Der Kaiser sah, daß die Tiere unter der Hitze litten, und ordnete an, man solle ihnen Wasser bringen.

Bald darauf geschah es, daß Lucia ihren Adjutanten Matthias mit einer Sendung beauftragte, die ihm viel Freude machte.
  Die Stadt Massilia, deren Schutzherrin Lucia war, hatte ihr ausgesucht schönen, edel gearbeiteten Korallenschmuck übersandt, und die Kaiserin wünschte, der Stadt ein würdiges Gegengeschenk zu machen. Matthias sollte dieses Geschenk überbringen und bei dieser Gelegenheit noch einige kleinere Aufträge ausführen, die man nur von Vertrauten erledigen ließ. Er sollte versuchen, den alten Charmis, den Augenarzt der Kaiserin, der infolge seines hohen Alters die Reise nach Bajae scheute, zu bewegen, nun doch nach Bajae zu kommen. Dann sollte Matthias Lucia gewisse Kosmetiken beschaffen, die man nur in Massilia in der Qualität herstellte, die die Kaiserin wünschte. Schließlich noch gab sie ihm ein Schreiben mit, das er in Massilia einem Vertrauten übergeben sollte, damit dieser es übers balearische Meer weiterbefördere.
  Matthias war glücklich und kam sich sehr wichtig vor. Vor allem freute es ihn, daß die Reise zur See stattfinden sollte, und auf Lucias Privatjacht »Blaue Möwe«. Da Lucia daran lag, daß ihr Auftrag in Eile erledigt werde, beschränkte sich Matthias darauf, von seinem Vater brieflich Abschied zu nehmen; Josef war, um nicht durch einen überlangen Aufenthalt in Bajae Aufsehen zu erregen, nach Rom zurückgekehrt. Des Vaters Antwortschreiben erreichte den Matthias gerade noch, bevor die Jacht in See ging. Josef bat ihn, sich in Massilia umzuschauen nach einem möglichst guten und getreuen Exemplar der »Seekunde« des Pytheas von Massilia, die gewöhnlich nur in verderbten Abschriften aufzutreiben war.
  Konnte er seinen Vater nicht mehr sehen, so erlaubte ihm doch ein freundlicher Zufall, sich von dem Mädchen Caecilia zu verabschieden. Matthias hatte Caecilia eine lange Weile nicht gesehen. Sie geradezu zu suchen, hätte er sich ein wenig vor sich selber geschämt; immerhin hatte er sich oft an jenen Orten herumgetrieben, wo er sie hätte treffen können, sie hatte übrigens das gleiche getan. Auf alle Fälle strahlten beider Gesichter auf, als sie am Tage, bevor er abreisen sollte, nun wirklich aufeinander stießen.
  Caecilia gab sich spitz und ein wenig höhnisch wie immer. »Da haben Sie also einen ehrenvollen Auftrag, mein Matthias«, sagte sie. »Sie sollen der Herrin Lucia Parfüms beschaffen. Aber ich nehme an, das würde ihr leibeigener Friseur auch zustande bringen, und vielleicht besser als Sie.« Matthias schaute dem hübschen Mädchen freundlich in das glatte Gesicht und sagte gelassen: »Warum reden Sie eigentlich solchen Unsinn, Caecilia? Sie wissen doch sehr gut, daß ich natürlich nicht nur wegen der Parfüms nach Massilia gehe.« – »Es sollte mich wundern«, beharrte streitbar Caecilia, »wenn es wirklich um Wichtigeres ginge. Denn Sie haben einiges gelernt von Ihren Pfauen und pflegen ziemlich laut zu sein, wenn Sie Ihren Glanz zeigen können.« Matthias, immer mit der gleichen Gelassenheit, antwortete: »Muß ich wirklich vor Ihnen prahlen, Caecilia? Muß ich mich wirklich vor Ihnen dessen rühmen, daß mich die Kaiserin gern sieht?« Er ging näher an sie heran; mit seinen jungen, tiefen, unschuldigen Augen schaute er ihr dringlich ins Gesicht, und: »Wenn ich der Niemand wäre«, sagte er, »als den Sie mich so gern hinstellen, würden dann Sie selber so häufig mit mir zusammen sein? Lassen Sie uns ernsthaft reden, Caecilia. Mein Geschäft in Massilia, so unbedeutend es sein mag, wird mich eine gute Weile von Ihnen fernhalten. Lassen Sie mich das Bild einer Caecilia mitnehmen, wie sie in ihren besten Stunden ist.« Und, ganz nah an ihr, die tiefe Stimme dämpfend und doch voll heißen Überschwangs, ließ er es aus sich herausbrechen: »Caecilia, du bist herrlich! Was für ein liebenswertes Gesicht du hast, wenn du es nicht ins Höhnische und Boshafte verzerrst!« Caecilia spielte die Ungläubige. »Das sind ja alles nur Worte«, sagte sie kokett. »Du liebst ja doch nur sie, die Kaiserin.« – »Wer müßte sie nicht lieben«, gab Matthias zu. »Aber was hat das zu tun mit uns beiden? Die Kaiserin verehre ich, ich liebe sie, wie ich meinen Vater liebe. Das heißt«, verbesserte er sich ehrlich, »ganz so ist es nicht. Aber ähnlich ist es. Dich, Caecilia ...« – »Ich weiß schon«, unterbrach ihn eifersüchtig, etwas töricht Caecilia, »mich verehrst du nicht. Über mich machst du dich lustig. Ich bin ein kleines, dummes Mädchen. Ihr Juden seid ja alle so stolz und eingebildet. Bettelstolz seid ihr.«
  »Reden wir jetzt nicht von Juden und Römern!« bat Matthias. »Bitte, bitte, Caecilia.« Er nahm ihre Hand, eine weiße, kindliche Hand, er küßte die Hand, küßte ihren bloßen Arm. Sie wehrte sich, aber er ließ nicht ab, er war viel größer als sie, er umfaßte sie, beinahe hob er sie hoch, sie sträubte sich, aber dann, ganz plötzlich, wurde sie schlaff und erwiderte seine Küsse. »Geh jetzt nicht fort, Matthias!« bat sie mit einer kleinen, zerdrückten Stimme. »Laß einen andern die Parfüms holen! Schick einen andern Juden!« – »Ach Caecilia!« war alles, was Matthias erwiderte, und er umfaßte sie heftiger, begehrlicher. Erst ließ sie es zu, dann, mit einem, entzog sie sich ihm. »Wenn du zurück bist«, versprach sie, und: »Komm bald zurück!« drängte sie.
  Kurze Zeit darauf ließ sich Messalin von neuem in Alba melden. Er überbrachte dem Kaiser die Abschrift eines Briefes.
  Es lautete aber der Brief folgendermaßen: »Lucia an ihre Domitilla. Sie werden, meine Teure, gehört haben von dem Glück, das Ihren liebenswerten Söhnen widerfahren ist. Vielleicht aber werden Sie, daran denkend, daß die Knaben nun ausschließlich auf dem Palatin und in Alba zu Hause sein werden, über dieses Ereignis keine ganz reine Freude empfunden haben. Ich schreibe Ihnen, um Sie von dieser Sorge zu befreien. Ich versprach Ihnen seinerzeit, daß Ihre Knaben nicht allzu lateinisch werden sollen, und ich werde alles tun, was ich kann, um zu verhüten, daß ihre Herzen in der strengen Luft des Palatin eintrocknen. Im übrigen, meine Domitilla, hoffe ich mit Grund, daß nach der Adoption der Knaben Sie selber bald zurückberufen werden. Nur bitte ich Sie um eines: unterlassen Sie jeden Versuch, von Ihrer Insel aus auf das Schicksal der Knaben einzuwirken! Halten Sie sich vielmehr, Liebe, vollkommen still, sorgen Sie sich nicht um Ihre Söhne, auch wenn sie jetzt Vespasian und Domitian heißen! Vertrauen Sie Ihrer Lucia und leben Sie wohl!«
  Der Kaiser las den Brief langsam und genau. Ein ungeheurer Grimm faßte ihn. Er war erzürnt nicht etwa deshalb, weil Lucia hinter seinem Rücken mit Domitilla zettelte, das hatte er nicht anders erwartet, ja vielleicht hatte er’s gewünscht. Was ihn empörte, das war vielmehr jener Satz von den »Herzen, die in der strengen Luft des Palatin eintrocknen«. Das wagte Lucia zu schreiben, sie, die ihn kannte. Das wagte Lucia zu schreiben nach den Nächten, die sie mit ihm verbracht hatte.
  Er las den Brief mehrere Male. »Hat der Herr und Gott Domitian das Schriftstück gelesen?« fragte schließlich mit seiner sanften, gelassenen Stimme der Blinde. Der Kaiser, in kalter Wut, fragte zurück: »Warum hast du mir den Wisch gebracht? Willst du Lucia bei mir anschwärzen? Wagst du es zu behaupten, das, was auf diesem dreckigen Papier steht, seien Worte meiner Lucia?« – »Ich habe«, erwiderte mit seiner gleichmäßigen Stimme Messalin, »Eurer Majestät diese Briefabschrift nicht gebracht, weil ich die Person verdächtigen wollte, die den Originalbrief geschrieben hat oder geschrieben haben könnte. Aus einer Unterredung aber, deren mich Eure Majestät unlängst würdigten, wagte ich zu schließen, der Herr und Gott Domitian habe ein gewisses Interesse an dem Boten, der es übernommen hatte, die Urschrift dieses Briefes seiner Adressatin zuzuschmuggeln.«
  Domitian trat ungestüm an Messalin heran und sah ihm mit so gespannter Frage ins Gesicht, als könnte der Blinde seinen Blick wahrnehmen. Freudige Ahnung hob ihn. »Wer ist dieser Bursche?« fragte er, und: »Der jüngste Adjutant der Kaiserin, Flavius Matthias«, erwiderte Messalin.
  Domitian atmete stark, befreit. Doch er bemühte sich, seine tiefe, frohe, schmähliche Genugtuung nicht zu verraten. »Was haben Sie mit der Urschrift gemacht?« fragte er sachlich den Messalin. »Die Urschrift«, gab dieser Auskunft, »ist nur eine kleine halbe Stunde in unsern Händen geblieben, gerade Zeit genug, daß wir sie ordentlich kopieren konnten. Dann, ohne daß der junge Matthias etwas hätte merken können, haben wir sie ihm wieder zugesteckt. Der Brief ist weitergegangen auf der Jacht ›Blaue Möwe‹, wie es vorgesehen war, wahrscheinlich ist der Brief jetzt auf dem Weg nach der balearischen Insel, vielleicht ist er schon da.«
  Domitian, und jetzt kippte ihm die Stimme über, fragte: »Und dieser Matthias? Die Kaiserin hat ihn nach Massilia geschickt, wenn mir recht ist. Wo ist er jetzt, dieser Matthias?« – »Der junge Flavius Matthias«, berichtete Messalin, »ist von Ihrer Majestät mit vielen kleinen Aufträgen beehrt worden. Er hat sich nach gewissen kosmetischen Mitteln umzutun, er hat den großen Augenarzt Charmis aufzusuchen und ihn womöglich mitzubringen, er hat in Massilia vielerlei zu besorgen. Ich war der Meinung, die Geschäfte der Kaiserin verlangten größte Gewissenhaftigkeit und Umsicht, und habe dafür Sorge getragen, daß Flavius Matthias in Massilia lange zu tun haben wird.«
  »Interessant, mein Messalin, sehr interessant«, sagte der Kaiser, die Stimme etwas abwesend, wie es dem Messalin schien. »Massilia«, sprach Domitian weiter vor sich hin, und immer mit der gleichen abwesenden Stimme hielt er einen kleinen, nicht recht zur Sache gehörigen Vortrag über die Stadt Massilia. »Eine interessante Siedlung«, erklärte er, »und wohlgeeignet, einen jungen, wißbegierigen Herrn längere Zeit festzuhalten. Sie hat Gallien gräzisiert, meine gute Stadt Massilia, es gibt dort schöne Tempel der ephesischen Artemis und des delphischen Apollo. Es ist eine reine, unverfälschte Insel des Griechentums inmitten einer barbarischen Umwelt. Auch gibt es dort, wenn ich mich recht erinnere, interessante altertümliche Bräuche«, und so plapperte er eine Weile ziemlich sinnlos weiter.
  Messalin aber antwortete nicht. Er wußte genau, der Kaiser wollte keine Antwort haben, der Kaiser wollte nur seine Gedanken verbergen, und diese Gedanken waren bestimmt nicht bei den merkwürdigen Bräuchen der Stadt Massilia.
  So war es denn auch, des Kaisers Gedanken waren, während er seinen Vortrag hielt, weitab von der Stadt Massilia. Lucia, dachte er vielmehr, Lucia. Ich habe ihr soviel geopfert, ich habe mich versündigt an Jupiter und an meinen neuen Söhnen ihrethalb, ich habe ihr die Rückrufung dieser Domitilla versprochen, und so lohnt sie es mir. Auf dem Palatin und in meiner Nähe trocknen die Herzen aus, schreibt sie. Und plötzlich, ziemlich abrupt, unterbrach er sich und begann vor sich hin zu pfeifen, höchst unmelodisch und mangelhaft, und der erstaunte und amüsierte Messalin erkannte die Melodie, es war jenes Couplet aus der letzten Posse: »Auch ein Kahlkopf kann ein schönes Mädchen haben, / Wenn er Geld genug dafür bezahlt.«
  Nach wie vor dachte Messalin nicht daran, des Kaisers Gedanken zu stören. Der aber wachte plötzlich aus seinen Betrachtungen auf, er hatte sich gehenlassen, er hatte sich versinken lassen. Nur gut, daß ihm der Blinde wenigstens nichts vom Gesicht ablesen konnte. Er riß sich zusammen, und als wäre nichts geschehen, als wäre keine Pause und kein langes Schweigen gewesen, sagte er sachlich: »Bist du deiner Sache ganz sicher?« – »Ich habe keine Augen, zu sehen«, antwortete Messalin, »aber soweit ein Blinder sicher sein kann, bin ich sicher.«
  Bestimmt weiß dieser Messalin, wie sehr ihn, den Domitian, seine Nachricht mitnimmt, er sieht, wenngleich er blind ist, tief in ihn hinein, noch viel tiefer und gefährlicher als Norban, doch merkwürdigerweise hat der Kaiser vor Messalin auch nicht das leiseste Gefühl von Haß und Unterlegenheit. Nein, er ist ihm dankbar, er ist ihm ehrlich dankbar, und: »Das hast du sehr gut gemacht«, anerkennt er auch, »und ich danke dir.«
  Messalin entfernte sich, im Tiefsten befriedigt. Domitian, allein, dachte über das Vernommene nach. Merkwürdigerweise verspürte er keinen rechten Groll gegen Lucia, im Gegenteil, er war ihr beinahe dankbar um das, was sie da angerichtet hatte. Denn jetzt läßt sich nicht mehr feststellen, ob sich Domitilla in die Angelegenheit seiner jungen Löwen eingemischt hätte, und ein solcher Beweis ihrer Loyalität war die Voraussetzung seines Versprechens, ihre Verbannung rückgängig zu machen. Aus dem Schreiben der Lucia erhellt geradezu, daß auch Lucia der von ihr begünstigten Domitilla die Absicht zutraute, die Knaben gegen seinen, des Kaisers und Zensors, Willen zu beeinflussen. Damit aber ist er seines Versprechens enthoben, vor Lucia, vor sich selber, vor den Göttern. Und was Lucia selber anlangt, so wird er, was sie da gegen ihn unternommen hat, nicht vergessen, aber er wird die Regelung dieser Sache zurückstellen. Lucia ist nun einmal, wie sie ist, sie trägt in einem gewissen Sinne keine Verantwortung. Eher bereitete das Bewußtsein, sie zu schonen und in seinem Innern jederzeit Argumente gegen sie vorrätig zu haben, ihm eine gewisse Freude. Er wird ihr nicht einmal sagen, was er von ihr weiß. Er wird diese ganze Angelegenheit in seinem Busen bewahren. Niemand soll wissen, wie er, der Gott, betrogen worden ist von diesen dreien, von Lucia, von Domitilla, von dem Knaben Matthias, betrogen und verraten, er, der sehr Gütige, sehr Großmütige. Es genügt, daß es der Blinde weiß. Er hat sehr viel übrig für den Blinden. Eigentlich sind Lucia und der Blinde die einzigen Menschen, an denen ihm liegt. Mag sich also Lucia weiter ihrer falschen, unbegründeten, naiven Freude hingeben darüber, daß sie ihn hineingelegt hat; in Wahrheit wird er sie hineinlegen. Und mag sich der Blinde, der, ein sehr treuer Diener, ihn zu großem Dank verpflichtet hat, in seiner Nacht wärmen an dem Gedanken, daß er mit dem Herrn der Welt ein Geheimnis teilt.
  Was aber soll er mit den beiden andern anfangen, mit Domitilla und mit dem jungen Menschen, der es unternommen hat, jenes Schriftstück auf die balearische Insel zu schmuggeln? Sie sollen nicht länger in der Welt sein, das ist gewiß, aber ihre Strafe soll heimlich kommen, aus dem Dunkel, und niemand soll die Zusammenhänge übersehen.
  Domitilla. Die Verbannte. Sein Vater Vespasian hat sich einmal gegen seinen Willen breitschlagen lassen, einen Verbannten aus seiner Verbannung zurückzurufen; es war Helvid, der Altere, der Vater. Aber Vespasian, ein glücklicher und umsichtiger Mann, wie er war, hat auch da Glück gehabt: bevor noch den Begnadigten die Kunde des Rückrufs erreichte, war er gestorben. Auch er, Domitian, wird wieder einmal erweisen, daß er ein Mann von Glück und Umsicht ist. Er wird Domitilla begnadigen, er wird es groß der Lucia und aller Welt verkünden. Wenn dann die arme Domitilla das Glück nicht mehr erfährt, so ist das ihre Sache, nicht die seine.
  Und was den jungen Matthias anlangt, so wird auch den ein dunkles Schicksal erreichen, nicht etwa eine Strafe. Vielleicht wird er, Domitian, dem Josephus darlegen, warum er den Jungen hat erledigen müssen; denn der Gott Jahve und sein Diener sollen nicht denken, daß er sich etwa an dem Jungen ohne Grund und nur aus Feindschaft gegen Jahve vergriffen habe. Aber niemand sonst außer dem Juden Josephus, dem Messalin und ihm selber soll um die Zusammenhänge wissen. Für alle andern soll es ein Unglücksfall sein, der den schönen Pagen der Kaiserin wegrafft.

Die Neptunalien waren kein sehr wichtiges Fest. Nur ein Fürst, der so auf Tradition hielt wie Domitian, konnte sich der Mühsal unterziehen, um dieses Festes willen seine Sommerfrische mit der heißen Stadt zu vertauschen.
  Drei Tage leitete der Kaiser die Zeremonien. Dann, für den vierten, berief er den Josef auf den Palatin.
  Den traf die Einladung wie ein Schlag. Da der Kaiser so lange gebraucht hatte, die Rache vorzubereiten für jene Rezitation, wie furchtbar wird diese Rache sein. Es wird eine schlimme Stunde werden, Josef wird allen Mut aus den Winkeln seiner Seele zusammenkratzen müssen. Es hat Zeiten gegeben, da er sich seinem Untergang entgegengesehnt, da er heiß gewünscht hatte, durch seinen Tod Zeugnis abzulegen für seine Sache. Jetzt aber aus der Blüte seines Glückes herausgerissen zu werden, davor graute ihm.
  Zunächst indes empfing ihn der Kaiser mit heiterer Gelassenheit, er zeigte weder Zorn noch jene gefährliche Liebenswürdigkeit, die alle, die ihn kannten, noch mehr fürchteten als seine Wut. Eher schien er von einer etwas zerstreuten Freundlichkeit.
  »Wie geht es Ihrem Matthias?« fragte er dann nach einer Weile. Josef erzählte, die Herrin und Göttin Lucia habe ihn nach Massilia geschickt. »Richtig«, erinnerte sich der Kaiser, »auf der Jacht ›Blaue Möwe‹, Massilia, eine schöne Stadt.« Und er begann wieder von den Merkwürdigkeiten der Stadt zu erzählen, ja er hatte Mühe, nicht in sinnlose Geschwätzigkeit hineinzugeraten wie neulich vor Messalin. »Auf alle Fälle, mein Josephus«, fing er sich ein, »gönn ich es Ihrem Matthias, daß er ein Stückchen Welt zu sehen bekommt. Und die Geschäfte, die er dort für die Kaiserin zu erledigen hat, werden ihn ja nicht allzusehr drücken. Er soll ihr Parfüms besorgen und kosmetische Mittel, und er soll den Arzt Charmis mit auf seine Jacht locken. Wichtige Geschäfte.« Josef wunderte sich, daß der Herr der Welt so genau Bescheid wußte um die unbedeutenden Verrichtungen, die seinem Matthias in Massilia oblagen. »Es ist eine große Gnade und sehr verwunderlich«, scherzte er, »daß die Augen Eurer Majestät meinen Matthias mit solcher Aufmerksamkeit verfolgen.« – »Haben Sie ihn vor der Abreise noch gesehen?« fragte der Kaiser. »Nein«, antwortete Josef. »Er hätte eigentlich über Rom reisen und sich von Ostia aus einschiffen können«, meinte Domitian. »Aber die Kaiserin hat eben doch offenbar ihre Geschäfte für wichtig gehalten und Eile gehabt. Sie hängt übrigens sehr an Ihrem Matthias, das hab ich selber gesehen. Er ist auch ein netter Junge, von ange nehmen Sitten, er hat mir gut gefallen. Es muß in der Familie liegen, daß wir Flavier und ihr, daß wir uns immer wieder so eng miteinander verknüpfen.«
  Es war in Wahrheit seltsam, wie eng die Flavier verknüpft waren mit Josef und seinem Geschlecht. Aber er wußte nicht, was er aus den Reden des Kaisers machen sollte, er fand nichts Rechtes zu erwidern, es war ihm unbehaglich zumute. »Du liebst ihn wohl sehr, deinen Sohn Matthias?« fuhr der Kaiser fort. Josef, einsilbig, erwiderte: »Ja, ich liebe ihn. Ich denke« fügte er hinzu, »er ist jetzt wohl schon wieder auf See, zurück auf dem Weg nach Italien. Ich freue mich darauf, ihn wiederzusehen.« – »Wie gut«, sagte langsam der Kaiser und schaute mit seinen vorgewölbten Augen dem Josef träumerisch ins Gesicht, »daß wir jetzt die Neptunalien gefeiert und daß ich selber daran teilgenommen habe. So haben wir das Unsere getan, auf daß ihm Neptun eine gute Rückfahrt beschere.« Josef glaubte, der Kaiser spaße, und er wollte schon lächeln; aber der Kaiser schaute so ernst darein, beinahe trüb, daß ihm das Lächeln verging.
  Bei Tafel indes gab sich der Kaiser wieder besonders leutselig. Er sprach von Josefs Schrift gegen Apion. Dieses Buch beweise, daß Josef endlich losgekommen sei von der verlogenen, vornehm weltbürgerlichen Objektivität gegenüber seinem eigenen Volke. »Natürlich«, erklärte er, »ist alles, was Sie für Ihre Juden vorbringen, genauso unbewiesen und subjektiv wie das, was Ihre verhaßten Griechen und Ägypter gegen die gleichen Juden anführen. Trotzdem beglückwünsche ich Sie zu diesem Buch. Ihre früheren Ideen von Verschmelzung und Weltbürgertum, das ist lauter Nebel und Unsinn. Ich, der Kaiser Domitian, liebe mir einen gesunden Nationalismus.« Obwohl ihm die herablassenden Äußerungen des Kaisers eher Beschimpfung als Lob schienen, hörte sie Josef mit Freude. Es erleichterte ihn, daß ihm der Kaiser von seinen Büchern sprach und nicht mehr von seinem Sohn.
  Auch nach Tische sprach Domitian von Literatur. Auf dem Sofa lag er, faul, und gab seine Ansichten zum besten. Josef wartete nervös, was wohl der Kaiser von ihm wolle; er sagte sich, jetzt habe er so lange gewartet, so werde er wohl noch eine Stunde länger warten können, doch er wurde immer flakkeriger. Dann, endlich, unvermittelt, verlangte Domitian, daß ihm Josef nochmals jene Ode an den Mut aufsage.
  Josef erschrak tief. Nun also war es klar, daß ihn der Kaiser gerufen hatte, um sich an ihm zu rächen für jene Tollkühnheit. »Sie verstehen, mein Josephus«, erklärte der Kaiser, »ich war damals nicht darauf vorbereitet, daß Sie Verse lesen würden. Die Verse sind auch etwas fremdartig, und ich habe sie das erstemal nicht ganz aufnehmen können. Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn ich sie nochmals hören dürfte.« Aber alles in Josef sträubte sich gegen dieses Ansinnen. Was immer dieser Römer mit ihm vorhatte, ihm selber, Josef, war nicht danach zumute, jetzt jene Verse herzusagen. Heute spürte er sie nicht, heute schienen sie ihm fremd, und er fand es unwürdig, eine Rolle zu spielen in der Posse, die sich dieser böse Mann mit ihm machen wollte. »Eure Majestät«, erwiderte er also, »haben mir damals sichtbar gezeigt, daß Ihnen meine Ode vom Mut nicht gefiel. Warum also sollte ich das Ohr der Majestät nochmals belästigen?« Doch Domitian ließ nicht ab. Er hatte sich vorgenommen, die frechen Worte aus dem Munde dieses Jahveknechtes noch einmal zu hören; es war die Kriegsansage Jahves gegen ihn, und er wollte genau wissen, wie ihr Wortlaut war. Ungeduldig, eigensinnig befahl er: »Sag mir die Verse auf!«
  Josef mußte nun wohl gehorchen. Er sagte die Verse her, grimmig und doch ohne Schwung und ungläubigen Herzens, es waren ihm Worte ohne Inhalt.

»Darum sag ich:
Heil dem Manne, der den Tod auf sich nimmt,
Sein Wort zu sagen, weil das Herz ihn drängt ...
Darum sag ich:
Heil dem Manne, den du nicht zwingen kannst, Zu sagen, was nicht ist.«


Er sah den Blick des Kaisers auf sich gerichtet, es war ein forschender, nachdenklicher, böser Blick; er wollte ihm auswei chen, aber da sah er sein eigenes Gesicht in der spiegelnden Verkleidung der Wände, überall sah er sein eigenes Gesicht und das des Kaisers, des Kaisers Augen und den eigenen Mund, sich öffnend und schließend. Er kam sich komödiantisch vor, und der Inhalt seines Psalms vom Mut kam ihm komödiantisch vor. Wozu sagen wollen, was ist, vor einer Welt, die das doch nicht hören will? Seit Jahrtausenden haben Männer der Welt gesagt, was ist, und sie haben nichts geändert, sie haben nur Unglück über sich selber heraufbeschworen.

