II. Die Frühphase des Bürgerkriegs
1. Kein perfektes Staatswesen:
Die Konföderierten Staaten von Amerika
Mit dem Austritt South Carolinas aus der amerikanischen Union am 20. Dezember 1860 war eine vollkommen neue politische Situation entstanden. Die anderen Südstaaten mußten sich entscheiden, ob sie dem vom traditionell radikalen South Carolina vorgezeichneten Weg folgen wollten oder ob sie es weiterhin mit der Union hielten. Insbesondere im oberen Süden fiel vielen die Entscheidung schwer, nicht nur aus ökonomischen Gründen oder weil man Angst hatte, nur zu bald zum Schlachtfeld zu werden. Virginia war immerhin über Jahrzehnte der wichtigste Staat der Union gewesen, die amerikanischen Präsidenten waren lange von dort gekommen. Man sprach gar von einer Virginia Dynasty der Präsidenten. Mindestens ebenso wichtig war ein ganz anderes Problem, das in der Forschung unter dem Stichwort des Southern Nationalism behandelt wird. Gab es überhaupt so etwas wie ein gemeinsüdstaatliches Zusammengehörigkeitsgefühl, das über die reine Verteidigung der Sklavenhalterinteressen hinausging? Diese Frage ist außerordentlich schwer zu beantworten. Sicher, im Verlauf der verschiedenen politischen Streitigkeiten der Antebellumära war eine Art politischer Handlungsgemeinschaft der sklavenhaltenden Südstaaten entstanden. Aber diese gründete gerade im Primat der einzelstaatlichen Interessen und dem Festhalten an einer überkommenen, engen und nicht nationalstaatlichen Interpretation der gegebenen Verfassungsordnung. Nationalismus im Sinne des 19. Jahrhunderts war das kaum.
Dennoch entwickelte sich im Laufe der 1850er Jahre im tiefen Süden ein vage definiertes südstaatliches Eigenbewußtsein. Interessanterweise waren oft Frauen die Träger dieser Haltung, vermutlich weil sie aufgrund der antischwarzen Propaganda die Emanzipation der Sklaven am meisten fürchteten. Dieses südstaatliche Eigenbewußtsein, das mit dem Begriff Nationalismus gewiß nicht richtig getroffen ist, bildete die weltanschauliche Grundlage für die Ereignisse nach dem Dezember 1860.
Jetzt war in der Tat die Stunde der Feuerfresser gekommen. Toombs, Yancey und die anderen Führer der Radikalen entwarfen absurde Schreckensszenarien und verkündeten, der Norden plane weitere Invasionen nach dem Vorbild von Harper’s Ferry, um die Sklaven zu befreien, gegen ihre ehemaligen Herrschaften aufzuhetzen, diese in einem Blutbad zu töten und anschließend eine Mischlingsrasse unter republikanischer Dominanz zu kreieren. Ein Klima der Angst und der Wut griff um sich. In weiteren Staaten wurden State Conventions einberufen und gewählt, wobei die Wahlen jedoch trotzdem noch kein schlüssiges Ergebnis zeitigten. Es wurde deutlich, daß die Wähler Breckinridges nicht automatisch auch Anhänger einer Sezession waren. Das Ergebnis mancher Bezirke war für die Feuerfresser alles andere als erfreulich. Eine Reihe von Politikern forderte, man müsse erst abwarten, was die neue Regierung überhaupt plane, ehe man das unkalkulierbare Risiko eines Krieges eingehe. Unter ihnen befand sich zu diesem Zeitpunkt noch Jefferson Davis, der wenige Monate später Präsident genau der Konföderation wurde, die er anfangs abgelehnt hatte. Überdies sperrten sich vereinzelt einflußreiche Amtsträger mit allen legalen Mitteln gegen eine Sezession. Allen voran bekämpfte der Gouverneur von Texas, Sam Houston, ein begeisterter Anhänger der Union, die neuerliche Unabhängigkeit seines Heimatstaates, der ja bereits von 1836 bis 1845 souverän gewesen war. Der alte Revolutionär machte sich in der Bevölkerung allerdings eher unbeliebt und wurde zum Amtsverzicht gezwungen, als er sich standhaft weigerte, auf die neue Republik seinen Amtseid zu leisten. Angesichts des unerwarteten Widerstands der Unionisten im Süden, zumeist frühere Whigs, oft auch Großgrundbesitzer, mußten die Feuerfresser ihre Zuflucht zu Wahlmanipulationen und Gewaltakten nehmen, um ihre Gegner daran zu hindern abzustimmen. Auf diese Weise gelang es ihnen, bis zum Februar 1861 Mississippi, Florida, Alabama, Georgia, Louisiana und Texas auf die Seite South Carolinas zu bringen. Der komplette tiefe Süden, mit Ausnahme von Arkansas, das aber nur bedingt zu dieser Staatengruppe zählte, war damit aus der Union ausgetreten. Die Unabhängigkeitserklärungen der neuen Staaten ließen in ihren Begründungen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Den Sezessionisten war es vorrangig um den Erhalt der Sklaverei und der Rassenordnung des Südens zu tun, die sie als maßgeblich für das Überleben ihres traditionalen Lebensstils einstuften. Dies belegt noch einmal, daß in den USA der weltweite Kampf um den modernen nationalen Einheitsstaat durch die Sklavenfrage vollständig überformt worden war.
Rasch wurde klar, daß es nicht darum gehen konnte, die sieben Staaten des tiefen Südens einfach unabhängig voneinander existieren zu lassen. Am 4. Februar 1861 trafen sich daher ihre Delegierten in Montgomery, Alabama, um dort am 8. desselben Monats eine Konföderation zu bilden, deren provisorischer Präsident am 9. Februar ausgerechnet der zögerliche Jefferson Davis wurde. Als sein Vizepräsident fungierte Alexander H. Stephens, der ironischerweise seinen Namen von Alexander Hamilton, dem frühen Nationalisten, herleitete. Weder Davis noch Stephens waren im Vergleich zu Toombs oder Yancey Radikale, aber ihre Wahl geschah wohl trotz der aufgeheizten Atmosphäre aus einem gewissen Kalkül heraus, um die noch bei der Union verbliebenen Staaten des oberen Südens zu gewinnen. Zugleich konnte man es als Signal einer indes bestenfalls bedingten Kompromißbereitschaft an die Unionsregierung in Washington deuten. Schließlich waren beide erfahrene Unionspolitiker.
In einem ersten Schritt gab sich die Konföderation eine Verfassung, der man freilich anmerkte, daß sie mit heißer Nadel gestrickt war. In wesentlichen Teilen hatte man einfach die alte Unionsverfassung, auf deren Prinzipien man sich bei der Sezession ja berief, abgeschrieben, wenngleich mit ein paar bemerkenswerten Ausnahmen. In der Präambel zum Beispiel wurde die Passage «We, the People of the United States of America» in konsequenter Anwendung der Ideologie der Einzelstaatenrechte durch eine Aufzählung der Mitgliedsstaaten der Konföderation ersetzt. Die Staatsgewalt ging nun auch formal nicht mehr vom gesamtstaatlichen Volk aus, sondern von den Einzelstaaten. Gleichzeitig wurde die Sklaverei ausdrücklich in der Verfassung abgesichert. Beides waren Resultate der weltanschaulichen Vorgaben der Sezessionisten gewesen. Allerdings ging man noch einige Schritte weiter. Insbesondere verbot die neue Verfassung explizit so ziemlich alles, was sich seit der Zeit Alexander Hamiltons an nationalisierenden Praktiken in der Verfassungswirklichkeit der Union ergeben hatte. Weder waren internal improvements, also Investitionen im Sinne einer Industrialisierung der Konföderation zulässig, noch wurde der Konföderationsregierung das Recht einer eigenen Fiskalpolitik gewährt, da Steuern und Zölle im Wirkungsbereich der Einzelstaaten verblieben. Dafür hob man die strikte Trennung zwischen Amt und Mandat auf. Amtsträger der Konföderation waren Mitglieder auch der Legislative, was ihnen theoretisch mehr Mitsprachemöglichkeiten in der politischen Arena eröffnete. Wieder entsprach die Theorie nicht der politischen Praxis. Die Administration von Davis und Stephens hatte es zeit ihrer vierjährigen Existenz allen Anstrengungen des konföderierten Präsidenten zum Trotz mit einer derartigen Fülle kleinlich-egoistischer Interessenpolitik der Einzelstaaten und rivalisierender Politiker zu tun, daß das konföderierte Staatswesen immer ein Torso blieb. Dazu trug das Fehlen eines stabilen Parteiensystems erheblich bei. Die Strukturen der Whigs und Demokraten waren faktisch zusammengebrochen und existierten bestenfalls noch in Gestalt trauriger Trümmer vormaliger Größe. In einzelnen Staaten gab es de facto kein Zweiparteiensystem mehr, in manchen hatte es nie ein Parteiensystem gegeben. Vielfach waren die Parteien durch personale Beziehungsgeflechte ersetzt worden, was der Politik der Südstaaten strukturell ein gerüttelt Maß an Instabilität und Klüngel einbrachte. Das Vorbild lieferte South Carolina, das weder die allgemeine Fundamentalpolitisierung der USA noch die Tendenz zur Massenpartizipation mitgemacht hatte. Seit dem internen Kompromiß von 1808 zwischen den Großgrundbesitzern der Küstenregion und des Piedmont hatte man dort Politik als Geschäft unter aristokratischen Gentlemen und nicht als Parteipolitik gepflegt. Dessen ungeachtet sollte man die demokratischen Aspekte in der südstaatlichen Politik nicht außer Acht lassen. Seit dem 18. Jahrhundert hatten dort erst eine Mehrheit und dann alle weißen Männer die Chance politischer Machtteilhabe. Vor diesem Hintergrund diente das strikte Rassensystem mitsamt der Sklaverei gerade dazu, die sozialen Ungleichheiten innerhalb einer auf egalitäre Partizipation angelegten Verfassungsstruktur zu überdecken. Amerikanische Forscher sprechen in diesem Zusammenhang gerne von herrenvolk democracy. Die Rassenlinie suggerierte eine Gleichheit aller Weißen, von der jeder wußte, daß sie faktisch eine Chimäre war. Dennoch war die egalitäre Semantik kulturell äußerst wirkmächtig. Nur vor diesem Hintergrund ist erklärbar, warum so viele weiße Kleinbauern, die gar keine Sklaven hatten, derart lange und hartnäckig für die Rechte einer Minderheit reicher Plantagenbesitzer kämpften, ja warum überhaupt die Sezession unter diesen Kleinbauern häufig eine stärkere Anhängerschaft hatte als in Kreisen grundbesitzender Whigs. Das politische System des Südens basierte nicht nur auf sozialen Strukturen, sondern auch auf kulturellen Aushandlungsprozessen, in deren Mittelpunkt ein Paradox, ein demokratisch-egalitärer Rassismus mit feudalen Komponenten stand.
