Vier

 

 

Ich ging also in die Zentralbücherei zwischen der Forth und Madison Avenue. Die Bibliothekarin musste nicht einmal nachdenken – sie wusste sofort, wo Quinton sich aufhielt.

Ich ging eine Reihe von Tischen entlang, an dessen Ende ein Mann saß, der an einem Computer arbeitete. Er hackte in einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf die Tastatur ein und murmelte dabei die ganze Zeit vor sich hin. Sein langes braunes Haar trug er in einem Pferdeschwanz zusammengebunden und sein blasses Gesicht wurde von einem kurz geschnittenen, dunklen Bart eingerahmt.

Er hielt in seiner Arbeit inne, verdeckte hastig das, was er gerade tat, mit einem Bildschirmschoner und sah mich dann fragend an.

Ich trat zu ihm. »Sind Sie Quinton?«

»Wer will das wissen?«, entgegnete er.

»Ich heiße Harper Blaine und der Schlosser von Pioneer Square hat Sie mir empfohlen.«

Er nickte. »Okay. Worum geht es?«

»In mein Büro wurde eingebrochen und ich brauche irgendeine Art Alarmsystem. Und zwar am besten sofort und so billig wie möglich.«

»Aha, ich verstehe.« Er grinste mich an. »Ja, ich kann Ihnen da in circa einer Viertelstunde etwas einbauen. Es wird zwar nicht perfekt sein, sollte die Barbaren aber erst einmal in Schach halten.«

Ich starrte ihn fassungslos an.

Wieder grinste er. »So schwierig ist das nicht. Wie sieht denn Ihr Büro aus?«

»Eine Tür, ein Fenster, zwei Telefonleitungen«, antwortete ich. »Eine davon ist für mein Modem.«

»Nichts einfacher als das. Wie weit ist es bis zu Ihnen?«

»Nicht weit, etwa acht Block von hier.«

»Sind Sie mit dem Auto oder zu Fuß da?«

»Zu Fuß.«

»Na, dann mal los.« Er loggte sich aus dem Computersystem aus und nahm seine Jacke und den Rucksack, der neben ihm auf einem Stuhl lag.

Ich musste mich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. Ich bin zwar groß und habe lange Beine, aber Quinton verlor keine Zeit, und um da mithalten zu können, durfte man nicht trödeln. Als wir südlich in Richtung Pioneer Square abbogen, hatte sich das Wetter gerade entschieden, ein wenig Frühling zu spielen, wie das für Mitte April typisch ist. Die Einwohner von Seattle scheinen dabei immer zu vergessen, dass es im Mai wieder zu regnen anfängt. Viele waren ohne Jacken unterwegs und genossen einen unerwartet heiteren Nachmittag und Abend, der allerdings spätestens um neun sicher wieder umschlagen und Kälte und Nebel vom Meer bringen würde. Trotz dieser Launenhaftigkeit des Wetters mochte ich diese Jahreszeit normalerweise am liebsten. Aber heute hatte sie keine Wirkung auf mich.

Als wir in die Yesler Avenue einbogen, musste ich blinzeln, denn auf einmal umgab mich ein seltsamer Nebel.

Mein Magen zog sich zusammen und mir wurde übel. Als ich die Straße zu meinem Büro überquerte, tauchte plötzlich ein staubig wirkender, bärtiger Mann in Jeans, Stiefeln, einem Holzfällerhemd und einem breitkrempigen Hut vor mir auf. Er funkelte mich böse an und ging dann direkt auf mich zu. Rücksichtslos stieß er mich beiseite. Seine Berührung jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken und der Gestank, den er verströmte, war unerträglich.

»Hey!«, schrie ich ihm nach. Doch er drehte sich nicht einmal um.

»Was ist los?«, wollte Quinton wissen.

