Kapitel 7
TAG ACHT
Jura Korotkow fuhr direkt vom Flughafen ins Polizeipräsidium. Die Mitarbeiter der Kriminalpolizei erzählten ihm alles, was sie in den zwei Tagen, die seit der Entdeckung von Kolja Alferows Leiche vergangen waren, herausgefunden hatten.
»Gestern hat Sergej Michailowitsch mit Ihrem Vorgesetzten gesprochen, und wir haben im Zuge unserer Arbeit begonnen, die Möglichkeit des Auftragsmords zu überprüfen. Bis jetzt zeichnet sich nichts ab.«
»Welche anderen Möglichkeiten gibt es?« fragte Korotkow.
»Eifersucht und Geld. Die haben dort ein ganzes Wettbüro eingerichtet. Sie haben Wetten auf Frauen abgeschlossen, Einsatz hunderttausend Rubel. Verstehen Sie?«
»Nicht übel!« Jura lachte auf. »Und wie viele Teilnehmer?«
»Soviel wir wissen drei. Das Opfer selbst, sein Zimmernachbar Pawel Dobrynin und der Sanatoriumsangestellte Schachnowitsch.«
»Wie sieht es mit Zeugenaussagen aus?«
»Gleich am ersten Morgen befragten wir alle ohne Ausnahme, ein gutes Stück Arbeit. Die Mehrheit weiß natürlich nichts, weder über diese Sache noch über Alferow selbst. Alle, die zumindest irgend etwas wissen, hat am nächsten Tag der Leiter der Untersuchung noch mal verhört. Es sind leider nicht allzu viele.«
»Etwas genauer, bitte!« forderte ihn Jura auf.
Andrej Golowin blickte auf seinen Notizblock.
»In erster Linie Dobrynin und Schachnowitsch. Dann ein Ehepaar aus Tula, ihre Tischnachbarn, die gehört haben, wie sie die Spielbedingungen und –ergebnisse erörtert haben. Dann die insgesamt fünf Frauen, um die sich die Teilnehmer der Wette bemüht hatten. Und noch ein paar mehr, die auf die eine oder andere Weise mit Alferow zu tun hatten. Hier ist die Liste.«
Golowin legte Jura ein Blatt mit Namen, Angabe des Arbeitsplatzes und – für die Kurgäste – der Zimmernummer vor die Nase.
Beim Durchsehen der Liste blieb Korotkow sofort beim Namen ›Kamenskaja‹ hängen. Daneben stand die Anmerkung ›GUWD Moskau, Zimmer 513‹.
»Mich interessiert die Zeugin Kamenskaja«, sagte er zu Golowin.
»Kamenskaja Anastasija Pawlowna, geboren neunzehnhundertsechzig«, begann Andrej sogleich, während er in seine Aufzeichnungen blickte. »Sie kam am zwanzigsten Oktober in die ›Doline‹, die Kur hat sie schon vor längerer Zeit in Moskau gebucht, im August. Alferow selbst hat ebenfalls in Moskau gebucht, allerdings wesentlich später, Anfang Oktober, so daß kaum anzunehmen ist, daß die Kamenskaja extra hergekommen ist, um sich mit Alferow zu treffen.«
Was reimt sich denn der zusammen? dachte Korotkow entsetzt. Im Grunde ist ja alles ganz korrekt, er sollte ja auch die Leute überprüfen, die in der Sache ›Auftragsmord‹ aufgetaucht sind. Aber Nastja . . . Ist es möglich, daß sie ihnen nichts gesagt hat?
»Die Zeugin Kamenskaja ist meiner Ansicht nach«, fuhr Andrej inzwischen seelenruhig fort, »eine der wahrscheinlichsten Personen, die den Mord auf der Grundlage von Eifersucht oder Eigennutz erklären würde.«
»Erläutern Sie das«, forderte Korotkow knapp.
»Alle drei Teilnehmer der Wette haben konsequent versucht, ihr den Hof zu machen, und alle drei sind offenbar gescheitert. Aber gerade daran zu glauben fällt mir schwer.«
»Warum?«
»Wenn Sie diese Kamenskaja gesehen hätten, und außerdem Dobrynin und Schachnowitsch, hätten Sie es auch nicht geglaubt. Dobrynin und Schachnowitsch sind gutaussehende Männer, jeder auf seine eigene Art, der eine blond, der andere brünett, zwei richtige Supermänner. Und beide haben Geld. Kamenskaja dagegen ist eine unansehnliche, uninteressante, stille Frau. Bei Männern hat sie keinen Erfolg. Können Sie ernsthaft glauben, daß sie im Urlaub der Verlockung widerstehen kann, eine Affäre mit derart anziehenden Männern anzufangen?«
»Trotzdem habe ich nicht verstanden, worin Sie den Betrug sehen? Sie sagten ›offenbar ohne Erfolg‹.«
»Ich nehme an, daß die Kamenskaja auf die Werbungen, wenn nicht aller drei, so doch zumindest eines von ihnen eingegangen ist, und aus irgendwelchen Gründen haben sowohl sie als auch ihr Partner beschlossen, dies vor den anderen zu verheimlichen.«
»Und was ist Ihrer Meinung nach der geheimnisvolle Grund dafür?« Jura fiel es immer schwerer, sich zurückzuhalten.