  Domitian hörte bis zu Ende sehr aufmerksam zu. Träumerisch wiederholte er: »›Heil dem Manne, der sagt, was ist.‹ Wieso: Heil ihm? Die Götter offenbaren das, was ist, allerhöchstens in Mysterien, sie wünschen also keineswegs, daß man es immer und allen sage. Was du in deinen Versen verkündest, mein Lieber, das klingt ganz schön und interessant, aber wenn man es genauer betrachtet, dann ist es aberwitziges Zeug.« Er beschaute den Josef, als wäre der eines seiner gefangenen Tiere. »Seltsam«, sagte er und schüttelte den Kopf, »daß jemand auf so verrenkte Ideen kommt. ›Heil dem Manne, der sagt, was ist.‹« Und noch mehrere Male, langsam, schüttelte er den Kopf.
  »Du liebst also deinen Matthias?« nahm er plötzlich das Gespräch von früher wieder auf. Der Psalm vom Mut, Matthias : eine ungeheure Angst schnürte dem Josef das Herz. »Ja, ich liebe ihn«, erwiderte er gepreßt. »Und du willst natürlich hoch hinaus mit ihm?« fragte Domitian weiter. »Du bist ehrgeizig für ihn? Du willst sehr viel aus ihm machen?« Josef erwiderte behutsam: »Ich weiß, daß ich die Gnadenbeweise nicht verdient habe, mit denen mich der Herr und Gott Domitian und seine Vorgänger überhäuften. Aber mein Leben verlief in scharfem Auf und Ab. Das möchte ich meinem Sohne ersparen. Was ich meinem Sohne hinterlassen möchte, ist Sicherheit.« Und so war es; denn die Träume von Glanz und Ruhm, die er für seinen Sohn Matthias geträumt hatte, waren in dieser grausamen Minute von ihm abgefallen, er wollte ihn zurückhaben, hier bei sich, um ihn so schnell wie möglich aus Rom fortzubringen, nach Judäa, in Sicherheit und Frieden. Im Innern schrie er zu seinem Gott, er möge ihm in diesem schweren Augenblick Kraft geben, die rechten Worte zu finden und seinen Sohn zu retten.
  »Interessant, sehr interessant«, antwortete mittlerweile der Kaiser. »Also das ist es, was du für deinen Matthias ersehnst, Ruhe und Sicherheit. Aber findest du, daß die Lehrzeit bei Hofe der beste Weg zu einem solchen Ziel ist?«
  Es traf den Josef ins innerste Herz, daß der Feind sogleich seine schwache Stelle, sein Verbrechen, herausgefunden hatte. Denn eben dadurch hatte er gesündigt, daß er seinen Sohn auf diesen gefährlichen Pfad hinausgestoßen hatte. Mühsam suchte er, was er entgegnen könnte. »Der Kaiserin hat mein Junge gefallen«, fand er schließlich. »Hätte ich nein sagen sollen, als die Herrin Lucia mich aufforderte, ihn in ihren Dienst zu geben? Niemals hätte ich eine solche Unehrerbietigkeit gewagt.« Doch Domitian hatte jetzt die schwache Stelle seines Feindes, des Jahveknechtes, erspäht und ließ nicht davon ab. »Wenn du es nicht selber gewollt hättest«, er klärte er und hob tadelnd den Finger, in der spiegelnden Wandverkleidung aber waren es viele Finger, »dann hättest du Mittel und Wege gefunden. Du hast Ehrgeiz für ihn«, beharrte er, »sei ehrlich, gib es zu! Wie hättest du ihn sonst in den Dienst der Kaiserin geschickt?« – »Gewiß hat ein Vater Ehrgeiz für seinen Sohn«, räumte Josef ein, und er fühlte sich schwach und leer.
  »Siehst du«, sagte befriedigt Domitian und wühlte weiter in der Wunde. »Du hast mir doch einmal gesagt, du seiest aus dem Geschlecht des David. Da du selber zugibst, Ehrgeiz für deinen Sohn zu haben, ist dir nie die Idee gekommen, daß vielleicht er, dein Sohn, der Auserwählte sein könnte, euer Messias?« Josef, die Lippen sehr blaß, die Kehle trocken, antwortete: »Nein, daran hab ich nicht gedacht.«
  Zuerst war es dem Domitian als eine schwere Aufgabe erschienen, sich mit dem Juden auseinanderzusetzen, als eine Aufgabe, die er nur auf sich genommen, um sich vor Jahve zu rechtfertigen. Nun er aber das Gesicht des Josef sah, dieses hagere, gepeinigte Gesicht, da war es keine qualvolle Mühe mehr, sondern es packte ihn eine große, wilde, grausame Lust, zu sehen, was der Mann nun tun wird, wie er sich verhalten, wie sich sein Gesicht ändern, welche Worte er sprechen wird, wenn er erfährt, was mit seinem Sohne geschehen ist. Des Kaisers Augen sehnten sich danach, dies zu sehen, seine Ohren sehnten sich danach, den Aufschrei des getroffenen, verhaßten Feindes zu hören, der ihm ins Gesicht seine Frechheiten gesagt und der seiner Lucia gefallen hatte.
  Bedachtsam also, nachdenklich, mit besonders sanfter Tücke die Worte wägend, sprach er weiter: »Wenn du in deinem Sohne niemals den Gedanken geweckt hast, er könnte der Auserwählte eures Jahve sein, dann hast du vielleicht auf irgendeine andere Art seinen Ehrgeiz gestachelt, oder vielleicht hat er dich mißverstanden, oder vielleicht auch hat euer Gott ihm von Anfang an ein sehr ehrgeiziges Herz mit auf seinen Weg gegeben.« Josef folgte des Kaiser Worten mit peinvoller Gespanntheit. »Ich bin sehr töricht«, sagte er, »oder zumindest habe ich heute einen schlechten Tag und ein fettes Hirn, und ich verstehe die Worte Eurer Majestät nicht zu deuten.« Immer mit der gleichen, unerbittlichen Sanftheit fuhr Domitian fort: »Auf alle Fälle ist es gut, daß es gerade Ruhe und Sicherheit ist, was du vom Himmel für deinen Matthias erbittest.« Josef, Herz und Stimme geschnürt von Pein, flehte: »Ich wäre Eurer Majestät unendlich dankbar, wenn Sie zu einem geängstigten Vater in so einfachen Worten sprechen wollten, daß er es versteht.« – »Du bist sehr ungeduldig«, tadelte Domitian, »du bist so ungeduldig, daß es gegen den Anstand verstößt, den du deinem kaiserlichen Freunde schuldest. Aber ich bin es gewöhnt, verzeihen zu müssen, gerade dir hab ich oft Nachsicht geschenkt, mag es denn auch diesmal sein. Also höre, du Ungestümer! Es ist dies: dein Matthias hat sich in ein höchst ehrgeiziges Unternehmen eingelassen. Ich glaube, ich hoffe, ich seh es deinem Gesicht an, ich bin überzeugt, du weißt nicht darum. Das freut mich für dich. Es war nämlich ein sehr gefährliches Unternehmen, und es ist ihm nicht geglückt. Es war leider auch ein verbrecherisches Unternehmen.« – »Haben Sie Mitleid mit mir!« flehte Josef ihn an, leise, doch voll letzter Qual. »Haben Sie Mitleid mit mir, mein Herr und Gott Domitian! Was ist es mit meinem Matthias? Sagen Sie es mir! Ich flehe Sie an!«
  Domitian beschaute ihn mit der ernsten, sachlichen Neu gier, mit der er die Tiere seiner Käfige und die Pflanzen seiner Treibhäuser betrachtete. »Er hat die Geschäfte der Kaiserin in Massilia verrichtet,« sagte er, »wie es ihm aufgetragen war, er hat sie gut verrichtet, zu gut.« – »Und ist er weg von Massilia«, fragte atemlos Josef, »oder wo ist er?« – »Er hat sich eingeschifft«, antwortete der Kaiser. »Und wann wird er zurückkehren?« drängte Josef. »Und wann werde ich ihn wiedersehen?« Und da der Kaiser nur ein langsames, leises, bedauerndes Lächeln hatte, vergaß Josef alle Ehrfurcht, es sprach aus ihm nur eine ungeheure, sinnlose Angst, und: »Er wird also nicht zurückkehren?« fragte er, die Augen starr auf dem Kaiser, und er ging ganz nahe an ihn heran, ja er berührte das kaiserliche Gewand. Domitian, der sonst die Berührung jedes Fremden verabscheute und darin die schändlichste Verletzung aller Ehrfurcht sah, entzog sich ihm sanft. »Du hast noch mehr Kinder, nicht?« sagte er. »Zeig jetzt, mein Jude, daß deine Verse vom Mut mehr sind als bloße Worte!« – »Ich habe nur einen Sohn gehabt, und er ist nicht mehr.« Josef wiederholte sinnlos, beharrlich: »Er wird also nicht zurückkehren?« Er stammelte so, daß man die Worte kaum verstehen konnte, aber der Kaiser verstand sie doch, und er genoß die Vernichtung des Gegners. »Es ist ihm ein Unglück zugestoßen«, berichtete er mit freundlicher, bedauernder Stimme. »Er ist gefallen. Er hat sich in ein knabenhaftes Wettspiel eingelassen mit einem Schiffsjungen. Sie sind einen Mast hinaufgeklettert, scheint es, und er ist gefallen. Sie haben ihn nicht retten können. Er hat sich den Hals gebrochen.«
  Josef stand da, seine Augen hingen mit immer dem gleichen gespannten Ausdruck am Munde des Kaisers. Der wartete auf einen Aufschrei, aber es kam keiner, vielmehr erschlaffte plötzlich das Gesicht des Josef, und er begann sonderbar zu malmen, den Mund zu öffnen und wieder zu schließen, als mühte er sich zu sprechen und könne die Worte nicht formen.
  Domitian aber kostete seinen Triumph ganz aus. Der ihm da gegenüberstand, das war ein Mann, den die Götter geschlagen hatten, alle Götter, auch sein eigener, auch sein Jahve. Er, Domitian, hatte also recht getan, er hatte eine große Schlacht gegen den Gott Jahve gewonnen, mit dessen eigenen Waffen, durch List, und dennoch auf faire, untadelige Art, so daß ihm der Gott nichts vorwerfen und anhaben konnte. Vertraulich und trotzdem sehr deutlich, jedes seiner Worte genießend, sprach er weiter: »Du magst es wissen, mein Josephus. Es war kein Zufall, daß dein Sohn Matthias verunglückt ist. Es war eine Strafe. Aber ich bin nicht rachsüchtig, ich bin milde, und nun er aus der Welt ist, trag ich ihm nichts mehr nach. Darum auch soll es niemand erfahren, daß es ein Verbrechen war, um dessentwillen er hat sterben müssen. Alle Welt soll glauben, er sei verunglückt, dein schöner, junger und liebenswerter Sohn Flavius Matthias. Und damit du siehst, daß ich dir wohlwill, höre weiter: er soll eine Bestattung haben, als wäre er wirklich der Auserwählte gewesen, eine prinzliche Bestattung, als wäre euer König David ein Römer gewesen.«
  Allein es war dem Kaiser nicht vergönnt, zu beobachten, welchen Eindruck sein Stolz und seine Großmut auf seinen Gegner machten. Denn offensichtlich nahm Josef seine milden und erhabenen Worte gar nicht mehr auf. Vielmehr starrte er den Kaiser mit leerem, blödem Blicke an, sein Mund malmte noch immer, und dann, jäh, sackte er zusammen.
  Domitian aber hatte noch mehr zu sagen, er konnte es nicht im Busen bewahren, und da er es dem hörenden Josef nicht mehr sagen konnte, sagte er es dem bewußtlosen. »Deine Doktoren«, sagte er ihm, »haben mir erklärt, der Tag werde kommen. Aber zu meinen und deinen Lebzeiten jedenfalls, mein Josephus, wird er nicht kommen, der Tag.«

Eines Abends bald nach dieser Unterredung mit dem Kaiser traf im Hause des Josef ein kleiner, schwarzer, feierlicher Zug ein. Er überbrachte die Leiche des Flavius Matthias, verunglückt in Diensten der Kaiserin durch einen Sturz an Bord der Jacht »Blaue Möwe«. Die Kunst der Leichenbehandlung war hoch entwickelt in der Stadt Rom, und Domitian hatte die besten Künstler dieses Faches berufen. Mit Salben, Spezereien und wohl auch mit Schminke hatten es diese zuwege gebracht, daß der Körper, den man im Hause des Josef ablieferte, schön aussah und so gut wie unversehrt. Jünglingshaft, das glänzende, schwarze Haar sorglich frisiert, lag der knochige Kopf, gleich und dennoch verändert, denn er hatte alles Leben aus den Augen erhalten, und diese Augen waren geschlossen. Und wenn der schöne Kopf seines Jungen, als Josef ihn zum letztenmal lebendig gesehen, auf einem sehr kindlichen Hals gesessen war, so trat jetzt der Kehlkopf stärker und männlicher heraus.

  Josef stürzte mit eigener Hand die Möbel um im Zimmer seines Sohnes und bahrte den Heimgekehrten auf. Da saß er bei dem spärlichen Licht einer einsamen Öllampe, und auf dem umgestürzten Bett lag der Knabe.
  Josef war ein bequemer Mann geworden in seinem Glück, ein Mann, der Angst hatte vor seinen eigenen Tiefen und Scheu, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Jetzt waren alle seine Tiefen aufgerissen, sein Inneres schrie ihn an, es gab kein Ausweichen. Beim Tod seines Sohnes Simeon-Janiki hatte er hin und her geschwankt zwischen den verschiedensten Gefühlen, in ihm war Jammer gewesen, Reue, Selbstanklage, doch auch Selbstrechtfertigung und Empörung gegen Gott und die Welt. Jetzt, an der Leiche seines Sohnes Matthias, spürte er nur eines: Ekel, Haß gegen sich selber.
  Er haßte nicht den Kaiser. Der hatte einen Jüngling beseitigt, den er für einen Prätendenten gehalten, das war sein kaiserliches Recht. Er war sogar rücksichtsvoll vorgegangen. Er hätte die Leiche verschwinden lassen, er hätte sie der See und den Fischen überlassen können, und sein toter Sohn, treibend in den ruhelosen Gewässern, das war eine grauenvolle Vorstellung für Josef. Aber der Kaiser war mild gewesen, er überließ ihm den Toten, er hatte ihn sogar für ihn geschmückt und mit Wohlgerüchen angefüllt, der milde, der höchst gütige Kaiser. Nein, hier ist nur einer, gegen den aller Haß, aller Abscheu sich kehren muß, das ist er selber, Josef Ben Matthias, Flavius Josephus, der Narr, der Prahler, der alt, aber niemals gescheit geworden ist und der seinen Sohn auf den Weg ins Verderben gestoßen hat. Viel tiefer als damals beim Tod des SimeonJaniki ging jetzt an der Leiche des Matthias Josefs innerer Zusammenbruch. Diesmal gab es nichts zu drehen und zu deuteln, diesmal ruhten alle Ursachen in ihm selber. Wenn er sich nicht aus schierem, geistigem Hochmut dazu bekannt hätte, aus Davids Geschlecht zu stammen, dann lebte Matthias noch. Wenn er ihn nicht aus purem, dummem Vaterstolz zurückgehalten hätte, mit Mara nach Judäa zu gehen, dann lebte Matthias noch. Wenn er ihn nicht aus reiner, äußerer Eitelkeit in den Dienst der Lucia geschickt hätte, dann lebte Matthias noch. Es waren sein Ehrgeiz, seine Eitelkeit, die den Matthias umgebracht haben.
  Ungeheuerlich, närrisch vermessen hat er sich. Jenen Cäsarion, den der große Cäsar aus seinem Sohne nicht hatte machen können, den hat er aus seinem Matthias machen wollen, kleiner Affe eines großen Mannes, der er war. Alles, was er je in seinem Leben unternommen, hat er aus Eitelkeit getan. Aus Eitelkeit ist er nach Rom gegangen als junger Mann, aus Eitelkeit hat er den Propheten gespielt und dem Vespasian sein Kaisertum prophezeit, aus Eitelkeit hat er sich zum Geschichtsschreiber der Flavier gemacht, aus geistigem Hochmut sich als Davidssproß bekannt. Aus Eitelkeit hat er die verlogene, vornehm objektive Universalgeschichte geschrieben, aus Eitelkeit die effektvoll glühende Verteidigungsschrift gegen Apion. Und jetzt hat er aus Eitelkeit seinen Sohn Matthias umgebracht.
  Wie Jakob den Knaben Josef, so hat er diesen Knaben Matthias geliebt, mit närrischer Vaterliebe. Und wie Jakob dem Knaben Josef den glänzenden Leibrock geschenkt und so den Neid der Brüder gegen ihn wachgerufen hat, so hat er seinen Matthias eingehüllt in sträflichen Glanz. Und wie dem Jakob gemeldet wurde: »Zerrissen, zerrissen ist dein Sohn Josef«, so hat ihm der Feind mitgeteilt: »Umgekommen ist dein lieber Sohn.« An dem Erzvater Jakob indes war kein Fehler außer seiner närrischen Liebe, er aber, Josef Ben Matthias, ist über und über bedreckt mit Sünde. Und wenn jener Knabe Josef noch am Leben war, wenn auch verlassen und in einem tiefen Brunnen, sein Matthias liegt da, tot, wächsern und geschminkt, der Kehlkopf sticht heraus, kein Lebenshauch hebt und senkt ihn, und keine Hoffnung ist, daß er gerettet werde.
  Die Nacht verging, eine kurze Sommernacht, und mit dem Morgen kamen zahllose den toten Flavius Matthias noch einmal begrüßen. Man wußte, daß der Kaiser persönlichen Anteil nahm an dem Unglücksfall, der den Günstling seiner Lucia weggerafft hatte, romantische Geschichten waren im Umlauf über sein Leben und sein Ende, man sprach viel von der Schönheit und dem Glanz des Jünglings. So schritt ein endloser Zug von Menschen durch den Raum mit den umgestürzten Möbeln, in dem der tote Matthias lag. Teilnehmende, Neugierige, Ehrgeizige. Sie kamen, um keine Gelegenheit zu versäumen, sich dem Kaiser gefällig zu erweisen, sie kamen, um die Leiche zu sehen, um Trauer zu bekunden, um Beileid auszusprechen. Ganz Rom defilierte an der Leiche vorbei. Josef aber hielt sich fern, eingesperrt im innersten Raum seines Hauses, auf der Erde hockend, bloßfüßig, mit wildwachsendem Haar und zerrissenem Kleid.
  Es kamen Marull und Claudius Regin, es kam der uralte Cajus Barzaarone, und er dachte, wie bald er so liegen werde, es kam der Senator Messalin, und er stand lange Zeit mit höflich teilnahmsvollem Gesicht bei der Leiche, und niemand konnte lesen, was in ihm war, es kam auch der Pfauenwärter Amphion, und er heulte laut heraus, und es kam das Mädchen Caecilia. Auch sie ließ sich gehen, sie weinte über ihr ganzes, helles, glattes Gesicht, sie bereute, daß sie den Matthias so albern getriezt und daß sie sich gewehrt und alles erst auf seine Rückkehr verschoben hatte.
  Es kamen auch die beiden Prinzen, Constans und Petron oder vielmehr Vespasian und Domitian, wie sie jetzt hießen. Sie standen an der Leiche, ernst, mit ihrem Hofmeister Quintilian. Man hatte ihnen Platz gemacht; doch hinter ihnen warteten unzählige, die Straße war verstopft mit Leuten, die den Toten noch sehen wollten. Aber die Zwillinge beeilten sich nicht, und selbst als Quintilian mit sehr höflichen Worten drängte, rührten sie sich nicht fort. Sie schauten auf das tote Antlitz ihres sehr geliebten Freundes. Sie waren an Tod gewöhnt, so jung sie waren, sie hatten viele sterben sehen, und nur wenige eines ruhigen Todes im Bett. Ihr Vater war auf blutige Art umgekommen, ebenso ihr Großvater und ihr Onkel, und so still und friedlich dieser ihr Freund Matthias dalag, sie ahnten, und in ihrem Innern wußten sie, auch ihn hatte eine Hand hinuntergestoßen, die sie gut kannten. Dies alles bedachten sie, wie sie so an dem umgestürzten Bett standen, sie jammerten nicht, sie sahen sehr reif und erwachsen aus, und abgesehen davon, daß sie nicht wegzubringen waren, hatte sich Quintilian über nichts in ihrer Haltung zu beklagen. Erst ganz zuletzt, bevor sie gingen, konnte sich der jüngere nicht enthalten, eine kindische und tadelnswerte Handlung zu begehen. Aus dem Ärmel seiner Toga zog er eine Pfauenfeder, und er gab sie dem Toten in die Hand, damit er, wenn er bei den Untern sein wird, etwas habe, sich daran zu erfreuen.


Die Juden der Stadt Rom erschreckte das Unglück, das Josef getroffen hatte; doch mischte sich ihrem Schreck eine kleine Genugtuung bei. Was jetzt den Josef niederwarf, das war eine verdiente Züchtigung Jahves. Sie hatten gewarnt; es war nicht gut, daß einer so frech hinauflangte und so hoch prahlte wie dieser Josef. Er hatte sich große Verdienste um sie erworben, aber er hatte ihnen auch großes Leid zugefügt, er war ein zweideutiger, gefährlicher Mann, er war ihnen fremd und unheimlich, und demütig priesen sie den gerechten Gott, der ihn auf solche Art warnte und in seine Grenzen zurückscheuchte.
  Sie bezeigten Trauer und Teilnahme, wie es das Gesetz vorschrieb, sie schickten ihm in weidengeflochtenen Körben das Linsengericht der Trauer. Sie kamen, ihn zu trösten, aber es war ihnen recht, daß er sich nicht sehen ließ. Auch dies war eine Strafe Jahves, daß es ihm sein Hochmut verbot, Trost entgegenzunehmen.
  Diesen ganzen Tag, da Rom vorbeizog an der Leiche seines Sohnes, blieb Josef eingeschlossen und sah niemand, weder Juden noch Römer. Es war ein sehr langer Tag, und er sehnte sich nach der Nacht, da er den Knaben wieder für sich allein haben wird. Doch gegen Abend stellte sich jemand ein, den er sehen mußte, des Kaisers Erster Kurier, ein Beamter der höchsten Rangklasse, und er begehrte den Josef zu sprechen, im Namen des Kaisers.
  Der Herr und Gott Domitian wünschte, dem Flavius Matthias, der umgekommen war auf einer Reise in Diensten der Kaiserin, eine höchst ehrenvolle Bestattung zu bereiten. Er wollte ihm einen Scheiterhaufen errichten, als wäre er aus des Kaisers eigener Familie.
  So geübt der Kurier war, Botschaften des Kaisers in geziemender Form zu bestellen, diesmal fiel es ihm nicht leicht, so verblüfft war er über den Anblick dieses Flavius Josephus. Er hatte ihn gesehen vor wenigen Tagen, damals, als ihn der Kaiser auf den Palatin beschieden hatte. Da war er ein Mann in guten Jahren gewesen, glänzend, einer, der in der Residenz gute Figur machte. Und jetzt stand vor ihm ein verdreckter, unrasierter, zerlumpter, alter Jude.
  Ja, Josef stand da, verwahrlost und vergreist, und er fand auch keine Worte. Denn hin und her gerissen war er. Was ihm der Feind da antat, das war der frechste, greulichste Hohn, der sich denken ließ. Gleichzeitig aber auch stieg in Josef die Vorstellung hoch, eine solche großartige Bestattung sei Matthias, dem glanzliebenden, nur angemessen, und sein lieber Sohn würde es ihm nicht verzeihen, wenn er eine solche Ehrung ausschlüge. Er schwieg also lange, und als ihn schließlich der Beamte ehrerbietig fragte, was er nun dem Kaiser berichten solle, da antwortete er in vagen Sätzen, die kein Ja und kein Nein waren. Betreten stand der Kurier. Was war das für ein Mensch? Er erdreistete sich, sich zu bedenken, wenn ihm der Herr und Gott Domitian eine Ehre zudachte, wie er sie noch keinem erwiesen hatte. Allein gerade weil der Kaiser ihm diese ungeheure Ehre bereiten wollte, wagte der Höfling nicht, ihn zu bedrängen, und er zog sich unbehaglich zurück und voll von Zweifeln, ob nicht der Kaiser seinen Ärger über das sonderbare Verhalten des Mannes an ihm auslassen werde.
  Josef, allein, fand nicht den rechten Weg. Die Stimmen seines Innern widersprachen sich. Bald war er entschlossen, das Angebot des Kaisers anzunehmen. Dann wieder sagte er sich, er selber gebe dadurch dem Römer recht und verleugne seine Idee. Dann wieder sah er das tote Antlitz seines Knaben, und ihm war, als sehnte sich Matthias nach dem großen, ehrenvollen Feuer, das sein letztes Bild vor den Augen aller Welt bestrahlen sollte. Er fand keine Lösung.
  Am andern Tag ließ er die vertrautesten unter seinen Freunden vor, Claudius Regin und Johann von Gischala. Er hockte auf der Erde, das Haar verwildert, die Füße bloß, das Kleid zerrissen, den Verstand getrübt, die Seele vernichtet, und bei ihm saßen die Freunde. War er die Nacht vorher Jakob gewesen, der um seinen Lieblingssohn trauerte, so war er jetzt Hiob, den zu trösten die Freunde kamen. Aber es war gut, daß sich ihr Trost auf sachlichen Rat erstreckte; Beileid, unverschämtes Mitleid hätte er kaum ertragen.
  So sprach man denn nur über jenes äußere Problem, das noch heute gelöst werden mußte, über die Frage der Bestattung. Was sollte Josef tun? Wenn er das Angebot des Kaisers annahm, verstieß er gegen ein Grundgesetz der Doktoren. Von ihren Urvätern her, seitdem Abraham, Isaak und Jakob begraben worden waren in der Höhle Machpela, war es den Juden verboten, sich anders zu ihren Vätern zu versammeln als auf dem Weg durch die Erde, und es schien dem Josef eine Herausforderung an sein eigenes Volk, wenn er seinen Sohn durch Feuer bestatten ließ. Wenn er ihn aber auf jüdische Art begrub und den Scheiterhaufen des Kaisers ablehnte, zog er dann nicht den Zorn des Kaisers auf sich herab, und nicht nur auf sich allein?
  Es sprach Claudius Regin, der Mann der Wirklichkeit. »Ein Toter ist ein Toter«, sagte er, »und ob man ihn verbrennt oder begräbt, er spürt es nicht. Feuer oder Erde, ihm tut das eine so wenig Harm wie das andere, und ihm gibt das eine wie das andere so wenig Freude wie die Pfauenfeder, die der junge, nette Prinz ihm zugesteckt hat. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß seine Seele Augen hat oder eine Haut, es zu sehen oder zu spüren, auf welche Art man ihn bestattet. Was aber Ihre weiteren Bedenken anlangt, so sind das Sentimentalitäten. Ich bin kein Jude; vielleicht kann ich gerade darum genau abschätzen, wo die Vorteile und die Nachteile für Ihr Volk liegen. Lassen Sie mich Ihnen also sagen, daß dieses Ihr Volk es teuer zu bezahlen hätte, zumindest mit einem großen Gewinnentgang, wenn Sie auf seinen Aberglauben und seine Dummheit Rücksicht nähmen. Gerade die Rücksicht auf den wahren Vorteil der Judenfreiheit erfordert es, daß Sie DDDs Angebot annehmen. Denn der Glanz dieses Scheiterhaufens wird die ganze Judenheit bestrahlen, und die Judenheit, die in diesen letzten Zeiten ins Dunkel geraten ist, hat solchen Glanz sehr nötig.« »Das hat sie«, sagte Johann von Gischala und richtete die grauen, verschmitzten Augen auf Josef. »Und was Ihre sonstigen Bedenken anlangt, Doktor Josef, so bin ich kein Gelehrter wie Sie und weiß nicht, ob einer nach dem Tode etwas spürt oder nicht. Ich sage da in meinem Innern weder ja noch nein. Aber wenn Ihr Matthias da, wo er jetzt ist, etwas spüren sollte, dann wäre es ihm bestimmt recht, wenn das Feuer, in dem sein Leib verbrennt, die ganze Judenheit wärmte. Und überdies glaube ich«, und jetzt wurden seine Augen noch pfiffig-freundlicher, »würde er sich auch sonst freuen an dem Glanz eines solchen großen Feuers. Denn er liebte den Glanz.«
  Den Josef bewegte, was die beiden da sagten. Der Glanz, den ihm der Kaiser anbot, war zum Vorteil der Judenheit, und er konnte das Gedächtnis seines Sohnes nicht besser ehren als durch diesen Glanz. Trotzdem sträubte sich alles in ihm gegen Domitians Scheiterhaufen. Sein Matthias war nun einmal kein Römer; nur dadurch, daß man ihn zum Römer hatte machen wollen, war er umgekommen.
  Da stieg ein kühner Gedanke in ihm auf. Der Kaiser wollte den Toten ehren, also fühlte er sich schuldig. Wenn er aber den Toten ehren wollte, dann sollte er es nicht tun in seinem eigenen, sondern in des Toten Sinne. Matthias sollte in judäischer Erde begraben liegen, wie das jedem Juden ziemte, und dennoch sollte von seiner Bestattung der Glanz ausgehen, den der Kaiser ihr zugedacht hatte. Josef wollte selber seinen Toten nach Judäa bringen, und der Kaiser sollte ihm dazu die Mittel liefern. Er sollte ihm eines seiner schnellen Schiffe für diesen Zweck zur Verfügung stellen, eine Liburna, eines jener schmalen Kriegsschiffe, die mit ausgesuchten Ruderern bemannt waren. So wollte Josef seinen Sohn nach Judäa bringen, und dort wollte er ihn begraben.
  Das sagte er den Freunden. Die schauten ihn an, und sie schauten einander an, und sie sagten nichts.
  Da sagte Josef, und seine Stimme war voll von Grimm und Herausforderung: »Sie, mein Claudius Regin, wären der gegebene Mann, dem Kaiser meine Forderung zu überbringen. Wollen Sie es?« – »Ich will es nicht«, antwortete Claudius Regin, »es ist kein angenehmes Geschäft.« Doch da Josef auffahren und etwas entgegnen wollte, fügte er hinzu: »Aber ich werde es dennoch tun. Ich habe schon viele unangenehme Geschäfte in meinem Leben auf mich genommen, aus Freundschaft. Sie waren nie ein bequemer Freund, Doktor Josef«, grollte er.