Ich blinzelte verdutzt und holte erst einmal tief Luft. »Dieser Typ hat mich gerade angerempelt.«

»Welcher Typ?«

Ich zeigte mit dem Finger auf ihn. »Der da!«

Wir blieben beide stehen und sahen in die Richtung, in die er gelaufen war. Aber dort waren nur ein paar normale Fußgänger. Mein unhöflicher Rüpel war von der Bildfläche verschwunden.

»Er wird wohl in die kleine Gasse eingebogen sein«, sagte ich ohne Überzeugung. Stirnrunzelnd ging ich weiter.

Als wir schließlich in meinem Büro standen, fing Quinton sofort an, Fenster und Eingang zu untersuchen. Er zog ein kompliziert aussehendes Multitool aus der Hosentasche und holte aus seinem Rucksack einige Leitungsspulen, Klebeband und irgendwelche kleinen Schachteln hervor, die er vor sich auf dem Boden ausbreitete.

»Es sollte wirklich nicht lange dauern«, meinte er und setzte sich neben die offene Tür.

Ich beobachtete, wie er knapp über dem Boden etwas am Rahmen anbrachte. Dann legte er eine lange Leitung, knipste sie an einer bestimmten Stelle ab und klebte sie um den Türrahmen, so dass sie in einem Bogen zurück zum Boden führte. Als Nächstes machte er sich an das Fenster.

Das Telefon klingelte. Ich drehte Quinton den Rücken zu und nahm den Hörer ab.

»Hallo, Miss Blaine? Hier spricht wieder Sergeyev. Wären Sie daran interessiert, mein Erbstück für mich ausfindig zu machen?«

Ich setzte mich an den Schreibtisch und zog einen Notizblock heran. »Das kommt darauf an. Könnten wir uns treffen, um den Fall miteinander zu besprechen?«

Er lachte. »Nein. Ich bin im Augenblick nicht in Seattle. Aber ich würde Sie sehr gut bezahlen. Zweitausend amerikanische Dollar im Voraus, wie es so schön heißt. Und noch mehr, sobald Sie es für mich aufgespürt haben.«

»Dann bin ich interessiert. Ist das Objekt gestohlen worden?«

»Nein, eher verlegt. Es hat hier so viele Störungen gegeben. Es ist einfach abhanden gekommen.«

»Wo befinden Sie sich zur Zeit?«

»Ich habe es zuletzt in der Schweiz gesehen. Ich glaube, Ingstrom hat die Fracht nach Seattle verschifft. Das muss so zwischen 1970 und 1980 gewesen sein …«

Sein merkwürdiger Akzent und die Intonation verwirrten mich. Außerdem hatte ich ihn etwas anderes gefragt. »Worum handelt es sich denn?«

»Um ein Möbelstück – ein Harmonium. Können Sie es ausfindig machen? Es eilt allerdings nicht.«

Ich notierte mir die bisherigen Informationen und überlegte. »Das ist ja nicht besonders viel, was mir weiter hilft. Haben Sie vielleicht noch weitere Anhaltspunkte?«

»Ich werde darüber nachdenken und Ihnen in der Zwischenzeit die nötigen Papiere samt Scheck zukommen lassen. Haben wir also eine Vereinbarung?«

»Ja, aber es könnte durchaus etwas Zeit in Anspruch nehmen …«

Ich glaubte, ein unterdrücktes Lachen zu hören, und dann sagte eine Stimme: »Wenn Sie telefonieren möchten, legen Sie bitte auf und wählen Sie erneut.«

Ich sah zu Quinton hinüber, der neben der Telefonbuchse gekniet hatte und sich gerade erhob. »Was zum Teufel haben Sie getan? Das war ein Klient und ich habe noch nicht einmal seine Nummer!«

»Ich habe nichts gemacht. Die Leitung ist nicht angerührt worden. Vielleicht ruft er gleich zurück.«

Aber das tat er nicht. Ich wartete noch einige Minuten und schüttelte dann resigniert den Kopf. »Verdammt.«

