Als sie auf den Treppenabsatz trat, kam Darken aus dem Büro und sah zu ihr hinauf.

Etwas hatte sich an ihm verändert. Sie stutzte und ihr Lächeln entglitt.

»Was ist?«, fragte er sie erschrocken.

»Das fragst du mich? Was ist mit dir, mit deinen Augen?«

Er nahm sie am Arm und ging mit ihr zurück ins Schlafzimmer, trat mit ihr vor den Spiegel. Er schaute hinein, und auch sie sah ihn über den Spiegel an.

»Deine Augen, sie sind viel heller.«

Es stimmte. Darkens Augen waren dunkelblau, fast schwarz gewesen. Jetzt glichen seine Augen klaren Bergseen, azurblau und strahlend schön. Er sah sie mit diesen klaren, strahlenden Augen an, dann nahm er sie in den Arm und drückte sie fest an sich.

»Weißmagie, du hast Weißmagie, hast du das nicht gewusst?«, fragte er.

Sie nickte vorsichtig.

»Du hast es gewusst! Sirona, du bist mächtig, deine Magie ist mächtig. Das Sternennetz war deine Magie. Das hast du mit mir gemacht! Du hast mich von der dunklen Seite zu dir gezogen! Du hast die Schatten von mir genommen.« Er schwieg lange, während er sie fest an sich gepresst hielt. »Die Prophezeiung sagt, dass dies nur geschehen kann, wenn ich …«, er brach ab.

»Was?«, hauchte sie und begann zu zittern, Tränen rannen ihre Wangen herab. »Darken, sprich mit mir! Gottverdammt, rede mit mir!«, sie wurde jetzt wütend, Hilflosigkeit überflutete sie.

»Die Prophezeiung sagt aus, dass ich nur durch den Geist der Weißmagie aus dem Haus der Götter gerettet werden kann, wenn sie meine Seele erreicht und beherrschen kann, wenn sie mich grenzenlos und mit Freiheit liebt!«

Sie beruhigte sich in seinen Armen. Die Tränen liefen jetzt ohne Schauder, sie entwand sich ihm.

Sie trat einen Schritt zurück und sah in seine wunderschönen Augen, in denen sie sich jetzt spiegeln konnte.

Sirona begann leise: »Ich bin reiner Geist, reiner Geist bin ich, frei von allen Grenzen, sicher geheilt. Sie hat mir gesagt, dass ich ein verinnerlichter Lichtmensch, ein vollkommener Mensch sei und Weißmagie besitze. Sie sagte, ich gehöre zur Götterwelt. Sie wusste, ich gebe, ohne mich zu verlieren. Sie nannte mich göttlich. Sie sagte, dass ich das Wissen habe, die zweite Seite des Ganzen zu sein, dass die Unvergänglichkeit und das Wiedersehen in mir seien.

Aber ich habe sie damals nicht verstanden. Ich war zweimal bei dir, das erste Mal, als ich in Rom am Meer meinen Körper verlassen habe und zu dir kam. Du standest am Fenster in deinem Büro. Ich spürte, wie du dich nach mir verzehrt hast, wie dein Herz bestimmt war von der Angst, mich zu verlieren. Ich spürte dein Verlangen nach mir und ich spürte, dass sich mein eigener Geist nach dir sehnte.

Ohne Taamin hätte ich diese Geistwanderung nicht überlebt, er hielt mich, damit ich nicht stürzte, und wärmte mich mit seinem Körper, damit das Leben nicht aus meinem wich.

Damals habe ich den Entschluss gefasst, zu deinem Fest zu gehen.

Das zweite Mal fühlte ich diese Welle von Zorn, dunkel und glühend, sie waberte in deinem Inneren und schaukelte sich langsam hoch, um Taamin anzugreifen; doch du hattest dich noch unter Kontrolle. Aber dieses Gefühl brodelte in dir. Es war gestern und ich habe dich gewarnt, erinnerst du dich?«

Darken nickte.

