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Vater Guillermo hielt sich mit Basketball fit. Sein Gesicht war umrahmt von schwarzen Locken und ebenso blass, ernst und müde wie das eines byzantinischen Engels. „Tochter Julian. Dem gütigen Herrn sei Dank.“

Ich verzog das Gesicht, aber wenn überhaupt jemand damit durchkam, mich so zu nennen, dann er. „Morgen, Vater. Ihr habt angerufen?“ Ich spürte die Dunkelheit in meinem Rücken, als ich aus der kühlen Nacht über die Türschwelle hinein in die Stille des Seminars trat. Saul folgte mir mit leisen Tritten und bleckte dem Priester die Zähne zum Gruß. Bereits daran gewöhnt, blieb der völlig ungerührt. Werwesen sind nicht gut auf die Kirche zu sprechen, und das konnte ich ihnen, weiß Gott, nicht verdenken. Irgendwo hat jede Spezies ihre Grenzen, wenn sie zu lange verfolgt worden ist.

Der Umstand, dass nicht alle Wer so ganz unschuldig waren, war natürlich auch keine große Hilfe. Trotzdem, die Inquisition hatten sie nicht verdient.

Niemand hatte das verdient, zumindest wenn man mich fragt. Und auch die andere Hälfte von Sauls Vorvätern hatte unter den Christen gelitten.

Daran erinnern sie sich noch gut, draußen im Reservat.

„Ich bin froh, dass du gekommen bist.“ Wenigstens war Guillermo immer froh, mich zu sehen. Von allen Priestern, mit denen ich bisher zu tun gehabt hatte, war er mir mit Abstand der liebste. „Wir haben … schon wieder einen.“

War mir klar, warum hättest du mich sonst rufen sollen. Aber ich hielt mich zurück. Wenn ich eine Klasse Frischlinge unterrichtet hatte, hatte ich immer schlechte Laune. „Alter, Geschlecht, Details, Vater. Ihr wisst ja, wies läuft.“

Er schloss die hohe, schmale Tür und sperrte mit zitternden Händen ab. Der Geruch von Weihrauch, Kerzen, Männern, die zusammenlebten, und dem eigenartigen Muff Marke Katholisch stieg mir in die Nase. Mein Herzschlag beschleunigte sich, und Saul rempelte mich auf ein Neues an. Diesmal streichelte seine Hand über dem dicken Leder meines Mantels meine Hüfte. Die kurze Berührung war beruhigend, dennoch wich ich zurück, um dem langen schwarzen Gewand des Priesters nachzueilen. Seinem gefassten Gesichtsausdruck und der beiläufigen Geste, mit der er seinen Rosenkranz berührte, zum Trotz zog Guillermo eine Woge säuerlicher Angst hinter sich her. Genau genommen klammerte er sich regelrecht an die geweihte Kette, sobald er die Tür vollständig verriegelt hatte, und ließ sie zittrig durch die nervösen braunen Finger gleiten.

„Vierundzwanzig, männlich. Das … es ist merkwürdig.“

Männlich? Das war ein wenig merkwürdig. Statistisch betrachtet sind Frauen viel anfälliger für Besessenheit, das Verhältnis ist etwa siebzig zu dreißig. Die Katholiken schieben es auf die Erbsünde. Ich sehe den Grund darin, von Geburt an eingetrichtert zu bekommen, ein Opfer zu sein. Dazu kommt, dass das Vorkommnis an psychischer Begabung bei Frauen weit häufiger ist – ebenso oft gekoppelt mit unzureichender Schulung dieser Begabungen. Ein Verdienst unserer rational geprägten Gesellschaft! Wir würden uns wohl einfach darauf einigen müssen, dass wir geteilter Meinung waren, die Katholiken und ich. „Inwiefern merkwürdig?“ Ihr habt hier drin schon jede denkbare Form von Besessenheit gesehen, Vater. Was ist an dieser so besonders?