»Die Teilnehmer an der Wette haben vereinbart, daß eine verlorene Wette den Einsatz auf genau diese Frau verdoppelt. Wenn Sie zum Beispiel als erster beginnen, einer Dame nachzustellen, so ist der Einsatz hunderttausend. Wenn Sie nichts erreicht haben, ist der Einsatz für den nächsten zweihundert. Wenn auch beim zweiten nichts rauskommt, nimmt sich der dritte bei einem Einsatz von vierhundert der Sache an. Man kann sogar eine zweite Runde eröffnen und die Einsätze entsprechend erhöhen.«
»Und?« fragte Korotkow verständnislos. »Wie hängt das mit falschen Aussagen zusammen?«
»Sehr einfach. Nehmen wir an, schon der erste Bewerber hatte bei der Kamenskaja Erfolg. Ich schließe übrigens nicht aus, daß sie sich auf sexuellem Gebiet als wesentlich attraktiver erweist als dies, äußerlich erscheinen mag. Sie und ihr Partner haben aneinander Gefallen gefunden und beschließen, die anderen reinzulegen, indem sie so tun, als wäre die Wette verloren. Natürlich hat der Spieler dabei verloren, statt zweihundert in die Tasche zu stecken, hat er hundert auf den Tisch gelegt. Aber dafür ist der Einsatz auf die Kamenskaja gestiegen, der nächste Spieler ist zum Scheitern verurteilt, und seinen Einsatz können sich die anderen aufteilen. Dasselbe Schicksal ereilt auch den dritten. Im Endeffekt kann der erste, wenn meine Berechnungen stimmen, mit seiner harmlosen Prellerei vierhunderttausend verdienen, wenn es ihm gelingt, das Spiel bis in die zweite Runde zu treiben. Ein wiederholter Versuch eines der beiden anderen Teilnehmer würde den Einsatz auf achthunderttausend erhöhen, und wenn es gelänge, auch den zweiten zu überreden, wäre der Gewinn einfach phantastisch. So eine liebevolle Art, den andern übers Ohr zu hauen, kann durchaus ein Anlaß für einen Mord sein. Die Summe ist ja, zugegebenermaßen, nicht gerade niedrig.«
»Nicht gerade niedrig«, wiederholte Korotkow. Wie verrückt das alles ist. . . Eine scharfsinnige Version, die man unbedingt prüfen sollte, wenn hier nicht die Rede von Nastja wäre.
Er riß seine Augen von der Zeugenliste los.
»Wo arbeitet die Kamenskaja?«
»Da steht es ja – bei Ihnen, im GUWD Moskau.«
»Wo genau, in welcher Abteilung?« Korotkow ließ nicht locker.
Andrej blätterte seinen Notizblock durch und versuchte angestrengt, sich an etwas zu erinnern.
»Es fällt mir nicht ein«, sagte er schließlich kleinlaut.
»Fällt es Ihnen nicht ein, oder wissen Sie es nicht?« Juras Geduld war bald am Ende.
Golowin schwieg düster. Er versuchte zu verstehen, warum dieser untersetzte Muskelprotz von der Moskauer Kripo ihm auf die Pelle gerückt war.
»Entschuldigen Sie, Genosse Major, ich sehe keinen Unterschied. Vielleicht arbeitet die Kamenskaja im Sekretariat oder in einer Berichtsgruppe, für uns ist sie eine Zeugin und nicht mehr.«
»Haben Sie ihre Papiere gesehen, oder haben Sie ihren Arbeitsplatz nur aufgrund ihrer Aussage notiert?«
»Aufgrund ihrer Aussage. Sie hat mir ihren Paß gezeigt, dort ist ihre Arbeitsstelle nicht angegeben.«
»Und Sie waren so vertrauensvoll und hatten nicht den Wunsch, ihren Dienstausweis zu sehen. Richtig?«
»Hören Sie, Jura, ich fuhr um vier Uhr morgens an den Ort des Geschehens, davor hatte ich vierundzwanzig Stunden Dienst gehabt, und statt mich ablösen zu lassen und schlafen zu gehen, befragte ich bis zum Abendessen die Leute im Sanatorium. Nein, ich hielt es für überflüssig, ihren Dienstausweis zu verlangen, weil das Zeitvergeudung gewesen wäre. Wenn es zu einem Verdacht gegen die Kamenskaja kommen sollte, wird ihre Arbeitsstelle ohnehin überprüft, und die Lüge fliegt auf. Wenn sich der Verdacht gegen sie nicht erhärtet, kann sie jede beliebige Arbeitsstelle angeben, auf ihren Status als Zeugin hat das keinerlei Einfluß. Ebensowenig auf ihre Aussagen. Am nächsten Tag hat sich der Leiter der Untersuchung mit ihr unterhalten. Es ist durchaus möglich, daß er ihre Papiere gesehen hat, und wenn ihn irgend etwas stutzig gemacht hätte, hätte er es uns sofort mitgeteilt. Hab’ ich nicht recht?«
»Nein, Andrej, Sie haben nicht recht. Ich muß Ihnen jetzt unangenehme Dinge sagen, deshalb schlage ich vor, daß wir uns ab sofort duzen.«
»Ich sehe da keinen Zusammenhang!« Golowin zog die Augenbrauen hoch.