Das Kriegsschiff »Der Rächer«, eine Liburna, gehörte zur ersten Klasse der Schnellsegler. »Der Rächer« hatte drei Reihen Ruderer, er war scharf und niedrig gebaut, leicht und schnell, und schoß mit einem einzigen Ruderschlag zwei seiner Längen vorwärts. Vierundneunzig solcher Schiffe besaß die kaiserliche Marine. »Der Rächer« war nicht das größte, seine Wasserverdrängung betrug nur hundertzehn Tonnen, seine Länge vierundvierzig Meter, sein Tiefgang 1,7 Meter. Hundertzweiundneunzig Rudersklaven bedienten ihn.
  Man hatte in aller Eile und doch sorgfältig alles zurechtgerichtet, was die Überführung der Leiche erforderte, selbst einen Einbalsamierer hatte man mitgeschickt. Aber es bedurfte seiner Dienste nicht, das Wetter war günstig, das Schiff segelte mit gutem Wind, die Nächte waren kühl. Man konnte die Leiche auf dem obern Deck aufbewahren, bei Tag schützte sie ein Sonnendach.
  Josef saß an der Seite der Leiche, allein. Am liebsten waren ihm die Nächte. Wind ging, und er fröstelte wohl bei der schnellen Fahrt. Der Himmel war tief, es war nur ein schmaler Mond, das Wasser war schwarz mit Streifen schwachen Glanzes. Und Josef saß bei der Leiche, und wie Wind und Wellen kamen und gingen ihm die Gedanken.
  Es war eine Flucht, und sein Gegner, klug, wie er war, hatte ihm sein schnellstes Schiff gegeben, auf daß er um so schneller fliehe. Schmählich, dreimal schmählich flieht er aus der Stadt Rom, die er so frech und seines Sieges gewiß betreten hat vor nunmehr dreißig Jahren. Ein Menschenalter ist er in Rom gewesen, ein Menschenalter hat er gekämpft, und immer wieder hat er geglaubt, jetzt habe er den Sieg fest in der Hand. Und das also ist das Ende. Schimpflichste Niederlage und Flucht. Geflohen, entronnen, entwichen, davongelaufen, hastig, schmählich, auf dem Schiff, das ihm der Feind gestellt mit höhnischer, höflicher Bereitwilligkeit. Da, neben ihm, liegt, was er gerettet hat aus diesem Menschenalter voll von Kämpfen: ein toter Knabe. Einen toten Sohn hat er gerettet, das ist der Preis eines Menschenalters voll von Überhebungen, von Selbstüberwindung, von Pein, Demütigung und falschem Glanz.
  Wie es fliegt, das Schiff, das Schiff mit dem spöttischen Namen »Der Rächer«, das gute Schiff, das schnelle: wie es übers Wasser tanzt! »Der Rächer«. Da hat also Matthias das schnelle Schiff, das er sich gewünscht hat für die Fahrt nach Judäa, ein schnelleres, großartigeres, als er sich’s je geträumt. Ehre hatte sein Junge, große Ehre, im Tode wie im Leben. Große Ehre tat ihm sein Freund an, der Kaiser. Für ihn, für seinen Matthias, rührten sich, an ihre Bänke geschmiedet, diese Ruderer, Tack, Schlag, Tack, Schlag, immerzu, für ihn hämmerte der Offizier seinen Takt, für ihn blähten sich die kunstvoll geordneten Segel, für ihn schoß das Schiff übers schwarze Wasser, des römischen Kaisers bestes Schiff, eine Glanzleistung der Schiffsbaukunst.
  Warum das alles? Wer kann es deuten? Auch dieser Matthias hat immer gefragt: warum? Mit seiner tiefen, geliebten Stimme hat er es gefragt, kindlich, und unwillkürlich ahmt Josef die tiefe, geliebte Stimme nach, und in den Wind und in die Nacht hinein fragt er mit der Stimme des Matthias: »Warum?«
  Gibt es eine Antwort? Nur eine, die Antwort der Doktoren, wenn man seinerzeit an ein wirklich schwieriges Problem geriet. Hin und her diskutierte man und schwatzte und prüfte und verwarf, und dann, wenn man in höchster Gier auf die Lösung wartete, erwiderten sie: das bleibt Problem, schwierig, nicht zu lösen, unentschieden, Kaschja.
  Kaschja.
  Und doch ist es nicht so. Und doch gibt es eine Antwort. Einer hat die Antwort gefunden, vor ein paar hundert Jahren, und sie können ihn nicht leiden um dieser Antwort willen, und um dieser Antwort willen haben sie sein Buch nicht aufnehmen wollen in den Kanon der Heiligen Schrift. Seine Antwort heißt nicht: Kaschja. Seine Antwort ist klar und bestimmt, es ist die richtige Antwort. Immer wenn Josef wirklich aufgerührt wird, dann stößt er in seinen Tiefen auf die Antwort dieses alten Weisen, des Predigers, des Kohelet, sie hat sich in seine Tiefen gesenkt, und da ist sie nun, und es ist die rechte Antwort.
  »Ich habe erkannt, daß alles, was Gott macht, so bleibt in Ewigkeit. Nichts kann man hinzutun, und nichts kann man davon wegnehmen. Was ist, ist längst gewesen, und was noch sein wird, ist längst gewesen. Und weiter sah ich, wie es unter der Sonne zugeht: wo Milde sein sollte, war Bosheit, und wo Gerechtigkeit sein sollte, Unrecht. Da dachte ich in meinem Herzen, das ist von Gott der Menschen wegen so eingerichtet, damit sie einsehen, daß sie nicht mehr wert sind als das Vieh. Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh, und sie haben ein Geschick. Wie dieses stirbt, so stirbt jener. Einen Odem haben sie, und der Vorzug des Menschen vor dem Vieh ist ein Nichts, und alles ist eitel. An einen Ort geht alles: aus Staub ist es geworden, und es kehrt zurück in den Staub. Wer will wissen, ob der Geist des Menschen in den Himmel steigt und der des Viehs in die Tiefen der Erde?«
  So hatte auch er selber gespürt, so war’s aus seinen eigenen Tiefen heraufgestiegen, mit der gleichen Gewißheit, wie es seinerzeit dem Kohelet heraufgestiegen sein mochte, so hatte er’s gewußt, damals, als er an der Leiche seines Sohnes SimeonJaniki gesessen war. Und dann, später, hatte er’s nicht mehr wissen wollen und hatte sich dagegen empört und hatte es vergessen. Jetzt aber hat ihn Jahve ein zweites Mal daran erinnert, hart, höhnisch, grimmig, und ihn gezüchtigt, ihn, den schlechten Schüler. Jetzt kann er sich’s einschreiben in sein Herz, muß er sich’s einschreiben, zehnmal, zwanzigmal, wie es der große Lehrer ihm befiehlt. »Alles ist eitel, alles ist Haschen nach Wind.« Schreib dir’s ein, Josef Ben Matthias, schreib’s mit deinem Blut, zehnmal, zwanzigmal, du, der du es nicht hast wahrhaben wollen, du, der du den Kohelet hast verbessern wollen. Da bist du hergegangen und hast danach getrachtet, den alten Weisen zu widerlegen durch deine Taten und durch deine Werke, durch deinen »Jüdischen Krieg« und deine Universalgeschichte und deinen »Apion«. Und hier hockst du nun, hier auf dem Schiff, das über das nächtige Meer fährt im schnellen Wind, und alles, was du noch besitzest, trägst du mit dir: deinen toten Sohn. Wind, Wind, Haschen nach Wind!
  Der schmale Mond war höher gestiegen, ein kleiner, blasser Glanz ging aus von dem magern, geschminkten Gesicht des Matthias.
  Und was soll er Mara sagen, wenn er jetzt ein zweites Mal vor sie hintreten muß und ihr verkünden: Der Sohn, den du mir anvertraut hast, ist tot?
  Leise, den Mund kaum öffnend, in den Nachtwind hinein, klagte er: »Wehe über meinen Sohn Matthias, meinen gesegneten, meinen geschlagenen, meinen Lieblingssohn! Ein großer Glanz war um meinen Sohn, und er war wohlgefällig vor allen Menschen, und alle Menschen liebten ihn, die Heiden und die Auserwählten. Ich aber habe ihn erfüllt mit Eitelkeit, und am Ende habe ich ihn umgebracht aus Eitelkeit. Wehe, wehe über mich und über dich, mein schöner, lieber, guter, glänzender, gesegneter, geschlagener Sohn Matthias! Ich habe dir einen prunkenden Mantel gegeben wie Jakob dem Josef, und ich habe dich ins Unheil geschickt wie Jakob seinen Sohn Josef, an dem er hing mit zu großer, äffischer, eitler Liebe. Wehe, wehe über mich und über dich, mein lieber Sohn!«
  Und er dachte an die Verse, die er geschrieben hatte, an den Psalm des Weltbürgers und den Psalm vom Ich und an den Psalm vom Glasbläser und an den Psalm vom Mut. Und seine Verse schienen ihm leer, und sinnvoll schien ihm nur eines, die Weisheit des Kohelet.
  Aber was nützte ihm diese Erkenntnis? Nichts nützte sie ihm, sein Schmerz wurde nicht geringer davon. Und er heulte hinaus in den Wind, und sein Heulen übertönte den Wind.
  Den Offizieren, den Matrosen und den Ruderern war der Mann unheimlich, der da seine Leiche übers Meer fuhr. Es war ein widerwärtiges Geschäft, das ihnen der Kaiser aufgetragen hatte. Sie fürchteten, der Jude sei den Göttern verhaßt, sie fürchteten, die Götter würden Unheil heruntersenden über ihr gutes Schiff. Sie waren froh, als die Küste von Judäa in Sicht kam.
Als Lucia von dem Tod ihres Lieblings Matthias erfuhr, bemühte sie sich, kalt und klar zu bleiben, sich zu wehren gegen den Verdacht, der sogleich in ihr hochstieg. Zuerst dachte sie daran, unverzüglich nach Rom zu fahren. Aber sie kannte Josefs Maßlosigkeit; er wird sicherlich, ohne zu prüfen und zu wägen, an Tücke und Verbrechen glauben, und sie wollte sich nicht anstecken lassen von der Wildheit seiner Gefühle. Sie wollte ihre Vernunft wahren, wollte sich, ehe sie etwas unternahm, ein gerechtes Urteil bilden. Sie schrieb dem Josef einen Brief, voll von Trauer, Mitleid, Freundschaft, Trost.
  Doch der Kurier, der das Schreiben überbringen sollte, kam zurück mit der Nachricht, Josef sei auf See, um die Leiche des Knaben nach Judäa zu überführen.
  Es kränkte Lucia nicht, daß sich der Mann in seinem Unglück, das doch auch das ihre war, nicht an sie gewandt, daß er ihr nicht erlaubt hatte, daran teilzunehmen, daß er nicht einmal ein Wort für sie hatte. Aber er schien ihr mit einem Male fremd, dieser Mann, der sich ganz verströmen ließ, der so gar kein Maß und keinen Rahmen kannte, dessen Unglück so selbstsüchtig war wie sein Glück. Sie begriff nicht mehr, wie sie sich diesen Maßlosen hatte so nahe kommen lassen. Das, was zwischen ihnen gewesen war, hätte noch lange treiben und blühen können; jetzt hatte er es zerschnitten durch die Art, wie er nach Judäa aufgebrochen war. Er war ein Unseliger, unselig in seiner Jäheit, er zog das Unglück an durch seine Wildheit und durch seine Vorstellungen von Sünde. Beinahe war es ihr recht, daß er ihre Beziehungen zerschnitten hatte.
  Ob Domitian das Verbrechen begangen, wagte sie nicht zu entscheiden. Sie war in Bajae, er in Rom, sie wollte ihn nicht sehen, solange sie hin und her gerissen war von Zweifeln, sie wollte ihm kein unüberlegtes Wort sagen, um sich nicht die Möglichkeit zu verschütten, klarzusehen über seine Schuld. Wenn er die Tat begangen haben sollte, dann wird sie Matthias rächen.
  Sie erhielt von Domitian ein freundlich kühles Schreiben. Domitilla, teilte er ihr mit, habe nun wirklich die jungen Prinzen eine lange Weile in Ruhe gelassen. So sehe er sich zu seiner Freude in der Lage, Lucias Wunsch zu erfüllen. Er habe den Gouverneur von Ostspanien beauftragt, Domitilla ihre Begnadigung anzukündigen. Lucia werde also ihre Freundin bald wieder in Rom begrüßen können.
  Lucia atmete auf. Sie war froh, Wäuchlein nicht vorschnell des Mordes an Matthias bezichtigt zu haben.
  Zwei Wochen später berichtete ihr ihr Sekretär, als er ihr des Morgens die neu eingetroffenen Nachrichten erzählte, daß die Prinzessin Domitilla auf elende Weise umgekommen sei. Sie hatte auf ihrer Insel das Evangelium eines gewissen gekreuzigten Christus verkündet, gemäß den Anschauungen der Minäer, einer jüdischen Sekte. Sie hatte sich vor allem an die Ureinwohner der Insel gewandt, es waren das aber halbzivilisierte Iberer, in Wohnstätten lebend, die eher Höhlen wilder Tiere gleichen als menschlichen Behausungen. Einmal, als sie mit ihrer Zofe aus einer solchen Siedlung zurückkehrte, hatten welche aus dem raubgierigen Gesindel den beiden Frauen aufgelauert, sie überfallen, beraubt und erschlagen. Das war geschehen, als bereits der Gouverneur von Ostspanien den Boten abgesandt hatte, der ihr ihre Begnadigung mitteilen sollte. Der Kaiser hatte angeordnet, daß aus dem Stamm, dem der Mörder angehörte, jeder zehnte gekreuzigt werde.
  Lucias helles, kühnes Gesicht verfinsterte sich, als sie diese Nachricht hörte; zwei tiefe, senkrechte Falten schnitten in ihre kindliche Stirn, ihre Wangen fleckten sich vor Zorn. Sie unterbrach den Sekretär mitten im Wort. Unverzüglich gab sie Befehl, ihre Abreise zu rüsten.
  Sie wußte noch nicht, was sie tun wird. Sie wußte nur, sie wird Domitian ihre ganze Wut ins Gesicht schleudern. Sooft sie sich über ihn empört hatte, es war in ihr immer etwas gewesen wie Achtung vor seiner wilden, strengen Sonderart, niemals war die Liebe ganz erloschen, die sein Stolz, seine Heftigkeit, sein Wahn, das Einmalige an ihm in ihr entzündet hatten. Jetzt sah sie in ihm nur mehr das schlechthin Böse, das reißende Tier. So gewiß er Domitilla umgebracht hatte, weil er ihr ihre Begnadigung versprochen, so gewiß auch war es seine harte Pranke gewesen, die den Knaben getroffen, den jungen, strahlenden, unschuldigen. Oh, er wird wieder viele große, stolze Worte wissen zu seiner Rechtfertigung! Aber diesmal wird er sie nicht dumm reden. Er hat den Knaben umgebracht wegen des Guten, das in ihm war, einfach, weil der Knabe so war, wie er war, vielleicht auch nur deshalb, weil der Knabe ihr, Lucia, gefallen hatte. Und auch Domitilla hatte er getötet, nur um sie, Lucia, zu treffen, so wie ein böses Kind das Spielzeug zerstört, an dem ein anderer seine Freude hat. Sie wird ihm das sagen, ins Gesicht; wenn sie es nicht täte, erstickte sie an dem unausgesprochenen Wort. Ihre ganze Wut, ihren ganzen Ekel wird sie ihm ins Gesicht schleudern.
Unverzüglich brach sie auf, nach Rom.

Solange er mit Josephus gesprochen, hatte Domitian ein Gefühl tiefer Befriedigung gespürt. Auch als Josephus seinen Vorschlag zurückgewiesen hatte, dem Knaben eine glänzende Bestattung zu rüsten, hatte er nur gelächelt. Er nahm dem Josephus die Frechheit nicht übel; sie bewies nur, daß er wirklich den Gegner an seiner verwundbarsten Stelle getroffen hatte. Wie ihm dann Claudius Regin die freche Bitte des Juden überbracht, war das vielleicht der Gipfel seines Triumphs gewesen. Denn nun konnte er sich obendrein noch großzügig zeigen und beweisen, daß, was er getan, nicht gegen den Gott Jahve gerichtet war. Das Verbrechen des Knaben Matthias hatte der Kaiser Domitian ahnden müssen; den Liebling des Gottes Jahve ehrte er mit den höchsten Ehren. Und er lächelte tief, froh und finster, als er erfuhr, daß von seinen schnellen Schiffen gerade »Der Rächer« bereitlag, daß es »Der Rächer« war, der den Josephus und seinen toten Sohn nach Judäa brachte. Fahr hin, Josephus, mein Jude, fahre zu, auf meinem guten, schnellen Schiff! Habt guten Wind, du und dein Sohn, fahrt hin, fahrt zu! Geflohen, entwichen, davongelaufen, enteilt ist Catilina.
  Doch je weiter der Feind enteilte, je weiter fort von Rom die Liburna »Der Rächer« war und auf ihr der Tote und der Lebendige, so mehr fiel des Kaisers Freude in sich zusammen. Er wurde gegen seine Gewohnheit träge, unlustig allen Tuns. Nicht einmal zu der kleinen Reise nach Alba raffte er sich auf, er blieb in dem heißen Rom.
  Langsam stellten sich die alten Zweifel wieder ein. Gewiß, er hatte recht daran getan, den Flavius Matthias zu beseitigen; der hatte Hochverrat begangen, er, der Kaiser, hatte nicht nur das Recht, er hatte die Pflicht gehabt, ihn zu strafen. Aber sein Gegner, der Gott Jahve, ist ein gewitztes, tückisches Wesen. Menschenwitz kann gegen ihn nicht an. Er wird Gründe finden, gekränkt zu sein, daß der Römer seinen Davidssproß, seinen Auserlesenen, hat wegraffen lassen. Er hat, Domitian, viele gute Argumente für sich anzuführen. Aber wird der feindselige Gott sie gelten lassen? Und jedermann weiß, wie rachsüchtig dieser Gott Jahve ist und wie unheimlich, und wie seine Hand aus dem Dunkeln trifft.
  Was kann er ihm vorwerfen, dieser Gott Jahve? Jahves Günstling, Jahves Gesandter, Josef, hatte ihm frecherweise im Beisein von ganz Rom die niederträchtige Ode vom Mut ins Gesicht geschleudert. Der gleiche Sendling Jahves hatte Lucia veranlaßt, freundschaftliche Beziehungen mit ihm zu unterhalten und ihn und seine Mission vor aller Augen auf provokatorische Art auszuzeichnen. Aber es war nicht der Wille, sich an diesen beiden zu rächen, der ihn, Domitian, zur Beseitigung des Matthias veranlaßt hatte. Er hatte die beiden nicht treffen wollen. Daß er sie hatte treffen müssen, war die übliche Nebenerscheinung einer ihm leider von den Göttern auferlegten heiligen Funktion. Nein, er grollte Josef nicht und auch nicht Lucia; er hegte vielmehr geradezu freundschaftliche Gefühle. Es war nicht etwa er, der ihnen Unheil zugefügt hatte, die Götter hatten es getan, das Schicksal, und er, ihr Freund, hatte den ehrlichen Willen, sie zu trösten.
  Trotzdem blieb in ihm ein heimliches Gefühl, es sei da eine Schuld, und wie es seine Gewohnheit war, mühte er sich, diese etwa vorhandene Schuld von sich abzuwälzen auf einen andern. Wo war die erste Ursache der Tat? Es hatte damit begonnen, daß ihm Norban zwei Davidssprossen vorgestellt hatte. Norban hatte das zu einem bestimmten Zweck getan. Der Kaiser wußte nicht mehr, welche Absicht Norban damit verfolgt hatte, aber soviel war sicher: Norban hatte ihm absichtlich das erste Glied einer Kette in die Hand gedrückt, einer Kette, deren letztes Glied eben der Tod des Knaben Matthias war. Wenn also Schuld bestand, dann traf die Schuld den Norban.
  Sich diese Gedanken ganz klarzumachen oder gar Folgen daraus zu ziehen, davor freilich hütete sich Domitian. Wenn er vor seiner Schreibtafel saß und an seinen Polizeiminister dachte, dann entstanden auf der Tafel immer nur Kringel und Kreise und niemals Buchstaben oder gar Worte, und diesen Kringeln und Kreisen entsprachen des Kaisers Gedanken. Wenn er aber deutlich über den Norban sprach, vor andern oder vor sich selber, dann sagte er immer nur, sein Norban, das sei der Treueste der Treuen.

Als Lucia auf dem Palatin eintraf, hatte sich Domitian in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen und Auftrag gegeben, ihn nicht zu stören. Doch Lucia bestand so heftig darauf, ihn sogleich zu sehen, daß Hofmarschall Xanthias sie schließlich trotzdem meldete. Er hatte Angst, der Kaiser werde zornig ausbrechen, aber der blieb ruhig, ja er schien sich auf die Begegnung zu freuen.
  Domitian fürchtete natürlich, Lucia werde ahnen, wie der Untergang des Matthias zustande gekommen sei und der Tod der Domitilla. Aber sein Norban hatte sich wieder einmal bewährt, er hatte gute Arbeit getan; es lagen einwandfreie Zeugenaussagen vor sowohl über den Unglücksfall, der den Matthias das Leben gekostet hatte, wie über die Ermordung der Domitilla durch das iberische Höhlengesindel. Und wenn Domitian sich äußerlich rechtfertigen konnte, so konnte er’s innerlich noch viel besser. Matthias hatte zweifellos Hochverrat begangen, und die Beseitigung der Domitilla war, gerade nach dem hochverräterischen Brief, notwendig gewesen, wenn anders er die Seelen der Knaben hatte schützen wollen.
  Als er indes Lucia hereinstürmen sah, groß, wild, empört bis in die Falten ihres Kleides, verließ ihn gleichwohl seine Sicherheit. Immer wieder wurde er schwach vor dieser Frau, auch heute fühlte er alle seine Argumente schmelzen. Doch dauerte diese Schwäche nur den Bruchteil eines Augenblicks. Dann war er wieder der Domitian, der er vorher gewesen, und mit sanften, höflichen Worten sprach er ihr seine Betrübnis aus über das Verhängnis, das ihm und ihr die beiden Freunde entrissen habe.
  Allein Lucia ließ ihn nicht zu Ende reden. »Dieses Verhängnis«, sagte sie finster, »hat einen Namen. Es heißt Domitian. Lügen Sie nicht, schweigen Sie, sagen Sie nichts! Sie haben nicht Ihren Senat vor sich. Versuchen Sie nicht, sich zu rechtfertigen! Es gibt keine Rechtfertigung. Ich glaube Ihnen nichts, keinen Satz, kein Wort, keinen Hauch. Sich selber mögen Sie etwas vorlügen, mir nicht. Und diesmal können Sie nicht einmal sich selber dumm machen. Gemein, feig, niederträchtig haben Sie gehandelt! Nur weil der Knabe Ihnen gefallen hat, darum haben Sie ihn umgebracht; weil selbst Sie gesehen haben, wie unschuldig er war und wieviel Reinheit von ihm ausging, und weil Sie so etwas nicht in Ihrer Nähe ertragen können. Nichts war es als pure, kleinliche Eifersucht. Und Domitilla! Sie selber haben gesagt, daß sie Ihnen nichts getan hat. Pfui! Was für eine schmutzige Seele Sie haben! Kommen Sie mir nicht näher, rühren Sie mich nicht an! Mich ekelt vor mir selber, wenn ich daran denke, daß ich mich von Ihnen habe beschlafen lassen.«
  Domitian war gehorsam zurückgewichen, er lehnte an seinem Schreibtisch, er schwitzte ein wenig. »Es hat Ihnen aber doch gefallen, meine Lucia«, feixte er. »Oder nicht? Ich wenigstens hatte ziemlich oft den Eindruck, es habe Ihnen unverkennbar gefallen.« Jetzt indes zeigte Lucias beredtes Gesicht unverkennbaren Ekel, und langsam wich das Feixen aus Domitians überrötetem Antlitz, ja für einen Augenblick wurde er erschreckend blaß. Dann aber, nicht ohne Mühe, stellte er das Lächeln wieder her, und: »Der Junge muß Ihnen wirklich sehr nahe gestanden haben«, überlegte er laut, mit höflicher, betrachtsamer Ironie. »Und interessant, sehr interessant bleibt es auf alle Fälle, was Sie mir da über die Geschichte unserer Beziehungen eröffnet haben.«
  »Ja«, antwortete Lucia, jetzt viel ruhiger, und durch diese Ruhe klang ihre Bitterkeit noch viel verächtlicher, »sie ist interessant, die Geschichte unserer Beziehungen. Aber jetzt ist sie zu Ende. Ich habe mich von Ihnen entführen lassen, ich habe Sie geliebt. Zehnmal, hundertmal haben Sie Dinge getan, gegen die sich mein ganzes Wesen gesträubt hat, und immer wieder hab ich mich von Ihnen überzeugen lassen. Jetzt aber ist es aus, Wäuchlein«, und diesmal klang ihr »Wäuchlein« gar nicht spaßhaft, sondern bitter und höhnisch. »Es ist aus«, wiederholte sie, mit einem kleinen Ton auf dem »ist«. »Sie haben mich oft beschwatzt, Sie sind zäh, das ist mir bekannt, und geben einen Plan nicht leicht auf. Aber ich rate Ihnen, gewöhnen Sie sich an den Gedanken, daß es zwischen uns aus ist. Meine Entschlüsse kommen jäh, aber ich halte daran fest, Sie wissen es. An meinen Worten kann man nicht deuteln wie an den Ihren. Ich gebe Ihnen den Abschied, Domitian. Mich ekelt vor Ihnen. Ich bin fertig mit Ihnen.«

