wird er mich für unehrlich halten, nicht aber Sie? Und das würde mir verteufelt unlieb sein.“
„Das läßt sich arrangieren. Wir müssen doch die Zeit bestimmen?“
„Allerdings.“
„Ich gebe dem General einen späteren Tag an. Geschieht es einen Tag vorher, so wird er nicht annehmen, daß die Stadt infolge unseres Vertrages in Ihre Hand gefallen sei.“
„Das ist richtig. Also lassen Sie uns machen und keine Zeit versäumen, sonst werde ich vermißt.“
„Ich lasse Ihnen die Initiative.“
„Gut. Also Sie wollen den Vertrag auf eigene Faust abschließen?“
„Ja.“
„Ohne einen anderen Menschen in das Geheimnis zu ziehen?“
„Das versteht sich ja von selbst.“
„So sagen Sie mir, ob Sie ganz genau wissen, wo und wie der Kaiser wohnt.“
„Er wohnt im Kloster de la Cruz hier über uns, und seine Wohnung kenne ich.“
„Ich verlange zu einer gewissen Stunde hier eingelassen zu werden.“
„Sie haben diese Stunde zu bestimmen.“
„Von hier aus führen Sie mich nach dem Schlafzimmer des Kaisers.“
„Zugestanden.“
„Weiter verlange ich nichts.“
„Soviel kann ich leisten“, lachte Lopez leise.
„Welche Ansprüche machen nun Sie?“
„Ich verlange volle Freiheit für mich und mein Eigentum, die meinen sind natürlich eingeschlossen.“
„Ich stimme bei.“
„Und außerdem eine Summe in Münze oder guten Papieren. Die Gründe, wegen deren ich eine solche Forderung stelle, gehören entweder nicht hierher oder sind selbstverständlich.“
„Ich verstehe. Wieviel verlangen Sie?“
„Werden Sie handeln?“
„Ich schachere nie. Fordern Sie zuviel, so sehe ich ganz einfach von der Sache ab. Also –“
„Sind zehntausend Pesos Ihnen zuviel?“
„Fast, aber ich will sie Ihnen geben. Sagen wir: In der Nacht vom 14. bis 15. Mai öffnen Sie elf Uhr abends dieses Pförtchen. Neben demselben liegt in einer Brieftasche diese Summe in englischen Noten. Sie haben bis zwölf Uhr Zeit, die Noten zu prüfen. Genügen sie Ihnen nicht, oder, was dasselbe ist, halte ich mein Wort nicht, so schließen Sie wieder zu. Um Mitternacht rücke ich ein, voran zweihundert Mann. Mit diesen Leuten werde ich mich überzeugen, ob auch Sie ehrlich sind. Mehr Menschenleben darf ich nicht daran wagen. Bemerke ich, daß Sie Wort halten und verschwiegen gewesen sind, schicke ich nach Verstärkung, und Sie führen mich zum Kaiser. Sobald Sie mir dessen Wohnung gezeigt haben, sind Sie entlassen und können tun, was Ihnen beliebt. Jedenfalls werden Sie gefangen. Sie werden auch, um allen Verdacht abzulenken, einige Zeit festgehalten werden; aber ich verbürge mich dafür, daß Sie innerhalb zweier Wochen mit allem, was Ihnen gehört, freigelassen werden. Einverstanden?“
„Vollständig.“
„Ihr Ehrenwort.“
„Hier ist es.“
„Und hier das meinige.“
Beide Männer reichten sich die Hände und trennten sich dann. General Velez suchte sein Lager auf, und Lopez kehrte zu General Miramon zurück, der ihn sehnlichst erwartet hatte. Es wäre ihm unmöglich gewesen, zur Ruhe zu gehen, ehe Lopez zurückgekehrt war, denn er hätte wegen der erwartungsvollen Spannung, in welcher er sich befand, diese Ruhe doch nicht finden können.
„Nun, wie ist es gegangen?“
Mit diesen Worten empfing er den Eintretenden, noch ehe dieser Zeit gefunden hatte, zu grüßen.
„Sie werden zufrieden sein, General“, antwortete der Gefragte.
„Gott sei Dank“, meinte Miramon unter einem Seufzer der Erleichterung. „Es war mir fast, als ob ich Sorge haben müsse.“
„Warum?“
„Nun, unsere Angelegenheit war doch immerhin eine prekäre. Das Vorhaben, mit einem feindlichen Offizier auf solchen Grundlagen in Verhandlungen zu treten, ist stets ein Wagnis, welches mißlingen kann, und dann hat man die unangenehmen Folgen zu tragen.“
Lopez zog die Brauen zusammen und antwortete in einem Ton, der jedenfalls ein wenig spitz zu nennen war:
„Ein Wagnis? Jedenfalls. Aber wer hat dieses Wagnis unternommen? Wir beide doch.“
„Wohl ich allein, Señor!“
„Das möchte ich denn doch bestreiten. Sie haben sich in dem Hintergrund gehalten und mich vorgeschickt. Bei einem Mißlingen des Unternehmens würde also ich es sein, welchen man anpackt.“
„Aber ich bin Ihr Auftraggeber, und infolgedessen hätten Sie sich wohl auf mich berufen. Sie sehen, daß wir beide uns ganz der gleichen Gefahr ausgesetzt haben.“
„Mag sein“, meinte Lopez, welcher einsah, daß er wieder einlenken müsse. „Es ist ein Glück, daß ich unser gefährliches Vorhaben als ein gelungenes bezeichnen kann.“
„Nun, wie lautet das Übereinkommen?“
„Wir öffnen ihm heimlich Fort und Kloster la Cruz, sodaß der Kaiser in seine Hände fällt, und dafür erhalten wir die Freiheit.“
„Welche Garantie haben Sie erhalten?“
„Keine weiter als sein Ehrenwort.“
Der General schüttelte nachdenklich mit dem Kopf und meinte:
„Hm! Wird das genügen?“
„Zweifeln Sie an der Rechtlichkeit des Generals Velez?“
„Ich habe allerdings noch nie gehört, daß er sein Wort gebrochen hätte, aber in diesem Fall – hm!“
Er schwieg. Es fiel ihm augenscheinlich schwer, in der begonnenen Rede fortzufahren. Lopez verstand ihn und fragte lächelnd.
„Warum meinen Sie, daß er gerade in diesem Fall eine Ausnahme machen werde?“
„Weil – weil – er uns – für Verräter halten wird.“
„Dieses Wort ist kein gar zu schönes, aber trotzdem ist es das richtige. Es gibt Leute, welche den eigentümlichen Grundsatz haben, daß man einem Ver – Donnerwetter, dieses verdammte Wort – daß man einem Verräter nicht Wort zu halten brauche.“
„Sollte Velez zu diesen Leuten gehören?“
„Ich hoffe es nicht, aber trotzdem wäre es gut, wenn Sie einige Gewährleistung hätten erhalten können.“
„Worin sollte diese bestehen?“
„Das ist allerdings das Schwierige.“
„Und wenn es möglich gewesen wäre, irgendeine Bürgschaft zu erlangen, so hätte Velez auch von unserer Seite eine solche haben müssen. Was aber hätten wir ihm bieten können?“
„Hm! Nichts als unser Wort.“
„Sie sehen also, daß er uns gegenüber wenigstens nicht in irgendeinem Vorteil steht.“
„O, doch. Die Lage, in welcher wir uns befinden, muß ihm Bürgschaft genug sein, daß wir unser Versprechen erfüllen werden.“
„Welches Schicksal erwartet uns, wenn wir kriegsgefangen werden?“
„Ein rosiges allerdings nicht.“ Und mit eigentümlicher Betonung fügte er hinzu: „Ein schlimmes kann ich es aber auch nicht nennen. Man pflegt doch Kriegsgefangene nach geschlossenem Frieden wieder freizulassen.“
„Darauf kann aber ich nicht rechnen.“
„Ah!“
Lopez machte zu diesem Ausruf ein sehr erstauntes Gesicht. Es kam ihm darauf an, den General, welchem er keineswegs gewogen war, ein wenig zu peinigen.
„Nein“, fuhr dieser fort. „Freigelassen würden wir keinesfalls, aber wissen Sie, welches Schicksal den Kaiser erwartet, wenn er in die Hände der Republikaner gerät?“
„Er wird erschossen.“
„Jedenfalls. Und wir? Werden wir ein besseres Schicksal haben?“
„Meinen Sie etwa, daß Juarez uns alle erschießen lassen wird, vom Kaiser an bis auf den letzten Soldaten?“
„Das zu denken, wäre ja Wahnsinn.“
„Nun also! Man erschießt einfach die Führer, das heißt, den Kaiser und einige Generäle – weiter keinen!“
Miramon zog die Stirn in Falten.
„Oberst“, sagte er, „es ist nicht sehr liebenswürdig, mich auf eine so aufrichtige Weise vor diese Perspektive zu stellen.“
„Was nun meine Abmachung mit Velez anbelangt, so kommt derselbe mit zweihundert Mann. Sieht er aber, daß wir Wort halten, so zieht er die notwendige größere Truppe zu sich heran.“
„Das ist allerdings sehr vorsichtig von ihm. Wann und um welche Zeit gedenkt er zu kommen?“
„In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai.“
„Donnerwetter! So spät?“
Lopez hatte den mit Velez vereinbarten Zeitpunkt um zwei Tage hinausgeschoben. Er antwortete abermals lügend:
„Er könnte nicht eher, weil er bis dahin abwesend sei, sagte er mir.“
„So müssen wir uns fügen. Welche Stunde wurde bestimmt?“
„Mitternacht.“
„So wollen wir wünschen, daß diese Nacht nicht eine helle, sondern eine recht trübe sei. Ist das alles, was zwischen Ihnen und dem General verhandelt wurde?“
„Ja, alles.“
„Nun so wollen wir mit der Hoffnung auseinandergehen, daß unser Vorhaben gelingen werde. In diesem Fall dürfen Sie darauf rechnen, daß ich imstande sein werde, Ihr Verdienst anzuerkennen und zu belohnen.“
Lopez zuckte unter einem halben Lächeln die Achsel und antwortete:
„Mit Illusionen ist nicht gut rechnen, Señor.“
„Halten Sie meine Worte für ein Hirngespinst?“
„Das nicht. Aber –“
„Was, aber –“, fragte Miramon.
„Wir wollen bedenken, daß Juarez nicht nur Ihr Gegner, sondern geradezu Ihr Feind ist. Er wird Präsident sein, und Sie werden unter seiner Regierung keinerlei Einfluß erlangen.“
„Ich werde sogar des Landes verwiesen werden.“
„Wie also werden Sie mir nützlich sein können?“
„Hm! Denken Sie, daß ich mich seinen Anordnungen wirklich fügen werde? Ich werde rücksichtslos gegen ihn vorgehen. Noch ist mein Einfluß nicht erloschen, er reicht sogar weit über die See hinüber, und ich werde ihn aufbieten, um Juarez zu stürzen.“
„Eine schwere Aufgabe, welche nicht einmal Napoleon und Maximilian von Österreich zu lösen vermochten.“
„Die Schule, durch welche ich gegangen bin, hat mich gewitzigt. Bin ich einmal frei, so wird der Zapoteke nicht lange am Ruder bleiben. Ich bin dessen so sicher, daß ich darauf schwören kann.“
Er dachte dabei an die geheime Korporation. Vielleicht hatte er die Absicht, derselben eine solche Verfassung und Ausdehnung zu geben, daß sie Juarez gefährlich werden mußte. Natürlich aber hütete er sich, Lopez von diesem Plan etwas mitzuteilen. Er fuhr nur fort:
„Doch, noch ist es nicht Zeit, von diesen Dingen zu sprechen. Ist der Augenblick gekommen, so werden auch Sie etwas Näheres erfahren und dann mit mir zufrieden sein. Aber wir wollen scheiden. Gute Nacht, Oberst.“
„Gute Nacht, General.“
Lopez entfernte sich. Miramon ging schlafen. Er dachte nicht daran, daß Lopez entschlossen sei, so an ihm zu handeln, wie er im Begriff stand, an seinem Kaiser zu handeln. Er hatte seine Maßregeln getroffen und um nun auch Maximilian zu täuschen, einen Boten abgesandt, welcher einen seiner Anhänger, einen Bandenführer aufsuchen sollte, von dem er wußte, daß er sich in der Gegend zwischen Salamanca und Guanajuato aufhalte. Dieser Bote hatte einen schriftlichen Befehl mit, welcher lautete:
„Sie brechen nach Empfang dieses mit Ihrer Truppe auf, um während der nächstfolgenden Nacht im Rücken von Eskobedo einen Angriff unter Ausrufungen usw. durch die sich die Ihrigen als Anhänger des Kaisers bezeichnen, zu unternehmen. Dieser Angriff wird zwar für Sie nutzlos, für mich aber von großen Folgen sein. Sie kämpfen, so lange es geht, und ziehen sich dann zurück, um sich in Ihr Lager zu verbergen.
General Miramon.“
Der Bote war angewiesen, falls es ihm nicht gelingen werde, sich durch den Feind zu schleichen, und er ergriffen werde, diesen Zettel zusammenzuballen und zu verschlingen, damit nichts von dem Inhalt desselben verraten werde.
Er war mit Anbruch der Nacht aufgebrochen und glücklich durch die Linien der Belagerten gekommen. Am Tag dann glückte es ihm, den Adressaten aufzufinden, und dieser machte sich sofort daran, den Befehl auszuführen. –
Kurt war bei demjenigen Truppenteil tätig, der unter dem Befehl des General Velez stand. Man hatte sich über einen neuen Plan geeinigt, welcher die Eroberung der Stadt erleichtern sollte. Velez hatte diesen zwar für unnütz erklärt, weil er wußte, daß die Festung durch Verrat in seine Hände fallen werde. Da er dies aber nicht sagen durfte, so war trotz seines Einspruchs der Plan angenommen worden, und es bedurfte zur Ausführung desselben nur noch der Genehmigung des Generals Eskobedo.
Um dieselbe zu erlangen, mußte ein Bote zu dem Feldherrn geschickt werden, welcher imstande war, demselben alle Vorteile des Plans ins Licht zu stellen. Man wählte Kurt Helmers.
Eskobedo hatte sein Hauptquartier eine Stunde von Querétaro entfernt, und es war am Nachmittag, als Kurt aufbrach. Er traf den General an und erlangte die Genehmigung desselben, allerdings nach einer so eingehenden Besprechung, daß währenddessen der Abend herangekommen war.
Es war dunkel, und um schneller fortzukommen, wich Kurt von der geraden Richtung ab, diese hätte ihn mitten durch das Belagerungsheer geführt, wo sein Ritt durch allerlei Aufenthalt verlangsamt worden wäre. Er hatte also beschlossen, einen Bogen zu schlagen, und am äußersten Ende der Truppenaufstellung hinzureiten.
Da es finster war, und es hier keinen gebahnten Weg gab, so konnte man leicht die beabsichtigte Richtung versehen, und wirklich geriet Kurt eine Strecke abseits in das Feld. Er merkte es und hielt an, um sich zu orientieren.
Indem er überlegend im Gras hielt, war es ihm, als ob er das Schnauben eines Pferdes höre, vor sich, da, wo ein Streifen zu bemerken war, der, dunkler als die nächtliche Finsternis, sich ohne Schwierigkeit erkennen ließ. Ein zweites und darauf ein drittes und viertes Schnaufen erfolgte.
Was war das? Dort waren jedenfalls mehrere, vielleicht viele Pferde beisammen. Und wo Pferde sind, da gibt es auch Reiter. Waren es Freunde oder Feinde? Jedenfalls das letztere. Die Truppen Eskobedos lagen links hinüber und hätten auch nicht notwendig gehabt, sich im Wald zu verbergen. Daß nämlich der dunkle Streifen einen Wald bedeute, verstand sich von selbst.
„Es sind Feinde. Ich muß sehen, was sie wollen“, flüsterte Kurt sich selbst zu.
Er wendete sein Pferd und ritt soweit zurück, daß es, im Fall es schnauben sollte, außer Hörweite der zu belauschenden Reiter sei, pflockte es an und schritt dann wieder leise und vorsichtig auf den Wald zu.
Es verstand sich von selbst, daß sein Vorhaben nicht ohne alle Gefahr sei. Daher legte er sich, in der Nähe des Waldes angekommen, im Gras nieder und schob sich nach Art der Präriejäger vorwärts.
Nicht lange dauerte es, so hatte er den Waldrand erreicht und drang zwischen den Bäumen vor. Da hörte er zu seiner Linken ein halblaut geführtes Gespräch. Er schlich sich auf diese Gegend zu, mußte aber bald anhalten, denn er war bei einem Baum angelangt, in dessen Nähe zwei Männer saßen, welche miteinander sprachen. Er konnte jedes Wort genau verstehen.
„Wieviel Uhr haben wir?“ fragte der eine.
„Das weiß der Teufel“, antwortete der andere. „Es läßt sich heute kein einziger Stern sehen, nach welchem man die Zeit bestimmen könnte. Und auf der Uhr wird man schwer etwas erkennen.“
„So fühle an das Zifferblatt.“
„Ah, wirklich. Daran habe ich nicht gedacht.“
Es trat eine Pause ein, dann hörte Kurt:
„Wenn ich mich in den Zeigern nicht irre, so ist es jetzt dreiviertel auf Zehn.“
„Also noch fünf Viertelstunden.“
„Du denkst, daß wir um Mitternacht aufbrechen?“
„Ja. Um ein Uhr soll der Angriff unternommen werden.“
„Hm! Was hältst du von diesem Angriff?“
„Eigentlich eine verrückte Idee.“
„Ganz meine Ansicht.“
„Wir sind vierhundert, und der Feind zählt fünfundzwanzigtausend.“
„Unsinn! Wir haben es ja nur mit einem kleinen Teil desselben zu tun!“
„Aber trotzdem wird es nichts sein, als ein Laufen in den Tod.“
„Ich stelle mir die Sache nicht so schlimm vor. Als ich heute Posten stand, kam der Colonel mit dem Boten des Generals Miramon an mir vorüber, und da gelang es mir, einige Worte ihres Gespräches wegzuschnappen.“
„Was sagten sie?“
„Der Colonel war ungehalten darüber, daß er sich opfern solle.“
„Und der Bote?“
„Dieser beruhigte ihn, indem er ihm erklärte, daß es sich ja gar nicht um ein ernstliches Gefecht handle. Es sei nur darum zu tun, die Annahme zu erwecken, daß der Kaiser im Rücken seiner Feinde noch Anhänger habe, welche gesonnen sind, für ihn zu kämpfen.“
„Dummheit. Was könnte das ihm nützen?“
„Wer weiß es? Ich bin kein General und auch kein Minister. Wir greifen an und ziehen uns zurück, sobald die Kugeln des Feindes zu pfeifen beginnen.“
„Ja, und haben dabei nichts weiter zu tun, als uns totschießen zu lassen und ‚Vivat Max!‘ zu rufen. Ich habe große Lust, zurückzubleiben und schreien zu lassen, wer da will.“
„Hast du etwa Angst?“
„Angst? Vor wem?“
„Nun, vor den Waffen der Republikaner.“
„Was fällt dir ein. Hast du jemals bemerkt, daß ich mich gefürchtet habe? Aber es ist ein großer Unterschied, ob ich für eine Sache kämpfe, welche eine Zukunft hat, oder für eine solche, welche ich im vornherein verloren geben muß!“
„Verloren? Du meinst die Sache des Kaisers?“
„Natürlich!“
„Und du erklärst sie für verloren? Das laß nur ja den Colonel nicht hören. Er würde dir eine Kugel vor den Kopf geben lassen.“
„So wäre er dumm genug. Die Wahrheit belohnt man nicht mit einer Kugel.“
„Pah! Die Wahrheit. Du denkst, weil wir jetzt so schauderhaftes Pech gehabt haben, müsse das auch so bleiben. Aber du irrst dich da gewaltig. Miramon ist ein tüchtiger Kerl. Ist er nicht Präsident gewesen? Er wird wohl wissen, was er tut. Und der Streich, welchen wir heute auszuführen haben, hat jedenfalls auch seine Berechnung. Vielleicht sollen wir die Aufmerksamkeit Eskobedos auf uns lenken, damit den unseren in der Stadt ein Ausfall gelingt, welcher den Belagerern verderblich wird.“
Während dieses Gesprächs, am Schluß desselben, hatte Kurt nahende Schritte vernommen, welche aber den beiden Sprechenden entgangen waren. Jetzt fragte eine tiefe befehlshaberische Stimme:
„Was fällt euch ein, so laut hier zu sprechen?“
„Ah! Der Colonel!“ riefen die beiden, indem sie aufsprangen.