»Damit es dir leichter fällt, mir zu antworten. Also: Kamenskaja arbeitet weder im Sekretariat noch in einer Berichtsgruppe. Anastasija ist eine erfahrene, qualifizierte Mitarbeiterin der Kriminalpolizei, sie arbeitet mit mir in einer Abteilung. Es ist ein erstaunlicher Zufall, daß sie sich schon einige Tage vor dem Verbrechen im Sanatorium aufgehalten hat. Sie hat eine große Beobachtungsgabe, sie konnte eine Menge interessanter Dinge registrieren, aber was die Hauptsache ist – sie konnte daraus noch interessantere Schlüsse ziehen. Und ich glaube nicht, daß sie nicht versucht hat, ihre Informationen mitzuteilen. Gib zu, daß sie dir ihre Hilfe angeboten hat.«
»Da war so etwas. Sie hat gesagt, daß sie sich gerne nützlich machen würde . . . Etwas in diesem Sinn.«
»Was hast du ihr geantwortet? Hast du danke gesagt?«
»Nein.«
»Nicht einmal danke hast du gesagt? Du bist mir ein Penner, Brüderchen. Was meinst du, ist sie gekränkt?«
»Ich hab’ nicht darauf geachtet. Aber ihr Gesicht versteinerte sich, das ist mir aufgefallen.«
»Das ist schlecht. Aber es besteht Hoffnung. Wenn sie dir nicht gesagt hat, daß sie in der Ermittlung arbeitet, kann man annehmen, daß sie sich darüber auch vor den anderen nicht ausgelassen hat. Das heißt, man kann versuchen, sie zu benutzen. Habt ihr einen Plan des Sanatoriums?«
Jura studierte aufmerksam den Lageplan des fünften Stockwerks. Etwas fiel ihm auf.
»Ist das Zimmer fünfhundertdreizehn ein Zweibettzimmer?«
Andrej beugte sich über den Plan.
»Allem Anschein nach ja. Sehen Sie? Die Zimmerfläche ist größer als im rechten Nachbarzimmer und ebenso groß wie im Zimmer links. In der ›Doline‹ sind die Zimmer symmetrisch angeordnet: zwei Einzelzimmer, zwei Doppelzimmer.«
»Wer ist Kamenskajas Zimmerkollegin?«
»Sie ist allein in dem Zimmer, sie hat keine Zimmerkollegin.«
»Und die Nachbarn links und rechts?«
»Rechts ist eine niedliche alte Frau, eine alte Lehrerin unserer Musikschule, Regina Arkadjewna Walter. Links ein Ehepaar aus Kramatorsk, der Mann ist technischer Direktor eines Betriebs und die Frau Buchhalterin.«
»Mit dem Ehepaar aus Kramatorsk wird sie kaum Kontakt haben«, sagte Korotkow nachdenklich. »Die alte Musikerin ist eine passendere Gesellschaft für unsere Kamenskaja. Bitten wir sie, mich mit Anastasija bekanntzumachen.«
* * *
Regina Arkadjewna reagierte sofort auf das Klopfen und lächelte die Eintretenden freundlich an.
»Guten Tag, Regina Arkadjewna, erinnern Sie sich an mich? Ich heiße Golowin, ich habe mich vor einigen Tagen mit Ihnen unterhalten.«
»Guten Tag, mein Lieber, natürlich erinnere ich mich. Und das«, sie deutete auf Korotkow, »ist wohl Ihr Kollege?«
»Völlig richtig. Ich heiße Jura, ich arbeite ebenfalls bei der Kriminalpolizei. Regina Arkadjewna, wir haben eine etwas ungewöhnliche und äußerst delikate Bitte. Sie müssen verstehen, es geht um einen Mord, das ist eine ernsthafte Sache, und wir rechnen sehr auf Ihre Hilfe.«
»Mein Gott!« Die Alte lachte auf. »So eine lange Einleitung, als wollten Sie mich um Geld bitten.«
»Wir möchten Sie bitten, uns mit Ihrer Nachbarin bekanntzumachen.«
Regina Arkadjewna konnte ihr Erstaunen nicht verbergen.