Auf Domitians gerötetem Gesicht blieb, als Lucia gegangen war, noch eine Weile das etwas verlegene, künstlich ironische Feixen, hinter dem er seine Wut zu verbergen gesucht hatte. Seine kurzsichtigen Augen starrten der Entschwundenen nach, in seinen Ohren war noch der Hall ihrer Worte. Langsam dann entspannte sich sein Gesicht, mechanisch pfiff er vor sich hin, die Melodie jenes Couplets: »Auch ein Kahlkopf kann ein schönes Mädchen haben, / Wenn er Geld genug dafür bezahlt.«
  Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, nahm den goldenen Griffel, kritzelte in die Wachstafel, Kreise und Kringel, Kringel und Kreise. »Hm, hm«, sagte er vor sich hin, »interessant, sehr interessant.« Sie verachtete ihn also. Viele hatten erklärt, sie verachteten ihn, aber das waren Worte gewesen, ohnmächtige Gesten; es war undenkbar, daß ein Sterblicher ihn, den Herrn und Gott Domitian, verachtete. Lucia war unter den Lebenden die einzige, der er’s glaubte.
  Für einen Augenblick ließ er’s sich ganz ins Bewußtsein dringen, daß sie also von ihm gegangen war, daß sie einen Schnitt gemacht hatte zwischen sich und ihm. Dieser Schnitt tat weh, die Kälte dieses Schnittes drang tief in ihn ein. Dann aber wehrte er sich dagegen, reckte sich auf, bedachte, daß ihre Worte endgültig waren und es also keinen Sinn hatte, dieses endgültig Vergangene zu betrauern. Nur die Folgen waren daraus zu ziehen.
  Lucia hatte sich von ihm losgesagt, sie hat sich aus seinem Schutz begeben. Sie war nicht mehr die Frau, die zu ihm gehörte, nur mehr die Feindin, die Hochverräterin. Sie hat ihn veranlassen wollen, Domitilla zurückzurufen, wiewohl offenbar niemand besser wußte als sie, daß diese Domitilla versuchen wird, verderblichen Einfluß auf seine Söhne zu gewinnen. Schon das war Hochverrat. Dann hat sie überdies mit Domitilla gezettelt, hat versucht, ihn zu betrügen, ihm ein Wohlverhalten Domitillas vorzuspiegeln, damit diese dann um so ungestörter aus der Nähe seine Söhne der Staatsreligion abspenstig machen könne. Klarer Hochverrat. Lucia ist eine Verbrecherin, er muß den Blitz schleudern.
  Er blieb weiter in Rom.
  Auch Lucia blieb in Rom, wiewohl der August dieses Jahres ungewöhnlich heiß war. Vielleicht kehrte sie deshalb nicht nach Bajae zurück, weil ihr das Haus und der Garten verleidet waren, die voll waren von Erinnerungen an Matthias.
  Die Prinzen Vespasian und Domitian machten ihr ihre Aufwartung in Begleitung ihres Hofmeisters Quintilian. Die letzten Ereignisse hatten ihm guten Anlaß gegeben, seinen Zöglingen stoische Gedankengänge näherzubringen. »Gelassen wahr den Sinn dir in harter Zeit!« Aber er hatte den Knaben nicht erst lange Vorhaltungen machen müssen, sie waren still geworden, sie klagten nicht, ihre Gesichter waren zugesperrt, streng. Sie waren Söhne der Domitilla mehr als des Clemens, sie waren echte Flavier. Sie hatten erst eine kurze Strecke ihres Weges zurückgelegt, doch dieser Weg war gesäumt mit Toten. Jetzt vertrat Vaterstatt an ihnen ein Mann, der ihnen den wahren Vater und wohl auch den Freund zu den Untern geschickt hatte und die Mutter in die Verbannung. Sie mußten leben an der Seite dieses Mannes und durften nur verstohlen und in halben Worten miteinander reden über das, was ihnen am nächsten lag. Der Mann, der sie Söhne nannte, war der mächtigste Mann der Welt, auf sie selber wartete eine unausdenkbare Fülle von Macht. Sie aber waren machtloser als die Leibeigenen in den Schächten der Bergwerke; denn die durften reden, worüber sie wollten, die durften klagen, sie aber, die Kaisersöhne, gingen umher in einer tiefern Finsternis als die in den Bergwerken, und der höhnische Glanz um sie herum verdeckte nur schlecht diese Finsternis, und kaum im Schlaf durften sie die Maske ablegen, die zu tragen ihnen befohlen war.
  Als sie erfahren hatten, daß Lucia wieder in Rom sei, war ihnen das ein großer Trost. Aber nun sie sie das erstemal sahen, lähmte sie die Gegenwart Quintilians. Lucia erschrak, wie sehr sich die Knaben verändert hatten. So schnell hatten sie sich verändert, hier auf dem Palatin. Alles hat sich hier verändert, oder vielleicht auch hat bisher nur sie alles falsch gesehen. Sie wußte nicht recht, was sie den Knaben sagen könnte, peinvoll suchten alle drei nach Worten, der gewandte Quintilian mußte oft über quälende Pausen hinweghelfen. Schließlich ertrug es Lucia nicht länger. »Kommt her«, sagte sie, »seid keine Männer! Sei du Constans, und du Petron, und weint um Matthias und um eure Mutter!« Und sie umfaßte sie, und sie achteten nicht länger auf die Gegenwart Quintilians und ergingen sich in süßen und traurigen Erinnerungen an Matthias und in dunklen Worten des Zornes.
  Nach dieser Zusammenkunft hätte Quintilian seine Zöglinge der Kaiserin am liebsten für immer ferngehalten. Aber dagegen trotzten die Knaben auf. Domitian, der, langsam wie immer, noch nicht schlüssig geworden war, wann er nun den Blitz gegen Lucia schleudern sollte, wollte es noch nicht zu einem offenen Bruch kommen lassen, und so wurde entschieden, daß die Prinzen einmal alle sechs Tage Lucia sehen sollten.
  Dumpf und gefährlich lebte man dahin auf dem Palatin, und die schwere Schwüle dieses Sommers machte alles noch schwerer erträglich.
  Auch die Stadt spürte, daß sich die Dinge zusammenballten um Domitian, und machte viel Gewese aus den übeln Vorzeichen, die sich häuften. Einmal, in diesem gewitterreichen Monat, schlug der Blitz in des Domitian Schlafzimmer, einmal riß der Sturm die Inschrifttafel seiner Triumphsäule fort. Die mißvergnügten Senatoren ließen es sich angelegen sein, aus diesen Vorzeichen viel Wesens zu machen, und mehrere angesehene Astrologen erklärten, der Kaiser werde den nächsten Winter nicht erleben.
  Domitian ließ den Blitz, der in sein Schlafzimmer eingeschla gen, ordentlich begraben, wie es der Brauch erforderte. Die Inschrift der Triumphsäule ließ er in den Sockel einmeißeln, so daß sie kein Sturm mehr verwehen konnte. Einen der Wahrsager ließ Norban festnehmen; er gestand auf der Folter, er habe sich von einem der oppositionellen Senatoren anstiften lassen, unter Mißbrauch seiner Kunst Unwahres zu verkünden. Der Senator wurde verbannt, der Wahrsager exekutiert.
  Die Anhänglichkeit der Massen an den Kaiser wurde durch diese übeln Vorzeichen nicht geringer. Sie fühlten sich sicher unter seinem Regiment. Seine maßvolle Außenpolitik zeigte ihre günstigen Folgen. Keine kostspielige Kriegs- und Prestigepolitik zehrte am Wohlstand des Landes, die Gouverneure wagten die Provinzen nur in relativ bescheidenem Maß auszuplündern. Auch vergaß man nicht die großen Schenkungsfeste, die Domitian veranstaltet hatte. Waren also die Massen zufrieden mit seiner Regierung, so haßte man ihn unter den Hocharistokraten und in der Schicht der sehr Reichen um so mehr. Man jammerte über die verlorene Freiheit und das willkürliche, despotische Regiment, und es gab Leute, denen es schwarz vor den Augen wurde, wenn sie das verhaßte, hochfahrende Gesicht des Kaisers sahen.
  Da war der alte Senator Corell. Er litt seit seinem dreiunddreißigsten Jahr an Gicht. Enthaltsamkeit hatte eine Weile sein Leiden gedämpft, in späteren Jahren indes hatte die Krankheit den ganzen Körper ergriffen, verkrümmt und entstellt, er litt unerträgliche Schmerzen. Er war Stoiker, als mutiger Mann bekannt, seine Freunde wunderten sich, daß er seinem Leiden kein Ende machte. »Wissen Sie«, erklärte er einmal flüsternd seinem nächsten Freunde Secundus, »wissen Sie, warum ich mich selbst überwinde und dieses grauenvolle Dasein aushalte? Ich habe mir geschworen, diesen Hund Domitian zu überleben.«
  Domitian machte sich lustig über die übeln Vorzeichen. Sie waren falsch gedeutet, sie besagten nichts, man brauchte nur die Augen aufzumachen, um zu sehen, wie glücklich sein Regiment war und wie der Wohlstand und die Zufriedenheit des Volkes wuchsen. Aber er war zu sehr Wirklichkeitsmensch, um nicht zu merken, daß trotzdem auch der Haß rings um ihn wuchs. Und mit dem Haß wuchsen des Kaisers Menschenfeindschaft und seine Angst.
  Man war furchtbar allein, man war ringsum verraten und verkauft. Nun war auch noch seine Minerva von ihm gegangen, und zuletzt hatte selbst Lucia ihn verraten. Wer eigentlich blieb ihm noch?
  Er ließ die Gesichter seiner Freunde, seiner Nächsten, an sich vorübergehen. Da waren Marull und Regin. Aber sie sind wackelige Greise, und er weiß nicht einmal, ob er, nach dem Tode des Matthias, ihrer ganz sicher sein kann. Folgt Annius Bassus. Der ist jünger. Der ist durchaus verläßlich. Aber er ist, der schlichte Soldat, der Dummkopf, nicht zu brauchen für verflochtene Dinge, die feineres Verständnis erfordern. Und wenn er, Domitian, sich der Lucia trotz ungeheurer Mühen nicht hat verständlich machen können, wie sollte er sich diesem verständlich machen? Käme Norban. Aber Norban hat sehr tief in ihn hineingeschaut, tiefer, als man in den Herrn und Gott Domitian hineinschauen darf, zu tief. Und überdies ist es Norban gewesen, der ihm das erste Glied der gefährlichen Kette in die Hand gedrückt hat. Norban ist der Treueste der Treuen, aber auch zwischen ihm und Norban ist es aus.
  Es bleibt in Wahrheit ein einziger: Messalin. Welch eine Gnade, daß die Götter den Messalin blind gemacht haben! Den toten Augen des Messalin kann der Herr und Gott Domitian sein Gesicht zeigen, ohne Scheu, ohne Scham. Der blinde Messalin darf wissen, was kein anderer wissen darf. Einer wenigstens ist in der Welt, dem Domitian alles sagen kann, und er muß nicht fürchten, daß er’s hinterher bereue.
  Domitian saß in seinem versperrten Arbeitskabinett, aber er war nicht allein, mit ihm, um ihn waren seine Menschenfeindschaft und seine Angst. Warum war dies alles? Warum war er so einsam? Warum war dieser Haß um ihn? Sein Volk war glücklich, Rom war groß und mächtig, mächtiger, glücklicher als je. Warum war dieser Haß um ihn?
  Es gab nur einen Grund, die Feindschaft dieses Gottes Jahve. Er ließ sich nicht versöhnen, dieser Gott. So klug er, der Kaiser, sich vorgesehen hatte, sicher hatte der Gott Jahve mit seinem östlichen Advokatenverstand trotzdem in den Ereignissen um den Knaben Matthias etwas gefunden, was ihm einen Rechtstitel gab gegen den römischen Kaiser. Sicher war es die Rache dieses Gottes Jahve, was ihn nicht zur Ruhe kommen ließ.
  Gab es denn kein Mittel, den Grimm des Gottes zu versöhnen?
  Es gab ein Mittel. Er wird dem Gott den Mann opfern, der die Tötung des Knaben Matthias angestiftet hat, den Mann, der ihm das erste Glied der Kette in die Hand gedrückt hat, seinen Polizeiminister Norban. Das ist ein großes Opfer, denn Norban ist der Treueste der Treuen.
  Vor seiner Schreibtafel saß er. Diesmal aber waren es keine Kringel und Kreise, die auf der Schreibtafel entstanden, diesmal waren es Namen. Denn wenn er seinen Norban zu den Untern schickt, dann sendet er ihn nicht allein auf den dunkeln Weg, dann schickt er andere mit.
  Langsam gräbt der Griffel ins Wachs, säuberlich untereinander setzt er Namen auf Namen. Da ist der gewisse Salvius, der es gewagt hat, den Gedächtnistag seines toten Onkels zu feiern, des Kaisers Otho, des Flavierfeindes. Genießerisch gräbt Domitians Griffel den Namen Salvius ins Wachs. Da ist der Schriftsteller Didymus, der in seine vielgerühmte Geschichte Kleinasiens Anspielungen eingestreut hat, die dem Kaiser nicht gefallen. Er setzt den Namen auf seine Liste, und in Klammern fügt er bei: »Auch den Verleger und die Schreiber.« Dann, und diesen Namen schreibt er sehr schnell, folgt Norban. Mehrere andere, gleichgültige, setzt er darunter. Dann, nach ganz kurzem Schwanken, läßt er den Namen Nerva folgen. Das ist zwar ein betagter Herr, nahe den Siebzig, auch maßvoll, vorsichtig, man kann ihm nichts nachweisen; aber gerade weil er so ruhig und bedachtsam ist, schart sich die Opposition um ihn. Domitian liest den Namen, er macht gute Figur auf der Liste. Dann erst, langsam, sorgfältig, in schlau ausgeführten Buchstaben schreibt er nieder den Namen Lucia. Dann, da nicht dieser Name das Ende sein soll, läßt er einige belanglose den Beschluß machen.
  Er ist sehr vertieft gewesen in seine Liste. Jetzt, da er sie zusammen hat, atmet er auf, schaut er auf, ihm ist wie nach einem Sieg. Er erhebt sich, streckt sich, lächelt, und von allen Seiten aus dem spiegelnden Wandbelag lächelt Domitian ihm entgegen. Wenn der östliche Gott ein Argument gefunden haben sollte, gegen ihn vorzugehen, jetzt hat der römische Kaiser ihm diesen Vorwand wieder aus der Hand gewunden. Er hat dem Gott seinen Norban geopfert. Jetzt muß sich der Gott zufriedengeben, jetzt muß der Gott ihn in Ruhe lassen.
  Am späten Nachmittag speiste Domitian mit den beiden Prinzen. Sie waren allein; nicht einmal Quintilian war da, er war bei einem Freunde, um einer Vorlesung beizuwohnen. Die ganze Zeit über hatte sich der Kaiser auch vor den Knaben grämlich und reizbar gegeben, heute aber, bei dieser Mahlzeit, war ihr Vetter und Vater, der Herr und Gott Domitian, guter Laune. Vergnügt unterhielt er sich mit den beiden. Die wußten gar nicht, was alles sie ihm zu verdanken hatten, was alles er getan hatte, um ihnen die Herrschaft leichter zu machen, die sie erwartete.
  Die Knaben saßen da mit ernsten Gesichtern. Er aber wollte heute von ihrem Ernst und ihrer Trübsal nichts merken. Gut, sie hatten in diesen letzten Wochen ihre Mutter verloren. Aber was für eine dünne, dürre, machtlose, halbwahnwitzige Mutter war das gewesen, und was für einen großen, mächtigen, kaiserlichen, göttlichen Vater hatten sie in ihm, der seinen Glanz und seinen Reichtum unter ihre Füße breitete. Sie sollten nicht so dunkle Gesichter machen, und er mühte sich, seine beiden jungen, allzu stillen Tischgenossen aufzumuntern. Nach wie vor hatte er die Fähigkeit, auf eine finstere und gleichwohl fesselnde Art skurril zu sein. Er nahm sich zusammen, er gab sich besonders liebenswürdig, er sprach zu ihnen wie zu Kindern und trotzdem wie zu Männern, er machte es ihnen leicht, höflich zu sein und auf ihn einzugehen, und sie lächelten denn auch höflich zu seinen Scherzen.
  Nein, er war ganz und gar nicht der Gott heute abend, er gab sich menschlich, kameradschaftlich. Er erkundigte sich nach ihren kleinen Liebhabereien. Prinz Domitian erzählte denn auch von der Pfauenzucht in Bajae; erst sehr angeregt, dann aber, auf einen Blick seines Bruders, dachte auch er an Matthias, wurde wortkarger, verstummte. Der Kaiser indes schien es nicht zu merken, er machte sich eine Notiz auf seiner Schreibtafel, und dann erzählte er von seinen eigenen kleinen Launen und Schwächen. »Ich liebe es«, vertraute er ihnen an, »die Menschen zu überraschen, im Guten wie im Bösen. Ich liebe die langsamen Entschlüsse und die blitzhaft darauffolgende Tat. Eine solche Überraschung laß ich mir manchmal viel Zeit und Mühe kosten.« Der Knabe Vespasian sagte: »Und glücken sie immer, Ihre Überraschungen, mein Herr und Vater?« – »Gewöhnlich glücken sie«, antwortete Domitian. Der Knabe Domitian sagte: »Sie sprechen so, mein Herr und Vater, als bereiteten Sie eine neue Überraschung vor.« – »Vielleicht tu ich das«, erwiderte gutgelaunt und schwatzhaft der Kaiser.
  Beide Knaben schauten zu ihm auf, in ihrem Blick war Furcht, Haß und Neugier; zugleich schienen sie geschmeichelt, daß der Herr der Welt so kameradschaftlich mit ihnen sprach. »Seht ihr«, fuhr der Kaiser fort, die Spannung ihrer jungen Gesichter auskostend, »da wundert ihr euch, daß euer Vater euch so ohne weiteres von den Überraschungen erzählt, die er vorbereitet. Dabei ist, was ich tun werde, gar nicht so fernliegend. Wenn es einmal getan ist, werden alle finden, es sei das Nächstliegende gewesen. Und dennoch wird es kommen wie ein Delphin, der plötzlich aus stillem Meer emporspringt.« Da faßte den älteren der beiden, den Knaben Vespasian, ein düsterer Übermut, und er fragte: »Werden an Ihrer Überraschung Menschen sterben müssen, mein Herr und Vater?« Domitian schaute hoch, argwöhnisch, erstaunt über soviel Dreistigkeit. Dann aber lachte er, hatte er doch durch seine eigenen vertraulichen Reden die Frage herausgefordert, und, halb spaßhaft, gab er Bescheid: »Wenn wir Götter spaßen, dann bekommt es manchmal denen nicht gut, mit denen wir spaßen.«
  Als sie von Domitian entlassen waren, sagten sie einer zum andern: »Er sinnt auf einen neuen Schlag, der Schlächter ... Es soll eine Überraschung sein, und doch soll es naheliegen ... Wer bleibt noch, den er morden könnte? ... Wir selber? ... Das wäre weder eine Überraschung, noch liegt es nahe.«
  Domitian hatte sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen, das pflegte er jetzt oft nach der Mahlzeit zu tun, und die kaiserlichen Gemächer gehörten den Knaben. Hatte der Kaiser sie nicht geradezu aufgefordert, seine Überraschung herauszufinden? Sie glühten danach, herauszubekommen, wen er nun morden wollte. Sie waren Flavier, sie waren tatenlustig, sie waren rachsüchtig, sie waren tollkühn.
  Sie gingen nach dem Arbeitskabinett des Kaisers. Es war bewacht von einem Hauptmann und zwei Soldaten. »Lassen Sie uns ein!« bat Prinz Vespasian. »Es geht um eine Überraschung, es geht um eine Wette mit dem Kaiser. Wenn der Kaiser sie verliert, dann wird er nur lachen. Und wenn wir die Wette gewinnen, Hauptmann Corvin, dann werden wir es Ihnen nicht vergessen, daß Sie uns eingelassen haben. Sie also können nur gewinnen, Hauptmann Corvin.« Der Hauptmann zögerte. Er hatte den Wachdienst bei Domitian nie geliebt, was man tat und was man ließ, war gefährlich; die Offiziere der Leibgarde pflegten zu scherzen: »Wer beim Kaiser Wache hat, tut gut, vorher den Göttern der Unterwelt zu opfern.« Wenn er den Knaben den Eintritt verwehrte, dann konnte das übel ausgehen; wenn er sie einließ, konnte das übel ausgehen. Er ließ sie nicht ein.
  Die Knaben waren Flavier, Söhne der Domitilla. Widerstand machte sie nur hartnäckiger. Sie gingen nach dem Schlafgemach des Kaisers.
  Es war bewacht von einem Hauptmann und zwei Soldaten. »Lassen Sie uns ein!« bat Prinz Domitian. »Es geht um eine Überraschung, es geht um eine Wette mit dem Kaiser. Wenn der Kaiser sie verliert, dann wird er nur lachen. Und wenn wir die Wette gewinnen, Hauptmann Servius, dann werden wir es Ihnen nicht vergessen, daß Sie uns eingelassen haben. Sie also können nur gewinnen, Hauptmann Servius.« Der Hauptmann zögerte. Wenn er den Knaben den Eintritt verwehrte, konnte das übel ausgehen. Er ließ sie ein.
  Domitian lag auf dem Rücken und schlief halboffenen Mundes. Er atmete langsam, gleichmäßig, der Kopf mit den sehr roten, gefältelten, durchäderten Lidern sah etwas töricht aus, der Bauch wölbte sich stark nach oben. Der eine Arm lag schlaff und tot auf der Seite, den andern hatte er über den Kopf gebeugt. Die Knaben näherten sich auf Zehenspitzen. Wenn er erwachte, dann würden sie sagen, wie es Wahrheit war: »Wir wollten Ihre Überraschung herausbekommen, mein Herr und Vater Domitian.«
  Prinz Vespasian langte unter das Kopfkissen. Er fand eine Schreibtafel, er und sein Bruder lasen die Namen. »Hast du sie im Kopf?« flüsterte Prinz Vespasian. »Einige, die wichtigsten«, antwortete Prinz Domitian. Der Schlafende machte eine Bewegung, ein kleines Schnauben kam aus dem halboffenen Mund. »Fort!« flüsterte Vespasian. Sie steckten die Schreibtafel wieder unter das Kopfkissen, schlichen hinaus. Der Offizier atmete auf, als er sie herauskommen sah. »Ich glaube, Sie haben Ihr Glück gemacht, Hauptmann Servius«, sagte Prinz Domitian, er sprach leutselig, aber doch grimmig, prinzlich.
  »Hast du es gesehen?« fragte Vespasian, »unten hat er hingeschrieben: ›Prinzen Pfauen.‹ Uns wollte er nicht umbringen, uns wollte er Pfauen schenken.« Trotzdem beschlossen sie, einer von ihnen sollte sogleich Lucia aufsuchen. Vespasian übernahm es. Er erreichte sie, erzählte. Sie halste ihn, küßte ihn, dankte ihm mit starken Worten. Es war die größte Stunde seines Lebens.

Noch bevor die Sonne unterging, war Norban bei Lucia. Er war etwas indigniert, daß ihn Lucia so dringlich und geheimnisvoll aufgefordert hatte zu kommen. Was wird sie ihm schon groß zu berichten haben? Alberne Liebesgeschichten vermutlich.
  Lucia erzählte ihm in dürren Worten, was geschehen war. Der vierschrötige Mann zuckte nicht; er hatte während ihrer ganzen Erzählung seine braunen Augen, die eines bösen, treuen Wachhundes, nicht von ihr gewandt. Auch jetzt nicht wandte er sie von ihr, er schwieg, er überlegte offenbar, er traute ihr nicht.
  Dann, statt aller Antwort, fragte er sachlich, fast grob: »Sie hatten eine Auseinandersetzung mit dem Herrn und Gott Domitian?« – »Ja«, erwiderte sie. »Ich hatte keine mit ihm«, sagte er, und sein herausfordernder Ton verhehlte nicht sein Mißtrauen. »Ich rede offen mit Ihnen, meine Herrin Lucia«, fuhr er fort. »Sie haben Anlaß, mir feind zu sein, der Kaiser nicht.« – »Aber vielleicht wissen Sie zuviel um ihn«, vermu tete Lucia. »Das ist plausibel«, überlegte Norban. »Aber es gibt auch viele andere Möglichkeiten. Es könnte zum Beispiel sein, daß Prinz Vespasian in jugendlicher Phantasterei glaubt, es sei gar kein Unglücksfall gewesen, der seinen Kameraden Matthias weggerafft hat und seine Mutter, sondern böse Absicht des Kaisers.« – »Es ist nicht ausgeschlossen«, gab ihrerseits Lucia zu, »daß Vespasian aus solchen Gründen zu mir kam und daß er gelogen hat. Aber wahrscheinlich ist es nicht. In Ihrem Innern, mein Norban, wissen Sie so gut wie ich, daß Vespasian die Wahrheit sagt, daß Ihr Name und meiner auf der Tafel waren, und Sie und ich und der Knabe deuten richtig, was das heißen soll.«
  »Am liebsten«, knurrte auf einmal Norban heraus, »möchte ich diesem vorwitzigen Vespasian den Hals umdrehen.« Die modischen Locken fielen ihm unordentlich, etwas grotesk in die niedrige Stirn des vierschrötigen Gesichtes, er sah unglücklich aus, ein böser, treuer Hund, dessen Welt in Stücke gegangen ist. Lucia mußte in aller Wut, Trauer und besorgter Geschäftigkeit beinahe lachen über den plumpen Zorn des bösen Mannes. »So fest also hängen Sie an Wäuchlein«, sagte sie, »so aus den Fugen gerissen sind Sie, weil er sich auch gegen Sie sichern will?« – »Ich bin treu«, erklärte verbissen Norban weiter. »Der Herr und Gott Domitian hat recht. Der Herr und Gott Domitian hat immer recht. Selbst wenn er mich beseitigen lassen will, hat der Herr und Gott Domitian sicher seine guten Gründe und hat recht. Und diesen Vespasian werde ich es bezahlen machen!« wütete er. »Reden Sie keinen Unsinn, mein Norban!« führte ihn Lucia in die Wirklichkeit zurück. »Schauen Sie die Dinge an, wie sie sind! Ich bin Ihnen nicht sympathisch, und ich müßte lügen, wenn ich behauptete, daß Sie mir gefielen. Aber die gemeinsame Gefahr macht uns nun einmal zu Bundesgenossen. Wir müssen DDD zuvorkommen, und wir haben Eile. Die Knaben haben nicht alle Namen in Erinnerung, die auf der Liste standen, aber einige haben sie. Hier sind sie. Setzen Sie sich mit den Herren in Verbindung, soweit sie Ihnen nützlich sein können! Ich meinesteils werde dafür sorgen, daß Domitian heute nacht hier bei mir schläft. Sorgen Sie dann für das Weitere!«
  Norban schaute sie aus seinen braunen, wachsamen und dennoch stumpfen Augen lang und nachdenklich an. »Ich weiß«, sagte Lucia, »was Sie jetzt überlegen. Sie fragen sich, ob Sie nicht hingehen sollen und dem Kaiser anzeigen, was ich Ihnen vorgeschlagen habe. Das wäre nicht ratsam, mein Norban. Ihre eigene Exekution würden Sie dadurch hinausschieben, aber eben nur hinausschieben. Denn Sie wüßten dann noch mehr um den Kaiser, und sosehr es ihn schmerzte, die Pflicht, Sie zu beseitigen, würde so nur dringlicher. Habe ich recht?« – »Sie haben recht«, gab Norban zu. »Dieser naseweise Prinz!« knurrte er und konnte sich nicht beruhigen. »Sie wären lieber umgekommen, unwissend«, erkundigte sich interessiert Lucia, »als daß Sie jetzt, wissend, dem Kaiser zuvorkommen?« – »Ja«, gab Norban unglücklich zu. »Ich bin sehr enttäuscht«, sagte er, ehrlich betrübt.
  »Und Sie sind sicher«, fragte er schließlich noch frech und sachlich, »daß Sie den Kaiser dahin bringen werden, bei Ihnen zu schlafen, trotz der Auseinandersetzung?« Lucia ärgerte sich nicht, eher war sie amüsiert. »Ich bin es«, sagte sie.

»Mein Herr und Gott, Domitian, Wäuchlein, DDD, ich weiß nicht, welcher feindliche Gott es mir eingegeben hat, so freche und törichte Worte an Sie zu richten, wie ich es getan. Der Hundsstern muß mich verblendet haben. Ich kenne aber die Milde und Großmut des Kaisers Domitian. Denken Sie an unsere Nacht damals auf dem Schiff nach Athen. Denken Sie an unsere Nacht damals, als Sie die Gnade gehabt hatten, mich zurückzurufen? Verzeihen Sie mir! Kommen Sie zu mir und sagen Sie es mir mit Ihrem eigenen Munde, daß Sie mir verzeihen! Kommen Sie heute nacht! Ich erwarte Sie. Und wenn Sie kommen, dann liefere ich Ihnen auch das Baumaterial für Ihre Villa in Selinunt zur Hälfte des Preises. Ihre Lucia.