Quinton betrachtete nachdenklich das Telefon. »Sie glauben also nicht, dass er wieder anruft?«

Ich war verärgert. »Jetzt jedenfalls nicht.«

»Ich muss nur noch eine Sache fertig machen, aber dazu brauche ich für einige Minuten das Telefon. Haben Sie eigentlich einen Piepser?«

»Ja.«

»Und welche Nummer hat der?«

Ich warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Irgendwie war mir plötzlich etwas schwindlig. »Wofür brauchen Sie denn meine Nummer?«

Er hielt eine in Plastik eingeschweißte Geburtstagskarte in die Höhe, auf der man seine Glückwünsche digital aufnehmen konnte. »Ich will den Chip so umprogrammieren, dass er Sie anruft, sobald hier jemand einbricht.«

»Oh …« Verlegen nannte ich ihm die Nummer.

Er nahm die Karte auseinander und holte nach kurzer Zeit ein kleines schwarzes Ding hervor, das er neben das Telefon legte. Dann nahm er den Hörer ab, wählte meine Nummer, fügte noch drei mir unbekannte Ziffern hinzu und legte wieder auf. Schon begann mein Pager, den ich stets an der Hüfte trug, zu vibrieren.

»Hat es funktioniert?«, wollte er wissen.

Ich nahm den Pager in die Hand und las die Nachricht. »Neun-neun-neun.«

»Gut. Sie bekommen diesen Code, sobald hier das Fenster oder die Tür geöffnet werden. Einfach ignorieren, wenn Sie selbst die Übeltäterin sind. In ein oder zwei Tagen habe ich alles organisiert, was ich brauche, um Ihnen ein besseres System einzurichten. Noch einige Handgriffe und dann sollte das erst einmal reichen.«

Er schloss alles an und befestigte die Leitungen mit dem weißen Klebeband, sodass sie – wenn man nicht genau hinsah –, fast unsichtbar waren.

»So, das war’s«, sagte Quinton schließlich, packte seine Sachen zusammen und verstaute sie wieder in seinem Rucksack.

»Wie viel schulde ich Ihnen, Quinton?«

»Wie wäre es mit einem Abendessen? Ich hätte da noch einige Fragen, was ein dauerhaftes Alarmsystem betrifft. Falls Sie das immer noch installiert haben möchten?«

Ich überlegte. »Doch, eigentlich schon. Können Sie mir trotzdem schon mal einen Preis nennen – so über den Daumen gepeilt?«

»Ich gebe grundsätzlich keine Angebote ab, die nicht auf zehn Dollar genau sind.« Seine Augen funkelten frech.

Ich warf ihm einen leidgeplagten Blick zu.

Verlegen grinste er mich an. »Angenommen, dass die notwendigen Teile nicht erheblich teurer geworden sind, sollte sich das Ganze auf nicht wesentlich mehr als zweihundert Dollar belaufen – inklusive heute, versteht sich.«

Viel hatte ich nicht zu verlieren. »In Ordnung. Dann klären wir die Einzelheiten bei einem Abendessen. Was hätten Sie denn gern?«

»Irgendein totes Tier wäre nicht schlecht«, erwiderte er. »Ich habe zwar nichts gegen vegetarische Kost, bin aber zu sehr Fleischfresser, um es ganz aufzugeben.«

Ich sammelte meine Sachen zusammen. »Gut. Mir schwebte auch so etwas wie ein Steak vor.«

»Super.«

Wir gingen die First Avenue entlang, bis wir zum Frontier Room kamen. Es war ein etwas heruntergekommenes Lokal voller Kitschgegenstände, dessen Speisekarte nicht viel mehr als gegrilltes Fleisch und harte Drinks bot. Aber das Steak war hervorragend und man musste auch nicht allzu tief in die Tasche greifen.