Kurt hatte die Ansicht, daß die eigentliche Truppe im Innern des Wäldchens kampiere, während am Rand desselben Doppelposten gelegt waren. Einen solchen Posten bildeten jedenfalls auch die beiden, welche er belauscht hatte. Daß seine Meinung die richtige sei, sollte er sogleich hören.
„Leise!“ befahl der Colonel. „Ich habe doch den Befehl gegeben, daß auf Posten nicht gesprochen werden soll!“
Die zwei fühlten sich schuldig, und schwiegen infolgedessen. Der Colonel fuhr fort:
„Ist etwas vorgekommen?“
„Nein“, antwortete der eine.
„Auch nichts Verdächtiges gehört?“
„Gar nichts.“
„So verhaltet euch ruhiger als bisher. Anstatt zu hören, werdet ihr gehört, wenn ihr laut sprecht. Ich will einmal rund rekognoszieren gehen. Fällt während dieser Zeit etwas vor, so meldet ihr es dem Major.“
Kurt konnte ihn nicht sehen, aber er hörte es an dem Geräusch seiner Schritte, daß der Colonel gerade auf den Baum zukam, hinter welchem er sich niedergelegt hatte. Infolgedessen erhob er sich schnell und geräuschlos aus seiner liegenden in eine kauernde Stellung, duckte sich so eng und tief wie möglich zusammen und schmiegte sich fest an den Stamm des Baumes.
Um nicht anzustoßen, hielt der Oberst die Hände vor. Er fühlte den Stamm und wollte zur Seite vorüber. Dabei aber blieb er an Kurts Fuß hängen und stürzte zu Boden.
„Verdammt!“ rief er. „Das war gerade, als ob ich an dem Stiefel eines Menschen hängengeblieben wäre. Schnell herbei, ihr beiden!“
Kurt hatte kaum soviel Zeit, zur Seite zu schnellen und dann, an einigen Bäumen vorüberschleichend, sich hinter einem anderen Stamm zu verbergen, so rasch waren die zwei Männer da.
Der Oberst hatte sich natürlich wieder erhoben.
„Habt ihr Zündhölzer?“ fragte er.
„Ja“, antwortete einer.
Kurt zog sich rasch noch weiter zurück.
„Brennt an!“ gebot der Offizier. „Aber nicht eins allein, sondern mehrere zusammen. Das leuchtet besser.“
Kurt vernahm das Anstreichen der Hölzer und einen Augenblick darauf beleuchtete das Flämmchen die Umgebung des Ortes, auf welchem die drei Personen standen, ziemlich deutlich. Ein Glück war es, daß der Schein nicht zu ihm dringen konnte.
„Seht ihr etwas?“ fragte der Colonel.
„Nein“, antworteten die beiden zugleich.
„Leuchtet nieder an den Boden.“
Sie gehorchten.
„Ah!“ meinte er im Ton der Beruhigung. „Hier ist eine Wurzel. Freilich war das, worüber ich stolperte, weicher als eine Wurzel zu sein pflegt, aber sie ist mit Moos bewachsen. Sie ist es gewesen, an der ich hängenblieb.“
„Jedenfalls, Señor“, bestärkte ihn der eine der beiden Posten in dieser irrigen, für Kurt aber günstigen Ansicht.
„Man kann nicht vorsichtig genug sein“, meinte er, „besonders in der Lage, in welcher wir uns befinden. Haltet darum eure Ohren offen, Leute!“
Nach dieser Warnung schritt er weiter, dem Ausgang zu. Es war kein Zweifel, daß Kurt sich in Gefahr befunden hatte, doch schätzte er dieselbe nicht groß. Er wußte, daß man ihn sicher nicht zu ergreifen vermocht hätte. Freilich wäre der Oberst dann zu der Überzeugung gekommen, daß er belauscht worden sei und seine Absicht kaum noch ausführbar werden könne.
Jetzt war diese Gefahr vorüber. Der Colonel hatte sich jedenfalls vorgenommen, außerhalb des Wäldchens, da, wo ebener Grasboden zu sein schien, rund um das letztere herumzugehen. Bei diesem Gedanken durchzuckte ein Entschluß den jungen Mann. Wie, wenn er diesen Obersten gefangennahm? Es war dies wohl kein leichtes Unternehmen, aber er fühlte sich gewandt genug dazu, dasselbe in Ausführung zu bringen.
Er folgte in geduckter Stellung dem Offizier. Dieser war wirklich aus dem Wald heraus, auf die offene Grasfläche getreten und patrouillierte nun langsam längs des Waldrandes weiter. Kurt schlich, nachdem er einige Zeit hatte vergehen lassen, um außer Hörweite der beiden Posten zu kommen, hinter ihm her. Er erreichte ihn und schlug ihm von hinten die Finger der beiden Hände fest um den Hals. Der Offizier stieß ein halblautes Stöhnen aus, griff mit den Händen in die Luft, um seinen Angreifer zu fassen, was ihm aber nicht gelang. Ein noch festerer Druck von Kurts Fingern, ein röchelndes, leise endendes Stöhnen und dann sank der Oberst zur Erde.
„So, den habe ich!“ murmelte Kurt befriedigt.
Er zog sein Taschentuch hervor und band es um den Mund des augenblicklich Besinnungslosen. Dann schlang er sich den Lasso von den Hüften und wickelte denselben so fest um die Arme und Beine des Gefangenen, daß dieser sich beim Erwachen nicht zu rühren vermochte.
Nun erst hatte er ihn vollständig in seiner Gewalt. Er warf sich den Mann über die Schulter und eilte zu seinem Pferd zurück, welches zu finden ihm trotz der Dunkelheit glücklicherweise gelang. Er hob ihn empor, stieg auf, nahm ihn quer vor sich über und ritt davon, erst langsam und vorsichtig, dann aber so schnell, als es ihm die Dunkelheit und das Terrain gestattete.
Anstatt bei der vorher eingehaltenen Richtung zu verharren, die ihn längs der Vorpostenkette der Republikaner hingeführt hatte, hielt er jetzt in gerader Richtung auf dieselbe zu, bis er angerufen wurde und also halten mußte. Nachdem er sich durch Parole, Losung und Feldgeschrei legitimiert hatte, fragte er den befehlenden Offizier, welcher in der Nähe war:
„Wer ist Ihr Kommandeur?“
„General Hernano“, antwortete der Gefragte.
„Bringen Sie mich schnell zu ihm.“
„Ist die Angelegenheit eilig?“
„Ja. Sie sollen um ein Uhr angegriffen werden.“
„Donner! Wen haben Sie denn da auf dem Pferd?“
„Einen Gefangenen. Aber ich habe keine Zeit zu Auseinandersetzungen. Bitte, lassen Sie uns eilen!“
Nachdem der Offizier den Seinen die größte Wachsamkeit eingeschärft hatte, ging er, Kurt führend, nach seinem Posten zurück, wo sein Pferd stand. Nachdem er es bestiegen hatte, sprengten sie dem Quartier des Generals zu.
Dasselbe befand sich in einer Art von Dörfchen, welches vielleicht eine halbe Stunde von Querétaro lag. Der Kommandierende saß mit seinen Stabsoffizieren bei einem frugalen Nachtessen, als ihm Kurt gemeldet wurde.
„Ein deutscher Name“, sagte er. „Wird nicht viel bringen. Der Mann mag eintreten.“
Kurt hatte kurzen Prozeß gemacht und seinen Gefangenen auf die Schulter geladen. Er trat mit demselben ein. Bei diesem außergewöhnlichen Anblick sprangen die Offiziere auf.
„Valgamos Dios! Was bringen Sie da?“ fragte erstaunt der General.
„Einen Gefangenen, Señor“, antwortete Kurt, indem er den Colonel zur Erde legte und dann sein Honneur machte.
„Das scheint so. Wer ist der Mann?“
„Ein kaiserlicher Oberst.“
„Hm. Der Kerl sieht nicht danach aus. Jedenfalls haben Sie da eine Maus gefangen, anstatt eines Elefanten.“
Bei diesen Worten umspielte ein ironisches Lächeln seine Lippen, und seine Offiziere hielten es natürlich für ihre Pflicht, dasselbe Lächeln sehen zu lassen.
„Überzeugen Sie sich“, meinte Kurt in sehr ruhigem Ton.
„Er trägt ja nicht die kaiserliche Uniform!“
„Er ist dennoch ein Kaiserlicher. Ich trage auch nicht die Uniform Eskobedos oder des Präsidenten, sondern gerade wie dieser Gefangene die mexikanische Kleidung.“
„Und dennoch sind Sie Republikaner? Das wollen Sie doch sagen?“
„Nein.“
„Was sonst? Sie wurden als Premierleutnant angemeldet.“
„Das bin ich allerdings. Ich diene in der Armee des Königs von Preußen, bin in Familienangelegenheiten nach Mexiko gekommen und habe mich gegenwärtig aus gewissen Gründen der Sache des Präsidenten angeschlossen.“
„Ah! Warum nicht der Sache des Kaisers?“ fragte der General.
Es war ihm leicht anzusehen, daß er einiges Mißtrauen hegte.
„Es war nur so opportun“, antwortete Kurt kurz und scharf.
„Sie haben sich bei den Vorposten legitimiert?“
„Ja. Hätte der Führer der Posten mich Ihnen sonst angemeldet?“
Der General erkannte, daß er im Begriff gestanden hatte, zu weit zu gehen, und fragte:
„Woher kommen Sie?“
„Von Eskobedo.“
„Ah! Sie waren beim Oberstkommandierenden? In welcher Angelegenheit – wenn ich fragen darf?“
Der letzte Zusatz war doch wieder in einem ziemlich ironischen Ton gesprochen.
„Fragen dürfen Sie allerdings, Señor“, antwortete Kurt lächelnd, „aber antworten darf ich nicht.“
„Ah! Es handelt sich um eine diskrete Angelegenheit?“
„Ja, um einen Plan, über welchen Sie das Nähere von einem anderen als von mir zu erfahren haben.“
„Sie scheinen in Preußen an eine strenge Disziplin gewöhnt zu sein.“
„Das ist allerdings wahr.“
„Auch an diese Verschlossenheit, Vorgesetzten gegenüber?“
„Auch an sie, wenn es nötig ist. Nur fragt es sich, wen Sie einen Vorgesetzten nennen.“
„Sie meinen doch, daß ich der Ihrige bin.“
„Vielleicht nicht. Ich habe mich dem Präsidenten zur Verfügung gestellt, ohne einen militärischen Rang zu beanspruchen.“
„Sie meinen doch nicht etwa, daß Ihnen im anderen Fall der meinige angeboten worden wäre? Ich bin General.“
„Ich bin ebenso Offizier wie Sie, das ist alles, was ich Ihnen antworten kann. Welcher Rang mir geworden wäre, kommt nicht in Betracht. Übrigens denke ich, dem Präsidenten nicht weniger dienlich zu sein als jeder andere.“
General Hernano war als ein stolzer, hochfahrender, aber keineswegs als der befähigtste General bekannt. Seine Arroganz machte sich auch hier, Kurt gegenüber, geltend. Dieser aber war freilich nicht derjenige, der so etwas in Devotion hinnahm. Er wußte, daß ein mexikanischer General in Beziehung auf militärische Kenntnisse nicht stets einem deutschen Leutnant gleichstehe, und beeilte sich daher, dem Ton des Generals in einem gleichen zu begegnen.
Er sah, daß dies von der Umgebung Hernanos beifällig bemerkt wurde, und das befriedigte ihn. Der General dagegen ließ ein finsteres Gesicht sehen.
„Ah!“ sagte er. „In welcher Weise dienen Sie dem Präsidenten?“
„Als Ingenieur. Ich bin dem Genietruppen zugeteilt.“
„Hm. Ich halte es mit der Reiterei. Der Ingenieur ist ein Bohrwurm, welcher das Tageslicht scheut. Sie wurden mir als Oberleutnant Helbert angemeldet. Ich hörte den Namen zum allerersten Mal.“
Kurt verstand gar wohl, was das heißen solle, aber er antwortete dennoch in ruhiger Höflichkeit:
„So hatte sich der betreffende Offizier verhört, oder er besitzt nicht die Fertigkeit, einen deutschen Namen auszusprechen. Ich heiße nicht Helbert, sondern Helmers.“
Da blickte der General rasch empor.
„Helmers?“ fragte er.
„Ja, Señor.“
„Sie stehen bei der Truppe des Generals Velez?“
„Allerdings.“
„Ah! Das ist etwas anderes. Entschuldigung! Wäre mir Ihr Name richtig genannt worden, so wäre Ihr Empfang ein anderer geworden. Señores, ich stelle Ihnen hiermit die eigentliche Seele unserer Belagerungsarbeiten vor.“
So gerecht war Hernano also doch. Die Offiziere traten jetzt zu Kurt und reichten ihm in freundlichster, kameradschaftlichster Weise ihre Hände. Dann fuhr der Oberst fort:
„Nun lassen Sie uns zur Ursache Ihrer Anwesenheit zurückkehren. Sie bezeichnen diesen Gefangenen wirklich als einen kaiserlichen Obersten?“
„Ja, obgleich ich der Ansicht bin, daß es sich nur um einen Guerilla- oder Bandenführer handelt. Er wurde von den Seinen in meiner Gegenwart Colonel, also Oberst genannt.“
„Wieviel Mann Begleitung hatten Sie bei sich?“
„Niemand.“
„Wie aber sind Sie in den Besitz dieses Mannes gekommen?“
„Sehr einfach, ich habe ihn gefangen.“
„Sie allein?“ fragte der General erstaunt.
„Nicht anders. Darf ich den Fall berichten?“
„Tun Sie es. Ich bin sehr gespannt.“
Kurt erzählte, und die Anwesenden hörten aufmerksam zu. Am Schluß rief der General:
„Alle Wetter! Man will uns also überfallen?“
„Ja.“
„Und wir versäumen die Zeit mit unnützen Reden!“
„Nicht meine Schuld“, meinte Kurt, indem er mit der Achsel zuckte.
„Warum machten Sie mich nicht sogleich aufmerksam?“
„Sie sind General und ich nur Leutnant“, antwortete Kurt, nun seinerseits mit einem ironischen Lächeln. „Ich hatte also nichts anderes zu tun, als Ihre Fragen zu beantworten.“
„Donner! Höflich scheinen diese Herren Preußen nicht zu sein. Ich werde sogleich eine Abteilung gegen den Wald vorrücken lassen. Wollen Sie die Güte haben, derselben als Führer zu dienen?“
„Ich stelle mich gern zur Verfügung, bitte aber, sich vorher mit diesem Colonel einen Augenblick zu beschäftigen.“
„Warum? Die Zeit drängt.“
„Nicht so sehr, daß wir nicht vorher einige Fragen an ihn richten und seine Taschen untersuchen könnten.“
„Das ist wahr. Sie sagten, daß der Angriff um ein Uhr stattfinden soll?“
„Ja.“
„Und daß sie sich dazu um Mitternacht vorbereiten werden?“
„So ist es.“
„Es ist jetzt ziemlich elf Uhr, und so bleibt uns also noch Zeit. Binden wir ihn los.“
Der Gefangene war unterdessen wieder zu sich gekommen, das sah man an seinen dunklen Augen, welche er geöffnet hatte und mit dem Ausdruck der Wut von einem zum anderen gleiten ließ. Man nahm ihm das Taschentuch und den Lasso ab und hieß ihn, aufzustehen. Er tat es, indem er die schmerzenden Glieder streckte.
„Wie heißen Sie?“ fragte ihn der General.
Er antwortete nicht und schwieg selbst dann, als die Frage wiederholt wurde. Da meinte Hernano:
„Wenn Sie nicht antworten, so betrachte ich Sie nicht als Offizier, sondern als einen gemeinen Verräter und lasse Sie auf der Stelle erschießen. Also wie heißen Sie?“
Jetzt nannte der Mann seinen Namen.
„Haben Sie gehört, was dieser Señor uns erzählt hat?“
„Ja.“
„Sie geben zu, daß es die Wahrheit ist?“
„Sie als General werden einsehen, daß ich diese Frage nicht beantworten darf.“
„Sie meinen, daß Ihre Pflicht Ihnen hier Schweigen auferlegt? Gut, ich will das zugeben. Aber fragen muß ich Sie doch, ob es sich hier wirklich um einen Angriff auf uns handelt?“
„Auch hier antworte ich nicht.“
„Von wem haben Sie den Befehl erhalten, heut –“
„Halt!“ rief in diesem Augenblick Kurt, den General unterbrechend. Der Gefangene war nämlich leise und, wie er meinte, unbeobachtet mit der Hand in die Tasche gefahren und stand im Begriff, diese Hand zum Munde zu führen. Kurt aber hatte ihn im Auge behalten und den erhobenen Arm am Handgelenk ergriffen. Der Gefangene machte eine verzweifelte Kraftanstrengung, ihm den Arm zu entreißen, was ihm aber nicht gelang. Da bückte er sich schnell mit dem Kopf herab. Ehe einer der Anwesenden herzutreten konnte, wäre es dem Colonel fast gelungen, das, was er in der Hand hielt, in den Mund zu bekommen, aber Kurt, welcher seinen Arm mit der Linken gepackt hielt, stieß ihm die geballte Faust in der Weise unter das Kinn, daß der Kopf emporflog. Ein zweiter Faustschlag gegen die Schläfe des Widerstrebenden warf denselben zu Boden, wobei Kurt noch immer die Hand des jetzt Besinnungslosen festhielt.
„Donnerwetter“, rief der General. „Was für einen famosen Hieb haben Sie!“
„Beweis, daß ich einen tüchtigen Lehrmeister hatte“, lächelte Kurt.
„Sie haben den Mann erschlagen. Er ist tot.“
„Wohl nicht. Um ihn zu töten, hätte ich ihn ein wenig mehr nach hinten treffen müssen.“
„Sie scheinen den Schädelbau Ihrer Gegner genau zu studieren, ehe Sie zuschlagen.“
„Das ist allerdings notwendig.“
„Warum unterbrachen Sie mich?“
„Der Mann zog etwas aus der Tasche, was er zum Mund führen und jedenfalls verschlingen wollte.“
„Ah! Was ist es?“
„Wir werden sehen.“
Kurt brach die Hand des Bewußtlosen auf und fand ein fest zusammengeknülltes Papier, welches er glättete und dann dem General überreichte. Dieser las es durch.
„Ein Befehl des Generals Miramon!“ rief er aus. Die Anwesenden gaben ihr Erstaunen teils still durch ihre Mienen und teils laut durch verschiedene Ausrufe zu erkennen.
„Daß dieses Billet in die Hände dieses Mannes kommen konnte“, meinte der General, „ist ein Beweis, daß entweder die Stadt noch nicht vollständig eingeschlossen ist, oder daß unsere Posten nicht wachsam sind.“
Er las den Befehl des Generals Miramon laut vor und sagte dann:
„Er hat also doch eingesehen, daß dieser Angriff keinen direkten Nutzen haben werde. Unsere Vorposten hätten Alarm gemacht. Aber er redet da von einem indirekten Vorteil. Was mag er meinen?“
Einer der anwesenden Offiziere antwortete:
„Das ist, meiner Ansicht nach, sehr leicht einzusehen.“
„Wieso?“
„Miramon beabsichtigt heute nach Mitternacht einen Ausfall und will unsere Aufmerksamkeit von demselben ablenken.“
„Hm. Das ist allerdings wahrscheinlich.“
„Ich bin anderer Meinung“, bemerkte Kurt.
„Warum?“ fragte der General.