Vergleicht man die Verfassungen der Union und der Konföderation, so fällt unmittelbar auf, daß der Anspruch des Südens, auf der formalen Ebene auf die Intentionen der Gründerväter zurückgegriffen zu haben, etwas für sich hatte. Tatsächlich stimmte die Verfassungswirklichkeit der Union schon seit längerer Zeit nicht mehr mit dem original intent überein. Dem waren Parteien und Fraktionen zuwider gewesen, ebenso die Parteilichkeit der Ämtervergabe, das allgemeine Wahlrecht, der Primat des fraktionellen Willens über die meritokratische Vernunft oder die Idee einer starken Bundesregierung, die im Interesse der Industrialisierung und Urbanisierung um eine kohärente Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik bemüht war und damit die Freiheit der Individuen wie die der Einzelstaaten einschränkte. All diese Aspekte waren im Laufe der vergangenen Jahrzehnte allmählich, teils aus Notwendigkeit, teils als Produkt simpler Interessenpolitik, der Verfassungspraxis hinzugefügt worden und hatten eine lebendige Tradition erzeugt, anhand derer die Verfassung nun ausgelegt wurde. Dies war nicht notwendig problematisch, denn nur Doktrinäre glauben, das Wesen einer Sache liege in der Schrift allein. Die Sezessionisten konnten den Wandel gleichwohl aus Eigeninteresse heraus instrumentalisieren. Genau darin aber lag die tiefere Problematik ihres Verfassungsprojekts. Mochte es dem Wortlaut und der Intention nach auch an die Vorgaben der Gründerväter anschließen, so gebrach es ihm an gestaltgebendem Geist. Die Konföderation brachte es während ihrer gesamten Existenz, anders als der Norden, nicht zu vernünftigen gesamtstaatlichen Wahlen. Politik blieb auf die Einzelstaaten und das personale Geflecht in der Hauptstadt Richmond beschränkt. Es fehlte weithin eine freie Presse, eine strukturierte politische Diskussion, es fehlte jene Luft der freien Meinungsäußerung, die für die Gründerperiode der 1780er Jahre kennzeichnend gewesen war, seitdem im Süden praktisch die Zensur abolitionistischer Blätter eingeführt worden war. Die Verfassung konnte darüber hinaus keine Vision für die Zukunft entwickeln, nicht einmal eine konservative. Sie beschränkte sich darauf, das Bestehende starr und unbeweglich, ohne Rücksicht auf laufende historische Prozesse, gewissermaßen für die Ewigkeit festzuschreiben, eine Ewigkeit, die dann nur vier Jahre dauerte. Die Gründe für dieses Defizit lagen klar auf der Hand. Sie ergaben sich aus der Fundamentalaporie eines Staatswesens, dessen Einheit einzig im Streben nach Partikularität begründet lag und dem es über den Erhalt der Sklaverei und der einzelstaatlichen Souveränität hinaus an jedem tragenden Prinzip mangelte. Eigentlich müßte man eine Geschichte der Konföderation nicht von den schwachen und störanfälligen Institutionen in Richmond her schreiben, sondern von den komplexen Interessenkonstellationen in den Einzelstaaten. Selbst die Armeen der Konföderation, die doch organisierte Träger eines gesamtstaatlichen Überlebenswillens hätten sein können, ja müssen, waren kaum etwas anderes als Spiegelbild der Konfusion und Richtungslosigkeit einer in sich widersprüchlichen Staatlichkeit. Immerhin verfügten die konföderierten Streitkräfte über fähige militärische Führer und eine recht simple strategische Grundausrichtung, die sich darauf beschränken konnte, Zeit zu gewinnen, um den Norden zu zermürben. Diesen Vorteil der inneren Linie hatte die politische Führung unter Davis nicht. Er blieb allen seinen Anstrengungen zum Trotz ein Getriebener, ein Spielball lokalistischer Fraktionierungen. Es war demnach nicht die mangelnde Handlichkeit einer übertrieben schwerfälligen Verfassung, die den Süden vor unüberwindbare Probleme stellte, sondern die Abwesenheit jeglicher ordnenden Idee. Die Konföderation war, als im April 1861 bei Fort Sumter die ersten Schüsse des War between the States abgegeben wurden, ein Torso – organisatorisch, politisch-ideell und territorial. Sie sollte stets ein Torso bleiben.
2. Kein Gleichgewicht der Kräfte:
Ökonomisches Potential und Ressourcenmobilisierung
Der amerikanische Bürgerkrieg war nicht allein ein politisches Ereignis. Er war ein umfassender, moderner Nationsbildungskrieg mit allen wirtschaftlichen, technologischen und kulturellen Aspekten, welche diesen kennzeichnen. Gelegentlich wurde sogar die These aufgestellt, beim Bürgerkrieg habe es sich um den ersten totalen Krieg gehandelt. Dies erscheint bei genauerer Betrachtung unhaltbar. Definiert man den totalen Krieg über die Totalität der Mobilisierung von Ressourcen und Bevölkerung sowie der Kriegsziele und der Kriegshandlungen, muß man mit der Begrifflichkeit bezogen auf den Bürgerkrieg vorsichtig umgehen. Für den Norden etwa war der Krieg zu keinem Zeitpunkt ein totaler. Es gab weite Bereiche der Union, die Neuenglandstaaten zum Beispiel, in denen man als Mittelklassebürger das Kriegsgeschehen kaum spürte. Und selbst im Süden existierte lange ein Hinterland, das von den Folgen des Konflikts bis etwa 1863 wenn nicht unberührt, so doch relativ unbelastet blieb. Schließlich fehlte für einen totalen Krieg auf beiden Seiten eine umfassende Form der Staatlichkeit, der bürokratischen Kontrolle und der vereinheitlichenden Propaganda, die eine derart rigorose Kriegsanstrengung überhaupt erst möglich gemacht hätte. Weder die Union noch die Konföderation waren 1861 durchorganisierte Nationalstaaten. Die Union konnte, die Konföderation wollte es nicht sein. Dennoch ist die Rede vom totalen Krieg nicht vollkommen irreführend. Der amerikanische Bürgerkrieg war, darin dem Krimkrieg in Europa vergleichbar, ein Konflikt, der durch Produktionskräfte, Waffentechnologie und technische Logistik entschieden wurde. In dieser Hinsicht aber war der Norden in jeder Hinsicht überlegen.