Obwohl ich zugeben muss, dass Besessenheit tatsächlich bestimmten Mustern folgt, genau wie alles andere auch. Die meisten Opfer sind fanatisch religiös, aber unschuldig. Im Gegensatz zu Tradern, die den Vorteil eines Vertrags genießen, der sie davor bewahrt, „besetzt“ zu werden – egal wie schlecht sie auch die übrigen Bedingungen ausgehandelt haben mochten. Denn der Arkeus, der die Abmachung unterzeichnet, hat für gewöhnlich das Nachsehen, falls der Trader ins Kittchen wandert und exorziert wird. Es ist also völlig in ihrem dämonischen Interesse, in dieser Hinsicht einen guten Vertrag abzuschließen. Interessanterweise gehören die meisten Opfer von Besessenheit zur Mittel- oder Oberschicht – die Armen scheinen für diese Besatzer nicht interessant zu sein. Wenigstens in dieser Hinsicht waren es einmal nicht die Verlierer der Gesellschaft, die den Räubern zum Opfer fielen.

Die Schritte des Priesters hallten durch den Raum, meine tappten leise hinterher, und Sauls machten keinen Laut. „Diesmal ist es anders“, beharrte Guillermo. „Es ist … einfach anders.“

Allmählich hasse ich diesen Satz. Ich bemühte mich, mein Temperament zu zügeln. Endlich erreichten wir das Ende des Ganges, und anstatt nach rechts in Richtung Keller abzubiegen, ging der Kirchenmann nach links und führte uns zu einer kleineren Hauskapelle. Ich konnte sehen, dass der Eingang mit einem dicken Balken verbarrikadiert war, an dem ein Rosenkranz baumelte, der von dem wie auch immer gearteten elektrischen Strom dahinter in Aufruhr versetzt wurde.

Oh-oh. Schlechte Neuigkeiten. Warum haben sie das Opfer nicht runter in die Exorzismuskammer gebracht? „Gui? Wollt Ihr mir vielleicht auf die Sprünge helfen? Warum sind wir nicht auf dem Weg in die Kammer?“

„Bei dem Opfer handelt es sich … um einen der Schüler, Jillian. Es ist Oscar.“

Jetzt raste mein Herz einen weiteren Tick schneller. Ich kannte Oscar nicht, aber der verklärt-schockierte Ton in Vater Guillermos Stimme machte mir Sorgen. „Ein besessener Seminarschüler?“

„Zur Abendandacht fehlte er. Vater Rosas hat ihn dann hier drin gefunden.“

Der große dicke Rosas also, der immer gut aufgelegt war. Ich begutachtete die hohen, spitz zulaufenden Türen der kleinen Kapelle. Der Balken ruhte in eisernen Halterungen, die seit dem großen Dämonenausbruch von 1929 nicht mehr benutzt worden waren. Das war ja nun wirklich mal ein übles Jahr für die Jäger dieser Welt gewesen, „Wo ist Vater Rosas jetzt?“

„Vater Ignatius hat ihn ins Krankenhaus gebracht. Er hatte einen Herzanfall. Als ich die Kapelle betrat, sah ich Oscar, wie er … schwebte. Und etwas in einer fremden Sprache brabbelte. Als ich den Namen des Herrn nannte, schrie er vor Schmerzen laut auf. Ich bin gleich wieder hinausgerannt, habe die Tür verrammelt und dich gerufen. Die übrigen Schüler sind auf ihren Zimmern. Vater Rourke hält dort mit seiner Armbrust Wache.“

Das Zischen eines Streichholzes war zu hören, und für einen kurzen Moment fiel flackerndes Licht auf die schwarz-weißen Fliesen des hohen, engen Ganges. Saul hatte sich eine Charvil angesteckt.