»Also«, fing Quinton an und schnitt sich ein Stück von dem gerade servierten Steak ab. »Was genau soll Ihr Alarm eigentlich bewirken? Sie scheinen mir nicht jemand zu sein, der Sicherheitsmaßnahmen veranlasst, nachdem das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Erwarten Sie weitere Probleme?«

»Ich möchte zumindest auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.«

Er warf mir einen Blick zu. »Verstehe. Ich nehme an, Sie möchten nicht jedes Mal die Polizei bei sich haben, wenn der Alarm losgeht. Liege ich da richtig?«

»Das tun Sie. Außerdem möchte ich die alleinige Kontrolle über das System haben. Ich kann es mir nicht leisten, dass irgendeine Security-Firma mich bespitzelt, denn meine Klienten zahlen für meine Diskretion. Aber natürlich brauchte ich Aufzeichnungen, falls tatsächlich wieder jemand einbrechen sollte.«

Quinton nickte; ein kleiner Klecks Barbecue-Sauce am Mundwinkel verlieh seinem Lächeln etwas Verschmitztes. »Also sollte das System unauffällig und zuverlässig sein, bei der Polizei keinen Fehlalarm auslösen und auch vor Gericht standhalten können. Ich denke, so etwas lässt sich in Ihrem Büro recht problemlos einrichten. Ich müsste nur ein paar Löcher bohren. Ginge das?«

»Der Hausverwalter ist ein ziemlicher Idiot, aber ich werde schon mit ihm fertig. Und den Besitzer stört das sowieso nicht; für den zählt nur, dass er rechtzeitig seine Miete bekommt.«

Wir besprachen noch ein paar Details, doch als wir das Essen beendet hatten und der Kaffee gebracht wurde, plauderten wir bereits über andere Dinge. Vielleicht lag es an dem Glas Wein, das ich mir genehmigt hatte, jedenfalls fühlte ich mich richtig wohl. Quinton war ein guter Unterhalter und so wurde aus einem Geschäftsessen noch ein ausgesprochen angenehmer Abend.

Danach gingen wir wieder zum Pioneer Square zurück. Quinton blieb an der Ecke First und Columbia Avenue stehen.

»Ich biege hier ab. Ich melde mich dann bei Ihnen, sobald ich alles Notwendige zusammen habe. Und … vielen Dank für das Essen. Es war wirklich gut.«

»Ja, Steaks können sie.«

Er grinste und lief dann die Columbia Avenue entlang in Richtung Kai, drehte sich aber noch einmal um und winkte mir zu, bevor er unter der Auffahrtsrampe der Stadtautobahn verschwand.

Ich schlenderte leicht angeheitert weiter zu meinem Auto, das einige Häuserblocks entfernt geparkt war. Ein warmes, angenehmes Gefühl erfüllte mich, auch wenn die Luft bereits wie erwartet kälter wurde. Als ich an meinem Büro vorbeiging, stieg aus der Kanalisation wirbelnder Dampf auf. Die kalten Schwaden legten sich um meine Fesseln, sodass ich zitterte und sich mir die Härchen im Nacken aufstellten.

Ich sah mich um, da ich plötzlich das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Wieso litt ich nur derart unter Verfolgungswahn? Es war doch nur ein bisschen Dampf – nichts Ungewöhnliches. Schließlich quollen aus beinahe jedem Straßendeckel einige Schwaden, die einen Augenblick lang wie Gespenster auf dem Kopf Steinpflaster tanzten, ehe sie sich in Luft auflösten. Dieser Nebel jedoch formte sich zu einer seltsamen Gestalt.

Ich zuckte entsetzt zusammen. Dort stand jemand im Dunkeln und beobachtete mich. Entschlossen ging ich auf die glühenden Augen zu. Die Schattengestalt bewegte sich im Licht, das von einem erleuchteten Fenster auf die Gasse fiel. Sie war offenbar weiblich, und ich sah den rötlichen Schimmer ihrer Haare, bevor sie genauso schnell wie sie aufgetaucht war auch wieder spurlos verschwand.