Allein die Einwohnerzahl der beiden Kriegsparteien sprach Bände: In der Union lebten rund 23 Millionen Menschen, davon nur ein winziger Bruchteil Sklaven, die sich auf Missouri, Maryland, Kentucky und eine unbedeutende Population in Delaware konzentrierten. Demgegenüber brachte es die Konföderation mit ihren elf Mitgliedsstaaten gerade einmal auf neun Millionen Einwohner, davon allein 3,5 Millionen potentiell unruhiger und unzuverlässiger Sklaven. In einzelnen Staaten, Louisiana, Georgia, Florida und Alabama, belief sich der Anteil von Sklaven auf rund 45 Prozent, in South Carolina und Mississippi waren es gar über 55 Prozent. Im Küstenstreifen von South Carolina lag das Verhältnis zwischen Sklaven und freien Weißen gar bei 10:1, was die Radikalität erklärt, mit welcher die Plantagenbesitzer ausgerechnet dieses Staates am Sklavensystem festhielten. Noch negativer fiel der Vergleich der Industrieproduktion für den Süden aus. Dort fanden sich etwa 18.000 Industriebetriebe, von denen freilich kaum einer in der Eisen- oder Stahlverarbeitung tätig war, mit etwa 110.000 Beschäftigten, im Norden hingegen waren es 110.000 Betriebe mit über 1,3 Millionen Arbeitern. Der Norden produzierte zehnmal mehr Güter als der Süden, bei der Eisenproduktion war er im Verhältnis 20:1, bei der Produktion von Feuerwaffen sogar 32:1 überlegen. Und selbst in der Textilproduktion übertraf er den Süden 17:1. Darüber hinaus befanden sich, was für die moderne Kriegführung ungemein wichtig war, 70 Prozent des Schienennetzes im Norden. Bei den Eisenbahnen im Süden kam noch hinzu, daß sie nicht unter kriegstechnischen Aspekten geplant und gebaut worden waren und deswegen für den Nachschub oder den Truppentransport nicht sinnvoll eingesetzt werden konnten. Von den 470 Lokomotiven, die im Jahre 1860 in den USA gebaut wurden, stammten nur ganze 17 aus südstaatlicher Produktion.
Die Faktoren Eisenbahn und Dampfschiffahrt aber waren von zentraler Bedeutung. Der Union gelang es rasch, das vorhandene Schienennetz und die Kanäle, die gleichfalls überwiegend im Norden lagen, für den Kriegseinsatz zu nutzen. Im Vergleich zu ihren konföderierten Kameraden mußten Soldaten der Union deutlich weniger marschieren. Truppenteile konnten relativ flexibel von einem Kriegsschauplatz zum nächsten verlegt werden, vom Nachschub an Material und Mannschaften ganz zu schweigen. Es ist erstaunlich, wie schnell sich die militärischen Führer der Union dieses Vorteils bewußt wurden, während sie ansonsten, gerade zu Beginn des Krieges, nicht immer an der Speerspitze moderner Kriegführung marschierten. Das eigentliche Problem beider Kriegsparteien aber bestand darin, die Industrie auf Kriegsproduktion umzustellen und den Krieg zu finanzieren. Beides war für die Konföderation schon aus strukturellen Gründen nahezu unmöglich. Obwohl die südstaatlichen Großgrundbesitzer zu den reichsten Personen der Welt zählten und für den Kriegsausbruch maßgeblich mitverantwortlich waren, zeigten sie wenig Neigung, ihr Hab und Gut zu opfern. Zudem erschwerte ihr traditionales Verständnis von Wirtschaft die Lage erheblich. Die Pflanzer hatten zwar das kapitalistische Prinzip der Profitmaximierung in der Produktion tief verinnerlicht, gaben ihr Geld aber ganz im vorindustriellen Sinne aus. Dies bedeutete vor allem Investitionen in Sklaven und Land, nicht aber in technisches Produktivvermögen. Kapitalreserven waren demnach eher die Ausnahme. Als mit zunehmender Kriegsdauer ab 1863 die Steuereintreiber der Konföderation durchs Land zogen, fanden sie kaum nennenswerte Barvermögen vor und sahen sich gezwungen, Sklaven oder technisches Material beziehungsweise Tiere zu requirieren. Daher blieb dem Süden kaum etwas anderes übrig, als den Krieg über die Notenpresse zu finanzieren, da auch die europäischen Mächte nur ausnahmsweise bereit waren, seine Sache finanziell, durch Kredite oder Staatsanleihen zum Beispiel, zu unterstützen. Die Folge war eine verheerende Inflation. Die finanziellen Probleme behinderten zusätzlich den Aufbau einer adäquaten Kriegsproduktion, so daß der Süden während des gesamten Krieges in der waffentechnischen Ausrüstung dem Norden hinterherhinkte. Bis 1862 etwa mußten die Regimenter der Konföderierten noch mit vollkommen veralteten Feuersteinmusketen auskommen, die sich schon im Krieg von 1846 nicht sonderlich bewährt hatten. Sie waren umständlich zu handhaben und entgegen landläufigen Mythen über schußsichere amerikanische Scharfschützen von der frontier wenig treffgenau. Hinzu kam, daß man seitens der Konföderation über derart wenige Waffen verfügte, daß viele Soldaten aufgefordert wurden, ihre privaten Schußwaffen mitzubringen. Erst im Verlauf des Krieges änderte sich die Situation. Dies lag nur zu einem geringen Teil an der eigenen Produktion moderner, zielgenauer Springfield-Musketen und Enfield-Gewehren, die bestenfalls weniger als 24 Prozent der gesamten Ausrüstung ausmachten. Rund 30 Prozent der konföderierten Schußwaffen mußten unter großen Schwierigkeiten aus Großbritannien, Österreich und Frankreich importiert werden. Knapp die Hälfte aller im Krieg auf Seiten der Südstaaten eingesetzten Infanteriewaffen aber waren zuvor von den Unionstruppen erbeutet worden.
Die Probleme der Union sahen anders aus. Obwohl man auch hier in der Waffenproduktion nicht in der Lage war, den Bedarf aus eigener Produktion zu decken, und darum auf Importe aus Großbritannien und Frankreich angewiesen blieb, hatte man es wesentlich leichter als der Süden. Anfangs sah das Bild hier nicht wesentlich besser aus als im Süden. Die Unionsregimenter waren 1861 ähnlich bunt bewaffnet wie die konföderierten Soldaten auf der anderen Seite des Schlachtfeldes. Es dauerte bis 1862, ehe die technologische Überlegenheit der Union zum Tragen kam. Von da an überwogen neue Gewehre mit gezogenen Läufen und Minié-Kugeln, die nicht allein treffsicherer waren, sondern zudem eine schnellere Schußfolge ermöglichten, da sie, anders als die altmodischen Musketenkugeln, nicht erst lange aufgebissen und von vorne in den Lauf gestoßen werden mußten. Die neuen Gewehre waren meist Hinterlader und entsprechend leichter zu bedienen. Seit 1863 setzte der Unionsgeneral Benjamin Butler erstmalig Vorläufer des modernen Maschinengewehrs, die Gatling Gun ein, von der aber nur zwölf Stück existierten. Erst nach dem Bürgerkrieg, aber rechtzeitig für die Indianerkriege des Westens wurde die US-Armee systematisch mit dieser neuartigen und ungemein mörderischen Waffe bestückt. Allerdings reichte bereits die erhöhte Schußfolge und Treffgenauigkeit der neuen Enfields und Springfields, um die Mortalitätsraten der Frontsoldaten enorm in die Höhe zu treiben. Mit den neuen Waffen konnten auch relativ ungeübte Schützen bis dahin ungeahnte Wirkung erzielen. Die wirkliche Stärke der Unionsarmee lag aber nicht bei den Schußwaffen der Infanteristen, sondern bei der Artillerie, und zwar zu Lande wie zu Wasser. Die Kanonen waren treffsicher, leistungsstark und vergleichsweise langlebig. Auf den Schlachtfeldern des Bürgerkriegs konnten sie eine verheerende Wirkung entfalten.
Aufgrund eines rückständigen Bankensystems war allerdings auch der Norden zunächst kaum in der Lage, die für die Kriegführung nötigen finanziellen Mittel aufzubringen. Eine Zentralbank fehlte, seitdem Andrew Jackson die Second Bank of the United States mutwillig und aus parteitaktischen Gründen zerstört hatte. Dies führte nun dazu, daß man hier, ganz wie in der Konföderation, die Notenpresse anwerfen mußte, was durch den Federal Banking Act ermöglicht wurde. Ein geordnetes Bankensystem blieb dessen ungeachtet bis 1913 aus. Erst dann kam es zur Einrichtung der Federal Reserve (Fed), die bis heute über die Stabilität des Dollar wacht. Indes fiel die Inflation im Norden nicht so drastisch aus wie beim Gegner. Die Dollars der Konföderation waren von Beginn an praktisch wertlos, während der Dollar der Union 1865 im Vergleich zum britischen Pfund, der Leitwährung des 19. Jahrhunderts, nur den tiefsten Stand seiner Geschichte verzeichnete. Vereinzelt finanzierten vermögende Männer, etwa ein Erbe des Hauses Astor, ganze Regimenter aus eigener Tasche, obwohl die Solidarität der Reichen mit der Sache der Union nicht eben überschwenglich ausfiel. Dessen ungeachtet boten die New Yorker Banken und die Wall Street die Chance, Kredite und Staatsanleihen aufzunehmen, um die Kriegskosten einigermaßen zu decken.