Domitian, als er diesen Brief las, grinste. Dachte an seine Liste. Dachte an Messalin, mit dem er morgen diese Liste durchsprechen wird. Dachte aber auch an die beiden Nächte, an die ihn Lucia erinnerte.

  Es war Domitian lieb, wenn diejenigen, die er beseitigen mußte, einsahen, daß diese Beseitigung eine gerechte Strafe, eine notwendige Maßnahme sei. Er freute sich, daß Lucia ihr Unrecht einsah. Er freute sich, daß sie ihn nach wie vor liebte. Freilich, wie sollte sie ihn nicht lieben, da er sie seiner Neigung gewürdigt hat? Und an der Sache wurde dadurch nichts geändert. Lucias Verbrechen wurde nicht kleiner dadurch, daß die Hochverräterin Lucia außerdem auch eine Frau war, die ihn liebte. Er wurde nicht schwankend in seinem Vorhaben, er dachte nicht daran, den Namen von seiner Liste zu streichen.
  Ihrer Einladung wird er trotzdem folgen. Sie ist eine großartige Frau. Wenn er an die Narbe unter ihrer linken Brust denkt, werden ihm die Knie schwach. Die Götter sind ihm huldvoll, daß sie ihn diese Narbe noch einmal küssen lassen. Sie ist eine strotzende Frau, sie ist die Frau, die zu ihm gehört. Schade, daß sie eine Hochverräterin ist und nicht mehr viel Gelegenheit haben wird, ähnliche Briefe an ihn zu schreiben.
  Der Kaiser kam also zu Lucia und schlief bei ihr. Schwer, nach der Umarmung, lag sein großer Kopf auf ihrer Schulter. Lucia zog gleichwohl den Arm nicht weg. Sie beschaute beim matten Licht der Öllampe den schlafenden Kopf, unter dem gedunsenen, schlaffen, müden Gesicht suchte sie jenes, das sie zuerst gesehen hatte, da man von ihm noch als von dem Früchtchen sprach und er der Nichtsnutz war, auf den niemand Hoffnung setzte außer ihr. Jetzt liebte sie ihn nicht und haßte ihn nicht, sie bereute nicht ihren Entschluß, doch nichts mehr war in ihr von der grimmigen Genugtuung, die sie erfüllt hatte, als sie den Norban für sich und ihre Rache gewann. Sie wartete, und ihr Herz war schwer und müde wie der Arm, auf dem der schlafende Kopf lag.
  Endlich kamen Norban und die Seinen. Es gelang ihnen indes nicht, so geräuschlos einzudringen, wie sie gehofft hatten; denn der immer argwöhnische Domitian hatte sich von zwei Offizieren begleiten lassen, die im Gang vor dem Schlafgemach Wache hielten. So war Domitian aus dem Schlaf hochgefahren, als die Verschworenen eindrangen. »Norban!« rief er, und: »Was gibt es?«
  Norban hatte gehofft, seinen Herrn im Schlaf zu überraschen. Daß der ihn anrief, störte ihn, und er blieb in der Nähe der Tür stehen.
  Der Kaiser war vollends wach geworden, er sah die Männer hinter Norban, sah die Waffen, sah das Gesicht und die Haltung des Norban. Begriff. Sprang aus dem Bett, nackt, wie er war, suchte den Ausgang zu gewinnen, stürzte sich auf die Männer, schrie mit schriller Stimme um Hilfe. Einer stach nach ihm, aber er traf schlecht. Der Kaiser wehrte sich, rang mit dem Menschen, schrie weiter. »Lucia, du Hündin, hilf mir doch!« rief er mit überkippender Stimme und wandte den Kopf dem Bette zu. Lucia kniete auf dem Bett, den Oberkörper nackt, und schaute mit schwerem, traurigem, gespanntem Blicke auf den um sein Leben ringenden Mann. »Es ist für den Matthias«, sagte sie, und ihre Stimme klang sonderbar ruhig und sachlich.
  Da erkannte er, daß es der Gott Jahve war, mit dem er zu tun hatte, und wehrte sich nicht mehr.

Schon vor dem Morgen wußte die ganze Stadt von der Ermordung des Kaisers.
  Die erste Regung des Annius Bassus, nachdem er sich von seinem Ungeheuern, empörten Schreck erholt, war, die Adoptivsöhne des Ermordeten, die Prinzen Vespasian und Domitian, zu Herrschern ausrufen zu lassen. Die Offiziere und die Soldaten der Garnison hingen an dem Toten, und er hätte mit ihrer Hilfe die Anerkennung der Prinzen durch den Senat erzwingen können. Allein er war nicht skrupellos und nicht wendig genug, um dem Senat »seine« Kaiser zu präsentieren, ohne sich vorher mit Marull und Regin ins Benehmen gesetzt zu haben.
  Als er indes endlich mit den beiden andern Verbindung bekam, war es bereits zu spät. Der alte Nerva, der Führer der Senatsopposition, den Domitian auf seine Liste gesetzt, war von Norban von den Ereignissen verständigt worden, noch ehe sie sich erfüllt hatten, und er hatte sogleich den Senat einberufen. Sollte das Attentat mißglücken, hatte er sich gesagt, dann wird er Dankgebete an die Götter für die Errettung des Kaisers beantragen; sollte es glücken, dann wird er sich von seinen Freunden zu Domitians Nachfolger wählen lassen. Mit dem frühesten Morgen also hatten sich die Berufenen Väter versammelt, und als endlich, während Annius die Garnison alarmierte, Marull und Regin im Senat erschienen, hatte man bereits den Antrag gestellt, das Andenken des Toten zu ächten.
  Marull, kaum ins Bild gesetzt, schickte sich an, entrüstet dagegen zu opponieren. Allein er und die wenigen kaisertreuen Senatoren wurden sogleich niedergeschrien. Man überbot sich in wüsten Schmähungen des gestürzten Herrn.
  In wütender Eile beschloß man eine beschimpfende Maßnahme nach der andern, um selbst die Erinnerung an Domitian zu vernichten. Man verfügte, daß im ganzen Reich seine Bildsäulen gestürzt und die Tafeln, die Inschriften zu seinen Ehren trugen, zerstört oder eingeschmolzen werden sollten. Und schließlich mußten Marull und die Seinen ein Schauspiel erleben, wie es der römische Senat seit Gründung der Stadt noch nie geboten hatte. Voll von Enthusiasmus über die wiedergewonnene Macht, grimmigen Gedenkens voll an die erlittene Schmach, an die Sitzungen, da sie selber, die hier Versammelten, ihre Besten, ihre Häupter, zum Tod verurteilt hatten, riefen die Senatoren Handwerker und Leibeigene herbei, um die Ächtung seines Angedenkens sogleich und handgreiflich zu vollziehen. Ja sie halfen selber bei diesem Werke mit. Selber teilhaben wollten sie an der Beseitigung, an der Austilgung des frechen Despoten. Unbeholfen in ihren hohen Schuhen, in ihren prunkenden Gewändern, griffen sie zu Brecheisen, zu Äxten und zu Beilen, stiegen auf Leitern, hieben auf die Büsten und Medaillons des Verhaßten ein. Mit Wollust zur Erde schmetterten sie die Statuen mit dem hochmütigen Gesicht des Toten, sie zerstückten und verstümmelten seine steinernen und metallenen Glieder, unter irren Schreien, in der Vorhalle der Kurie errichteten sie eine Art Scheiterhaufen und warfen die scheußlich verunstalteten Bildwerke hinein.
  Dann, nachdem sie auf diese Art aufgeräumt hatten mit der Despotie, der Herrschaft eines einzelnen, machten sie sich daran, sie zu ersetzen durch das Regime der Freiheit, nämlich durch die Herrschaft der sechzig mächtigsten Senatoren, und wählten den Nerva zum Kaiser.
  Der alte Herr, ein sehr gebildeter Mann, ein großer Jurist, ein geübter Redner, wohlwollend, liberal, menschenfreundlich, hatte einen bewegten Tag, eine bewegte Nacht und nochmals einen bewegten halben Tag hinter sich. Er hatte die ganze letzte Zeit über in Sorge geschwebt, er werde trotz all seiner Vorsicht von Domitian beseitigt werden. Statt dessen hatte er jetzt, in seinem siebzigsten Jahr, nicht nur den fünfundvierzigjährigen Kaiser überlebt, sondern auch noch seinen Thron erobert. Nun aber, nach den Anstrengungen, Aufregungen, Umschwüngen dieser letzten anderthalb Tage, war er erschöpft, er durfte es sein, und die Freude, daß er jetzt nach Haus gehen konnte, baden, frühstücken, sich ins Bett legen, war beinahe ebenso groß wie die Freude über die erreichte Weltherrschaft.
  Aber so bald sollte ihm die ersehnte Ruhe nicht vergönnt sein. Kaum war er in seinem Haus angelangt, als sich, an der Spitze eines großen Truppendetachements und in Begleitung des Marull und des Regin, Annius bei ihm einstellte. Annius war empört über seine eigene Geistesträgheit; durch diese Langsamkeit des Denkens hatte er die Adoptivsöhne seines verehrten Herrn und Gottes um die ihnen zukommende Weltherrschaft gebracht. Er wollte retten, was noch zu retten war. Er drang auf Nerva ein und erging sich in wüsten Drohreden, die Armee werde nicht dulden, daß man die Flavier, die Besieger Germaniens, Britanniens, Judäas und Daziens, um den Thron betrüge. Der neue Kaiser war ein Herr von ruhigen, vornehmen Manieren; die laute, grobe Sprache des Annius machte ihn recht nervös, auch hätte er auf das unsachliche Gerede von seinem juristischen Standpunkt aus allerhand zu erwidern gehabt. Doch er war sehr müde, er fühlte sich nicht in Form, auch hatte der andere dreißigtausend Soldaten und er nur fünfhundert Senatoren hinter sich. So zog er es vor, die Ungehörigkeit des groben Generals vorläufig auf sich beruhen zu lassen, wandte sich statt dessen höflich an die beiden andern, die er als umgängliche Männer kannte, und fragte sie liebenswürdig: »Und was wünschen Sie, meine Herren?«
  Die beiden Herren, Realisten, die sie waren, wußten zwar,
daß die Garnison der Hauptstadt hinter ihnen stand, aber sehr zweifelhaft war ihnen, ob die Armeen der Provinzen den Flaviern treu bleiben würden. Andernteils hatte das anstößige Verhaken der Senatoren sie tief aufgerührt. Der Anblick dieser älteren Männer, wie sie da mit ihren hohen Schuhen und in ihren purpurverbrämten Kleidern mit schlotterigen Knien die Leitern erstiegen, um dem Bildnis des Mannes ins Gesicht zu schlagen, dessen Hand zu küssen sie sich vor drei Tagen noch gedrängt hatten, hatte den beiden das Innere vor Ekel umgekehrt. Sie wollten ihrerseits demonstrieren.
  Der neue Kaiser, erklärten sie, sei Jurist. So möge er denn das Recht zur Geltung bringen denjenigen gegenüber, die den Domitian gemeuchelt hätten. Sie sprachen mit Nerva in urbanen Formen, sie betonten keineswegs, wie der grobe General, in jedem dritten Satz: hinter uns steht die Armee. Was sie verlangten, war nicht viel, es war ein einziges, die Bestrafung der Schuldigen. Aber die verlangten sie ultimativ und binnen kürzester Frist, davon ließen sie nicht ab. Und Nerva mußte ihnen – dies war die erste Handlung des neuen, im Prinzip rechtlichen, anständigen, ja wohlwollenden Herrschers – den Hauptschuldigen sogleich preisgeben, den Norban, den Mann, dem er den Thron verdankte.
  Nachdem Nerva dies hatte einräumen müssen, sah er ein, daß er sogleich Sicherheitsmaßnahmen treffen müsse. Nein, er durfte seinen müden, alten Kopf noch immer nicht aufs Kissen legen, wenn anders dieser alte Kopf nicht Gefahr laufen sollte, schließlich doch noch auf gewaltsame Art von dem zugehörigen Rumpf getrennt zu werden. Er mußte, bevor er sich in sein Schlafzimmer zurückziehen konnte, noch einen Brief schreiben. Und der alte Kaiser, während jedes Glied ihm weh tat vor Müdigkeit, diktierte seinen Brief. Er bot seinem jungen Freunde, dem General Trajan, Oberkommandierenden der an der deutschen Grenze operierenden Armee, die Mitherrschaft an. Dann, endlich, ging er zu Bett.
  Marull und Regin ihrerseits begaben sich zu Lucia. Sie wollten Lucia retten, und sie wollten Lucia strafen.
  »Ich will nicht mit Ihnen über Ihre Motive rechten, meine Herrin und Göttin Lucia«, sagte Regin, »aber es wäre rücksichtsvoller gewesen und wohl auch klüger, wenn Sie sich zum Beispiel mit uns in Verbindung gesetzt hätten statt mit Norban.« – »Ich glaube, daß Sie mir freund sind, Sie, mein Regin, und Sie, mein Marull«, erwiderte Lucia. »Aber, seien Sie ehrlich, vor die Wahl gestellt, wen Sie retten sollen, Domitian oder mich, hätten Sie sich für mich entschieden?« – »Es hätte vielleicht einen Ausweg gegeben«, sagte Marull. »Es gab keinen«, sagte etwas müde Lucia, »Norban war mein gegebener Verbündeter.« – »Auf alle Fälle«, resümierte Regin, »haben die beiden netten Jungen jetzt durch Ihre Schuld den Thron verloren, und Sie, meine Lucia, haben überdies sich und Ihre Ziegeleien in ernsthafte Gefahr gebracht.« – »Ich an Ihrer Stelle, meine Lucia«, sagte Marull, »hätte so gute alte Freunde, wie wir es sind, immerhin so rechtzeitig verständigt, daß sie einesteils Ihnen nicht mehr schaden, aber zum Beispiel den jungen Prinzen hätten nützen können.« Lucia dachte eine halbe Minute nach. »Da haben Sie recht«, sagte sie dann verständig.
  »Es ist schade um ihn«, sagte nach einer Weile Regin. »Man hat ihm viel Unrecht getan.« – »Falls diese Worte auf mich zielen sollten«, antwortete Lucia, »falls Sie es verlangen sollten, daß ich Ihnen zustimme, dann verlangen Sie von mir zuviel. Soviel Objektivität kann keine Frau aufbringen, der man nach dem Leben getrachtet hat und die dem Tod um ein Haar entgangen ist. Und denken Sie, bitte, an meinen Matthias!« – »Und dennoch hat man ihm Unrecht getan«, beharrte störrisch Regin.
  »Überlassen wir«, schlug der konziliante Marull vor, »das Urteil darüber den Dichtern und Geschichtsschreibern! Beschäftigen wir uns lieber mit Ihrer nächsten Zukunft, meine Lucia! Wir haben Anlaß, anzunehmen, daß Sie nicht ungefährdet sind. Unser Annius Bassus und seine Soldaten wollen Ihnen nicht wohl.« – »Haben Sie mir Forderungen zu überbringen?« fragte hochfahrend Lucia. »Steht die Armee hinter Ihnen?« fuhr sie spöttisch fort. »Die Armee steht zwar wirklich hinter uns«, sagte freundlich und geduldig Regin, »aber was wir Ihnen unterbreiten, sind keine Forderungen, sondern Ratschläge.« – »Was also wollen Sie?« fragte Lucia. »Wir wünschen«, formulierte Marull, »daß der Leib des Domitian anständig bestattet werde. Der Senat hat sein Andenken geächtet, wie Sie wissen. Eine öffentliche Bestattung würde zu Unruhen führen. Wir schlagen vor, daß Sie dem Domitian einen Scheiterhaufen errichten, möglichst bald, und wenn nicht in Rom selber, dann zumindest sehr nahe, sagen wir einmal in Ihrem Park in Tibur.«
  Lucia haßte den Toten nicht mehr, aber sie hatte von jeher Widerwillen verspürt gegen Bestattungen. Dieser Widerwille spiegelte sich auf ihrem lebendigen Gesicht. »Wie sehr Sie hassen können!« sagte Marull. Da aber entspannte sich ihr Gesicht, und: »Ich hasse Wäuchlein nicht«, sagte sie, nun auf einmal sehr müde, und plötzlich sah sie aus wie eine alte Frau.
  »Ich glaube, es wäre im Sinne DDDs«, sagte Marull, »wenn gerade Sie ihm diese Bestattung richteten. Denken Sie daran, daß er, gerade er, den Matthias begraben wollte!« – »Auch wäre es klug«, ergänzte Regin, »wenn gerade Sie die Bestattung vollzögen. Das Gerede, daß Sie etwas mit dem Verbrechen des untreuen Norban zu tun gehabt haben, wird dann wohl verstummen.« – »Des untreuen Norban«, sagte nachdenklich Lucia. »DDD hatte keinen Treueren.« – »Sie haben ihn ja auch nicht gehaßt, meine Lucia«, spöttelte Marull und legte einen Ton auf das »Sie«.
  »Gut«, gab Lucia nach, »ich werde ihn bestatten.«
  Allein es stellte sich heraus, daß des Domitian Leichnam schon aus dem Palatin fortgeschafft war. Es war seine alte Amme Phyllis, die ihn heimlich und unter Gefahr hatte wegbringen lassen.
  Man begab sich in das Haus der Phyllis, ein einfaches Landhaus vor der Stadt. Ja, dorthin hatte man den toten Mann geschleppt. Phyllis, eine ungeheuer fette Greisin, hatte nicht gespart; ja, die Leiche war bereits gewaschen, gesalbt, parfümiert, hergerichtet, die teuersten Kosmetiker hatten das besorgen müssen. Da saß nun Phyllis an dem Katafalk, die Tränen liefen ihr über die hängenden Backen.
  Der tote Domitian sah still und würdig aus. Nichts war da von dem krampfig Großartigen, das sein Antlitz im Leben manchmal gezeigt hatte. Die Brauen, die der Kurzsichtige dro hend zusammenzuziehen gepflegt hatte, waren jetzt entspannt, die geschlossenen Lider verbargen die Augen, die so finster und gewalttätig geblickt hatten, von all der übersteigerten Energie des Antlitzes war nur das entschiedene Kinn geblieben. Ein Lorbeerkranz saß auf dem halbkahlen Schädel, andere Insignien der Macht hatte die Alte zu ihrem Leidwesen nicht auftreiben können. Aber der Tote wies ein schönes, männliches Gesicht, und Marull und Regin fanden, DDD sehe jetzt kaiserlicher aus als so manches Mal, da er es mit Inbrunst darauf angelegt hatte, der Herr und Gott zu sein.
  Die Alte hatte den Holzstoß bereits gerichtet. Sie sträubte sich dagegen, daß Lucia, die Mörderin, der Verbrennung beiwohne. Die beiden Herren begaben sich nochmals zu Lucia; sie schlugen vor, die Leiche gewaltsam aus dem Haus der Phyllis nach Tibur zu schaffen, auf die Besitzung der Kaiserin. Doch Lucia wollte nicht. Im Innersten war sie froh, einen Vorwand zu haben, die Geste zu unterlassen, die Marull und Regin von ihr verlangt hatten. Sie war wieder die alte Lucia geworden. Sie hatte Domitian geliebt, er hatte ihr Böses und Gutes getan, sie hatte ihm Gutes und Böses getan, die Rechnung war ausgeglichen, der Tote hatte nichts von ihr zu fordern. Vor den Folgen ihrer Tat, vor Annius und seinen Soldaten fürchtete sie sich nicht.
  Es waren also nur Marull, Regin und Phyllis zugegen, als man die Leiche des letzten Flavierkaisers auf den Scheiterhaufen legte. Sie öffneten dem Toten die Augen, sie küßten ihn, dann zündeten sie, abgewandten Gesichtes, den Holzstoß an. Das Parfüm, mit dem er getränkt war, verbreitete starken Geruch. »Leb wohl, Domitian«, riefen sie, »leb wohl, Herr und Gott Domitian!« Phyllis aber schrie und heulte, zerriß sich die Kleider und zerkratzte ihr fettes Fleisch.
  Marull und Regin schauten zu, wie der Scheiterhaufen niederbrannte. Wahrscheinlich kannte niemand besser als sie, selbst Lucia nicht, die Schwächen des Toten, doch auch niemand besser seine Vorzüge.
  Als dann der Scheiterhaufen niedergebrannt war, löschte Phyllis die glimmenden Kohlen mit Wein, sammelte die Gebeine, begoß sie mit Milch, trocknete sie mit Linnen ab, legte sie, mit Salben und Wohlgerüchen vermischt, in eine Urne. Sie hatte mit Hilfe Marulls und Regins erwirkt, daß man sie des Nachts heimlich in den Tempel der flavischen Familie einließ. Dort setzte sie die Reste des Domitian bei, sie mischte sie aber mit den Resten der Julia, welche sie gleichfalls gesäugt hatte; denn die empörte Alte war der Meinung, nicht Lucia sei die Frau gewesen, die zu Domitian gehörte, sondern zu ihrem Adler Domitian gehöre ihr Täubchen Julia.

Am Tage darauf, in Gegenwart seines Freundes Secundus, öffnete sich der alte, von der Gicht verkrümmte Senator Corell, der bisher seine unerträglichen Schmerzen mannhaft ertragen hatte, die Adern. Er hatte es erreicht, er hatte den Tod des verfluchten Despoten und die Wiedererrichtung der Freiheit erlebt. Der Tag war da. Er starb glücklich.
  Der Tag war da. In seinem Arbeitskabinett saß der Senator Cornel, der Historiker, und überdachte, was geschehen war. Die starken Falten des düsteren, erdfarbenen Gesichtes gruben sich noch tiefer, er war erst Anfang der Vierzig, aber er hatte das Gesicht eines alten Mannes. Er erinnerte sich seiner toten Freunde, des Senecio, des Helvid, des Arulen; voll Trauer dachte er daran, wie oft er sie vergeblich zur Vernunft gemahnt hatte. Ja, darauf war es angekommen, Vernunft zu zeigen, Geduld zu zeigen, den Groll im Busen zu bewahren, bis die Zeit kam, ihn herauszulassen. Nun war die Zeit da. Die Epoche des Schreckens zu überleben, darauf war es angekommen. Er, Cornel, hatte sie überlebt.
  Vernunft war gut, aber glücklich machte sie nicht. Glücklich war er nicht, der Senator Cornel. Er dachte an die Gesichter seiner Freunde, die in den Tod, die der Frauen, die in die Verbannung gegangen waren. Es waren grimmige Gesichter gewesen, aber dennoch die Gesichter solcher, die einverstanden waren. Sie waren Helden gewesen, er war nur ein Mann und ein Schriftsteller. Sie waren nur Helden gewesen, er war ein Mann und ein Schriftsteller.
  Er war Historiker. Man mußte historisch werten. Für die Zeiten der Gründung des Reichs, für die Zeiten der Republik, waren Helden notwendig gewesen, für diese Jahrhunderte, für das Kaiserreich, bedurfte man vernünftiger Männer. Gründen können hatte man das Reich nur durch Heldentum. Gehalten werden konnte es nur durch Vernunft.
  Aber gut war es dennoch, daß es diese Helvid und Senecio und Arulen gegeben hatte. Eine jede Zeit bedurfte der Helden, um das Heldentum wachzuhalten für jene Zeit, die ohne Heldentum nicht wird bestehen können. Und er war froh, daß er jetzt den aufgestauten Haß gegen den Tyrannen in Worte fassen durfte und das liebevolle, trauervolle Gedenken der Freunde. Er nahm vor die vielen Noten und Aufzeichnungen, die er sich gemacht hatte, und er ging daran, einleitend ein großes Bild der Epoche zu entwerfen, die sein Buch schildern sollte. In gewaltigen, dunkeln Sätzen, die sich türmten wie Felsblöcke, stellte er dar die Schrecken und Verbrechen des Palatin, und Worte, weit und hell wie der Himmel eines Frühsommertags, fand er für das Heldentum seiner Freunde.






DRITTES KAPITEL



Wie Josef jetzt an diesem frischen Vorfrühlingstag mit Johann von Gischala durch dessen Maulbeerpflan
         zungen ging, sah man keinem der beiden Männer ihr Alter an. Josefs siebzig Jahre hatten zwar seinen Bart ins Graue verfärbt und sein hageres Gesicht etwas zerknittert, aber jetzt im Wind zeigte es frische Farbe, und seine Augen schauten lebendig. Und wenn Johanns Knebelbart strahlend weiß war, so war doch auch sein braunes, schlaues Antlitz rot und wohlerhalten, und seine verschmitzten Augen schauten geradezu jung.
  Josef war nun den dritten Tag Gast des Johann in Gischala. Johann wußte, daß Josef nicht viel Interesse an landwirtschaftlichen Dingen hatte, aber er konnte seinen bäuerlichen Stolz nicht zähmen, und wiewohl er sich über sich selber lustig machte, hetzte er auch diesmal wieder seinen Freund durch sein ausgedehntes Mustergut, und Josef mußte seine großartigen Ölpressen, seine Weinkeller, seine Tennen und vor allem seine Maulbeerplantagen und seine Seidenmanufaktur beschauen und bewundern.
  Er tat das mechanisch, seine Gedanken waren anderswo, er genoß die Freude, wieder einmal in Galiläa zu sein.
  Er saß nun seit fast zwölf Jahren in Judäa, fern von Rom, von dem neuen, ihm sehr fremden Rom des Soldatenkaisers Trajan. Nein, er vermißte es ganz und gar nicht, dieses militärische, ordentliche, großartig organisierte, sehr kalte Rom, es stieß ihn ab, er wußte mit der nüchternen, sachlichen, weltmännisch unbeteiligten Gesellschaft dieses Rom so wenig anzufangen wie sie mit ihm.
  In Judäa allerdings war er auch nicht heimisch. Manchmal zwar versuchte er sich und seinen Freunden einzureden, er sei zufrieden in der Ruhe seines Gutes Be’er Simlai. Er sei nun lange genug, erklärte er, ein Einzelner gewesen, ein Besonderer; jetzt im Alter wünschte er nichts Besseres als unterzutauchen in der Gemeinschaft aller. Er wolle nichts sein als ein Mann in Judäa wie die andern Männer in Judäa. Allein wenn er’s auch ehrlich meinte, im Grunde fühlte er sich unbehaglich in dieser seiner Ruhe.
  Die Besitzung Be’er Simlai, die er seinerzeit auf den Rat Johanns erworben hatte, blühte und gedieh. Aber ihn, Josef, brauchte man dort nicht, sein jetzt fünfundzwanzigjähriger Sohn Daniel hatte sich, unterwiesen von dem alten Theodor, zu einem fähigen und interessierten Landwirt entwickelt, Josefs Gegenwart störte mehr, als daß sie half. Und der Wohlstand des Gutes war menschlicher Voraussicht nach gesichert; denn alles, was hier im Umkreis der Provinzhauptstadt Cäsarea liegt, wird von der römischen Regierung begünstigt. Freilich ist die Gegend zumeist von Syrern und ausgedienten römischen Soldaten besiedelt, und die nicht zahlreichen Juden sehen unfreundlich auf Josef und ergehen sich in Stichelreden über die Gunst, deren er sich, selbst unter diesem Kaiser Trajan, bei den Römern erfreut. Mara zöge es vor, im eigentlichen Judäa zu leben statt hier unter den »Heiden«, auch Daniel leidet unter dem Mißtrauen und dem Hohn der jüdischen Siedler. Gleichwohl haben seine Frau und sein Sohn viel Freude an dem Gedeihen des Gutes, gewiß mehr Freude als er selber.
  Mara hat den Verlust des Matthias ruhiger hingenommen, als er erwartet hatte; sie hat ihn nicht verflucht und keine wilden Reden geführt. Aber das Band zwischen ihnen ist gerissen. Innerlich hat sie sich von ihm losgesagt als von dem Mörder ihrer beiden Söhne, sie sieht in ihm nicht mehr einen Gesegneten des Herrn, sondern einen Geschlagenen, einen Unheilbringer. Allein sie ist ihm so fern, daß sie mit ihm darüber nicht einmal mehr rechtet. Sie leben gelassen, in freundlicher Fremdheit nebeneinanderher.
  Auch zwischen ihm und seinem Sohn Daniel ist es nicht so, wie es sein sollte. Nicht nur bedrückt den Daniel die Meinung der jüdischen Siedler über seinen Vater, sondern er schlägt auch mit seinem ganzen Wesen mehr der Mutter nach, er hat ihre Gelassenheit und höfliche Zurückhaltung. Er ist ein untadeliger Sohn, aber er hat Scheu vor dem heftigen, unverständlichen Vater, und Josefs Versuche, sein Vertrauen zu gewinnen, sind fehlgeschlagen.
  So lebt Josef recht allein inmitten der geordneten Tätigkeit seines Gutes. Er schreibt, er verbringt viel Zeit über seinen Büchern. Zuweilen auch macht er sich auf den Weg, Freunde aufzusuchen; er fährt etwa nach Jabne zu dem Großdoktor oder, wie jetzt, nach Gischala zu Johann. Er hat viele Freunde im Land, er genießt seit dem »Apion« bei der Mehrzahl der Juden Verehrung. Doch es bleibt eine Verehrung ohne Wärme, man hat seine frühere zweideutige Haltung nicht vergessen. Er lebt in Judäa wie ein Fremder unter seinem Volke.
  In der letzten Zeit hat ihn Rastlosigkeit gepackt. Er schiebt die Schuld auf die Unsicherheit der politischen Lage. Denn der große Ostfeldzug, den der kriegerische Kaiser Trajan rüstet, bedroht auch Judäa von neuem. Aber die Gründe, die Josef aus dem Frieden seines Gutes Be’er Simlai fortjagen, liegen in ihm selber. Es ist wie in seiner Jugend, es ist wie in der Zeit, da er dichtete:

Reiße dich los von deinem Anker, spricht Jahve.
Ich liebe nicht, die im Hafen verschlammen.
Ein Greuel sind mir, die verfaulen im Gestank ihrer
Trägheit.
Ich habe dem Menschen Schenkel gegeben, ihn zu tragen
über die Erde,
Und Beine zum Laufen,
Daß er nicht stehen bleibe wie ein Baum in seinen Wurzeln.