„Miramons Ausfälle sind alle siegreich zurückgeschlagen worden. Der letzte wurde am fünften Mai unternommen, wobei ich durch eine einzige Mine das ganze Vorhaben vereitelte. Miramon muß, wenn er nur ein mittelmäßiger Soldat ist, wissen, daß seine ganzen Befestigungen von unseren Minen umgeben sind. Er mag einen Ausfall versuchen, wo er will, so sprenge ich ihn in die Luft. Nein, seine Absicht ist eine andere!“
„Aber mir ein Rätsel. Wollen Sie sich erklären?“
„Er will den Kaiser verderben. Max soll denken, daß hinter unserem Rücken seine Anhänger in hinreichender Stärke stehen, um uns anzugreifen und von der Stadt abzuziehen.“
„Eine Spiegelfechterei also?“
„Die aber doch ihre Absicht erreichen kann. Halten Sie es für möglich, daß der Kaiser noch heimlich entkommen kann?“
„Ja.“
„Es ist dem Boten Miramons gelungen, unbemerkt sich durchzuschleichen. Was diesem nicht unmöglich war, kann auch dem Kaiser recht wohl möglich werden.“
„Hm. Man wird wirklich wachsamer sein müssen.“
„Um nun Max von jedem solchen Gedanken abzubringen, spiegelt Miramon ihm die erwähnte Lüge vor.“
„Was aber kann es ihm nützen, wenn der Kaiser nicht entkommt, sondern gefangen wird?“
„Vielleicht gibt er sich mit der Hoffnung ab, daß man sich begnügen werde, das Haupt unschädlich zu machen.“
„Ah! Er gedenkt, dadurch sein Leben zu retten?“
„Ich habe Grund, dies zu glauben. Ich weiß ganz genau, daß von einer gewissen Seite Anstrengungen gemacht werden, den Kaiser zu täuschen.“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich habe keine Anweisung, darüber zu sprechen. Ich darf Ihnen nur sagen, daß ich den Präsidenten darüber unterrichtet habe und daß dieser seine Maßregeln danach zu ergreifen weiß. Auch mit General Miramon habe ich über diesen Punkt gesprochen.“
„Donner! Sie scheinen ja mit diesen Herren auf einem sehr vertrauten Fuß zu stehen.“
„Vielleicht. Jedenfalls aber ist es notwendig, dem Oberstkommandierenden sofort diesen Befehl Miramons zu schicken und ihn von dem beabsichtigten Überfall sowie den dagegen ergriffenen Mitteln zu benachrichtigen.“
„Das soll geschehen. Wie stark sind diese Guerillas? Wie sagten Sie?“
„Vierhundert, wie ich erlauschte.“
„Reiter oder Fußtruppen?“
„Ich hörte die Pferde schnaufen und glaube, auch bemerkt zu haben, daß die beiden Posten großräderige Sporen trugen. Ich vernahm das Klirren derselben. Diese Banden sind ja meist beritten.“
„Meinen Sie, daß wir den Angriff erwarten?“
„Nein. Weil dann mehr oder weniger der Unsrigen fallen werden.“
„Also greifen wir sie an?“
„Auch nicht. Sie sind vom Wald gedeckt, und wir geben uns ihren Kugeln preis, obgleich bei der Dunkelheit ein gutes Zielen nicht möglich ist. Wir zingeln sie ein.“
„Sie werden durchzubrechen versuchen.“
„Es wird ihnen nicht gelingen, denn Sie werden die Güte haben, eine hinreichende Anzahl zu detachieren.“
„Gewiß. Aber der Versuch des Durchbruches wird uns Tote und Verwundete kosten, und das ist es gerade, was sie vermeiden zu wollen scheinen.“
„Wir werden es auch vermeiden, indem wir sie verhindern, den Durchbruch auch nur zu versuchen.“
„In welcher Weise scheint Ihnen das möglich?“
„Wir umschließen den Wald und benachrichtigen sie einfach hiervon durch einen Parlamentär.“
„Teufel! Das ist gefährlich!“
„Wieso?“
„Diese Kerls achten keinen Parlamentär. Sie stechen ihn nieder.“
„Ich befürchte dies nicht, sobald man einen Mann sendet, welcher mit ihnen zu sprechen versteht.“
„Sie vergessen, daß Sie es hier mit keiner regelrechten Truppe, sondern mit einer Bande zu tun haben. Keiner meiner Offiziere wird es wagen, sich als Parlamentär zu melden.“
„Sie haben zu befehlen.“
„Ich weiß, daß ich den Betreffenden in den Tod schicken werde.“
„Gut, so bin ich es, der sich meldet.“
Der General machte ein sehr erstauntes Gesicht.
„Sie? Sie wollen mit diesen Guerillas unterhandeln?“ fragte er.
„Ja, ich“, antwortete Kurt zuversichtlich.
„So sage ich Ihnen im voraus, daß Sie ein toter Mann sind.“
Kurt zuckte die Achsel und antwortete gleichmütig:
„Ich fühle nicht die Lust, mich von diesen Leuten erschießen oder aufhängen zu lassen. Ich bin überzeugt, daß es mir gelingen wird, sie zur Räson zu bringen. Allerdings sehe ich mich gezwungen, eine Bedingung zu stellen, und zwar geben Sie mir den geschriebenen Befehl Miramons mit.“
„Ich denke, daß ich denselben an Eskobedo schicken soll?“
„Der Obergeneral wird ihn noch früh genug erhalten. Aber ich sehe ein, daß auch eine Abschrift genügen wird.“
„Sie soll sofort ausgefertigt werden.“
Er gab einem seiner Offiziere den Zettel des feindlichen Generals hin, welcher im Augenblick kopiert wurde, während Hernano fortfuhr:
„Was meinen Sie, Señor Helmers, werden zwei Bataillone genügen?“
„Sicher“, antwortete Kurt, „wählen wir gute Schützen und verteilen wir Fackeln und Raketen, denn jedenfalls werden wir in die Lage kommen, das Terrain erleuchten zu müssen.“
Der General gab die nötigen Befehle, und dann wurde der gefangene Colonel untersucht. Es fand sich nichts Bedeutungsvolles bei ihm; er wurde nach dem Depot transportiert.
Kurze Zeit später befand Kurt sich mit zwei Bataillonen auf dem Marsch, welcher ohne alles Geräusch ausgeführt wurde. Es war noch nicht zwölf Uhr, als sie in der Nähe des Wäldchens ankamen, welches in der Zeit von kaum zehn Minuten vollständig umzingelt wurde.
Es war bestimmt worden, daß, wenn Kurt eine Rakete steigen lasse, auch von Seiten der Republikaner rundum mehrere abgebrannt werden sollten, um den Leuten zu beweisen, daß sie wirklich umzingelt seien.
Nun machte sich Kurt an das Werk. Er trat den von General Hernano für so schwierig gehaltenen Gang an.
Er schritt gerade auf das Wäldchen zu und gab sich natürlich keine Mühe, seine Schritte zu dämpfen.
„Halt. Wer da?“ tönte es ihm entgegen, als er den ersten Baum beinahe erreicht hatte.
„Parlamentär“, antwortete er.
„Steh, oder ich schieße!“ wurde ihm die Warnung zugerufen.
Er blieb stehen. Es trat eine Pause ein, während welcher er nichts vernahm als ein Rascheln von Zweigen und ein leises Knicken von an dem Boden liegenden Ästchen. Aber es dünkte ihm, trotz der Dunkelheit einige Gewehrläufe auf den Ort gerichtet zu sehen, an welchem er sich befand. Erst nach einer längeren Weile wurde er wieder angerufen, und zwar dieses Mal von einer anderen Stimme:
„Wer ist da draußen?“
„Parlamentär von General Hernano.“
„Alle Teufel“, hörte er fluchen. „Wie kommt dieser dazu, uns einen Parlamentär zu senden?“
„Das werde ich Ihnen sagen, sobald Sie mir erlaubt haben werden, näher zu treten.“
„Wie viele Personen sind Sie?“
„Ich bin allein.“
„Warten Sie.“
Obgleich er sein Gesicht und Gehör anstrengte, hoben sich nach kaum einer Minute fünf bis sechs Gestalten gerade vor ihm vom Boden empor, ohne daß er ihr Kommen bemerkt hätte. Der eine fragte:
„Wer sind Sie?“
„Das werde ich dem Stellvertreter des Colonels sagen.“
„Ich bin Leutnant!“
„So bitte ich, mich zu ihm zu führen, Señor Leutnant.“
„Kommen Sie!“
Er wurde von mehreren Händen gepackt und fortgezogen, was er sich auch gefallen ließ. Sie waren nicht weit in das Wäldchen eingedrungen, so stießen sie auf eine Gruppe von Männern, vor welcher sie haltenblieben.
„Hier, Major, ist der Mann!“ meldete der Leutnant.
Eine schnarrende Stimme antwortete:
„Haltet ihn fest! Hat er Waffen bei sich?“
„Ah, das ist uns gar nicht eingefallen, danach haben wir ihn noch nicht gefragt.“
„Dumme Kerls. Durchsucht ihn!“
„Ich führe als Parlamentär keine Waffen“, meinte Kurt.
„Maul halten!“ gebot der Major. „Durchsucht ihn.“
Dies geschah sehr sorgfältig, und da sie nichts als die Rakete fanden, so meldete der Leutnant:
„Er ist wirklich unbewaffnet, aber da hatte er ein Ding in der Hand.“
„Was ist es?“ fragte der Major.
„Ich weiß es nicht.“
„Es ist eine Rakete“, antwortete Kurt.
„Donnerwetter! Eine Rakete? Wozu?“
„Ich werde Ihnen das erklären, nachdem Sie mich gehört haben.“
„O nein, mein Gutester! Wir werden die Rakete an uns nehmen, bevor wir Sie gehört haben. So ein Ding ist gefährlich. Bindet ihn.“
Man nahm ihm die Rakete und schickte sich an, ihn zu fesseln.
„Ich werde mich binden lassen“, erklärte Kurt, „obgleich es nicht völkerrechtlich ist, einen Parlamentär in Banden zu legen.“
„Es ist auch nicht gebräuchlich, daß Parlamentärs Raketen bei sich führen“, schnarrte der Major.
„Das gebe ich zu. Ich habe das Feuerwerk in der besten Absicht mitgebracht, wie Sie später einsehen werden. Schon der Umstand, daß ich mitten in dunkler Nacht mich Ihnen im finsteren Wald überliefere, muß Sie überzeugen, daß ich eine ehrliche Absicht hege.“
„Das werden wir sehen. Seid ihr fertig?“
„Ja“, antwortete einer von denen, welche Kurt gefesselt hatten.
„So können wir beginnen. Also wer sendet Sie?“
„General Hernano, wie ich dem Señor Leutnant bereits sagte.“
„Hernano?“ fragte der Major im Ton des Erstaunens. „Wie kommt dieser Mann dazu, Sie hierher zu schicken?“
„Sehr einfach, weil er wußte, daß Sie sich hier befinden.“
„Unmöglich! Wie hat er es erfahren?“
„Es ist heute von General Miramon ein Bote zu Ihnen gekommen, der Ihnen einen Befehl Miramons überbracht hat.“
„Donnerwetter! Woher haben Sie das erfahren?“
„Unsere Quelle darf ich nicht verraten. Wir kennen diesen Befehl, ja, ich kann Ihnen eine Abschrift desselben zeigen, und zwar eine ganz genaue.“
„Dann wäre ja der krasseste Verrat im Spiel.“
„Darüber kann ich mich nicht äußern.“
„Sie haben die Abschrift bei sich?“
„Ja. Sie steckt in meiner rechten Hosentasche. Man hat bei meiner Durchsuchung den kleinen Zettel nicht beachtet.“
Kurt fühlte, daß man ihm den Zettel aus der Tasche nahm. Er wurde dem Major übergeben.
„Das Licht her!“ gebot dieser.
Einen Augenblick später brannte eine kleine Blendlaterne, bei deren Schein der Major die Zeilen las.
„Das ist Verrat. Das ist der unverzeihlichste Verrat“, rief er dann.
Ein Mann, welcher neben ihm stand, fragte: „Stimmt es denn, Major?“
„Ganz genau. Was sagt Ihr dazu, Pater?“
„Daß es mir völlig unbegreiflich ist, denn ich weiß, daß Miramon allein von diesem Befehl weiß.“
„Ihr wart bei ihm, als er ihn schrieb?“
„Ja, und kein Mensch weiter, dann brach ich sofort auf.“
„Sollte Miramon dann davon gesprochen haben? Oder sollte er selbst – Ah, das ist ja nicht zu denken.“ Und sich wieder an Kurt wendend, fragte er: „Wissen Sie, wie dieser Befehl in die Hände der Ihrigen gefallen ist?“
„Ja, es ist mir aber natürlich verboten, darüber zu sprechen.“
Es war eine eigentümliche Szene. Das Lämpchen der kleinen Laterne beleuchtete das Gesicht des ergrimmten Majors. Die anderen Gestalten, auch diejenige des gefesselten Kurt, und die Bäume mit ihren im völligen Dunkel verschwindenden Wipfeln lagen in schwarzgrauem Dunkel.
„Sie sind umzingelt“, unterbrach Kurt das Schweigen, „entkommen ist unmöglich, also ergeben Sie sich und vermeiden so unnötiges Blutvergießen.“
„Tod und Teufel!“
Der Major warf den Zettel, welchen ihm der Pater wiedergegeben hatte, zu Boden und stampfte mit den Füßen darauf. Auch die anderen Offiziere, welche bei ihm standen, und diejenigen der sich herandrängenden Mannschaft, welche Kurts letzte Worte vernommen hatten, wurden von demselben Zorn ergriffen. Ein tiefes, grollendes Murmeln durchlief das Lager.
„Ruhe!“ zischte der Major. „Man muß hier vorsichtig sein.“ Und sich an Kurt wendend, fragte er, während alle anderen in größter Spannung lauschten: „Wer umzingelt uns?“
„Eine Abteilung des Generals Hernano.“
„Wie stark ist sie?“
„Señor“, antwortete Kurt, „ich bin Offizier, aber kein Wahnsinniger.“
„Ah. Sie haben Recht! Verzeihen Sie!“
„Ich habe Ihnen zu sagen, daß Hernano, sobald er sich orientiert hatte, eine Abteilung aussandte, welche stark genug ist, die fünffache Zahl der Ihrigen zu bewältigen. Wir sind von allem genug unterrichtet, Sie haben nicht mehr und nicht weniger als 400 Mann.“
„Teufel! Abermals Verrat!“
„Sie werden zugeben, daß, wenn man Ihre Zahl kennt, man auch geschickt ist, gegen Sie eine Truppe zu detachieren, gegen welche Sie nichts machen können. Wir halten den Wald so umzingelt, daß kein einziger Mann entkommen kann. Ich ersuche Sie in Ihrem eigenen Interesse, nicht in den Fehler zu verfallen, welchen Ihr Colonel begangen hat.“
„Der Colonel? Ah! Der ist noch nicht wieder da.“
„Das glaube ich gern, denn er fiel in unsere Hände.“
„Maria und Josef! Er ist Ihr Gefangener? Ah! Jetzt nun weiß ich auch, wie Sie unsere Stärke erfahren haben, denn nur der Colonel konnte Sie unterrichten. Nicht?“
„Ich bin auch hier nicht beauftragt, Auskunft zu erteilen.“
„Aber es ist jedenfalls so. Wir sind von mehreren Seiten verraten. Wissen Sie, Señor, daß dies sehr, sehr schlimm für Sie ist, denn Sie werden diesen Ort nicht lebend verlassen!“
„Hm! So bin ich tot!“
„Das nehmen Sie so ruhig hin?“
„Was soll ich sonst tun? Ich befinde mich ja in Ihrer Gewalt!“
„Sie scheinen den Tod nicht zu fürchten?“
„Nein, besonders dann nicht, wenn er unverschuldet ist und gerächt wird. Meine Leute haben den Befehl, sie alle bis auf den letzten Mann niederzumachen, falls ich binnen einer Stunde nicht wieder bei ihnen bin.“
„Das wird ihnen schwer werden. Wir verteidigen uns!“
„Das ändert Ihr Schicksal nicht. Wir sind stark genug. Übrigens kam ich in der Überzeugung zu Ihnen, mit dem Anführer einer achtbaren regulären Truppe, nicht aber mit einem Bandenhäuptling zu verhandeln.“
„Sehen Sie da einen Unterschied, dann bitte ich um eine Erklärung.“
„Diese ist sehr einfach. Wie Sie mich behandeln, so werden auch Sie behandelt. Töten Sie mich, so schießt man Sie als Mörder zusammen. Beachten Sie aber gegen mich das Völkerrecht, so ist Ihr Schicksal höchstens Kriegsgefangene zu sein, welche man nach Abschluß des Friedens frei gibt.“
„Sie fordern uns also auf, uns zu ergeben?“
„Ja. Jeder Widerstand würde unnütz sein, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich die Wahrheit sage.“
„Im Falle, daß wir uns ergeben, sind wir nur kriegsgefangen?“
„Ja.“
„Man läßt uns also unser Eigentum?“
„Das versteht sich. Sie werden allerdings entwaffnet, aber Juarez ist kein Tiger, welcher Kriegsgefangene für Mörder erklärt und töten läßt.“
„Wie aber wollen Sie uns beweisen, daß alles, was Sie gesagt haben, die Wahrheit ist, also daß wir von einer Macht umzingelt sind, gegen welche ein Widerstand nutzlos sein würde?“
„Dazu sollte eben die Rakete dienen.“
„Wieso?“
„Sobald ich sie steigen lasse, werden meine Leute den ganzen Kreis erleuchten, den sie um den Wald bilden. Das wird genügen, um Sie sehen zu lassen, daß ich wahr gesprochen habe.“
War es der Grimm, daß er verraten worden war, oder war der Major so einsichtsvoll, oder so feig, kurz, er schien für einen Widerstand nicht sehr eingenommen zu sein. Er besann sich ein Weilchen und sagte dann: „Gut, ich werde mich überzeugen. Señor Gardenas, Ihr versteht es, mit Raketen umzugehen?“
„Ja“, antwortete einer der anwesenden Offiziere.
„Die Señores mögen sich rundum am Waldesrand verteilen, damit der Überblick ein vollständiger werde. Dann läßt Gardenas die Rakete steigen, und ihr kehrt hierher zurück, um mir Meldung zu machen. Vorwärts. Ihr, Pater, bleibt bei mir.“
Es trat nun eine Stille ein, welche vielleicht fünf Minuten währte, dann gab der Major dem betreffenden Gardenas ein Zeichen. Die Rakete zischte hoch empor, und zugleich war eine dunkle Linie zu bemerken, welche in nicht gar zu großer Entfernung den nächtlichen Horizont abschloß.
„Sind das Ihre Leute?“ fragte der Major, auf diese Linie zeigend.
„Ja“, antwortete Kurt.
„Man konnte sie nur höchst undeutlich sehen.“
„Warten Sie. Da, da.“
In diesem Augenblick hörte man draußen auf der Ebene einen lauten Befehl erschallen, welcher rund im Kreis weiter gegeben wurde, und einen Augenblick später stiegen Flammen, Funken und Kugeln empor, welche die ganze Umgebung des Wäldchens fast taghell erleuchteten.
„Alle Teufel! Es ist wahr!“ rief der Major.
Er hatte einen Kreisteil von Truppen gesehen, welche mit angelegtem Gewehr postiert waren, ganz wie zum Schuß bereit.
„Nun, sind Sie überzeugt?“ fragte Kurt, als es wieder dunkel war.
„Warten Sie noch.“
Es dauerte nicht lange, so kehrten die Offiziere zurück. Sie hatten ganz dasselbe gesehen, und auf alle hatte die von den grellen, farbigen Lichtern bestrahlte Truppenabteilung einen höchst imponierenden Eindruck gemacht.
„Nun, was meint ihr, Señores?“ fragte der Major.
„Widerstand ist unnütz“, wagte einer zu sagen.
„Ich bin nicht unsinnig genug, dies zu bestreiten“, meinte der Major. „Auch ich hege nicht den Wahnsinn, mich, euch und alle unsere Leute ohne Nutzen niederschießen zu lassen, zumal wir verraten worden sind, mag es nun sein, von wem es wolle. Nehmt diesem Parlamentär die Fesseln ab. Er hat die Wahrheit gesagt.“
Als dies geschehen war und Kurt nun wieder Herr seiner Glieder war, fragte er: „Nun, Señor, was beschließt Ihr zu tun?“
„Das ist bald gesagt. Also Sie versichern uns, daß wir als Kriegsgefangene behandelt werden, wenn wir uns ergeben?“
„Ja.“
„Dann sind Sie von jetzt frei.“
„Das habe ich nicht anders erwartet. Ich gehe also jetzt, um den Kommandierenden zu benachrichtigen. Halten Sie sich bereit, in zehn Minuten eine Rakete von dem Punkt aufsteigen zu sehen, an welchem Sie uns treffen werden.“
Er wollte gehen, da aber faßte ihn der am Arm, welcher Pater genannt worden war. „Halt, Señor“, sagte dieser. „Zuvor noch einige Worte.“
„Sprechen Sie!“ meinte Kurt.
„Werde auch ich in den Vertrag eingeschlossen sein?“
„Sie gehören nicht zu dieser Truppe?“
„Nein.“
„Ah! Ich hörte, daß Sie der Bote sind, welcher den Befehl des Generals Miramon überbracht hat?“
„Der bin ich allerdings.“
„Hm! Das ist nun freilich eine heikle Angelegenheit! Wissen Sie vielleicht mit welchem Wort man einen Menschen bezeichnet, welcher geheime Befehle und Botschaften aus einer Festung schmuggelt?“
„Ich hoffe doch nicht, daß Sie mich als – als – als Spion bezeichnen werden!“
„Gerade das meine ich leider.“
„Ich bin nicht Spion.“
„Ah, hören Sie! Sind Sie Adjutant Miramons?“
„Nein.“
„Sind Sie Offizier? – Wenn nicht ein solcher, so frage ich Sie: Sind Sie überhaupt Militär?“
„Nein.“
„Und dennoch kolportieren Sie militärische Befehle!“
Es erfolgte keine Antwort.