Um Himmels willen, Saul. Aber ich ließ es gut sein. Er hatte mehr als einen Grund, die Kirche zu verabscheuen. Guillermo sagte nichts, sondern deutete lediglich auf die Kapellentür. „Er ist da drin. Bitte, hab Erbarmen. Wenn er … wenn …“

Nickend griff ich nach der Hand des guten Priesters. Seine Finger waren so fest um den Rosenkranz geschlungen, dass es ein wahres Wunder war, dass seine Gelenke nicht quietschten. „Schon gut.“ Mit der anderen Hand zeigte ich auf eine Bank an der gegenüberliegenden Wand. Dort konnte er sitzen und wäre in Sicherheit für den Fall, dass die Tür aufgeschmettert wurde – und außer Sichtweite, falls das Ding da drin und nicht ich sie aufsprengen würde. „Setzt Euch da hin. Behaltet Euren Rosenkranz bei Euch und wiederholt das Ave Maria. In Ordnung?“ Das würde ihn beschäftigen und ihm außerdem einen gewissen Schutz gewähren – eine Göttin anzurufen ist eins der ältesten Heilmittel gegen das Böse. Gui hatte mir einmal gestanden, dass er Gott liebte, natürlich – aber Maria war seine Fürbitterin, und ein Jesuit steht der Marien Verehrung ohnehin näher als andere.

Das war nur einer der Gründe, weshalb ich Gui mochte. Das und seine Vorliebe für selbstgebrautes Bier.

Gern hätte ich ihm gut zugeredet, aber welcher Priesterwürde schon wollen, dass ausgerechnet ich das tat? Ich bin Jägerin und dazu verdammt, zur Hölle zu fahren – oder wenigstens ins Fegefeuer –, selbst wenn die Kirche insgeheim die Ausbildung von nicht gerade wenigen von uns finanziert.

Guillermo nickte. „Sei … hab Mitleid mit ihm, Julian.“

„Ihr kennt mich, Vater. Ich bin ein regelrechter Engel der Barmherzigkeit.“ Sobald die Worte meinen Mund verlassen hatten, bereute ich sie bereits. Er verzog das Gesicht und seine tapfere Maske bröckelte ein wenig. In diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ihn diese Sache wirklich mitgenommen hatte, und bekam ein noch schlechteres Gewissen. „Geht und setzt Euch, Gui. Ich verspreche Euch, dass ich mich um ihn kümmern werde.“

Kurz darauf, nachdem der Priester aus dem Weg war und fleißig seine Gebete murmelte, warf Saul mir einen Blick zu. „Bereit?“ In seiner Hand, die lässig auf dem Balken lehnte, qualmte noch immer die Zigarette. Mit den Fingern fuhr er über den baumelnden Rosenkranz – die Holzperlen waren angesengt.

Heiliger Bimbam! Was zum Teufel geht hier vor?

Ich griff nicht nach der Peitsche. Stattdessen stahlen sich die Finger meiner Linken zu meinem rechten Handgelenk.

Sauls Augen weiteten sich ein wenig. Schweigend ließ er die Zigarette zu Boden fallen, trat darauf und drückte sie aus.

Die Narbe brannte und vibrierte unter ihrem Reif. Mein linkes Auge – das blaue und clevere – wurde trocken. Ich fixierte den schwingenden Rosenkranz, dessen kleines Kreuz leise gegen die Tür pochte. Je mehr ich mich näherte, desto heftiger schaukelte es.

Tap. Tap. Tap.

Ich holte tief Luft. Saul hob die Hand, das Jagdmesser mit dem Knochengriff flach gegen den Unterarm gepresst. Sei vorsichtig, sagte sein Blick, obwohl seine Lippen die Worte nicht einmal formten. Seiner Ansicht nach wäre das einer Beleidigung gleichgekommen, weil es bedeuten würde, dass er mir nicht zutraute, alleine auf mich aufpassen zu können. Werwesen sind da empfindlich.