Er hält es nicht mehr aus in Be’er Simlai. Er ist aufgebrochen, um mit unbestimmtem Ziel durch Judäa zu reisen, hierhin, dorthin; erst am Vorabend des Passahfestes, also nicht vor drei Wochen, will er wieder auf seinem Gut zurück sein.
  Nun also ist er bei Johann. Johann ist viel kürzer im Land als er selber. Johann ist seinem Vorsatz treu geblieben und hat Rom und seine römischen Geschäfte erst verlassen, als er sich der Herrschaft sicher glauben durfte über sein vaterlandsheißes Herz. Er hat auch während der fünf Jahre, die er in Judäa lebt, tapfer der Versuchung widerstanden, die »Eiferer des Tages« zu fördern. Er hat sich in dieser Zeit damit beschäftigt, seine Heimatstadt, die uralte, kleine Bergstadt Gischala, reich und stattlich wieder aufzubauen, denn sie ist zuerst im großen jüdischen Krieg und dann beim Aufstand der »Eiferer« ein zweites Mal zerstört worden. Vor allem aber hat er sein eigenes großes Gut bei Gischala zu einer Musterwirtschaft gemacht.
  Da gehen sie herum, die beiden alten Herren, und Johann zeigt dem Freunde, was er neu eingerichtet hat in seinen Maulbeer-, Öl- und Weinpflanzungen. Eine helle, junge, freundliche Vorfrühlingssonne ist da, die beiden erfreuen sich ihrer; aber wenn man warm bleiben will, dann muß man sich Bewegung machen. Sie gehen also rasch drauflos, Josef etwas gebückt, der kleinere Johann sehr aufrecht. Johann schwatzt. Er merkt, daß Josef nicht hinhört, doch er braucht keinen aufmerksamen Hörer, er will nur seine Freude heraussagen über das, was er da gemacht hat, und er lächelt selber ein bißchen über seine greisenhafte Geschwätzigkeit. Dann aber zuletzt lockt es ihn doch, mit Josef in eine richtige Debatte zu kommen, und mit scherzhafter Streitbarkeit beginnt er: »Sie sehen, mein Josef, mein Besitz ist gut gehalten, er ist das, was man eine Musterwirtschaft nennt. Trotzdem wirft mir diese Musterwirtschaft nichts ab, im Gegenteil, ich zahle drauf, und wenn ich sie nicht aufgebe, dann nur, weil sie mir Spaß macht. Es macht mir Spaß, sehr guten Wein, sehr gutes Öl, sehr gute Seide zu produzieren. Und jetzt, bitte, überlegen Sie weiter: wenn schon ich mit allen meinen Sondervergünstigungen bei der römischen Regierung keinen Gewinn herauswirtschaften kann, wie soll sich dann ein gemeiner Ölbauer von seinem Schweiße ernähren? Die neuen Steuern und Zölle, die Trajans Finanzminister den Ostprovinzen auflegt, bringen den kleinen Bauern einfach um. Dabei wird natürlich der angebliche Zweck nicht erreicht, denn die italienischen Weine werden auch dadurch nicht besser und nicht verkäuflicher. Für unser Judäa ist die einzige Folge, daß sich die Unruhe im Lande verstärkt.«
  »Verstärkt sich die Unruhe?« fragte Josef, er war jetzt keineswegs mehr abwesend mit seinen Gedanken. Johann schaute ihn von der Seite an. »Wenn ich von meinem Galiläa auf das übrige Judäa schließe«, sagte er und lächelte, eher zufrieden als bösartig, »dann dürften die Bauern nirgends sehr zufrieden sein mit den neuen Edikten. Es ist keine Frage, daß die ›Eiferer des Tages‹ überall Boden gewinnen. Vielleicht sogar ist das der Hauptzweck, den die Römer mit ihrer merkwürdigen Finanzpolitik verfolgen. Denn ich könnte mir denken, daß, wenn Trajan seinen geplanten Ostkrieg anfängt, gewisse Militärs vorher hier in Judäa Ordnung schaffen wollen, das, was sie unter Ordnung verstehen. Und wie könnten sie das bequemer haben, als wenn sie hier einen Aufstand provozierten und dabei alle nicht ganz zuverlässigen Elemente ein für allemal abtäten? Es ist aber nicht die römische Finanzpolitik allein«, fuhr er fort. »Denn wenn ich auch nach wie vor der Überzeugung bin«, er lächelte, da er auf den Gegenstand seines ewigen Streites mit Josef zu sprechen kam, »daß bei vernünftigen Wein- und Ölpreisen weder der jüdische Krieg noch der spätere Aufruhr zustande gekommen wären, so gebe ich Ihnen doch gerne zu, daß es bei unsern jüdischen Kriegen nicht allein um die Weinpreise geht, sondern auch um Jahve. Es muß beides zum Problem geworden sein, der Markt und Jahve. Sonst kann der rechte Furor nicht entstehen.«
  »Sie glauben also«, fragte Josef, »auch Jahve ist wieder zum Problem geworden?«
  »Auf diesem Gebiet, Doktor Josef«, antwortete Johann, »sind Sie zuständig, nicht ich. Aber wenn Sie die Meinung eines einfachen Landjunkers wissen wollen, der seinen Jahve nicht als Theolog anschaut, sondern als ein Mann mit gesundem Menschenverstand, dann will ich sie Ihnen gerne sagen. Die Idee Jochanan Ben Sakkais, den verlorenen Staat und den verlorenen Tempel durch Jabne zu ersetzen, war ausgezeichnet, es gab damals nach dem Zusammenbruch kein anderes Mittel, den Zusammenhalt zu retten. Brauch und Lehre haben denn auch wirklich den Staat ersetzt. Allmählich aber, als eine neue Generation heranwuchs, die Staat und Tempel nicht mehr erlebt hat, kam der Sinn der Bräuche abhanden, und heute ist die Lehre zum Formelkram geworden, der Brauch erstickt den Sinn, Judäa erstickt in der Herrschaft der Doktoren, das leere Wort kann auf die Dauer Gott nicht ersetzen. Gott braucht sein Land, um Sinn und Leben zu bekommen. Sehen Sie, das ist es, was Jahve heute zum Problem macht. Richtiges neues Leben bekommen kann Jahve erst, wenn Judäa aus einem Aufenthaltsort für seine Juden wieder zum Land seiner Juden geworden sein wird. Jahve braucht einen Körper. Sein Körper ist diese Landschaft, sein Leben sind diese Olivenhaine, Weinhügel, Berge, Seen, der Jordan und das Meer, und solange Jahve und dieses Land getrennt sind, lebt weder das eine noch das andere. Verzeihen Sie, wenn ich poetisch geworden bin! Aber ein einfacher alter Junker vom Land kann sich natürlich nicht so klar ausdrücken wie Sie.«
  Josef hätte über das Heidnische dieser Auffassung einiges zu sagen gehabt, aber er sagte es nicht. Statt dessen faßte er zusammen: »Da also beide Probleme, Jahve und der Markt, auf Lösung drängen, so finden Sie die äußeren und die inneren Voraussetzungen eines Aufstands gegeben? Sie finden, die ›Eiferer des Tages‹ können mit gutem Grunde sagen: Der Tag ist gekommen? Ich verstehe Sie doch richtig?«
  »Wie jung Sie sind mit Ihren Siebzig«, erwiderte Johann, »und wie streitbar! Aber so leicht können Sie mich nicht festlegen. Gewiß, solange diese beiden Fragen, Jahve und die Marktlage, nicht brennend geworden sind, solange ist ein Aufstand unmöglich. Das habe ich gesagt. Aber nicht habe ich gesagt, daß diese Faktoren die einzigen Vorbedingungen sind. Wenn Sie meine Ansicht haben wollen, dann ist die erste, die wichtigste Voraussetzung die, daß die militärischen Chancen eines solchen Aufstands nicht zu schlecht sind.« – »Dann bleibt also alles, was Sie gesagt haben, reine Theorie«, sagte Josef enttäuscht. Doch: »Schon wieder wollen Sie mich festlegen«, tadelte scherzend Johann. »Wie sollen wir von hier aus übersehen können, wie die militärischen Chancen der ›Eiferer‹ sind, wenn dieser Trajan wirklich seinen Ostkrieg beginnt?«
  Jetzt aber wurde Josef ungeduldig. »Verurteilen Sie also, ja oder nein«, fragte er, »die Bestrebungen der ›Eiferer des Tages‹?« Allein: »Ich treibe keine praktische Politik«, wich Johann aus. »Ich habe mich, wie Sie wissen, bevor ich Rom verließ, eingehend erforscht, und erst als ich feststellte, daß mir mein Herz keinen Streich mehr wird spielen können, habe ich mir erlaubt, in mein Judäa zurückzukehren.«
  Verdrossen schweigend ging Josef eine Weile neben ihm her. Bis Johann von neuem anhub: »Meine Resignation hindert mich aber nicht an gewissen Träumen. Setzen wir zum Beispiel den Fall, die ›Eiferer‹ sind nicht so vernünftig wie wir und machen selbst bei ganz geringer Chance ihren Aufstand. Könnten Sie sich dann, mein Josef, für uns ein größeres Glück denken, als wenn wir uns mitreißen ließen? Stellen Sie sich vor, wie wir beiden Wackelgreise, die wir vom Leben nichts mehr zu erwarten haben, durch einen solchen Aufstand belebt und verjüngt würden. Ich gebrauche nicht gerne starke Worte; aber in einer solchen Erhebung zugrunde zu gehen, einen großartigeren Abschluß meines Lebens könnte ich mir nicht vorstellen.«
  Den Josef traf es, daß der andere derartige Gefühle so schamlos aussprach. »Sind Sie nicht sehr ichsüchtig, mein Johann?« fragte er. »Ist es nicht unerlaubt, ist es nicht einfach unanständig, sich in unserm Alter so unvernünftig jünglinghaft zu geben?« – »Sie sind furchtbar trocken geworden«, sagte kopfschüttelnd Johann. »Sie verstehen überhaupt keinen Spaß mehr. Denn natürlich hab ich nur im Spaß gesprochen. Aber wenn Sie ganz abgeklärt und bis ins Letzte gerecht sein wollen, dann müssen Sie mir zugeben: es ist nicht reine Ichsucht, wenn der Traum von einem solchen Aufstand mir das Herz wärmt. Wahrscheinlich wird eine neue Aktion der ›Eiferer‹ ebenso rasch zusammenbrechen wie ihre früheren. Aber trotzdem wird sie nicht sinnlos gewesen sein. Ich denke da an mein Problem Jahve. Ein solcher Aufstand wäre eine Mahnung, Judäa nicht zu vergessen, das Land nicht zu vergessen über dem Brauch und dem Wort. Und eine solche Mahnung ist notwendig. Der Mensch vergißt so schrecklich schnell. Es wäre gut, wenn unsere Juden einmal wieder an ihr Land erinnert würden, daran, daß es ihr Land ist. Denn sonst besteht ernstliche Gefahr, daß die Doktoren Jahve endgültig umbringen und daß Judäa in Jabne erstickt.«
  »Sagen Sie mir«, drängte Josef, »sind militärische Vorbereitungen im Gang? Wissen Sie um bestimmte Pläne der ›Eiferer‹?«
  Johann schaute ihn mit einem vertraulichen, pfiffigen und frechen Lächeln an, das sein Gesicht verjüngte. »Vielleicht«, antwortete er, »weiß ich etwas, vielleicht auch weiß ich nichts. Bestimmtes wissen will ich nicht, denn ich kümmere mich nicht um praktische Politik. Was ich von mir gebe, ist müßiges Gefasel, wie es wohl ein alter Mann von sich gibt vor einem Freunde, wenn ein neuer Frühling kommt und er in der guten Sonne ins Schwätzen gerät.«
  Nun aber wandte sich Josef ernstlich verstimmt ab und hatte kein Wort mehr für Johann. Da stieß ihn dieser an und sagte verschmitzt: »Aber wenn ich auch nichts weiß, so kenne ich doch meine Leute, und gewisse Dinge rieche ich, so wie ich das Wetter rieche. Und darum, mein Josef, nehmen Sie einen kleinen Rat mit auf Ihren Weg! Wenn Sie jetzt im Land herumreisen wollen, dann gehen Sie zuerst noch nach Cäsarea und lassen Sie sich dort im Gouvernementspalais ein umständliches Papier ausstellen, das Sie vor jedermann ausweist! Ich meine nur, für alle Fälle.«
  Als Josef am andern Tag Gischala verließ, begleitete ihn Johann ein gutes Stück Weges, und als sich Josef, fortreitend, nach einiger Zeit umschaute, da stand Johann noch immer und sah ihm nach.

In Cäsarea, wo sich Josef, dem Rate Johanns folgend, einen neuen Passierschein ausschreiben lassen wollte, machte er dem Gouverneur seine Aufwartung. Lusius Quietus, mit jener beflissenen und distanzierenden Höflichkeit, wie sie fast allen Vertrauensleuten Kaiser Trajans eigen war, lud den Ritter Flavius Josephus zum Abendessen.
  Da saß denn Josef inmitten der hohen Offiziere und Beamten der Provinz und fühlte sich bitter fremd und unbehaglich. Trotz der betonten Liebenswürdigkeit der Herren spürte er auch diesmal wieder, daß sie ihn nicht voll nahmen. Er gehörte nicht zu ihnen. Gewiß, durch seine Vergangenheit und durch seine Privilegien war er ihnen enger verbunden als irgendwer sonst; doch letzten Endes blieb er ein bezahlter Agent.
  Man sprach von den kommenden Ereignissen. Vermutlich werden, wenn nun wirklich der Ostkrieg beginnt, überall in Syrien, Judäa, Mesopotamien Unruhen losbrechen. Johann hatte recht. Die Herren verhehlten kaum, daß ihnen ein solcher Aufstand zupaß käme. Er lieferte ihnen den willkomme nen Vorwand, dieses Judäa, das Gelände des Aufmarschs und des Nachschubs, gründlich zu säubern, bevor die Armeen nach dem ferneren Osten aufbrachen.
  Immer wieder fragte man Josef als den besten Sachverständigen, ob sich die »Eiferer des Tages« nicht vielleicht doch von dem Aufstand durch seine Aussichtslosigkeit würden abhalten lassen. Josef erklärte, der weitaus größte Teil der jüdischen Bevölkerung sei durchaus loyal, und die »Eiferer« dächten zu realistisch, um einen aussichtslosen Aufstand ins Werk zu setzen. Gouverneur Quietus hörte aufmerksam zu, aber, wie es Josef schien, keineswegs überzeugt.
  Übrigens hatte Josef nicht mit der Überzeugungskraft gesprochen, die ihm eigen war. Vielmehr war er seltsam zerstreut. Dies kam, weil er von dem Augenblick an, da er das Haus des Gouverneurs betreten, nach einem bestimmten Gesicht gespäht hatte. Der Träger dieses Gesichtes, Paulus Bassus, wußte am besten Bescheid um die militärischen Verhältnisse der Provinz Judäa, die Gouverneure wechselten, aber Oberst Paulus blieb, er war recht eigentlich der Mann, der Judäa regierte, und wenn der Gouverneur einen Empfang gab, erwartete man, Paulus zu sehen. Andernteils war es natürlich ausgeschlossen, daß sich Paulus hier zeigte, wissend, er werde seinem Vater begegnen. Trotzdem, so töricht das war, hielt dieser Vater immer wieder nach ihm Ausschau.
  Am nächsten Morgen dann begab sich Josef in das Regierungsgebäude, um sich den Paß ausschreiben zu lassen. Ein Gefühl der Fremdheit und der Feindseligkeit stieg in ihm hoch, als er das Palais betrat, das kalt, weiß, prunkvoll, mächtig und bedrohlich dastand, ein Symbol des trajanischen Rom.
  Der Raum, in dem er zu tun hatte, lag im linken Flügel des Hauses. Als er, die Angelegenheit rasch erledigt, mit seinem neuen Paß die große Halle durchschritt, um sich durch das Haupttor zu entfernen, kam durch dieses Haupttor ein Offizier. Der Offizier, ein schlanker Herr mit blassem, fleischlosem Gesicht, elegant, straff, wandte sich nach rechts. Niemand hätte sagen können, ob er, während er den präsentierenden Wachen dankte, den Mann gesehen hatte, der von links kam. Niemand auch hätte sagen können, ob Josef den Offizier erkannt hatte. Doch schien Josef, als er das Gebäude verließ, alt und müde, der Platz vor dem Palais, so weit und leer er war, hatte nicht genug Luft für den um Luft kämpfenden Mann, und wer ihn sah, mochte sich wundern, daß ein so leichtes und bedeutungsloses Geschäft wie die Einforderung eines Passes ihn dermaßen erschöpft hatte.
  Der Offizier seinesteils, als er in den rechten Trakt des Gebäudes einbog, war noch einen Schatten blasser als sonst, und seine schmalen Lippen waren noch mehr verpreßt. Dann aber, noch bevor er seinen Amtsraum betrat, entspannte er sich. Ja, Paulus Bassus oder, wie er früher genannt wurde, Flavius Paulus schien eher befriedigt. Er war es. Die Idee, eine Idee, die er lange gesucht hatte, jetzt war sie ihm gekommen.
  Noch am gleichen Tage sprach er mit dem Gouverneur Lusius Quietus.

Bis zum Vorabend des Passahfestes hatte sich Josef Ferien genommen von seinem Gute Be’er Simlai, von Frau und Sohn, bis dahin durfte er streifen im Land, ein freier Mann, wohin immer der Wind und sein Herz ihn trieben.
  Auf den Bergen war noch Winter, aber in den Tälern war schon der Frühling. Rastlos reiste Josef umher, bald auf einem Maulesel, bald zu Pferde, zuweilen auch zu Fuß. Der alte Mann erinnerte sich der Zeit, da er zum erstenmal durch Galiläa gezogen war, seine Bewohner zu erforschen. Auch jetzt fühlte er sich am wohlsten, solange er ein Unbekannter war, und wenn man ihn beim Namen nannte, blieb er nicht lange.
  Immerhin suchte er auch Freunde auf und Männer, deren Art und deren Meinungen ihn beschäftigten. So kam er auch nach B’ne Berak zu Doktor Akawja.
  Josef hat Akawja ziemlich oft gesehen, und so entgegengesetzt dessen Wesen und Lehre seiner eigenen ist, die beiden Männer sind nicht ungern zusammen. Fraglos ist neben Gamaliel Akawja unter den Doktoren der bedeutendste. Dabei ist er, wie Gamaliel selber, erst Anfang der Fünfzig. Doch während dem Gamaliel alles von Geburt an zugefallen ist, kommt Akawja von ganz unten, er war Viehhirt, er hat sich sein Studium und seinen Platz im Kollegium von Jabne unter schweren Mühen erkämpfen und seine Lehre gegen hundert Widerstände durchsetzen müssen. Es ist eine Doktrin, die mit verbissener Wildheit und dabei mit verschlagener, vertrackter Methodik alles Jüdische absperrt gegen alles Nichtjüdische, es ist eine enge, fanatische Doktrin, die allem widerspricht, was Josef in seinen großen Zeiten gelebt und in seinen großen Büchern verkündet hat. Trotzdem kann sich Josef selber der Faszination nicht entziehen, die von diesem Doktor Akawja ausgeht.
  Er blieb einen Tag in B’ne Berak und noch einen und einen dritten. Dann, wenn er zum Passahfest auf seinem Gut zurück sein wollte, war es Zeit, aufzubrechen. Doch als er sich von Akawja verabschiedete, hielt ihn dieser zurück. »Wie wäre es, Doktor Josef«, fragte er, »wollen Sie nicht einmal mit mir den Passahabend verbringen?«
  Überrascht sah Josef hoch, ob Akawja den Vorschlag ernst meine. Akawjas großer Kopf saß auf einem plumpen, gewaltigen Körper. Aus dem trübsilbernen Bart kamen frisch und rosig die Wangen hervor, das Haar war tief hereingewachsen in die breite, mächtige, gefurchte Stirn. Dicke Augenbrauen zottelten über den braunen Augen. Ein leidenschaftliches, strenges Feuer glühte aus diesen Augen und machte die platte Nase vergessen. Heute indes, jetzt, da Akawja dem Josef seinen Vorschlag machte, den Passahabend mit ihm zu verbringen, war ein kleines, verschmitztes Leuchten in diesen sonst so wilden und heftigen Augen.
  Es ist in der Tat erstaunlich, daß der leidenschaftlich nationalistische Akawja ihn, den Josef, den Kompromißler, der zeitlebens Juden und Griechen und Christen hat versöhnen wollen, zum Passahabend an seinen Tisch lädt, zu diesem großen nationalen Erinnerungsfest. Es ist eine Herausforderung und eine Ehrung. Für den Bruchteil einer Sekunde ist Josef so verwundert, daß er nicht weiß, wie er sich verhalten soll. Die Sitte erfordert, daß Josef, der Hausherr, diesen Abend auf seinem Gute verbringt, inmitten seiner Familie und seiner Leute, daß er ihnen die Haggada vorliest, die Erzählung von der Befreiung der Juden aus Ägypten. Doch Josef sagt sich, daß Frau und Sohn ihn nicht sehr vermissen werden, eher wird es ihnen eine Genugtuung sein, daß Josef, der »Verräter«, gerade an diesem heiligen Abend bei Akawja zu Gast ist, dem allverehrten, den die jüdischen Patrioten als den besten ihrer Führer bewundern. Nach dem ersten Erstaunen spürt Josef eine tiefe Befriedigung. »Ich danke Ihnen, Doktor Akawja«, sagt er, »ich nehme die Ehre Ihrer Einladung an, ich bleibe.« Und die beiden Männer sehen sich an, sie lächeln sich in die Augen, mit einem erkennerischen, kämpferischen und freundschaftlichen Lächeln.
  Am Abend der Erzählung also, am Abend der Haggada, hat Josef den Ehrenplatz inne, rechts vom Hausherrn, im Hause des Doktor Akawja in B’ne Berak. Das beglückende Erstaunen, das ihn ergriffen, als Akawja ihn eingeladen, ist noch immer nicht von ihm gewichen, es ist stärker geworden. Er fühlt sich gehoben, schwebend, dieser Abend scheint ihm ehrenvoller als die Stunde, da Kaiser Titus seine, des Josef, Büste aufstellen ließ in der Bibliothek des Friedenstempels in Rom und sie bekränzte.
  Denn wenn der Abend der Haggada heute schon, so kurze Zeit nach seiner Einführung, von den Juden nicht nur dieses Landes Israel, sondern überall auf dem Erdkreis mit solcher Innigkeit und Inbrunst gefeiert wird, dann ist das vor allem das Verdienst dieses Doktors Akawja; er hat die »Ordnung« dieses Abends, seinen »Seder«, geschaffen, er hat die meisten der kindlich rührenden, betrübten, glaubensstarken, zuversichtlichen, grimmigen Gebete und Riten dieses Abends ersonnen, die gerade jetzt, in der Epoche der Unterdrückung, in jeder jüdischen Brust die Erinnerung an die grimmige Not und die wunderbare Erlösung mit solcher Gewalt heraufsteigen lassen.
  Aus der dreistöckigen, kostbaren Silberschüssel, die allerlei Speisen enthielt, die mit naiver und wirksamer Symbolik an Knechtschaft und Befreiung gemahnten, nahm Akawja die Fladen ungesäuerten Brotes, die an die Hast erinnerten, mit der seinerzeit die Juden das feindselige Land der Bedrückung verlassen hatten. Akawja zerteilte die Fladen und wies sie den Gästen. »Dies«, sprach er, »ist das Brot des Elends, das unsere Väter gegessen haben in Ägypten. Wer hungrig ist, komme und esse mit. Wer bedürftig ist, komme und feiere mit uns das Passahfest. Dieses Jahr hier, kommendes Jahr in Jerusalem. Dieses Jahr Knechte, kommendes Jahr freie Männer.« Überall jetzt in der Welt sprachen die Juden diese schlichten und zuversichtlichen Sätze Akawjas, und überall, Josef spürte es, hoben sich bei ihrem Klang die Herzen. Ja, dieses Jahr war das letzte unserer Bedrückung, im nächsten werden wir das Passah feiern in einem auf wunderbare Art neu erbauten Jerusalem.
  Und Akawja fuhr fort und erzählte in den von ihm geprägten simpeln und ergreifenden Formeln die Geschichte der Befreiung. Er erlebte seine Erzählung mit, so genau sie ihm vertraut war, er befolgte sein Gebot: »Ein jeder Jude an diesem Abend fühle so, als wäre er selber aus Ägypten befreit worden.«
  Josef hörte die Stimme des Akawja. Es war eine tiefe, derbe Stimme, ohne Musik, allein ihre heftige, gebieterische Überzeugtheit riß ihn mit. Alle an diesem Tische berauschten sich an den Worten des Akawja, als wären sie Wein. Manche von den Gästen des Akawja hatten, wie Josef selber, den Glanz der gewaltigen Passahfeier des Tempels von Jerusalem noch miterlebt, aber das Gedenken an die Wallfahrt, das Gedenken an den Festprunk der Priester, schnürte ihnen in dieser Zeit des Elends und der Bedrückung nicht etwa das Herz zusammen, im Gegenteil, die grimmige Beziehung auf das Heute, die in den ärmlichen, innigen Bräuchen war, machte den Stolz auf ihr Volk und auf seinen gewaltigen Gott nur trunkener.
  Josef dachte zurück an den Abend, den er vor kurzem im Hause des Gouverneurs in Cäsarea verbracht hatte, an diese nüchternen Offiziere und Beamten, die, ihrer Macht sicher, voll kalten, realistischen Hochmutes hinunterschauten auf jene barbarischen Idealisten, die sich immer von neuem in den aussichtslosen Kampf für ihr Land und ihren Gott stürzten. Nein, zehnmal lieber war er hier an der Seite und im Kreis dieser Besiegten als jener Sieger.
  Und die Besiegten berauschten sich weiter an der Erinnerung ihrer früheren Siege und an der Voraussicht ihrer künftigen. Einen Becher Weines stellten sie bereit für den Propheten Elia, den größten Patrioten der Vorzeit. Sicher wird er, dieser Vorläufer des Messias, dieser Sendbote des rächenden Jahve, in dieser feierlichen Nacht erscheinen, und er soll den Trank der Begrüßung vorfinden. Keiner zweifelte.
  Und die Verse des großen Hallel sangen sie, den ekstatischen Jubelpsalm, der da feiert die Befreiung aus Ägypten und die Macht des jüdischen Gottes, der sie bewirkt hat. »Das Meer sah es und floh«, sangen sie, »der Jordan wandte sich zurück. Die Berge hüpften wie Lämmer, die Hügel wie junge Schafe. Was war dir, Meer, daß du flohest, und dir, Jordan, daß du dich zurückwandtest?« Ihre Phantasie kostete es voraus, wie ihr Gott Jahve auch diese Römer verdarb. Die Wasser werden zusammenschlagen über dem Kaiser Trajan und seinen Legionen und sie verschlingen, so wie seinerzeit die Wellen des Roten Meeres den Ägypterkönig verschlangen mit Mann und Roß und Wagen. Halleluja!
  Die Bräuche waren verrichtet, die Gebete gesprochen. Mit vorrückender Nacht verabschiedeten sich die Gäste. Auch Josef wollte sich zurückziehen. Doch Akawja hielt ihn, immer wieder, bis sie schließlich nur mehr zu fünft waren, Akawja, Josef, drei andere.
  Die Kunst Akawjas bestand darin, daß er, mittels einer bis ins Letzte verästelten Methodik, in den Worten der Schrift eine Deutung fand für alles, was auf Erden geschah. In der Schrift war alles vorausgesehen, alles, was war und was jeweils sein wird, und wer nur die Schrift richtig auszulegen verstand, besaß einen Schlüssel, den Sinn allen Weltgeschehens zu erschließen. Die Ereignisse damals in Ägypten und die von heute unter dem Kaiser Trajan, das war ein und dasselbe, auch ihr Ausgang wird derselbe sein, und es hatte seinen guten Grund, wenn man gerade heuer die Passahfeier mit so zornigem Jubel beging. Die heilig-wilde Berauschtheit von heute abend, das war nichts als eine vorweggenommene grimmige Siegesfeier über Rom.
  Jetzt wandte sich Akawja ohne weiteres an Josef selber, ihn herausfordernd. Moses sowohl wie der Prophet Elia hatten ohne langes Federlesen Gott einfach gezwungen, ihnen zu Willen zu sein und Wunder zu tun. Und so wollte es Gott. Er wollte, daß man ihn herbeizwang. Er erwartete, daß man ihm half. Wer da erklärte, die Zeit sei noch nicht gekommen, für den kam sie nie. Vielmehr mußte man glauben, fanatisch glauben, daß der Messias, ein Messias in Fleisch und Blut, morgen kommen werde. Diese Nacht wird er kommen, der Prophet Elia, der Vorläufer, und seinen Becher leeren. Wer das glaubte, wer so fest daran glaubte wie an das Einmaleins, der zwang Gott, den Messias morgen zu senden.
  Akawja liebte es, sich volkstümlich zu geben. Ein riesengroßer Bauer, saß er vor Josef, fest und seßhaft in seinem Glauben, derbe, vulgäre Wendungen ließ er in seine Rede einfließen, und grob zuletzt fiel er den Josef an: »Wenn alle es so machten wie Sie, wenn alle sich darauf beschränkten, die Hände in den Schoß zu legen und Geduld zu zeigen, dann können wir warten, bis uns Gras aus dem Mund wächst, und der Messias ist immer noch nicht da.« Höhnisch und drohend kollerten ihm die Worte von den Lippen, heftig strich er sich die Krumen des ungesäuerten Brotes aus dem trübsilbernen Bart. Josef saß vor ihm, ein feiner, schmächtiger Aristokrat; aber er war nicht gekränkt, er wollte sich den großen Abend nicht verderben. Er verschob, was er zu sagen hatte, auf später und tauchte ganz unter in der Lust, sich anstecken zu lassen von dem fanatischen Glauben der andern.
  Denn immer hemmungsloser gaben sich diese ihren schönen Träumen hin. Aber waren es nur Träume? Nein, es war viel mehr, es waren Pläne, weitgediehene. Da sah etwa, als man von den nächsten sieben Wochen sprach, den Wochen der Zählung, den Wochen zwischen Passah- und Pfingstfest, da sah also der Jüngste der Tischrunde, der junge, schöne Doktor Eleasar, mit seligem Blick um sich und fragte: »Wo, meine Älteren, wo, meine Doktoren und Freunde, werden wir dieses Pfingstfest begehen?« Doktor Tarfon, mit halber Kopfwendung gegen Josef, warf dem unvorsichtigen Sprecher einen verweisenden Blick zu. Akawja aber, als hätte er nicht soeben erst selber den Josef grob angefallen, sagte: »Habt ihr etwa Angst, meine Freunde, vor dem Manne, der den ›Apion‹ geschrieben hat?«
  Josef erschrak, als er die Worte des jungen Doktors Eleasar hörte; sein Verstand sagte ihm, daß er sich empören müsse gegen das tollkühne, aussichtslose Unternehmen, das diese Männer offenbar schon für die nächsten Wochen planten. Doch seinem Schreck war viel Süße beigemischt, und als er gar die Worte des Vertrauens vernahm aus dem Munde des Akawja, da glänzte ein großes Glück in ihm auf. Immer lebendiger stiegen in dem beinahe Siebzigjährigen die alten Lockungen hoch, er schwamm mit in der gottseligen Trunkenheit der andern. Auch er war jetzt ganz sicher, daß der Prophet Elia noch in dieser Nacht seinen Becher Weines leeren werde.
  Auskostete er sie wie noch niemals, diese Nacht der Obhut, da der Herr sein Volk Israel in seinen besondern Schutz nimmt. Mit den andern lauschte er gläubig den wilden und weisen Reden des plumpen Zauberers Akawja, mit den andern erging er sich in wüsten und großartigen Phantasien vom Untergang der Feinde und von der Errichtung des neuen Jerusalem.
  So, mit den andern, saß er die ganze Nacht. Und mit den andern bedauerte er es, als die Schüler kamen und die Doktoren daran erinnerten, daß die Zeit des Gebetes gekommen sei. Denn der Morgen war da.