Sirona sprach weiter: »Ich bin frei von allen Grenzen, ich bin reiner Geist und ich bin es, die dich liebt, mit ganzer Kraft und meiner ganzen Magie. Darken, ich liebe dich!«

Sie sah die Blitze in seinen Augen, die Sterne. Alles war aus ihr herausgesprudelt, sie hatte kaum Luft geholt, die Tränen rannen ihr über die Wangen. Die Bedeutung ihrer Worte traf sie mit voller Wucht, sie hatte nicht verstanden, bis jetzt hatte sie nicht verstanden. Sie hatte immer noch nicht gelernt, ihren Gefühlen zu trauen, aber diese Erkenntnis, diese Augen, die sie ansahen, waren real.

Sie holte tief Luft. »Ja, jetzt verstehe ich, und ja, jetzt weiß ich, was ich weiß, und ja, ich liebe dich!«

Darken fiel auf die Knie, klammerte sich an sie, seine Beine konnten diese geballte Kraft an Liebe, an Offenbarung nicht tragen, er schluchzte.

Sie rutschte zu ihm hinunter und hielt sich an ihm fest. Sie versuchte nicht ihn zu stützen, nein, sie hielt sich an ihm fest. In ihren Augen war er nicht der Schwache, der in die Knie ging. In ihren Augen war er der Starke, der sie halten konnte. So knieten sie sich gegenüber und hielten einander in den Armen. Keiner wollte den anderen loslassen, beide brauchten jetzt diese Berührung. Sie gaben sich Kraft. Sie gaben sich Ruhe.

Darken hob den Kopf, sah ihr in die Augen. »Keine Worte dieser Welt können beschreiben, was ich jetzt fühle, was ich dir jetzt geben will. Ich brauche dich, ich liebe dich, ich will nie wieder ohne dich sein. Sei meine Königin bis in alle Ewigkeit.«

»Das werde ich sein, das schwöre ich.«

Er zog sie hoch und küsste sie. Dieser Kuss war so ganz anders als die anderen Küsse. Er war nicht gierig. Er gab sich mit diesem Kuss in ihre Hände, in ihr Herz. Sie verschmolzen zu einer Seele, zu einem Herzen.

Es dauerte noch ein Moment, bis sie sich gefangen hatten. Sirona spürte Taamins Nähe. »Taamin und sein Vater sind da.«

Einige Sekunden später läutete es an der Tür. Darken sah Sirona an.

Sirona senkte den Kopf und sah auf ihre Fußspitzen.

»Da ist noch etwas, was ich dir sagen muss. Als ich in Rom meinen Körper verließ, berührte ich nicht nur deinen Geist, sondern danach auch den Geist von Taamin. Taamin ist der Engel an meiner Seite, mein materialisierter Schutzengel, durch den ich die Kraft spürte, die Sicherheit, einen Weg zu gehen, der mir schon immer vorherbestimmt war. Ich fuhr in ihn ein und spürte die Vertrautheit. Dieser Engel war anders als du, dieser Engel wollte nur geben, und er liebt mich, wenn auch auf einer anderen Ebene. Dieser Schutzengel wird immer da sein, wo ich bin, und er wird nicht nur mich schützen, er wird auch dir Schutz gewähren, denn du bist ein Teil von mir. Mein Engel, mein persönlicher Engel, ich sah seine Seele und sie war wunderschön und rein. Darken, du darfst ihn nicht hassen. Er ist ich und er ist du. Er wurde uns geschenkt, damit wir uns finden.«

Darken schwieg, er nahm sie in seinen Arm, küsste ihren Hals. Er schwieg und trocknete die Tränen auf ihren Wangen. Ihr Gesicht leuchtete so herrlich, niemals wieder wollte er morgens aufwachen und nicht in dieses Gesicht sehen. Sie war so schön, so zart und so mächtig. Auch wenn es schien, als ob sie ihre Macht noch nicht ganz erfasst hatte.

»Dann wollen wir deinen Schutzengel mal begrüßen gehen«, er lächelte sie an und beruhigte sie damit. Ihr strömten Sanftheit, Liebe und Frieden entgegen, alle grauen Wellen der Eifersucht waren in diesem Moment verschwunden.

Sie traten hinaus auf die Galerie und als sie den Treppenabsatz erreichten, schauten drei Augenpaare zu ihnen hoch. Doch sie hatte nur Augen für Taamin.

Sie lief auf Taamin zu, hielt inne, nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn auf den Mund.

Freddie und Aluinn traten erschrocken zur Seite.

Taamin löste sich von ihr, sah furchtsam auf Darken, der jetzt direkt hinter ihr stand und sie und Taamin mit seiner gewaltigen Präsenz und Körpergröße überragte.