»Mit Nastjenka? Aber wozu diese Umstände? Nastja ist ein entzückendes Geschöpf, sehr freundlich. Sie können einfach an ihre Tür klopfen, sie wird Sie nicht rauswerfen. Wozu brauchen Sie meine Vermittlung?«
»Jura hat doch schon gesagt, Regina Arkadjewna, daß die Sache delikat ist. Wir möchten nicht, daß Ihre Nachbarin erfährt, daß Jura bei der Polizei arbeitet. Deshalb brauchen wir eine falsche Identität, und wir bitten Sie, bei dieser falschen Biographie mitzuspielen. Stellen Sie ihr Jura als Ihren Schüler oder Verwandten vor. Egal was, nur nicht als Polizisten.«
Die Frau setzte sich umständlich hin, und blickte erst Korotkow und dann Golowin aufmerksam an.
»Soll ich das so verstehen, daß Sie Nastja in irgendeiner Weise verdächtigen? Wozu brauchen Sie sonst diese ganze Maskerade?«
»Liebe Regina Arkadjewna«, beschwor sie Andrej mit verschränkten Armen, »nötigen Sie mich nicht, Berufsgeheimnisse zu verraten. Ich würde die Achtung vor mir selbst verlieren. Wenn Sie uns nicht entgegenkommen wollen, bitte ich Sie, unsere Begegnung zu vergessen und wende mich mit meiner Bitte an jemand anderen. Obwohl Ihre Weigerung, ehrlich gestanden, alles komplizierter machen würde. Sie sind ideal, Sie kennen die Kamenskaja, ihre beruflichen Interessen liegen weit voneinander entfernt, Sie sind Musikerin und sie ist Übersetzerin, somit wird Ihr harmloser Betrug niemals auffliegen. Aber der Untersuchung würden Sie sehr weiterhelfen.«
»Gut, ich werde tun, was Sie wünschen. Aber Sie bringen mich in eine äußerst unangenehme Situation. Meine Nachbarin ist mir sehr sympathisch, mehr noch, sie ist eine wunderbare Frau, sie ist äußerst klug und sehr gebildet. Sie wissen vielleicht nicht, daß sie fünf europäische Sprachen beherrscht. Sie ist in jeder Hinsicht ein wertvoller Mensch. Wenn Sie Gründe haben, ihr mit Mißtrauen zu begegnen, so ist das Ihre Sache. Das ist schließlich Ihre Arbeit. Aber ich habe solche Gründe nicht. Und es wird mir sehr, sehr schwerfallen, sie zu hintergehen. Ich bin schon siebenundsechzig, in diesem Alter braucht man gewichtige Gründe, um einen jungen Menschen zu betrügen. Versetzen Sie sich in meine Lage: Ich mache Sie mit Nastjenka bekannt, Ihre Beziehungen entwickeln sich in eine bestimmte Richtung, Sie erzählen ihr weiß Gott was alles, und dann kommt sie und beginnt, mir von meinem angeblichen Schüler zu erzählen, sie erzählt mir seine Lebensgeschichte und sagt mir, ob er ihr gefällt oder nicht. Übrigens ist sie ein höflicher Mensch, und wenn Sie ihr nicht gefallen, wird sie das nicht offen sagen. Aber was ist meine Rolle dabei? Zuhören und der offenkundigen Lüge zustimmen? Und mich wie der letzte Dreck fühlen? Ich habe schon gesagt, daß ich Ihnen Ihre Bitte nicht abschlage. Aber ich möchte, daß Sie sich darüber im klaren sind, was Sie von mir verlangen. Gehen Sie, Andrej, wir brauchen Sie nicht mehr, Jura und ich werden uns jetzt überlegen, wie wir die Sache inszenieren.«
* * *
Nastja hielt ihr Wort, das sie dem Arzt gegeben hatte, und machte seit dem Morgen alle im Kurpaß aufgeführten Behandlungen: Schlammpackungen, Massage, Schwimmen, und nach dem Essen machte sie sich zu einem Spaziergang fertig. Die Tür, die vom Zimmer der Nachbarin auf den Balkon hinausführte, war leicht geöffnet, und Nastja hörte gedämpfte Stimmen. Während sie die Turnschuhe anzog und sich einen langen weißen Schal um den Hals legte, trat ein Mann auf den Balkon und sagte ziemlich laut zu Regina Arkadjewna: »Ist ja recht, Tante Rina, murren Sie nicht, ich rauche auf dem Balkon. Oh, ist das kalt! Sie sind keine Tante, sondern eine Giftschlange, Sie sind fähig, Ihren einzigen Neffen zu quälen.«
Nastja erstarrte mit der Jacke in der Hand. Jura! Jura Korotkow ist da! Das süße Knüppelchen! Was hatte er diesmal für eine Intrige gesponnen? Soll ich warten, bis Jura mit seiner Geschichte daherkommt, oder soll ich mich als erste bei ihm vorstellen?
Nastja beschloß abzuwarten. Das Auftauchen Juras auf dem Balkon deutete sie nicht als Einladung, sondern als Warnung, damit sie, Nastja, sich im entscheidenden Moment nicht verriet. Und wenn sie sich schon Zeit ließ, dann richtig, dachte Nastja, und machte sich auf zu ihrem Spaziergang.