„Sie antworten nicht, Sie richten sich also selbst.“
„Señor, ich kannte die Tragweite meiner Botschaft nicht.“
„Sie sagten vorhin selbst, daß Sie den Befehl unterwegs gelesen haben. Wer lesen kann, hat auch gelernt zu denken, zu begreifen und zu verstehen. Ihre Ausrede ist hinfällig!“
Da ergriff der Major das Wort, indem er bemerkte:
„Señor, ich mache Ihnen bemerklich, daß ich nicht kapitulieren werde, wenn einer von denjenigen, welche jetzt bei mir sind, ausgeschlossen werden.“
„Nun, so will ich Ihnen versprechen, meinen Kommandeur zur Nachsicht zu bestimmen.“
„Das genügt nicht. Ich muß eine bündige Erklärung, ich muß Ihr Versprechen, Ihr Wort haben.“
Kurt sann nach, dann erklärte er:
„Nun, ich will nicht hart sein, ich glaube vielmehr im Sinn des Präsidenten zu handeln, wenn ich den Señor mit in den Vertrag aufnehme.“
Er ging. Er ahnte ganz und gar nicht, wer derjenige sei, dem er das Leben geschenkt hatte.
Man hatte von Seiten der Republikaner Kurt gleich von vornherein aufgegeben. Als man aber seine Rakete steigen sah, begann man zu hoffen, und jetzt wurde er mit Freude empfangen. Der Kommandierende gab seine Zustimmung zu allem, was er versprochen hatte, er sah ein, daß man, um Blutvergießen zu verhüten, doch einige Konzessionen machen könne.
Eine Viertelstunde später fand er und Kurt sich mit dem Major und dessen Begleiter zusammen, um die notwendigen Einzelheiten zu vereinbaren. Das Hauptergebnis war, daß die Gefangenen noch während der Nacht die Waffen abzuliefern und dann den Morgen zu erwarten hatten, um nach dem Lager vor Querétaro transportiert zu werden.
Natürlich war von Schlaf keine Rede. Die Offiziere der Guerillas hatten ihr Ehrenwort gegeben, nicht zu fliehen, und durften sich daher frei bewegen. Dieses Vorrecht hätte auch ein anderer gern genossen, nämlich – der Pater. Er meinte, in Kurt ein mitleidiges, nachsichtiges Gemüt kennengelernt zu haben und ließ ihn um eine Unterredung bitten. Der Leutnant verfügte sich zu ihm, da er glaubte, daß es sich vielleicht um eine wichtige Mitteilung handeln könne.
„Was wünschen Sie?“ fragte er ihn.
„Ich wollte mir eine Erkundigung gestatten. Nicht wahr, unsere Offiziere sind frei auf Ehrenwort? Könnte ich das nicht auch für mich erlangen?“
Kurt brachte vor Erstaunen zunächst kein Wort hervor, dann aber fragte er in einem keineswegs Hoffnung erweckenden Ton: „Für Sie –“
„Ja.“
„Aber Mann, sind Sie klug? Ich habe Ihnen gesagt, daß man einen Menschen, der das unternimmt, was Sie ausgeführt haben, in die Klasse oder Ordnung der Spione rechnet. Sie haben mir das Leben zu verdanken.“
„Mein Leben gehört dafür Ihnen!“
„Ich verzichte auf diesen Besitz. Wissen Sie auch, daß man Spione zu denjenigen Menschen zählt, welche keine Ehre besitzen? Ich schließe mich der allgemeinen und landläufigen Ansicht an. Nun sagen Sie, wenn Sie ehrlos sind, wie wollen Sie da auf Ehrenwort freiere Bewegung erlangen? Wer keine Ehre hat, kann auch kein Ehrenwort geben.“
Das war dem Pater denn doch etwas zu deutlich. Er sagte:
„Señor, Sie wissen noch nicht, wer ich bin, Sie halten mich für einen Spion, allein ich bin Arzt, und zwar Arzt und Priester, man nennt mich Pater Lorenzo, ich lebe im Kloster de la Cruz in Querétaro.“
„Also ein Klostergeistlicher. Kennen Sie das Bibelwort von der Lieblichkeit der Boten, die da Frieden predigen und das Heil verkündigen?“
„Warum sollte ich es nicht kennen?“
„Ein solcher Bote des Friedens sollen Sie sein. Und was sind Sie? Ein Bote, der auf dem Weg der Spione wandelt, um Kampfbefehle auszutragen. Man wird Ihnen keine freie Bewegung erlauben.“
Der Tag wollte anbrechen, aber es war noch dunkel. Trotzdem sah Kurt die Augen des Paters mit glühendem Blick auf sich ruhen. Es waren die Augen der Wildkatze, welche zum Sprung bereit ist. Dieser Mann erweckte in ihm ein höchst negatives Gefühl.
Aber der Pater hatte gelernt, sich zu beherrschen. Er sagte nach einer kurzen Pause in demütigem Ton:
„Sie beurteilen mich falsch. Ich mußte meinen Oberen gehorchen und glaubte meinem Kaiser zu dienen.“
„Für meine Person will ich diese Gesinnungen und Gefühle gelten lassen, aber von anderer Seite wird man keine Lust haben, sie anzuerkennen. Also Sie sind ein treuer Anhänger des Kaisers?“
„Ja! Und indem ich Ihnen, dem Republikaner, dies offen gestehe, gebe ich Ihnen den Beweis, daß ich kein feiger Spion bin.“
Da brach ein eigentümliches, gefährliches Feuer aus den Augen des Paters hervor. Er verstand es, dasselbe sogleich zu dämpfen, doch Kurt hatte es bereits bemerkt.
„Welche Blicke!“ dachte er. „Dieser Pater ist ein böser, ein gefährlicher Mensch. Ich werde mich vor ihm hüten.“
Endlich brach der Morgen an, und der Zug konnte sich in Bewegung setzen. Die Gefangenen in der Mitte, ging es auf Querétaro zu. Natürlich hatten die Sieger die Pferde der Besiegten in Anspruch genommen.
Der Weg wurde in größter Ordnung zurückgelegt, bis man an eine Schlucht kam, welche nach links hin in eine Höhe schnitt und mit dichtem Buschwerk bestanden war.
Der Pater hatte sich geärgert, daß es ihm nicht erlaubt gewesen war, sich den gefangenen Offizieren anzuschließen, denen man ihre Pferde gelassen. Er sah seine Zukunft beim Licht des Tages, welches jede Imagination zu zerteilen pflegt, in nicht einem so günstigen Licht wie am Ende der Nacht.
Er wurde nach Querétaro transportiert. Wie nun, wenn man ihn dort erkannte? Wenn man hörte, daß er nicht Pater Lorenzo aus dem Kloster de la Cruz sei? In diesem Fall war er verloren. Flucht war das einzige Rettungsmittel für ihn.
Er sah sich nach einer Gelegenheit zu derselben um, vergebens. Aber als man die erwähnte Schlucht erreichte, welche man umreiten und umschreiten mußte, war eine Möglichkeit des Entkommens geboten.
Der Weg war hier sehr schmal. Fußgänger und Reiter waren gezwungen, sich einzeln zu folgen. Der Pater ließ seine Augen umherschweifen. Niemand schien auf ihn zu achten. Gelang es ihm, die Büsche zu erreichen, so war er unter denselben versteckt, und keine Kugel konnte ihn erreichen.
Gerade an der Mündung der Schlucht warf er den letzten Blick um sich. Dann – husch – sprang er zur Linken ab.
„Haltet auf!“ schrie sein Hintermann. Jetzt erst sah man den Fliehenden in weiten Sprüngen den Büschen entgegeneilen. Zehn, zwanzig Gewehre wurden erhoben. Die Schüsse krachten. Zu spät. Die Zweige hatten sich bereits hinter dem Flüchtling geschlossen.
Dieser drang in das Dickicht ein. Er hatte die Schüsse gehört. Er war von keiner Kugel getroffen worden. Die Freude seines Herzens war so groß, daß er einen lauten Jubelruf ausstieß.
Dieser Ruf war verfrüht. Ein einziger hatte, mehr aus Instinkt als aus Berechnung, ihn vorzugsweise im Auge behalten – Kurt Helmers. Er ritt seitwärts hinter ihm, und als das fragliche Terrain kam, drängte er sein Pferd noch näher, ohne daß der Pater es merkte.
Sobald nun der letztere mit möglichster Schnelligkeit in die Schlucht eindrang und die Deckung der Büsche zu erreichen suchte, riß Kurt sein Pferd nach links, gab ihm die Sporen und galoppierte eine Strecke oben am Rand der Schlucht dahin, bis er annehmen konnte, daß er den unten durch das Gesträuch sich drängenden Pater überholt habe.
Dort stieg er ab, band sein Pferd an und arbeitete sich durch die Büsche bis an den Rand der Schlucht, an welchem er vorsichtig hinabrutschte. Dort kauerte er sich nieder und lauschte.
Er brauchte nicht lange zu warten, so hörte er nahende Schritte, immer lauter werdendes Rascheln und ein tiefes, arbeitendes Atmen.
„Da kommt mein Mann“, flüsterte er. „Wie wird er gucken, wenn er mich bemerkt.“
Einige Sekunden später teilte sich das Buschwerk, und der Pater erschien, eiligst bemüht, weiterzukommen. Nur noch wenige Schritte war es bis zum Beginn des eigentlichen Waldes. Hätte er diesen erreicht, so wäre er geborgen gewesen. Kurt richtete sich gerade vor ihm auf.
„Guten Morgen, frommer Pater!“ grüßte er lachend. „Wohin so früh und so eilig?“
Der Pater blieb einen Augenblick wie starr und mit weit aufgerissenen Augen stehen. Den Leutnant hier vor sich, wo er alle hinter sich wähnte, das dünkte ihm, Zauberei zu sein.
„Verdammt!“
Diesen Ausruf stieß er endlich hervor, und zugleich schoß er seitwärts, um die Lehne der Schlucht emporzuklimmen.
„Halt!“ rief Kurt. „Stehe, oder ich schieße!“
Zugleich zog er den Revolver hervor.
„Schieß, du Hund!“ rief der Pater.
Zugleich keuchte er mit aller Anstrengung nach oben, in der Hoffnung, daß ihn die vielleicht unsichere Revolverkugel nicht treffen werde. In einer Minute mußte er den Rand erreichen.
Kurt besann sich anders. Vielleicht war es besser, diesen Menschen lebendig zu fangen.
„Schießen? Nein!“ antwortete er. „Aber mein wirst du doch!“
Im Nu hatte er den Lasso los; im Nu war derselbe in Schlingen gelegt. Er hob den Arm empor. Ein kurzes Drehen – ein pfeifendes Sausen, und die Schlinge zuckte nieder.
„Alle Teufel!“ rief der Pater.
Er hatte gerade in diesem Augenblick den Rand der Schlucht erreicht und sich als gerettet betrachtet. Da wurden ihm die Arme plötzlich mit aller Gewalt zusammengezogen, und ein kräftiger Ruck riß ihn kopfüber von oben in die Schlucht wieder hinab. Es war ihm zumute, als sei er vom Himmel in die Hölle hinabgestürzt. Er schloß die Augen.
Als er dieselben wieder öffnete, lag er oben neben Kurts Pferd, an Händen und Füßen gebunden. Das volle, von der Sonne gebräunte Gesicht des Leutnants lachte ihm entgegen.
„Nun, Pater Lorenzo, wie ist der Rutsch bekommen?“ fragte Helmers.
„Hole Sie der Teufel!“ lautete die grimmige Antwort.
„Ich denke, der hat mehr Neigung für Sie als für mich.“
„Warum lassen Sie mich nicht entkommen?“
„Weil ein Spion das nicht wert ist!“
„Und warum fesseln Sie mich?“
„Weil ein Spion das wert ist.“
„Wo sind die anderen?“
„Vorwärts. Man wollte Sie in Masse verfolgen, aber ich habe sie zurückgewiesen. Um einen Pater zu fangen, ist ein Mann mehr als genug.“
Der Pater drängte seinen Ärger zurück und sagte:
„Wenn man nicht wüßte, daß Sie mich wieder ergriffen haben, würde ich Ihnen einen sehr akzeptablen Vorschlag machen.“
„Kann ich denselben nicht unter den gegenwärtigen Verhältnissen hören?“
„Es würde nichts nützen.“
„Das weiß man nicht.“
„Gut! Sie sollen ihn hören. Aber machen Sie mir vorher erst die Fesseln weg!“
„Nein, Schatz! Sonst müßte ich Sie vielleicht wieder einfangen, und es ist mit einem Mal genug. Es geht dabei nicht sehr rücksichtsvoll zu, und es schmerzt mich, einen Angehörigen Ihres Standes unzart zu behandeln.“
„Sie spotten? Wenn Sie wüßten, was ich Ihnen sein könnte, würden Sie das nicht tun!“
„Nicht? Nun, was könnten Sie mir denn sein?“
„Ihr – Ihr Wohltäter.“
„Ah! Inwiefern denn?“
„Nicht wahr, Sie sind nicht reich?“
„Hm! Nicht sehr.“
„Sondern arm?“
„So ziemlich!“
„Nun, ich könnte Sie reich machen, nach Ihren Begriffen sehr reich.“
„So? Sind Ihnen denn meine Begriffe so sehr bekannt?“
„Ich denke es.“
„Nun, wodurch wollen Sie mich denn reich machen?“
„Indem ich Ihnen meine Freiheit bezahle.“
„Pah! Ihre Freiheit ist ganz und gar nichts wert. Ich gebe keinen Pfifferling dafür.“
„Aber ich.“
„Wirklich? Wie viel?“
„Ich biete Ihnen fünftausend Dollar.“
„Ah! Sie haben also Geld?“
„Ich bin reich.“
„So so. Dann können Sie auch noch mehr bezahlen.“
„Gut. Ich biete Ihnen zehntausend.“
„Alle Wetter! Sie müssen es sehr notwendig haben, wieder frei zu sein.“
„Das ist auch wirklich wahr. Ich habe nämlich einige schwere Patienten liegen, welche ohne mich sterben müssen.“
„Da tun mir die Patienten leid, der Arzt aber keineswegs. Ich denke, aus unserem Handel wird nichts werden. Kommen Sie!“
Er hob ihn empor, um ihn auf das Pferd zu nehmen.
„Fünfzehntausend!“ rief der Pater.
„Unsinn!“
„Ich gebe zwanzigtausend!“
„Schweigen Sie, ich brauche Ihr Geld nicht.“
Bei diesen Worten stieg Kurt auf und nahm den Pater zu sich empor.
„So haben Sie doch nur Erbarmen“, bat dieser in höchster Verzweiflung. „Ich biete Ihnen ja dreißigtausend Dollar!“
Kurt setzte sein Pferd in Bewegung und antwortete:
„Jetzt ersuche ich Sie, still zu sein, sonst stecke ich Ihnen einen Knebel in den Mund. Daß Sie für Ihre Freiheit so viel bieten, macht Sie mir im höchsten Grade verdächtig; ich werde mich informieren, welche Gründe es sind, welche Sie veranlassen, für Ihr Entkommen solche Opfer zu bieten. Ihr Gewissen scheint viel schlimmer bestellt zu sein, als ich bisher dachte.“
Er setzte sein Pferd in Galopp und flog den anderen nach, welche er kurz vor dem Lager erreichte.
Der Pater hatte den Mund nicht wieder geöffnet. Er schien sich einstweilen in sein Schicksal ergeben zu haben. Jetzt wurde er vom Pferd genommen, um seinen Einzug mit den anderen zu Fuß zu halten, wobei es ohne einige Püffe und Stöße nicht abging.
Er hatte mit seinem Fluchtversuch so viel erreicht, daß er in ein Gefängnis gesteckt wurde, während die anderen nach dem Gefangenendepot gebracht wurden, wo ihnen ihr Los möglichst wenig hart gemacht wurde.
General Hernano war sehr erfreut über den günstigen Erfolg der Expedition. Ganz entgegen der Art und Weise, wie er Kurt am Abend vorher empfangen hatte, spendete er demselben jetzt das höchste Lob und versprach, seiner gegen Juarez und den Obergeneral in bester Weise zu erwähnen.
Bei Erwähnung des Paters und dessen Flucht gab er den Entschluß kund, über die Person dieses Mannes die genaueste Erkundigung einzuziehen. Kurt wurde in größter Freundlichkeit entlassen.
Er stand eben im Begriff, sein Pferd zu besteigen, als ein Reiter in kurzem Galopp dahergeritten kam. Kurt erkannte ihn bereits von weitem, es war – Sternau.
„Ah, Herr Doktor, Sie hier?“ rief er ihm entgegen. „Das ist eine Überraschung!“
„Dich zu finden, für mich auch, mein Junge“, antwortete der Arzt. „Ich suchte dich.“
„Wo?“
„Bei dir. Es hat seit einiger Zeit keinen Kampf, kein Gefecht gegeben; so habe ich einige freie Zeit und beschloß gestern, dich zu besuchen.“
„Ich war leider nicht anwesend.“
„Allerdings. Ich erfuhr, daß du zu Eskobedo seist, aber am Abend zurückkehren werdest. Ich wartete den Abend, ich wartete die ganze Nacht – vergebens. Da brach ich auf. Um mir die Schanzarbeiten zu besehen, schlug ich die gegenwärtige Richtung ein und – treffe dich.“
„Was mir die größte Freude bereitet.“
„Mir ebenso. Aber sage, wo du gesteckt hast?“
„Ich hatte ein Abenteuer und zwar ein sehr glückliches. Lassen Sie uns absteigen und einige Augenblicke da eintreten. Es wird sich in Hernanos Hauptquartier schon ein Ort zum Plaudern finden und auch ein Tropfen, um das Plaudern zu erleichtern.“
„Wollen es versuchen.“
Sie fanden, was sie suchten, und als sie beisammensaßen, begann Kurt zu erzählen. Sternau hörte sehr aufmerksam zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Als Kurt geendet hatte, nickte er leise vor sich hin und sagte:
„Eigentümlich. Bist du über die gegenwärtigen Verhältnisse des Klosters de la Cruz in Querétaro unterrichtet?“
„Nein.“
„Nun, im Hauptquartier hat man sich besser orientiert. Die früheren Insassen haben das Kloster räumen müssen.“
„Das ist auffällig.“
„Auch hat es, so weit ich weiß, dort jetzt keinen Mönch gegeben, welcher ein solcher Arzt genannt werden könnte. Willst du mir diesen Pater nicht einmal beschreiben?“
„Gewiß.“
Er folgte der Aufforderung. Sternaus Gesicht nahm eine immer größere Spannung an, und als Kurt geendet hatte, sprang er sogar auf.
„Wie?“ fragte er. „Du hast diesen Pater gefangengenommen?“
„Ja.“
„Und er befindet sich hier im Gefängnis?“
„Natürlich“, antwortete Kurt, ganz befremdet von der Aufregung, welche sich Sternaus bemächtigt hatte.
„Hast du Zutritt zu ihm, ohne große Weitläufigkeiten bestehen zu müssen?“
„Ich kann zu ihm, so bald und so oft es mir beliebt.“
„Gehen wir zu ihm.“
„Sofort.“
„Aber ich trete zunächst nicht mit ein.“
„Warum?“
„Weil ich ihn überraschen möchte. Du sprichst zuerst allein mit ihm.“
„Gut. Brechen wir sofort auf. Wehe ihm, wenn er es ist! Ich eile sofort zum General, um ihm Mitteilung zu machen.“
Sie ließen den Wein auf dem Tisch und ihre Pferde vor dem Haus stehen und begaben sich nach dem Gefängnis.
Als solches diente das Erdgeschoß eines einzeln stehenden Hauses, welches aus früherer Zeit stammte und äußerst solid gebaut war. Die Mauern waren mehr als mannsdick, und alle Fenster zeigten ein Gitterwerk von Eisen. Hierher ließ Hernano alle bringen, welche eines größeren Deliktes schuldig waren, was ja im Krieg öfters als in Friedenszeiten vorkommt.
Der Soldat, welchem die Schlüssel anvertraut waren, erkannte Kurt sogleich wieder und öffnete ihm ohne Weigerung die Tür, hinter welcher der Pater steckte. Sie wurde nicht verschlossen und blieb angelehnt. Draußen aber stand Sternau, um dem innen geführten Gespräch zu lauschen.
Der Pater wunderte sich, als er den Leutnant eintreten sah.
„Sie wieder hier?“ fragte er.
Er war jetzt nicht gefesselt und saß auf der nackten Diele, von welcher er sich erhob.
„Wie Sie sehen“, antwortete Kurt.
Es war jetzt ein ganz anderer Blick als früher, welchen er auf den Gefangenen warf. Diesem fiel das auf.