Sirona ging einen Schritt zur Seite.

Darken legte Taamin eine Hand auf die Schulter und sprach in königlichem Ton: »Ich danke dir, Taamin, du sollst immer die Hand über deine Königin halten, in meiner Familie willkommen und mein Bruder sein!«

Taamin schluckte, fiel auf die Knie. Ein Zittern durchlief ihn. »Hoheit, Ihr und Eure Königin seid mein Leben. Immer werde ich Euch treu ergeben sein.«

Darken fasste ihn an den Schultern, zog ihn hoch und an seine Brust. Als sie sich lösten, verneigten sie sich beide voreinander.

Taamin strahlte Sirona an. Sie strahlte zurück und griff nach Darkens Hand, der sich nur nicht damit zufrieden gab. Er nahm sie gleich ganz und schloss sie wieder in seinen Arm.

Hinter ihnen räusperte sich Aluinn. »Hoheit, es ist angerichtet.«

Sie schritten gemeinsam in das Esszimmer. Aluinn hatte sich, wie von Sirona vorausgesagt, selbst übertroffen. Frische Rosen, weiße Rosen mit einem zartaltrosa Kranz, schmückten den Raum. Auf Sironas Teller lag eine einzelne Rose und zeigte ihr damit an, wo ihr Platz war.

Darken saß vor Kopf, sie an seiner Herzseite zur Linken. Links neben Sirona setzte sich Taamin, und Freddie saß zu Darkens rechter Seite, ihr gegenüber. Sirona sah Freddie an. Seine Starre war noch nicht ganz verschwunden, was ahnen ließ, dass er von Taamin zuvor nicht eingeweiht worden war.

Aluinn servierte frische Garnelen, wie es sich Sirona gewünscht hatte. Danach gab es einen wunderbar zarten Lammrücken mit frischem Gemüse und zum Dessert selbstgemachtes Himbeersorbet.

Sirona aß sicherlich wieder zu viel, aber es war ihr egal, es war köstlich und sie war ausgehungert. Sie fragte Freddie über Taamins Kindheit aus, dann darüber, wie er die Zukunft der Holding sah, warum er sie so sah und nicht anders. Den ganzen Abend plauderte sie mit Freddie und zog Taamin mit Missgeschicken aus seiner Kindheit auf.

Darken lehnte sich zurück und beobachtete seine schöne Königin. Wie sie sprühte vor Kraft und Lebensfreude; Lebensfreude, die er vergeblich gesucht hatte, seit er sie tötete und sie ihn verfluchte und die er letzte Nacht endlich gefunden hatte.

Taamin trank einen Schluck Wein. »Nette Kontaktlinsen haben Sie, Darken«, er zwinkerte und Darken warf ihm seine Stoffserviette an den Kopf.

Es war schon sehr spät, als sich die Gesellschaft auflöste.

Freddie und Taamin bewohnten ein Gästezimmer im oberen Stock, auf der rechten Seite des Hauses. Sirona und Darken blieben noch einen Moment im Esszimmer sitzen. Sirona konnte den Trüffeln mit Himbeercreme und Eierlikör nicht widerstehen und wollte sie in aller Stille mit Darken genießen.

»Wir werden morgen reden müssen, über Kim und Omma, meine Freunde, meine Welt, meinen Job.«

Darken beugte sich zu ihr hinunter, dann küsste er ihren Nacken. »Alle deine Herzenswünsche, erinnerst du dich? Wir werden morgen darüber reden und wir werden Wege finden.«

Sie schmiegte sich an ihn.

Er hob sie hoch, trug sie eingerollt nach oben, öffnete das Schlafzimmer und Sirona rutschte entgeistert von seinem Arm. Das Schlafzimmer war sauber, es brannten Kerzen. Links und rechts vom Bett standen zwei große Amphoren, gefüllt mit den weißen, vollen Rosen, die sich am Blütenrand zartaltrosa färbten.

»Ich habe mich gerade daran gewöhnt, dass es Unsterblichkeit und Engel gibt, jetzt kommen auch noch Elfen hinzu!«

Sie sah an Darken hoch und ließ sich in seine Arme gleiten und fallen, wurde reiner Geist, berührte seine Seele und verlor sich in ihm.

Die Zusammenkunft
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