Dass er meinen Stolz nicht verletzen wollte, bescherte mir ein warmes Kribbeln im Bauch. Für einen Wer war das ein Riesenlob.

Ich legte das Armband ab. Plötzliche Frische drang an die Narbe und ließ mich scharf die Luft einziehen.

Ob Perry es mitbekam – in seinem Büro im Monde vielleicht, oder seinem Apartment über der Tanzfläche, den Blick starr auf die Wände oder einen leeren Stuhl gerichtet –, wenn so etwas passierte? Ich hatte nie danach gefragt.

Und ich wollte es auch gar nicht wissen.

Die Farben wurden intensiver, die beißende Kälte prallte gegen meinen Gaumen, so empfindlich war meine Haut auf einmal für die leichteste Brise. Meine Sehkraft schärfte sich, und die Dunkelheit nahm Farbe und Gewicht an, während neue Stärke meine Glieder durchflutete.

Wie üblich war das Beunruhigendste daran, wie gut es sich anfühlte. Aus dem Nichts erhob sich ein warmer Luftzug und blies mir ins Haar. Als ich die Augen öffnete, sah ich, wie Saul mich anlächelte – ein intimes kleines Lächeln, das mich an allerhand Köstlichkeiten erinnerte.

Ein Stechen durchfuhr die Narbe. Für sie war nun Schichtbeginn, und sie war auf Überstunden eingestellt.

„Bereit“, flüsterte ich und konzentrierte mich auf das, was dort hinter der Tür war.

Saul drehte den Balken aus seiner Verankerung. Die Amulette in meinem Haar reagierten mit leisem, süßem Klimpern. Das Holz krachte zu Boden, der Rosenkranz barst und seine Perlen küssten sanft die Fliesen, bevor sie zu feiner Asche zerfielen. Saul trat die Tür mit solcher Wucht auf, dass ihr Holz in lange vertikale Zacken splitterte. Meine Stiefel streiften den Boden kaum, als ich mit erhobener und gespreizter Rechten durch die Öffnung sprang. Kalte schwarze Flammen züngelten aus meinen Fingerspitzen. Das Ding wollte sich prompt auf mich stürzen, ich kam ins Schleudern und meine Hand vollführte eine Bewegung, die die Luft mit Feuer erfüllte.

Eine Stimme wie aus Blechglocken, die von einem Schneebesen geschlagen werden, erhob sich, und ein mächtiger Sphärenblitz traf mich. Das Ding brabbelte etwas auf Chaldäisch und hatte gerade einen Ball aus konzentrierter Energie nach mir geschleudert.

Verfluchte Scheiße. Das hat mir gerade noch gefehlt. Hitze durchflutete die Narbe an meinem Handgelenk, der Sphärenblitz wurde beiseite gefegt und nahm mir lediglich die Luft anstatt das komplette Bewusstsein.

Plötzlich und wie aus dem Nichts war Saul da, vollführte eine Drehung, ging in die Hocke und stützte sich mit den Fingern seiner freien Hand auf dem Boden ab. Der Junge in der langen schwarzen Schülerrobe des Seminars, die große Ähnlichkeit mit einer Kutte hatte (denn hier zur Heiligen Gnade glaubte man noch an traditionelle Werte), stolperte über ihn hinweg. Der harsche Klang von Alt-Chaldäisch verdarb die Luft. Die Flammen an meinen Fingerkuppen bogen sich zu Halbkreisen, während ich herumwirbelte und dem Jungchen eine verpasste. Stiefel scharrten über den Boden, als die kinetische Energie sich vom einen auf den anderen übertrug – Masse mal Geschwindigkeit ergab einen Ellbogen in meinem Mund.

Aus genau diesem Grund lasse ich mir auch die Nase nicht piercen, auch wenn es mir gefallen würde. Aber dafür bekomme ich einfach zu viele verdammte Prügel im Gesicht ab.