Zwei Tage später, als er mit ihm allein war, fragte Josef den Akawja geradezu: »Warum haben Sie mich eingeladen, über das Passahfest zu bleiben?« Der riesige Akawja saß ruhig da, die Fußknöchel gekreuzt, die rechte Hand lag lässig auf dem Schenkel, den linken Ellbogen stützte er auf die Lehne des Stuhls, den Kopf in die linke Hand. Besinnlich, aus seinen braunen, nicht großen Augen, beschaute er das hagere Gesicht des Josef. Dann, gleichmütig, in dieses Gesicht hinein antwortete er: »Ich wollte mir einmal einen Verräter aus der Nähe anschauen.«
  Josef, vor dieser unerwarteten Beschimpfung, fuhr zurück. Akawja gewahrte es mit Genugtuung. »Ich habe«, fuhr er fort, »meine Schüler von je Respekt vor dem Alter zu lehren gesucht. Mit allem Respekt also vor einem grauen Haupt wiederhole ich: Sie sind ein Verräter. Ich gebe zu, daß Sie viele Schäden, die Sie angerichtet haben, später wettmachten durch Verdienste. Heute sind Sie ein Verräter vor allem an sich selber und an Ihrer eigenen Seele.« Ungeschlacht saß Akawja da; die Gehaltenheit, mit der er zu sprechen suchte, betonte das Bäurische seiner Aussprache.
  »Was Sie sagen, mein Doktor Akawja«, erwiderte Josef, und ohne sich dessen bewußt zu werden, sprach er besonders höflich und mit dem Akzent des Mannes, der sich seinerzeit den großen Doktortitel von Jerusalem erworben hatte, »was Sie sagen, klingt allgemein. Wollen Sie es mir nicht im einzelnen erklären?«
  Akawja schnaufte, blies sich in die Hände, rieb sie, als machte er sich daran, eine schwere Last zu heben. Dann sagte er: »Jahve hat Sie bestimmt, für seine Sache, für Israel zu kämpfen. Sie aber haben die Arbeit, sowie sie anfing, Mühe und Mut zu verlangen, hingeschmissen. Sie haben sich in die Literatur verdrückt und kosmopolitisches Geschwätz gemacht. Das hat Sie auf die Dauer gelangweilt, und Sie sind zurück in den Kampf gegangen. Dann wurde es dort wieder mulmig, und Sie sind von neuem verduftet, zurück in Ihr bequemes und unverbindliches Geschreibe. Ein Mann aus dem Volke wie ich heißt das Verrat. Ich sage es, wie es ist, mit allem Respekt vor einem grauen Haupte.«
  »Sind Ihre Anwürfe nicht immer noch sehr allgemein?« entgegnete, noch höflicher, Josef. »Vielleicht aber auch liegt es nur an meinem alten Kopf, daß ich mir nichts Rechtes darunter denken kann.« – »Ich will versuchen«, erwiderte Akawja, »meine simple Meinung in Ihr gebildetes Aramäisch zu übersetzen. Sie sehen ganz genau, mein Doktor Josef, was die Stunde und der Tag erfordert. Aber Sie wollen es nicht sehen, Sie machen lieber die Augen zu und ›kämpfen‹ für ein Ideal, von dem Sie ganz genau wissen, daß es unerreichbar ist. Sie flüchten vor der Schwierigkeit des Erreichbaren in den bequemen Traum des nie erreichbaren Ideals. Sie verraten das Heute und Morgen um einer nebelhaften Zukunft willen. Sie verraten den Messias von Fleisch und Blut, der vielleicht schon unter uns herumgeht, um eines verblasenen, geistigen Messias willen. Sie verraten den jüdischen Staat einer kosmopolitischen Utopie zuliebe.« Schwerfällig kamen die gebildeten Worte aus dem klobigen Mann.
  »Was versprechen Sie sich eigentlich davon«, fragte sehr ruhig Josef, »daß Sie mir alle diese unfreundlichen Dinge sagen?
  Es imponierte dem Akawja, daß Josef so ruhig blieb, aber es ärgerte ihn auch. »Wir wissen nicht, was wir mit Ihnen anfangen sollen«, sagte er schließlich grimmig und strähnte sich den trübsilbernen Bart. »Welches von Ihren Büchern gilt? ›Der Jüdische Krieg‹? Die Universalgeschichte? Oder der ›Apion‹? Einem großen Schriftsteller«, grollte er, »müßte es doch möglich sein, sich so eindeutig auszudrücken, daß ihn das Volk versteht. Ich bin kein großer Schriftsteller«, schloß er plump, »aber mich versteht das Volk.«
  »Ich verstehe Sie nicht, Doktor Akawja«, antwortete liebenswürdig Josef, mit einem kleinen Ton auf dem »ich«. »Ich verstehe nicht, warum Sie den ›Eiferern des Tages‹ das Wort reden. Sie wissen, daß unter diesem Kaiser Trajan die Zahl der Legionen verstärkt ist, daß die östlichen Legionen aufgefüllt sind, daß die Militärstraßen, das Kriegsmaterial auf eine Höhe gebracht sind wie niemals zuvor. Wer einen Löwen sattelt, muß ihn zu reiten verstehen. Sie als Mann von Urteil wissen, daß Sie ihn nicht reiten können. Warum also reden Sie einem Aufstand das Wort? Der Tag wird kommen, gut! Aber es ist an Ihnen, zu bestimmen, wann er da ist. Und wenn Sie das Volk zur Unzeit aufrufen, ruinieren Sie dann nicht den Tag und laden schwere Schuld auf sich?«
  »Der Gott, der mich den Löwen satteln hieß«, sagte Akawja, »wird mich auch lehren, ihn zu reiten,« Dann, daran denkend, daß das ein Satz für eine Volksversammlung war, aber nicht für den Schriftsteller Josef Ben Matthias, verstand er sich dazu, ihn tiefer in sein Inneres sehen zu lassen. »Nicht die Vernunft«, sagte er grimmig, »kann entscheiden, ob der Tag gekommen ist, nur der Instinkt kann es. Immer wieder wird die Vernunft zuschanden vor Gott. Ich sage das nicht etwa, weil ich der Vernunft und ihren Verlockungen aus dem Weg gegangen wäre. Ich kenne die Freuden der Logik und der Gelehrsamkeit. Ich habe die Schrift und die Lehre studiert mit allen Mitteln, und ich habe mich herumgeschlagen mit der Philosophie der Heiden. Aber alles, was ich gelernt habe, ist, daß einem, wenn es Ernst wird, doch nur das innere Wissen weiterhilft, der Glaube an den über alle Vernunft erhabenen Gott Israels, und nicht die Logik und nicht der Glaube an immer gleiche Ursachen und Wirkungen. Ich glaube an Moses und die Propheten und nicht an Trajan und seine Legionen. Ich will in Bereitschaft sein, wenn der Umschwung kommt, wenn der Tag kommt. Und der Tag kommt, das sage ich Ihnen! Gesetze und Bräuche sind gut und Gott wohlgefällig, aber sie bleiben Geschwätz, wenn sie nicht die Vorbereitung sind eines selbständigen Staates mit Polizei und Soldaten und souveräner Gerichtsbarkeit. Helfen kann uns nur die Wiedererrichtung des Tempels, des wirklichen aus Quadern und Gold, und die Wiedererrichtung des wirklichen Jerusalem, einer Stadt aus Stein und Holz und mit uneinnehmbaren Mauern. Sehen Sie, mein Doktor und Herr, die Massen begreifen das. Man muß sehr gelehrt sein in griechischer Weisheit, um es nicht zu begreifen.«
  Es wäre sinnlos gewesen, gegen den Fanatismus des Mannes mit Argumenten der Vernunft anzugehen. Nicht etwa, als ob Akawja der Vernunft ermangelt hätte. Im Gegenteil, seine Vernunft war wohl nicht geringer als seine eigene, des Josef. Aber des Akawja Glaube war eben stark genug, um über seine Vernunft obzusiegen.
  Diese Einsicht machte den Josef verstummen. Und jetzt gar fühlte er sich vollends klein. Denn jetzt erhob sich Akawja, riesig kam er auf ihn zu, den großen Kopf neigte er vertraulich zu ihm herunter, die kleinen Augen unter der breiten, gefurchten Stirn und den dicken, zottigen Augenbrauen schauten verschlagen und besessen zugleich sehr nahe in die seinen. Und, die derbe Stimme gedämpft, geheimnisvoll, verkündete er ihm: »Sie wissen, warum ich Gamaliel so kräftig unterstützte, als er das Hohelied aufnahm in die Reihe der Heiligen Schriften? Weil dieses Hohelied ein Gleichnis ist, ein Wechselgesang zwischen dem Bräutigam Gott und der Braut Israel. Wenn aber Jahve der Bräutigam ist, dann muß er werben um seine Braut Israel, dann muß er zahlen. Wie hart und bitter hat er den Jakob dienen lassen um seine Braut! Gott muß Israel erwerben, er muß sich sein Volk verdienen. Jahve hat Israel eine schwere Sendung auferlegt, Israel wird sie erfüllen. Aber auch Jahve muß den Vertrag erfüllen, er muß Israel seine Macht wiedergeben, seinen Staat. Und zwar nicht irgendwann, son dern in allernächster Zeit, jetzt. Sie, Josef Ben Matthias, wollen es Gott zu leicht machen. Sie wollen Israel verschleudern. Ich bin nicht so vornehm. Ich bin Bauer und mißtrauisch. Ich verlange Zahlung, wenn ich einen Teil meiner Leistung erfüllt habe. Ich verlange von Jahve – verstehen Sie mich recht, ich bitte nicht, ich verlange –, daß er Israel seinen Staat wiedergibt und seinen Tempel.«
  Josef erschrak vor der Wildheit, mit welcher der Mann seine anmaßende, verschlagene Forderung verkündete; er war von ihrem Recht offenbar bis ins Herz besessen. »Sie machen sich Jahve nach Ihrem Bilde«, sagte Josef, leise, betreten. »Ja«, gab Akawja zu, unumwunden, herausfordernd. »Warum soll ich mir Jahve nicht nach meinem Bilde machen, da er mich nach dem seinen gemacht hat?« Doch dann kehrte er aus dem Bereich der Mystik in die Realität zurück. »Aber haben Sie keine Angst!« tröstete er den Josef, er lächelte und sah trotz des gewaltigen, trübsilbernen Bartes auf einmal sehr jung aus. »Ich habe«, verriet er, »dem Großdoktor in die Hand versprochen, ich würde keine jüdische Aufstandsbewegung fördern, solange nicht Edom, solange nicht die Römer eine neue Untat begehen würden.« Sein Lächeln wurde listig und machte ihn unversehens dem Johann von Gischala ähnlich. »Ich konnte freilich«, sagte er, »dem Großdoktor dieses Versprechen leicht geben. Denn ich bin sicher, eine neue Untat der Römer wird nicht lange auf sich warten lassen. Die römische Klugheit ist eine dumme Klugheit, eine Klugheit auf kurze Sicht, ohne Gott und ohne Gnade. Die Römer werden die Untat begehen, ich und die ›Eiferer‹, wir werden unseres Versprechens ledig sein, und Gott wird uns helfen, nicht den Römern.«

Josef, beunruhigt durch diese Unterredung, ging nach Jabne, um mit dem Großdoktor die politische Lage durchzusprechen.
  Gamaliel war nicht nur nicht eifersüchtig auf Akawja, er hatte sogar mit klugem Bedacht sein möglichstes getan, dessen Ansehen zu erhöhen. Denn Gamaliel hätte seine Herrschaft über die Juden nicht halten können, hätte er nicht den heftigen, aufrührerischen Akawja an seiner Seite gehabt. Wenn Gamaliel lehrte: »Seid geduldig, fügt euch den Römern!«, so ergänzte Akawja: »Aber nur auf kurze Zeit, dann dürft ihr aufstehen und über den frechen Feind herfallen.« So kamen beide auf ihre Rechnung: der Großdoktor; denn das Volk hätte das ewige, nervenzerreibende Warten, das er ihm zumutete, nicht ertragen, wäre nicht Akawja gewesen und sein Zuspruch. Akawja; denn sein Verstand scheute das Abenteuer, das sein Herz ersehnte, und im Grunde war er froh, daß Gamaliels Bedachtsamkeit es immer wieder verhütete und hinausschob. Die beiden Männer, so verschieden sie waren, der tolerante, weltmännische Gamaliel und der fanatische, bäurische Akawja, liebten, ehrten und achteten einander.
  Bald mußte Josef erkennen, daß der Großdoktor um die politische Situation viel besser Bescheid wußte als er selber, der doch erst vor kurzem beim Gouverneur und bei Akawja gewesen war.
  »Kaiser Trajan«, setzte Gamaliel dem Josef auseinander, »ist nicht etwa judenfeindlich. Allein seine gewaltige Kriegsmaschine erfordert, um sachgemäß in Gang gesetzt zu werden, das Land der Juden als Aufstellungsraum, Die Juden also sind ihm lästig, ihm und seinem Gouverneur Lusius Quietus. Doch ist auch der Gouverneur an sich kein Feind der Juden, er möchte, da er den Wohlstand der Provinz nicht vernichten will, allzu gefährliche Maßnahmen lieber vermeiden. Leider aber ist in seiner nächsten Umgebung ein Mann, der solche Maßnahmen geradezu herbeisehnt. Und jetzt hat, nach zuverlässigen Berichten, dieser Mann die patriotisch gewalttätige Stimmung klug genutzt, die aus den Vorbereitungen zum Ostkrieg entstand, und den Gouverneur zu seinen Anschauungen bekehrt.«
  Es kostete den Josef Mühe, Gamaliel mit ganzer Aufmerksamkeit zu folgen. Denn er wußte: wenn der Großdoktor den gefährlichen Mann in der Umgebung des Gouverneurs so vag bezeichnet, so geschieht das mit Rücksicht auf ihn, auf Josef; denn dieser Gefährliche, Unnennbare ist niemand anders als Paulus Bassus, Josefs Sohn.
  Gamaliel aber erzählt weiter, und Josef, trotz des Sturmes in seinem Innern, hört zu. Denn des Großdoktors Bericht verdient, weiß Gott, ein gespanntes Ohr. Der Unnennbare nämlich hat eine wahrhaft höllische Idee ausgeheckt, der Gouverneur hat, wenn auch nur mit halbem Herzen, seine Zustimmung gegeben, und nun wartet man nur mehr die Einwilligung Roms ab, um den unseligen Plan in Wirklichkeit umzusetzen. Es geht aber um folgendes: man will für die Provinz Judäa, um die unzuverlässigen Elemente besser von den zuverlässigen absondern zu können, die Kopfsteuer neu einführen.
  Die Kopfsteuer. Die zwei Drachmen. Unter allen Bedrükkungen, welche die Römer ersonnen haben, die diffamierendste. Wenn diese von dem rechtlichen Kaiser Nerva abgeschaffte Sondersteuer wirklich neu eingeführt werden sollte, so wird das ein Signal zu dem Aufstand sein, den Rom will und den leider auch die »Eiferer des Tages« wollen. Wahrscheinlich hat auch Akawja von der bevorstehenden Einführung dieser Steuer gehört, und wahrscheinlich ist das die »Untat«, auf die er angespielt hat.
  Josef hört Gamaliels Bericht wie gelähmt. Was ihn, den sonst so beweglichen, lähmte, war der Gedanke, daß es der Unnennbare, daß es sein Paulus war, den die Gottheit dazu ausersehen, dieses neue Unheil über Judäa zu bringen. Welch ein Mann des Unglücks war er, Josef! Wie ging, immer von neuem, Unglück aus von allem, was er gemacht hat, von seinen Söhnen, von seinen Büchern! Unbeweglich saß er, wie betäubt.
  Bis ihm endlich bewußt wurde, daß Gamaliel schon längere Weile zu sprechen aufgehört hatte. Er suchte Gamaliels Auge, mit Scheu. Der erwiderte seinen Blick, und Josef erkannte, daß der andere genau wußte, was in ihm vorging. »Ich danke Ihnen«, sagte Josef.
  »Wenn Cäsarea die Kopfsteuer verfügt«, fuhr Gamaliel fort, als wäre die stumme Zwiesprache nicht gewesen, »dann ist Akawja des Versprechens entbunden, das er mir gegeben hat. Trotzdem ist es möglich, daß er sich ruhig halten wird. Er weiß so gut wie ich, daß die ›Untat‹ Cäsareas nichts ändert an dem Kräfteverhältnis Roms und Judäas. Er hat einen starken Verstand. Es bleibt die Frage, ob dieser starke Verstand aufkommt gegen sein noch stärkeres Herz.« Er sah trübe vor sich hin. Bisher war er dem Josef immer als ein junger Mann erschienen. Jetzt sah der alte Josef, daß auch Gamaliel nicht jung geblieben war. Sein rotbrauner Bart war nun beinahe völlig grau, die gewölbten Augen matt, Körper und Antlitz hatten ihre imponierende Straffheit verloren.
  Unvermutet indes richtete sich der Großdoktor hoch und war wieder ganz der frühere. »Ich möchte Sie um einen Dienst bitten, mein Josef«, sagte er herzlich und doch im Tone des Befehlsgewohnten. »Gehen Sie nach dem Norden! Sprechen Sie nochmals mit Johann von Gischala! Wenn es mir nicht glücken sollte, den Akawja zurückzuhalten, vielleicht glückt es Ihnen, den Johann zu bändigen, so daß wenigstens der Norden ruhig bleibt. Sie sind befreundet mit ihm, er hört auf Sie. Er hat einen so klaren Verstand. Reden Sie ihm zu, daß er ihn gebraucht!«
  »Gut«, erwiderte Josef. »Ich werde nochmals nach Gischala gehen.«