Ich rannte hinter ihr her, ihrem roten, kurz geschnittenen Haarschopf folgend. Mir lief es heiß und kalt den Rücken herunter, während ich um die Ecke stürzte. Auf einmal umgab mich ein eigenartiges Licht und ein tiefes, dunkles Surren war zu hören. Alles schien von einem Schleier überzogen zu sein, so als ob ich mich in dichtem Schneegestöber befände. Immer wieder konnte ich beinahe einen Blick erhaschen, ehe es sich wieder verdichtete. Das Licht – dunstgrau und so unmöglich mit Blicken zu durchdringen wie grelles Sonnenlicht in der Wüste – verwischte jede Einzelheit durch eine Art weißes Rauschen. Formen und Gestalten schienen am Rand meiner Wahrnehmung vorbei zu strömen, so dass ich sie gerade noch aus dem Augenwinkel als schwarze Flecken erspähen konnte – mehr jedoch nicht.

Ich blieb stehen und drehte mich um. Dasselbe Spiel. Mich verließ der Mut und ein starker Schwindel überkam mich. Verzweifelt rieb ich mir die Augen in der Hoffnung, dass ich den Schleier von meiner Wahrnehmung wischen und so wieder aus dieser Gasse herausfinden könnte.

Noch einmal drehte ich mich um und sah, dass sich die Straße in eine unendliche, von Dampf und Nebel erfüllte Ebene verwandelt hatte.

»Wo bist du? Wo bist du!«, schrie ich. Panik breitete sich in mir aus. Verwirrt irrte ich umher, rang nach Luft und brüllte weiter.

Plötzlich murmelte eine Stimme: »Sei still oder es wird dich hören.«

Hastig drehte ich mich um. Wer hatte da gesprochen? Vor mir formte sich aus den dichten, wabernden Nebelschwaden ein Gesicht, das in einem sanften Licht erstrahlte – es war menschlich, wies jedoch weder charakteristische Züge auf, noch irgendeine bestimmte Farbe. Mein Herz pochte heftig.

Ich zitterte am ganzen Körper und stammelte: »Wer bist du?«

»Ich bin … ich. Ich bin … er. Ich bin sie …«

Ich machte mir nicht viel aus Philosophie und winkte mit einer unsicher zitternden Hand ab. »Zeig mir, wie ich hier herauskomme.«

Das Gesicht murmelte Unverständliches vor sich hin und begann, sich aufzulösen. »Pssst … übe dich in Geduld.« Das formlose Wesen fing an, sich zu winden – als ob sich in seinem Inneren unzählige Schlangen krümmen und es in die ungeheuren Tiefen des Nebels zurückverbannen würden. Kurz darauf war ich wieder allein inmitten dieser fremden Welt des Schleiers und des Grauens.

Ein Schrei und ein jammerndes Stöhnen ließen das seltsame Licht erbeben. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Ein weiterer Schrei. Eine Gestalt brach durch die Schwaden, stieß heftig gegen mich und ließ mich beinahe das Gleichgewicht verlieren.

Da schnappte ein Schlund mit triefenden Zähnen nach meinem Kopf, gefolgt von einer sich windenden schwarzen Masse, die den Nebel um sich herum zum Vibrieren brachte. Sie drehte sich, schien sich zu sammeln – riesig, finster und mit einem fauchenden Kopf ohne Augen versehen. Eine Mähne knochiger Stacheln peitschte durch das rauchige Licht. Das Wesen kreischte und holte aus.

Sein Schrei ließ mich zurückstolpern. Plötzlich spürte ich eine Berührung am Kopf, eine weitere an meinem Brustkorb – ich wurde gestoßen. Die unbekannte Kraft hatte mich beiseite gedrängt.

Ich stürzte auf das Kopfsteinpflaster. Etwas brüllte, und die seltsam schimmernde Finsternis verschwand mit einem Knall, als hätte jemand eine Tür zugeschlagen.