Ich schmeckte Blut, packte den Kleinen am Arm und rang ihn nieder. Nach ein paar Augenblicken voller Schnaufen, Gerangel und einem verrutschten Mantel hatte ich ihn endlich am Boden. „Saul!“ Verdammt noch mal, wo bist du?

Sofort tauchte er auf und drückte die Arme des Jungen über dessen Kopf zu Boden. Während er mit der ganzen Kraft eines Wers zupackte, traf der Blick seiner dunklen Augen einen Herzschlag lang den meinen, und ich sah, wie die Farbe auf seinen Wangen grell aufleuchtete.

Die Kapelle, in der wir uns befanden, war schmal und hatte Bänke zu beiden Seiten. Der Altar wäre wunderschön gewesen, hätte der Utt’huruk den Blumen darauf nicht alles Leben ausgesaugt, das Deckchen zerrissen und die toten Pflanzen zu Dünger verarbeitet. Dennoch war es ihm nicht gelungen, das Schutzschild aus heiligem Glauben über den Fenstern und Wänden zu durchbrechen. Dafür konnte man dankbar sein.

Oscar war ein hochgewachsener, blonder, gut genährter junger Mann. Ich platzierte mein Knie über seinem Magen und sorgte dafür, dass er unten blieb, während seine Beine nutzlos über den Fliesenboden zappelten. Brich ihm nicht den Schädel, Gui will ihn seiner Mama in einem Stück wiederbringen.

„Zeige dich“, zischte ich in zeremoniellem Chaldäisch, dessen Silben schroff und bleiern über meine Zunge rollten. „Zeige dich, Unreiner, Verdorbener. Zeige dich! Im Namen von Vid, ich befehle es dir!“

Das Ding jaulte auf, und der Geschmack von saurer Milch und trockenen, verstaubten Grabtüchern legte sich mir auf den Gaumen. Noch wichtiger als die Worte ist bei jedem Exorzismus die psychische Kraft, die man hineinlegt, die Schärfe des Befehls. Diese Drecksäcke brauchen eine starke Hand, sonst lachen sie dich nur aus.

Und dann muss man ihnen wirklich in den Arsch treten.

Also drosch ich auf ihn ein – nicht physisch, sondern mental -und presste vor lauter Anstrengung hörbar die Luft durch die Zähne. Verbissen rang mein Wille mit dem des Utt’huruk, drückte und drückte.

In meinem Unterbewusstsein machte es plötzlich Plopp!, und die Welt explodierte. Für den Bruchteil einer Sekunde verlor ich die Besinnung, während mich der Druck, den ich anwandte, aus meinem Körper schleuderte und im nächsten Moment wieder zurückkatapultierte, als die elastischen Verteidigungswälle, die meinen Geist umgaben, das Ding von mir fortschnippten und den Großteil seines Schlags abfederten. Als ich wieder zu mir kam, spürte ich schuppenbesetzte, schwielige Hände um meine Kehle, die mir die Nägel ins Fleisch gruben. Dann ertönte Sauls furchterregendes Puma-Gebrüll. Die Kirchenbänke, auf die wir gefallen waren, lagen in Trümmern, Holzstaub wirbelte wie wild umher, und die roten Glupschaugen des Utt’huruk starrten mich an. Zwei Mal schnappte sein Schnabel mit lautem Klacken zu.

Ich hatte es aus dem Jungen rausgerissen.

Was für ein Scheiß-Brocken!

Ich ballte die Rechte zur Faust, während ich vergeblich versuchte, mit den linken Fingern meinen Hals von den Klauen zu befreien. Das Mal auf meinem Unterarm flammte auf, wühlte sich auf den Knochen zu und brannte wie die Hölle. Das Wesen war spindeldürr, aber unglaublich stark. Es zischelte einen alt-chaldäischen Fluch, der einem Zivilisten auf einen Schlag schlohweißes Haar gezaubert hätte.