„Was führt Sie her?“ fragte er.
„Eine Erkundigung. Ich habe Ihnen gesagt, daß der hohe Preis, welchen Sie mir für Ihre Befreiung boten, meinen Verdacht erregt habe, und daß ich Erkundigungen einziehen wolle. Wird es nun nicht besser sein, wenn Sie mich dieser Mühe entheben, indem Sie offen sind und mir sagen, was der Grund Ihrer Furcht sei, erkannt zu werden?“
„Erkannt werden? Von wem? Ich habe keine Begegnung zu befürchten. Wer den Pater Lorenzo erkennt, der kann und wird mir von Nutzen sein.“
„Und sodann verlangten Sie so sehnlich nach Ihrer Freiheit, nicht weil Kranke auf Sie warten, sondern weil Gefangene von Ihnen zu versorgen sind. So zunächst ein gewisser Gasparino Cortejo und ein anderer, welcher Henrico Landola heißt.“
Es war dem Pater, als ob er mit einer Keule auf den Kopf getroffen sei. Dennoch gelang es ihm, sich schnell zu fassen, denn die beiden Genannten waren doch nicht Freunde, sondern Feinde von Kurt Helmers.
„Ich kenne diese Namen nicht“, antwortete er mit gut gespieltem Gleichmut.
„Andere werden Sie besser kennen. Ich nenne da Pablo Cortejo und dessen Tochter Josefa.“
„Diese beiden sind mir allerdings bekannt, aber nur wie jedem anderen Mexikaner, welcher weis, welche jämmerliche öffentliche Rolle sie gespielt haben.“
„Hm. Jetzt spielen sie eine noch viel jämmerlichere Rolle – in dem unterirdischen Keller von della Barbara – angeschmiedet an den nackten vier Wänden.“
Kurt gab diese Tropfen langsam, einen nach dem anderen. Der Pater wurde kreideweiß im Gesicht. Seine Stimme zitterte merklich, als er fragte:
„Wie meinen Sie das? Ich verstehe Sie nicht. Ich weiß nicht, was Sie wollen.“
„Wirklich? Nun, so muß ich Ihnen noch einige andere Gefangene nennen, zum Beispiel den Grafen Ferdinande de Rodriganda. Kennen Sie den?“
Es war dem Pater, als ob er in die Erde versinken müsse. Seine Knie zitterten.
„Ich kenne ihn nicht.“
„Mariano, die Helmers, den ‚Kleinen André‘, ‚Büffelstirn‘ und ‚Bärenherz‘ auch nicht?“
„Nein. Sie sind mir völlig fremd und unbekannt.“
„Aber Sternau doch nicht?“
Jetzt lehnte sich der Pater in die Ecke. Er dachte, daß er sonst umfallen werde. Doch stammelte er:
„Ich habe diesen Namen – noch – nie gehört.“
„Alle diese Männer steckten angebunden in einem anderen Gewölbe, bewacht von Manfredo, Ihrem Neffen.“
Für einen anderen wäre das zuviel gewesen, aber gerade das Fürchterliche der Entdeckung, daß dies alles verraten sei, gab dem Pater seine Beherrschung zurück. Er richtete sich wieder empor und sagte:
„Was Sie da reden, scheint einem Märchen entnommen zu sein, oder aus einem alten Ritter- und Schauerroman zu stammen.“
„Ja, ein Schauerroman ist es, und der Ritter desselben sind Sie. Ich selbst bin es gewesen, der die Gefangenen befreit hat.“
„Wa – wa – waaas?!“ rief der Pater.
„Und dafür habe ich Ihren Neffen eingesperrt. Er wartet seiner Strafe entgegen, die Sie mit ihm teilen werden!“
Der Pater starrte ihn an, ohne zu antworten. Wann war das geschehen? Befanden sich nicht Soldaten jetzt im Kloster? Es sollte ihm sofort Auskunft werden, denn Kurt sagte:
„Auch Ihre anderen Machinationen liegen offenbar. Ihr Verbündeter, welcher Sie nach Querétaro schickte, ist von General Velez niedergesäbelt worden; Señorita Emilia wurde von mir und dem ‚Kleinen André‘ gerettet. Ich bin es gewesen, welcher die in das Kloster della Barbara eingedrungenen Kaiserlichen gefangennahm. Und die Hauptsache, der Massenmord, welchen Sie auf der Hacienda del Erina beabsichtigten, ist vereitelt worden. Kein Mensch hat von dem Saft des Todesblattes getrunken, den Sie in den Kessel schütteten.“
Das war mehr, als selbst der Pater auszuhalten vermochte. Seine Augen nahmen einen starren Ausdruck an. Er hörte Namen und vernahm Tatsachen, welche er im tiefsten Geheimnis gewähnt hatte, und nun war alles offenbar. Er fühlte sich verloren, versuchte aber doch mit fast überschnappender Stimme die Rechtfertigung:
„Ich verstehe – ich begreife nichts.“
„Wirklich nicht, Schurke?“ tönte es da vom Eingang her.
Die hohe, ernste Gestalt Sternaus erschien im Rahmen der Tür, welche er jetzt geöffnet hatte. Der Pater erblickte ihn. Seine Augen wurden gläsern, seine Lippen verfärbten sich. Er griff mit den Händen haltlos in die Luft. „Ster – Ster – Ster – er –“
Er wollte den Namen des Eintretenden ausrufen, er vermochte aber nicht einmal, die erste Silbe desselben zu wiederholen. Er stammelte die verschwindenden Laute, welche in ein unartikuliertes Gurgeln verliefen. Die Hände emporgehoben, taumelte er hin und her und stürzte dann wie ein Sack zu Boden, wo er bewegungslos liegenblieb, dicken Schaum vor dem Mund. Kurt wendete sich ab. Sternau aber kniete nieder, um ihn zu untersuchen. Als er damit zu Ende war und sich wieder erhob, erklärte er:
„Den richten wir nicht. Gott hat ihn gerichtet.“
„Ah! Ist er tot?“
„Nein. Noch schlimmer. Der Schlag hat ihn getroffen.“
„Ist er zu heilen?“
„Nein. Er wird noch tagelang leben und Todesqualen erdulden müssen, denn wie ich an seinem Blick sehe, ist der Geist nicht mit betroffen.“
„Fürchterlich!“
„Ich werde ihn überwachen, obgleich keine Hoffnung vorhanden ist, ihn noch zum Sprechen zu bringen.“
„Hört er, was wir reden?“
„Jedenfalls. Siehst du nicht seine Augen angstvoll auf uns gerichtet?“
„Ja. Gott straft gerecht. Aber wenn er stirbt, so geht manches Geheimnis mit ihm für uns verloren.“
„Das befürchte ich nicht.“
„Wenn er nicht wieder zum Sprechen kommt?“
„Er wird keinen verständigen Laut mehr zu stammeln vermögen; aber sein Neffe wird gezwungen sein, zu reden. Dieser Pater wird langsam zur Hölle fahren. Die Zunge wird wie Blei so schwer in seinem Mund liegen. Seine Eingeweide werden nach und nach den Dienst versagen, und er wird, zur Strafe für das, was wir bei ihm gelitten haben, seine letzten Atemzüge zählen können und seinen letzten Pulsschlag fühlen. Komm. Laß uns gehen!“
Sie verließen das Gefängnis und schlossen den Pater ein, über dessen einstweilige Behandlung Sternau dem Schließer Verhaltungsmaßregeln gab. Der Doktor begab sich sodann zu General Hernano, um diesem das Nötige mitzuteilen, während Kurt sich auf den Ritt machte, da er seit gestern nicht auf seinem Posten gewesen war, wo seine Gegenwart leicht notwendig sein konnte. Unterwegs sah er zu seiner Überraschung eine verschleierte Dame vor sich reiten. Sie saß auf einem Maultier, hatte einen Diener hinter sich und wurde von einer Kavalleriebedeckung geleitet. Da er schneller ritt als diese kleine Kavalkade, so kam er schnell an sie heran. Als höflicher Mann griff er im Vorüberreiten grüßend an den Hut und war nicht wenig überrascht, als er hinter dem Schleier hervor in deutscher Sprache die Worte hörte:
„Ist es möglich? Sehe ich recht? Sie hier, Herr Leutnant!“
Die Sprecherin hielt ihr Maultier an und er infolgedessen sein Pferd natürlich auch. Da er in deutscher Sprache angeredet worden war, so antwortete er in derselben auch:
„Höre ich recht? Eine deutsche Dame?“
„Ja. Sie sind der Leutnant Kurt Helmers?“
„Allerdings? Wie komme ich zu der Ehre, von Ihnen gekannt zu sein?“
„Wir sahen uns in Wien und auch in Darmstadt, am Hofe des Großherzogs. Ich denke, Sie werden mich noch kennen.“
Dabei schob sie den dichten Schleier zurück, und Kurt erblickte ein Gesicht, welches ihm allerdings sehr bekannt war.
„Wie, gnädige Frau, Sie hier? Sie wagen sich aus der Stadt heraus?“ rief er.
„Sie wußten, daß ich in Querétaro bin?“
„Ich wußte, daß Sie treu zu Ihrem Herrn Gemahl halten, wie dieser treu zu dem Kaiser hält. Ich habe Ihr Schicksal mit dem allerregsten Interesse verfolgt.“
„Ich danke Ihnen. Hier meine Hand zum Gruß, lieber Leutnant. Aber was tun Sie hier in Mexiko?“
Er nahm ihre Hand und drückte dieselbe an seine Lippen. Die Eskorte hatte sich ehrfurchtsvoll zurückgezogen, sodaß sie nicht verstanden werden konnten, selbst wenn sie sich der spanischen, anstatt der deutschen Sprache bedient hätten.
Diese Dame war die Prinzessin Salm, die Gemahlin jenes braven Prinzen Salm, welcher als treuer Adjutant des Kaisers die letzte, unglücklichste Phase des mexikanischen Kaiserreiches mit durchlebte und durchlitt. Beide, er und seine Frau, hingen mit größter Hingebung an Max, aber alle ihre Bemühungen, eine Änderung seines Schicksals herbeizuführen, erwiesen sich leider als vergeblich.
„Sprachen wir nicht in Darmstadt einmal von den eigentümlichen Verhältnissen der Familie Rodriganda, gnädige Frau?“ fragte Kurt.
„Gewiß. Ich entsinne mich dessen ganz genau.“
„Nun, das ist die Angelegenheit, welche mich über die See führte.“
„So wünsche ich Ihnen die besten Erfolge.“
„Ergebenen Dank. Die Erfolge haben auf sich warten lassen, stellen sich jedoch endlich ein.“
„Das freut mich. Aber was tun Sie hier im feindlichen Lager? Man scheint Sie zu kennen und zu respektieren.“
„Was ich tue?“ lächelte Kurt. „Nun, ich belagere Querétaro!“
„Sie auch?“ antwortete die Prinzessin in scherzendem Ton, da sie annahm, daß auch Kurt nur scherze.
„Ja, auch ich. Ich bin bei den Belagerungsarbeiten beschäftigt.“
„Im Ernst?“
„Im Ernst“, nickte Kurt.
Da nahm das Gesicht der Dame einen fast bestürzten Ausdruck an. Sie sagte:
„Das kann ich doch nicht für möglich halten!“
„Halten Sie es sogar für wirklich. Ich habe mich Juarez und Eskobedo zur Verfügung gestellt.“
„Sie als Deutscher? Abtrünniger! Verräter!“
Diese letzten Worte waren zwar nicht ganz schlimm gemeint, wurden aber doch in einem sehr ernsten Ton ausgesprochen.
„Ich bin überzeugt, daß Sie mich pardonieren werden, meine Gnädige“, meinte Kurt. „Darf ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen?“
„Ich werde es nicht verraten.“
„O, Sie dürfen und sollen es verraten, aber nur an zwei Personen, sonst an keinen Menschen.“
„Wer sind diese beiden Personen?“
„Der Kaiser und Ihr Herr Gemahl.“
„Und wie lautet Ihr Geheimnis?“
„Ich belagere den Kaiser nur aus dem Grund, um ihn zu retten.“
„Das klingt widersinnig.“
„Ist aber leicht verständlich und erklärlich. Leider aber sind meine bisherigen Bemühungen ohne Erfolg gewesen.“
„Wie leider auch die unsrigen. Raten Sie, von wem ich komme, lieber Helmers.“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Vom Präsidenten.“
„Von Juarez? Das ist mir im höchsten Grad interessant.“
„Ich wurde vorgelassen und habe mit ihm gesprochen.“
„Im Auftrag?“
Die Prinzessin sah sich vorsichtig um und antwortete:
„Eigentlich war es mein Herz, welches mich zu dem Zapoteken trieb, aber ich kenne Sie und kann Ihnen im Vertrauen mitteilen, daß mir auch von gewisser Seite, welche ich nur anzudeuten brauche, ein Auftrag wurde. Ich suchte bei Eskobedo um freies Geleit an und erhielt es.“
„Aber wohl vergeblich.“
„Leider. Ich kehre hoffnungslos zurück.“
Im Auge der Prinzessin standen Tränen. Kurt konnte seine Rührung über diese Treue kaum verbergen.
Die Dame fuhr fort: „O mein Gott, ist dieser Juarez hart und gefühllos!“
Kurt schüttelte den Kopf.
„Sie irren“, sagte er. „Ich kenne ihn. Äußerlich scheint er von Eisen zu sein, unnahbar, wie er auch unbestechlich ist. Aber sein Herz schlägt warm und fühlt mit anderen Menschen.“
„Das kann nicht sein, nein, das kann nicht sein! Er hat mich kalt und teilnahmslos angehört und dann fortgeschickt.“
„Kalt und teilnahmslos? Das hat nur so geschienen. Er ist ein Indianer und läßt als solcher seine Gefühle nur selten einem Manne, niemals aber einer Dame merken.“
„Wenn er wirklich fühlt, so mußte er mein Flehen erhören.“
„Um was baten Sie?“
„Um das Leben des Kaisers.“
„Und was antwortete er?“
„Seine Antwort war härter als hart, sie war unhöflich, ja, ungezogen.“
„Das sollte mich wundern.“
„Sie werden mir recht geben. Er sagte, der Kaiser habe bereits selbst über sein Leben verfügt, ihm, dem Präsidenten sei es also unmöglich, etwas zu tun; übrigens sei es eine Unvorsichtigkeit von mir, ihm eine solche Bitte vorzutragen, und er wünsche sehr, daß dies von keiner Seite mehr geschehe. Ist das nicht ungezogen und beleidigend sogar?“
„Ich finde das nicht.“
„Was? Wie? Haben auch Sie kein Herz, kein Gefühl?“
„Von mir ist jetzt nicht die Rede, sondern von dem Zapoteken, und ich finde, daß er nichts als die Wahrheit gesagt hat.“
„Dann ist es mir bei Gott unmöglich, den Kaiser zu begreifen!“
„Hören Sie. Juarez hat ganz recht, wenn er sagt, daß der Kaiser selbst endgültig über sein Leben entschieden habe. Juarez hat das Leben des Kaisers retten wollen, ja, er hat sogar Personen in die Nähe des Kaisers gebracht, welche den bestimmten Auftrag hatten, für das Leben Maximilians zu wirken, ich selbst war in dieser Angelegenheit beim Kaiser. Ja, der Präsident vertraute mir ein Passepartout durch alle Truppen und Stellungen an, welches auf den Vorzeiger und alle seine Begleiter lautete. Er bedrohte jeden, der diesen Paß nicht achte, sogar mit dem Tod.“
„Gott! Wenn Sie es nicht sagten, könnte ich es unmöglich glauben.“
„Ich gebe Ihnen, allerdings überflüssigerweise, mein Ehrenwort darauf.“
„Das ist nicht nötig, Leutnant. Sie sind mit diesem Passepartout beim Kaiser gewesen?“
„Ja, vor einigen Tagen, allein leider ohne Erfolg; der Kaiser las es durch, gab es mir zurück, und ich konnte wieder gehen.“
„Das ist mir abermals unbegreiflich.“
„Ich gestehe von mir das Gegenteil. Ich war sogar sehr froh, daß ich nicht als heimlich eingeschlichener Republikaner ergriffen und stranguliert oder erschossen wurde.“
„Ist das nicht etwas übertrieben?“
„Nein, gewiß nicht. Eine andere Person befand sich bereits längere Zeit in der Nähe des Kaisers, um auf Befehl des Präsidenten auf den Kaiser zur Rettung desselben einzuwirken –“
„Wer war diese Person?“
„Verzeihung, gnädige Frau. Ich bin nicht genau überzeugt, ob ich Namen nennen darf. Es gelang dieser Person, das Vertrauen des Generals Mejia zu erlangen –“
„Mejia ist treu und brav.“
„Beide gaben sich alle Mühe, den Wünschen des Präsidenten gerecht zu werden – vergeblich. Zuletzt erriet man von gewisser Seite den Zweck, welchen jene Person verfolgte. Raten Sie, was nun geschah. Man lockte sie auf die Straße, des Nachts, und nahm sie gefangen. Man entführte sie gefesselt nach Tula, wo sie hingerichtet werden sollte. Es war an dem Abend des Tages, an welchem ich bei dem Kaiser gewesen war. Ich überraschte zwar die Menschen, kam aber zu spät, um eingreifen zu können. Ich kehrte in meine Venta zurück, stieg auf das Pferd, gelangte glücklich aus der Stadt und verfolgte diese Kerls. Ich erreichte sie in einem Wirtshaus, und es gelang mir, die Person zu befreien.“
„Sie sehen mich erstaunt, ja vollständig bestürzt. Wer war der, welcher die betreffende Person gefangennahm und entführte?“
„Oberst Lopez.“
„Ah! Ahnen oder wissen Sie vielleicht, auf wessen Befehl derselbe handelte?“
„Das ist leicht zu erraten.“
„Meinen Sie etwa Miramon?“
„Ja.“
„Wie soll ich das glauben?“
„Miramon war es auch, welcher durch sein Einschreiten den Kaiser bestimmte, mich fortzuschicken.“
„Welchen Grund kann er haben?“
„Er hofft, durch den Tod des Kaisers sich selbst zu retten. Übrigens gibt es eine geheime Verschwörung, welche den Zweck hat, den Kaiser zu bestimmen, im Land auszuharren, bis keine Rettung mehr möglich ist. Sein Tod soll Juarez aufgeladen und dieser dadurch als Kaisermörder diskreditiert und gestürzt werden.“
„In welchen Abgrund blicke ich da! Sind Ihnen etwa Teilnehmer dieser Verschwörung bekannt?“
„Sie hüllen sich in Dunkel, doch vermute ich, daß Miramon das Haupt derselben sei. Einen anderen, den Sie aber nicht kennen, ergriff ich, und General Velez spaltete ihm den Kopf. Sie sehen, daß selbst republikanische Offiziere im Interesse des Kaisers handeln.“
„Ich werde denselben benachrichtigen und warnen.“
„Wenn Sie das tun, so erwähnen Sie dabei eine Person, welche er gesehen hat, als ich bei ihm war, und welche sicher zu den Verschwörern gehört. Es ist das ein gewisser Pater Hilario aus Santa Jaga.“
„Ah, ich glaube, diesen Namen vom Beichtvater gehört zu haben!“
„Warnen Sie den Kaiser auch vor dem letzteren, denn er war es, welcher jene Person, welche heimlich entführt wurde und in Tula den Tod finden sollte, hinterlistigerweise auf die Straße und in den Hinterhalt lockte.“
„Könnten Sie das beweisen?“
„Zur Genüge. Ich kam dazu, um das Vorhaben zu vereiteln, und ergriff den einen. Er entfloh und ließ seine Kutte in meinen Händen zurück. Es war diejenige des Beichtvaters.“
„Kutten sind einander ähnlich!“
„Der Beichtvater war soeben bei einer Familie gewesen, die er täglich besucht, und diese Leute erkannten die Kutte. Das ist genug, um jeden Zweifel zu beseitigen.“
„Himmel! Was soll man da denken. Untreue und Verrat auf allen Seiten! Aber jener Pater Hilario, was wollten Sie von ihm sagen?“
„Er war der Beauftragte, der Bote der geheimen Verbindung, und kam nach Querétaro, um dem Kaiser vorzulügen, daß hinter dem Rücken der Republikaner zahlreiche Demonstrationen zu seinen Gunsten stattgefunden hätten. Nur in Santa Jaga bestand eine Verbindung, welche allerdings eine Demonstration vorbereitete, um den Kaiser zu täuschen, aber die Republikaner vereitelten dieses Vorhaben und nahmen die Demonstranten gefangen. Diese letzteren sitzen noch heute im Kloster hinter Schloß und Riegel.“
„Darf ich das dem Kaiser erzählen?“
„Ich bitte Sie sogar darum.“
„Und Sie verbürgen diese Tatsache mit Ihrem Ehrenwort?“
„Ja. Ich war ja Zeuge des ganzen Vorganges. Sie kennen die Gräfin Rosa de Rodriganda, welche nun Frau Sternau ist?“
„Ja. Ich sah sie beim Großherzog und unterhielt mich gern mit ihr.“
„Nun, ihr Gemahl, Doktor Sternau, war auch Zeuge jener mißlungenen Demonstration in Santa Jaga. Und in vergangener Nacht hatte Miramon nicht weit von hier eine ebensolche angeordnet. Er sandte jenen Pater Hilario mit dem Befehl an einen Bandenführer, derselbe solle die Republikaner angreifen, sich aber zurückziehen. Auch dies mißlang. Wir haben sie ergriffen bis auf den letzten Mann. Sogar der Pater ist in meine Hand geraten. Wir hatten von früher her mit ihm abzurechnen, und als wir ihn als einen Verbrecher ersten Ranges entlarvten, wirkte die Fürchterlichkeit dieser Enthüllungen so auf ihn ein, daß er, vom Schlag getroffen, niederstürzte. Gott hat ihn gerichtet, obgleich der Kaiser ihm glaubte und vertraute.“
„Der Kaiser ist nicht allwissend. Wie wird mein Mann staunen, wenn er alles hören wird. Er muß sofort um Audienz nachsuchen.“
Kurt zuckte die Achsel.