Ähnliches wird man über die Umstellung der Wirtschaft auf Kriegsproduktion sagen müssen. Die Union verfügte schlicht nicht über den bürokratischen Apparat und die staatlichen Einrichtungen, die notwendig gewesen wären, um – wie Deutschland, die USA oder Frankreich im Ersten Weltkrieg – zu einer halbwegs kohärenten Produktionssteigerung zu kommen. Man war vielmehr auf eine enge Kooperation mit der Privatwirtschaft angewiesen, die dann auch ihr Bestes tat, um nach gewissen Anlaufschwierigkeiten die Unionsarmee mit Nachschub zu versorgen. Allerdings wurde häufig minderwertige und fehlerhafte Ware geliefert, was zum Teil auf technische Probleme in der Produktion, zum Teil aber auch auf Korruption, Vetternwirtschaft und Mißmanagement zurückzuführen war. Bei Soldaten, die der Demokratischen Partei nahestanden, führte dies, nachdem die erste patriotische Kriegsbegeisterung 1862 verflogen war, zu beständigen Unruhen. Sie konnten sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diejenigen, die wie ein John D. Rockefeller, ein Andrew Carnegie, der das militärische Telegraphensystem organisierte, oder gar ein John Pierpont Morgan vom Bankhaus Drexel, Morgan und Co. einfach daheim blieben, die wahren Gewinner dieses Krieges seien. Da viele dieser Kriegsgewinnler zudem Abolitionisten aus der Mittelklasse waren, die selten oder nie an Kampfhandlungen teilnahmen, verdichtete sich bei manchen Soldaten der Unionsarmee das unbehagliche Gefühl, Drückeberger und Spekulanten würden sie an der Front verheizen und ihre eigenen Interessen auf Kosten der Armen gewinnträchtig durchsetzen. Ähnliche Gefühle fanden sich in den konföderierten Streitkräften. Im Unterschied zu den folgenden Kriegen, die ganz ähnliche Vorbehalte hervorbrachten, waren die Vorwürfe des Spekulantentums allerdings noch nicht antisemitisch motiviert, sondern entsprangen diffusen Klassenvorbehalten gegenüber «den Reichen». Insgesamt wird man gleichwohl sagen dürfen, daß die nordamerikanische Industrie, trotz der strukturell defizitären Ausgangsbedingungen, sehr wohl in der Lage war, die Grundbedürfnisse der Unionssoldaten zu erfüllen.
Interessanterweise hatte der Bürgerkrieg jedoch nicht den Einfluß auf die Industrialisierung, den man theoretisch von ihm erwartet hätte. Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten Historiker in diesem Zusammenhang gerne von der «zweiten amerikanischen Revolution» gesprochen. Sie waren davon ausgegangen, daß die durch den Krieg induzierte Nachfrage die industrielle Produktion im Norden regelrecht angeheizt hätte. Dem aber war nicht so. Ganz im Gegenteil stagnierte, verglichen mit den Jahrzehnten der Antebellumära und des Gilded Age ab 1877, die Industrieproduktion in den gesamten USA. Dies schien zu belegen, daß der Bürgerkrieg gerade kein totaler Krieg, sondern, überspitzt gesagt, ein Krieg der vorindustriellen Vormoderne gewesen war, in dem auf beiden Seiten schlecht ausgerüstete Soldaten mit mangelhafter Technologie einen Krieg des 18. Jahrhunderts führten. Beide Positionen werden der Realität des Krieges nicht völlig gerecht. Tatsächlich hielt sich der industrielle Charakter des Bürgerkrieges im Vergleich mit dem 20. Jahrhundert und seinen Weltkriegen in überschaubaren Grenzen. Zieht man allerdings das 18. und frühe 19. Jahrhundert hinzu, sieht das Bild erheblich differenzierter aus. Man wird am ehesten von einem Krieg sprechen können, der einen Übergang zum modernen, industriellen und technologischen Krieg mit vormodernen Organisationsmitteln markierte.
3. Zögerlicher Beginn:
Die Ereignisse der Jahre 1861 und 1862
Im Norden konnte man die Sezession des tiefen Südens kaum anders denn als Verrat auffassen. Mochte die Frage ungeklärt sein, ob Staaten das Recht hatten, aus der Union auszutreten, faktisch kam dies für die Mehrheit der Menschen längst nicht mehr in Frage. Zudem waren viele von ihnen, selbst kluge politische Beobachter, von der Radikalität der südstaatlichen Reaktionen auf die Wahl Lincolns überrascht. Der neue Präsident hatte ja noch nichts Konkretes getan, und sein bisheriges Verhalten ließ kaum auf einen ausgeprägten Radikalismus schließen. Er hatte noch nicht einmal sein Amt angetreten. In Washington regierte noch sein Amtsvorgänger Buchanan, der es fertigbrachte, die Sezession zu verwerfen, gleichzeitig aber prinzipiell das Recht auf Austritt aus der Union zu bejahen. In aller Öffentlichkeit erklärte er die Abolitionisten zu den Hauptschuldigen am gegenwärtigen Zustand. Vor allem aber wollte er den Bürgerkrieg vermeiden und keine Gewalt anwenden. Immerhin befahl er, die Garnison in der kleinen, noch nicht fertiggestellten Festung Fort Sumter in der Hafeneinfahrt von Charleston, South Carolina, um 200 Mann zu verstärken, obwohl die Emissäre South Carolinas ihn bestürmten, diesen Unionsstützpunkt zu räumen. Aber Buchanan und eine ganze Reihe anderer Politiker ließen sich nicht allein von ihren Sympathien für die Sache des Südens leiten. Noch waren in den Sklavenstaaten des oberen Südens die Würfel nicht gefallen. In Virginia, North Carolina, Tennessee, Kentucky, Maryland, Delaware und Missouri tobte der Meinungskampf zwischen den – noch minoritären – Befürwortern und den Gegnern der Sezession. Schon aus geostrategischen Gründen war es notwendig, wenigstens einige dieser Staaten bei der Union zu halten. Ein Abfall Missouris oder Marylands wäre einer Katastrophe gleichgekommen. Dies legte einen Kompromißversuch im Geiste des 1852 verstorbenen Henry Clay nahe. Kaum zufällig war es John J. Crittenden, wie Clay aus Kentucky stammend und ebenfalls ein früherer Whig, der diesen letzten Anlauf zur Friedenssicherung unternahm. Crittenden schlug vor, faktisch den Missouri-Kompromiß zum Ausgangspunkt für einen Verfassungszusatz zu machen, der die Sklaverei südlich der damals festgelegten Linie rechtlich unangreifbar gemacht hätte. Dies hätte freilich bedeutet, daß dort selbst in Staaten wie Kalifornien, wo zu diesem Zeitpunkt die Sklaverei verboten war, das Sklavenhaltersystem hätte eingeführt werden können oder gar müssen. Für all jene, die aus der Free Soil-Bewegung oder von den Old Line Whigs in die Republikanische Partei gefunden hatten, war ein solches amendment der Verfassung schlechterdings inakzeptabel. Auch Abraham Lincoln war bereit gewesen, die Sklaverei verfassungsrechtlich abzusichern, nicht aber, ihre weitere Expansion zu befördern. Das war für die heterogene republikanische Koalition, die gerade erst die Wahlen gewonnen hatte, die rote Linie, die nicht überschritten werden durfte. Der Crittenden-Plan fand daher keine Mehrheit. Obendrein fehlte den konföderierten Staaten jegliche Kompromißbereitschaft. Sie waren längst auf eine Strategie des Alles oder Nichts umgeschwenkt. Dies zeigte sich erneut im Verlauf einer Geheimkonferenz, zu der sich am 27. Februar 1861 Vertreter nahezu sämtlicher Staaten der ehemaligen Union trafen. Obwohl sie eigentlich dabei helfen sollte, den Frieden durch weitere Zugeständnisse an den Süden zu sichern, zeigte sie nur, daß inzwischen selbst die Delegierten Virginias von der Stimmung im tiefen Süden angesteckt worden waren. Man wollte es den Abolitionisten und Republikanern ein für alle Mal zeigen. Umgekehrt verhärtete sich die Position der Republikaner. Sie beharrten auf der unumkehrbaren Einheit der Union. Sezession war treuloser Verrat, jeder weitere Kompromiß undenkbar. Unter den evangelikalen Predigern, die lange eine pazifistische Haltung eingenommen hatten, machte die Rede von der Notwendigkeit die Runde, die heilige Erde Amerikas mit dem Blut der Sünder, also der Sklavenhalter, zu reinigen. Dies stieß im Süden erwartungsgemäß auf keine positive Resonanz. Die Stunde der Entscheidung kam spätestens, als Lincoln sich in seiner Inaugurationsrede ohne Wenn und Aber zur Einheit der Union bekannte. Auch sein Kabinett spiegelte diese Stimmung wider. Wohl hatte er mit Außenminister William H. Seward und Postminister Montgomery Blair zwei moderate bis konservative Republikaner berufen, die seiner eigenen nationalistischen Position nahestanden. Gleichzeitig aber fand sich in Gestalt des Finanzminister Salmon P. Chase, obwohl einst Whig, inzwischen seit einem Erweckungserlebnis 1835 Abolitionist und einstiges Haupt der abolitionistischen Liberty Party, ein bekennender Radikaler, der ein Jahr später durch den abolitionistischen Kriegsdemokraten Edwin Stanton als Kriegsminister noch Verstärkung erhielt.
