Einleitung:
Der amerikanische Bürgerkrieg im internationalen Kontext
Am Ende stand die Frage nach dem Sinn, nach dem Warum des vieltausendfachen Leidens, des massenhaften Elends und Sterbens, das über weite Teile der Vereinigten Staaten gekommen war. Ganze Landstriche im oberen Süden, in Virginia, im Mississippital oder in Georgia, waren wüst und leer. Angesichts einer mangelhaften Statistik läßt sich bis zum heutigen Tage kaum genau angeben, wie viele Menschen dem vierjährigen Schlachten tatsächlich zum Opfer gefallen waren. Die Schätzungen schwanken zwischen 400.000 und 1,1 Millionen Toten – die Mehrheit der Forscher geht heute von ca. 640.000 Toten aus, manche halten 900.000 Tote für realistischer –, die Kriegskosten dürften sich auf 3,5 bis 8 Milliarden Dollar belaufen haben, zu denen noch 3 Milliarden Dollar an Veteranenpensionen hinzukamen. Damit zählte der amerikanische Bürgerkrieg der Jahre 1861 bis 1865 zu den blutigsten und teuersten militärischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts, neben dem Taiping-Aufstand in China, den Napoleonischen Kriegen in Europa und dem Chaco-Krieg in Lateinamerika. Mitunter wurde sogar die These aufgestellt, er habe bereits die systematische und totale technologische Kriegführung des Ersten Weltkriegs vorweggenommen. Obwohl diese These in jüngerer Zeit mehr und mehr relativiert werden mußte, bleibt doch die Erkenntnis, daß es sich um einen epochalen Krieg handelte, nicht allein für die amerikanische Geschichte. Der Bürgerkrieg stand typologisch an der Schnittstelle zwischen dem gehegten dynastischen Krieg des 18. Jahrhunderts, dem bürgerlichen National- und Volkskrieg des 19. Jahrhunderts und dem ideologisch-technologischen Massenkrieg des 20. Jahrhunderts. Seine Bedeutung wurde freilich in Europa bald von den ganz anders gearteten Erfahrungen der deutschen und italienischen Einigungskriege zwischen 1859 und 1871 überlagert, weswegen die Lehren aus dem amerikanischen Konflikt im Grunde erst 1914 zur Gänze gezogen werden konnten. Doch obwohl die europäischen Militärs und Zivilisten das Geschehen in den USA nicht richtig ernst nahmen, standen die Amerikaner vor den Trümmern ihres Staatswesens und waren dadurch regelrecht gezwungen, sich den drängenden Fragen nach den Ursachen und der Bedeutung dieses schmerzlichen und opferreichen Ringens zu stellen.
Die Diskussion der Ursachen und der Bewältigungsstrategien werden dementsprechend auch wesentliche Teile dieser knappen Untersuchung ausmachen. Gleichzeitig aber wird es darum gehen, die Kampfhandlungen im engeren Sinn sowie ihren kulturellen und technologischen Kontext zu verdeutlichen. Ein Krieg ist mehr als die Summe seiner Schlachten. Im Krieg kämpfen und leiden Menschen, manchmal langweilen sie sich auch einfach nur. Es werden Emotionen entfacht, um sie zu motivieren, Propaganda steht neben nicht selten banaler Lagerunterhaltung. Schließlich bedarf es im Krieg technischer Mittel, man benötigt Waffen, Munition, Nachschub, entsprechende Transportmittel und eine ausgefeilte Logistik. All dies wird im Folgenden in der gebotenen Kürze dargelegt werden.