„Ich zweifle am Erfolg!“ sagte er. „Sie sehen also ein, daß Juarez das Wohl des Kaisers gewollt hat. Indem der letztere das bekannte Dekret fertigte und unterzeichnete, hat er das jus talionis herausgefordert und über sein Leben verfügt. Indem er alle Bemühungen des Präsidenten zurückwies, hat er über sein Leben verfügt. Indem er die Bitte des französischen Marschalls, mit ihm Mexiko zu verlassen, das Gehör versagte, hat er über sein Leben verfügt. Hat Juarez nicht recht?“
„Was soll ich Ihnen antworten, lieber Leutnant. Ich möchte fast verzweifeln!“
„Juarez hat die rettende Hand wiederholt geboten, sie wurde zurückgewiesen. Juarez war nicht die Person, mit welcher man unterhandeln konnte, von der man sich retten lassen sollte. Verträgt es sich mit der Würde des Präsidenten, die Hand abermals zu bieten, wo übrigens an eine Rettung kaum noch gedacht werden kann?“
„Mit seiner Würde allerdings nicht. Aber als Mensch muß er vor dem Vergießen dieses Blutes zurückschrecken, und dennoch wies er mich ab.“
„Ah, da komme ich auf seine vermeintliche Unhöflichkeit.“
„Vermeintlich? Ich bin neugierig, wie es Ihnen gelingen soll, ihn zu entschuldigen.“
„Eine bloße Entschuldigung liegt nicht in meiner Absicht. Ich will ihn so verteidigen, daß Sie ihn freisprechen, ja, daß Sie sogar sein Verhalten gutheißen.“
„So versuchen Sie das Unmögliche!“
„Bitte sagen Sie mir, ob Juarez das, was er für den Kaiser tat, öffentlich tun durfte.“
„Keineswegs.“
„Warum nicht?“
„Er hätte sich bei seinen Anhängern unmöglich gemacht. Es wäre um sein Ansehen, um seine Präsidentschaft geschehen gewesen. Sie staunen, und dennoch ist es richtig. Ich versichere Ihnen, daß ich überzeugt bin, der Präsident sei auch nun noch nicht abgeneigt, dahin zu wirken, daß wenigstens das Leben des Kaisers nicht angegriffen werde –“
„Wirklich?“ unterbrach sie ihn.
„Ich wiederhole Ihnen, daß ich wirklich überzeugt bin.“
„Sie geben mir die bereits geschwundene Hoffnung zurück.“
„Mußte er vorher geheim handeln, so nun erst recht. Wo die Republikaner den Kaiser sicher zu haben glauben, werden sie ihn mit aller Gewalt festhalten. Er kann ihnen nur durch List entrissen werden.“
„Das sehe ich ein.“
„Die Schritte, die Juarez in dieser Richtung tut, müssen sehr geheim gehalten werden. Niemand darf ahnen, daß er sich auch nur mit der Spur eines Gedankens beschäftigen könne, welcher dem Kaiser günstig ist.“
„Ich gebe das zu. Aber was bezwecken Sie denn eigentlich mit dieser so eifrigen Auseinandersetzung?“
Kurt wehrte mit der Hand ab und fuhr, ohne ihr eine direkte Antwort zu geben, fort:
„Und nun gehen Sie öffentlich zu ihm, um ihn um das Leben des Kaisers zu bitten, offen und frei; vor den Augen und Ohren aller Welt, die nur sehen und hören und dann – beobachten und verurteilen will!“
„Gott, ich begreife, was Sie meinen.“
„Das wollte ich. Hat Juarez nicht das Recht, Sie unvorsichtig zu nennen?“
„O, mehr als das.“
„Und selbst, daß er Ihnen dies Wort gesagt hat, ist ein sehr großes Wagnis von ihm. Indem er von Unvorsichtigkeit spricht, gibt er indiskret zu, daß er Vorsicht wünsche, also, daß er sich mit dem Gedanken beschäftige, den Sie in ihm anregen wollen.“
„Leutnant“, meinte die Prinzessin, seine Hand ergreifend, „Sie stellen diese Angelegenheit in ein Licht, für welches ich Ihnen gar nicht genug dankbar sein kann!“
„Ich will Ihnen nur beweisen, daß Juarez nicht unhöflich, nicht ungezogen gegen Sie gewesen ist, sondern Ihnen auf eine, zwar indiskrete, doch korrekte und diplomatisch feine Weise die Versicherung gegeben hat, daß er tun werde, was in seinen Kräften steht, um Ihre Bitte zu erfüllen.“
Bei diesen Worten änderte sich die trübe Stimmung der Prinzessin plötzlich. Ihr Gesicht glänzte vor Freude, und in lebhaftem Ton sagte sie:
„Sie geben mir da eine Lektion, wie ich sie aus dem Mund eines jungen Leutnant nicht erwartet, ja geradezu für eine Unmöglichkeit gehalten hätte. Man hat recht, Sie als einen guten Offizier zu bezeichnen, und ich bin überzeugt, daß Sie so nebenbei auch noch das Zeug zu einem ganz leidlichen Diplomaten haben.“
„Zu viel auf einmal, meine Gnädigste“, lachte Kurt. „Aber bleiben wir beim Gegenstand unserer Unterhaltung. Ich kann Ihnen sogar den Beweis liefern, daß ich die Antwort, welche Sie von Juarez erhalten haben, richtig deute. Ich habe Ihnen doch vorhin gesagt, daß ich den Kaiser belagere, nur um ihn zu retten. Juarez weiß nun ganz genau, daß Mexiko mich nichts angeht, daß es mir sehr gleichgültig ist, ob dieses Land von einem Monarchen oder einem Präsidenten regiert wird. Er weiß genau, daß ich nicht aus Begeisterung für die Republik hier vor Querétaro liege und daran arbeite, eine Bresche in die Mauern zu legen.“
„Sie meinen also, er kenne Ihre Absicht?“
„Ja.“
„Und billige dieselbe?“
„Natürlich. Anderenfalls würde er mich nicht dulden, mir nicht sogar allen Vorschub leisten.“
„Das tut er?“
„Ja, ich kann es zu meiner Freude sagen.“
„Haben Sie sich vielleicht ihm gegenüber aussprechen können?“
„Was man aussprechen nennt, nein; aber es sind gewisse Worte und Winke gefallen, welche mir zur Richtschnur dienen.“
„Sie halten also den Kaiser nicht für rettungslos verloren?“
„Nein, obgleich seine Rettung schwierig ist.“
„Worin liegt denn eigentlich diese Schwierigkeit?“
„Darin, daß er nur dann zu retten ist, wenn er gerettet werden will. Bisher aber hat er es nicht gewollt.“
„Man muß ihn umzustimmen suchen.“
„Ja, aber man muß vor allen Dingen den Einfluß der Personen brechen, welche es nicht ehrlich mit ihm meinen, und dazu ist leider die Zeit fast zu kurz. Es kann dies nur mit Gewalt geschehen, und die Mittel dazu habe ich Ihnen heute ja hinreichend in die Hand gegeben.“
„Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür und werde Sorge tragen, sie sofort und mit Nachdruck in Anwendung zu bringen. Also ich darf Ihrer bei ihm erwähnen?“
„Ja. Versichern Sie ihn meiner Ergebenheit, und bitten Sie ihn inständigst, daß er auf mich hören möge, wenn er mich wiedersieht!“
„Sie werden ihn sehen?“
„Ich hoffe und wünsche es mit Sehnsucht.“
„Wann?“
„Bei – der Erstürmung von Querétaro.“
„Schrecklich! Wird die Stadt fallen?“
„In einigen Tagen. Begegne ich dem Kaiser, so würde ich glücklich sein, ihn in Zivilkleidung und waffenlos zu sehen. Folgt er dann genau dem Wink, welchen ich ihm gebe, so hoffe ich, daß er gerettet wird.“
„Diese Worte wiegen schwerer als Gold. Möge Gott Sie und Ihre Pläne segnen.“
„Das ist auch mein Gebet. Nun aber lassen Sie uns scheiden.“
„Belieben Sie nicht, mich zu begleiten?“
„Nein. Ich muß bitten, mich zu entschuldigen. Man weiß, welche Absicht Sie aus der Stadt geführt hat. Sieht man mich bei Ihnen, so könnte man mich mit dieser Absicht in Verbindung bringen, und das wünsche ich nicht. Hier war zufälligerweise ein einsamer Ort. Wir haben uns unterhalten, ohne von vielen beobachtet zu werden, was aber anders würde, wenn ich Sie begleiten wollte. Ich werde sogar einen kleinen Umweg einschlagen.“
Sie nahmen mit herzlichem Händedruck Abschied voneinander, und die Prinzessin nahm Hoffnungen mit in die Stadt, welche sie kurz vorher vollständig aufgegeben hatte.
Von da an vergingen einige Tage. Der Morgen des vierzehnten Mai brach an. Da wurde Kurt zu General Velez beordert, mit welchem er eine lange Unterredung hatte. Nach Beendigung derselben kehrte er mit einem ungewöhnlich ernsten Gesicht in sein Zelt zurück.
Der ‚Kleine André‘ war bei ihm. Dieser hielt sich vorzugsweise im Hauptquartier auf, weil er da Señorita Emilia treffen und sprechen konnte.
„Was ist das für ein Gesicht, was Sie da machen, Herr Leutnant?“ fragte er.
Kurt antwortete nicht, sondern schritt eine Weile grübelnd in dem engen Raum auf und ab. Dann blieb er vor dem Jäger stehen und fragte:
„Wo ist Sternau heute?“
„Im Lager Eskobedos.“
„Wissen Sie das genau?“
„Ja, sehr genau.“
„Satteln Sie! Wir müssen hin!“
„Warum?“
„Fragen Sie nicht.“
In der Zeit von zehn Minuten saßen sie auf und sprengten im Galopp dem Quartier des Obergenerals zu. André hatte die Wahrheit gesagt; Sternau ließ sich nicht nur im Lager überhaupt, sondern sogar in seiner Wohnung treffen. Er war einigermaßen erstaunt, als er die beiden ganz erhitzt von dem schnellen Ritt bei sich eintreten sah. Er begrüßte sie und fragte dann:
„So angegriffen? Es muß etwas nicht Unwichtiges sein, dem Ihr heute nachgeritten seid.“
„Allerdings“, antwortete Kurt. „Sind wir hier ungehört?“
„Vollständig. Warum diese Frage?“
„Weil ich Ihnen höchst wichtiges mitzuteilen habe.“
„Gut. Setzen wir uns.“
Er verriegelte die Tür, schob den beiden ein Kistchen Caballeros zu, steckte sich selbst eine an und erwartete dann in seiner ruhigen, überlegenen Weise den Beginn der wichtigen Mitteilung.
„Was ich zu sagen habe, bedarf der Verschwiegenheit“, bemerkte Kurt.
„Der unserigen bist du sicher“, meinte Sternau.
„Ich weiß es; darum will ich es Ihnen sagen, daß in nächster Nacht Querétaro in unsere Hände fallen wird.“
André sprang auf.
„Wirklich? Endlich! Ah, das freut mich!“ rief er.
Sternau aber fragte in seiner selbstbewußten Weise:
„Will man einen Hauptsturm unternehmen? Eskobedo hat mir ja nichts davon gesagt!“
„Es handelt sich nicht um einen Sturm“, antwortete Kurt. „Die Stadt wird durch Verrat fallen.“
„Durch Verrat? Wieso?“ fragte Sternau befremdet.
„Lopez wird dem General Velez die Ausfallpforte öffnen. Ich teile Ihnen das mit, weil ich Ihrer zur Ausführung eines schwierigen Vorhabens bedarf. Ich will den Kaiser retten.“
Sternau bewegte unter einem leisen Lächeln den Kopf langsam hin und her und antwortete:
„Du weißt doch, daß ich dich lieb habe. Darum kann mir nichts verborgen bleiben, obgleich du es mir zu verheimlichen strebst. Wie aber willst du in den Besitz des Kaisers kommen?“
„Unter Umständen sehr leicht. Von Mitternacht an steht die Pforte offen. Velez schleicht sich mit zweihundert Mann ein –“
„Ah!“ unterbrach ihn Sternau. „Der Schlaukopf. Er will sich erst überzeugen, ob man ihm nicht eine Falle legt.“
„So ist es. Er hat Zutrauen zu mir gefaßt und mir eine Abteilung dieser Zweihundert übergeben. Er wird zwar sofort den Kaiser aufsuchen, um ihn gefangenzunehmen; aber ich hoffe, ihm zuvorzukommen. Der Kaiser ist von mir bereits benachrichtigt, nur Zivil anzulegen –“
„Wohl durch die Prinzessin Salm?“
„Was wissen Sie von dieser?“
„Daß du mit ihr gesprochen hast, als sie von Juarez kam. Du siehst, daß ich mich mehr mit dir beschäftige, als du ahnst.“
„Sie haben das Richtige erraten. An der Pforte bleibt nur ein Posten zurück. Gelingt ein Überfall, so sendet Velez nach Verstärkung. Vom Augenblick an, in welchem wir in das Fort de la Cruz dringen, bis zur Ankunft der Verstärkung wird mir Zeit genug bleiben, den Kaiser unerkannt durch die Pforte in das Freie zu bringen.“
„Und der Posten?“
„Verursacht keine Schwierigkeiten.“
„Wenn man bemerkt, daß der Kaiser entkommen sei, und daß du mit einem zweiten die Pforte passiert hast, wird der Verdacht auf dich fallen.“
„Es gibt Vorwände genug, den Posten auf einige Augenblicke zu beschäftigen, sodaß er nichts bemerkt.“
„Gut also! Aber wohin mit dem Kaiser?“
„Zunächst in mein Zelt, wo André auf ihn wartet.“
„Ich?“ fragte der Kleine ganz begeistert. „Ich soll den Kaiser retten, den Señorita Emilia nicht zu retten vermochte?“
„Ja“, antwortete Kurt. „Ich muß natürlich in das Fort zurück, nachdem ich Ihnen den Kaiser gebracht habe. Dann aber bringen Sie ihn außerhalb des Lagers einstweilen in Sicherheit.“
„Wohin?“
„Hm! Der Ort ist noch nicht bestimmt. Es kam zu schnell über mich. Ich bin noch nicht ganz vorbereitet. Wir werden uns über den Ort besprechen müssen.“
„Er ist schon längst bestimmt“, lächelte Sternau.
„Bestimmt? Schon längst?“ fragte Kurt überrascht.
„Ja“, antwortete der Doktor. „Ich bin älter als du, und daher wirst du mir wohl erlauben, überlegt und umsichtig zu verfahren, nachdem ich einmal deine Absicht durchschaut hatte.“
„Sie beschämen mich!“ bekannte Kurt.
„Das ist nicht meine Absicht. Deine Verschwiegenheit war mir im Gegenteil ganz recht und willkommen.“
„Welchen Ort meinen Sie denn?“
„Diesen hier!“
„Ihre Wohnung?“
„Ja.“
„Das ist außerordentlich gefährlich. Ich soll den flüchtigen Kaiser nach dem Hauptquartier Eskobedos schicken?“
„Unter Umständen ist man in der Höhle des Löwen sicherer als anderswo. Du sorgst für eine Verkleidung und André bringt ihn zu Pferd zu mir.“
„Aber hier kann er doch unmöglich bleiben.“
„Allerdings nicht. Er wird nur fünf Minuten verweilen. Die Relais sind längst gelegt und harren nur der Benutzung.“
„Was! Sie haben Relais gelegt?“
„Ja, natürlich!“
„Wohin?“
„Kannst du das nicht erraten?“
„Wie wäre mir das möglich?“
„Es muß ein abgelegener Ort sein, wo niemand den Kaiser sucht, und wo er in Sicherheit und Verborgenheit leben kann, bis ihm der Weg nach der See geöffnet ist.“
„Wo liegt ein solcher Ort?“
„Ich werde dir es doch sagen müssen. Ich meine die Hacienda del Erina.“
Dieses Wort elektrisierte die beiden anderen.
„Ja, die Hacienda“, stimmte André bei.
„Ich war noch nicht dort“, meinte Kurt, „aber ich glaube, daß eine bessere Wahl nicht getroffen werden könnte. Wer aber bringt ihn hin?“
„Ich“, antwortete Sternau.
„Sie selbst? So müssen Sie Urlaub nehmen.“
„Dessen bedarf es nicht. Ich bin mein eigener Herr und kann kommen und gehen, wenn es mir beliebt.“
„Aber Juarez wird Sie vermissen.“
„Er wird kein Wort darüber verlieren und im stillen sich freuen, daß ich ihm nicht gesagt habe, wohin ich reise.“
„Wie? Sie meinen, daß er ahnen wird, daß –“
„Juarez ist doch noch klüger und menschlicher als du denkst.“
„Aber wenn nun die anderen, Velez, Eskobedo, etwas ahnen, oder gar eine Spur entdecken sollten?“
„So steht dem Kaiser die Höhle des Königsschatzes offen. Dort wird ihn niemand finden.“
„Dazu bedarf es der Genehmigung ‚Büffelstirns‘.“
„Die habe ich. Er und ‚Bärenherz‘ werden mich und den Kaiser begleiten.“
„Wie? Haben nicht beide gegen den Kaiser gekämpft?“
„So lange er Kaiser war. Sobald er Mensch und Hilfesuchender ist, gilt meine Empfehlung. Sie werden ihn mit ihrem Leben beschützen und verteidigen.“
„Welch eine Umsicht!“ staunte Kurt.
„Wenn du mein Alter erreicht hast, wirst du mich darin vielleicht noch übertreffen. Die Hauptsache ist, daß es dir gelingt, allen Verdacht von dir abzulenken.“
„Was aber geschieht, wenn Sie abreisen mit unseren Gefangenen in Santa Jaga?“
„Ich komme ja wieder, und übrigens kannst du dich in dieser Angelegenheit fest auf Juarez verlassen.“
Damit war der Plan entworfen. Es galt nun, die Details zu besprechen, womit man auch sehr bald zustande kam. Dann trennten sich Kurt und André von Sternau, um nach ihrem Lager zurückzukehren.
Der Abend dieses für Mexiko und auch andere Kreise so mächtigen Tages brach an. Er war mild, sodaß in Querétaro die Soldaten auf den Straßen kampierten. Die Gewehre standen in symmetrischen Pyramiden beisammen, rund um dieselben saßen die Krieger, miteinander flüsternd.
Der Kaiser hatte nämlich für die Zeit gegen Morgen einen allgemeinen Ausfall angeordnet, von welchem er sich vielleicht mehr Erfolg versprach als von den früheren, welche abgeschlagen worden waren.
Da galt es, angestrengt und tapfer zu kämpfen, so sank ein Kriegerhaupt nach dem anderen nieder, um die Ruhe zu suchen, bis der Befehl zum Aufbruch gegeben werde. Endlich schlief die ganze Stadt, und nur einzelne Posten wachten, müde, über die ihnen auferlegten Pflichten schimpfend.
Der Kaiser hatte in seinen Gemächern keine Ruhe gefunden; daher begab er sich mit dem Prinzen Salm, seinem Adjutanten, hinab in den Garten, ohne daß dies jemand bemerkt hätte. Er hoffte, dort besser schlafen zu können als in dem schwülen Klostergemach.