Verzweifelt schlug ich um mich, suchte nach dem schwarzen Wesen und dem widerwärtigen Nebel. Aber ich lag nur in einer Gasse, der Gestank von Urin, Müll und verschüttetem Bier hing in der Luft. Dünner Bodennebel tanzte über den Rinnsalen zwischen den Pflastersteinen, sonst nichts.

Ich hörte, wie eine quietschende Tür geöffnet wurde. Dann das Klappern von Mülleimern, als ein Kellner Säcke voll Unrat in einen Container neben dem Merchants Cafe warf. Ich unterdrückte das Verlangen, laut zu stöhnen, und bemühte mich, wieder ruhiger zu atmen. Langsam zog ich mich an einer roten Ziegelwand hoch und klopfte mir, noch immer zitternd, den Dreck von den Klamotten. Fußgänger gingen an beiden Enden der Gasse vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Offenbar hatte niemand mitgekriegt, was mir gerade passiert war.

Unsicheren Schrittes taumelte ich auf die andere Seite der Gasse, fand dort meinen Geldbeutel, steckte ihn ein und wankte davon.

Mein Herz raste immer noch, als ich in meinem Auto saß und über die West Seattle Bridge fuhr. Was auch immer da mit mir geschehen war – das war bestimmt keine zeitweilige Anomalie durch eine Kopfverletzung. Was hatte sich da gerade auf mich gestürzt? Wo um Himmels Willen war ich gewesen? Die einzige Bezeichnung, die mir für die Kreatur einfiel, mit der ich gesprochen hatte, war »Geist«. Und dieses Wort gefiel mir ganz und gar nicht.

Als ich mich schließlich in der Sicherheit meiner eigenen vier Wände befand, suchte ich sofort nach der Visitenkarte, die mir Dr. Skelleher gegeben hatte. Es war zwar bereits nach zehn, aber ich konnte und wollte keine Sekunde länger warten.

Eine fröhlich klingende Männerstimme meldete sich. »Ben Danziger am Apparat.«

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber auf jeden Fall nicht das.

Noch immer zitternd stammelte ich: »Äh, ich heiße Harper Blaine. Dr Skelleher hat Sie oder … oder Mara empfohlen. Er meinte, dass Sie mir unter Umständen helfen könnten.«

»Der alte Skelly! Natürlich! Was kann ich denn für Sie tun?«

Ich zögerte. »Ich … Ich bin mir nicht ganz sicher. Er meinte, dass … dass Sie gewisse Erfahrungen gemacht hätten. Ich glaube nämlich, dass ich Geister sehe oder so etwas Ähnliches.«

»Oh, ich verstehe. Ja, die können recht lästig sein. Vor allem, wenn man nicht weiß, ob sie tatsächlich existieren oder nicht.«

»Genau! Und dann gibt es noch diese lebenden Nebelschwaden …«

»Nebelschwaden? Das ist ja interessant. Erleben Sie diese Dinge erst seit kurzem?«

»Ja.«

»Hmm.« Er wandte sich vom Hörer ab, und ich konnte eine gedämpfte Unterhaltung hören. Dann sprach er wieder ins Telefon: »Ich denke, dass wir Ihnen helfen können -zumindest etwas. Vielleicht sind wir in der Lage, Sie in die richtige Richtung zu weisen, sodass Sie verstehen, was um Sie herum passiert und sich wieder etwas wohler fühlen. Hätten Sie Zeit, auf ein Stündchen oder zwei vorbei zu kommen?«

»Jetzt sofort?«

Er lachte. »Nein, nein. Morgen. Wäre es Ihnen, sagen wir, um sechzehn Uhr recht? Dann ist Mara auch zu Hause.«

Ich war heilfroh. »Ja, gerne, dann also um vier. Wunderbar. Und wo?«

»Wir wohnen in der Upper Queen Anne über dem Einkaufszentrum. Haben Sie etwas zum Schreiben da …«