Die Bekanntschaft kam kurz vor dem Abendessen zustande, nachdem Nastja einen ausgiebigen Spaziergang gemacht hatte und mit ihrem Arbeitspensum zufrieden war. Jura Korotkow wurde ihr als Regina Arkadjewnas Neffe vorgestellt. Nastja gab sich gelangweilt und äußerte den Wunsch, sich möglichst schnell zurückzuziehen.
»Darf ich Sie nach dem Abendessen auf einen Spaziergang einladen?« fragte der Neffe Jura galant.
»Danke«, antwortete Nastja mit matter Stimme. »Ich war heute schon spazieren.«
»Und zum Tanz? Tanzen Sie?« Der Neffe blieb hartnäckig.
»Ich tanze nicht. Aber ich kann tanzen. Freilich macht mir das keinen Spaß und langweilt mich, aber ich kann meinen Körper wenn nötig zwingen, Tanzfiguren zu vollführen. Ich selbst, Nastja Kamenskaja, tanze nicht.«
Zu Nastjas Glück betrat Damir ohne zu klopfen Reginas Zimmer.
»Ich hoffe, ich störe nicht?« Er blickte fragend die Lehrerin und dann Nastja an, während er Jura demonstrativ ignorierte.
»Natürlich, Jura, ich gehe mit Vergnügen mit Ihnen tanzen«, zwitscherte Nastja. »Wissen Sie was? Gehen wir zu mir, trinken wir Kaffee statt zu Abend zu essen und danach gehen wir zum Tanzen. Regina Arkadjewna und Damir Lutfirachmanowitsch können sich auch ohne uns unterhalten.«
Regina Arkadjewna und Damir konnten nicht einmal den Mund aufmachen, da hatte Nastja Korotkow schon mit einem schelmischen Lächeln an der Hand genommen und war verschwunden. Durch die Tür hörte sie noch:
»Laß dir das eine Lehre sein, Damir. Du hast keine Ahnung, wie man einer Frau den Hof macht. Der schnappt sie dir direkt vor der Nase weg.«
In ihrem Zimmer führte Nastja Korotkow ins Bad und ließ endlich einem hysterischen Lachen freien Lauf, wobei sie ihr Gesicht in seinem dicken Pullover verbarg. Als sie sich beruhigt hatte, gingen sie ins Zimmer. Nastja machte den Wasserkocher an und fragte flüsternd:
»Sollen wir jetzt reden oder warten wir bis zum Tanzen?«
»Besser beim Tanzen«, antwortete Jura ebenso leise. »Jetzt reden wir einfach drauf los. Die Balkontür deiner Nachbarin ist offen, erzähl mir von dem Roman, den du übersetzt. Möglichst ausführlich und mit Kommentaren. Damit es lustig wird.«
Die Zeit verging so langsam, daß Nastja schon auf den Flur hinausgehen und den Uhrzeiger vordrehen wollte, damit sie endlich zum Tanzen gehen konnten. Noch mehr als eine Stunde bis dahin!
Schließlich waren sie auf der Tanzfläche, wo sie eng umschlungen langsam von einem Fuß auf den anderen traten und sich daran freuten, daß die Musik so laut war, obwohl sie das ansonsten gestört hätte. Wange an Wange und den Mund direkt am Ohr des Partners unterhielten sich Nastja Kamenskaja und Jura Korotkow.
»Gut, daß Damir gekommen ist. Andernfalls wäre ich gezwungen gewesen, auch das Tanzen zu verweigern.«
»Wieso? Willst du deinen Ruf wahren?«
»Eigentlich schon. Erstens war ich die ganze Woche kein einziges Mal tanzen, und es wäre schon komisch, wenn ich jetzt mit dir tanzen ginge. Zweitens geht man davon aus, daß ich mit Damir ein Verhältnis hatte und er mich sitzengelassen hat. Deshalb tue ich so gelangweilt und reagiere nicht auf deine Vorschläge. Ich will nicht Spazierengehen oder ins Kino oder zum Tanzen. . . Aber nein, Damir kam vorbei, und sofort wollte ich mit dir zum Tanzen gehen. Ein ideales Zusammentreffen.«
»Nun gut, und wenn dieser Damir nicht gekommen wäre?«
»Ich hätte abgewartet, was weiter passiert. Dem Tanzen hätte ich natürlich nicht zugestimmt, aber du hättest begonnen, mich auszufragen und auf jede erdenkliche Weise zu provozieren . . ., stimmt’s? Und ich hätte nachgegeben. Jetzt erklär mir, was das alles zu bedeuten hat.«
Sie redeten fast eine Stunde und verstummten nur dann, wenn die Musik leiser wurde. Dann gingen sie in die Bar. Natürlich hätte Nastja es vorgezogen, in den Park zu gehen, aber dafür hätte sie in ihr Zimmer gehen und sich Jacke und Schal holen müssen. Das hätte jedoch ein Zusammentreffen mit Regina Arkadjewna zur Folge gehabt, und dazu war Nastja noch nicht bereit.