Es war Mitternacht. Da schlich eine Gestalt aus dem Kloster nach der Ausfallpforte. Ein Schlüssel knirschte leise, und die Pforte öffnete sich. Neben derselben lag ein wohlgefülltes Portefeuille, welches der Mann – es war Oberst Lopez – an sich nahm. Er trat in das Türgewölbe zurück, wo er sich sicher fühlen konnte, zog eine Laterne aus der Tasche, brannte das Licht derselben an und untersuchte den Inhalt der Brieftasche. Als er sie dann einsteckte, und das Licht wieder ausblies, murmelte er befriedigt:
„Alles richtig. Der General hat Wort gehalten, und so soll er auch mit mir zufrieden sein!“
Unterdessen war auch draußen bei den Belagerern alles still geworden. Niemand ahnte, was bevorstand. Rückwärts lag zwar ein Regiment in Waffen, aber das fiel nicht auf, da es täglich geschah, weil man stets auf einen etwaigen Ausfall vorbereitet sein mußte.
Aber seitwärts sammelte sich kurz vor Mitternacht eine Schar von zweihundert Männern, welche alle bis an die Zähne bewaffnet waren. Leise Schritte näherten sich dem Zelt Kurts; der Vorhang desselben wurde zur Seite geschoben, und eine gedämpfte Stimme fragte:
„Sind Sie bereit, Señor?“
„Ja, General.“
„So kommen Sie!“
Die beiden nahmen die Richtung auf die Zweihundert zu und stellten sich an die Spitze derselben. Der General gab leise seine Befehle, und dann setzte sich die Truppe langsam und vorsichtig in Bewegung.
Die Sterne leuchteten am Himmel. Sie hätten sich in Anbetracht dessen, was geschehen sollte, hinter dichte Wolken verhüllen mögen, um nicht zu sehen, daß Verrat und Untreue auf Erden oft den Sieg davonträgt über Treue und Zuverlässigkeit.
Als man die Pforte erreichte, war dieselbe nur angelehnt. Velez öffnete ein wenig und schob langsam und vorsichtig den Kopf in die Wölbung.
„Señor!“ rief er mit gedämpfter Stimme.
„General!“ antwortete es ebenso.
„Seid Ihr der Rechte?“
„Ja.“
„Wie steht es drin?“
„Gut. Es schläft alles, ohne zu ahnen, wie man erwachen werde.“
„Wo befindet sich der Kaiser?“
„Er liegt in seinem Schlafzimmer.“
„Wissen Sie das genau?“
„Ich habe Achtung gegeben. Übrigens ist es sehr gut, daß wir die gegenwärtige Zeit bestimmt haben. Kurz vor Anbruch des Tages sollte ein allgemeiner Ausfall stattfinden.“
„Das hätte uns höchst fatal werden können. Also Sie führen uns?“
„Ja.“
„Hundert Mann für das Innere des Klosters.“
„Wie die anderen?“
„Ich werde sie oben verteilen.“
„Dann vorwärts!“
Die Klingen wurden entblößt und die Pistolen in die linke Faust genommen; dann schlich sich die Schar, Lopez mit dem General voran, vorwärts.
Die Verteilung begann, und es glückte Kurt, an die Spitze derjenigen Schar zu kommen, welche den Garten zu besetzen hatte, während Lopez den General in das Innere führte. Andere Abteilungen erhielten wieder andere Bestimmungen.
Kurt hatte nur fünfzehn Mann bei sich. Dies war ihm außerordentlich lieb. Als er den Garten erreichte, teilte er sie und befahl ihnen, den Umfang desselben zu umschleichen, damit von keiner Seite ein Entrinnen möglich sei. Als sie dieser Weisung gefolgt waren, schritt er auf das Zelt zu, welches er im Sternenschimmer liegen sah.
Bereits erscholl lautes Waffengeklirr aus dem Innern des Klosters. Max wurde dadurch geweckt und trat aus dem Zelt. Er sah eine Gestalt, welche schnell auf ihn zukam.
„Was –“
„Pst! Um Gottes willen still!“ unterbrach ihn der Nahende. „Majestät?“
Er hatte mit gedämpfter Stimme gesprochen.
„Ja“, antwortete der Kaiser ebenso. „Was wollen Sie?“
„Sie retten. Folgen Sie mir!“
„Retten? Wer sind Sie? Was ist geschehen?“
„Ich bin Leutnant Helmers und –“
„Sie? Sie sind es? Wie kommen Sie in das Innere der Stadt?“
„Velez ist mit den Seinigen durch Verrat eingedrungen. Ich flehe Sie an, mir schleunigst zu folgen.“
„Mein Gott! Wohin?“
„Durch die Ausfallpforte ins Freie. Der Weg steht noch offen. In einer Minute kann das vorüber sein.“
„Und was dann da draußen?“
„Es sind Relais gelegt. Sobald Sie die Pforte hinter sich haben, sind Sie in Sicherheit.“
Max antwortete nicht. Das Gehörte schien ihn zu überwältigen. Da faßte Kurt ihn bei der Hand und bat dringend:
„Ich bitte Sie um des Himmels willen, keinen Augenblick zu verlieren, sonst ist es zu spät!“
Jetzt hatte der Kaiser sich gefaßt. Er antwortete:
„Ich danke Ihnen. Ist eine Rettung möglich, so will ich mich nicht sträuben, aber ich gehe nicht ohne diesen und den treuen Mejia.“
Dabei deutete er nach dem Zelt, aus welchem der Adjutant trat.
„Wer ist dieser?“ fragte Kurt, dessen Atem flog.
„Mein Adjutant Prinz Salm.“
„Nun wohlan! Und wo ist Mejia?“
„Auf dem Cerro de las Campanas.“
„So ist er nicht zu retten.“
„So bleibe auch ich.“
Das Waffengeklirr hatte überhand genommen. Kurt hörte wie einige Leute nach der Ausfallpforte eilten, um Verstärkung herbeizurufen.
„Um Gottes willen, kommen Sie ohne Verzug!“ drang Kurt in den Kaiser. „In wenigen Augenblicken ist man im Garten, und die Republikaner dringen in Masse in die Stadt.“
„Nicht ohne Mejia!“ lautete die unerschütterliche Antwort.
„Ich bitte Sie um Ihrer Anhänger, um alles, was Ihnen lieb ist, um des Vaterlandes, um Österreichs willen, mir zu folgen, Majestät! Ich werde – ah! Da haben wir es! Zu spät, zu spät! Kommen Sie, kommen Sie!“
Er faßte den Kaiser beim Arm und riß ihn mit sich fort in einen Laubengang hinein; der Adjutant folgte eilig. General Velez war mit einer Schar in den Garten gedrungen und rief wütend:
„Er ist nicht drin, er ist nicht im Kloster. Sucht hier, hier, hier!“
Zugleich hörte man draußen im Feld den Laufschritt heraneilender Militärmassen. Velez war in den Garten eingedrungen, der Eingang stand auf einige Augenblicke frei. Dahin riß jetzt Kurt den Kaiser.
„Gott, zur Flucht ist's nun zu spät!“ stöhnte er. „Schnell, schnell, hier hinaus und nach dem Cerro de las Campanas, Majestät!“
Er zog den nur halb willig folgenden Max, welcher von hinten von dem Adjutanten gedrängt wurde, aus dem Garten hinaus. Aber da kam ihnen eine neue Schar Republikaner entgegen.
„Halt! Wer ist das? Wohin?“ rief der Führer derselben, indem er den Fliehenden den Degen vorhielt.
„Was wollen Sie, Orbejo?“ antwortete Kurt. „Sehen Sie denn nicht, daß diese Señores friedliche Bürger sind?“
„Bürger? Der Teufel mag das glauben!“
„Ich kenne sie. Wollen Sie das etwa bezweifeln?“
„Ah, wer sind denn Sie selbst?“
Er trat nahe an Kurt heran, um ihm in das Gesicht zu blicken, und erkannte ihn.
„Sie sind es, Señor Helmers?“ sagte er. „Das ist etwas anderes. Aber was haben diese beiden Hidalgos denn hier zu suchen?“
„Sie sind vom Wein nach Hause gegangen und neugierig herbeigeeilt, als sie hier ein Geräusch vernahmen.“
„Das glaube ich, das richtige Geräusch. Aber sie mögen ein anderes Mal ihre Nase unter das Bett stecken und nicht in eine solche Art von Geräusch. Lassen wir sie laufen.“
Er entfernte sich nach dem Garten zu. Die Verstärkung war angekommen und drang in Masse vor.
„Fort, fort! Geschwind“, bat Kurt, indem er den Kaiser eine Strecke weiterzog.
Dort aber blieb Max stehen.
„Lassen Sie“, sagte er in wunderbarer Ruhe. „Ich sehe jetzt ein, daß ich Ihnen hätte Gehör schenken sollen. Prinzessin Salm hat mir von Ihnen erzählt und auch da hatte ich keinen Glauben. Sie wollten mich retten und vermochten es nicht, denn Sie waren nicht so stark, wie das Schicksal, dem ich zu gehorchen habe. Nehmen Sie den innigsten Dank und leben Sie wohl!“
Er drückte Kurt die Hand.
„Majestät, Gott schütze Sie besser, als ich es vermochte!“ schluchzte der junge Mann.
Die beiden anderen verschwanden im Dunkel der Nacht. Kurt aber stand da und lauschte auf ihre Schritte, die er längst nicht mehr hören konnte. Da schlug ihm jemand mit der Faust auf die Schulter.
„Heda, Faulenzer! Was stehst du da und träumst? Auf zum Sieg! Hurra, die Republik! Hurra, Juarez! Hurra, Eskobedo und hurra unser Velez!“
Da ergrimmte Kurt. Er hob den Arm und schmetterte den Mann nieder, als ob seine Faust ein Schmiedehammer sei.
„Da, Schreihals!“ knirschte er. „Ich wollte, ich hätte in dir die ganze Menschheit zu Boden geschlagen. Fort, fort! Hier habe ich nichts mehr zu tun. Hier ist meines Bleibens keinen Augenblick länger.“
Er wendete sich um und stürmte der Ausfallspforte zu. Er traf gerade einen Augenblick, in welchem niemand passierte, und gelangte in das Freie. Schweigend schritt er seinem Zelt zu. Dort trat ihm der ‚Kleine André‘ entgegen.
„Endlich“, sagte dieser. „Wo ist der Kaiser?“
„Da drin“, antwortete Kurt, nach der Stadt deutend.
„Ist's nicht gelungen?“
„Pah! Es wäre gelungen, aber er wollte nicht.“
„Er wollte nicht? Gott, welche Torheit! Was wird Señorita Emilia dazu sagen. Nun kann ich ihn nicht retten. Aber, Herr Oberleutnant, warum wollte er denn eigentlich nicht?“
„Lassen Sie mich in Ruhe, sonst schlage ich auch Sie nieder.“
Er warf sich, unbekümmert um das, was draußen vorging, auf sein Lager und vergrub das Gesicht tief in die Decke. So lag er noch, als der Morgen anbrach, und so lag er noch am Mittag, als Sternau eintrat, um sich nach dem Grund des Fehlschlages ihres Planes zu erkundigen. Auch er hatte vergebens gewartet und vergebens seine Relais gelegt.
Das Fort de la Cruz und die Stadt Querétaro befanden sich bereits beim Morgengrauen in Eskobedos Besitz, welcher überrascht herbeigeeilt war, als er hörte, daß die Seinigen ohne Schwertstreich eingedrungen seien.
Der von den Belagerern eng umschlossene und schon früher von ihnen fast zerstörte Cerro de las Campanas, welchen der Kaiser glücklich erreicht hatte, konnte sich nur wenige Stunden halten.
Um sieben Uhr sandte Max einen Parlamentär, um die Übergabe anzubieten, sie konnte nur auf Gnade oder Ungnade sein, und bereits um acht Uhr überlieferte er seinen Degen an den General Eskobedo.
So fiel Querétaro mit seiner ganzen Besatzung in die Hände der Sieger.
Kurz sei hier erwähnt, daß sich am neunzehnten Juni auch die Hauptstadt Mexiko an General Porfirio Diaz auf Gnade und Ungnade ergab, nachdem sich der schändliche Kommandant, General Marquez, heimlicherweise aus der Stadt geschlichen hatte. Und am siebenundzwanzigsten desselben Monats zogen die Scharen des Präsidenten siegreich auch in Vera Cruz ein.
So kam es, daß Juarez die von den Franzosen verhöhnte und besudelte Fahne Mexikos, welche er bis nach Paso del Norte, dem äußersten Punkt des Reiches, gerettet hatte, triumphierend wieder in das Hochtal von Anáhuac zurückbrachte und auf der Plaza mayor von neuem aufpflanzte.
Die Republik war im ganzen Bereich von Mexiko neu hergestellt und die Autorität des Präsidenten Juarez wurde wieder anerkannt. Der Kaisertraum war ausgeträumt und – der Kaiser selbst? Wir werden sehen.
Am fünfzehnten Mai berichtete General Eskobedo folgendes an den Kriegsminister des Präsidenten in San Luis Potosí:
„Lager vor Querétaro, am 15. Mai 1867. Heute morgen um drei Uhr haben die Truppen das Fort La Cruz genommen, indem sie den Feind an jenem Punkt überrumpelten. Kurz darauf wurde die Garnison des Platzes gefangengenommen und die Stadt durch unsere Truppen besetzt, während der Feind mit einem Teil der Seinigen sich auf den Cerro de las Campanas zurückzog, in großer Unordnung und von unserer Artillerie auf das Wirksamste beschossen. Schließlich, etwa um die achte Stunde, ergab sich mir Maximilian auf Diskretion, ebenfalls auf dem erwähnten Cerro. Haben Sie die Güte, dem Bürger Präsidenten meine Glückwünsche zu diesem großen Triumph der nationalen Sache darzubringen. General Eskobedo.“
In dieser Depesche ist allerdings der Verrat des Obersten Lopez nicht erwähnt, aber höhere republikanische Offiziere pflegten, wenn darauf die Rede kam, diese Angelegenheit mit der Bemerkung zu beseitigen: „Solche Leute benützt man und gibt ihnen dann einen Fußtritt.“
Kaum war die Kunde erschollen, daß der Kaiser gefangen sei, so vereinigten die Vertreter fast aller Mächte sich in der eifrigsten Anstrengung zur Rettung des Gefangenen. Allein der Zapoteke schien taub zu sein. Wie konnte er auf die Vorstellungen von Mächten hören, welche seine Erniedrigung geduldet und das Kaisertum anerkannt hatten!
Der österreichische Gesandte in Washington wendete sich an die Regierung der Union mit der Bitte, die Begnadigung des Kaisers nachzusuchen, und diese wurde auch wirklich erhört. Aber der Zapoteke antwortete kurz:
„Ich gebe allerdings zu, daß der Prinz die Schuld eines anderen büßt, welcher weit schuldiger ist als er selbst, aber seine Invasion war ein Attentat auf die Unabhängigkeit meines Volkes, und daher ist es unmöglich, ihn zu begnadigen. Sollen wir in ihm den Mittelpunkt aller feindseligen Machinationen bestehen lassen? Es mag der Republik zum Ruhme gereichen, des Gefangenen Leben zu schonen, aber mit dieser Ansicht ist gegen die Logik der Notwendigkeit nicht aufzukommen. Juarez.“
Am einundzwanzigsten Mai hatte der Kaiser eine Zusammenkunft mit Eskobedo. Er erbot sich abzudanken und verlangte dafür Leben und sicheres Geleit aus dem Land für sich, seine deutschen Offiziere und Soldaten und ebenso für Mejia und seinen mexikanischen Privatsekretär. Miramon wurde ausgelassen. Juarez verwarf alle diese Punkte. Er hatte die Ansicht, daß ein gefangener Kaiser ohne Land und Volk ganz überflüssig von Abdankung spreche.
Und doch tat er noch einen Schritt, um Max zu retten. Er entzog nämlich den gegen diesen gerichteten Prozeß der gewöhnlichen Standrechtsübung und brachte denselben vor ein eigens zu diesem Zweck bestelltes Kriegsgericht.
Er wollte dadurch Zeit gewinnen, damit die Leidenschaften sich indessen abkühlen sollten. Währenddessen konnte er seinen Einfluß aufbieten, sodaß von dem Kriegsgericht nicht auf Tod, sondern auf einfache Landesverweisung erkannt worden wäre. Diese Absicht wäre wohl erreicht worden, allein gerade derjenige, welchen er retten wollte, arbeitete ihm entgegen.
Max nämlich setzte ein Schriftstück auf, in welchem er zugunsten des alten, schwachen Iturbida entsagte und die Herren Larez, Lakunza und Marquez zu Mitgliedern der Zwischenregierung ernannte, lauter Feinde des Präsidenten.
Außerdem wurden von verschiedenen Seiten Versuche unternommen, Max zu befreien. Dadurch wurde die Aufregung der Republikaner hochgradig erhalten, und Juarez sah sich gezwungen, nun endlich auf alles zu verzichten, was er zugunsten des Gefangenen hätte unternehmen können.
Das aus sieben Mitgliedern bestehende Kriegsgericht begann am dreizehnten Juni seine Sitzungen. Die Anklage lautete auf Verschwörung, Usurpation und das an den rechtmäßigen Verteidigern begangene Verbrechen der Ächtung. Mit angeklagt waren Mejia und Miramon. Am vierzehnten Juni, nachts elf Uhr, wurde gegen alle drei der Todesspruch gefällt. Das Hauptquartier bestätigte dieses Urteil, welches am sechzehnten vollzogen werden sollte, doch wurde den Verurteilten noch eine weitere Frist von drei Tagen bewilligt, damit sie Zeit fänden, ihre Angelegenheiten zu ordnen.
Dieser Aufschub wurde von dem preußischen Geschäftsträger, Herrn von Magnus, schleunigst benutzt, um doch noch das Leben Maximilians zu retten. Er sandte folgenden Protest an die Regierung des Präsidenten Juarez:
„An Seine Exzellenz Señor Sebastian Lerdo de Tejada.
Heute in Querétaro angekommen, werde ich mir klar, daß die am vierzehnten dieses Monats verurteilten Gefangenen bereits am verflossenen Sonntag, dem sechzehnten, moralisch gestorben sind. So wird die ganze Welt es ansehen, denn da alle Vorbereitungen für jenen Tag getroffen waren, so warteten sie eine ganze Stunde darauf, zum Richtplatz geführt zu werden, ehe der die Urteilsvollstreckung aufschiebende Befehl ihnen angezeigt wurde. Der humane Geist unseres Zeitalters wird es nicht gestatten, daß sie, die einen so schrecklichen Todeskampf bereits bestanden haben, nun morgen zum zweiten Mal zum Tode geführt werden sollen. Im Namen der Humanität und der Ehre beschwöre ich Sie, anzuordnen, daß ihnen das Leben nicht genommen werde, und ich wiederhole Ihnen nochmals meine sichere Überzeugung, daß mein Herrscher, Seine Majestät der König von Preußen und alle gekrönten Häupter Europas bereitwilligst darauf eingehen werden, Eurer Exzellenz jede Bürgschaft zu stellen, daß keiner der Gefangenen jemals wieder den mexikanischen Boden betreten wird.“
Es war zu spät. Die Antwort des Ministers lautete:
„Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß, wie ich Ihnen schon vorgestern anzeigte, der Präsident der Republik nicht der Ansicht ist, daß es sich mit den großen Rücksichten auf die Gerechtigkeit und auf die Notwendigkeit der Sicherstellung des zukünftigen Friedens der Republik vereinigen lasse, Maximilian von Habsburg zu begnadigen.“
Max hatte sich Tinte und Feder bringen lassen und schrieb in der letzten Nacht einen Brief an seine Frau und einen an seine Mutter, die Erzherzogin Sophie. Der erstere lautete:
„Meine vielgeliebte Charlotta!
Wenn Gott es zuläßt, daß Du eines Tages genesest und diese Zeilen liest, so wirst Du die ganze Grausamkeit des Schicksals erkennen lernen, welches mich ununterbrochen schlägt seit Deiner Abreise nach Europa. Du hast mit Dir mein Glück und meine Seele fortgeführt. Warum habe ich deine Stimme nicht gehört! – So viele Ereignisse, ach, so viele plötzliche Schläge haben die Fülle meiner Hoffnungen zerstört, sodaß der Tod für mich eine glückliche Befreiung und keine Agonie ist. Ich werde glorreich fallen wie ein Soldat, wie ein besiegter König, nicht entehrt. Wenn meine Leiden zu heftig sind, wenn Gott mich bald mit Dir vereinigt, so werde ich seine göttliche Hand segnen, welche uns schwer getroffen hat. Adieu, adieu!
Dein armer Max.“
Diesem Brief legte er eine Haarlocke bei, welche ihm die Frau seines Kerkermeisters abgeschnitten hatte. Er küßte sie und steckte sie in das bereits geschlossene Kuvert.
Ganz verschieden nun war das Verhalten der beiden übrigen Gefangenen.