Ausgangspunkt für die Kriegshandlungen wurde im Frühjahr 1861, unmittelbar nach Lincolns Rede, die Unionsgarnison von Fort Sumter, die von Major Robert Anderson befehligt wurde. Der Mann aus Kentucky stand treu zu dem Eid, den er als Soldat auf die Union geschworen hatte. Im Norden war er von den regierungsnahen Medien längst zum Helden stilisiert worden, weil er mit seinen recht überschaubaren Truppen inmitten feindlichen Gebiets hartnäckig ausharrte. Nun erklärte Anderson, er benötige binnen weniger Wochen Nachschub oder er müsse seine Stellung räumen. Seward sprach sich heftig dagegen aus. Er ging sogar so weit, einen Ablenkungskrieg mit Spanien oder Frankreich vorzuschlagen, um die Union zur Einheit zu zwingen. Der Rest des Kabinetts plädierte indes für die Konfrontation. Fast gleichzeitig entschlossen sich Ende März und Anfang April Lincoln und sein Gegenspieler Davis in Richmond zum Krieg. Der Entsatz wurde in Marsch gesetzt, und am 12. April 1861 begann der aus Louisiana stammende General Pierre G. T. Beauregard damit, Fort Sumter zu beschießen. Einen Tag später, noch gab es kein Todesopfer zu beklagen, kapitulierte Anderson und zog ab. Union und Konföderation befanden sich im Krieg.
Die Folgen zeigten sich fast augenblicklich. Noch im April zogen sämtliche Unionseinheiten aus Virginia ab, im Mai traten Virginia, North Carolina und Arkansas aus der Union aus und der Konföderation bei, einen Monat später folgte Tennessee, das sich erst einmal für neutral erklärte, dies aber nur kurz durch zuhalten vermochte. Wenn jetzt noch die vier verbliebenen Sklavenstaaten gleichfalls aus der Union austraten, wäre Washington in unmittelbarer Gefahr gewesen. Lincoln vermied daher, sehr zum Ärger der abolitionistischen Radikalen in seiner Partei, jedwede Erwähnung der Sklavereidebatte und wirkte auf viele wie eine Wiedergeburt des späten Buchanan. Ihn plagten schlicht die gleichen Probleme. Zudem erinnerte er seine parteiinternen Kritiker wiederholt daran, daß sie ihre überlegene Moral dem historischen Zufall zu verdanken hatten, im Norden geboren zu sein. Nicht Moral aber, sondern Territorium und Soldaten waren im Moment die entscheidenden Faktoren, wenn man die Union erhalten wollte. Und Lincolns Taktik zahlte sich aus, obschon nicht ohne gravierende Probleme und Folgekosten. Vor allem entschied sich Maryland für den Verbleib in der Union. Hier setzte sich der von Freibauern dominierte Nordwesten gegen den Südosten und das tief gespaltene Baltimore durch. In Delaware war die Entscheidung kaum umstritten, da die Sklavenhalter in diesem Kleinstaat an den Fingern einer Hand abzuzählen waren. Wesentlich wichtiger war Missouri mit seinem quantitativ hohen Anteil von proslavery ruffians. Die Fronten des Bürgerkrieges verliefen quer durch den Staat und führten zu zahlreichen gewalttätigen Ausbrüchen. Nur ein entschlossener Handstreich republikanischer Einheiten, darunter viele deutsche Migranten aus der Generation der 1848er, hielt St. Louis und damit den Staat in der Union. Ähnliches geschah in Kansas, das wenig später den Territorialstatus abstreifen konnte und die vollen Rechte eines Staates erhielt. Kentucky versuchte es wie Tennessee erst mit der Neutralität. Aber wie in Maryland, Missouri und Kansas zerbrachen hier ganze Familien, etwa die Crittendens, wo der Vater neutral, ein Sohn Unionist und einer Konföderierter war, und schließlich schloß sich der Staat ebenfalls der Union an, obwohl ganze Regimenter der Kentucky-Miliz zur Konföderation überliefen. Auch in Missouri und Maryland bildeten sich konföderierte Einheiten. Umgekehrt hielten West-Tennessee und West Virginia an ihrer traditionellen Loyalität zur Union fest und stellten ihrerseits keine konföderierten, sondern Unionsregimenter.
Aber auch weit hinter den aktuellen Frontlinien war das Bild im Frühjahr 1861 unklar. Die Demokraten des Nordens oder wenigstens das, was von ihnen übriggeblieben war, zeigten sich zwischen Unionspatriotismus, Rassismus und Verständnis für die Anliegen des Südens hin und her gerissen und suchten verzweifelt nach gemeinsamen Grundlagen. In Illinois, Indiana, Ohio, Pennsylvania sowie in Kansas fanden sich viele Demokraten, die ihre Sympathien für das Sklavenhalterregime in Richmond offen zeigten. Mehrheitlich handelte es sich um kleine Farmer und Handwerker, die nicht selten aus den Südstaaten zugezogen waren. Selbst wenn sie der Sklaverei aus wirtschaftlichen Motiven heraus skeptisch gegenüberstanden, hielten sie aufgrund ihrer rassistischen Mentalität zum Süden. Sie fanden Verbündete unter den irischen Katholiken in New York und Massachusetts. Gemeinsam formierten diese prosüdlichen Kräfte, die meinten, man solle die Konföderation kampflos ziehen lassen, die sogenannten Peace Democrats, eine Minderheit innerhalb der Demokratischen Partei. Sie waren nicht notwendig illoyal gegenüber der Union, obwohl sie unter permanentem Verdacht standen, aber im Krisenfall konnte man sich auf sie kaum verlassen. Die Mehrheit der Demokraten aber waren War Democrats, die bald eine Koalition der nationalen Einheit mit den Republikanern formten. Es waren diese Kriegsdemokraten, die gemeinsam mit vielen Republikanern schnell Lincolns Ruf nach Freiwilligen für die Unionsarmee folgten. Sie waren unverzichtbar für den Erhalt der Union, da sie anfangs eine Mehrheit der Mannschaftsdienstgrade, vor allem aber des Offizierskorps der Union stellten.
Angesichts der unklaren und gespannten Situation kam es im Norden bald zu dem Bemühen, Einheit durch Druck herzustellen. Republikaner und Kriegsdemokraten entfalteten eine euphorisch anmutende unionspatriotische Stimmung, die partiell an das sogenannte Augusterlebnis von 1914 erinnert. Wie 1914 war die Begeisterung heftig, blieb aber auf einen überschaubaren Kreis der Bürgerschaft beschränkt. Die Befürworter des Kriegs zwangen jeden, den sie verdächtigten, mit dem Süden zu sympathisieren, Unionsfahnen zu hissen, darunter mit besonderer Vorliebe katholische Priester. Immerhin kam ein Teil der Republikaner aus der antikatholischen nativistischen Bewegung der 1850er Jahre, die den Katholizismus für den Zerfall der Union verantwortlich machte. Ein regelrechter symbolischer Kult um Old Glory, das Sternenbanner der Union, entfaltete sich. Gewalttätige Schlägerbanden erniedrigten und verprügelten vorgebliche Verräter und Feinde der Union. Im Süden gab es vergleichbare Versuche, ein Mindestmaß an Kriegsbegeisterung zu erzwingen.
Die militärische Führung beider Seiten hatte unterdessen ganz andere Sorgen. Ihr fehlte es an einem Plan. Die Staaten der Sezession hatten es relativ leicht, da sie auf Abwarten setzen konnten und notgedrungen auch mußten. Im Norden wären viele kriegsdemokratische Generäle, allen voran George McClellan, diesem Vorbild nur allzu gerne gefolgt. Aber je mehr Zeit bis zu einem entscheidenden Sieg der Union verstrich, um so schwieriger würde es, die Einheit des Staatswesens wiederherzustellen. Aus diesem Grunde forderte die Politik energisch eine militärische Aktion. Schließlich hatten beide Kriegsparteien, ohne zu ahnen, was ihnen bevorstand, die Mär in die Welt gesetzt, dieser Krieg werde nur ganze 90 Tage dauern. Allein für diesen Zeitraum waren die Freiwilligen einberufen worden. Sollten sie nicht unverrichteter Dinge umkehren, mußte gehandelt werden. Daher drängten Senatoren und am Ende auch der Präsident auf eine Schlacht, die alles wieder ins Lot bringen sollte. Dieses beständige Eingreifen der politischen Führung sollte die Kriegführung des Nordens in den kommenden vier Jahren ernsthaft behindern. Schlachten wurden aus politischen, nicht aus militärischen Gründen auf bestimmte Termine gelegt, und die einmal eingeschlagene militärische Marschroute konnte nicht eingehalten werden. Da hatte es der Süden zur Abwechslung leichter. Zwar standen auch die Befehlshaber der Konföderation unter politischem Druck, aber es fehlte ein Machtzentrum, das diesen Druck auf Dauer hätte aufrechterhalten können. Inmitten dieser Unklarheit kam es am 21. Juli 1861 bei Manasses oder Bull Run zur ersten großen Schlacht des Bürgerkriegs. Zum ersten Mal überhaupt wurden auf dem nordamerikanischen Kontinent Heere von mehreren 10.000 Mann gegeneinander geführt. Keine der beiden Kriegsparteien war darin geübt, solche Truppen zu leiten. Viele Politiker und Angehörige der besseren Gesellschaft Washingtons waren an diesem Tag vor die Tore der Stadt gefahren, um dem verheißungsvollen Spektakel beizuwohnen. Man trank Tee und picknickte, während ein unwilliger General McDowell für die Union und General Beauregard, unterstützt vom bald zur Legende gewordenen General Thomas Jackson, genannt Stonewall, ihre Einheiten in die Schlachtordnung brachten. Dabei wurde dann rasch – und je länger der Krieg dauerte, desto mehr – deutlich, wie obsolet und anachronistisch die militärischen Taktiken waren, auf die sich beide Kriegsparteien stützten. Entgegen den Erfahrungen des Krimkriegs und obwohl man erkennen mußte, über welche Vorteile die militärische Defensive dank Schützengräben, Minié-Geschossen und Gatling Gun inzwischen verfügte, marschierten immer noch, wie zu Zeiten Friedrichs II. von Preußen oder Napoleons I., geschlossene Infanterieformationen mit gefälltem Bajonett über ein zuvor von der Artillerie vorbereitetes Schlachtfeld. Entsprechend hoch wurden im Verlauf des Bürgerkriegs die Verlustzahlen bei den zum Teil mehrtägigen Schlachten. Besonders dramatisch war der Bedeutungsverlust der Kavallerie, auf die insbesondere der Süden seine Hoffnungen gesetzt hatte. Unter den Bedingungen moderner industrieller Kriegführung war sie dazu verdammt, in irregulären Partisaneneinsätzen oder zur Aufklärung eingesetzt zu werden. Schlachtentscheidend war sie nicht mehr.