Jura konnte einfach nicht glauben, was Nastja erzählte.
»Versteh doch, Jura, ich will mit diesen Leuten nichts zu tun haben. Ich will es nicht und damit basta. Komm, lassen wir das.«
»Aber Nastja, das ist doch töricht. Das ist richtig kindisch«, sagte Korotkow unwillig. »Du, eine erwachsene kluge Frau, kannst nicht ernsthaft auf deinen Kollegen sauer sein. In Ordnung, jemand hat im falschen Ton mit dir gesprochen! Und jetzt wirst du dich aufhängen, oder was?«
»Warum sollte ich mich aufhängen?« Nastja lächelte verhalten. »Es kann doch sein, daß ich einfach nichts mit ihnen zu tun haben will. Genauso verhalte ich mich. Die haben nicht einfach im falschen Ton mit mir gesprochen. Hinausgeworfen hat man mich wie einen Bettler, der mit ausgestreckten Händen an der Tür einer Luxusvilla klopft.«
»Nastjenka, sie haben schon alles begriffen und eingesehen und sind bereit, deine Hilfe anzunehmen. Sie haben ja nicht gewußt, daß du aus Gordejews Abteilung kommst.«
»Sie wollten es auch nicht wissen. Bei denen ist die Devise ›Alle Weiber sind doof‹ ein Lebensprinzip. Sie sind gute Menschen und qualifizierte Fachleute. Aber Menschen, die nach dieser Devise leben, sind mir unangenehm. Sie sind mir zuwider. Mögen sie lange und glücklich leben, gebe Gott ihnen Gesundheit und Segen, aber zwinge mich nicht, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich werde ihnen nicht behilflich sein.«
»Nastja, was willst du damit erreichen? Daß der Polizeichef vor dir auf die Knie fällt? Bist du dann dazu bereit?«
»O nein.« Sie lächelte verschmitzt. »Sie kommen zu spät. Wenn sie heute, vor deiner Ankunft, ganz einfach zu mir gekommen wären, das wäre etwas anderes. Glaubst du, ich habe nicht mit mir selbst gerungen? Denkst du, ich habe nicht versucht, sie zu rechtfertigen? Von Anfang an, seit dem Augenblick, wo sie Knüppelchens Bitte nicht nachgekommen sind und mich nicht vom Bahnhof abgeholt haben.«
»Aber das Zimmer haben sie dir doch besorgt, wie sie es versprochen hatten.«
»Ja? Nichts haben sie gemacht. Ich mußte darum bitten und mich erniedrigen.«
»Aber du wohnst doch allein in einem geräumigen Zimmer«, wunderte sich Jura.
»Ja, gegen Bestechung«, antwortete Nastja. »Also, ich habe mir alle möglichen Rechtfertigungsgründe für deinen Freund Golowin und für den Leiter der Untersuchung ausgedacht, ich habe lange gewartet, aber dann habe ich mir überlegt: Wozu eigentlich? Die Leute sind überzeugt, daß sie alleine zurechtkommen, warum soll ich mich ihnen als Frau mit meiner Hilfe aufdrängen? Wenn sie mich brauchen, werden sie freiwillig kommen. Und ich werde mich nicht zieren und schmollen und die gekränkte Unschuld spielen. Wenn sie mich bitten, helfe ich.«
»Aber sie bitten dich ja. Was bist du denn so stur?«
»Nein, Korotkow, nicht sie bitten mich. Du bittest mich. Sie hielten es nicht für notwendig, ihren Arsch vom Stuhl zu erheben und mit mir normal zu reden. Meinetwegen müssen sie sich nicht entschuldigen, aber wenigstens reden! Ach was, das ist unter ihrer Würde, eine Frau um etwas zu bitten. Dir, Jura, schlage ich nichts aus. Darauf kannst du dich verlassen. Aber bedenke, sobald du hier fertig bist und abreist, erfahren sie von mir kein Wort. Ich denke, es wird besser sein, daß du sie rechtzeitig darauf vorbereitest, damit es nachher keine Mißverständnisse gibt. Und nimm meine Hand, sonst wird unser Gespräch zu angespannt, und wir wirken wie in einer Diskussionsrunde.«
* * *
Damir begriff nicht gleich, was Kotik von ihm wollte.
»Du mußt weiterhin der Kamenskaja den Hof machen. Verbring so viel Zeit wie möglich mit ihr.«
»Aber das ist gefährlich. Ich sage dir, die Kripo interessiert sich für sie, ich habe es rein zufällig erfahren. Sie hegen irgendeinen Verdacht und beobachten sie. Wenn ich um sie herumscharwenzle, nehmen sie sich auch mich vor. Aua!« Damir verzog wehleidig das Gesicht.