Ein Punkt kann allerdings aufgrund der Konzentration auf die komplexe inneramerikanische Gemengelage nur angerissen werden, obwohl er seine eigene Bedeutung hat: die internationalen, ja globalen Zusammenhänge, in welche der amerikanische Bürgerkrieg eingebettet war. Bei dem blutigen Ringen ging es auf der politischen Ebene um die nationale Einheit und territoriale Integrität des Staatswesens, im sozioökonomischen Bereich um die Durchsetzung des kapitalistischen Marktparadigmas und auf der soziokulturellen Ebene um die Etablierung einer vorwiegend bürgerlichen Gesellschaft mitsamt den dazugehörigen Wertesystemen. Diese drei strukturellen Prozesse blieben nun indes zu keinem Zeitpunkt auf die USA beschränkt, obgleich sie im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts spezifisch amerikanische Züge annahmen. Sie waren ganz im Gegenteil Ausfluß eines anhaltenden historischen Trends, der die westeuropäischen und nordamerikanischen Gesellschaften, in Ansätzen aber auch Gesellschaften jenseits dieses nordatlantischen Kulturraums spätestens seit Beginn der Industriellen Revolution erfaßt hatte. Zudem waren die Ideen von der einen und unteilbaren, durch eine Verfassung konstituierten, marktwirtschaftlich organisierten, bürgerlich dominierten Nation allesamt Produkte einer in wachsendem Maße als fortschrittlich empfundenen liberal-aufgeklärten Weltanschauung, die eine aggressive Dynamik zu entfalten vermochte und gegenüber sämtlichen traditional legitimierten Partikularismen eine in hohem Maße militante Unduldsamkeit an den Tag legte. So ist es kein Zufall, daß der moderne, territorial vereinheitlichte Nationalstaat wesentlich als das Produkt von Kriegen und Bürgerkriegen angesehen wird, wie es neben dem amerikanischen Bürgerkrieg etwa der Schweizer Sonderbundskrieg, die deutschen und italienischen Einigungskriege sowie die bürgerlichen Revolutionen der Zeit nach 1789 nahelegen. Ähnliches gilt für die innenpolitischen und gesellschaftlichen Konflikte des 19. Jahrhunderts, die endlosen Streitigkeiten zwischen Liberalen und Konservativen, Katholiken, Sozialisten, Juden und Freimaurern, die alle eines gemeinsam hatten: Sie galten mit Blick auf den liberalen Einheitsstaat als unsichere Kantonisten, als Verfechter einer scheinbar obsolet gewordenen Partikularität. In den Vereinigten Staaten wurde die gerade im Hochimperialismus global feststellbare rabiate Aggressivität des liberalen Kapitalismus noch durch die früh einsetzende Fundamentalpolitisierung der gesamten Gesellschaft ab etwa den 1820er und 1830er Jahren, die Radikalität des evangelikal-apokalyptischen Enthusiasmus derselben Jahre und dem daraus resultierenden Moralismus der Diskussionen über die brennende Sklavenfrage inmitten einer durch industrielle Modernisierungsprozesse prekären gesamtgesellschaftlichen Situation erheblich angeheizt. Angesichts der damit verbundenen Unfähigkeit, Uneindeutigkeiten und gesellschaftliche Abweichungen zu ertragen, war das konservativ-revolutionäre Experiment der Freiheit und Gleichheit weißer Männer, als welches die junge Republik in Gestalt einer konföderativen Union begonnen hatte, bereits frühzeitig zum Scheitern verurteilt. Im Scheitern der Tradition aber zeigte sich dann die relative Funktionstüchtigkeit der bürgerlich-kapitalistischen Demokratie und des Nationalstaates, der nach dem Bürgerkrieg allmählich an die Stelle der republikanischen Union des späten 18. Jahrhunderts trat. Das bedeutete gleichwohl weder, daß der liberale Nationalstaat die einzige, noch daß er eine vollkommene Alternative zum überkommenen System gewesen wäre. Insbesondere konnte er gerade im Fall der USA nicht den hehren ethischen Ansprüchen gerecht werden, mit denen er angetreten war. Dies lag sowohl an gesellschaftlichen und konstitutionellen Widerständigkeiten, die einen vollständigen Übergang zum nationalen Einheitsstaat auf egalitärer Grundlage verhinderten, als auch an dem inhärenten Streben des liberalen Nationalismus nach Expansion und Marktkontrolle, das schließlich in den Ersten Weltkrieg mündete. Für die 1830er bis 1870er Jahre war dies indes noch nicht absehbar. Vielmehr drehte sich das Geschehen im Bewußtsein der Zeitgenossen um die Suche nach einer Form von staatlicher Organisation und sozioökonomischer Ordnung, die den Strukturbedingungen der Zeit mitsamt ihrem rapiden Wandel angemessen erschien. Ohne Konflikt aber war der Wandel angesichts harscher gesellschaftlicher Widersprüche und wirtschaftlich machtvoller Opposition offenbar nicht zu bewältigen. Diesem tragischen Transformationsprozeß, der gleichermaßen global wie national war, will der vorliegende Band nachspüren.