Fast alle Soldaten, die sich bei Manasses gegenüberstanden, waren Freiwillige, die sich nach den Aufrufen Lincolns und Davis’ zu den Fahnen gemeldet hatten, im Norden etwa 75.000 Mann. Binnen weniger Stunden brach die Moral der schlecht ausgerüsteten, undisziplinierten und miserabel geführten Unionstruppen zusammen. Die von Stonewall Jackson herangeführten Verstärkungen entschieden das Schicksal von McDowells Armee. In kopfloser Flucht warfen die Männer ihre Waffen weg und stürmten, behindert von den gleichfalls von Panik ergriffenen Zivilisten, einfach davon. In diesem Moment wurde die Schlacht für die Union zum Desaster, obschon insgesamt auf beiden Seiten nur rund 5000 Mann starben. McDowell wurde als Kommandant durch McClellan abgelöst, der gewiß ein fähiger Organisator, aber zugleich ein unglaublich vorsichtiger Befehlshaber war. Überdies neigte er dazu, permanent die Stärke seines Gegners zu überschätzen. Auch die politischen Folgen waren gerade für die radikalen Republikaner katastrophal. In der Crittenden-Deklaration vom 25. Juli 1861 wurde nun ausdrücklich festgehalten, daß der Krieg ausschließlich zum Erhalt der Union und nicht zur Lösung der Sklavenfrage geführt würde. Auf diese Weise sollte der Übertritt weiterer Sklavenstaaten in die Konföderation verhindert werden.
McClellan hatte in den Augen der Administration einen großen Vorteil. Bereits vor dem Debakel von Manasses hatte er seinem Förderer Winfield Scott, dem greisen Helden des Mexikokrieges, einen Plan vorgeschlagen, wie man die Konföderation relativ zügig besiegen könnte. Scott hatte McClellans Vorschlag aufgenommen und in ein strategisches Gesamtkonzept umgegossen, das dann in den nächsten vier Jahren das militärische Handeln der Union bestimmte: den berühmt-berüchtigten Anakonda-Plan. Dieser hatte einen denkbar simplen Ausgangspunkt, nämlich den einfachen Blick auf die Landkarte und eine ebenso einfache Bestandsaufnahme der eigenen Streitkräfte. Der Blick auf die Landkarte führte vor Augen, daß die Konföderation mit ungünstigen topographischen Gegebenheiten zu kämpfen hatte, welche die institutionellen Strukturmängel noch gravierender machten. Wie einst Gallien zerfiel die Konföderation durch die Appalachees und den Mississippi in drei Teile, die wiederum drei voneinander relativ unabhängige Operationsgebiete ergaben. Diese Trennung galt es auszunutzen. Gleichzeitig hatte die Union die absolute Überlegenheit bei den Seestreitkräften. Dies erlaubte zum einen amphibische Landungsoperationen an ausgewählten Punkten und ermöglichte zum anderen eine international anerkannte Seeblockade. Eine solche erforderte nämlich die Möglichkeit, alle hochseetauglichen Häfen des Feindes abzuschnüren. Der Anakonda-Plan Scotts sah nun vor, erst von der See her den Süden einzukesseln und ihn dann langsam zu erdrücken. Wenn dieser erste Teil des Plans Erfolg zeitigte, konnte man zuschlagen und entlang der beiden Einfallsrouten, der Appalachee Mountains und vor allem des Mississippitals, in den Süden einmarschieren, um ihn zu zerteilen. Auf dem Papier besaß dieser Plan eine gewisse Eleganz. Aus politischer Sicht hatte er allerdings das Problem, daß seine Umsetzung weitaus mehr als nur 90 Tage in Anspruch nehmen würde, außerdem würde er unter humanitären Gesichtspunkten für weite Teile des Südens angesichts einer umfassenden Blockade, von der auch Nahrungsmittel betroffen sein würden, eine Katastrophe bedeuten. Nach Manasses hatte sich der erste Punkt indes erledigt, und Lincoln wischte sämtliche humanitären Bedenken vom Tisch. Die Union, so der Präsident immer wieder apodiktisch, müsse ihre Überlegenheit an Menschen und Material rücksichtslos einsetzen. Hohe Verluste waren für den Norden problematisch, für den Süden aber tödlich. McClellan als Vordenker von Scotts Strategie erschien in der gegebenen Situation genau der richtige Mann am richtigen Ort.
Im Frühjahr 1862 wurden dann endlich erste Elemente der amphibischen Kriegführung im Rahmen des Anakonda-Plans in die Praxis umgesetzt. Gegen den Widerstand der relativ schwachen konföderierten Marineverbände gelang die geplante Seeblockade. Eine Reihe kleinerer Inseln vor der Küste konnten eingenommen werden. Viel wichtiger war allerdings die Fähigkeit der Union, den Seehandel der Konföderierten erfolgreich einzudämmen und fast, von einigen waghalsigen Blockadebrechern abgesehen, zum Erliegen zu bringen. Der neue Staatenbund war damit ökonomisch komplett isoliert und verlor mit dem Baumwollhandel seine einzige Chance, Devisen für den Ankauf moderner Waffen und gepanzerter Schiffe in Großbritannien, Österreich und Frankreich zu erwirtschaften. Zu diesem offenkundigen Erfolg in der Wirtschaftskriegführung, dessen Wert anfangs nicht allen einsichtig war und der deswegen in der Unionspresse kaum festgehalten wurde, kam dann noch ein größerer militärischer Sieg. Im Frühjahr 1862 landeten Unionstruppen in Louisiana und eroberten am 25. April New Orleans. Damit hatten die Südstaaten ihren wichtigsten Hafen eingebüßt, ihre mit Abstand größte Stadt und eines der wenigen Zentren frühindustrieller Produktion. Aber diese Niederlage war über die wirtschaftlichen Aspekte hinaus bedeutsam. Zum einen nutzten Lincoln und seine Administration Louisiana ähnlich wie die Inseln vor der Küste der Carolinas als Experimentierfeld für die Nachkriegszeit. Auf den Inseln wurden landwirtschaftliche Musterbetriebe für freie Schwarze eingerichtet. Da dies von männlichen und vor allem weiblichen Abolitionisten, die dort als Lehrer tätig waren, massiv unterstützt wurde, diente dieses Experiment der demokratischen, rassistischen Propaganda als Musterbeleg für ihre These, die Abolitionisten planten, eine Mischlingsrasse zu züchten, um die weiße Rasse zu vernichten. Von den Erfolgen dieser Einrichtungen, welche die Absurdität dieser Behauptungen belegten, wollte niemand etwas wissen. Der Umgang mit Louisiana war mindestens ebenso umstritten. Die Unionsregierung verfolgte dort zum Entsetzen vieler radikaler Republikaner einen ausgesprochen moderaten Kurs. Angesichts heftiger Sympathien für die Union unter freien Schwarzen und kreolischen Whigs konnte man es sich leisten, Louisiana ganz regulär wieder in die Union aufzunehmen. Der Staat stellte eigene Senatoren und Repräsentanten, was dazu führte, daß er gleichzeitig in der Union und der Konföderation vertreten war. Entsprechend kämpften Soldaten aus Louisiana auf beiden Seiten der Front. An den Eigentumsverhältnissen und der Sklaverei wurde, den Vorgaben der Crittenden-Deklaration folgend, nichts geändert.