Kotik, der gekonnt Damirs Beine massierte, lachte zufrieden. Er wollte, daß es weh tat.
»Das kannst du schon aushalten, stell dich nicht so an«, antwortete er dennoch sanft. »Sie können sie wegen allem Möglichen verdächtigen: Diebstahl, Erpressung, Prostitution, Drogenhandel. Oder in der Sache, wofür sie eigentlich uns verdächtigen sollten. Verstehst du? Das ist eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen dürfen. Vielleicht ist alles umsonst. Aber vielleicht auch nicht. Wenn der Bulle um deine Dame herumscharwenzelt, weil er glaubt, daß sie etwas mit den Vorfällen im Sommer und den Vorfällen jetzt zu tun hat, haben wir die Möglichkeit zu erfahren, in welche Richtung sie ermitteln und was sie wissen. Verstanden? Man muß sie nur ausfragen.«
»Ich weiß nicht, Kotik, ob ich das kann. Ich habe nichts, womit ich sie halten könnte. Sie interessiert sich überhaupt nicht für mich«, beschwerte sich Ismailow.
»Wie bitte?« Kotik unterbrach die gleichmäßigen Massagebewegungen und richtete sich auf. »Habt ihr etwa nicht. . .«
»Eben nicht. Ich hab’ das Gefühl, daß sie sich über mich lustig macht. Verstehst du, sie erlaubt alles, ist kein Rührmichnichtan, aber irgend etwas hindert mich. Ich kann nicht sagen, was es ist, aber irgend etwas hindert mich.«
»Vielleicht war sie zu Scherzen aufgelegt, solange sie geglaubt hat, daß sie fest im Sattel sitzt. Aber jetzt, wo die Kripo hinter ihr her ist, wird sie nichts zu lachen haben. Jetzt wird sie anfangen, freundschaftliche Teilnahme und Mitgefühl schätzenzulernen, du wirst sehen. Mach dich nicht klein, Damir! Dreh dich um, ich massiere dir den Rücken.«
* * *
Eduard Petrowitsch schnitt ein Stück Fleisch ab, tunkte es in die Sauce und schob es in den Mund. Seine Tischgenossen, der Leiter des Aufklärungsdienstes Starkow, der Leiter des Abwehrdienstes Kriwenko und ein Mitarbeiter der Polizeidirektion, kauten konzentriert. Das Fleisch war herrlich zubereitet, die Sauce hervorragend, das Gemüse frisch, der Wein von einem guten Jahrgang. Fisch und Fleisch bereitete Denissow immer selbst zu. Er machte das mit viel Liebe und sehr gekonnt. Alles übrige überließ er Alan, dem ehemaligen Chefkoch eines großen Restaurants, einem Kenner der kulinari-schen Geheimnisse und fast ein Mitglied der Familie: Alan wohnte bei Denissow, in einem der vielen Zimmer, die durch das Zusammenlegen von 5 Wohnungen eines Stockwerks entstanden waren.
Nach dem Hauptgang servierte Alan Kaffee und Tee in Denissows Kabinett und machte sich daran, das Geschirr im Speisezimmer abzuräumen. Die vier Männer erhoben sich und gingen in das Nebenzimmer. Bei einer Tasse Tee begann die Erörterung der Fragen, wegen derer sie sich hier versammelt hatten.
»Ich beginne mit der dritten Frage, da sie, wie mir scheint, für die beiden anderen entscheidend ist«, begann der Mann mit der Brille.
Denissow nickte zustimmend.
»Anastasija Pawlowna Kamenskaja, die im Sanatorium ›Doline‹ das Zimmer 513 bewohnt, ist Mitarbeiterin der Kriminalpolizei in Moskau. Sie kam ins Sanatorium, um sich zu erholen und behandeln zu lassen, sie hat keinerlei sonstige Aufgaben. Sie wird von den Moskauer Kollegen hoch geschätzt, die ihren außergewöhnlichen Verstand, ihre Kombinationsgabe und ihre analytischen Fähigkeiten hervorheben. Kamenskaja hat eine scharfe Beobachtungsgabe, sie konnte wichtige Schlüsse aus vielen Kleinigkeiten ziehen, die ihr während ihres Aufenthaltes im Sanatorium aufgefallen waren. Aber all das ist fruchtlos versickert, weil meine Kollegen nicht in der Lage waren, sich mit ihr zu verständigen. Kamenskaja hat ihnen ihre Hilfe bei der Morduntersuchung angeboten, aber ihr Angebot ist nicht aufgegriffen worden. Bis jetzt sieht es so aus, daß sie gekränkt ist und sich kategorisch weigert, mit unserer Ermittlung zusammenzuarbeiten. Das dazu.«
»Kommen Sie zur zweiten Frage. Was ist nötig, um die Mordsache in der ›Doline‹ abzuschließen?«
»Ich habe mit dem Leiter der Untersuchung gesprochen. Er stimmte mir zu, daß die STADT nicht noch einen weiteren unaufgeklärten Mord gebrauchen kann. Es sind jetzt schon zu viele. Die wahrscheinlichsten Erklärungen lauten: ein Auftrag aus Moskau oder eine Abrechnung in Geldangelegenheiten. Was die Version mit dem Auftragsmord angeht, so ist Major Korotkow von der Moskauer Kripo eingetroffen. Er wird so lange hierbleiben, bis diese Möglichkeit entweder bestätigt oder verworfen ist, mit anderen Worten, bis das Verbrechen aufgeklärt ist. Wir können diesen Major hier nicht brauchen, deshalb haben wir uns entschlossen, den Ermittlungen etwas nachzuhelfen und das Verbrechen so schnell wie möglich nach formalen Kriterien aufzuklären. Dafür brauchen wir dies hier.« Er reichte Denissow einige zusammengeheftete handbeschriebene Blätter Papier.