Der treue Mejia war in Beziehung auf sich ganz entzückt über das Todesurteil. Er war ein Indianer, welcher eine Klage über körperliches Leid und Wehe gar nicht kennt und für den es der größte Ruhm ist, für seinen Freund, den er liebt, zu sterben.
Anders bei Miramon. In jener Nacht des Überfalls war er erschrocken aufgewacht und hatte nach Oberst Lopez gesandt. Dieser war auch wirklich kurze Zeit darauf erschienen.
„Was geschieht? Welch ein Lärm ist das?“ hatte Miramon gefragt.
Lopez hatte kaltblütig die Achseln gezuckt und geantwortet:
„Die Republikaner sind in der Stadt.“
„Alle Teufel! Sind sie Sturm gelaufen?“
„Nein.“
„Wie sind sie denn hereingekommen?“
„Niemand weiß es.“
„Wer führt sie an?“
„Velez.“
„Ich denke, daß er erst in drei Tagen kommt!“
„Er hat Ihnen nicht Wort gehalten, wie es scheint.“
Der Ton, in welchem diese Antworten gegeben wurden, hatte den General frappiert. Er hatte geahnt, was vorgegangen sei.
„Aber Ihnen hat er desto mehr Wort gehalten?“
„Das müßte man untersuchen.“
„Verräter!“ hatte Miramon gezischt.
„Pah! Was sind denn Sie? Soll ich bekanntgeben, daß Sie mich beauftragten, mit dem General Velez zu verhandeln? Sie haben sich in Ihrer eigenen Schlinge gefangen und werden ganz dasselbe Schicksal erleiden, welches Sie dem Kaiser bereiten wollten.“
Damit war er davongegangen.
Miramon hatte sich bewaffnet, fand aber, daß aller Widerstand nutzlos sei. Er war, ebenso wie Mejia, mit dem Kaiser gefangengenommen worden.
Seit dieser Zeit saß er finster brütend in seinem Gefängnis.
Er war ein Feind von Juarez gewesen, hatte diesen stürzen wollen und doch gefühlt, daß er nicht die Kraft besitze, dies allein zu vollbringen. In Mexiko einen Verbündeten zu finden, war ihm unmöglich gewesen, und so war ihm der Gedanke gekommen, Juarez durch einen Fremden zu stürzen, dessen Herrschaft ja auch nur auf kurze Zeit berechnet sein könne – er hatte zu denjenigen gehört, welche die Kaiserkrone gemacht und dem Erzherzog von Österreich gebracht hatten. Dieses Prinzip war, wie das Werkzeug Napoleons, so auch das seinige gewesen.
Seit Maxens Einzug in Mexiko hatte Miramon für einen Anhänger desselben gegolten, war aber im stillen bemüht gewesen, nur für sein eigenes Interesse zu handeln. In der Überzeugung der jedenfalls nur kurzen Dauer des Kaiserreiches hatte er im Trüben gefischt; aber seine Rechnung war an der Zähigkeit und Ausdauer Juarez' gescheitert. Diesen zu stürzen hatte er alles aufgeboten, aber es war ihm nicht gelungen. Seine letzte Falle war der Verrat an dem Kaiser gewesen – er hatte sich selbst in derselben gefangen.
Jetzt nun sah er ein, daß alles verloren sei. Einen einzigen Hoffnungsstrahl hatte er zu sehen geglaubt: die Begnadigung des Kaisers. Wäre diese ausgesprochen worden, so hätte man auch die Generäle dessen, den man Usurpator nannte, nicht töten können. Es wäre nur eine Verbannung ausgesprochen worden, welche Miramon Gelegenheit gegeben hätte, seine feindselige Rolle von neuem aufzunehmen.
Dieses war es, was jedenfalls auch mit in Betracht gezogen wurde, als der Gedanke an die Begnadigung des Kaisers zur Sprache kam. Man hätte nicht nur in Max einen immerwährenden Präsidenten der mexikanischen Herrschaft gehabt, sondern es wären in Miramon und Konsorten Männer am Leben geblieben, welche als ewige Ruhestörer eine stete Aufmerksamkeit erregt und eine immerwährende Sorge bereitet hätten.
Auch dies müssen diejenigen bedenken, welche einen Schrei der Entrüstung ausstießen, als sie die Kunde von dem Tod des Kaisers vernahmen.
Also jetzt saß Miramon, aller, auch der letzten Hoffnung bar, im Gefängnis. Nicht Reue war es, welche über ihn kam, sondern ein Gefühl des Hasses, der Wut gegen Lopez, der ihn betrogen hatte. Und aus Rache gegen diesen Verräter ließ Miramon einen der Untersuchungsrichter kommen und vertraute ihm an, was Lopez getan hatte.
„Zu welchem Zweck sprechen Sie zu mir von dieser obskuren Angelegenheit?“ fragte der Richter.
„Ich hege die Hoffnung, daß Sie meine Mitteilung dem Kaiser vermitteln werden“, antwortete Miramon.
„Welchen Nutzen könnte er davon haben? Er hat nur noch wenige Stunden zu leben.“
„Den Nutzen, daß er wenigstens weiß, wem er sein gegenwärtiges Schicksal zu verdanken hat.“
„Er weiß dies bereits.“
„Ah, er hat von Lopez' Verrat gehört?“
Der Richter antwortete nicht gleich. Er hielt den strengen Blick auf Miramon gerichtet und antwortete dann:
„Er weiß allerdings, daß unsere Truppen nicht dadurch in die Stadt gekommen sind, daß sie das Fort de la Cruz erstürmt haben.“
„Sondern, daß sie von einem der Unsrigen verräterischerweise eingelassen worden sind?“
„Ja. Aber der Kaiser weiß auch, wie wir alle, daß Lopez eigentlich nur das Werkzeug eines kaiserlichen Generals war.“
Miramon gewann es über sich, eine gleichgültige Miene zu heucheln, und sprach:
„Das ist mir neu; das ist mir höchst unwahrscheinlich. Jedenfalls eine Erfindung des Lopez, um seine Tat zu beschönigen!“
„Sie irren! Es kann Lopez nicht einfallen, von dieser Tat zu sprechen, also hat er auch ganz und gar keine Gelegenheit, dieselbe zu beschönigen, wie Sie sich auszudrücken belieben.“
„Dennoch möchte ich den Namen dessen kennen, in dessen Auftrag er gehandelt haben soll.“
„Sie kennen diesen Namen besser als jeder andere.“
„Ich?“ fragte Miramon mit gut gespieltem Erstaunen.
„Ja, Sie, denn Sie sind es selbst.“
Da wollte Miramon zornig auffahren.
„Ich?“ rief er. „Was fällt Ihnen ein.“
Der Richter machte eine abwehrende, verächtliche Handbewegung und meinte:
„Schweigen wir darüber.“
„Nein, Señor, schweigen wir nicht darüber. Es kann nicht davon die Rede sein, daß ich einen so krassen, so entehrenden Vorwurf auf mir sitzen lasse.“
„Und dennoch wird er auf Ihnen sitzenbleiben. Wir kennen die Unterredung, welche Sie mit Lopez geführt haben, sehr genau.“
„Ich habe keine auf diesen Gegenstand bezügliche Unterredung mit ihm gehabt. Und selbst wenn eine solche stattgefunden hätte, wer könnte sie Ihnen verraten haben?“
„Der, welcher zugegen war.“
„Also Lopez selbst!“
„Nein. Dieser wird sich hüten, ein Wort darüber zu verlieren!“
„Wer aber sonst?“
„Ich will es Ihnen sagen, obgleich ich dies nicht notwendig habe. Der General, welcher mit Ihnen in eine heimliche Unterhaltung getreten war, ist als ein schlauer und vorsichtiger Mann bekannt –“
„Welchen General meinen Sie?“
„Namen sind nicht notwendig. Und überdies sind Sie ja wenigstens ebenso gut unterrichtet wie ich selbst. Dieser Offizier wußte ganz genau, welche Gefahren ein solches geheimes Verhältnis mit sich bringen kann. Er mußte sich überzeugen, ob Sie es ehrlich meinten, und es gelang ihm, einen Mann zu gewinnen, welcher sich in Ihrer unmittelbaren Nähe zu befinden pflegte.“
„Alle Teufel! Wer ist das?“ fragte Miramon zornig.
„Ich wiederhole, daß ich Namen nicht nenne.“
„So erkläre ich dieses ganze Gerücht für eine niederträchtige und armselige Lüge!“
„Diese Erklärung ist überflüssig. Der Betreffende hat Sie Tag und Nacht beobachtet und Wort für Wort jener Unterredung belauscht.“
„Und doch ist es eine Lüge!“
„Leugnen Sie nicht!“ meinte der Richter in strengem Ton.
„Señor!“ brauste Miramon auf.
„Pah!“ erklang es im Ton der Verachtung. „Ihr Zuruf kann nicht die mindeste Wirkung haben. Man weiß, was geschehen ist. Wenn man die drei Personen nach der Richtstätte führt, wird man Max bemitleiden, den treuen, braven Mejia bewundern und Sie ver – ah erlassen Sie mir, das Wort auszusprechen, welches Sie sich ja selbst sagen können.“
Dabei drehte sich der Richter um und verließ das Gefängnis.
Miramon blieb in einer fürchterlichen Stimmung zurück.
„Ver – verachten, Sie aber wird man verachten, hat dieser Mensch gemeint. Das bietet er mir! O, wäre ich frei! Ich wollte diesen Kreaturen des Zapoteken lehren, mich zu verachten!“
Er war unfähig, Reue zu fühlen, und auch der Zuspruch des Beichtvaters, welcher ihm gewährt worden war, brachte ihn nicht dazu.
Ein amerikanischer Bericht vom 30. Mai hatte gesagt:
„Morgen werden wahrscheinlich Maximilian und seine vornehmsten Generäle zum Tod durch Pulver und Blei verurteilt werden.“
Man sieht aus diesem und ähnlichen Berichten, daß man über das Schicksal der Gefangenen selbst im Ausland nicht im Zweifel war. Eine jede Regierung besitzt das Recht, denjenigen, welcher durch Gewalt oder List ihre Fundamente zu untergraben strebt, als Verräter und Empörer zu bezeichnen und zu bestrafen. Von diesem Standpunkt aus war das bereits allerwärts vorher geweissagte Todesurteil ausgesprochen worden, und heute, am 19. Juni, sollte dasselbe auf dem östlich vor der Stadt gelegenen Cerro de las Campanas vollzogen werden.
Max hatte die ihm von Kurt gebotene Rettung verschmäht; er war nach dem Cerro geflohen und hatte damit aus eigener Entschließung den ersten Schritt ins Grab getan.
Am Morgen des angegebenen Tages herrschte in Querétaro eine dumpfe Stille, obgleich kein Mensch schlief, sondern alle Welt wach und auf den Beinen war. Der Mexikaner pflegt sich überhaupt sehr früh vom Lager zu erheben, und so waren die Teile der Stadt, durch welche der Zug kommen mußte, bereits vor sechs mit Tausenden und Abertausenden bedeckt.
Bürger, Soldaten, Vaqueros zu Pferd und zu Fuß, Indianer und Weiße, Neger, Mestizen, Mulatten, Terzeronen, Quarteronen, Chinos, überhaupt Menschen in allen Farben und Trachten standen wartend auf den Plätzen oder schoben sich in dichter Menge schweigend durch die Straßen, um die Hinrichtung eines Kaisers zu sehen.
Es war nicht das Gefühl wilder Befriedigung, welches aus den Augen dieser meist doch nur halb zivilisierten Menschen leuchtete; nein, sondern in ihren ernsten Gesichtern sprach sich eine Teilnahme aus, welcher auch der Barbar dem Unglück nicht versagen sollte.
Man redete nicht laut. Wo man sich unterhielt, da geschah es im leisen Flüsterton. Es war, als ob man sich in der Kirche oder in einem Trauerhaus befinde.
Um sieben Uhr wurden die Gefangenen aus den Zellen ihrer verschiedenen Gefängnisse geholt.
Für einen jeden war ein von einer starken Eskorte umgebener Wagen bestimmt und ein starkes Holzkreuz, an welches gelehnt er die Kugeln empfangen sollte. Auf dem Hauptplatz trafen die drei Wagen zusammen und fuhren dann langsamen Schrittes und von einer ungeheuren Menschenmenge gefolgt, nach dem Richtplatz.
Der Zug wurde von einer Schwadron Lanciers eröffnet. Dann kam die Musik, welche einen Trauermarsch spielte. Das Spalier bildete ein Bataillon Infanterie, das Gewehr im Arm, in zwei Reihen, jede vier Mann hoch.
Als der Zug die hohe Spitalspforte erreichte, warf Mejia einen herausfordernden Blick auf die Menge und rief mit lauter Stimme dem Kaiser zu:
„Majestät, geben Sie uns zum letzten Mal ein Beispiel von Ihrem edlen Mut. Wir folgen Ihnen in Tod und Grab!“
Gerade in diesem Augenblick zogen die Franziskaner vorüber. Die beiden vordersten trugen das Kreuz und das geweihte Wasser, die anderen hielten Kerzen in den Händen.
Jeder der drei Särge, welche hinter den Verurteilten folgten, wurde von vier Indianern getragen. Dann folgten die drei Hinrichtungskreuze nebst den Bänken.
In den Augen Maximilians lag während des ganzen Weges ein Ausdruck, den niemand vergessen kann, der den verlassenen und verratenen Kaiser in seiner letzten Stunde geschaut hat.
Sobald sein Wagen den Hauptplatz verlassen hatte, wendete er das große Auge mit unverwandtem Blick nach Osten, wo die Heimat lag, und alles, alles, was er verlassen hatte, um einem Trugbild zu folgen, welches ihn in das nun offene Grab führen sollte. Dort drüben über der See lag auch Miramare, wo die Kaiserin gestörten Geistes durch die Gemächer und die Gärten irrte, nichts von all der Herrlichkeit bemerkend, durch welche sich dieser Edelsitz anderen auszeichnet.
Ein schmerzvolles Lächeln umspielte seine Lippen. Die eine blasse Hand lag ruhig auf dem Polster des Wagens, während die andere leise den schönen, langen Bart strich.
Als der Zug den Richtplatz erreichte, wurde die Menge zurückgehalten, und die Truppen bildeten ein Viereck, welches nach einer Seite zu offen blieb.
Eskobedo, welcher die Exekution selbst befehligte, näherte sich mit seinem Stab den drei Wagen und befahl den Gefangenen auszusteigen.
„Vamos nos à la libertad – sterben wir für die Freiheit!“ sagte Max mit einem Blick in die aufgehende Sonne, die ihm zum letzten Mal leuchten sollte. Dann zog er seine Uhr und ließ eine daran angebrachte Feder spielen. Es sprang ein Deckel auf, welcher das Miniaturporträt der Kaiserin Charlotte barg. Er küßte das Bild und reichte dann die Uhr dem Beichtvater mit der Bitte:
„Überbringen Sie dieses Andenken meiner geliebten Gattin in Europa. Sollte dieselbe Sie jemals verstehen können, so sagen Sie ihr, daß meine Augen sich schließen mit ihrem Bildnis, welches ich mit nach oben nehme!“
Die Sterbeglocken hallten dumpf zusammen. An der dicken, äußeren Kirchhofmauer hielten die Verurteilten, denen ihre Plätze angewiesen wurden. Maximilian schritt in fester, aufrechter Haltung nach dem Holzkreuz und der Bank, welche man für ihn neben dem geöffneten Grab aufgestellt hatte. Mejia tat desgleichen. Miramon aber wankte. Sein Auge irrte wie nach Hilfe suchend über die Höhe und in die Ebene hinaus.
Jetzt wurden das Todesurteil und die Gründe verlesen, und dann erteilte man den Gefangenen die Erlaubnis, noch einmal zu sprechen. Miramon stammelte einige Worte. Mejia machte eine stolze Handbewegung als Zeichen, daß er auf diese Gnade verzichte. Aber der Kaiser ergriff die Gelegenheit, zum letzten Mal auf Erden seine Stimme öffentlich hören zu lassen.
Man hat viel über seine letzten Worte gefabelt; man hat ihm Reden in den Mund gelegt, welche die Zeit einer ganzen Viertelstunde in Anspruch genommen hätte; sie sind erfunden. Nach authentischen Berichten trat er einen Schritt vor und sagte mit lauter, fester Stimme: „Ich sterbe für eine gerechte Sache, die der Freiheit und Unabhängigkeit Mexikos! Möge mein Blut das Unglück meines neuen Vaterlandes auf immer besiegen! Es lebe Mexiko!“
Diese Worte fanden keinen Widerspruch, aber auch nicht den leisesten Wiederhall.
Nun wurden drei Pelotons herauskommandiert, ein jedes aus fünf Mann und zwei Unteroffizieren bestehend. Sie näherten sich den Verurteilten bis auf drei Schritte.
Der Kaiser winkte dem Feldwebel, welcher die Pelotons befehligte, zu sich heran, zog eine Hand voll Goldstücke hervor und sagte:
„Verteilen Sie dies nach meinem Tod unter Ihre Leute und sagen Sie ihnen, daß sie nach meinem Herz zielen sollen. Auf die Brust! Zielt nach meinem Herz! Zielt gut!“
Der Feldwebel trat zurück und der Kaiser ebenso. Die geladenen Gewehre wurden erhoben. Miramon sank auf die Bank nieder, wo er zusammengesunken sitzenblieb. Die Franziskaner legten ihm die Arme kreuzweise übereinander. Der Kaiser umarmte Mejia. Dieser erwiderte die Umarmung schluchzend und mit einigen Worten, welche niemand verstehen konnte. Dann kreuzte der treue, tapfere General die Arme über der Brust, die Kugeln mutig erwartend. Der Bischof trat hierauf zu Maximilian heran und sagte:
„Majestät, geben Sie in meiner Person dem Land und Volk von Mexiko den Kuß der Versöhnung. Mögen Sie im letzten Augenblick allen und alles verzeihen!“
Max ließ sich umarmen und küssen. Er war tief erregt. Er wußte, was der Bischof meinte. Ein innerer Kampf folgte, dann aber sagte er laut:
„Sagen Sie Lopez, daß ich ihm seinen Verrat verzeihe!“
Viele von den Umstehenden weinten, und selbst diejenigen, welche keine Tränen hatten, waren sichtlich gerührt. Was Eskobedo fühlte, konnte kein Mensch erraten. Sein Gesicht war ernst und unbeweglich. An ihn wandte sich Max mit den Worten:
„A la disposición de usted – ich stelle mich zu Ihrer Verfügung!“
Bei diesen Worten lehnte er sich aufrecht an das Kreuz, welches für ihn bestimmt war. Der Feldwebel blickte auf Eskobedo. Dieser nickte mit dem Kopf und gebot: „Adelante – vorwärts!“
Die Schützen traten an. Ein entblößter Degen hob sich und die Gewehrläufe senkten sich, der Degen hob sich abermals, die Schüsse krachten, die Hörner gellten und die Trommeln wirbelten –
Der Kaiser fiel, durch das Herz getroffen, auf das Kreuz, an welches er sich gelehnt hatte. Man hob ihn auf und legte ihn sofort in den Sarg.
Miramon war schwerfällig in den Sand gerollt, aber tot. Mejia blieb stehen und fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Er war schlecht getroffen. Einer der Unteroffiziere trat zu ihm heran, hielt ihm die Mündung seines Gewehres hinters Ohr und drückte ab. Dieser Schuß aus nächster Nähe streckte den treuen Mann zu Boden.
„Libertad y independencia – Freiheit und Unabhängigkeit“, erscholl es rund über die drei Särge hinweg.
Dies war die Grabrede, welche die mexikanische Nation dem toten Kaiser und seinen vornehmsten Generälen hielt.
Am dreißigsten Juni erhielt der Kaiser von Österreich, der sich in München aufhielt, die Botschaft von der Hinrichtung Maximilians. Das Neue Wiener Fremdenblatt berichtete über den Tod des Erschossenen:
„Kaiser Maximilian von Mexiko ist tot. Aus dem kühnen Zug eines geistvollen Prinzen ist ein Trauerspiel geworden, so grandios, wie es noch in dem Sinn keines Dichters entstand. Der Kaiser, ausgezogen, um ein Werk der Zivilisation zu vollbringen, liegt nun, von seinen Feinden erschossen, auf den Feldern von Mexiko, und die Kaiserin sitzt wahnsinnig auf dem Schloß zu Miramare. Fürwahr, die Geschichte hat der kommenden Generation da eines ihrer geheimnisvollsten Rätsel aufgegeben!“
Wir aber sagen:
„So starb Maximilian von Österreich. Er war wert, für eine bessere Sache zu sterben; er hat dies durch sein Verhalten in den letzten Tagen seines Lebens bewiesen!“