Zum anderen war die Einnahme von New Orleans und des südlichen Teils von Louisiana militärisch von großer Bedeutung. Von nun an konnte der Anakonda-Plan von zwei Seiten her umgesetzt werden. Zwischen Februar und Juni 1862 rückte die Cumberland-Armee unter maßgeblicher Führung der Generäle Ulysses S. Grant und William Rosecrans den Mississippi entlang nach Süden vor. Bei Fort Henry, Fort Donelson und Shiloh wurden die konföderierten Kontingente besiegt, ebenso wurde im Herbst ein Gegenvorstoß der Südstaatler bei Perryville in Kentucky abgewehrt. Am 6. Juni 1862 fiel Memphis, Tennessee, in die Hände der Union. Gleichzeitig stießen Unionsverbände von New Orleans aus allmählich gen Norden vor. Avisierter Treffpunkt war die Festung Vicksburg, der am besten befestigte Ort im Mississippital. Wurde diese Festung erobert, war die Konföderation faktisch in zwei Teile gespalten.
Im März 1862 begann dann auch McClellan nach langem Zaudern mit seinen Operationen an der kriegsentscheidenden Front in Virginia. Hier standen die besten konföderierten Truppen unter den besten Anführern, darunter Stonewall Jackson, J. E. B. Stuart, Jubal Early und Robert E. Lee. Während die Küstengebiete der Südstaaten relativ rasch unter Kontrolle der Unionsmarine gebracht werden konnten, verliefen die Landoperationen nicht ganz nach den Erwartungen von Regierung und Generalität. Im März und Juni 1862 eroberte Nathaniel Banks im Verlauf seiner Shenandoah-Kampagne West Virginia und schuf so die Grundlagen für die Errichtung des neuen Bundesstaates. Allerdings wurden seine Einheiten dann von Stonewall Jackson zurückgeschlagen. Weiter im Osten sah es schon so aus, als würde die Hauptstadt der Konföderation, Richmond im nördlichen Virginia, demnächst fallen, ehe die Unionstruppen in der Siebentageschlacht vom 25. Juni bis zum 1. Juli 1862 eine verheerende Niederlage erlitten. Wieder war es Stonewall Jackson, der Lee Hilfe leistete, allerdings langsamer und weniger enthusiastisch als sonst. Die Unionstruppen verloren 16.000 Soldaten, die Army of Northern Virginia hingegen 20.000. Obschon sie operativ das Heft in der Hand behalten hatte, war klar, daß die Konföderation sich nicht mehr viele solche Siege leisten konnte.
Nach der Siebentageschlacht übernahmen Lee und die anderen Südstaatler die Initiative und marschierten gen Norden. Im August 1862 wurden die Nordstaatler bei Manasses zum zweiten Mal besiegt. Dann aber kam es bei dem Versuch einer Invasion Marylands zu einer bitteren Niederlage für den Süden, die am Ende bei weitem weniger schlimm ausfiel, als es hätte sein können. McClellan hatte nämlich durch einen Zufallsfund kurz vor Beginn der Schlacht von Sharpsburg (Antietam) Kenntnis sämtlicher Pläne Lees erhalten. Aber weil McClellan wie üblich zögerte, gelang es den Konföderierten nach einer unglaublich hart geführten Schlacht, eben noch zu entkommen. Es war die blutigste Einzelschlacht des Krieges, ja der gesamten amerikanischen Geschichte. Binnen 24 Stunden ließen über 23.000 Soldaten ihr Leben. Ganze Regimenter wurden nahezu ausgelöscht. Ungeachtet des Erfolges war Präsident Lincoln mit dem Vorgehen McClellans zutiefst unzufrieden. Dieser war bereits als Oberkommandierender der Armee abgelöst worden. Nun ersetzte ihn Ambrose Burnside als Befehlshaber der wichtigsten Unionstruppe, der Army of the Potomac. Burnside suchte nun verstärkt die Offensive, um dem Süden den Rest zu geben. Aber bei Fredericksburg mußten die Unionsstreitkräfte eine neuerliche verheerende Niederlage hinnehmen. Das Jahr 1862 endete militärisch im Osten mit einer Pattsituation, die niemanden zufriedenstellen konnte.
4. Emanzipation:
Die Radikalisierung in der Sklavenfrage und an der Heimatfront
Immerhin bedeutete die Schlacht von Sharpsburg für die Union auf der politischen Ebene einen entscheidenden Schritt nach vorn. Die Sklavenfrage konnte auf die Tagesordnung gesetzt werden. Zuvor war dies nahezu unmöglich gewesen, da die Niederlagenserie seit der fehlgeschlagenen Kampagne im Shenandoah-Tal die Vermutung nahegelegt hätte, die Union habe einen verzweifelten Schritt nötig, um sich der Unterstützung des Auslands, vor allem Großbritanniens, zu versichern. Lincoln hatte seine radikalen Parteifreunde in dieser Frage stets gebremst, um auf einen günstigen Zeitpunkt zu warten. Die Siege an der Westfront hatten die Gefahr eines Abfalls von Missouri minimiert, durch Sharpsburg galt Maryland als relativ sicher. Jetzt schien die Zeit zum Handeln gekommen, zumal die Sklaverei keineswegs allein ein Problem der radikalen Republikaner war. Mit jedem Erfolg des Nordens bei der Umsetzung des Anakonda-Plans und mit jedem Vormarsch in konföderiertes Territorium stellte sich die Frage ganz praktisch, wie man mit erbeuteten oder geflohenen Schwarzen umgehen sollte. Bereits im Mai 1861 hatte der radikalabolitionistische Unionsgeneral Benjamin Butler erklärt, die Schwarzen in der Hand der Unionstruppen seien «Konterbande», also Feindeigentum, das von den Unionstruppen genutzt werden könne. Manche Truppenkommandeure hatten diesen Befehl so verstanden, als seien sie regelrecht verpflichtet, den südstaatlichen Sklavenhaltern ihr Eigentum ungeachtet des laufenden Krieges zurückzugeben, was wiederum dazu führte, daß einige der Flüchtlinge von ihren Herren zu Tode gepeitscht wurden. Dies löste unter republikanischen Offizieren erheblich mehr Unruhe und Entsetzen aus als unter Demokraten. Insbesondere General Frémont, der republikanische Präsidentschaftskandidat von 1856, protestierte gegen Butlers Prozedere, das im ersten Confiscation Act vom August 1861 regierungsamtlich bestätigt worden war. Angesichts wachsender Kritik von allen Seiten kam es im Juli 1862 zu einer Novelle des Confiscation Act, die sämtlichen Sklaven in Händen der Unionsarmee die Freiheit zusicherte. Dieses neuerliche Gesetz wurde dann zur Grundlage der schwarzen Siedlungen an der Küste der beiden Carolinas, die in der demokratischen Propaganda eine überragende Rolle spielten. Parallel zum zweiten Confiscation Act wurde der Militia Act erlassen, der es befreiten Schwarzen erlaubte, sich zum Militär zu melden, was ebenfalls bei der Opposition auf erhebliche, rassistisch motivierte Widerstände stieß. Mit beiden Gesetzesnovellen erreichte aber auch die Diskussion über eine allgemeine Sklavenbefreiung und damit eine Abkehr von der Crittenden-Deklaration einen neuen Höhepunkt. Die radikalen Republikaner drängten Lincoln wiederholt zu mehr Aktivität. Umgekehrt hatten sich die Repräsentanten Missouris im Verlauf der Debatte um den zweiten Confiscation Act ausdrücklich zusichern lassen, daß eine allgemeine Sklavenemanzipation schon aus verfassungsrechtlichen Gründen keinesfalls in Frage käme. Gemäß der Rechtsauffassung der Sklavereibefürworter im Unionsparlament verfügte die Bundesregierung weder als solche noch in Kriegszeiten über das Recht, Privateigentum aufzuheben. Demgegenüber setzte von seiten der Radikalen eine Debatte über einen möglichen Verfassungszusatz ein, mit dessen Hilfe die Sklaverei endgültig überwunden werden sollte. Schließlich standen die regulären Zwischenwahlen des Jahres 1862 ins Haus, und einige moderate republikanische Parteistrategen, darunter Seward, befürchteten herbe Verluste der Partei für den Fall eines zu energischen Vorgehens in der Sklavereifrage. Lincoln befand sich also in einer echten Zwickmühle, aus der es keinen Ausweg zu geben schien. Diesem konkreten Zusammenhang entstammte sein berühmtes Diktum, er werde die Union retten, gleichgültig ob er dafür alle Sklaven, einige Sklaven oder gar keinen Sklaven befreie. Der Primat der Einheit der Union schien demnach weiterhin gesichert. Kaum jemand wußte jedoch, daß Lincoln bereits den Text für eine Emanzipationsproklamation der Bundesregierung in der Schublade seines Schreibtisches im Weißen Haus aufbewahrte.