»Jetzt zur letzten Frage: Wie kann man klären, was in der ›Doline‹ vor sich geht und wer Alferow wirklich getötet hat? Unsere Möglichkeiten reichen hierfür nicht aus. Ich schlage vor, Eduard Petrowitsch, darüber nachzudenken, ob wir nicht die Kamenskaja dafür benutzen sollten.«
»Keine schlechte Idee. Sprechen wir darüber.«
Mit diesen Worten blickte Eduard Petrowitsch Denissow Starkow und Kriwenko mit einem breiten Lächeln an und schenkte sich die zweite Tasse Tee ein.
* * *
Korotkows Idee war einfach und in vielfacher Hinsicht dienlich. Nachdem er Nastja zu einer verdächtigen Person gemacht hatte, für die sich die Moskauer Kriminalpolizei interessierte, noch dazu geheim und noch dazu unmittelbar nach dem Mord an dem Moskauer Alferow, wollte er die Verbrecher noch mehr verwirren, vorausgesetzt natürlich, daß sie irgendwo in der Nähe waren. Jura hoffte, daß die an dem Mord beteiligten Personen versuchen würden, sich an Nastja heranzumachen, um aus erster Hand Informationen darüber zu bekommen, in welche Richtung die Ermittlungen gingen und was die Polizei wußte. Wenn sein Plan funktionierte, so konnte man versuchen, durch die Kamenskaja gezielt Fehlinformationen zu streuen. Außerdem beabsichtigte Jura, gezielt Fehlinformationen über Nastja und über sich selbst zu verbreiten. Sie sei eine undurchsichtige Person, die man wegen irgendeiner Sache im Verdacht habe, man könne sich also ausrechnen, daß sie nicht bei der Polizei arbeite. Wenn auch irgendwelche Gerüchte in dieser Richtung durchgesickert waren – jetzt sollte allen klar sein, daß das nicht stimmte. Er, Major Korotkow, Mitarbeiter der Moskauer Kripo, würde durch sein offensichtliches Interesse an Anastasija Kamenskaja seine wahren Absichten verbergen.
Die Möglichkeit eines Auftragsmords wies in zwei Richtungen. Erstens: Alferow wurde von seinen eigenen Leuten auf Befehl des Generaldirektors der Firma ›Nord Trade Ltd.‹ getötet, weil der Fahrer mehr wußte, als er wissen sollte, und aus irgendeinem Grund gefährlich geworden war. Zweitens: Die Ermordung des Fahrers war ein Versuch, den Generaldirektor einzuschüchtern, eine Warnung von Konkurrenten oder Erpressern. Korotkow hatte aus Moskau eine präzise Beschreibung der Leute mitgebracht, die in der einen oder anderen Weise den Auftrag ausgeführt haben könnten und seiner Meinung nach versuchen würden, mit Nastja Kontakt aufzunehmen. Der Köder sollte auch dann locken, falls das Motiv für den Mord ein völlig anderes war, der Mörder sich aber nach wie vor in der STADT aufhielt. Freilich konnte dieser ganze Plan in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus, wenn sich die alte Zimmernachbarin als zu verläßlich erwies und den Mund hielt. Dann würde niemand erfahren, daß sich insgeheim die Kriminalpolizei für Nastja interessierte. Das konnte man keinesfalls zulassen. Nastja und Korotkow dachten darüber nach, wie man Regina Arkadjewna provozieren und irgendwie zum Plaudern bringen könnte.
»Vielleicht sollten wir es nicht so kompliziert machen, sondern sie einfach darum bitten?« schlug Jura vor.
»Ausgeschlossen. Du hast ihren Lieblingsschüler Ismailow vergessen. Ihm erzählt sie es hundertprozentig, sie ist ja keine Agentin, sondern eine gewöhnliche alte Frau mit normalen menschlichen Gefühlen. Vor ihm wird sie es nicht verbergen. Nein, Regina werden wir benutzen müssen, ohne daß sie es merkt. Soll Ismailow ruhig denken, daß ich eine Übersetzerin mit einer dunklen Vergangenheit bin.«