Meine rechte Hand pochte, und die Narbe glühte gleißend weiß, als hätte Perry abermals seine Lippen darauf gepresst. Quälende Lust durchzuckte mich, und ich verpasste dem vogelköpfigen Dämon einen Schlag genau zwischen seine hässlichen Augen, wo die unsichtbare Schwachstelle verlief und die fleischähnliche Masse einen dünnen Riss hatte. Utt’huruh-Anatomie, Lektion 101: Wenn du eine höllisch verstärkte Rechte hast, dann hau dem Ding damit auf den Schädel.

Sein Kopf zerplatzte in Brocken von stinkendem Fleisch, und der Raubschnabel verbog sich wie Plastik im Ofen. Der Gestank war unfassbar. Würgend zog ich an den krallenbewehrten Händen, die meine Kehle eindrückten, und konnte sie endlich lösen. Rasselnd schnaufte ich durch. Die kleinen Talismane in meinem Haar gruben sich in Hinterkopf und Schultern.

„Scheiße.“ Ein schmerzvoller Husten schüttelte mich. Die skelettfreie Leiche des Utt’huruk glitt zur Seite und klatschte dumpf auf den Boden. „Oh Mann, ich hasse es, wenn sie das tun.“

„Geht’s dir gut?“ Saul sprach leise, aber er rührte sich kein Stück vom Fleck, sondern hielt noch immer den Jungen fest.

Himmel, es war eine Freude, mit ihm zu arbeiten. „Das blühende Leben in Person.“ Ich rollte herum und kam auf die Füße. Mit raschelndem Mantel schritt ich auf ihn zu. Je einen Stiefel stellte ich auf die Schultern des Bübchens, beugte mich dann zu ihm hinunter und tastete die Vorderseite seines Gewands ab. Knöpfte es auf, schob den Stoff zur Seite und betrachtete die schmale, käsige Brust.

Kein Mal. Der Oberkörper war die gängigste Stelle, aber …

Ich überprüfte seine Handgelenke, die Fesseln seiner Füße, die Knie und sogar die Innenseiten seiner Schenkel. Mit Sauls Hilfe drehte ich ihn auf den Rücken und untersuchte seine Pobacken, das untere Ende der Wirbelsäule und sogar die Kniekehlen.

Sein Genick war von dem hohen schwarzen Kragen verdeckt. Mit leise klopfendem Herzen riss ich den übrigen Stoff weg.

Nichts. Ich roch sogar an seinem Haar. Und besah mir seine Hoden.

„Ein Sorrow scheint er nicht zu sein“, entschied ich schließlich, und Saul seufzte erleichtert auf. Ich für meinen Teil war alles andere als beruhigt. Wie schaffte es ein Utt’huruk, sich in einer Priesterschule eines Kindes zu bemächtigen? „Nimm ihn mit und lass uns gehen. Guillermo schiebt wahrscheinlich schon Panik.“

Der tote Utt’huruk fiel hinter mir in sich zusammen, und widerliches Sekret rann in Schlieren aus seiner geborstenen Haut, bekleckerte den Boden. Das Dasein eines Jägers war kräfteraubend, aber wenigstens war ich keine Putzfrau geworden!

Saul hievte den Jungen hoch. Die weiße nackte Haut hob sich eigenartig gegen das vertraute kastanienbraune Dunkel des Wers ab. „Hast du Hunger?“

Allmählich normalisierte sich mein Herzschlag, und der Kupfergeschmack von Adrenalin in meinem trockenen Mund ließ nach. Trotz des abartigen Gestanks grummelte mir der Magen. „Ja. Wollen wir zu Micky’s?“

„Klingt gut.“ Er schenkte mir ein strahlendes Lächeln, das wie die Berührung seiner Hand auf meinem Rücken war. „Cheeseburger mit Speck? Pancakes? Omelette?“

Als ob irgendjemand bessere Omelettes machen könnte als du. „Scherzkeks.“