Fünf Tage nach der Schlacht von Sharpsburg präsentierte Lincoln einer erstaunten Öffentlichkeit den Entwurf der Emancipation Proclamation. Dieser wich aber noch erheblich von der Endfassung ab, die bis heute zu den zentralen Dokumenten der Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts zählt. Vor allem hielt Lincoln weiterhin an seiner alten Idee der Kolonisation fest. Die befreiten Schwarzen sollten entweder nach Afrika oder nach Lateinamerika umgesiedelt werden. Dieser Punkt erregte unter schwarzen und radikalen Politikern einiges Aufsehen. Insbesondere Frederick Douglass sah sich dadurch veranlaßt, Lincoln mehrfach aufzusuchen, um ihn von diesem Ideal der alten gradualistischen Emanzipationsbewegung abzubringen. Neben den Anhängern der Emanzipation meldeten sich die Gegner zu Wort. Einige Demokraten forderten ein impeachment, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten. Wie Seward und andere vorausgesehen hatten, tobte die demokratische Presse. Die Emanzipationsproklamation sei nichts anderes als eine Aufforderung zu Mord, Rassenkrieg und Massenvergewaltigungen im Süden, ein Angriff auf die Unantastbarkeit des Eigentums, ein Bruch der Verfassung und Verrat an den ursprünglichen Kriegszielen der Union. Damit hätten sich die Radikalen endgültig durchgesetzt. Im Endeffekt nutzte den Demokraten dieses Argument wenig. Im November gelang es ihnen zwar, den Republikanern im Kongreß einige Sitze abzunehmen, aber ein entscheidender Wahlsieg ihrer Partei blieb aus.
Lincoln modifizierte daraufhin den ursprünglichen Text und strich alle Sätze, die sich auf Kolonisationsprojekte bezogen. Am 1. Januar 1863 veröffentlichte er die endgültige Version der Emancipation Proclamation. Bis zu einem gewissen Grade stellte die Erklärung eine politische Mogelpackung dar, denn ihr unmittelbarer Effekt war gleich Null. Nicht ein einziger Sklave wurde an diesem Tag faktisch befreit, da sich der Text ausschließlich auf jene Gebiete bezog, die am Tag der Veröffentlichung hinter den Frontlinien der Konföderation lagen. Sämtliche der Union zugehörigen oder von ihr besetzten Territorien waren von der Emanzipation der Sklaven ausgenommen. Dies mindert gleichwohl die Relevanz der Proklamation nicht im mindesten. Auf der einen Seite war sie ein deutliches symbolisches Signal an die Amerikaner und den Rest der Welt. Dieser Krieg wurde nicht mehr nur geführt, um die Einheit der Union zu erhalten. Er war ein moralischer Krieg geworden, dessen Hauptziel nunmehr die Befreiung aller Sklaven in den Südstaaten war. Und war es ein Zufall, daß der Präsident und seine Regierung just zu diesem Zeitpunkt, 1863 nämlich, begannen, die politische Semantik umzustellen und von der Nation anstelle der Union zu sprechen? Kaum! Mit der Emanzipationsproklamation war der Rubikon vom konservativen «Krieg um Union und Konstitution» zum aggressiven liberalen, nationalen Einigungskrieg überschritten; der moralischen Überhöhung der Kriegsziele entsprach das Umschalten auf die Nation als Letztinstanz der Kriegführung. Die Bundesregierung beanspruchte für sich Rechte, die dem positiv gesetzten Recht nicht zu entnehmen waren, allenfalls dem naturrechtlichen ius in bello, dem Recht im Kriege. Nach dem Rechtsverständnis der Union hatten Sezession und Konföderation keine eigene Staatlichkeit begründet. Damit befanden sich die Sklavenhalter im Zustand der Rebellion und konnten entsprechend enteignet werden. Wie dem immer auch gewesen sein mag, der Schritt selbst war verfassungsrechtlich fragwürdig und wurde im Grunde erst durch das XIII. Amendment zur Verfassung im Jahre 1865 im nachhinein legalisiert. Aus politischen und moralischen Gründen erschien er indes notwendig. Zugleich stärkte er die Machtansprüche der Exekutive unter den spezifischen Bedingungen des Krieges.
Auf der anderen Seite ging das Signal ebenso an die Sklaven des Südens. Sie wurden nun aktiv zur Flucht ermuntert. Lincoln hatte überdies billigend in Kauf genommen, daß sich tatsächlich Schwarze an ihren Herrschaften rächen würden, wenngleich es dazu nur in seltenen Ausnahmefällen kam. Die Sklaven verzichteten mehrheitlich auf Gewalt. Aber allein ihre Flucht reichte aus, die Weißen in den Südstaaten zutiefst zu verbittern. Ab 1863 häuften sich Berichte, daß alle Sklaven einer Plantage auf einmal flohen, wenn die Unionstruppen näher rückten, darunter auch die Haussklaven. Die Südstaatler standen damit vor den Trümmern ihres paternalistischen Weltbildes. Selbst jene Sklaven, von denen sie fest geglaubt hatten, sie seien unter allen Umständen loyal, hatten nichts Besseres zu tun, als augenblicklich zu fliehen, wenn sich die Chance dazu eröffnete. Die Reaktionen waren oft genug blanker Haß und ein immer maßloser werdender Rassismus. Man versteht die Gewaltbereitschaft und die Brutalität weißer Reaktionen nach dem Bürgerkrieg im Süden nicht, wenn man nicht die doppelte Erfahrung des Zusammenbruchs, nämlich sowohl der politischen wie ökonomischen Dominanz der Weißen als auch ihre Bitterkeit über den angeblichen «Verrat» der schwarzen Sklaven und damit die nachträgliche Desavouierung des Paternalismus, in das Kalkül einbezieht.
Mit der Emanzipation kam freilich auch der Conscription Act, der Beginn der Wehrpflicht. Die soziokulturellen Dynamiken und Spannungen des draft sorgten in Verbindung mit der Emanzipation für Unruhe unter den Angehörigen der Unterklasse in den amerikanischen Großstädten. Allen voran die Katholiken, Iren und Deutsche gleichermaßen, waren empört. Ihnen war die Sklavenfrage entweder egal, oder sie lehnten jede Emanzipation aus wirtschaftlichen Gründen ab. Aus diesem Grunde begannen irische Zeitungen in New York und Boston, in Philadelphia und Cincinnati mit einer Flut hitziger Artikel auf Lincolns Schritt zu antworten. Damit war die Administration herausgefordert. Sie reagierte, indem sie Maßnahmen, die bereits seit 1861/62 erlassen worden waren, intensivierte und rigider anwandte. Dazu zählte beispielsweise die Einschränkung der habeas corpus-Akte, das heißt der Schutz vor willkürlicher Verhaftung. Ferner hatte der Präsident den Geltungsbereich der Militärgerichtsbarkeit und der Macht der provost marshals, also der Militärpolizei, erheblich und bis weit in das Hinterland hi nein ausgedehnt. Man kann in diesem Zusammenhang durchaus von Vorläufern einer imperialen Kriegspräsidentschaft unter Lincoln sprechen. Nie zuvor hatte ein amerikanischer Präsident der Unionsexekutive eine derartige Machtfülle eingeräumt. Angesichts einer radikaler werdenden Opposition nutzte die Regierung ihre Privilegien aus und machte mit deren Anführern kurzen Prozeß. Es kam zu einer Welle von Zeitungsverboten, einzelne Herausgeber wurden inhaftiert, die Union Leagues radikalisierten ihre Vorwürfe über die Illoyalität der Copperheads, jener Friedensdemokraten um Clement Vallandigham aus Ohio, die der Kooperation mit dem Süden verdächtigt wurden und die man nicht umsonst nach einer besonders giftigen Klapperschlangenart benannte. Der gewünschte Effekt trat aber nicht ein. Mit den verlustreichen Schlachten seit Sharpsburg verschlechterte sich die Stimmung rapide. Schon im Herbst 1862 hatte es in Buffalo und Cincinnati gewalttätige Ausschreitungen gegeben. Jetzt häuften sich neuerlich die Demonstrationen. Den Republikanern wurde vorgeworfen, die weißen Unterklassen zu hassen und vernichten zu wollen, dafür aber die Schwarzen zu lieben. Teilweise nahmen die Zeitungsartikel und Gerüchte hysterische Züge an. Dann, die endlosen Verlustlisten von Gettysburg und Vicksburg waren gerade unglücklicherweise gemeinsam mit einem neuerlichen Aufruf zum draft veröffentlicht worden, kam es zur Explosion. In verschiedenen Städten der Ostküste sammelten sich am 13. Juli 1863 irische und deutsche, polnische und italienische Migranten gemeinsam mit weißen amerikanischen Arbeitern und machten ihrem Unmut gewaltsam Luft. Bevorzugtes Ziel waren der provost marshal und seine Mitarbeiter, die den draft organisierten. Meist endeten diese Unruhen schon nach einem Tag. In Boston gelang es dem katholischen Klerus allerdings erst nach drei Tagen, die Massen zu besänftigen. Mindestens acht Menschen starben. In New York aber tobten die Unruhen vier Tage lang vom 13. bis zum 16. Juli, ohne daß Kirche, Stadt oder Staat ihrer Herr wurden. Am Ende waren weit über 100 Menschen tot, das Gros von Soldaten und Polizisten erschossen. Die Behörden stellten nur langsam Ruhe und Ordnung wieder her. Mit dem New York Draft Riot vom Juli 1863 erlosch die offene und gewaltbereite Opposition gegen die Emancipation Proclamation und den draft. Die politische Opposition aber blieb. Bei den Wahlen von 1864, so mußten Lincoln und seine Parteifreunde realistischerweise annehmen, würde sie sich wieder zu Wort melden.