Seit dem Aufbruch von seinem Gut war Josef rastlos gewesen. Jetzt wurde er noch unruhiger. In Eile brach er auf, und er reiste in immer größerer Eile. Dabei wählte er nicht den kürzesten Weg, sondern reiste kreuz und quer. So durchzog er noch einmal einen großen Teil des Landes Judäa und des Landes Samaria, in Hast, als hätte er etwas zu versäumen, als könnte er, was er jetzt nicht noch einmal sah und in sich aufnahm, niemals wieder sehen.
  In Samaria dann erfuhr er, der Gouverneur habe durch ein Edikt die Wiedereinführung der Kopfsteuer für die jüdischen Einwohner der Provinz verfügt. Und schon den Tag darauf, in dem kleinen Ort Esdraela, erzählte man, es sei in Obergaliläa zu schweren Unruhen gekommen. Genaues konnte man ihm nicht mitteilen. So viel aber war gewiß, daß in mehreren galiläischen Ortschaften mit gemischter Bevölkerung die Juden über die Römer, Griechen und Syrer hergefallen waren. Schon seien indes, hieß es, römische Streitkräfte aus Cäsarea abgegangen, um die Ordnung wiederherzustellen. Führer des Aufstands, wollte man gehört haben, sei Johann von Gischala.
  Nach alledem war Josefs Sendung offenbar durch die Ereignisse erledigt, und er hatte im Norden nichts mehr zu suchen. Das klügste war, schleunigst nach Be’er Simlai zurückzukehren und dort nach dem Rechten zu sehen, nach Mara, nach Daniel.
  Aber als er sich das klarmachte, wußte er bereits, daß er’s nicht tun werde. Dem Schreck, mit dem er die Meldung gehört hatte, war vom ersten Augenblick an eine große Süße beigemischt gewesen. Mit Stolz und Beschämung nahm er wahr, daß er sich leicht fühlte, frei, glücklich. Er erkannte, daß er die ganzen letzten Jahre in Judäa nur auf diesen Aufstand gewartet hatte. Jetzt hatten diese Jahre in Judäa Sinn und Bestätigung bekommen. Denn wenn er die Nachricht von dem Aufstand in Rom erhalten hätte, verspätet, fern von den Geschehnissen, dann hätte er das wichtigste Ereignis seines Lebens versäumt.
  Wahnsinn! Es ist blanker Wahnsinn, in den Aufstand eingreifen zu wollen. Es wird anfänglich einige Siege geben, voll von Begeisterung und Seligkeit; dann wird eine harte, endgültige Niederlage folgen. Die Römer werden erreichen, was sie wollen, sie werden alles, was unter den Juden noch da ist an Mannhaftigkeit, Jugend, Kampfesmut, blutig zertrampeln. Es ist Verbrechen und Narrheit, dabei mitzuwirken.
  So, mit Aufbietung all seiner Vernunft, konnte er den Rausch verjagen, der bei der Meldung von der Erhebung über ihn gekommen war. Doch nur auf Augenblicke.
  In der Nacht gar, auf dem dürftigen Lager, das der kleine Ort ihm bot, bekam der Rausch volle Gewalt über ihn, es gab kein Mittel mehr dagegen, und wollüstig überließ er sich dem gefährlichen Glück. Er fühlte sich wie damals, als er, ein junger Mensch, in jenem ersten Kriege gegen die Römer die Wehrverbände Galiläas befehligt hatte, schwebend, getragen. Ach, das noch einmal spüren, diese glühende Heiterkeit, mit der sie damals in die Schlacht gezogen sind! Dieses Verschmelzen einer in den andern! Dieses tausendfache Leben, strömend, weil es vielleicht noch heute zu Ende ist! Diese große Verzückung, gemischt aus Frommheit, Gewalttätigkeit, Angst, Selbstsicherheit und einer Lust ohne Grenzen!
  Auf seinem Lager von der einen Seite nach der andern warf er sich. Preßte die Zähne zusammen, beschimpfte sich. Werde nicht abermals verrückt auf deine letzten Tage, Josef! Wenn ein junger Mensch sich von derartigem Wahnsinn ergreifen läßt, das kann gottgewollt, kann erhaben sein. Aber wenn es einer wie er so macht, ein Greis, an einem solchen trunkenen Greise ist nichts Erhabenes, er ist lächerlich, nichts sonst.
  Er ist nicht lächerlich. Wenn nach soviel Jahren, wenn nach so vielen Erfahrungen die Stimme in ihm immer noch mit solcher Gewalt ruft, dann hat diese Stimme recht. Und wenn es die Stimme der Tollheit sein sollte, dann kommt diese Tollheit von Gott. Akawja hat recht. Wer wagt zu behaupten, daß Jahve identisch ist mit Logik und dürrer Vernunft? Hat aus den Propheten Vernunft gesprochen? Oder ein anderes? Wenn ihr, mit dreister Pedanterie, dieses andere Tollheit nennen wollt, dann sei sie gesegnet, diese Tollheit.
  Und mit Wollust stürzte er sich, der alte Josef, in die Tollheit. Ja, Johann von Gischala hatte recht, und Akawja hatte recht, und das Buch Judith und das Buch des Josef Ben Matthias gegen Apion, und nicht recht hatte der Großdoktor und die Universalgeschichte des Flavius Josephus.
  Nachdem er sich einmal entschlossen hatte, toll zu sein, brach er noch in der Nacht auf, um sich zu Johann von Gischala durchzuschlagen.
  Er fand einen Maultiertreiber, der ihn bis in die kleine Ortschaft Atabyr brachte, die auf der halben Höhe des gleichnamigen Berges lag. Weiter wagte sich der Mann nicht mit. Auch die Bewohner des kleinen Ortes rieten ab, weiter vorzudringen. Denn hier begann das Gebiet der militärischen Operationen.
  Josef also, nachdem er sich ein wenig Mundvorrat gekauft hatte, setzte seinen Weg allein fort. Er vermied die Heerstraße und wählte abseitige, verlorene Hirtenpfade in den Schluchten und Höhen des Gebirgs. Hier hatte er seinerzeit gekämpft, er hatte den Berg befestigt, er kannte die Gegend gut. Still, gleichmäßig, behutsam, in besonnener Eile schritt er.
  Ein strahlender Frühlingstag stieg auf. Der Winter hatte lange gedauert in diesem Jahr, noch lag Schnee auf den Bergen Obergaliläas, er speiste die Bäche, so daß sie voll und fröhlich prasselten. Die Luft war von beseligender Reinheit, das Entfernte war klar und nahe. Josef stieg tiefer hinein ins Bergland, er befahl seine Erinnerung herbei, sie gehorchte, jede Höhe,
jedes Tal war ihm vertraut.
  Da war der überhängende Kamm. Von ihm aus mußte er den See erblicken können, seinen See, den See von Tiberias, den See Genezareth. Siehe, da glitzerte er schon herauf! Winzige Punkte bewegten sich auf seinem Spiegel; Josefs Erinnerung verwandelte sie in die braunroten Segel der Fischerboote.
  Er kletterte über den Kamm, suchte sich eine Bergfalte, die ihn decken könnte, fand sie. Hockte nieder. Jene Ruhelosigkeit, die ihn die ganze Zeit gequält, endlich wich sie von ihm. Er durfte rasten. Er setzte sich bequemer, aß von seinem Vorrat, Früchte, etwas Fleisch, Brot, trank von seinem Wein.
  Ein kleiner, fröhlicher Wind ging. Josef dehnte die Brust. In zauberisch heller Luft, ein wahrer Garten Gottes, lag das Land Galiläa vor ihm, unter ihm, fruchtbar, mannigfach mit seinen Tälern, Hügeln, Bergen, mit seinem See Genezareth, dem Flusse Jordan, der Meeresküste, mit seinen zweihundert Städten. Was Josef nicht sah, das ahnte er, das wußte seine Erinnerung, In sich ein trank er die Sicht. Rötlichgrau war das Gestein, saftig grün die Johannisbrotbäume, silbrig die Oliven, schwarz die Zypressen, braun die Erde. In der Ebene, winzig kleine Figürchen, hockten die Bauern auf dem Boden und rochen an dieser Erde nach dem Wetter, Schönes, reiches, buntes, fruchtbares Land. Jetzt im Frühjahr sind selbst seine Wüsten bedeckt von graugrün und violettem Geblüh.
  Aber man gönnt dem Land seine Fruchtbarkeit nicht. Vielleicht ist es zu fruchtbar. Vielleicht hat doch der frühere Johann von Gischala recht, und es ist doch der Preis des Weins und des Öls, der den endlosen Krieg stiftet, der um dieses Land geht. Gedüngt mit Blut ist es auf alle Fälle. Vielleicht will die Gottheit, daß es gedüngt werde mit Blut.
  Josef rastete in seiner Bergfalte. Alle Bedrängnis und aller Zwiespalt waren von ihm abgefallen. Seine Gedanken wellten auf und ab, und es war ihm recht so.
  Die Gottheit hat es ihnen, den Juden, zugeteilt, dieses Land, in dem Milch und Honig fließt. Sie hat ihnen mehr zugeteilt. »Nicht Zion heißt das Reich, das ich euch gelobte, / Sein Name heißt: Erdkreis.«
  Aber die Herrschaft über den Erdkreis, das ist eine vage, ferne Sache. Wenn er es einmal wenigstens von ferne hätte sehen dürfen, das Land seiner Hoffnung, das Land des Messias, des Rechtes, der Vernunft. Aber: »Da kannst du warten, bis dir Gras aus dem Munde wächst.« Josef lachte, an die derben Worte des Akawja denkend. Ein großartiger Mann, dieser Akawja!
  Wieder schaut er, genießt er die Sicht. Dieses Galiläa zumindest, das ist da. So viel hat er fallen lassen müssen aus seinen Händen, Hoffnungen und Glauben; dieses Galiläa läßt er nicht fallen, daran klammert er sich jetzt, das hält er.
  Vernunft hat er verkünden wollen, das Reich der Vernunft, des Messias. Solch ein Prophetentum, mein Lieber, das ist zu teuer. Wer da den Propheten macht, hat das mit zu vielen Entbehrungen zu bezahlen. Aber süß und ehrenvoll ist es, nichts zu predigen als sein Volk, als seine Nation. Prophetentum dieser Art, das nährt seinen Mann, innen und außen. Es schafft Ruhm und innere Befriedigung.
  Aus der Ferne, von unten, kam Geräusch. Josef wußte, daß tief zu seinen Füßen, ihm unsichtbar, eine Straße lief. Das Geräusch schien ihm das Getrabe von Pferden. Unwillkürlich duckte er sich tiefer in die Felsfalte, in deren Schutz er lag.
  Wieso eigentlich ist er hier? Was hat er hier zu suchen, hier in Galiläa, mitten im Aufruhr, mitten im Krieg, er, der Alte? Hier kann er nur sich selber verderben, helfen kann er keinem.
  Unsinn! Als ob er jemals einem hätte helfen wollen! So alt hat er werden müssen, um zu erkennen, daß er nie einem andern hat helfen wollen, immer nur sich selber. Ich hat er sein wollen, immer nur Ich, und von allem, was er gedacht und geschrieben und sich vorgemacht hat, ist der Psalm vom Ich das einzig Wahre:

Ich will ich sein, Josef will ich sein,
So wie ich kroch aus meiner Mutter Leib,
Und nicht gestellt zwischen Völker
Und gezwungen, zu sagen:
von diesen bin ich oder von jenen.
Justus hat in Wahrheit helfen wollen, den andern, den fernen Geschlechtern. Armer, großer, ritterlicher Justus! Zur Unzeit bist du geboren, zur Unzeit hast du dich abgemüht, ein Vorläufer, ein Verkünder unzeitgemäßer Wahrheit. Verbissen und unglücklich hast du dein Leben verlebt, verbissen und unglücklich bist du gestorben, vergessen ist dein Werk. Der Lohn des Gerechten.
  Die messianische Hoffnung muß sein, gewiß, sonst könnte man nicht leben. Und es muß Leute geben, die den wahren Messias verkünden, nicht den des Akawja, sondern den des Justus. Sie sind auserwählt, diese Leute, aber sie sind zum Unglück auserwählt.
  Ich, Josef Ben Matthias, habe es erprobt. Ich hab es gespürt, das echt Messianische, die ganze Wahrheit, und ich war unglücklich. Erst als ich darauf verzichtete, wurde es besser. Und einverstanden mit mir selber, glücklich bin ich nur dann gewesen, wenn ich gegen die Vernunft gehandelt habe. Schöne Zeit, herrliche Zeit, da ich ganz meinem Trieb gefolgt bin, da ich das Buch gegen Apion schrieb, das dümmste und beste, was ich geschrieben habe! Und vielleicht, trotz allem, das Gott am meisten gefällige. Denn wer will entscheiden, welches der gute Trieb ist und welches der böse? Und selbst wenn es diesem bösen entsprungen sein sollte, heißt es nicht in der Schrift: »Du sollst Gott dienen auch mit dem bösen Trieb!«
  Er dehnte die Brust. Leicht und frisch fühlte er sich, leicht ging ihm der Atem aus dem Mund, ganz jung fühlte er sich. Um seine alten Lippen war ein Lächeln, schier töricht vor Glück. Beinah siebzig hat er werden müssen, ehe er so weise wurde, unweise zu sein. Gelobt seist du, Jahve, unser Gott, der du mich hierher hast gelangen lassen und mich noch einmal atmen lässest die süße, reine Luft Galiläas und die wilde, würzige des Krieges!
  In seinem Innern wußte er, daß dieses Glück nicht lange dauern wird, daß er nur mehr ein paar Tage haben wird oder vielleicht auch nur ein paar Stunden oder vielleicht sogar nur ein paar elende Minuten. Nein, nicht elende Minuten, sehr gute vielmehr und glückliche.
Er machte sich daran, seinen Weg fortzusetzen, hinunterzusteigen. Er hatte Geräusch gehört und war behutsam. Er vermied jeden breiteren Pfad, duckte sich, wo er gesehen werden konnte, trat vorsichtig auf. Doch einmal trat er ungeschickt. Ein Stein löste sich und fiel unglücklich, so daß man ihn auf der Straße hörte. Die aber auf der Straße zogen, waren römische Reiter und hielten an und machten sich daran, den Berghang abzusuchen.
  Josefs Gesicht war nicht mehr so gut wie sein Gehör; er wußte lange nicht, ob es Leute von den Seinen seien oder Römer, die da den Berghang absuchten. Dann kamen sie näher, und er erkannte, daß es Römer waren.
  Einen Augenblick durchströmte ihn wilder Schreck und spülte alle Kraft aus ihm weg, Er war heute eine gute Strecke Weges gegangen, auf und ab, auf rauhem Pfad, und plötzlich war seine ganze Frische wieder fort. Er war ein alter Mann, das Herz, das ihm bisher so leicht gewesen, lag ihm auf einmal schwer und schmerzhaft in der Brust wie eine Geschwulst, die Knie versagten ihm, er mußte niederhocken.
  Allmählich indes ging die Schwäche vorbei, und es kam über ihn das frühere große Einverstandensein, ja etwas wie Freude, daß er nun am Ziel war. Er hätte damals fallen sollen in dem ersten Krieg, in guter Jugend, in Galiläa. Er ist dem ausgewichen und hat statt dessen ein höchst bewegtes Leben geführt und Kinder und Bücher in die Welt gesetzt, gute und schlechte, und einige leben noch und einige sind verweht, und er hat bewirkt, daß sehr viel Böses geschah, aber doch auch einiges Gute, und jetzt, sehr verspätet, ist es ihm vergönnt, nachzuholen, was er damals sträflich versäumt hat, im Krieg zu sterben, in Galiläa.
  Da saß er also in der leichten, klaren Luft und schaute den Männern entgegen, schwachen Leibes, doch frei von Furcht und voll von Erwartung.
  Die Soldaten kamen heran und fanden einen alten Juden. Sie beschauten ihn, unschlüssig, er beschaute sie, neugierig. »Gib die Parole, Jude!« verlangte schließlich der Anführer. »Ich weiß sie nicht«, antwortete Josef. »Was suchst du hier?« fragten die Soldaten. »Ich habe viele Freunde in Galiläa«, erwiderte Josef, »und ich war besorgt um ihr Schicksal und wollte sie aufsuchen.« – »Und da schleichst du auf heimlichen Pfaden und gehst nicht auf der kaiserlichen Heerstraße?« fragten sie. Und er antwortete: »Ich habe gedacht, die kaiserliche Heerstraße ist voll von kaiserlichen Soldaten. Da hält sich ein alter Mann besser auf den Nebenwegen.« Die Soldaten lachten. »Das hast du schlau gedacht«, sagte der Anführer, »aber nun wirst du wohl einen noch größeren Umweg machen müssen als deine Bergpfade. Und wer bist du überhaupt? Ein Bauer bist du doch nicht, und aus Galiläa bist du auch nicht.« – »Ich bin Flavius Josephus, vom Zweiten Adel«, sagte Josef, und er wies seinen Goldenen Ring vor, und er sprach jetzt lateinisch, während man bisher aramäisch gesprochen hatte. »Soso?« lachten die Soldaten. »Vom Zweiten römischen Adel bist du? So haben wir uns einen römischen Ritter immer vorgestellt!« – »Da seht ihr«, sagte freundlich Josef, »daß die Wirklichkeit manchmal anders aussieht, als man glaubt. Ich habe übrigens ein gutes Papier.« Und er holte den Ausweis hervor, den man ihm auf der Statthalterei von Cäsarea ausgestellt hatte.
  Die Soldaten beschauten sich das Papier nicht lange. »Mit diesem Wisch«, sagten sie, »können wir nichts anfangen. Hier gilt nur eine Unterschrift, die von Paulus Bassus!« Josef schaute nachdenklich vor sich hin und sagte: »Euern Paulus Bassus kenne ich sehr gut, und er kennt mich sehr gut.« Da lachten die Soldaten schallend über den Spaßvogel von einem alten Juden, der ein Freund ihres Oberbefehlshabers Paulus Bassus sein wollte. »Da hättest du dir eigentlich«, erwiderten sie, »von deinem Freund die Vorschriften sagen lassen sollen, die gerade er erlassen hat. Wenn auf einer galiläischen Straße ein Jude und Beschnittener getroffen wird, der nicht in einem Nachbarort beheimatet ist, und er kennt nicht die Parole, dann ist er als Spion anzusehen. Bist du ein Jude? Bist du beschnitten?« – »Ich bin es«, sagte der alte Mann. Der Anführer schwieg eine ganz kleine Weile, dann hob er langsam die Schultern und ließ sie wieder fallen, es war beinahe wie eine Entschuldigung. »Na also!« sagte er. »Du scheinst verständig und begreifst sicher, daß es, wenn wir es kurz machen, nicht böser Wille ist, sondern Dienstvorschrift.« – »Bedanke dich bei deinem Freunde Paulus Bassus!« fügte einer hinzu. Josef sah sie aufmerksam an, einen nach dem andern. »Das möchte ich«, sagte er ruhig, »und ihr tätet gut, es mir zu ermöglichen. Denn ich bin wirklich vom Zweiten römischen Adel, und ich kenne wirklich euern Paulus Bassus sehr gut.«
  Seine Stimme, seine Augen, seine ruhige Art machten Eindruck auf die Soldaten. Auch schien der Mann kein Spion zu sein, für einen solchen hätte man sich schwerlich einen so alten, auffälligen Juden ausgesucht. Aber Befehl war Befehl. Dazu war man verspätet, die Streife hatte mehr Zeit beansprucht, als man erwartet. Wenn man sich mit dem Burschen belastete und dadurch noch später ans Ziel kam, wurde man angeschnauzt; wenn man ihn erledigte, war man eindeutig im Recht.
  Aber die Soldaten waren nicht bösartig von Gemüt. Sie waren von denen, die seit langem hier im Lande in Garnison standen, sie hatten ab und zu mit Juden zu tun gehabt und sahen in ihnen nicht nur Feinde. »Die Vorschriften«, überlegte einer laut, »heißen: seid human, solange es die militärischen Rücksichten erlauben!« – »Krieg ist Krieg«, sagte ein anderer. »Höre, Mensch«, schlug der Anführer dem Josef vor, »wir müssen nach Tabara und haben nicht viel Zeit. Wir wollen versuchen, dich mitzuschleppen. Galopp werden wir nicht reiten, aber auch nicht im Schritt. Wir sind schon verspätet. Es ist wie in der Arena. Einige überstehen’s. Wir geben dir eine Chance. Wir binden dich ans Pferd, und wenn du’s schaffst, dann hast du’s geschafft. Ist das ein guter Vorschlag?« – »Ich denke«, sagte der, der zuerst gesprochen, »es ist ein guter Vorschlag und im Sinne des Reglements. Sag selber, Jud!« forderte er den Josef auf. Der schaute ihn lang und nachdenklich an. »Du hast recht, mein Junge«, sagte er. »Es ist im Sinne des Reglements.«
  Sie untersuchten ihn. Er hatte etwas Barschaft bei sich, noch ein wenig Mundvorrat, den Ausweis der Statthalterei und am Finger den Goldring des Zweiten Adels. »Das könnte gestohlen sein«, meinten sie und nahmen es ihm ab. Dann stiegen sie hinunter zur Straße und banden ihn einem ans Pferd. Dieser Reiter war ein gewisser Philippus, ein gutmütiger Mensch. »Ich werde nicht zu schnell reiten, Mann«, versprach er und gab dem Josef Wein zu trinken, damit er sich stärke. Dann ritten sie los.
  Wind ging, die Luft war frisch und würzig, der Trab war nicht zu schnell, und die ersten Minuten schien es wahrhaftig nicht ganz ausgeschlossen, daß der Mann es schaffe. Seine alten Füße liefen, er atmete gleichmäßig, und sie sagten: »Na siehst du, nur nicht aufgeben!« Doch dann begann er zu japsen, und dann stolperte er und fiel. Sein Kleid war zerrissen, er blutete, aber es waren nur Abschürfungen, nichts Ernstliches. Er raffte sich auch bald wieder auf und lief weiter. Dann fiel er nochmals, diesmal schwerer, immerhin waren es nur die Arme und das Gesicht. Philippus hielt sein Pferd an, gab seinem Gefangenen nochmals zu trinken und gönnte ihm eine Minute, ehe er weiterritt. Dann aber fiel Josef ein drittes Mal, und diesmal wurde er eine Weile über die Straße geschleift. Es lag trotz des Frühjahrs dicker Staub auf der Straße, das war gut für Josef, aber Steine gab es natürlich auch, und als Philippus endlich hielt, war der alte Jude über und über mit Blut besudelt, seine Augen waren geschlossen, und aus seiner Brust kam ein Röcheln, das unangenehm zu hören war.
  Philippus rief den andern etwas zu, und die versammelten sich um Josef. »Was sollen wir nun mit dir anfangen?« sagten sie. »Offenbar hast du verspielt. Sollen wir ihn abtun«, überlegten sie, »oder sollen wir ihn liegenlassen?« Und: »Sollen wir dich abtun, Alter, oder sollen wir dich liegenlassen?« wandten sie sich geradezu an ihn selber. »Wir haben uns ans Reglement gehalten«, erklärte nochmals der Anführer, entschuldigend.
  Josef hörte sie reden, aber er verstand sie nicht. Sie sprachen lateinisch, doch er, der Vielsprachige, verstand jetzt nur mehr die Sprache des Landes, und er hätte auch nicht sprechen können. »Ich meine«, schlug schließlich einer vor, »wir überlassen ihn sich selber. Unheil richtet der keines mehr an.« Und so taten sie. Sie hoben ihn noch hoch und legten ihn an den Rand der Straße, unter einen gelben Strauch, so, daß sein Gesicht im Schatten lag. Dann ritten sie weg.
  Es war aber die Gegend, in der dieses geschah, ein Hochpla teau, öde, nur mit wenig Sträuchern bestanden, doch jetzt, im Frühjahr, trugen diese Sträucher gelbe Blüten. Da lag Josef in einer hellen, milden Sonne, und mit verschwimmenden Sinnen nahm er die gelbgesprenkelte Wüste und die milde, fröhliche Sonne in sich auf.
  Der Josef, der nach Rom gekommen war, um Rom und die Welt mit jüdischem Geiste zu durchdringen,
  Der Josef, der den Feldherrn Vespasian als Messias begrüßt hatte,
  Der Josef, der die Kriegsgefangene Mara, die Hure des Vespasian, geheiratet hatte und später die ägyptische Griechin Dorion,
  Der Josef, der als jüdischer Führer in Galiläa gekämpft und dann vom römischen Lager aus mitangesehen hatte, wie Jerusalem und der Tempel verbrannten,
  Der Josef, der Zeuge gewesen war, wie Titus triumphiert hatte, und der sich gebeugt hatte unter dem Joch seines Triumphbogens,
  Der Josef, der das streitbare Makkabäerbuch geschrieben hatte und den höfisch konzilianten »Jüdischen Krieg« und die kosmopolitisch laue Universalgeschichte und den patriotisch glühenden »Apion«,
  Der Josef, der vergebens um seinen Sohn Paulus gerungen hatte und der die Ursache gewesen war, daß sein Sohn Simeon umkam und sein Sohn Matthias,
  Der Josef, der vom Tische dreier Kaiser gegessen hatte und vom Tisch der Prinzessin Berenike und des Großdoktors Gamaliel und des gewalttätigen Akawja,
  Der Josef, der die Weisheit der jüdischen Schriften studiert hatte, der Doktoren, der Griechen und der Römer, der immer wieder gestoßen war auf den letzten Schluß des Kohelet, daß alles eitel sei, und der doch niemals danach gehandelt hatte.
  Dieser Josef Ben Matthias, Priester der Ersten Reihe, dem Erdkreis bekannt als Flavius Josephus, lag jetzt auf der Böschung, das Gesicht und den weißen Bart besudelt mit Blut, Staub, Kot und Speichel, veratmend. Das ganze kahle, gelbgesprenkelte Bergland ringsum und der helle Himmel gehörten jetzt ihm allein, die Berge, die Täler, der ferne See, der reine Horizont mit dem einsamen Raubvogel waren nur seinetwillen da und nichts als der Rahmen seines Innern. Das ganze Land war erfüllt von seinem verdämmernden Leben, und er war eins mit dem Land. Das Land holte ihn, und er suchte es. Er hatte die Welt gesucht, aber gefunden hatte er nur sein Land; denn er hatte die Welt zu früh gesucht. Der Tag war da. Es war ein anderer Tag, als er ihn geträumt hatte, aber er war es zufrieden.

Als Wochen vergingen, ohne daß von Josef Nachricht eintraf, wandte sich Mara an den Gouverneur in Cäsarea und an den Großdoktor in Jabne.
  Die römischen Behörden bemühten sich ernstlich, es ging um einen Angehörigen des Zweiten Adels, den Rom und sein Hof kannten. Auch der erschrockene Gamaliel tat alles, um Josef aufzufinden. Man schrieb hohe Belohnungen aus für den, der ihn lebendig oder tot beibrächte. Allein man konnte nur ermitteln, daß er zuletzt in Esdraela gesehen worden war; von da an verlor sich jede Spur. Es war schwierig, in dem vom Krieg heimgesuchten Gebiet einen Mann zu entdecken, der verlorengegangen war, es gab Zehntausende von Leichen nach diesem Aufstand.
  Ein Monat verging, Pfingsten kam heran, das Pfingsten, von dem die Männer am Tische des Doktors Akawja geträumt hatten, doch es war ein blutiges Pfingsten für Judäa. Und es kam der heiße Monat Tamus, und es jährte sich der Tag, da die Belagerung Jerusalems begonnen hatte, und es kam der Monat Ab, und es jährte sich der Tag, da Jerusalem und der Tempel verbrannt waren. Und noch immer fand sich keine Spur von Josef Ben Matthias, den die Römer Flavius Josephus nannten. Man mußte ihn wohl verloren geben, und Gamaliel mußte darauf verzichten, den größten Schriftsteller, den die Judenheit dieses Jahrhunderts besessen, würdig zu bestatten.
  Da sagten die Doktoren: »Wie es heißt von Moses, unserem Lehrer: ›Und niemand hat sein Grab erkundet bis auf diesen heutigen Tag.‹« Und alle erkannten, daß dem Josef als Denkmal sein Werk bestimmt war und kein anderes.


NACHBEMERKUNG


Der Entstehungsprozeß der »Josephus«-Trilogie ist durch die Zeitereignisse mehrfach unterbrochen worden; er ist in auffälliger Weise verbunden mit dem des »Wartesaal«-Zyklus, bedingt durch Feuchtwangers ständiges Bestreben, die »ungeheure, blutige Groteske« des faschistischen Herrschaftssystems anzuprangern. Dem »Jüdischen Krieg«, der 1932 erschien (Propyläen Verlag, Berlin), als Feuchtwanger einen zweiten, abschließenden Band schon konzipiert und teilweise geschrieben hatte, war 1930 die Publikation des Romans »Erfolg« vorausgegangen. Bevor der Autor den zweiten, als Schlußband geplanten Teil des »Josephus«-Stoffes vollenden konnte, fiel das Manuskript den Faschisten in die Hände und wurde vernichtet. Zunächst trieb es ihn, »das Leserpublikum der Welt möglichst schnell über das wahre Gesicht und über die Gefahren der Naziherrschaft aufzuklären«. So entstand in der kurzen Zeit von April bis September 1933 der zweite Band des »Wartesaal«-Zyklus, »Die Geschwister Oppermann«. Dann erst folgte 1935 die Veröffentlichung der »Söhne« (Querido Verlag, Amsterdam), nachdem Feuchtwanger das verschollene Manuskript nicht mehr zu rekonstruieren in der Lage gewesen war. In einer Anmerkung zu den »Söhnen« schreibt er: »Den verlorenen Teil in der ursprünglichen Form wiederherzustellen erwies sich als unmöglich. Ich hatte zu dem Thema des ›Josephus‹: Nationalismus und Weltbürgertum manches zugelernt, der Stoff sprengte den früheren Rahmen, und ich war gezwungen, ihn in drei Bände aufzuteilen.« Seine historischen Studien lenkten ihn auf das Thema des Romans »Der falsche Nero«, der im Jahre 1936 publiziert wurde und worin in historischem Gewande überraschende Parallelen zum verbrecherischen politischen Abenteurertum des faschistischen Regimes in Deutschland gezogen werden. In den folgenden Jahren – unterbrochen durch die Niederschrift seines Erlebnisberichts »Moskau 1937«, der Frucht seiner Reise in die Sowjetunion – widmete sich Feuchtwanger unmittelbar der Auseinandersetzung mit dem Faschismus, indem er vom Mai 1935 bis zum August 1939 vorwiegend am dritten Band des »Wartesaal« Zyklus, am Roman »Exil«, arbeitete, der 1940 veröffentlicht wurde. Dann endlich konnte 1942 in London der letzte Teil der »Josephus«-Trilogie, »Der Tag wird kommen«, in englischer Übersetzung erscheinen, jedoch drei weitere Jahre vergingen, bis 1945 die deutsche Erstausgabe vorlag (Bermann-Fischer Verlag, Stockholm).

  Entsprechend unserem Grundsatz, einen möglichst authentischen Text herzustellen, sind bei der technischen Bearbeitung der »Josephus«-Trilogie in allen drei Fällen die oben genannten deutschen Erstausgaben zu Rate gezogen worden. Durch Textvergleiche mit späteren Ausgaben, vor allem aber durch aufmerksame Korrektur, konnten eine Reihe von Druckfehlern und kleineren inhaltlichen Unregelmäßigkeiten beseitigt werden. Für die unterschiedlich gebrauchte Orthographie und Interpunktion sowie die unregelmäßige Schreibweise bestimmter wiederkehrender Begriffe, hauptsächlich verursacht durch die technischen »Hausregeln« und redaktionellen Eigenheiten der drei Verlage, welche die Erstausgaben veröffentlichten, wurde eine einheitliche Form gewählt.

Aufbau- Verlag





Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
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